Fab.31
Die Fische
Der Hochmut kam einmal ins Meer,
Und fuhr den Fischen in die Köpfe.
Es sehnten sich fast alle Seegeschöpfe,
Vom krummen Blackfisch bis zum langen Stör,
Nach Standserhöhungen. Des Fischmonarchen Haus
War jeden Tag voll Supplikanten.
Die wirkten sich gewisse Titel aus,
In denen sie sich selbst verkannten.
Dem Krampffisch kam der Rang am letzten in den Sinn;
Er schwamm zum Walfisch, klagte nach der Länge,
Daß Krampffisch so schlechtweg forthin
Ein wenig zu verächtlich klänge;
Drum möcht' er gern ein Fisch von Stande sein.
Der gute König willigt auch darein,
Wünscht aber, daß er ihm die Ursach sage,
Warum ihn dieser Ehrgeiz plage.
Das ist, versetzt der Supplikant, nicht schwer;
Wenn Eure Majestät mich auch zu was ernennen,
So wird' ich künftig gleich den Andern hier im Meer
Mit E h r e n müßig geben können.
Fab.32
Abdul
Der mächtige Schach Abdul saß
Auf Kores Thron, als in dem Reiche
Das Feuer einer faulen Sache
Das Volk bei Myriaden fraß.
Der Heilkunst emsiges Bestreben
Erhielt nicht eines Kranken Leben;
Sie welkten alle, wie das Gras.
Um dieses Ungemach zu heben,
Lud einst der Schach den Divan vor;
Allein man schwieg zu seinen Fragen.
Der Mufti kratzte sich das Ohr;
Der Kanzler glaubte viel zu sagen,
Und sagte — nichts. Zuletzt ward auch
Der Arzt gefragt. Der strich den Bauch,
Und sprach: "Wir Ärzte wissen's alle,
Der Sitz des Übels ist die Galle,
Die zeugt die Krankheit und den Tod.
Doch wer kann der Natur entgehen?"
"Freund, damit hat es keine Not,"
Rief der Monarch, "das sollst du sehen.
Sogleich erscheint ein Mandat,
Das jedem Herrn und jedem Sklaven
Bei martervollen Lebensstrafen
Ein Kind, das eine Galle hat,
Zu zeugen, förmlich untersagte. . .
Dein Abdul war ein wildes Tier,
Ein Satan, den die Mordlust plagte;
Fällt Pater Klaus dem Redner hier
Ergrimmt ins Wort. Doch dieser lachet
Und spricht: "Kommt dir's nicht in den Sinn,
Daß du und dein Sankt Augustin
Den lieben Gott zum Abdul machet?"
Fab.33
Die Tiere und die Sonne
O Sonne! scheine nicht so heiß!
Ich muß vor Mattigkeit und Schweiß
Bei meiner Arbeit schier erliegen;
So rief der Esel. — Dank für deinen heitren Schein,
O Sonne, rief die Schlange; mit Vergnügen
Leg' ich mich stundenlang hinein.
Die Eule schrie: Verschone mein Gesicht
Mit deinem mir verhassten Licht,
O Sonne! Kann ich doch kein Schlupfloch finden,
Wohin dein Strahl nicht dringt; ich werde noch erblinden.
Wohltät'ge Sonne, sei mir lange so geneigt,
Hub eine Feldmaus an; es reifen meine Ähren;
Vollauf kann ich mich wieder nähren.
Die Sonne hört es an, scheint fort, und schweigt.
Fab.34
Der Gesetzgeber
Der Adler wollte reformieren,
Und schaffte die Polygamie
Bei dem gesamten Federvieh
Auf einmal ab. Den armen Tieren
Mißfiel die strenge Polizei,
Zumal dem Hahn. Er trat herbei,
Um feierlich zu protestieren,
Und vor des Königs Majestät
An die Natur zu appellieren.
Stark schlug der Redekunst Athlet
Dem neuen Solon ans Gewissen;
Sprach voller Wärm' und Energie
Von seiner Weiber Harmonie.
Der Sultan schien ganz hingerissen,
Und rief: Ich kann nicht widerstehn,
Wohlan! ich will deinen Harem sehn.
Er folgt ihm huldreich aus dem Haine
In einen Hof. Der Patriarch
Lockt seine Hennen. Der Monarch
Verschlingt sie alle, bis auf eine,
Und sagt mit höhnischem Gesicht:
Es ist der weisen Fürsten Pflicht,
Den Untertan vor den Gefahren
Des Ungehorsams zu bewahren.
Fab.35
Der Heuwagen
Hans führte seinen Wagen Heu
Zu Markte hin; drei Tiere zogen
Die Last. Der Pferde waren zwei.
Vor beiden ragte, wie der Pfeil auf einem Bogen,
Ein Esel weit hervor. Gemach geht der,
Und denkt bei sich selbst: (denn ohne denken gehen
Macht Weg und Mühe lang und schwer)
Ich ganz allein, so denket er,
Regiere diesen Zug. Die Wahrheit zu gestehen,
Das gute Langohr hatte recht;
Die Rosse waren blind, und eben schlief der Knecht.
Das Fuhrwerk mochte trefflich gehen!
Wie manches Haus ist mir bekannt,
Das nicht viel tüchtiger bespannt,
Nur einen Hanse zum Haupte hat!
Wenn ich gesagt: wie manches Haus! so merkt der Kluge
Von selbst, daß ich mit gleichem Fuge
Auch sagen kann: wie mancher Staat!
Fab.36
Die Beförderung
Des Löwen raue Majestät
Ward von der weisen Fakultät
Einst eine Kur von Eiern angeraten;
Des Tags ein Schock.*
Die Kur schlug trefflich an.
Doch eh die Herrn sich's versahn,
Gebrach's der Arznei. Da schlich der Fuchs heran,
Und schwur ihm, als ein Ehrenmann,
Ihn bis zum Überfluß mit Eiern zu versehen;
Und wie man leicht begreifen kann,
Ließ es der König gern geschehen.
Nun streifte Reineke mit einem Paß durchs Land.
Fraß jede Henne, die er fand,
Bis auf den Eierstock, den er dem Patienten
Pflichtgemäß überreichte. Schön! mein lieber Sohn,
Rief der Monarch. Was geb' ich dir zum Lohn?
Wohlan ich mache dich zum Kammerpräsidenten.
*Ein
Schock sind 60 Stück.
Fab.37
Zeus und das
erste Paar Menschen
Nach dem Gratian
Zum Zeus, dem Geber aller Gaben,
Kam, nicht vergnügt das Leben nur zu haben
Gleich nach der Schöpfung Weib und Mann.
Gib uns noch ein Geschenk, o Zeus! hub jedes an.
So wählt, versetzt der Gott. Mir, spricht der Mann,
Hast du die Herrschaft angewiesen,
Die ohne Verstand nur schlecht besteht.
Das weißt du selbst; verleih mir also diesen.
Und Zeus erhörte sein Gebet.
Ich, ruft das Weib, will dich um Schönheit flehen;
Bin ich nur lieblich anzusehen,
So räum' ich den Verstand dem Manne willig ein.
Mit Lächeln sagte der Gott: Sie soll dein Anteil sein.
Des Glückes Göttin hört der Bittenden Verlangen.
Mich, ruft sie, hat das Paar verächtlich übergangen.
Verstand und Schönheit hat nur seinen Wert von mir,
Wißt, ihr Kurzsichtigen! ich räche mich dafür.
In Hütten soll Verstand, bei Schönheit Armut wohnen;
Und Beider wird mein Hass nicht eher schonen,
Als bis mich, in der klügern Welt,
Der Mann durch Schmeichelei, das Weib durch List erhält.
Fab.38
Die Bill
Einst fiel dem Löwen ein, es wäre
Doch gegen eines Königs Ehre
Und gegen das jus publikum,
Daß er sich selbst sein Futter schaffe.
Sein weises Ministerium,
Der Fuchs, der Büffel und der Affe
Trat des Monarchen Meinung bei.
Sogleich gebot er allen Tieren,
Ihm einen Schoß von Korn und Heu
Und Wildbret jährlich abzuführen.
Der Esel mußte das Edikt,
Als Wappenherold bunt geschmückt,
An allen Ecken ausposaunen.
Das Volk vernahm es mit Erstaunen:
Es drang sich in Prozession,
Wie dort in Vater Noahs Kasten,
Vereint vor des Monarchen Thron
Und wollte von den neuen Lasten
Befreiet sein. Der Elephant
Sprach männlich als Repräsentant:
"Wie, Herr, was konnte dich bewegen,
Uns diese Steuer aufzulegen?" —
"Schweig," fiel ihm der Despot hier ein,
Uns Könige darf Zeus allein
Zur Rechnung ziehen." — "Ach, du Spötter!"
Versetzt der Bär, "erst gestern noch
Sprachst du, es gebe keine Götter."
Nun ward man laut. Der Menge kroch
Das Ding zu Kopfe. Schließlich machte
Das Volk mit reifem Vorbedachte
Die Bill:* Daß,
weil ein Großsultan
Den höchsten Richter unsrer Taten
Verachten oder leugnen kann,
Man vor der Hand den Autokraten
Verpflichten soll, der Nation
Von seiner Wirtschaft auf dem Thron,
Auch nebenher von seinem Leben
Genaue Rechenschaft zu geben.
*Bill:
Gesetzesentwurf, Urkunde. Der
Begriff kommt aus dem
englischen.
Fab.39
Das Eichhorn in der
Stadt
Ein Junker hatte von der Jacht
Nebst gutem Wildbret auch ein Eichhorn mitgebracht,
Das gab er seinen Kindern hin zum spielen.
Die neckten es und ließen ihm kein Stündchen Ruh.
Einst wehrte sich's; allein der Vater trat hinzu,
Und ließ es seine Rute fühlen,
Und sprach: "Du ungeschliffnes Tier,
Du kannst des Menschen Gnade nicht ertragen;
Er könnte dir den Kopf zerschlagen,
Und sieh nur, er belustigt sich mit dir."
Das Eichhorn sprach: "Zur Kurzweil bin ich nicht geschaffen;
Beleidigung zu rächen führ' ich meine Waffen.
Bin ich ein ungeschliffnes Tier,
Warum ließt ihr mich nicht im Busch? was soll ich hier?"
* * *
Lord Max, du nötigst den Kapellan zum Schmause,
Lachst über Kirchendienst und Kirchenunterricht,
Und zürnest, wenn er widerspricht.
Laß doch den groben Mann zu Hause!
Er flucht nicht, spricht nicht Zoten, und betrinkt sich
nicht,
Und dich verdrießt sein Amtsgesicht.
Laß doch den groben Mann auf seinem Dorf zu Hause!
Fab.40
Der Löwe und der Bär
Als noch das Reich des Kronos blühte,
Ererbte der Tiere Thron
Ein Fürst, so zahm, so voller Güte,
Als je des frömmsten Schafes Sohn.
Ihm war Belohnen und Vergeben
Die einzige Regentenpflicht;
Er strafte keinen je am Leben,
Auch nicht den ärgsten Bösewicht.
Auf einem Zug durch seine Reiche
Traf dieser tierische Trajan
In einer ausgehöhlten Eiche
Einen alten Bären an.
Man rühmte diesen Eremiten,
Er sei die Fackel seiner Zeit,
Von strengen, aber rauen Sitten,
Und gar kein Freund der Höflichkeit.
Der Großherr sprach zum finstern Greise:
"Ich habe viel von dir gehört;
Man sagt, du seist der größte Weise,
Und ich erkenne deinen Wert.
Komm, folge mir nach meinem Schlosse;
Der Wechsel wird dich nicht gereun;
Du sollst mein Freund, mein Tischgenosse;
Und mein geheimer Staatsrat sein."
"Ich danke dir für deine Gnade,"
Versetzt der Weise; gleiches Glück
Genießt bei dir in gleichem Grade
Der Fuchs für jedes Bubenstück."
* * *
Ein Schloß, das Frevler in sich fasset,
Hat für den Weisen keinen Glanz;
Und wer nicht ganz das Laster hasset,
Der liebt die Tugend auch nicht ganz.
Fab.41
Der Hirsch und der
Weinstock
Ein Spießhirsch,*
dem die nahe Jagd
Die schlanken Läufe zittern macht,
Flieht schnell zu Holz und tut sich nieder.
Der Leithund sucht durch Busch und Flur,
Verfolget Fährte, Schritt und Spur
Und findet ihn im Prudel*
wieder.
Der Hirsch verändert seinen Stand,
Und springt in ein verzäuntes Land,
Wo bald ein Weinberg ihn verstecket.
Des Hifthorns Ruf, das Jagdgeschrei,
Die muntre Trupp zieht rasch vorbei,
Sein Wiedergang bleibt unentdecket.
Und nun fängt er mit scharfem Zahn
Den Weinstock zu benagen an,
Zerbricht, entblättert Zweige und Reben.
Man hetzt auf dies Geräusch zurück,
Der Packer springt im Augenblick
Heran, ihm einen Fang zu geben.
Er schreit, indem der Meute Wut
Ihn jetzt zerfleischt, und sich mit Blut
Die Wurzeln und die Ranken färben:
"Ich sterbe, weil ich den verletzt,
Der mich in Sicherheit gesetzt."
So sollten, die ihm gleich sind, sterben.
*Spießhirsch
oder Spießer ist bei den Jägern ein junger Hirsch,
der noch kein Geweih hat, sondern Spieße.
*Weidmännischer
Ausdruck für Sumpf.
Fab.42
Der Adler und der Weihe
Beim Adler ward ein Weih verklagt,
Daß er vom Straßenraube lebe.
Beklagter wird zitiert und hart befragt,
Was er hierauf für Antwort gebe?
"Herr König ich bekenne frei, (so sagt
Der Inquisit, und streicht die Segel)
Mir hat das Wildbret jederzeit behagt. . . ."
"Seht doch den unverschämten Flegel,"
Rief der Monarch. Dies Kompliment verdroß den Weih;
"Was soll," sprach er, "die tote Ringeltaube
In deinem Nest?" Die Kurialien
Bei Seite, Herr! — Lebst du nicht auch vom Raube?"
"Ha, Bösewicht! das sind Regalien,"*
Versetzt der Chan, die mir allein gebühren,
Und läßt den Wilddieb strangulieren.
*Regalien,
kommt von Regalität und bedeutet "Anspruch auf
Hoheitsrechte."
Fab.43
Der Wolf und der Hund
Ein abgezehrter Wolf, ein Bild der Dürftigkeit,
Sah einen feisten Hund beim Mondschein spazieren.
Sein runder Wanst erregt' in ihm nicht wenig Neid,
Und starken Hunger; dennoch hielt er es für gescheit,
Bei dieser Dogge sich manierlich aufzuführen.
Er schien vor Lust ganz außer sich zu sein,
Hier einen wackern Fremden zu begrüßen,
Und seiner artigen Gesellschaft zu genießen.
Drauf fuhr er fort: "Dir scheint die Mahlzeit zu gedeihn.
Mich wird wohl nimmermehr ein kleiner Schmaus erfreun;
Kein Nachbar ladet uns mit andern lieben Gästen;
Wir setzen um den Fraß oft Blut
Und Leben zu, wenn mit vergnügtem Mut
Die Herren Hunde sich in vollen Küchen mästen."
Der Hund erwidert ihm: "Freund, ich beklage dich.
Im Wald, ich glaub' es wohl, ist oft nicht viel zu fressen;
Doch willst du mit mir gehen, so wirst du so wie ich,
Dich gut verpfleget sehn, und aller Not vergessen.
Mein lieber Herr und Frau; mein Amt fällt gar nicht schwer.
Ich hüte Haus und Hof, und halte nächtlich Wache.
Auch du scheinst mir geschickt zur Hut und Gegenwehr;
Und mehr bedarf es nicht, dass man dich glücklich mache."
Vor Freunde weint der Wolf. Als er nun mit ihm trabt,
Der Stelle vorzustehn, die man ihm angetragen,
Sieht er des Hundes Hals enthaart und abgeschabt,
Und wird neugierig, nach der Ursach ihn zu fragen.
Darauf versetzt sein Freund: "Ist wohl allein
Mein Halsband schuld. Man legt des Tages mich an die Kette,
Aus Furcht, ich möchte sonst falsch oder beißig sein,
Dafern ein Held, wie ich, stets seinen Willen hätte.
Allein was schadet das? ich liege warm und still;
Der Knecht bringt Trank, der Koch bringt Speise. . . ."
"Ei! ruft der Wolf, Glück auf die Reise!
Wenn ich nicht tun kann, was ich will,
Dann bleib' ich bei der Väter Weise;
Bald wenig, bald vollauf; und danke für den Koch."
Er sag's, läuft fort, und läuft wohl noch.
Fab.44
Die Schwalbe und
der Storch
"Storch, klappre nicht! rief einst die Schwalbe; laß uns
fliehn;
Sieh dort am schwarzen Kirchhoftore
Den Jäger mit gespanntem Rohre;
Ein leiser Druck, so sind wir hin."
Der Storch versetzt: "Ich flöhe, wär' ich eine Lerche,
Ein Rebhuhn oder ein Fasan;
Allein die Jäger sehn uns Störche
Von Alters her als heilig an.
Ein Sprichwort haben sie, das saget:
Wer uns verjagt, hat die Freiheit mitverjaget."
"Ach Freund! verlaß dich nicht auf diesen Wahn,"
Antwortet jene; vormals hieß es immer,
Wir Schwalben brächten Glück ins Haus;
Der Junker selbst litt uns im Zimmer;
Und nun hat kaum die Fledermaus
Ein härtres Los als wir. Ich flog beim Küster
Schon sieben Sommer ein und aus;
Allein sein Enkel, ein Magister,
Kommt von der hohen Schul' in unser Dorf zurück,
Und schimpfet, Trotz Minervens Eule,
Mit so viel Kunst und so viel Glück
Auf Barbarei und Vorurteile,
Daß ihm der Alte Vollmacht gibt,
Mein Nest — um die Vernunft zu rächen —
Mit sieben Feuern auszubrechen."
* * *
Ihr Boten der Vernunft! wenn ihr die Menschen liebt,
So denket nach, wenn ihr sie lehret,
Ob ihr durch jede Wahrheit auch ihr Glück vermehret.
Weit besser für das Heil der Welt
Ist frommer Irrtum, der erhält,
Als kalter Weisheit, die zerstöret.
Fab.45
Lysimachus und
Phillipides
Als Witz zu Würden half, die Weisheit der Poeten
Ein Recht an Gunst und Glück besaß,
Und mancher König ohn' Erröten
Gedichte schrieb und Dichter las,
Ward zu des Hofes Ehrenstufen
Philippides vom Lysimach berufen.
"Nimm," sprach der Held, "an meiner Länder Heil,
An allem, was ich habe, teil." —
"Beim Zeus! das wäre gar nicht wenig,"
Versetzt Philippides; doch, großer König,
Was du mir gibst, empfang' ich dankbarlich,
Nur mit Geheimnissen, bitt' ich, verschone mich."
Fab.46
Das Podagra und die
Spinne
Das Podagra und eine Spinne,
Geführt von ihrem Eigensinne,
Entschlossen sich, die Welt zu sehn,
Und Abenteuern nachzugehn.
Sie trafen auf dem Weg einander,
Und reisten nunmehr miteinander.
Ich dächte, sprach das Podagra,
Wir setzten nach dem Dorfe da
Zusammen unsere Reise fort;
Es scheint ein wohl gelegner Ort.
Der Spinne war das eben recht.
Sie kamen an das Dorf. Geschwächt
Vom gehen, kraftlos und halb lahm
War unser Podagra, und nahm
So bald als möglich voll Begier
Beim ersten Bauer sein Quartier.
Die Spinne hält sich für gescheiter,
Und nimmt den Weg ein wenig weiter,
Bis zu des Edelmannes Haus.
Hier wählet sie den Saal sich aus,
Worin man mit der größten Pracht
Zu einem Gastmahl Anstalt macht.
Sie läuft zum Fenster. Dieses schien
Ihr sehr bequem ihr Netz zu ziehn.
Doch als es kaum gezogen war,
Nimmt es eine Stubenmagd wahr,
Die mit dem Besen drüberfährt,
Und unbarmherzig es zerstört.
Die Spinne hub von neuem an
Zu weben, wie sie erst getan.
Bald aber ward der Saal voll Damen
Und Herrn; auch viele Diener kamen.
Ein naseweiser Bursche sah
Der Spinne Netz: Was machst du da?
Rief er, und stieß voll Übermut
Quer durch ihr Fliegennetz den Hut.
Die Spinne ließ sich nicht verdrießen;
Sie heftete mit beiden Füßen
Ihr hangend halb zerstörtes Nest
Zum dritten Mal am Rahmen fest.
Da trat ein junges Fräulein hin,
Und sah die schwarze Spinnerin
Am Fenster hangen, und schrie laut:
Ach Herr Baron! mir graut! mir graut!
Und wies mit Schrecken auf die Spinne.
Kaum ward der Herr Baron sie inne,
So zog er als ein Held den Degen,
Fing an im Netz herumzufegen;
So daß mit Not die Spinn' entkam,
Und aus dem Saal den Abschied nahm.
Dem Podagra ging es ebenso;
Es ward der Herberg wenig froh.
Nachdem es lange genug gesessen,
Sprach es: Ich möchte' ein wenig essen.
Der Bauer brachte trocken Brot,
Zu dem er ihm kalt Wasser bot.
Dies schien nach einer langen Reise
Dem Podagra sehr schlechte Speise;
Es aß nicht viel, trank kaum dazu,
Und sprach betrübt: Bringt mich zur Ruh.
Da gab der Bauer ihm zu Bette
Gar eine harte Lagerstätte,
Worauf ein wenig Stroh nur lag.
Es krümmte sich hier, bis der Tag
Im Osten an zu grauen fing,
Worauf es seufzend weiter ging.
Es traf die Spinne wieder an,
Die gar kein Auge zugetan;
Und alle beide klagten sich
Ihr Elend, und wie jämmerlich
Ein jedes die vergangne Nacht
Bei seinem Wirte zugebracht.
Ich seh wohl, wo der Knoten sitzt,
Sprach drauf das Podagra; dir nützt
Zum Aufenthalt kein Palast;
So wie ich niemals Ruh und Rast
Bei schlechten Bauern finden kann.
Darum geh du zum armen Mann,
Und ich will deinen Junker sehn;
So soll das Ding weit besser gehn.
Die Spinne war nicht unzufrieden
Mit diesem Vorschlag; und sie schieden,
Sobald der Abend wiederkam
Das Podagra voll Hoffnung nahm
Zum Schloß des Gutsherrn seinen Gang.
Mit welchem freudigen Empfang
Ward's hier vom Junker aufgenommen!
Kaum sah er es gehinket kommen,
So nahm er's höflich bei der Hand,
Führt's in sein Kabinett. Hier stand
Ein Kanapee mit vielen Kissen;
Er legt ihm drei davon zu Füßen,
Spricht: Ihre Gnaden fordern dreist,
Was ihrem Gaum willkommen heißt.
Drauf ruft er seine Diener her.
Man bringt den Tisch; der wird nicht leer
Von Tee, von Kaffee, von Orsade,
Von Schokolade, von Limonade.
Nun kommt der Mittag. Von der Menge
Der Schüsseln ward die Tafel enge.
Da kam französisches Ragout;
Ein leckrer Pudding kam dazu,
Und Roastbeef, nach der Briten Art;
Auch Austern, mit und ohne Bart;
Gebratne folgten, nach Gebrauch,
Und ein Kapaun mit Austern auch.
Noch kamen Austern in Pasteten,
Dann schöne Braten vom Fasan,
Vom Rebhuhn und vom Ortolan,
Kurz, alles was die Schmausewelt
Für wahre Leckerbissen hält,
War so im Überflusse da,
Als irgend in Hammonia.
Die Weine? ha! wer kann sie zählen?
Gewiß hier durfte keiner fehlen;
Und alle gingen trefflich ab,
Vom Mosler bis zum Wein vom Kap.
So daß die Podagra sie gar
Gesättigt bis zum Ekel war.
Die Spinne trat zum armen Mann
Indessen auch die Wallfahrt an.
Sie fand bei ihm ein freies Leben;
Fing an zu haspeln und zu weben
Nach Herzenslust mit Füßen, Händen,
An Türen, Fenstern, Balken, Wänden;
Verfertigte manch schönes Netz
Nach ihres Eigensinns Gesetz,
Bald rund, bald eckig, schmal und breit,
Mit vielen Strahlen, eng und weit;
Beherrschte so das ganze Haus,
Und niemand stört' und trieb sie aus.
Als beide Wandrer darauf
Von ungefähr nach Monds Verlauf
Sich wiedersehn, da rühmen beide,
Mit welcher nie genossnen Freude
Ihr Leben den versüßet sei.
Man bleibt forthin der Herberg treu,
Und wünscht sich Glück auf beiden Seiten.
Und so wohnt noch zu diesen Zeiten
Die Spinne bei den Armen gern,
Das Podagra bei großen Herrn.
Fab.47
Das Pferd und das
Maultier
Wer bist du? sprach ein stolzes Maul
Zu einem wackern Ackergaul.
Der dürre Hengst, aus dessen Samen
Du stammst, lief mit dem plumpsten Farrn
Bald vor dem Pfluge, bald im Karrn.
Mein Vater hieß Achill mit Namen,
Und war Achill, das Lieblingspferd
Des Kaisers, tausend Kronen wert.
Nur an der Spitze seiner Heere
Nur bei Triumphen ritt er ihn . . .
Doch deine Mutter, sprach die Mähre,
War die nicht Fräulein Eselin?
Fab.48
Der
Auerochse, der Hund und der Wolf
Ein Wolf jagt' einen Hund, der bat voll Zuversicht
Den Auerochsen, ihn in Schutz zu nehmen.
Der Flüchtling wird erhört; doch ihn verfolgt sein Feind,
Und spricht: Ich komme Herr, dein einzig Kalb zu rächen;
Der Schnapphahn hat's erwürgt, ich sah es, ich, dein Freund,
Und den verwirkten Hals soll ihm kein Andrer brechen.
Schon brüllt der Auerochs voll Zorn,
Und zeigt dem Hunde schon sein fürchterliches Horn.
Doch dieser wirft sich flehend nieder,
Beteuert hoch, ihm sei das rohe Fleisch zuwider.
Als drauf sein Kläger ihm mit Zeugen droht,
Kommt unverletzt das junge Kalb gesprungen.
Den frechen Lügner trifft der Tod.
Den wünsch' ich allen Lästerzungen.
Fab.49
Der Aeronaute
An den Herrn
Rat Wild
Freund, dessen Hand am stolzen Fuß
Des taubenreichen Vógesus
Ein Segel durch die Wolken führte,
Als man mit skoptischen Geschrei
Am Harz noch immer demonstrierte,
Daß diese Fahrt unmöglich sei!
Laß dir von deiner Muse sagen,
Was mit dem Schöps sich zugetragen,
Den Montgolfier auf gutes Glück
Zu einem Luftkundschafter machte,
Und den sein günstiges Geschick
Gesund aufs Land zurücke brachte.
Zwar hat schon Fama dich belehrt,
Daß Ludwigs huldgewohnten Hände
Mit einer stattlichen Präbende
So fort den neuen Cook beehrt;
Doch dieses, Freund, blieb dir verborgen,
Daß ihm ein Löw' entgegen kam,
Als er an einem schönen Morgen
Besitz von seiner Stelle nahm.
Was will der Schöps im Königsgarten?
Rief der Numide: fort mit dir,
Alltagsgeschöpf! sonst wird dich hier
Der Tod des Marlyas erwarten.
Nun! nun! blökt ihm der Hammel zu,
Mein guter Freund, hör' auf zu schnarchen;
Ich bin ein seltneres Tier als du,
Und auch ein Pfründner des Monarchen.
Du siehst — hier hob er seinen Ton —
Den ersten Schöps, der durch die Lüfte
In einer zwillchnen Gondel schiffte,
Und kecker, als Bellerophon,
Sich bis ins Reich der Sylphen wagte.
Der Löwe sprach: Verzeih, man sagte
Uns viel von deinem Ritterzug;
Allein was hast du dort gesehen?
Gesehen, Freund? in solchen Höhen
Sieht unser einer nichts; genug,
Daß ich das Wolkenmeer durchkreuzte,
Und daß mein großes Beispiel nun
Die feigen Philosophen reizet,
Den kühnen Schritt mir nachzutun.
Kaum kam ich von der Fahrt zurücke,
So drangen sie mit gleichem Glücke
In einem fliegenden Gezelt
Bis in die blauen Himmelskreise,
Ins Heiligtum der Oberwelt.
Und alles das, so schloß der Held,
Dankt doch der Mensch nur meiner Reise.
Gut, sprach der Tiere Großsultan,
Das will ich dir nicht widersprechen;
Oft schickt man einen Schöps voran,
Dem klugen Kopf die Bahn zu brechen.
Fab.50
Der Mensch, das
Vergnügen und der Schmerz
Du Freundliche! wer bist du? sprach der Mensch; —
Vergnügen
Werd' ich genannt. — Und du, aus dessen finstern
Zügen
Verdruß und Trübsinn spricht? —
Ich bin der Schmerz. — Dich mag ich nicht;
Doch du holdseliges Vergnügen,
Sollst mein sein, nimmer von mir gehen.
Nein, guter Freund, versetzte das Vergnügen,
Was du begehrst kann nicht geschehn.
Wer mich verlangt, muß sich bequemen
Auch meinen Nachbar aufzunehmen,
Den zum Gefährten mir der Himmel auserkor.
Seit uns des Schicksals Hand verbunden,
Hat man uns nie getrennt gefunden:
Bald folg' ich nach, bald geh' ich vor.
Fab.51
Die Regierung der Welt
Nach dem englischen des Addison
Als Moses einst vor Gott auf Horebs Höhen stand,
Ihm Fragen von der Weltregierung tat,
Rief Gottes Stimme: "Sieh hinab ins flache Land!"
Hier floß ein klarer Bach. Ein reisender Soldat
Steigt bei dem Bach vom Pferde,
Löscht seinen Durst und reitet eilig fort.
Aus einem Busche kommt ein Knab' jetzt von der Herde,
Schöpft einen Trunk an eben diesem Ort,
Und findet einen Beutel bei der Quelle,
Nimmt ihn und läuft zurück. Kaum ist der Busch erreicht,
Als schon nach der verlassnen Stelle
Ein grauer Pilgersmann gebückt am Stabe schleicht.
Auch dieser trinkt, und setzt sich auf den Rasen nieder.
Schnell mir verhängtem Zügel kommt der Reiter wieder,
Und sucht, und sieht den Greis, und fordert ungestüm
Das hier verlorne Geld von ihm.
Der Alte schwört, er hab' es nicht; der Krieger droht
Ihm mit dem Schwert, und sticht zuletzt voll Wut ihn tot.
Bestürzt fällt Moses auf sein Angesicht:
"Wie kannst du, Herr der Welt!" . . .Ihn unterbricht
Die Stimme Gottes: "Staune nicht!
Mein Ratschluß hat auch dies gefügt.
Der Knabe, der den Raub davon getragen,
Ist Schuld, daß dieser Greis in seinem Blute liegt;
Mit Recht! er hat des Knaben Vater einst erschlagen."
Fab.52
Die Harmonie der
Sphären
Ein Jüngling hört von ungefähr
Von einer Harmonie der Spähren,
Im Augenblicke wünschet er
Den Himmelsreigen anzuhören,
Und fleht den großen Jupiter,
Ihm sein Verlangen zu gewähren.
Umsonst spricht Zeus: "Du junger Tor,
Das göttliche Konzert der Spähren
Ist nicht für eines Menschen Ohr."
Er lässt nicht ab, ihn zu beschwören,
Bis Zeus beschließt ihn zu erhören.
Er rühret seinen Scheitel an.
Der Jüngling hört durch alle Himmel . .
Und was? den rasendsten Orkan,
Zehnfache Donner, ein Getümmel
Von Ätnaschlünden. Starr und bleich
Ruft er: "Was läßt dein Zorn mich hören?
Ach! ist die Harmonie der Spähren
Der Welten Untergange gleich?
O fürchterlicher Gott der Götter,
Nimm mir aus Gnaden mein Gehör;
Denn dies erträgt mein Ohr nicht mehr."
Zeus Stimme spricht im Donnerwetter:
"Erkenne, blödes Erdenkind,
Daß Menschen keine Götter sind.
Und hörst ein schreckliches Getümmel,
Und ich — die Harmonie der Himmel."
Fab.53
Die
Erschaffung des ersten Menschen nach der Sintflut
Es saßen der S c h m e r z und die L u s t,
Nach jener verderblichen Flut,
Mit welcher die Rache des Zeus
Die Laster der Erde gestraft,
Am Fuße eines hohen Parnasses,
Und formten ein Bildchen aus Ton.
"Was spielt ihr da?" fragte der Zeus.
"Wir machen ein Bildchen aus Ton;
Sieh selber, ist es nicht schön?
Nur Leben fehlten ihm noch;
Beleb' es, allgütiger Gott!" —
"Wohlan, es lebe!" rief Zeus;
Doch mein sei dieses Geschöpf." —
"O Vater, nimm es uns nicht;
Wir haben es mühsam geformt."
Und Tellus hörte den Streit,
Und rief: "Mein ist es, ihr Kinder!
Ihr nahmt es mir aus dem Schoß."
Vom Tempel des hohen Parnasses
Stieg jetzt Themis* herab,
Und sprach: "Vernehmet den Schluß
Des ewigen Schicksals: Euch allen
Gehöre dieses neue Geschöpf!
Du, der du den Geist ihm verliehn,
Nimm Zeus, wenn es stirbet, den Geist;
Du Tellus, seine Gebeine;
Denn mehr gehöret dir nicht.
Euch beiden, dem Schmerz und der Lust,
Euch werde sein Leben zu Teil."
Des Schicksals Spruch ist erfüllt.
Dies neue Geschöpf ist der Mensch.
So lange sein Leben hier währt,
Gehört es dem Schmerz und der Lust,
Und stirbt er, so kehret der Leib
Zur Erde, woraus er genommen,
Und seine Seele zu Gott.
*Themis:
Sie gilt als Göttin der Gerechtigkeit und der Ordnung sowie
der Philosophie.
Fab.54
Der Wegweiser
Ein Pilger, der den Weg verfehlte;
Geriet in einen düstren Wald,
Von dem man Raub und Mord erzählte.
Mit bangem Fuß, vor Schrecken kalt,
Irrt er bis an den Abend fort,
Und stößt zuletzt auf einen Ort,
Wo sich zwei schmale Pfade scheiden.
Voll neuen Kummers steht er hier
Und seufzet: Ach! wer zeiget mir
Den rechten Weg von diesen beiden?
Nachdem er lange Zeit sich hin und her
Nach Spuren umgesehn, sieht er von ungefähr
Zur Rechten eine schwarze Säule
Mit einem roten Kopf und einer langen Hand,
Auf der mit großen Lettern stand:
Ich führe dich nach einer kleinen Meile
In eine sichre Ruhestatt.
Der arme Pilger küßt die Säule,
Die seine Furcht vertrieben hat,
Und geht. Allein nach einer Weile
Dreht er sich um, und ruft: Ach, liebe Säule!
Wie leicht kann ich die Bahn versehn!
Du scheinst die Wege zu verstehn;
O! möchtest du doch mit mir gehen!
Schnell öffnet hier der rote Kopf den Mund und spricht:
"Ich rate nur, selbst geh' ich nicht."
Fab.55
Der menschliche Stolz
Nie sprach ein Pferd zu einem andern Pferde:
"Komm, striegle mich fein glatt; nimm jenen Kamm, damit
Die Mähne, die ich trag', ein Spiel der Winde werde;
Und daß ich unter jedem Tritt
Hoch trabend auf der fliehenden Erde
Den Kieselstein zermalmen kann,
So schlage mir dieses Eisen an.
Du, den ich zum Gesandten mir erkoren,
Geh, sag dem Maultier dort, mir sei das Gras geweiht.
Sag meinem Nachbarn mit den langen Ohren,
Der seiner Disteln sich erfreut,
Er sei zum Sklaven mir, ich ihm zum Herrn geboren.
Heut ist mein Fest; mein Pachter lauf,
Und schließ die Vorratskammern auf;
Mein ganzer Pferdehof, die Herde der Mätressen
Soll sich an Klee satt und satt an Korne fressen.
Verstümmelt ein paar Gäule mir,
Daß meine Stuten, nie gereizt zur Ungebühr,
Sorgfältig stets bewacht, den Harem nicht verlassen;
Denn unter allen Hengsten, meinen Sassen,
Gebühret mir allein der Vorzug hier. —
Ihr, denen ich die hohe Gnade gönne,
Daß ich sie meine Diener nenne,
Bebt vor des höchsten Pferdes Majestät!
Wenn Einer sich so weit vergeht,
Daß er mit meiner Gegenwart sich untersteht
Zu wiehern, soll der Übertreter aller Rechte
Erhabner Pferd' und Götter von dem Knechte
Des Blutgerichtes soll der Bösewicht,
Zum schrecklichen Exempel allen Pöbelpferden,
Vor meinem Stall gehenket werden"
Fab.56
Oront
Oront, ein sehr gescheiter Advokat,
Der aber nie die List gebrauchte, klare Sachen
Durch spitzen Unterschied verwirrt zu machen,
Der nie der Wahrheit Eintrag tat;
Den der Klienten Not gleich seiner eignen rührte,
Doch keines Weibes Reiz zu falschem Schritt verführte;
Dem seine Wissenschaft zu edel schien,
Ihr durch die feinsten Rabulistenränke*
Des Biedermanns Verachtung zuzuziehn;
Der die Prozesse nie verlängerte, Geschenke
Von keiner der Parteien nahm,
Zum Armen wie zum Reichen kam,
Des Großen schwaches Recht für schwach erklärte.
Und fette Sporteln lieber ganz entbehrte,
Eh er der Ungerechtigkeit die Zunge lieh,
Oront — war jüngst ein Bild der Phantasie.
*Rabulist:
Der Rabulist ist ein ränkevoller Advokat, "Zungendrescher."
Dieses Wort kommt von dem lateinischen rabula, der
Kreischer,
ränkevoller Sachwalter, verwandt mit ravus-heiser,
ravire- sich heiser reden.
Quelle: Wörterbuch der deutschen Sprache von 1838
Fab.57
Die Nachtviolen
Am Rande eines Tulpenbeetes stand
Ein dunkelbraunes Nachtviolenheer.
Bei Tage suchte zwar das Auge nicht
Die minder schönen Nachtviolen auf;
Allein am Abend ging Philemon oft
Durch diese Flur und atmete diesen Duft.
Die Sichel kam, sah sie für Unkraut an,
Und raffte vor der Tulpen Angesicht
Die stille Tugend weg; die Eiteln nur,
Die bloß den Garten putzten, blieben stehn.
Es geht den Menschen besser nicht, als euch,
Ihr guten Blümchen! rief Philemon aus,
Als er sie nicht mehr fand; man schätzt auch uns
Nach äußern Schmuck, und nicht nach innerem Wert.
Fab.58
Der alte und der
junge Dichter
Ein junger Dichter, seicht und kühn,
Kam einst zu einem alten ernsten Dichter hin,
Zog ein Gedicht hervor, und bat den Alten
Es durchzusehn. Ich, sprach er, schreibe flüchtig fort,
Wenn das Genie mich treibt; doch nochmals jedes Wort
Zu prüfen, dieses kann ich nie von mir erhalten.
In diesem Liede, fuhr er fort,
Wünscht' ich, daß alles sich an Nachdruck gliche;
Durchlesen Sie's und ist mir ein nicht passend Wort
Entschlüpft, so zeichnen Sie's mit einem Striche.
Der alte Dichter nimmt das Lied,
Und gibt es ihm den Tag darauf zurücke.
Der ungeduldige Jüngling übersieht
Die Blätter mit geschwindem Blicke;
Drei Worte nur vertilget? ei!
Das freut mich sehr. Allein warum denn diese drei?
Warum? Mir schienen diese drei
Die einzigen von Saft und Stärke;
Was sollen die allein im ganzen langen Werke?
Ich strich sie weg. Sie finden leicht
Drei schlechtere, dann ist das Lied vollkommen seicht."
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