Fabelverzeichnis
zurück


weiter
 

Fabeln 6/1
 
Der Stieglitz und die Lerche
Báharam
Prometheus
Der Derwisch
Die beiden Maultiere
Der Küster und der Schulz
Die Bildsäule des Herkules
Die Schildkröte und der Skorpion
Der Fuchs, der Spürhund und der...
Die Fliegen
Der große Christoph
Mercurius und Amor
Der Minnesänger und der Gastwirt
Jost
Der Talisman
Die Scham und der Fächer
Der Wolf und der Fuchs
Das Schwein
Die spanische Fliege und die...
Der Kanzler
Die Kirchenvereinigung
Cato
Der Schiffer
Die wahre Liebe
Die Fledermaus und die zwei...
Der Wolf, der Fuchs und das...
Der Reiger
Dionysius und der Dichter
Das ertrunkene Weib

 

Fab.1
Der Stieglitz und die Lerche

Der Stieglitz

Sing' einen Wettgesang mit mir;
Ich nehm es auf mit dir.

Die Lerche

Gut! wenn du willst; ich geh' es ein.
Die Nachtigall soll Richter sein.

Der Stieglitz

Die Nachtigall? ich dächte nein;
Der singen wir zu fein.

Die Lerche

So willst du der Zikade Lob?

Der Stieglitz

Der singen wir zu grob.

Die Lerche

Nun? welch ein Richter ist dir recht?

Der Stieglitz

Der Sperber, oder auch der Specht.

Die Lerche

Der Specht? der Sperber? Schönen Dank!
Ich singe keinen Wettgesang.

Fab.2
Báharam

Wie mancher trüge die Kalotte*
Des Mönchs, hätt' einst dem Aftergott,*
Der jetzt die stolze Krone trägt;
Sein Volk die Arbeit auferlegt,
Wie Gehorsam sie zu verdienen.

*
Kalotte: franz. Käppchen
*
Ein falscher Gott wurde im älteren Deutsch auch
ein Aftergott genannt.


Ein Königssohn aus Persien
War Báharam, des Thrones Erben
Nicht durch die Schmeichler zu verderben,
Lies Hormus in Arabien
Durch einen Weisen ihn erziehen.
Der gab ihm Adel, nicht das Blut,
Der lehrte seinen kühnen Mut
Vor nichts als vor dem Laster fliehen.
Schon war auf dieser wilden Flur
Der Prinz zum Purpur reif geworden,
Als er des Vaters Tod erfuhr.

Er macht sich auf, verläßt die Horden,
Und eilt auf den ererbten Thron.
Doch fern von seinem Vaterlande
Gerät der edle Königssohn
Zwei Jahre lang in Sklavenbande.
Man glaubt ihn tot. Die Nation
Wählt einen andern Autokraten,
Den Kesra. Dieser herrschte schon
Ein Jahr in Hormus weiten Staaten,
Als der befreite Báharam
Ganz unverhofft nach Kasbin kam,
Und vor dem Schach und den Magnaten
Der Ahnen Reich in Anspruch nahm.
Kein Krieg soll unter Recht entweihen,
Sprach er: Der Thron sei dem bestimmt,
Der zwischen zwei ergrimmten Leuen
Das Diadem vom Kampfplatz nimmt.

Dies ist, versetzt mit schlauem Witze
Der König, schon mein Eigentum,
Strebst du nach dem, was ich besitze,
Wohlan! So kämpfe du darum.
Das will ich, rief mit edler Hitze
Der Prinz, und wählt zum ernsten Fest
Den Tag, den Ort, die Ungeheuer,
Die man von Stund' an hungern läßt.

Der Tag erscheint. Das Abenteuer
Zog eine Welt zum Rennplatz hin,
Auf dem in königlicher Feier
Auch Kesra samt dem Hof erschien;
Doch freilich außer den Staketen,
Auf einem marmornen Altan.

Beim ersten Schalle der Trompeten
Zeigt sich ein Herold auf dem Plan,
Und legt auf einem Purpurkissen
Die Krone zu des Prinzen Füßen,
Der ohne fürstliches Gewand,
Mit einem Dolch an seiner Hüfte,
Gleich einem Gott im Kreise stand.
Jetzt tönt die Losung durch die Lüfte.
Von beiden Seiten stürzt das Paar
Der Leuen auf ihn los; die Schar
Erbebt vor Angst. Mit kühler Seele
Jagt er dem Ersten seinen Stahl
Ins Herz, und schnell, wie Schlag auf Strahl,
Umklammert er des Andern Kehle,
Bis ihn sein eherner Arm erstickt.
Dann setzet er die Königskrone
Sich auf das Haupt. Heil, Heil dem Sohne
Des Hormus! rief das Volk entzückt.
Und Kesra? — Starr vor Scham und Staunen
Lag er auf den Altan gebückt,
Bis in der Jubel der Posaunen
Und seines Volks Triumphgeschrei
Aus seinem schweren Traum erweckte.
Er eilt mit festem Schritt herbei;
Sei König! rief er laut, und streckte
Die Arme nach dem Sieger aus.
Ich steige fröhlich von dem Throne,
Der dir gebührt; dein Heldenstrauß
Erwarb dir mehr, als meine Krone.
Mein Herz. So sprach der edle Feind,
Und ward, wie die Annalen melden,
Nicht nur ein treuer Knecht des Helden,
Er ward und blieb sein treuester Freund.

Fab.3
Prometheus

Kaum hatte, von Minerven zum Olymp getragen,
Prometheus Feuer von dem Sonnenwagen
Den Sterblichen gebracht, als oft aus Unverstand
Trotz seiner Warnung Knab' und Mädchen sich die Hand
Verbrannten. Himmel! welche Klagen
Erhoben hier die Mütter! Haben wir den Plagen
Noch nicht genug? Hat seine Schwägerin* uns nicht
Durch ihren Vorwitz faule Fieber, Aussatz, Gicht
Beschert? Denkt der Thälensohn uns auszurotten?
So hörte man aus Thäleon, Grotten
Des Menschenfreundes himmlisches Geschenk verschrein.
Dies reine Sonnenfeuer, dem die Nachwelt alles
Verdanket, das durch Schmelzung des Metalls
Das Feld befruchtet, das die Felsen und der Hain
Zu Städten umschafft; das den Ozean bedrücket;
Das jede Kunst dem Menschen möglich macht;
Dies Element, das uns mit Frühlingswärm' erquicket,
Wann Erd' und Himmel starrt; das uns die Winternacht
In hellen Tag verwandelt; das aus allen Reichen
Der gütigen Natur für alle Seuchen
Und Heilungsstätte kochet. Endlich ward das Schrein
Von Schädlichkeit des Feuers allgemein,
Und Jedem, der mit Zweigen trockner Fichten, Eschen
Und Buchen es genährt, (die Kunst mit Stein und Stahl
Es anzufachen war noch unbekannt) befahl
Der hohe Rat es auszulöschen.

Denkfreiheit, segensvolles Licht,
Wohltäterin der Menschen, reine Himmelsflamme,
O das die Staatskunst nie dich unter uns verdamme!
Verlösche bei uns ewig nicht!

*
Pandora, die Frau seines Bruders Epimetheus aus deren geöffneten
Büchse alle Übel herausflogen.


Fab.4
Der Derwisch

Ein Derwisch kam in einen Wald,
Und fand ein Kind, schön von Gestalt,
Und hob es auf. Ach Gott, ein Junge!
Rief er, ein halb erstarrter Junge!
Doch wohl dir! wohl dir, armes Kind!
Denn deine Rabeneltern sind
Vermutlich Heiden. Welch Vergnügen
Für mich, daß ich dies retten kann!
So sprach der fromme Muselmann,
Beschnitt das Kind und — ließ es liegen.

Fab.5
Die beiden Maultiere

Zwei Maultier', eines mit des Amtmanns Kasse,
Das Andre mit des Müllers Hafers wohl  bepackt,
Marschierten einen Weg. Der Esel mit dem Fasse
Voll Münze trabte nach dem Takt,
Warf stolz den Kopf empor, ließ hell die Schellen klingen,
Und blickte triumphierend oft
Den Nachbarn an, der still einherging. Plötzlich springen
Sechs Räuber aus dem Busch, die lang' auf Raub gehofft.
Dem Kaffeediener wird die Barschaft angehalten,
Und, als er sich zu Wehre setzt, der Kopf gespalten;
Den Haferträger läßt man ruhig gehn.
Der ruft: "Dank sei der Armut! ich bin ohne Wunden.
Schatzmeister! dir wär' auch kein Leid geschehn,
Hättest du beim Müller einen Dienst gefunden."

Fab.6
Der Küster und der Schulz

Ein Küster trug bei vollem Becher
Trotz einem Baccalaureus
Den Bau der Welt nach dem Kopernikus
Im Krug den Bauern vor. Ein grauer Zecher,
Der Schulz, schlug auf den Tisch: "Ei, Herr, was schwatzt Er da?
Die Erde soll sich um die Sonne drehen?
Les' Er die Schrift: hieß nicht einst Josua
In ihrem Lauf die Sonne stille stehen?" —
"Das ist's ja, was ich sagen will:
Seit jenem Tage steht sie still,
Versetzte Küster Heinz; den Pfarrer möchte' ich sehen,
Der aus der Bibel je bewies,
Daß er sie wieder laufen ließ."

Fab.7
Die Bildsäule des Herkules

Ein Kappadokier, so wohl an Schätzen
Als an Geschmack ein Midassohn,
Ließ einen Herkules in seinen Garten setzen,
Der eine Keule trug, die Diebe zu bedrohn,
Und Federn auf dem Kopf, die Vögel scheu zu machen.
Wie? rief ein Spötter einst mit Lachen:
Ist Juno noch auf dich ergrimmt?
Alcides? bist du nun bestimmt,
Anstatt Priaps die Gärten zu bewachen?"
Hier sprach die Säule selbst: "Wird Herkules Ruhm verletzt,
Wenn ihn ein Blöder nicht an seine Stelle setzt?

Fab.8
Die Schildkröte und der Skorpion

Die Schildkröt', ihrer Einsamkeit längst überdrüssig,
Ward einen Freund zu suchen schlüssig.
Voll Unschuld wählte sie den ersten den sie fand;
Dies war ein Skorpion. Das Freundschaftsband
War ohne Wahl geknüpft; doch währte es viele Wochen.
Wer immer nachgibt, macht den ärgsten Drachen zahm.

Von diesem Paar, das nie sich von der Seite kam,
Ward auf der ganzen Flur verwunderungsvoll gesprochen.
Zwar warnte man die gute Klausnerin
Vor ihres Freundes Gift und Mörderklauen;
Allein die Fromme denkt in ihrem Sinn:
Das sind Verleumdungen, ist diesem nicht zu trauen,
So taugt kein Tier mehr auf der Welt,
Als man mit warnen gar nicht inne hält,
Und keine Bosheit sich ihr klärlich zu beweisen
Erbietet, kehrt sie heim, und spricht empfindsam: "Freund!
Laß uns von hinnen ziehn; es scheint,
Man gönnt mir deine Freundschaft nicht;" und beide reisen.

Nachdem sie bis zum Abend ganz gemach
Gewandert, hemmt den Weg ein breiter tiefer Bach.
Hier seufzt der Skorpion: "Welch Unglück, meine Liebe!
Ich kann nicht schwimmen, und zurückzugehn
Bin ich zu matt. Die Schwimmerin versetzt: "Betrübe
Dich nicht; mein Rücken soll dir gern zu Diensten stehn.
Der Skorpion steigt ohne Leiter
Hinauf, sie rudert hurtig mit ihm weiter;
Doch als er sich dem Ufer nahe sieht,
Denkt er: Mit einem Satz kann ich hinüber springen;
Mehr Hilfe brauch' ich nicht. Von Schadenfreude glüht
Sein undankbares Herz, und schon ist er bemüht
Mit seinem Stachel Gift ihr in das Fleisch zu bringen.
Sie fühlt, daß er sich rückt und rührt:
"Wie? fragt sie mitleidsvoll, verliert
Dein Leib das Gleichgewicht? halt ja dich fest, mein Lieber!
Er schweigt und bohret fort. Ein Schwan schifft jetzt vorüber,
Der nimmt des Reiters Tücke wahr, und spricht:
"Schildträgerin, nimm dich in Acht! der Bube sticht!" —
"Ist dies der Freundschaft Lohn, der Dank für meine Treue?
Doch spare nur dein Gift! ich bin gepanzert, scheue
Mich vor dem schärfsten Pfeile nicht.
Du aber bist nicht wert, daß dich das Sonnenlicht
Bescheint." Sie sagt's, taucht unter, und der Bösewicht
Muß seinen Tod im Wasser trinken.

O möchte, wer ihm gleicht, mit ihm versinken!

Fab.9
Der Fuchs, der Spürhund und der Luchs
An die Zöglinge des Dichters

Vor des Kroniden Thron erschienen,
Der Fuchs, der Spürhund und der Luchs,
Und baten ihn mit demutsvollen Mienen
Um ein Gehör; der Redner war der Fuchs.
"Wir kennen, Herr, den Wert der hohen Gaben,
Die wir von deiner Huld empfangen haben;
Kein Tier hat solchen Blick, als sie dem Luchs verlieh;
Der Spürhund riecht das Wild auf viele tausend Schritte,
Und mich erhobst du zum Genie.
Indessen würden wir — und dies ist unsere Bitte —
Doch alle drei noch weit vollkommner sein,
Wenn jeder unter uns auch das Talent empfinge,
Was jene beiden schmückt." — "Den Vorschlag geh' ich ein,"
Erwidert Zeus, doch nur mit dem Bedinge;
(Und unveränderlich bleibt dieser Schluß)
"Von seinen eignen Gaben muß
Ein jeder seinem Freund ein gleiches Maß erteilen,
Als er von ihm erlangte." Das Triumvirat
Nimmt froh die Klausel an. Nun kehrt zurücke,
Und sagt den Brüdern, was der Vater der Geschicke
Für euren kühnen Ehrgeiz tat.

Das Kleeblatt küßt dem Gotte die Sandale;
Und gleicht dem jungen Arzt, der sich zum ersten Male
Dem Volk als Doktor zeigt, gehen sie stolz in den Rat,
Und geben ihm Bericht, was sie für neue Gaben
Vom Herrscher der Natur empfangen haben.
Nicht ohne Neid vernahm der Brüder Schar
Den Vorzug; aber ehe ein Tag verstrichen war,
Hieß es, Der Fuchs ist vor dem Kopf geschlagen,
Der Spürhund taugt nicht mehr zum Jagen,
Und Argus Luchs bekommt den Star.

Geliebte! die ihr teils mit fröhlichem Getümmel
Wie holde Scherze mich umschwebt,
Teils weit von mir zerstreut, auch unter fremdem Himmel
Noch stets in meinem Herzen lebt,
O! glaubt es eurem besten Freund auf Erden:
Wer alles werden will, wird nie vollkommen werden.

Fab.10
Die Fliegen
Einem jungen Frauenzimmer zugeeignet

Was mag wohl in der Schale sein?
Gift oder Zucker? Wer will's wagen?
Wer fliegt von uns zwei hinein?
Sprach eine Fliege zu der Andern. "Ich will's wagen,"
Rief eine. — "Welche Kost! ich kann es euch nicht sagen,
Wie süß. Verlangt ihr es so gut, als ich,
So fliegt herbei; hier ist genug für euch und mich."
Sie taten's. Welch Gericht! Das ist Ambrosia;
So hieß es jetzt; bald aber hier und da;
"O weh! o weh! Wie wird mir? Falsche, das ist Gift.
Du mordest uns, Verfluchte!" — "Flucht mir nicht; mich trifft
Ein gleiches Schicksal. Ach! daß keine sich
Mir widersetzte! Keine klüger war als ich!"
Sie sprach's und starb dann, mit ihr der ganze Haufen.

Geliebtes Mädchen hüte dich!
Nie mußt du mit Gefahr die kurze Lust erkaufen.

Fab.11
Der große Christoph

In einer strengen Kinderlehre
Ward eine dicke Bauernmagd
Vom alten Dorfkaplan gefragt,
Wer doch der größte Christoph wäre.
Das Mensch war schüchtern oder dumm,
Tat halb den Mund auf, und blieb stumm.
Der Priester, um es zu beschämen,
Ruft ein noch kleines Kind herbei,
Und will nunmehr von dem vernehmen,
Wer dieser große Christoph sei.
Das Mädchen, das geehrt sich sieht,
Spricht dreist: "Es ist ein Korporal,
Der bei uns wohnt, und allemal,
Wenn Papa zu Markte zieht,
Im Zimmer der Mama bei Nacht
Vor Dieben unser Haus bewacht.

Fab.12
Mercurius und Amor

Du bist der Gott der Krämer und der Diebe
Und der Beredsamkeit, sprach einst der Gott der Liebe
Zum Gott Mercurius; mir scheint
Ein jedes Amt, sehr schwer; wie hast du sie vereint?
Ich kann noch nicht den Bogen glücklich führen;
Und du kannst überall regieren?
Beim Zeus! dazu gehört Geschicklichkeit!
Mehr nicht, versetzt Merkur, als Fleiß und Zeit.
Erst war ich nur der Handelsschaft zu dienen
Von Vater Jupiter ernannt;
Die Diebe fand ich unter ihnen;
Mit beider Listen macht' ich mich sogleich bekannt,
Und lernte nun, um einst den Rednern vorzustehen,
Die Kunst das Recht in Unrecht zu verdrehen.

Fab.13
Der Minnesänger und der Gastwirt

Ein Minnesänger wanderte mit seiner Leier
Den Rhein hinauf. Sein ganzes Gut bestand
In einem Brot, einem Batzen, einem Dreier,
Den Früchten seiner Kunst. Ihm kam nicht weit von Speyer
Der Hunger an, und wie bekannt
Von Sängern ist, der Durst zugleich. Ihn abzukühlen
Und das zu harte Brot hinabzuspülen,
Kehrt er in einem Gasthof ein,
Wirft seinen Batzen hin, und fordert roten Wein.
Der Wirt sieht ihn mit aufgeworfner Nase
Und schielend an, geht zu dem Fäßchen hin,
Das in dem Winkel liegt, füllt seinen Krug von Zinn,
(Nicht bis zum Rande) kommt mit einem Knorrenglase
Zum Tisch, und setzt es vor den Fremden hin.
Zerstreut und seitwärts redend, gießet
Er hoch und schief und schwankend ein,
So daß zur Hälfte von dem Wein
Daneben fließet.
Der Sänger sieht ihn mürrisch an,
Hofft Abbitt' und Ersatz. Der Wirt, ein roher Mann,
Lacht plump dazu: "Ho! ho! Herr Dudler, sehet,
Euch ist das Glück auf heute hold;
Denn in dem Zeichenbuche stehet,
Vergoßner Wein bedeutet Gold."

Der Sänger schweigt und sinnt auf Rache.
(Geduld ist nicht der Dichter Sache.)
Er sucht im Beutel: Hier ist noch
Ein roter Dreier. Bringt mir doch
Ein Stückchen Käse her, so schmeckt der Wein mir besser.
Der Gastwirt nimmt das Käsemesser
Und geht hinaus. Der Meister L o b e s a n
Schleicht sich behende zu dem Faß,
Und öffnet unbemerkt den Hahn.
Der Gastwirt kommt und sieht das rote Naß,
Das auf der Diele rinnt. "Wer hat mir das getan?"
Fragt er ergrimmt, und dreht geschwind den Hahn
Zurück. Die Gäste sehn den Sänger an:
"Der," heißt es, "war beim Faß!"
"So? packt mir ihn! Bezahlen muß er mir den Wein!
Und hat der lumpige Geselle
Nicht Geld genug, so zahlt er mit dem Felle."

Nun stürmt man auf ihn los. "Ihr Herren, haltet ein!
Was habt ihr für Beweise? Gestehet,
Kann es der Wirt nicht selbst gewesen sein?
Der seinen Hahn nachlässig zugedrehet?" —
Auch wahr! Man teilt sich zwischen Ja und Nein.
Man schreit, man zankt, man schimpft, und fängt sich an zu schlagen.
Jetzt kommt der Bischof angefahren, hört im Wagen
Den Lärm, geht in ein nahes Haus,
Und ruft die Zänker vor. Mit heftigem Gebrülle
Kramt nun der Wirt des Sängers Bosheit aus,
Und fordert, daß er ihm das Fäßchen wieder fülle.

Auch diesem legt der Bischof nun zu reden auf.
Und er erzählt der Sache völligen Verlauf.
"Hochwürdiger, mir prophezeite
Der Wirt für wenigen mir ausgegossnen Wein
Ein großes Glück auf heute.
Ich Armer wollte dankbar sein,
Und um ihn desto mehr gewinnen
Zu lassen, ließ ich ihm mit gutem Vorbedacht
Das halbe Fäßchen rinnen."

Das fürstliche Gefolge lacht;
Der Wirt muß seinen Schaden tragen.
Den Sänger nimmt der Bischof in den Wagen,
Führt ihn mit sich nach Bruchsal hin,
Und erst nach sieben fetten Tagen
Und wohl beschenkt entläßt er ihn.

Fab.14
Jost

Von seinem milden Landesvater
Durch Fronen abgezehrt, lag Jost
Auf faulem Moos. Ein frommer Pater
Gab in dem letzten Kampf den Trost:
"Bald wird Euch Gott vom Joch entbinden,
Das Euch auf Erden hart gedrückt.
Die Ruhe, die Euch die Euch nie erquickt,
Freund, werdet Ihr im Himmel finden."
"Ach!" rief hier Jost verzweiflungsvoll,
"Mein lieber Herr, wer kann das wissen?
Wir armen Bauern werden wohl
Zur Fron im Himmel donnern müssen."

Fab.15
Der Talisman

Der Santon Hatem saß an der Kaskade
Von Bagdad; plötzlich nahte sich ein Mädchen ihm,
Nicht reizender stieg Venus aus dem Bade.
O hilf mir, heil'ger Mann! rief sie mit Ungestüm;
Erhalte mir mein höchstes Gut, die Tugend.
Ein Bösewicht, der junge Muselim,
Stellt meiner unerfahrnen Jugend
So hitzig nach, daß ich kaum widerstehen kann.
Was soll ich tun? — Nach kurzem Schweigen
Versetzt der Mönch: "Hier ist ein Talisman,
Der wird ihm dein Gesicht so häßlich zeigen,
Daß er, so lange dir der Ring am Finger steckt,
Sich, wie durch ein Phantom geschreckt,
Von dir entfernen wird. Die holde Schöne
Empfängt den Schmuck aus seiner Hand
Und danket ihm mit einer frohen Träne.

Der dritte Tag verlief, als er am Tigerstrand
An ihres Buhlen Arm in einem Busch sie fand.
Wo blieb dein Talisman? bedrängte Nuradine?
Rief er ihr lächelnd zu. Das arme Kind
Verstummt, und mit verwirrter Miene
Zieht es den Arm zurück. Der Santon war nicht blind;
Ich hätte, sprach er, dich so hart nicht prüfen sollen.
Wo wird ein Mädchen in der Welt,
Auch selbst wenn sie dadurch der Unschuld Kranz erhält,
Dem Jüngling häßlich scheinen wollen?

Fab.16
Die Scham und der Fächer

Die Scham, der Tugend junge Magd,
Von Augen sanft, sehr zart von Stirne,
Ward einst von einer eitlen Dirne
Aus ihrem Putzgemach gejagt.
Sie nahm zerstreut und voller Schrecken
Der Schönen Fächer mit sich fort.
Und floh an einen öden Ort,
Umzäunt mit dichten Fliederhecken.
Hier fächelt sie sich Kühlung zu,
Und spricht zum Schirm: "Wie gut bist du!
Du kannst der Unschuld Wange decken,
Wenn sie von hohem Purpur glüht,
Womit sie das Geschwätz des Gecken
Und Lob des Buhlen überzieht." —
"Recht! doch noch eins laß dir erzählen,"
Versetzt der Fächer: "Dann und wann
Helf' ich der Schönen auch verhehlen,
Daß sie nicht mehr erröten kann."

Fab.17
Der Wolf und der Fuchs

Der Löwe war an Kräften ganz erschöpft,
Die kalte Gicht durchwühlte seine Glieder.
Umsonst ward er gerieben und geschröpft,
Der Quell des Lebens floß nicht wieder.
Sein Hofstaat ließ sich Tag für Tag
Mit traurigem Gesicht vor seinem Lager stehen,
Mit Rat und Tat ihm beizustehen.
Einst mißte man den Fuchs; ein voller Taubenschlag
Auf einem Dorf gab ihm zu schaffen.
Da sieht mans! sprach der Wolf so leise zu dem Affen,
Daß unserm Schach kein Wort entging.
Der Bösewicht fragt keinen Pfifferling
Nach seines guten Königs Qualen.
Das soll er mir mit seinem Kopf bezahlen!
Rief hier der Löwe voller Wut.

Der schlaue Fuchs, dem dies ein Freund zu wissen tut,
Erscheint den andern Tag mit heitern Mienen
Beim alten Schach. — "Was hielt dich gestern ab,
Verräter?" — "Herr, der Eifer, dir zu dienen.
Ich lief nach Epidaur, dem Helfer Äskulap
Durch mein Gebet ein Mittel abzuringen,
Was  deine Schmerzen stillt, die Kräfte wiederbringen,
Ja, gleich dem Phönix dich verjüngen kann." —
"Ist's möglich?" ruft der Schach; "ha! bester Freund, sag' an." —
"Du darfst," spricht Reineke, "nach des Orakels Willen
Dich bloß in eine warme Wolfshaut hüllen,
So ist das ganze Werk getan." —
"Hum!" brummt hier Isegrim, "Gott Äskulap hat Grillen,"
Und schleicht zur Tür. Der Löwe winkt, und Dogge, Bär
Und Tiger springen auf, den Lästerer zu fassen.
Stracks muß sich Meister Wolf, trotz aller Gegenwehr,
Zu seiner Majestät Gesundheit schinden lassen.

Fab.18
Das Schwein

Ein Affe kam ins Reich der Tiere
Aus Josephs Reich zurück. "Was Neues, Freund aus Wien?"
So fragt im Klub der Esel und der Stiere
Ein feistes Schwein den Mandarin.

"Mein Tagebuch," sprach er, liegt fertig für die Presse.
Indessen hört, was ich gesehn.
Ich sah, wie Hand in Hand die Welschen in die Messe,
Die Sachsen in die Predigt gehen,
Und wie bei gutem Ofner Weine
Ein Jud' in froher Harmonie
Mit Christen Schinken aß." — Ha! riefen Groß' und Kleine,
Es ist ein herrlich Ding um die Philosophie!

"Mag sein, versetzt die Sau, — der Herz und Knie
Beim Worte Schinken bebt, — nur nicht für fette Schweine.

Fab.19
Die spanische Fliege und die Schnake

An Tagus grünem Rande ging
Ein alter Wundarzt auf die Jagd der Kanthariden.*
"Tyrann!" rief eine, die er fing,
Was nützet dir mein Tod? laß mich in Frieden." —
"Sehr viel," versetzt der Podalirius: *
"Denn wisse, daß ich zart pulverisieret
Dich einem Mönch, der gräulich phantasieret,
Heut auf den Schädel streuen muß;
Noch vor der Nacht wird er dadurch Verstand erhalten." —
"O weh euch armen Tierchen! flieht!
Summt eine Schnake, flieht vor diesem Alten!
Wenn seine Heilkunst sich bemüht
Durch euch den Mönchen zur Vernunft zu helfen,
So reizet ihr den Zorn der Inquisition,
Und es ergeht euch, wie den Wölfen
Im mörderischen Albion.

*
Blasenkäfer ("Spanische Fliege")
Als Cantharides offizinell und, gepulvert, äußerlich zu Pflaster,
Salbe, Tinktur etc. benutzt; innerlich wirken die Kanthariden
sehr stark auf Harn-und Geschlechtsapparat.

Aus Brockhaus-1911

*Podalirius: Ein Sohn Äskulaps, war ein Wundarzt der Griechen vor Troja.

Fab.20
Der Kanzler

Ein kleines Land, wie meine Chronik sagt,
Ward einst von Wölfen sehr geplagt.
Der König, sonst kein Jäger aus Vergnügen,
Zieht jetzt beständig auf die Jagd, noch eh es tagt,
Den Feind des Volkes zu bekriegen.
Einst ritt er in den Wald allein,
Da sprach er zu sich selbst: >Gottlob! von diesen Wölfen
Wird bald das Land befreiet sein;
Allein der Größte bleibt; von dem ihm abzuhelfen,
Vom Kanzler mir obliegt. Dies ist, nach meinem Wahn,
Kein leichtes Ding; denn tu' ich, was ich oft getan,
Entsetz' ich ihn, was nutzt es? welchen reinern Händen
Vertrau' ich dann des Rechtes Übung an?
Sie rauben, der aus Geiz, und der, um zu verschwenden.
Der ist zu träg', und der zu schnell;
Der sieht nur Schwierigkeit, und jener sieht nicht hell.
Wer Freunde hat, will ihnen nützen;
Wer keine hat, bemühet sich um Stützen.
So wird von jedem, den man wählt,
Das Recht verdreht, das Volk gequält.
O welch ein Elend! welche Schande!
Ist denn nicht Ein gerechter Mann im Lande?<

Ihn führet unbemerkt der Weg zum Wald hinaus.
An seinem Rande steht ein ganz gemächlich Haus.
Hier steigt er ab, tritt ein, dringt bis zum offnen Saale,
Und findet gleich den Herrn beim Mittagsmahle.
Drei Teller trägt der Tisch, drei Sessel stehn umher.
Den mittlern Stuhl besetzet Er,
Und sonderbar zwei große Hunde drücken
Die beiden andern. Hinter ihnen stehn
Zwei schlanke starke Jungen, die mit trüben Blicken
Beim Herrn und bei den Hunden gleichen Dienst versehn.
Die Teller wechseln, Trank und Speise reichen,
Und beiden Hunden oft die Gosche trocken streichen.
Der König stutzt. Unmutig spricht er: "Wie?
Welch ein Gebrauch? Dünkt Euch das keine Sünde?
Verfährt man so mit christlichem Gesinde?
Ist es nicht besser als das Vieh?"

Ihm jener kalt: "Laßt Fremder, Euch bescheiden.
Euch wundert meine Sitte schon?
Erstaunt noch mehr! von diesen beiden,
Die hinten stehn, ist der mein Neffe, der mein Sohn."
Der König steht mit offnem Munde.
Und jener weiter: "Straf' und Lohn
Ist, was Ihr seht. Die Jungen, meine Hunde
Und ich, wir gingen neulich durch den Wald.
Drei Wölfe stürzten plötzlich aus den Sträuchern
Auf uns hervor. Zu schwach und alt
Mich zu verteidigen, oder ihnen auszuweichen,
Stand ich; und diese beiden Feigen, blaß wie Leichen,
Verließen mich in der Gefahr,
Entflohen; doch meiner Hunde treues Paar
Blieb bei mir, schützte mich. Mit tapfern Bissen
Verjagten sie die Wölfe. Blutig und zerrissen
Sprang jeder freudig an mir auf, und leckten mich.
Nun Fremder, wundert Ihr Euch noch, wenn ich
Am Tische jeden Teil behandle, wie sie mich
Im Walde? die Getreuen mir zur Seite setze?
Die Feigen weniger als meine Hunde schätze?

Zur Ehrerbietung wurde nach und nach
Des Königs Zorn, indem der Alte sprach.
Sich noch verbergend, fährt er fort: "So läßt sich's fassen.
Doch wahrlich! brave Hunde! gebt sie mir,
Und fordert was Ihr wollt dafür:" —
"Ich meine Retter von mir lassen?
Aus Geiz so den Dienst belohnen? nein!"
Hier fühlt er sich umarmt. "Dank, Dank sei deinen Hunden!
Ich habe meinen Mann gefunden:
Ich bin der Fürst; du sollst mein Kanzler sein.

Fab.21
Die Kirchenvereinigung

In einer griechischen Abtei,
Am Fuß des hohen Tabors, nährte
Der Prior einen Papagei,
Den er das Ave singen lehrte.
Er sang die Hymne so geschickt,
Daß ihn das fromme Volk entzückt
Mehr als Sankt Rochus Hund verehrte.

Der Prior starb. Das Heimweh wacht
Im Virtuosen auf; er kehrte

Geschwinden Flugs, bei dunkler Nacht
Ins alte Vaterland zurücke.
Er stellte sich dem Hofe dar.
Der Adler, der zu gutem Glücke
Ein Freund der edlen Tonkunst war,
Erhob, als er in der Kapelle

Sich hören ließ, ihn auf der Stelle
An des verstorbnen Mufti Platz.
So hohe Würden hatte Matz
Sich auch im Traume nicht versprochen.


Doch Ehre bläht, Gewalt macht kühn;
Das neue Haupt des Sanhedrin
Gebar gleich in den ersten Wochen
Die Grille, seine Psalmodie
Bei allen Vögeln einzuführen.

Der frohe König billigt sie;
Der Waldgesang, die Liturgie
Des Herzens, konnt' ihn nicht mehr rühren,
War für sein Ohr Kakophonie:
Und zudem ist ja das reformieren
Der Fürsten Steckenpferd. Sogleich
Ließ er in seinem ganzen Reich

Den neuen Canon publizieren.
Nun schützte zwar der Vögel Chor
Die hergebrachten Rechte vor;
Allein da half kein Protestieren.
Der Mufti drohte mit dem Bann:
Der Sultan sprach vom Strangulieren,

Und kurz, das neue Lied begann.
Die Sänger wetzten sich den Schnabel
Und orgelten mit Angst und Pein
Das tollste Wirrwarr durch den Hain,
Das seit der Symphonie zu Babel
Auf unserm Erdenrund erscholl.

Den Vorsang führten andachtsvoll
Der Storch, der welsche Hahn, die Eule,
Die Gans, der Kuckuck und der Pfau:
Sie kollerten sich braun und blau,

Und füllten mit Klaggeheule
Das Land auf eine halbe Meile.


Ein weiser Rabe, lahm und grau
Vor Alter, saß bei dem Monarchen
Und schwieg. Mit zornigem Gesicht
Sprach der Despot zum Patriarchen:
"Rebell, weswegen singst du nicht?" —
"Weil dein Gebot mein Herz empöret,"
Versetzt der Alte: "Glaube mir,
Der Schöpfer hat ein jedes Tier
Sein eigenes Gebet gelehret,
Das ihm gefällt. Ein Lobgesang,
Den Furcht erpreßt, ist Übelklang,
Ist Lästerung, die ihn entehret.
Befiel nun meinen Tod." Er schwieg.
Der Sultan auch: wie Meereswogen,
Wallt ihm das Blut. Noch wankt der Sieg;

Doch bald rief er: "Ich ward betrogen!
Heil dir, mein Freund, du zogst ihn ab,
Den Schleier, der mein Aug' umgab.
Und ihr, empfangt die Freiheit wieder,
Ihr Vögel, singet eure Lieder
In eurem angebornen Ton!"

Jetzt drangen sie in dichten Kreisen
Entzückt um des Monarchen Thron,
Und lobten Gott nach tausend Weisen.
Der majestätische Choral
Steigt wirbelnd in die lichten Sphären.
Der Sultan staunt. Zum ersten Mal
Hört er, was keine Muftis hören,
In der verschiednen Melodie
Die feierlichste Harmonie.


Fab.22
Cato

Am Eingang einer Lavagrotte
Lag ernsthaft gleich dem Höllengotte

Des Cato Schatten. Sein Gewand,
Noch starr von seinem Heldenblute,
Bedeckte halb die rechte Hand,
Die auf der tiefen Wunde ruhte,

Durch die sein Geist die Freiheit fand.


Da kam in einem Dressenhute
Ein Jüngling an von leerer Stirn,
(Denn auf der Weste lag sein Hirn,)

Der schrie: "Welch Glück in diesen Gründen
Dich, Bruder Cato, vorzufinden!
Schlag ein! auch hier ist Nerv' und Kraft." —
"Hum!" sprach der Römer, "sachte! sachte!
Wie kommen wir zur Brüderschaft?" —
"Ei! kennst du mich denn nicht?" (Hier lachte
Zum ersten Mal der ernste Held.)
"Ich bin ein Enkel Theuts, und machte
Doch Lärms genug in jener Welt.
Für meines Freundes Weib entbrannte
Wie ein Vulkan mein Löwenherz;
Nichts glich Elmiren; ich bekannte
Ihr auf den Knien meinen Schmerz;
Sie ließ mich liegen, und verbrannte
Mich gar. Vermeid' hinfort mein Haus!
So sprach sie. Nun war Angst und Jammer
Mein Los. Ich lief sogleich hinaus,
Versperrte mich in meine Kammer,
Und starb, wie du."

"Das ist zuviel!"
Rief Cato." Parodiert, ihr Reimer,
Mich wie ihr wollt im Trauerspiel;
Und würdigt mich herab, ihr Träumer,
Zum Leugner der Unsterblichkeit;
Ja, komm in königlicher Binde,
Feind Julius! und überwinde
Mich hier in einem Schattenstreit;
Nur rühmt euch nicht, ihr eitlen Knaben,
Euch meinen Tod erwählt zu haben."

Fab.23
Der Schiffer

Nix Bedenstrom, ein Schiffer, nahm —
War es in Hamburg oder Amsterdam,
Daran ist wenig oder nichts gelegen, —
Ein junges Weib.

"Freund! Freund! das ist verwegen;"
So sprach ein Handelsherr, der einst zum Schmause
Den Schiffer lud; "du bist so lang' und oft von Hause,
Dein junges Weibchen bleibt allein.
Willst du denn mit Gewalt ein Hahnrei sein?
Indessen du zur See dein Leben wagest,
Und dich zum Surinam, am Amazonenfluß
Mit Hottentotten und mit Kannibalen plagest,
Indessen" . . . "Geht mit Eurem schönen Schluß!"
Versetzte Schiffer Nix; Ei nun!
Dasselbe kann auch Euer Weibchen tun,
(Denn, Herr, was braucht's dazu für Zeit?)
Indem Ihr auf der Börse seid.

Fab.24
Die wahre Liebe

Auf einem alten Ulmenbaum saßen
Zwei junge treue Turteltauben,
Die, voll von innerlicher Liebe,
Die Augen aufeinander wandten,
Und manchmal mit den Flügeln zuckten.

Ein Sperling auf dem nächsten Baume,
Voll buhlerischer Brunst und Schalkheit,
Schalt dieses Paares verliebte Ruhe
Für Schläfrigkeit, Frost, Unvermögen.
Da sprach der Täuber, doch mit Sanftmut:
"Schilt nicht so sehr auf unsre Liebe;
Horch auf die Seufzer deiner Gattin,
Sie nennt dich einen Ungetreuen.
Sie, die du gestern erst empfingest,
Wird heute schon von dir verlassen.
Du liebest freilich stark und feurig;
Wir lieben sittsam, aber ewig."

Fab.25
Die Fledermaus und die zwei Wiesel

Zur eignen Sicherheit den Gegner zu berücken,
Ist nicht gefrevelt; heißt nur in die Zeit zu schicken.

Einst kam die Fledermaus in einer Wiesel Loch;
Die war den Mäusen Feind, und sprach: "Wie darfst du doch,
Du Mißgeburt von Maus! dich meinen Augen weisen?
Wiewohl du kommst mir recht, jetzt eben wollt' ich speisen." —
"Was?" schreit die Fledermaus, "ich eine Maus? o nein,
Mein gutes Wieselchen! das mögt ihr selbst wohl sein.
Die mich zur Maus gemacht, sind Lügner oder Feinde.
Es lebe, was gut maust!" Der Schlauen wird geglaubt;
Sie rettet unversehrt ihr unerkanntes Haupt.

Doch sie gerät gar bald, durch ihr Gesicht betrogen,
In einer andern Bau; die war der Maus gewogen.
Ihr waren gegenteils die Vögel sehr verhaßt.
In Hoffnung fraß sie schon den ungebetnen Gast.
Dies merkt die Fledermaus; ihr glücklich zu entgehen,
Ruft sie: "Wofür denn wird' ich von dir angesehn?" —
"Für einen Vogel." — "Ich? du Wiesel irrest sehr;
Soll dies ein Fittig sein? Kennt man nicht Mäuse mehr?
Der erste Donnerschlag zerschmettre hier die Katzen!
Es leben unsre Mäus'! es leben alle Ratzen!

Fab.26
Der Wolf, der Fuchs und das wilde Schwein

Um eine Hürde schlich bei sternenloser Nacht
Ein abgezehrter Wolf, und fiel in einen Schacht.
Sein gräßliches Geheul durchhallte Feld und Heide.
Die Schafe hörten es, und hörten es voll Freude.
Kein Sprung, kein klettern half; die Grube war zu tief.
Welch Glück, daß jetzt sein Freund der Fuchs vorüber lief!
Dem ruft er: "Hilf mir Freund! Denk' ich erhielt dein Leben,
Als dich ein grausam Heer von Hunden schon umgeben." —
Ach! könnt ich," spricht der Fuchs, "wie willig tät' ichs doch!
Allein nah' ich mich dir, so stürz' ich selbst ins Loch.
Gehab dich wohl! Nun kommt ein tapfrer Hauer.
Den schon halb toten Wolf befällt ein kalter Schauer;
Denn dieser war ihm gram; jedoch das wilde Schwein
Schämt sich des Gegners Feind in seiner Not zu sein.
Der lange Rüssel wühlt; die Grube wird voll Erde;
Der Wolf entflieht, und schreckt aufs neu die Wollenherde,
Und denket bei sich selbst: >Ein edelmütiger Feind
Nützt mehr in der Gefahr als ein verzagter Freund.<

Fab.27
Der Reiger

Ein Reiger, welcher nur Forellen
Und Älchen fraß, sich keine Müh
Um andre Fische gab, ging früh
Zum Teich, dem Raube nachzustellen.
Sehr ruhig sah der Sybarit*
Hier manchen Quappen, Schleien Hechte
Vorüber ziehn: kein Appetit!
Nach eures Gleichen, denkt er, möchte
Ich nicht den Schnabel auftun; zieht!
Die Fische suchen ihre Zellen,
So bald die Sonne höher klimmt;
Und der Korsar, der, statt Forellen,
Aus Not den ersten Weißfisch nimmt,
Läßt schnell ihn fallen, wühlt dem Aale,
Der jetzt erscheint, im lauen Bach
Erhitzt dem langen Schnabel nach.
Umsonst. Gebrannt vom Mittagsstrahle,
Schleicht er heißhungrig um den Teich,
Und muß am Ende sich bequemen
Mit einem Frosch vorlieb zu nehmen.

Ihr spröden Mädchen spiegelt euch!

*
Sybarit:Schlemmer; so genannt nach der reichen (700v.Chr. gegr.)
griech. Kolonie Sybaris am Golf von Tarent.


Fab.28
Dionysius und der Dichter

Dem Dionysius, der durch Gewalt die Krone
Von Syrakus gewann, der Bürger Schrecken war,
Und, selbst voll Todesfurcht auf dem geraubten Throne
Erbebte, stellte sich ein armer Dichter dar,
Und übergab ein Lied, das seine Heldentaten,
Sein Glück und Recht, die Wohlfahrt seiner Staaten,
Und sein großmütig Herz besang.
Der Dichter hofft auf goldnen Dank.
Doch der Tyrann, der jüngst, mehr Schätze zu bekommen,
Dem Äskulap* den goldnen Bart,
Dem Zeus den schweren Mantel abgenommen,*
Und alles für den Lohn der Leibtrabanten spart,
Will auf die Dichtkunst nicht eine Drachme wenden;
Nimmt aber (selbst ein Dichterlein)
Das Blatt aus des Poeten Händen,
Liest unverdientes Lob, und ruft: "Wer kann so fein,
So rührend, so erhaben singen?
Das Würdigste muß man der Gottheit bringen;
Zum Opfer ihr des besten Sängers Zunge weihn."
Er winkt: das Urteil wird vollzogen.
Die Zunge, die sein Lob so schön gelogen,
Wird abgeschnitten dem Tyrann überbracht,
Der sie dem Feuer schenkt, und lacht.

Ihr Fürsten unsrer Zeit, verabscheut so ein Lachen!
So menschenfeindlich scherzet nie!
Es gibt ein leichter Mittel Schmeichler stumm zu machen:
Gebt ihnen nichts, so schweigen sie.

*
Dem Äskulap nahm Dionysius den goldnen Bart mit dem Vorwand,
es zieme sich nicht, daß sein Sohn einen Bart habe,
da sein Vater Apollo bartlos wäre.

*
Dem Jupiter nahm Dionysius den goldnen Mantel, indem er sagte,
im Winter sei er ihm zu kalt, und im Sommer zu schwer.


Fab.29
Das ertrunkene Weib

Ein böses Weib, das stündlich Lärm und Zank
Im Hause trieb, — die schrecklichste der Ruten,
Womit der Himmel straft, — ertrank,
Und ward ein Spiel der Fluten.

Der Mann will den entseelten Leib
Aufsuchen, ihn mit Sang und Klang zur Gruft zu tragen,
Aus Furcht, es könnte gar im Tode noch sein Weib
Als Poltergeist ihn plagen.
Er fährt im Kahn den Strom hinab, durchwühlt mit Fleiß
Das Moor, sucht alle Tiefen zu ergründen.
Findet ihren Modehut und Modesteiß,
Sie selbst ist nicht zu finden.

Laßt uns den Nachen drehn, ruft endlich Nachbar Veit
Sein Fährmann aus; ist sie sich gleich geblieben,
So hat sie Wohl der Geist der Widerspenstigkeit
Den Strom h i n a u f getrieben.