Der Orthograph und das deutsche Hauptwort
Ein deutsches Hauptwort beklagte sich bei einem Orthographen
wider die Verletzung der
Rechte der deutschen Hauptwörter, und sagte: "Warum
lehrst du nicht, daß man,
wenn zwei deutsche Hauptwörter zusammengesetzt werden, auch
das Grundwort mit einem
großen Anfangsbuchstaben schreibe, da es doch ihn mit
allem Rechte fordern
kann?" —
"Das Grundwort," sprach der Orthograph, "hat zu einem großen
Anfangsbuchstaben
keine rechtliche Forderung zu machen. Denn alle berühmten
Rechtschreiblehrer —
von Gottsched bis zu Adelung — schrieben das zurückstehende
Hauptwort mit einem
kleinen Anfangsbuchstaben. — Dies ist nun schon des
Herkommens, und — bei dieser,
bleibt es." —
"Hier gilt kein herkommen, keine Autorität des
Schriftstellers," versetzte das Hauptwort,
und trat mit folgendem syllogistischen Beweise auf:
Hauptwort. "Nach den Gesetzen der Orthographie muß ein jedes
Hauptwort, so lange es
ein Hauptwort bleibt, mit einem großen Anfangsbuchstaben
geschrieben werden;
atqui
bei der Zusammensetzung zweier Hauptwörter bleibt auch das G
r u n d w o r t seiner
Natur nach ein Hauptwort;
ergo
muß es auch mit einem großen Anfangsbuchstaben
geschrieben werden."
Orthograph.
"Nego min."
Hauptwort.
"Prob. min.
Ein Hauptwort ist dasjenige Wort, welches ein selbständig
gedachtes Ding bezeichnet;
atqui
das Grundwort bezeichnet auch bei der
Zusammensetzung noch immer ein selbstständig gedachtes Ding,
ergo
bleibt es auch
immer ein Hauptwort, und da hiermit das Grundwort allzeit
ein wahres Hauptwort
ist, so hat es, nach den Gesetzen der Orthographie, das
Recht, einen großen
Anfangsbuchstaben zu fordern. — Ein Recht aber, das durch
die Gesetze geheiligt ist,
kann kein Herkommen — und keine Autorität umstoßen.
Ergo etc."
Der Orthograph
war überwiesen und mußte schweigen.
* * *
Auch der D. Observantius muß schweigen, wenn die
Menschenrechte gegen ihn
auftreten.
Der Hofnarr
Zur Zeit, da es an den fürstlichen Höfen noch Narren von
Profession gegeben hatte,
bekam einer durch Zufall den Erziehungsplan des Erbprinzen
in die Hände.
"Guter Junge!" rief der Narr; "Man lehrt dich Reiten,
Tanzen, Fechten, Musik, Zeichnen,
die italienische, französische, englische, lateinische
Sprache, und noch eine Menge andrer
Dinge. Aber die schwere Kunst, die man dich vor allen lehren
sollte, finde ich in diesem
Plane nicht aufgezeichnet, — die Kunst gut und weise zu
regieren."
* * *
Diese Kunst wurde selten planmäßig gelehrt.
Der Tauber und die
Täubin
Ein Tauber, der der Stolz und die Zierde seines Geschlechtes
war, verlor durch den
Tod seine Gattin. Nach einiger Zeit ging er wieder aufs
Freien aus, und holte sich vom
nächsten Meyerhofe ein Weibchen.
Mit dem ersten Strahl der Sonne erschien er auf dem Dache
des Meyerhofes,
dem Taubenhause gegenüber. Gleich nach seiner Ankunft wurde
das Gitter des Schlages
geöffnet. Nun traten junge ehelose Tauben im vollen Glanze
hervor. Ihre Hälse
schienen von Saphir, und ihre Brüste von Juwelen geformt zu
sein Mit blitzenden Augen
musterte der junge Witwer diese Schönheiten, und — keine
gefiel ihm. Endlich erblickte
er unter ihnen eine Täubin ohne körperliche Reize. Ihre
Schönheit bestand nur in einem
einfachen aschgrauen Gefieder. Aber ihr Auge verriet Güte,
und ihre Stellung
Bescheidenheit. Pfeilschnell flog er auf sie hin, und machte
beständig Kreise um sie.
"Wem gelten diese Liebeserklärungen? fragte die Täubin.
"Dir gelten sie," versetzte der Tauber; "du bist die
Einzige, die mir gefällt."
"Aber meine Schwestern sind ja weit schöner als ich," sagte
die Täubin.
"Und doch bist du die Schönste in meinen Augen, " sprach der
Tauber, schnäbelte
die Täubin, und flog mit ihr davon.
* * *
De gustibus non est disputandum;
auf deutsch: Ein Mädchen, das nicht schön ist,
darf nicht verzweifeln. Die Schönheit sitzt gemeiniglich im
Auge des Liebhabers,
und selten auf der Wange des Mädchens. — Güte,
Bescheidenheit und andere edle Züge
des Herzens, reizen oft mehr — als Schönheit.
Der Pudel und sein Herr
Ein Pudel genoß im Hause alle Bequemlichkeiten und
Vergnügen. Er schlief auf einem
seidenen Polster, speiset an der Tafel und fuhr in der
Kutsche.
"Warum verdient dieser Pudel so ausgezeichnete Ehren?"
fragte jemand den Herrn
des Hauses.
"Wegen seiner possierlichen Sprüngen, und künstlichen
Tänzen," antwortete der Herr;
"denn dadurch vertreibt er mir die Langeweile, und macht
mich oft herzlich lachen."
* * *
Es leben die Operntänze! —
Der Kettenhund und
sein Herr
Ein Hund, der alt, mager und abgezehrt war, trug seinem
Herrn eine Bitte vor, und sagte:
"Herr! ich hänge Tag und Nacht an der Kette, bewache Haus
und Hof, und habe dabei
nichts zu nagen und zu beißen. Ich bitte dich, gib mir doch
schwarzes Brot und ein wenig
Stroh in meine Hütte, daß ich nicht ganz vor Hunger, und
Kälte verschmachte."
Der Herr zuckte die Achseln, besann sich, und sprach:
"Eh bien!
— Es soll dir geholfen
werden."
Der Hund harrte so lange auf die Hilfe seines Herrn, bis er
endlich hilflos an der Kette
starb.
* * *
Er verschmähte das Verdienst! —
Die Frösche und die
Sonne
Die Frösche freuten sich innigst, als sie hörten, daß sich
die Sonne vermählen werde.
Voll Wonne und Entzücken hüpften sie im Teiche umher.
"Welch' glänzende Feste, quakten sie, wollen wir dem neuen
Ehepaar geben!" —
"Ihr Toren!" rief ein alter Frosch, wie könnt ihr euch über
die Vermählung der Sonne
freuen und von Festen sprechen!" Trocknet nicht die einzige
Sonne schon ganze Bäche
und Teiche aus, was wird erst geschehn, wenn sie sich
vermählt, und Kinder bekommt,
müssen wir dann nicht alle verschmachten und zu Grunde
gehen?"
* * *
Die Freude über die Vermählungen der Großen.
Der Pfau und die Krähe
Ein Pfau wälzte sich im Sande, Und verlor dabei viele
Federn. Dies bemerkte eine Krähe,
nahm die Federn und schmückte sich damit. Bald darauf
erschien sie in der Gesellschaft
der Pfauen. Sie erstaunten über ihren
Federschmuck, und einer von
ihnen fragte:
"Woher hast du diese schönen Federn?"
"Sie sind," sagte die Krähe, "auf meinem Leibe gewachsen."
"Unverschämte!" rief der Pfau, "diese Federn hast du einem
von uns gestohlen."
Die Krähe entfloh. — Der Pfau verfolgte sie, und riß ihr die
gestohlenen Federn aus.
* * *
Literarische Diebe, und der Rezensent mit der Geisel der
Kritik.
Die Stutereien
andwes Wort für Stutenzucht
In einem Lande, wo Mangel an brauchbaren Zug - und
Ackerpferden herrschte,
machte man, um der Pferdezucht empor zu helfen, verschiedene
Vorschläge.
Unter anderem erschienen auch diese:
1.) Sollen mehrere Stutereien im Lande angelegt werden.
2.) Sei jeder Untertan, der Menat und Feldbau hat,
verbunden, sich eine Stute
beizulegen.
3.) Muß er die Stute zum Beschellen in eine der neu
errichteten Stutereien bringen
und
4.) Sollen während der Beschellzeit der Untertan und die
Stute an dem Orte, wo die
Stuterei errichtet ist, unentgeltlich verpflegt werden.
Diese Vorschläge erhielten den lautesten Beifall und
beförderten in wenig Jahren
die Pferdezucht im hohen Grade.
Aber auf einmal brach — der Krieg im Lande aus. — Nun wurden
die aus den
Stutereien gezogenen Pferde von den Bauern, — nur von den
Bauern abgefordert,
und als Remonten zur Armee abgegeben. — Und so — so waren
die schönen Vorschläge,
die Pferdezucht empor zu bringen, wieder gescheitert.
* * *
Und so — so scheitern auch die schönsten
Bevölkerungsprojekte.
Der Gärtner
und die jungen Bäume
Ein Gärtner wollte aus der Samenschule Bäumchen ausheben,
und sie in die Pelzschule
versetzen.
"Du darfst uns nicht versetzen" sagten die Bäumchen, "denn
wir sind aus dem Samen
eines so edlen Obstes entsprossen, daß wir auch, ohne
gepelzt und beschnitten zu
werden, die schmackhaftesten Früchte tragen."
"Ich will sehn," sagte der Gärtner, und ließ die Bäumchen in
der Samenschule
aufwachsen. —
Die Bäumchen wuchsen schnell und hoch, aber sie blieben —
Wildlinge.
* * *
Auch Kinder vom adeligen Geschlechte bleiben — ohne
Erziehung -Wildlinge.
Der Elephant
Ein Elephant focht viele Jahre unter der siegreichen Fahne
des Löwen, und war einer
der tapfersten Krieger beim Heere. Sobald er ein feindliches
Land betrat, rief er seinen
Streitern zu:
"Friede den Hütten!"
Anbei gab er auch jedesmal den Befehl, daß derjenige, der
Last - und Haustiere
mißhandelt, und ihre Hütten plündert, solle mit dem Tode
gestraft werden. Dieser Befehl
war nicht bloß von ihm gegeben, sondern auch die Strafe an
jeden Verbrecher strenge
vollzogen. — Und so waren Eigentum und Leben der arbeitsamen
Tiere gesichert.
* * *
Einem solchen Krieger reift die Bürgerkrone.
Die Alte und das
Mädchen
Ein Mann, beiläufig von fünfzig Jahren, lustwandelte noch
gerne in den Gefilden der
Liebe, und hatte das Glück, einer alten Kokette und einem
jungen Mädchen zu gefallen.
Beide beschäftigten sich immer mit seinen Haaren, und gaben
vor, ihn dadurch zu
verjüngen. — In kurzer Zeit war der Mann ein Kahlkopf. —
Denn das lose Mädchen raufte
ihm die grauen, und die Alte die schwarzen Haare aus, um
sich selbst damit zu
schmücken.
* * *
Männer! so ein Lustwandeln kostet nicht nur eure Haare, es
kostet oft eure Ehre,
und euer Vermögen.
Die Eiche und der Orkan
Eine Eiche stand isoliert an der Spitze eines Waldes, und
blickte stolz und verachtend über
die niedern, aber dicht geschlossenen Bäume hin. In
einer Nacht erhob sich ein fürchterlicher
Orkan. Er brauste wild gegen die Eiche, und
zerschmetterte sie in tausend
Splitter.
Die Bäume des Waldes aber blieben aufrecht und unbeschädigt
in geschlossenen Reihen
stehen.
* * *
Die Hinfälligkeit menschlicher Größe. — —
Der Ökonom und die
Herde
Ein Ökonom reiste auf einen Viehmarkt, und kaufte sich eine
Menge Ochsen, Pferde,
Kühe, Schafe, Böcke, u. s. w. Er trieb die ganze Herde auf
einmal nach Haus,
und ließ sie auf dem Wege, der ziemlich lange war, nie
füttern und tränken. Das Vieh,
von Durst und Hunger gequält, durchbrach alle Zäune und
Hecken, und fraß und
verwüstete alles, was es fand. Die Einwohner der Dörfer
schrieen und jammerten.
"Unser Herr," riefen einige aus der Herde, "läßt uns Hunger
leiden. Könnt ihr es uns
verargen, wenn wir Gewalt brauchen, und uns selbst Futter
verschaffen?"
* * *
Marschexzesse schlecht und nicht besoldeter Truppen.
Der Feuerlärm
Feuer! — Feuer! — schrieen ein paar alte Weiber durch die
Stadt. Und gleich wurden
die Lärmtrommeln geschlagen, und die Löschinstrumente auf
den Platz geführt.
"Wo brennt es? — Wo brennt es?" "Hier aus diesem Schornstein
steigt doch Feuer
mannsdick empor.
Aber niemand sah Feuer, als die alten Weiber. Man
durchsuchte das Haus, und fand auf
dem Herde nur einen schwachklimmenden Aschenhaufen, aus dem
manchmal ein
Fünkchen emporstieg.
* * *
Kaum hört man ein Wörtchen von Aufklärung, so schlägt man
Lärm, und greift nach der
Löschshapfe.
Die Schwalbe, der
Frosch, das Barometer und die Spinne
Schwalbe: Wie, ich sollte in der Witterungskunde
nicht Epoche machen ? — Wo ist ein
altes Mütterchen, das nicht aus meinem Fluge die Veränderung
des Wetters erkennt?
Erhebe ich mich bis zu den Wolken, so hofft es auf schönes
Wetter; schwirre ich auf
der Oberfläche der Erde hin, so sagt es, es kommt Regen;
durchfliege ich in kreuzenden
Bewegungen die Luft, so erwartet es heftige Winde.
Frosch: Schweige, deine Witterungsanzeige ist schon
lange verworfen, und gehört in das
Gebiet des Aberglaubens. Du täuschest nur noch alte Weiber.
Aber ich bin als ein großer
Witterungsprophet berühmt. Wenn ich knarre, so erwartet der
Landmann Regen, und er
ist in seiner Erwartung nicht getäuscht. Meine prophetische
Gabe wird sogar durch ein
Sprichwort verewigt und heißt:
"Wenn alle Frösche knarren,
So magst du wohl auf Regen harren."
Barometer: Lieber Frosch, auch dein Ruhm ist in den
Tagen der Aufklärung tief
gesunken. Man hat bemerkt, daß deine Vorherkundigungen
schwankend und
unvollständig sind. Denn du prophezeist nur Regen allein,
und niemand glaubt an dich,
als die Landleute.
Aber ich zeige Sonnenschein und Regen, Stürme und Winde an,
verkünde von Grad zu
Grad beständig und veränderliches Wetter. — Ich hänge in den
Wohnungen der meisten
Stadtbewohner, — auf mich sieht der Herr und die Dame, die
Magd und der Bediente,
ehe sie Promenaden und Lustreisen machen. Mein Ruhm ist
schon lange entschieden.
Spinne: Ich will euch eine Begebenheit erzählen, die
mich für den größten
Witterungspropheten alter und neuer Zeiten erklärt. — Höret!
—
Quatremere Dijonsval wurde zu Utrecht wegen seinem
Freiheitssinn ins Gefängnis
geworfen. Er schmachtete beinahe acht Jahre im Kerker, wo
die Spinnen seine einzigen
Gesellschafter waren. Er unterhielt sich mit ihnen,
beobachtete sie, und entdeckte,
daß man aus ihrem Arbeiten und Ruhen, aus ihrem Erscheinen
und Verschwinden, Regen
und Sonnenschein, Wärme und Kälte vierzehn Tage zuverlässig
vorhersagen kann. —
Dijonsval läßt seine Entdeckung in der Stadt bekannt machen.
Man lachte darüber.
Indessen rückt die französische Armee in Holland vor.
Dijonsval schickt einen vertrauten
Gefängniswärter an den kommandierenden General, und kündet
ihm eine strenge Kälte
an. Die Kanäle gefrieren. — Die Armee rückt vor. Aber auf
einmal tritt Tauwetter ein.
Der General ist in Verlegenheit, und denkt an den Rückzug.
Dijonsval fragt seine
Spinnen. Sie verkünden eine neue Kälte. Dijonsval läßt dies
dem General melden.
Der General glaubt den Spinnen, rückt vor, und erobert ganz
Holland.
Seit diesem ewig denkwürdigen Vorfall werden wir Spinnen
beinahe vergöttert.
In allen Zeitungen und Journalen erhebt man uns himmelhoch.
Vormals wart ihr im
Rufe, nun bin ich es. — Auch im Reiche der Künste und
Wissenschaften ist Steigen
und Fallen, Kommen und Vergehn ein allgemeines Los.
* * *
Skizzierte Geschichte der philosophischen Systeme.
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