Der Rezensent und das Buch
Eine Fabel statt der Vorrede
Rezensent:
Diese Fabeln sind schon bekannt.
Buch:
Die kopierten mögen es sein, aber die originellen sind ganz
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und unbekannt.
Rezensent:
Dein Verfasser hat, wie ich sehe, bei den meisten kopierten
Fabeln —
Phäder zum Original gewählt.
Buch:
Und hat gewiß eine gute Wahl getroffen.
Rezensent:
Phäder hat aber doch, wie Lessing sagt, viele Fehler.
Buch:
Aber er hat auch, wie Lessing sagt, viele und große
Schönheiten.
Rezensent:
Und wie es scheint, so hat dein Verfasser mehr von jenen,
als von diesen aufgefaßt.
Buch:
Fehler sind leichter nachzuahmen als Schönheiten, besonders,
wenn man fast alle Umstände der Fabel ändert, und oft nichts
davon beibehält, als die Namen der handelnden Tiere.
Rezensent:
Die originellen Fabeln führen in Hinsicht der Dichtung
beinahe
das nämliche Gepräge.
Buch:
Und auch das Costum, womit die Handlungen der Tiere
gezeichnet sind,
ist nicht sehr verschieden.
Rezensent:
Die Moral ist oft nicht edel genug.
Buch:
Aber auch nicht schmutzig und gemein.
Rezensent:
Und manche Anspielung enthält beißende Züge
Buch:
Aber keine persönlichen.
Rezensent:
Die zu bittere Satire erregt doch bei einigen Lesern
Unwille.
Buch:
Wer gegen die Satire einer Fabel unwillig wird, der bekennt,
daß er sich selbst dieser Torheit, welche die Fabel
schildert,
schuldig findet. Ein großer Deutscher sagt:
"Wenn die Satyr wahr ist, so — benütze ich sie,
ist sie aber falsch, — so lache ich darüber.
* * *
Möchten alle Leser dieser Fabeln so — denken — und handeln.
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