Fabeln 4
 

Fabeln 3
 
Das Quartett
Die Blätter und die Wurzeln
Der Schwan, der Hecht und der Krebs
Der Star
Trischkas Rock
Der Eremit und der Bär
Die Blumen
Der Bauer und die Schlange
Der Bauer und der Räuber
Der Löwe als Jagdgenosse
Die Bauern und der Fluß
Der gutherzige Fuchs
Der Landtag
Demjans Fischbrühe
Die Maus und die Ratte
Der Bär bei den Bienen
Der Spiegel und der Affe
Der Schatten und der Mensch
Der Bauer und das Beil
Der Elefant in Gnaden

 

Fab. 41
Das Quartett

Der Affe, der auf Ränke stets bedacht,
Graurock
und Bock
Und Petz, der ungeschlachte,
verbanden sich zu einem Quatuor.
Sie holen alles Nötige hervor:
die Noten, Baß und Alt, zwo Geigen
um unter Linden auf dem grünen Plan
die unerhörte Kunst der Welt zu zeigen.
Sie halten hoch die Bogen, setzten an
und streichen wacker, doch es will nicht klappen.
"Halt", ruft der Affe," laßt euch nicht ertappen,
natürlich geht das Ding so schlecht,
ihr sitzt ja gar nicht recht.
Du mit dem Basse, Bär, mach Front zum Alte,
derweilen mit der Violin'
ich mit der Bratsche gegenüber halte.
Dann werden wir umsonst uns nicht bemühn,
und unsere Musik entzückt noch Wald und Flur."
Man setzt sich um
allein es geht nicht besser drum.
"Gemach, jetzt bin ich auf der Spur",
schreit nun der Esel, "gleich wird es gelingen,
wenn wir uns nur in eine Reihe bringen."
Man nimmt auch hübsch in einer Reihe Platz,
doch nach wie vor bleibt es ein wüst Gekratz.
Noch eifriger hat man nunmehr erwogen
mit zänkischem Geschrei,
worin man nur sich so betrogen,
in welcher Ordnung denn zu sitzen sei?
Auf das Gelärme fliegt die Nachtigall herbei.
Die viere bitten sie, den Streit zu schlichten:
"Oh, schenke uns ein Weilchen nur,
uns das Quartett erst einzurichten:
Du hilfst uns sicher auf die Spur.
Wir haben Noten, haben Instrumente,
sag uns nur, wie man sitzen könnte?" —
"Für diese Kunst, mein' ich, wird man mit Ohren,
die etwas feiner sind, geboren",
versetzt die Nachtigall;
"sitzt wie ihr wollt, in keinem Fall
seid ihr zu Musiker erkoren."

Fab. 42
Die Blätter und die Wurzeln

Es war ein herrlich Sommerwetter.
Ein Baum stand still und hoch im Tal,
und breiten Schatten gaben seine Blätter.
Sie flüsterten manchmal
im trauten Zwiegespräch mit den Zephiren:
"Sagt, ist es denn nicht wahr, das dieses Tal
nur wir so zieren?
Ist nicht durch uns der Baum so dicht belaubt
in grünem Laubeskranze?
Wie käme er zu seinem Glanze,
wenn ihm die Pracht der Blätter wär' geraubt?
Sind wir es nicht, die bei der Schwüle
durch unsern tiefen Schatten
dem Schäfer bieten wie dem Wandrer Kühle?
Und diese ist's, die von besonnten Matten
die Hirten her zum Tale zieht.
In unserm Schutze flötet
die Nachtigall ihr süßes Lied,
wenn früh der Himmel sich und abends rötet.
Und ihr Zephire endlich,
seid ihr nicht auch von uns fast unzertrennlich?" —
"Man sollte uns nicht ganz vergessen",
so tönt es jetzt von unten her. —
"Wer spricht denn hier dazwischen so vermessen,
wer seid ihr, wer,
daß ihr mit uns euch einzulassen waget?"
So rauscht durchs Laub die Gegenrede oben. —
"Wie sehr's euch auch behaget,
euch selbst zu loben,
sind wir es doch, die, abgesperrt vom Licht
und in die Tiefe treibend, euch erhalten.
Wißt ihr es nicht?
Wir sind die Wurzeln von dem Baum,
an dem sich eure Schönheit kann entfalten.
Wiegt euch in eurem selbstgefäll'gen Traum,
doch merkt euch, was uns unterscheidet.
Mit jedem Lenz, bei warmem Wetter,
kommt neu das Laub, doch wenn die Wurzel leidet
und dorrt, so gibt es keinen Baum
und keine Blätter."

Fab. 43
Der Schwan, der Hecht und der Krebs

Wenn zur Genossenschaft sich Eintracht nicht gesellt,
ist's mit dem Werke schlecht bestellt:
Es gibt nur Quälerei, und man bringt nichts zurecht.

Einst wollten Schwan und Krebs und Hecht
fortschieben einen Karren mit seiner Last
und spannten sich zu dreien davor in Hast.
Sie tun ihr Äußerstes — er rückt nicht von der Stelle.
Die Last an sich wär' ihnen leicht genug,
allein der Schwan nimmt aufwärts seinen Flug,
der Krebs keucht rückwärts, und der Hecht strebt in die Welle.
Wer schuld nun ist, wer nicht, darüber hier kein Wort,
der Karren aber steht noch dort.

Fab. 44
Der Star

Es hat der eine dies, der andre das Talent:
Doch mancher wird bestrickt
von dem, was andern glückt,
und so befaßt er sich mit Dingen,
die seinem Naturell nicht sind vergönnt
und darum auch mißlingen.
Mein Rat ist, tut wozu ihr seid geboren,
wo nicht, so ist's betrübt,
denn ihr habt Müh' und Zeit verloren.

Von jung auf hatte sich ein Star geübt
zu singen, wie ein Stieglitz singt,
was auch gelingt.
Er ahmt den Stieglitz nach getreulich,
so wundersam,
daß, wenn man ihn für einen Stieglitz nahm,
so war's verzeihlich.
Auch zollt dem Liede, das so lustig schallt,
gerechtes Lob der ganze Wald.
Ein andrer hätte sich damit begnügt —
doch nun hört er vom Ruhm der Philomele;
und da der Neid in seiner Seele liegt,
so denkt er: >Wenn ich ihre Sangart wähle,
so werde ich die Sachen
wohl auch nicht schlechter machen.
Ich singe in der Nachtigall Manier.<
Gedacht, getan:
Er hebt die neue Weise an,
nur ward es leider eine Ungebühr.
Erst war's ein Piepen und ein Scharren,
dann kam ein leises Knarren:
Damit er auch den Triller schlüge,
so meckert er wie eine Ziege;
und endlich fällt er in ein sanft Miaun.
Die Vögel wollen ihren Ohren nicht mehr traun,
er hat sie alle bald verscheucht.
Was hast du nun mit deinem harten Ringen,
Freund Star, erreicht?
Viel besser, wie ein Stieglitz gut zu singen,
als mit Gesang der Nachtigallen
so durchzufallen.

Fab. 45
Trischkas Rock

An beiden Ellenbogen durchgestoßen
war Trischkas  Rock; doch rasch entschlossen
greift er zur Nadel und zur Scher',
verkürzt die Ärmel um den vierten Teil,
und nun fällt's ihm nicht schwer:
Er flickt die Löcher aus, sein Rock ist wieder heil.
Zwar stehn die Arme mehr als billig bloß,
doch ist der Schaden denn so groß?
Doch muß er Spott von allen Seiten hören.
>Halt<, denkt er, >dessen muß ich mich erwehren,
auch dafür weiß ich Rat;
die Ärmel mach' ich länger als zuvor.<
Und in der Tat,
Freund Trischka ist durchaus kein Tor —
er kappt des Rockes Schöße,
stickt an die Ärmel an und decket so die Blöße.
Jetzt ist er ganz vergnügt, obwohl
sein Rock nicht länger ist als sonst ein Kamisol.

Die Herren machen oft verkehrt die Dinge,
dann sieht man sie sich eifrig mühn,
ob es auf andre Art gelinge,
und endlich meinen sie zu triumphieren.
Doch seht nur hin,
es ist ja Trischkas Rock, in welchem sie stolzieren.

Fab. 46
Der Eremit und der Bär

Wie sehr ein Helfer in der Not erscheint —
nicht jeder weiß das Rechte auch zu finden;
verhüte Gott, daß Toren sich mit uns verbinden,
denn ein beflißner Tor ist schlimmer als ein Feind.

Ein Mann, der ganz verwaist stand in der Welt,
der hatte sich in einen Wald begeben.
Wie man auch rühme nun das Eremitenleben,
nicht jedem Einsamkeit gefällt,
der Mensch will Leid und Freuden teilen.
Zwar sagt man mir, es sei doch schön, zu weilen
auf lichter Wiese und im dunklen Hain,
voll Reiz sei Berg und Tal, der samtne Rasen.
Ja, das mag alles ganz vortrefflich sein,
doch sicher werden auch Natur-Ekstasen
langweilig, wenn man nimmer ist zu zwein.

Auch unserm Eremiten nicht behagt,
daß ihm Gedankenaustausch ist versagt.
Er geht waldeinwärts, nachzuspüren,
ob sich mit niemand lasse konversieren.
Wen fänd' er aber wohl im Wald,
als höchstens Wolf und Bär?
Und richtig kommt, in riesiger Gestalt,
auch Meister Petz daher.
Was blieb da übrig, als den Hut zu ziehn,
sich vor dem Nachbar höflich zu verneigen?
Petz, dem der Grüßer zu gefallen schien,
streckt seine Tatze hin, um Lebensart zu zeigen.
Nach diesem ersten Gruß
stehn beide schon auf gutem Fuß;
drum haben Freundschaft sie geschlossen,
und endlich trennen sie sich gar nicht mehr
als engverbundene Genossen.
Wovon sich unterhielten Mensch und Bär,
an was für Anekdoten, Späßen
ihr Dialog sich weiterspann,
das führte ich sehr gerne an,
wenn Kunde wir davon besäßen.
Der Eremit hält seine Zung' in Schranken,
der Bär ist schweigsam von Natur:
So hinterläßt ihr Zwiesprach keine Spur,
gesetzt, daß sie zuweilen auch sich zanken.
Gewiß ist, daß der Mann sich höchlich freute,
daß Gott ihm diesen Freund beschert:
Er wich dem Petz nicht von der Seite,
Petz nur macht ihm das Leben wert.

Nun wollten beide gern einmal
an einem schönen Tag durch Wald und Fluren streichen
und über Berg und Tal.
Indessen da der Mensch dem Bär an Kraft muß weichen,
so wird auch unser Eremit,
als sich die Wandrung in die Länge zieht,
viel früher müde als der Bär
und humpelt hinter seinem Freunde her.
Das sieht der Petz und äußert klüglich:
"Freund, lege dich zur Ruh,
und, wenn du willst, schlaf immerzu,
ich werde dich bewachen unverbrüchlich."
Der Eremit, der sich nach Ruhe sehnt,
streckt auf den Boden sich und gähnt
und ist bald eingeschlafen.
Der Petz steht Schildwach' und — hat auch zu schaffen!
Dem Freunde setzte eine Fliege
grad auf die Nase sich;
der Petz, auf daß er sie verjage,
mit seiner Tatze drüber strich.
Die Fliege setzt sich auf des Schläfers Wange,
Petz bläst sie fort,
allein es währt nicht lange,
so ist sie wieder da und wechselt stets den Ort
und läßt sich nicht vertreiben.
Der Petz kann länger nicht gelassen bleiben.
Er raffet stumm
vom Boden einen schweren Kieselstein,
setzt sich auf seine Hinterbein'
und denkt: "Ich bin auch nicht so dumm,
wart nur, du sollst es kriegen,
du unverschämteste der Fliegen!"
Drauf gibt er acht,
daß auf des Freundes Stirn das Tier sich niederlasse,
und schleudert dann mit Macht
auf diesen Teil die schwere Kieselmasse.
Er traf den Schlag so gut, daß er den Schädel brach
und Petzens Freund gar lang auf diesem Flecke lag.

Fab. 47
Die Blumen

Im Prunkgemach, am offnen Fenster, stehn
in buntbemalten Vasen
bei echten Blumen künstliche; sie glänzten schön
auf ihren Stengeln, die von Draht geflochten,
und waren aufgeblasen,
weil sie auf diesen Schimmer pochten.
Da träufelt nieder Regen.
Die taftnen Blumen wollen Zeus bewegen,
daß er dem Regen währt,
und man hat sofort schmälen sie gehört.
"O Zeus", so flehn sie, "mach ein Ende,
was soll der Regen nützen?
Wir wüßten nicht, wer dran Vergnügen fände,
er wandelt ja die Straßen nur in Pfützen."
Doch Zeus bot ihrer Torheit nicht die Hände.
Der Regen hielt nun seinen Strich,
vor ihm die Schwüle wich,
er kühlte die Luft, belebet neu Natur,
die Pflanzen stehn verjüngt auf weiter Flur.
Da hat nun auch der echten Blumen Flor
am Fenster schöner sich gestaltet,
der Regen hat gar prächtig sie entfaltet,
so Duft wie Fülle lockte er hervor.
Die künstlichen jedoch sind bar
des Reizes und, fürwahr,
man wirft sie in den Hof hinunter
als Plunder.

Ein echt Talent fühlt nie sich durch Kritik gekränkt:
Das Schöne schlägt sich nicht in Splitter,
es ist gemachter Blumen Flitter,
der sich durch Regen sieht bedrängt.

Fab. 48
Der Bauer und die Schlange

Den Bauer bat die Schlange um Quartier.
Sie will durchaus nicht müßiggehen,
nach seinen Kindern will sie sehen;
verdientes Brot, das schmeck' am besten ihr.
"Ich weiß zwar", spricht sie, "daß im schlechten Rufe
die Schlange bei euch Menschen steht;
ihr stellt sie, was Moral angeht,
wohl auf die tiefste Stufe.
Sie sei, so geht uralt die Sage,
von schnödem Undank voll,
entrichte nicht der Freundschaft ihren Zoll,
ja, daß die eigne Brut sie frißt, sei außer Frage.
Gut, es mag sein, doch ich bin nicht von solchem Schlage:
Ich möchte niemanden noch beißen,
und mir liegt alle Grausamkeit so fern,
daß herzlich gern
den Giftzahn ich mir ließ' ausreißen,
wenn ich nur wüßte,
daß ich davon nicht sterben müßte.
Kurzum, mein Freund, dir darf nicht bangen,
ich bin die beste aller Schlangen:
Welch eine Liebe werd' ich deinen Kindern weihn!" —
"Sollt' alles das auch lautre Wahrheit sein",
der Bauer jetzo spricht;
"dich nehmen könnt' ich dennoch nicht.
Wenn solch ein Beispiel Bahn sich bricht,
so dauert es nicht lange,
daß sich für eine gute Schlange
einschleichen hundert schlimme
und unsre Kinder richten all zugrund.
Auch dies, Verehrte, tu' ich dir noch kund,
mir sagt die innre Stimme:
Die beste Schlange taugt gleichwohl zum Teufel nichts."

*   *   *

Ihr Väter, merket ihr den Zielpunkt des Gedichts?

Fab. 49
Der Bauer und der Räuber

Ein Bauer, der ein Häuschen sich gezimmert,
kauft auf dem Jahrmarkt sich ein Melkfaß und 'ne Kuh
und schlendert damit seinem Dorfe zu,
auf einem Waldweg, unbekümmert.
Da kommt ein Räuber über ihn,
der schält ihn blank wie eine Linde.
"Erbarmen", ruft der Bauer, "ich bin hin!
Was willst du, daß ich Trost mir finde?
Gesammelt hab' ich zu der Kuh ein ganzes Jahr,
ich konnte kaum den heut'gen Tag erwarten!"
Das rührt den Räuber selbst, den harten.
"So raufe dir nur nicht das Haar",
spricht er, "denn wahrlich war ich dumm,
ich melke Kühe nicht zum Glück;
so sei es drum,
da nimm dein Melkfaß nur zurück."

Fab. 50
Der Löwe als Jagdgenosse

Der Fuchs, der Wolf, der Leu, der Hund,
die lebten alle vier
in einem und demselben Waldrevier
und schlossen miteinander einen Bund.
Sie kamen nämlich miteinander überein,
gemeinschaftlich das Weidwerk zu betreiben,
gemeinschaftlich sollt' auch die Beute sein.

Nun traf es sich
gar wunderlich,
auch wüßt' ich es nicht näher zu beschreiben,
genug, es fing sich einen Hirsch der Fuchs.
Er schickt die Boten flugs,
dem Pakt gemäß, an seine Kameraden,
zur Teilung einzuladen.
Man stellt sich lüstern ein. Der Löwe reckt die Krallen
und sieht sich scharf ringsum:
"Wir wären vier", spricht er, "ihr Freunde und Vasallen;
den Hirsch zerreiß' ich in vier Stücke drum.
Und jetzt zur Teilung. Dies hier ist mein Teil
laut dem Vertrage:
Das zweite eignet mir, als Löwen, ohne Frage;
das da ist mein, derweil
ich hier der Stärkste, und — bei meiner Tatze! —
wer nur die Pfote bringt ans vierte Teil,
der kommt lebendig nicht vom Platze!"

Fab. 51
Die Bauern und der Fluß

Die Bauern waren außer sich geraten
ob der Zerstörung
und traurigen Verheerung
durch Bach' und Flüßchen, die da übertraten.
Zu klagen gingen sie drum an den Fluß,
in den die kleinen Wasser sich verlieren.
Es gab genug zu denunzieren,
denn welch ein bitterer Verdruß!
Die Wintersaat ist aufgewühlt,
die Mühlen, durch das flutende Gedränge,
sind eingestürzt und weggespült
das Vieh ertränkt in übergroßer Menge.
Doch jener Strom fließt still, wenn auch voll Majestät;
an seinem Ufer große Städte stehn,
und hat man denn wohl je gesehn,
daß solche schlimme Streiche er begeht?
Wenn wir bei ihm uns jetzt beschweren,
wird er den Übeltätern wehren —
so kann die Bäuerlein man reden hören.
Doch ach, als sie dem Fluß sich nahn,
was müssen sie erblicken?
Da schwimmt, es ist kein Augenwahn,
ihr halbes Gut auf seinem Rücken!
Nun wollen sie nicht unnütz sich bemühn,
sie sehen nur dem Strome nach
und schütteln nur die Köpfe.
Dann, allgemach,
sieht man sie heimwärts ziehn.
"Da wären wir ja Tröpfe",
so sagen sie, "wenn wir die Zeit verlören
mit Klageführen, Jammern, Heulen;
vergeblich wird man über Kleine sich beschweren,
wenn mit den Großen sie zur Hälfte teilen."

Fab. 52
Der gutherzige Fuchs

Ein Jäger schoß einst eine Drossel tot.
Doch war' des Jammers damit nur ein Ende!
Er hat drei Junge auch gestürzt in bittre Not,
man beut ja Waisen nicht so bald die Hände.
Dem Ei entkrochen kaum, sind sie noch stumpf und schwach,
und Hunger hat und Kälte jetzt
scharf ihnen zugesetzt;
gar kläglich wimmern sie der Mutter nach.

"Wer wäre nicht betreten
bei solchen Nöten,
und wessen Herz empfände Mitleid nicht?" —
Es ist der Fuchs, der dies zu allen Vögeln spricht
von einem Stein herab, dem Neste gegenüber.
"Laßt Freunde, doch die Kleinen nicht verkommen,
Ihr Los wird stündlich trüber.
Wenn ihr ein Körnchen je zu bringen euch bestrebt,
wenn ihr ein Hälmchen je ans Nest noch klebt,
es wird zu ihrer Rettung frommen.
Was ist wohl heil'ger, als barmherzig handeln?
Du, Kuckuck, bist ja in der Mauserzeit
und mußt dich wandeln,
laß doch nur rupfen gleich dein altes Kleid,
es gäbe Federn für ihr Bette,
von denen sonst doch niemand etwas hätte.
Du, Lerche, was hast du in Lüften
zu steigen, dich herumzuschwingen im
Tale solltest du, in Klüften,
nach Futter spähn und ihnen davon bringen.
Du, Taube, deine Jungen sind schon flügge,
sie finden selber Atzung zur Genüge,
du könntest dreist dein Nest verlassen
und statt der Mutter auf die Waisen passen du
stellst die eigne Brut
in Gottes Hut.
Du, Schwalbe, könntest auch was leisten,
du könntest Fliegen fangen
zum Leckerbissen für die früh Verwaisten,
wie werden sie danach verlangen!
Du aber, holde Nachtigall
du weißt, wie alle labt dein süßer Schall —
derweil der Zephir sanft das Nestlein wiegt,
lullst du das Kleeblatt ein, bis es in Schlummer liegt.
Kurz, mit so zarter Pflege, glaubt,
ersetzt er ihnen, was der Tod geraubt.
Hört denn auf mich, laßt uns bekunden,
daß auch der Wald noch milde Herzen hegt,
und daß …" — hier hat sich ein Geräusch geregt:
Die armen Kleinen haben sich gewunden
in Hungers Qual,
und alle drei zumal
sind sie gefallen zu des Fuchses Füßen.
Und nun? Der Fuchs? Er ließ sich's nicht verdrießen,
er hat den Schluß der Litanei vergessen
und sie gefressen.

Ja, Leser, wundere dich nicht,
der brave Mann ist nie ein Freund von Worten,
er tut das Gute still und schlicht.
Wer es nur predigt allerorten,
der ist vielleicht auf andrer Kosten gut,
vor eignem Nachteil aber auf der Hut.
Sonst machen's solche Leute alle
wie Reineke in diesem Falle.

Fab. 53
Der Landtag

Machst eine Ordnung du, und sei sie noch so gut,
sei auf der Hut;
wenn die Vollstrecker sind gewissenlose Leute,
so finden sie ein Loch und sichern sich die Beute.
Den Löwen bat der Wolf: "Mach mich zum Vogt der Schafe."
Nun dreht' es Pate Füchsin schlau,
daß man ein Wörtlein steckt der Königsfrau.
Doch da der Wölfe Ruf für Gegner eine Waffe
und es nicht heißen darf, parteiisch sei der Leu,
so kam Befehl, es solln die Tiere ohne Scheu
versammelt tagen,
und jegliches soll man befragen,
was Gutes oder Böses sei vom Wolf zu sagen.
Und so geschieht's; die Tiere sind geschart;
gestimmt wird nach dem Rang, den man mit Sorgfalt wahrt,
doch gegen unsern Wolf fällt nicht ein Wort.
So führt man in den Schafstall ihn sofort.
Was haben denn die Schafe wohl gesagt?
Sie haben doch auch mitgetagt?
Das ist es eben, die vergaß man richtig,
und war's nicht, sie zuerst zu fragen, wichtig?

Fab. 54
Demjans Fischbrühe

"Mein Herzensnachbarlein,
so iß doch noch, oh sag nicht nein!" —
"Freund ich bin satt." — "Was will das sagen?
Ein Tellerchen faßt immer noch der Magen:
Das Süppchen ist doch wohl ein leckrer Schmaus?" —
"Ich aß drei Teller voll." — "Ach, wer wird zählen?
Laß es am rechten Eifer nur nicht fehlen,
lang tapfer zu, mach reines Haus!
Sieh, auf der Brühe glänzt so gelb das Fett,
als wäre sie mit Bernstein überzogen;
iß mir zuliebe Freund, sei so gewogen,
sieh, da schwimmt Brachsen, da ein Stück Sterlet —
nur ein paar Löffel noch — so hilf doch bitten, Frau!"
So setzt Demjan dem Nachbarn Foka zu
und gönnt ihm weder Rast noch Ruh.
Dem Foka perlt der Schweiß schon auf der Stirn wie Tau,
trotzdem nimmt er den Teller noch,
rafft seine letzte Kraft zusammen
und leert ihn. — "Nun, das heiß' ich Freundschaft doch",
ruft froh der Wirt, "das Sprödetun muß man verdammen.
Nun noch ein Tellerchen, mein Lieber!"
Da packt's den armen Foka wie ein Fieber,
wohl ißt er Fischbrüh' gern,
doch daß vor solcher Marter er sich schütze,
greift er blitzschnell zum Gürtel und zur Mütze
und ist schon fern
und rennt nach Haus in atemloser Hast —
Demjan sah niemals wieder seinen Gast.

*   *   *

Wohl dir, wenn dir des Schaffens Gabe eigen,
doch weißt du nicht zu rechter Zeit zu schweigen,
dem Ohr des Nächsten Schonung zu erzeigen,
so ist umsonst all deine Mühe:
Denn deine Verse sowie deine Prosa —
ich sag' es dir sub rosa —
sind unwillkommner als Demjansche Brühe.

Fab. 55
Die Maus und die Ratte

"Frau Nachbar, hast du schon die frohe Mär' gehört",
so sprach die Maus, hereingehuscht zur Ratte,
"die Katze fiel dem Löwen in die Klaun, nun stört
und jagt sie uns nicht mehr, die list'ge, glatte." —
"Frohlocke nicht, mein Schatz",
versetzt darauf die Ratz,
"und gib nur auf dein eitles Hoffen:
Kam es zum Kampf mit Klaun und mit Krallen,
so ist der Löwe tödlich auch getroffen;
Die Katze ist das stärkste Tier von allen!"

Wie oft hab' ich erlebt, was sich auch euch wohl beut;
wenn jemand ist ein Hasenfuß
und ihm ein Gegner macht Verdruß,
denkt er, daß alle Welt den auch so ängstlich scheut.

Fab. 56
Der Bär bei den Bienen

Zum Hüter ihrer Bienenstöcke
erwählten einst im Lenz die Tiere — wen? — den Bär.
Es gab' ein anderer wohl bessere Gewähr bekannt
ist ja, daß Petz gern Honig schlecke, —
nachträglich gäb's auch nicht Verdruß;
doch wer erwartet denn von Tieren klugen Schluß?
Gemeldet hatten viele sich,
man wies sie alle fort;
und — es ist wirklich lächerlich —
der Bär läuft glücklich ein in diesen Port.
Nun aber ging's doch schlimm,
da Petz gar ungestüm
schleppt allen Seim in seine Höhle.
Wie's ruchbar wird, erhebt man groß Geschrei,
setzt nieder ein Gericht, daß alles formstreng sei.
Mein Petz wird abgesetzt mit dem Befehle,
daß in der Höhle er den Winter liegen muß.
Man hatte inquiriert, deliberiert,
dann judiziert, protokolliert,
den Honig aber nicht restituiert.
Petz, der bisher geregt nicht Hand noch Fuß,
empfahl sich jetzt und trat
den Rückzug an in seines Lagers warme Gründe,
saugt dort die Honigpfote früh und spat
und sinnet schon auf neue Sünde.

Fab. 57
Der Spiegel und der Affe

In einem Spiegel sah sein Bild der Affe.
Sacht stößt den Bär er an:
"Sieh doch nur her, Gevattersmann,
was ist das für ein fratzenhafter Laffe?
Was macht er für Grimassen?
Wenn dieses Bild mir irgend ähnlich wäre,
ich würde selbst mich hassen,
ich schnürte mir die Kehle zu, auf Ehre!
Zwar das muß ich gestehn,
man kann in meiner Sippschaft solche sehn,
ich könnte an den Fingern her sie zählen." —
"Wozu?" meint Petz. "Ich möchte dir empfehlen,
dich zum Vergleiche selber nur zu wählen."
Doch in den Wind gesprochen war der Rat.
Und in der Tat,
kein Mensch will in Satiren sich erblicken.

Klims Hände sind nicht rein, das ist bekannt;
man liest, zu ihm gewandt,
von Sportelnehmen ein Gestichel —
doch er, mit schlauem Nicken,
zeigt heimlich auf den Michel.

Fab. 58
Der Schatten und der Mensch

Es wollt' ein Kauz einst haschen seinen Schatten.
Er geht ihm nach — der weicht — er schreitet baß —
der Schatten auch — er läuft bis zum Ermatten —
wie flink er ist, der Schatten wird nicht laß
und gibt sich nicht, als wär's ein Schatz.
Da dreht der Mensch sich um mit einem Satz —
und sieh, ihm jagt nun der Schatten.

Ihr Schönen, oft hab' ich gehört —
ihr meint doch nicht? Gewiß es gilt nicht euch, —
nein, daß Fortuna auch uns so betört.
Der eine geht ins Zeug
und müht sich ab, sie zu erlangen —
der andre, der sich, scheint's, nicht an die Dame kehrt,
dem grade ist sie nachgegangen.

Fab. 59
Der Bauer und das Beil

An einer Hütte zimmert voller Ungeduld
ein Bauer. Da es nicht recht glückt,
flucht auf sein Beil er wie verrückt,
und was er selbst verpfuscht, das Beil allein ist schuld;
er schimpft, daß es ein Grauen.
"Du Nichtsnutz", droht er ihm, von Zorne heiß,
"hinfüro sollst du Klötze hauen,
derweil ich mit Geschick und Fleiß
auch ohne dich zu raten weiß:
Was andre mit den Beil, das mach' ich mit dem Messer
noch besser." —
"Ich muß volbringen, was mir aufgetragen",
versetzt das Beil ganz leise,
"dein Wille ist Gesetz, da ist nicht viel zu fragen,
auch dien' ich dir in jeder Weise.
Doch hüte dich, die Sache zu verschlimmern,
denn sieh,
mich machst du stumpf und kannst doch nie
mit einem Messer Häuser zimmern."

Fab. 60
Der Elefant in Gnaden

Einst kam beim Leu der Elefant in Gnaden.
Im Nu erfuhr's der ganze Wald,
und, wie's so geht, man fragt alsbald,
wodurch der Elefant wohl Gunst auf sich geladen.
Er ist nicht schön, er ist auch nicht pläsierlich,
und seine Haltung keineswegs manierlich —
so heißt es in der Tiere Schar.
"Ja", sagt der Fuchs und rümpft die Nase,
"hätt' er den buschigen Schwanz, dann zwar
könnt' ich's begreifen." — "Oder auch, Frau Base",
versetzt der Bär, "wenn er durch gute Tatzen
sich Gunst errang,
so wär' nicht viel davon zu schwatzen —
doch Tatzen hat er nicht, ihr wißt es lang." —
"Da ist wohl der Hauer Zier",
so fällt hier ein der Stier,
"was ihm hat Gunst erweckt,
man nahm sie gar für Hörner schier." —
"Ihr wißt es also nicht",
so schreit der Esel jetzt, die Ohren hoch gereckt,
"was ihm verlieh so viel Gewicht,
daß ihn der Herrscher nahm in Eid und Pflicht?
Nichts weiter, soviel ist mir klar,
als nur sein langes Ohrenpaar."

Nicht selten rühmen wir, was andre haben,
um uns zu brüsten mit den eignen Gaben.