Fabeln 5
 

Fabeln 4
 
Die Wolke
Der Frosch und Zeus
Der Fuchs als Architekt
Der Wolf und die Hirten
Der Kamm
Die beiden Fässer
Die Schafe und die Hunde
Das Begräbnis
Der arbeitliebende Bär
Der Mäuse Rat
Der Müller
Der Verschwender und die Schwalbe
Die Sau unter der Eiche
Der Kessel und der Topf
Der Besen
Der Bauer und das Schaf
Der Wolf und das Mäuslein
Der junge Kater und der Star
Die beiden Hunde
Die Katze und die Nachtigall

 

Fab. 61
Die Wolke

Ein Landstrich lag, vom Sonnenbrand versengt, in Trauer.
Darüber hin zog eine Wolke schwer.
Nicht einen Tropfen gab sie zur Erquickung her,
ins Meer ergoß sie ihre Regenschauer
und hat damit noch vor dem Berge großgetan.
"Was schufst du denn für Segen?"
hält ihr der Berg entgegen.
"Mich jammert nur dein Großmutswahn.
Es ist ein wahrer Fluch!
Hättest den Feldern Regen du gespendet,
du hättest Hungersnot vom Land gewendet.
Das Meer hat ohne dich des Wassers schon genug."

Fab. 62
Der Frosch und Zeus

Im Frühling ward es einst in seinem Sumpf
am Bergesfuß dem Frosch zu dumpf.
Drum hüpft er auf des Berges Spitze
und wählt ein Schlammloch sich zu seinem Sitze.
Ringsum wuchs Gras, den Schatten gab Gesträuch,
er fühlt sich wie im Himmelreich.
Doch lange freut er sich nicht des Genusses,
der Sommer kommt, und — welche Pein! —
der Wohnsitz Meister Quaquaks trocknet ein,
die Fliegen gehn darin jetzt trocknen Fußes.
Da ruft er: "Weh mir Armen,
ihr Götter habt Erbarmen!
Das Land setzt unter Wasser bis zur Bergeshöh',
zu meinen Gunsten,
dann gibt es einen schönen See,
auf meinem Gut kann dann das Wasser nie verdunsten."
So schreit der Frosch, wird müde nimmer
mit Quaken und Gewimmer
und wagt es endlich, Zeus zu schelten,
daß Mitleid nicht noch Gründe bei ihm gelten.
"Du Blödian!" spricht jetzt der Gott
(er war wohl just nicht allzu schlimmer Laune),
"du machst mit deinem Jammern dich zum Spott.
Ich soll um deinetwillen
das Menschenvolk ersäufen? Man erstaune!
Wär's denn nicht besser, daß du ganz im stillen
in deinem Sumpf zurück dich senktest
und weder Sterbliche noch Götter kränkest?"

Es gibt gar viele,
die für das eigene Ich sich nur erwärmen
und, kommen sie nur selbst zum Ziele,
um einer Welt Verderben sich nicht härmen.

Fab. 63
Der Fuchs als Architekt

Ein König Nobel liebte Hühner über alles;
nur will die Züchtung gar nicht recht gedeihn —
und freilich könnt' es auch nicht anders sein
bei der Beschaffenheit des Hühnerstalles.
Er war zu schlecht vermacht,
da kommen über Nacht
die Diebe, das begreift sich,
und manches Huhn auch noch verläuft sich.
Zu steuern gründlich dem Verdruß,
faßt König Nobel den Entschluß,
sich einen großen Hühnerhof zu bauen,
ganz kunstgerecht und wohlverwahrt,
daß Diebe sich nicht mehr herangetrauen,
den Hühnern angenehm nach ihrer Art.
Da hat man denn dem König gesteckt,
es sei der Fuchs ein großer Architekt;
drum wird also der Bau ihm aufgetragen.
Der Fuchs beginnt und endet ihn mit Glück,
er tut sein Äußerstes, das muß man sagen,
und jeder ruft: "Ein Meisterstück!"
Das war auch alles, was man kann verlangen,
bequeme Futterplätze, Stangen,
ein Schutzdach gegen Frost und Hitze
und auch zum Brüten stille Sitze.
Dem Fuchs wird große Ehr' und Lob zuteil
und reichliche Belohnung;
Befehl ergeht sodann, die Hühnerschar in Eil'
zu bringen in die neue Wohnung.
Doch führte die Veränderung zum Heil?
Nein. Freilich schien der Hof geschlossen gründlich
und die Umzäunung dicht und hoch — und doch,
der Hühner werden weniger allstündlich.
Man weiß sich vor Erstaunen nicht zu fassen,
doch nun befielt der Leu, scharf aufzupassen,
und wen hat man getroffen?
Den Fuchs, den Bösewicht!
Sein Bau zwar war solid und dicht,
daß keiner leicht ins Innre bricht:
Nur für sich selbst ließ er ein Schlüpfloch offen.

Fab. 64
Der Wolf und die Hirten

Ein Wolf kam einer Hürde einst ganz nah
und sah durch die Umzäunung zu,
wie aus der Herde sich den besten Hammel kürten
die Hirten, auszuweiden ihn in Ruh,
indes die Hunde sich nicht rührten.
Da sprach er zu sich selbst, indem er mürrisch ging:
"Welch einen Lärm die Leute wohl verführten,
wenn ich mich dessen unterfing!"

Fab. 65
Der Kamm

Einst kaufte eine Mutter ihrem Knaben
ein Kämmlein, das ihm wohlgefiel.
Er wollt' es immer bei sich haben,
beim Buchstabieren wie beim Spiel.
Er kämmte sich damit vergnügt die Locken,
sie waren gelb wie Gold,
niedlich gerollt
und weich, wie feiner Flachs am Wocken.
Was für ein Kamm war's aber auch! Die beste Ware!
Da man mit Recht dem Kamm doch preist,
der gar nicht reißt
und leichten Striches gleitet durch die Haare.
Drum dünkt er dem Knaben auch ein Schatz.
Da war der Kamm verschwunden,
als drauf der Knab' mit einer wilden Hatz
von Buben auf dem Grasplatz spielt,
so war in wenig Stunden,
sein Haar zerzauset und verwühlt.
Die Amme will das Haar ihm schlichten,
der Knabe leidet es mitnichten.
"Wo ist mein Kamm?" so schreit er.
Der Kamm wird wieder aufgefunden
und angesetzt, doch will er nicht recht weiter;
er reißt und kratzt, schon ist die Haut geschunden.
Der Knabe weint und ruft mit Grimm:
"Was bist du, böser Kamm, so schlimm?"
Der Kamm versetzt: "Mein Freund, ich bin noch, der ich war,
verwühlt ist nur dein Haar,
daher der Schaden."
Der Knabe aber, voll Verdruß,
wirft seinen Kamm rasch in den Fluß.
Jetzt kämmen sich damit Najaden.

Ich hab' es oft erfahren,
daß mit der Wahrheit auch man so verfährt.

Fab. 66
Die beiden Fässer

Zwei Fässer fuhren einst daher,
das eine war voll Wein,
das andre leer.
Das erstere kam sacht und fein
im Schritt gezogen,
das andre jagt verwogen.
Das Pflaster dröhnt von seinem donnergleichen Lauf,
und Wolken Staubes wirbelt's auf:
Man weicht ihm ängstlich aus nach allen Seiten,
wie man's nur rollen hört von weitem.
Doch wie das Faß auch lärmt und tost,
es nützt wie jenes nicht, bringt Labung nicht noch Trost.

Wer, was er vorhat, gern mit allen breit bespricht,
verrät gewiß viel Überlegung nicht.
Wem's ernst zu wirken ist, kann vieler Wort' entraten,
es macht der große Mann sich laut — durch seine Taten,
und sinnet über seinen starken Willen
im stillen.

Fab. 67
Die Schafe und die Hunde

Bei einer Herde Schafe ward,
damit sie vor den Wölfen sicher wären,
der Hunde Zahl beschlossen zu vermehren.
Nun? Ja, es ward so zahlreich diese Art,
daß zwar von Wölfen nichts mehr zu befürchten stunde,
doch auch die Hunde wollen Fraß;
erst rupfen sie die Schäflein baß,
dann schunden nach dem Los sie kranke und gesunde —
dann blieben übrig fünf bis sechs, und ohne Spaß,
den Rest, den fraßen sie dann auch noch auf, die Hunde.

Fab. 68
Das Begräbnis

Wenn man am Nil begrub und hatte Geld genug,
so ließ man Klageweiber dingen,
die heulend hinterm Sarge gingen.
Bei einem prächtig-schönen Leichenzug,
gab eine solche Schar mit Jammern
dem Toten das Geleit
aus diesem kurzen Leben zu den Kammern,
die steter Ruhe sind geweiht.
Ein Fremder sieht's; denkt, daß vor Herzenskummer
die Anverwandten schrein,
und spricht: "Wenn man aus seinem Schlummer
den Toten weckte, würd' es euch nicht freun?
Ich bin ein Magus und kann das bewirken
durch Formeln aus den heimischen Bezirken;
in kurzer Zeit weck' ich den Toten auf." —
"Wohl, Vater", rufen sie, "laß deiner Kunst den Lauf.
Um eines nur bitten wir recht sehr,
daß nach fünf Tagen
er tot auch wieder wär'!
Daß lebend er genützt, wir wüßten's nicht zu sagen,
auch würd's ihm künftig kaum gelingen;
doch stirbt er, wird zu seiner Ehr'
man sicher uns zum Heulen wieder dingen."

Wie viele Große gibt's, die erst durch's Sterben
sich irgendein Verdienst erwerben!

Fab. 69
Der arbeitliebende Bär

Ein Bär sah, daß ein Bauer
Krummhölzer machte und sehr gut verschliß.
Zwar braucht man Zeit dazu und Ausdauer.
>Doch<, denkt der Bär, >ich mach' es auch gewiß.<
Da gibt's im Wald ein Krachen und ein Knistern,
man hört den Lärm werstweit:
Freund Petz bricht zahllos Nußholz, Birken, Rüstern.
Doch o das Leid!
Das Handwerk will sich nimmer schicken.
Er geht den Bauer an mit bravem Bücken
und fragt: "Woran mag's liegen?
Zwar brech' ich Bäume ohne Zahl,
doch keinen kann ich biegen.
Hilf, Nachbar, mir doch aus der Qual.
Wo liegt die Schuld?"
Der Nachbar spricht:
"Darin, daß dir gebricht
Geduld."

Fab. 70
Der Mäuse Rat

Es fiel einmal den Mäusen ein,
trotz all den Katzen Ruhm sich zu gewinnen
und so beherzt, so schlau zu sein,
daß Köche und Beschließerinnen
vor Ärger kämen schier von Sinnen.
Die Fama soll's posaunen,
wie kühn gekämpft das Mausgeschlecht;
in Kellern wie auf Böden soll man staunen.
Damit jedoch die projektierten Taten
auch wirklich gut geraten,
so finden die es recht,
erst abzuhalten einen großen Rat.
Doch keine Maus soll darin tagen,
wenn nicht der Schwanz des Leibes Länge hat.
Die Mäuse nämlich sagen,
daß von jeher die langgeschwänzten
durch Geist und Gaben ganz besonders glänzten.
Ob hier die Mäuse schössen einen Bock,
das bleibe unerörtert vorderhand;
wir selber messen oft ja den Verstand
nur nach dem Barte oder nach dem Rock.
Genug, es ward beschlossen:
Wer zu den langgeschwänzten zählt,
gehöre zu des Rats Genossen,
wem aber dieser Schmuck zum Unglück fehlt,
und hätt' er in der Schlacht ihn auch verloren,
der sei zum Mitglied nicht geboren.
Denn man erwägt,
daß, wer den eignen Schwanz nicht konnte wahren,
auch das Gesamtgeschlecht
gar leicht aussetze ähnlichen Gefahren.
Nachdem nun dies Prinzip
das Mäusevolk auf seine Fahne schrieb,
ward ausgemacht,
daß man im Mehlbehälter sich vereine,
sobald hereingebrochen sei die Nacht.

Zur rechte Zeit kommt alles auf die Beine,
man nimmt im Sitzungssaale Platz.
Doch was ist das? In der geschwänzten Mitte
sitzt eine schwanzberaubte Ratz.
Drob zieht der Mäusejunker eine Fratz',
stößt seine Alte an und sagt: "Ich bitte,
sieh doch, wie kam denn die herein?
Wo bleibt denn unsre Satzung, unsre Sitte?
Bring doch sofort den Antrag ein,
daß sie den Saal verlasse.
Du weißt, die nichtgeschwänzten unsrer Rasse
sind gänzlich unbeliebt.
Was kann die Ratte denn auch nützen?
Der Anblick ist ja höchst betrübt;
sie scheiterte ja selbst an der fatalen Klippe,
sie konnte ihren eignen Schwanz nicht schützen
und bringt Verderben nur der ganzen Sippe." —
"Sei still nur, was du sagst, ist alles mir bekannt,
doch diese Ratte ist mir anverwandt."

Fab. 71
Der Müller

Durch eines Mühldamms Leck das Wasser floß.
Der Schaden war leicht zu kurieren,
wenn man sich wacker wollte rühren;
der Müller aber legt die Hände in den Schoß.
Von Tag zu Tage ärger wird das Leck,
das Wasser strömt wie aus 'nem Eimer.
Auf Müller, sei kein Träumer,
sonst gibt es einen großen Schreck.
Der Müller spricht: "Das hat doch nichts zu sagen,
ich brauche ja doch keinen Ozean;
das Wasser reicht bei meinen Tagen."
So wird auch wirklich nichts getan.
In raschem Fortgang wächst das Übel,
schon stürzt das Wasser wie aus einem Kübel,
und endlich ist das Unheil da.
Der Mühlstein steht, die Mühle kann nicht mahlen.
Als das der Müller sah,
gereute ihn sein töricht Prahlen.
Und freilich nun
sucht ernstlich Einhalt er zu tun.
Als er am Damme sich den Riß besieht,
erblickt er seinen Hühnerhaufen,
der an den Fluß zu trinken zieht.
"Verwünschtes Federvieh, vertrackte Brut",
so schreit der Müller, der in Zorn geriet,
"müßt ihr das Wasser vollends mir aussaufen?"
Er wirft mit einem Scheite in den Schwarm
und trifft ihn gut.
Was aber richtete damit er aus?
Er kommt nach Haus,
an Wasser wie an Hühnern arm.

Ich kenne wunderliche Herren,
und ihres Treibens eingedenk,
mach' ich die Fabel denen zum Geschenk,
die sich durchaus nicht sperren,
für Plunder Tausende zu geben —
dagegen meinen sie, die Wirtschaft sehr zu heben,
wenn sie das Endchen einer Kerze hüten
und mit der Dienerschaft drob wüten.
Ist nicht bei solchem Sparsystem verständlich,
daß bald im Hause alles schwankt,
bedenklich wankt,
und daß der Umsturz folget endlich?

Fab. 72
Der Verschwender und die Schwalbe

Ein lustiger Kumpan
kam einst durch eine Erbschaft zu Vermögen.
Er lebte nun in Saus und Braus,
so daß der ganze Segen
in kurzem war vertan.
Nur einen dicken Pelz behielt er noch im Haus,
und zwar,
weil's grade Winter war
und der Gesell die strenge Kälte scheute.
Doch als er endlich eine Schwalbe sieht,
verkauft er auch den Pelz, da alle Leute
wohl wissen, daß die Schwalbe zu uns zieht,
wenn Frühling schon im Anzug ist.
>Den Pelz<, denkt er, >brauch' ich nicht mehr zu dieser Frist;
wozu die Mummerei, wenn linde Lüfte
schon wehen auf der Flur,
der Frost gescheucht ist in des Nordens Schlüfte?<
Hier war von Logik keine Spur —
hätt' er nur auch das Sprichwort noch bedacht,
daß eine Schwalbe keinen Sommer macht.
Und wirklich kommen wieder Fröste
als ungebetne Gäste.
Es knirschen auf dem festen Schnee die Fuhren,
in Säulen steigt der Rauch, die Fensterscheiben
bedecken sich mit schönen Eisfiguren,
der Winter läßt sich noch nicht vertreiben.
Den Freund quält sehr der Frost, er kann der Zähren
sich nicht erwehren.
Di Schwalbe aber, diesen Frühlingsboten,
sieht er im Schnee erfroren.
Da spricht er zähneklappernd zu der Toten:
"Unselige, dich hast du aufgerieben,
und ich, der dein Prophetentum beschworen,
bin sehr zur Unzeit ohne Pelz geblieben."

Fab. 73
Die Sau unter der Eiche

Von einer alten Eiche wohl beschattet,
fraß sich die Sau an Eicheln übervoll
und schlief dann ein, ermattet.
Sie rafft sich endlich wieder auf, und — ist's nicht toll? —
ihr Rüssel unterwühlt die Wurzelknorren.
"Laß ab, dem Baume schadest du",
ruft ihr vom Ast herab ein Rabe zu,
"legst du die Wurzeln bloß, so kann der Baum verdorren." —
"Mag er verdorren doch", so grunzt die Sau,
"ich nehm' es damit nicht genau;
was nützt er sonderlich, er könnte ganz verschwinden.
Ich hätt' es drum nicht schlimmer;
find' ich nur immer die Eicheln, die mich mästen und mich runden." —
"Du Unhold", ruft die Eiche jetzt,
"wenn du hinauf die Schnauze könntest strecken,
es würde dich erschrecken,
zu sehn, daß auf mir wächst die Kost, die dich so letzt."

So schilt auch wohl ein blöder Tor
auf Künste und Gelehrsamkeit;
sie kommen ihm so unnütz vor:
Er merkt nicht, daß er ihrer Früchte sich erfreut.

Fab. 74
Der Kessel und der Topf

Mit einem Kessel hatte einst geschlossen
ein Topf ein enges Freundschaftsband.
Der Kessel freilich ist von höhrem Stand;
doch das bekümmerte nicht die Genossen.
Nein, für den Freund steht ein der Kessel männlich,
der Topf fühlt sich beim Freunde gar nicht klein;
sie können ohn' einander nicht mehr sein,
von früh bis spät sind beide unzertrennlich.
Sie mögen auch am Feuer nicht alleine stehn,
man kann es täglich sehn,
wie miteinander sie den Herd beschreiten
und auch vom Herd hinunter sich begleiten.

Einst fiel's dem Kessel ein, die Welt zu seh'n;
der Freund wird eingeladen mitzugehn.
Nun, unser Topf verläßt den Kessel nicht,
es wäre ja auch gegen Freundespflicht.
So setzen sie sich auf denselben Karren
und fahren ab. Man hört es knarren
auf holperigem Wege,
so daß die beiden unsanft sich berühren.
Es geht nun über ungebahnte Stege,
bergauf, bergab,
im Trab;
der Kessel tat nicht viel davon verspüren,
doch Töpfe sind ja schwach nur von Natur und zart,
und jeden Stoß empfand der Topf gar hart.
Trotzdem denkt er nicht dran, zurückzubleiben,
denn er, der irdne Topf, ist hoch erfreut,
daß die Gelegenheit sich beut,
sich mit dem Eisenkessel umzutreiben. —
Welch eine Reiseroute beide nahmen,
wie weit sie kamen,
ich weiß es nicht, denkt euch das nach Belieben.
Doch so viel ist gewißlich wahr,
daß heil nach Hause kam der Kessel zwar,
vom Topfe aber nur die Scherben blieben. — —

Der Fabel Sinn macht euch zu schaffen schwerlich:
Für Lieb' und Freundschaft ist die Gleichheit untentbehrlich.

Fab. 75
Der Besen

Ein dreckbeschmierter Besen kam einmal zu Ehren:
Er soll nicht mehr die Küche kehren,
der Herrschaft Kleider reinigen er soll.
(Man sieht die Diener waren toll — und voll.)
Mein Besen fährt mit Macht drauf los.
Er reibt des Frackes Schöße voller Wut
und schlägt, als ob er Roggen drösche, auf den Hut.
Und seine Müh' ist wahrlich groß.
Nur schade, daß er selbst so schmierig und so fleckig:
Je mehr er säubern will, je mehr das Tuch wird scheckig.

Nun:
Gleich großen Schaden wird es tun,
wenn sich ein Narr befaßt mit fremden Sachen
und, was die Klugen tun, will besser machen.

Fab. 76
Der Bauer und das Schaf

Ein Bauer lud das Schaf einst vor Gericht;
die Klage lautete auf Mord.
Der Fuchs war Richter und befahl sofort,
daß beide Teile den Bericht
erstatten Punkt für Punkt und ohne viel Geschrei,
wie da die Sache zugegangen sei.

Der Bauer macht dem Richter einen Diener
und sagt: "Am Ostertag, ich kam just aus dem Schlaf,
vermißte ich zwei Hühner.
Ich fand die Federn nur und das Gebein,
und auf dem Hof war niemand als das Schaf."
Das Schaf ruft aus: "Wie kann ich schuldig sein,
ich schlief die ganze Nacht!
Zudem beruf ich auf die Nachbarn mich,
von denen keiner sicherlich
jemals den Vorwurf mir gemacht
der Dieberei und Schurkerei;
und Fleisch gehört auch nicht zu meinen Speisen."
Der Fuchs hat darauf resolvieret,
das Schaf mit seinen Exceptiones abzuweisen,
dieweil gar wohl bekannt,
daß solche Schelme sind im Leugnen sehr gewandt.
Und sintemalen es ist konstatieret,
das sich das Schaf in obsagter Nacht
nicht von den Hühnern absentieret,
so wird, in Anbetracht,
daß doch unmöglich
der Inkulpat bezwungen seiner Regung,
da Hühnerfleisch den Gaumen letztet höchlich,
und günstige Gelegenheit sich bot —
wird demgemäß, nach reichlicher Erwägung,
das Schaf verdammt zum Tod.
Und endlich dies:
Das Fleisch fällt ans Gericht, der Kläger nimmt das Vlies.

Fab. 77
Der Wolf und das Mäuslein

Aus einer Herde schleppte Isegrim
ein Lamm fort in sein Waldversteck.
Nun – Gastlichkeit war nicht sein Zweck;
es ging dem armen Lamme schlimm,
der Wolf zerriß es
und fraß es auf mit heißer Gier —
die Knochen krachten schier,
zermalmt vom Druck des Wolfsgebisses.
Jedoch, wie sehr er immer mochte schlingen,
er konnte alles nicht bezwingen;
so ließ er dies und jenes Stück
sich für sein Vesperbrot zurück.
Dann streckt er sich behaglich aus,
sich zu erholen von dem fetten Schmaus.

Nun hatte in der Näh' ein Mäuslein
sein Häuslein.
Das Mäuslein riecht das Fleisch und kommt herausgehüpft,
schleicht sacht durch Moos und Busch,
packt einen Lappen Fleisch, und husch
ist es damit zurückgeschlüpft.
Der Wolf gewahrt den Raub mit Grimme
und heulet durch den Wald
mit heisrer Stimme:
"Zu Hilfe kommt, ihr Leute!
Ein Dieb! Halt, halt,
fangt ihn, entreißt ihm seine Beute!
Man plündert mich verwegen,
man raubt mir mein Vermögen!"

So was passiert nicht bloß in Waldgehegen.
Dem Richter Klimytsch nahm einmal
ein Dieb die Uhr – da hört man jenen wüten:
"Setzt nach, packt mir den Schurken, der sie stahl,
er mag sich hüten!"

Fab. 78
Der junge Kater und der Star

In einem Hause war ein Star —
ein schlechter Sänger zwar,
doch dafür kein geringer Philosoph.
Er machte freundschaftlich dem Katerchen den Hof,
dies junge Tier war groß, von Gliedern kräftig,
doch artig, friedlich und bescheiden;
drum mußt es auch bei Tisch Verkürzung leiden.
Den Kater plagt der Hunger heftig,
er streicht betrübt umher,
er wedelt mit dem Schwanze so beweglich,
miaut so kläglich.
Da nimmt der Philosoph ihn die Lehr'.

"Mein Freund", sagt er, "du bist fürwahr zu simpel,
daß du gutwillig fastest,
derweil im Käfig vor dir hängt ein Gimpel.
Du wärst ein Kater nicht, wenn du lang spaßtest." —
"Doch das Gewissen?" — "Oh, gar schlecht kennst du die Welt,
glaub mir, das Dogma von Moralgesetz
ist nur leer Geschwätz,
davor erbebt kein Held;
das sind nur Vorurteile kleiner Seelen,
um die sich große Geister wenig quälen.
Wer in sich fühlt die Stärke,
geht, wie er will, zu Werke.
Beweise kann ich liefern und Belege."
Alsbald wird sein Dozenteneifer rege,
es expliziert der Star gar gründlich sein System.
Dem Kater, der noch nüchtern,
klingt das ganz angenehm,
und nun auf einmal nicht mehr schüchtern,
heraus den Gimpel reißt er, frißt ihn auf.
Der Bissen schmeckt, wenn er auch satt nicht macht.
So weit hat er es nun gebracht,
und munter nimmt die Sache ihren Lauf.
Die nächste Lektion
hört er mit größtem Nutzen schon,
man wird gleich sehn:
Er sprach zum Star: "Mein Freund, ich danke schön,
daß du mich aufgeklärt." —
und hat den Lehrer selber dann verzehrt.

Fab. 79
Die beiden Hunde

Hektor, des Hauses treuer Hüter,
eifrig im Dienst des Herrn, befließen,
geht einst am Haus umher, da sieht er,
am Fenster liegt auf weichem Kissen,
wie ein verwöhntes Kind,
ein Bologneser, der ihm wohl bekannt.
Der Hofhund rennt herbei geschwind,
tut schön, als wär' das Tier ihm nah verwandt,
heult auf vor Freude, wedelt mit dem Schwanze,
dreht sich herum in närr'schem Tanze
und spränge gar so gern zum Freund hinauf.
"Sag doch, wie war dein Lebenslauf,
seit dich die Herrschaft nahm ins Zimmer?
Weißt du noch, wie wir beide uns sonst geplagt,
du hungerst jetzt wohl nimmer?
Man sieht schon, daß dir's hier behagt." —
"Nun, Sünde wär' es, wär' ich nicht zufrieden
mit dem, was mir beschieden",
erwidert ihm Joujou;
"ich lebe hier in guter Ruh,
im Überfluß.
Von Silber nehm' ich Trank und Speise,
die Herrin gibt mir manchen Kuß,
und mit dem Herrn toll' ich in heitrer Weise.
Wenn ich dann endlich müde bin,
streck' ich mich auf das weiche Sofa hin.
Und du?" — "Ich? Nun, ich muß wie sonst mich mühn",
sagt Hektor und läßt Schwanz und Ohren hängen,
"ob Frost und Hunger mich bedrängen,
muß ich, gleich einem bösen Drachen,
das Haus des Herrn bewachen;
ich muß am Zaune schlafen, auch im Regen,
und kommt einmal mein Bellen ungelegen,
beschenkt man mich auch noch mit Schlägen.
Sag doch, Joujou, wodurch kamst du in Gunst?
Du bist so schwach und schmächtig,
was kannst du denn für eine Kunst?
Ich muß umsonst mich placken niederträchtig,
es kann mich wohl verdrießen;
als was dienst du?" — "Als was ich diene?"
versetzt der Freund mit schadenfroher Miene.
"Ich gehe auf den Hinterfüßen."

Wie viele, die ihr Glück zu machen wissen,
bloß weil sie tänzeln auf den Hinterfüßen!

Fab. 80
Die Katze und die Nachtigall

Die Katz' erhaschte eine Nachtigall,
schlug in den kleinen Leib die Krallen,
drückt' ihn mit Wohlgefallen
und sprach: "Mein Liebchen, überall
macht Rühmens man von deinem Singen
und zählt dich zu den großen Meistern.
Mir sagte neulich noch der Fuchs:

>Es geht nicht zu mit rechten Dingen,
kaum hebt ihr Lied sie an, und flugs
weiß sie auch alles zu begeistern.<
Da wär' ich nun begierig,
selber dich zu hören.
Was zitterst du denn so? Sei doch nicht schwierig
und fürchte nicht, ich wolle dich verzehren.
Wenn du gesungen hast, sollst frei du sein,
kannst wieder schweifen dann in Busch und Hain.
Musik steht auch bei mir sehr hoch im Preise,
oft schnurr' ich selber mich in Schlummer leise."
Still blieb die arme Philomele,
ihr ist wie zugeschnürt die Kehle.
"Nun denn", ermahnt die Katz',
"so sing doch, sing ein wenig nur, mein Schatz."
Der Vogel sang doch nicht, er hat nur so gepiept.
"mit dem Gesänge machst du dich beliebt?"
fragt hier die Katze spöttisch.
"Wo bleibt denn jene Reinheit, Stärke, Glut,
von der sie allzeit reden so abgöttisch?
Mir macht so ein Gequitsch Pein selbst von meiner Brut.
Ich sehe, deine Kunst im Singen wiegt nicht schwer,
vielleicht behagst du meinem Gaumen mehr."
Die Katze fackelt nun nicht länger
und frißt mit Haut und Haar den armen Sänger.

Noch deutlicher? Euch zu Gefallen
sei es leis ins Ohr geraunt:
Der Vogel ist zum Singen nicht gelaunt,
wenn ihn die Katze hält in ihren Krallen.