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Buch 1
 
Die Grille und die Ameise
Der Rabe und der Fuchs
Der Frosch, der so groß werden wollte wie..
Die beiden Esel
Der Wolf und der Hund
Das Kalb, die Ziege und das Schaf als..
Der Quersack
Die Schwalbe und die kleinen Vögel
Die Stadtmaus und die Landmaus
Der Wolf und das Lamm
Der Mensch und sein Ebenbild
Der vielköpfige und der vielschwänzige Drachen
Die Diebe und der Esel
Wie Simonides von den Göttern beschützt wurde
Der Tod und der Unglückliche

 
Der Tod und der Holzfäller
Der Mann zwischen zwei Lebensaltern und..
Der Fuchs und der Storch
Das Kind und der Schulmeister
Die Henne und die Perle
Die Hornissen und die Bienen
Die Eiche und das Schilfrohr

 

Fab.1
Die Grille und die Ameise


Die Grille, die den Sommer lang
zirpt' und sang,
litt, da nun der Winter droht'
harte Zeit und bittre Not:
Nicht das kleinste Würmchen nur,
und von Fliegen keine Spur!
Und vor Hunger weinend leise,
schlich sie zur Nachbarin Ameise,
und fleht' sie an in ihrer Not,
ihr zu leihn ein Stückchen Brot,
bis der Sommer wiederkehre.
»Hör«, sagt sie, »auf Grillenehre,
vor der Ernte noch bezahl'
Zins ich dir und Kapital.«
Die Ameise, die wie manche lieben
Leut' ihr Geld nicht gern verleiht,
fragt' die Borgerin: »Zur Sommerzeit,
sag doch, was hast du da getrieben?«
»Tag und Nacht hab' ich ergötzt
durch mein Singen alle Leut'.«
»Durch dein Singen? Sehr erfreut!
Weißt du was? Dann tanze jetzt!«

Fab. 2
Der Rabe und der Fuchs


Im Schnabel einen Käse haltend, hockt
auf einem Baumast Meister Rabe.
Von dieses Käses Duft herbeigelockt,
spricht Meister Fuchs, der schlaue Knabe:
»Ah, Herr von Rabe, guten Tag!
Ihr seid so nett und von so feinem Schlag!
Entspricht dem glänzenden Gefieder
auch noch der Wohlklang Eurer Lieder,
dann seid der Phönix Ihr in diesem Waldrevier.«
Dem Raben hüpft das Herz vor Lust. Der Stimme Zier
möchte er nun lassen schallen;
er tut den Schnabel auf – und läßt den Käse fallen.
Der Fuchs nimmt ihn und spricht:
»Mein Freundchen, denkt an mich!
Ein jeder Schmeichler mästet sich
vom Fette dessen, der ihn gerne hört.
Die Lehre sei dir einen Käse wert!«
Der Rabe, scham- und reuevoll,
schwört, etwas spät, daß ihm so was nie mehr passieren soll.

Fab. 3
Der Frosch, der so groß werden wollte wie der Stier


Ein Frosch sah einstmals einen Stier,
und war sehr angetan von der Gestalt.
Kaum größer als ein Ei, war doch voll Neid das Tier:
es reckt sich mächtig hoch und bläht sich mit Gewalt,
weil es so gern so groß wie dieser wär'.
Drauf spricht es: »Bruder, sieh doch her,
ist es genug? Bin ich so groß wie du?« - »O nein!«
»Jetzt aber?« - »Nein!« - »Doch nun? Sag's mir!«
»Wie du dich auch ermattest,
du wirst mir niemals gleich!« Das arme kleine Tier
bläht sich und bläht sich – bis es platzt.

Wie viele gibt's, die nur nach eitler Größe dürsten!
Der Bürger tät' es gern dem hohen Adel gleich;
das kleinste Fürstentum spielt Königreich,
und jeder Graf gibt sich als Fürsten.


Fab.4
Die beiden Esel

Zwei Esel gehn des Wegs; nur Hafer schleppte der,
doch jener trug viel Geld zum Amt der Steuern,
und stolz sich brüstend mit der goldnen Last, der teuren,
gäb' er um keinen Preis die blanke Bürde her.
Er trabt gewicht'gen Schritts einher,
hell läßt er tönen sein Geläute.
Da plötzlich naht des Feindes Heer,
und da nach Gold nur ihr Begehr,
wirft auf das Steuerlasttier sich die ganze Meute
und reißt sich um die gute Beute.
Der Stolze leistet Gegenwehr,
doch schwer verwundet sinkt er hin und seufzt im Sterben:
»Das also ist mein Lohn? O trügerische Pracht!
Der schlechten Hafer trug, entrinnt jetzt dem Verderben,
und ich, ich sink' in Todes Nacht!«
Da spricht zu ihm sein Freund, der gute:
»Nicht immer ist ein hohes Amt ein Glück, das glaube mir!
Wärst du, wie ich, ein armes Müllertier,
lägst du nicht hier in deinem Blute.«

Fab.5
Der Wolf und der Hund

Ein Wolf, der nur noch Knochen war und Haut —
denn wachsam waren stets die Schäferhunde -—
traf eine Dogge, stark und wohlgebaut,
glänzenden Fells und feist, die jagte in der Runde.
»Ha«, dachte Meister Isegrim, »nicht schlecht,
zum Frühstück wäre die mir recht!«
Doch stand bevor ein Kampf, ein heißer,
und unser Hofhund hatte Beißer,
gemacht zu harter Gegenwehr.
Drum kommt der Wolf ganz freundlich her
und spricht ihn an, so ganz von ungefähr,
bewundernd seines Leibes Fülle.
»Dir, lieber Herr, wär's Euer Wille«,
erwiderte der Hund, »ging' es so gut wie mir!
Verlaßt das wilde Waldrevier.
Eure Vettern hier sind ohne Zweifel
nur dürft'ge Schlucker, arme Teufel.
Sie lungern da umher, verhungert, nackt und bloß!
Hier füttert keiner Euch, Ihr lebt nur – mit Verlaub –
vom schlechtesten Geschäft, dem Raub.
Drum folgt mir, und Euch winkt – ein besser Los.«
»Was«, sprach der Wolf, »hab' ich dafür zu leisten?«
»Fast nichts!« entgegnete der Hund. »Man überläßt die Jagd
den Menschen, denen sie behagt,
schmeichelt den Dienern, doch dem Herrn am meisten.
Dafür erhält man dann die nicht verspeisten
Essensreste stets zum Lohn, oft Bissen leckrer Art,
Hühner- und Taubenknöchlein zart,
von andern Köstlichkeiten ganz zu schweigen!«

Schon träumt der Wolf gerührt von künft'gen Glück, und
Tränen fast dem Aug' entsteigen;
da plötzlich sieht er, daß am Halse kahl der Hund.
»Was ist das?« fragt er. - »Nichts!« - »Wie? Nichts?«
»Hat nichts zu sagen!«
»Wirklich?« - »Das Halsband drückte hier mich wund,
woran die Kette hängt, die wir mitunter tragen.«
»Die Kette?« fragt der Wolf. »Bist du nicht frei?«
»Nicht immer; doch was ist daran gelegen?«
»So viel, daß ich dein Glück, all deine Schwelgerei
verachte! Bötest du meinetwegen
mir einen Schatz – um diesen Preis, sieh, ich verschmäht in doch!«
Sprach's, lief zum Wald zurück – und läuft dort heute noch.

Fab.6
Das Kalb, die Ziege und das Schaf als Genossen des Löwen


Kalb, Zieg' und Schaf im Bund mit einem stolzen Leun
die gründeten in grauer Vorzeit Tagen
genossenschaftlich 'nen Konsumverein
und wollten den Gewinn und den Verlust zu gleichen Teilen tragen.
Auf dem Revier der Ziege fing ein Hirsch sich ein.
Zu den Genossen schickt das brave Tier in Eile.
Sie kommen, und der Leu, indem er um sich blickt,
spricht: »Wir sind vier, drum geht die Beute in vier Teile.«

Zerlegend drauf den Hirsch nach Jägerart geschickt,
nimmt er das beste Stück für sich, und mit Behagen
spricht er: »Das kommt mir zu, weil ich, euch zum Gewinn,
als Leu der Tiere König bin;
Dagegen ist wohl nichts zu sagen!
Rechtmäßig fällt mir ferner zu das zweite Stück;
das Recht des Stärkeren heißt's in der Politik.
Als Tapferstem wird mir das dritte wohl gebühren!
Und sollte einer wagen, das vierte zu berühren,
so töt' ich ihn im Augenblick.«

Fab.7
Der Quersack

Einst sprach der Vater Zeus: »An meines Thrones Stufen
erscheine, was da lebt; und wer über Gestalt
und Wesen zur Beschwerde sich berechtigt und berufen
meint, der rede ohne Hinterhalt!
Wo's geht, bin ich zu helfen willig.
Du, Affe sprich zuerst: Sieh dir, wie recht und billig,
die Tiere alle an, vergleich' ihr Angesicht
und ihre Formen mit den deinen.
Bist du zufrieden?« - »Ich, warum denn nicht?
Ich hab' vier Füße doch wie jene, sollt' ich meinen!
Und mit Vergnügen stets hab' ich mein Bild beschaut.
Allein mein Bruder Bär ist ganz zu plump gebaut,
und keinem Maler sollt' er je zu sitzen wagen!«
Der Bär tritt vor – man glaubt, er wolle sich beklagen.
Doch weit gefehlt! Man staunt, wie seinen Wuchs er rühmt.
Jedoch der Elefant – so schmäht er unverblümt –
hab' das am Ohr zu viel, was ihm am Schwanze fehlte;
unförmig, klobig er ihn schilt.
Der Elefant, der klug sonst gilt,
erschien an diesem Tag als Tor und schmälte,
daß für sein Maul, das nicht gering,
der Walfisch sich zu dick erwiese!
Die Milbe schien der Ameise ein winzig Ding,
dagegen sei sie selbst ein Riese!
Zeus schickt' sie alle heim, die so gelind
sich selber kritisiert.

Wir Menschen aber sind
der Toren törichste, da wir im Leben –
luchsäugig für die anderen, für eigne Fehler blind –
uns selber alles, doch dem Nächsten nichts vergeben.
Nie gleichen Blicks hat man auf sich und andre acht.
Als Lumpenvolk schuf uns des Schöpfers Macht,
so war es früher und so ist es heute.
Quer auf die Schulter legt' er uns den Sack,
daß man darein die eignen Schwächen pack',
und vorne hat man den für fremde Leute.

Fab.8
Die Schwalbe und die kleinen Vögel

Die Schwalbe hatt' auf ihren großen Reisen
gar viel gelernt, und wer viel hat gesehen,
wird manches besser auch verstehen.
Unwetter sah sie vor den andren;
gewarnt von ihr konnten Matrosen
sich retten vor des Sturmes Tosen.
Da nun die Jahreszeit kam, wo der Hanf gesät wird,
sah einen Landmann sie, der ihn in Furchen streut'.

»Ihr Vöglein«, sprach sie, »seid gescheit!
Ihr dauert mich; ich geh', bevor's zu spät wird,
weit fort und berg' mich, wo ich sicher bin.
Doch ihr – seht ihr die Hand dort hin und her ihn schwingen?
Glaubt mir: 's ist nicht mehr lange hin,
dann wird, was jetzt sie streut, Verderben bringen.
Da wird zu eurem Fang manch Netz gar meisterlich
gelegt und mancher Dohnenstrich;
man stellt euch nach, man legt euch Schlingen.
Dann kommt die Zeit der schweren Not,
wo euch Gefängnis oder Tod,
der Käfig oder Bratspieß droht.
Drum rat' ich euch, jetzt wegzufressen
den Samen. Folgt mir und seid klug!«
Die Vöglein höhnten sie vermessen,
sie hatten Futters ja genug!

Man sah das Hanffeld grün sich färben.
Da sprach die Schwalbe: »Schnell! Reißt Halm für Halm jetzt ab
das Gras, das jener Same gab;
sonst bringt es sicher euch Verderben.«
»Unglücksprophet!« schrien sie. »Schwatzhafter Phrasenheld!
da tausend Mann wir nötig hätten,
jetzt kahl zu mähen dieses Feld!«
Als nun der Hanf nach oben schoß,
da rief die Schwalb': »O weh!« und schüttelte das Haupt.
»Das böse Kraut! Wie schnell es sproß!
Doch ihr, die ihr bisher noch niemals mir geglaubt,
merkt euch jetzt dies: Seht ihr die Fluren
voll Stoppeln, hat der Mensch sein Feld
fertig für dieses Jahr bestellt;
und folgt als Feind er euren Spuren.
stellt Fallen er und Netze fein
den armen kleinen Vögelein,
dann hütet euch umherzufliegen!
Dann bleibt zu Haus, vielmehr verlaßt dann diesen Ort
wie Kranich, Schnepf' und Storch auf ihren Wanderzügen.
Ach, leider könnt ihr ja nicht fort,
nicht über Land und Meer, wie wir, zum Flug euch rüsten
nach fremden Ländern, fernen Küsten!
Drum, glaubt mir, gibt's für euch nur eine Rettung noch,
euch still zu bergen in ein sichres Mauerloch.«

Die Vöglein, statt der weisen Kunde
zu lauschen, fingen an zu schwatzen: »Oh!« und: Ach!«
wie der Trojaner Volk, als mit Prophetenmunde
Kassandra einst zu ihnen sprach.
Wie jenen dort ging's jetzt den Kleinen:
Manch Vöglein seufzte, das in Not geriet.

Wir glauben immer nur an unser eignes Meinen
und sehn den Schaden erst, wenn er uns selbst geschieht.


Fab.9
Die Stadtmaus und die Landmaus


Die Stadtmaus lud zum Feste
die Landmaus höflich ein,
denn Ortolanenreste
hatt' sie, so gut und fein.

Auf türkisch fein gewebtem
Teppich stand das Mahl bereit,
und die beiden lebten
lustig und in Herrlichkeit.

Man genoß in vollen Zügen,
köstlich mundete der Schmaus.
Plötzlich, mitten im Vergnügen,
wurden sie gestört – o Graus!

Klang es nicht, als ob was krachte?
Wie die Stadtmaus da in Hast
gleich sich aus dem Staube machte!
Schleunigst folgte ihr der Gast.

Blinder Lärm nur war's. Es wandern
beide wieder in den Saal,
und die Stadtmaus spricht zur andern:
»Setzen wir jetzt fort das Mal!«

»Danke sehr!« spricht jene. »Morgen
komm zu mir aufs Land hinaus.
Kann dir freilich nicht besorgen
dort so königlichen Schmaus.

Einfach nur, doch unbeneidet,
meiner Sicherheit bewußt,
speis' ich und verzicht' auf Lust,
die durch Furcht mir wird verleidet!«

Fab.10
Der Wolf und das Lamm


Des Stärkren Recht ist stets das beste Recht gewesen —
ihr sollt's in dieser Fabel lesen.

Ein Lamm löscht' einst an Baches Rand
den Durst in dessen klarer Welle.
Ein Wolf, ganz nüchtern noch, kommt an die Stelle,
sein gier'ger Sinn nach guter Beute stand.
»Wie kannst du meinen Trank zu trüben dich erfrechen?«
Die Unverschämtheit sollst du büßen, und sogleich!«
»Eu'r Hoheit brauchte«, sagt' vor Schrecken bleich,
das Lamm, »darum sich nicht so aufzuregen!
Wollt doch nur gütigst überlegen,
daß an dem Platz, den ich erwählt,
von Euch gezählt,
ich zwanzig Schritt stromabwärts stehe;
daß folglich Euren Trunk – seht's Euch nur an —
ich ganz unmöglich trüben kann.«
»Du trübst ihn dennoch!« spricht er. »Wie ich sehe,
bist du's auch, der auf mich geschimpft voriges Jahr!«
»Wie? Ich geschimpft, da ich noch nicht geboren war?
Die Mutter säugt mich noch, fragt nach im Stalle.«
»Dein Bruder war's in diesem Falle!«
»Ich habe keinen!« - »Dann war’s dein Vetter!
Und ihr, euer Hirt und euer Hund.
Ja, rächen muß ich mich, wie alle sagen!«
Er packt das Lamm, zum Walde schleppt er's drauf,
und ohne nach dem Recht zu fragen,
frißt er das arme Lämmlein auf.

Fab.11
Der Mensch und sein Ebenbild
Für den Herzog von La Rochefoucauld

Es war einmal ein Mann, der, in sich selbst verliebt,
sich für den Schönsten hielt in aller Welt.
Den Spiegel schalt er, daß er nur entstellt
sein wundervolles Antlitz wiedergibt.

Ihn zu heilen, sorgt ein günstiges Geschick,
daß stets, wohin auch geht sein Blick,
er in der Damen stumm-geheimen Rat muß schauen:
Spiegel in Stub' und Saal, Spiegel, ob nah, ob fern,
Spiegel in Taschen feiner Herrn,
Spiegel im Gürtel schöner Frauen.
Was tut unser Narziß? Er tut sich selbst in Bann;
verbirgt am stillsten Ort sich, den er finden kann,
wohin kein Spiegel wirft sein trügerisches Bild.
Doch durch der Einsamkeit verlassenstes Gefild
rieselt ein klarer Silberbach.
Er schaut sich selbst darin, und zürnend ruft er: »Ach,
auch dieser schöne Ort wird mir verleidet!«
Er gibt sich alle Müh', woanders hinzugehen;
allein der Bach ist gar so schön,
daß er nur ungern von ihm scheidet.

Was die Moral der Fabel sei?
Ich sag' es allen: Sichselbstbetrügen,
von diesem Übel ist kein Sterblicher ganz frei.
Dein Herz, es ist ein Narr, geneigt, sich zu belügen;
im Spiegel, den als falsch zu schelten wir geneigt,
sehn wir Torheit nur, die wir an uns vermissen.
Der Bach, der unser Bild uns zeigt,
man kennt ihn wohl und nennt ihn – das Gewissen.

Fab.12
Der vielköpfige und der vielschwänzige Drachen

Es pries einst vor der Höflinge Schar
Frankreichs Gesandter, der in Wien beglaubigt war,
die eigne Macht vor der des Deutschen Reiches.
Ein Deutscher sprach: »Trotz des Vergleiches
wisset: Unseres Kaisers Banner trug
schon mancher Mann, selbst stark genug,
auf eigne Faust ein Heer zum Kampf zu rüsten.«
Drauf Frankreichs Pascha, fein und klug,
erwiderte: »Als ob wir nicht wüßten,
was jeder Kurfürst an Soldaten stellen kann!
Das mahnt mich unwillkürlich an
etwas, das ich erlebt, mag's wunderbar auch klingen.

Ich stand an sichrem Ort, da sah durch einen Hag
die hundert Häupter ich der Hydra plötzlich dringen.
Mein Blut erstarrt' – so etwas mag
zur Furcht den Tapfersten wohl bringen!
Doch mir geschah kein Leid: So sehr sie sich auch wanden,
die vielen Köpfe keinen Weg her fanden.
Dann seh' ein zweites Tier, ein vielgeschweiftes, ich,
das bohrt sein Drachenhaupt, sein einz'ges, durch die Hecken.
Zum zweiten Male fühlt' ich mich
von Angst erfaßt und starrem Schrecken.
Haupt, Leib und jeder Schwanz – eins brach dem andern Bahn,
so ward die Fortbewegung leicht dem Tier, dem ungeheuren.

Seht, ganz so scheint's mir angetan
mit unsrem Reich und mit dem Euren.«

Fab.13
Die Diebe und der Esel

Zwei Diebe prügelten um einen Esel sich,
den sie geraubt; behalten wollte ihn der eine, verkaufen
gleich der andre. Jämmerlich
zerbläut das edle Paar sich drum in blut'gem Raufen.
Ein dritter Spitzbub kommt zum Ort  —
und führt den Meister Langohr fort.

Manch armes Land ist wohl dem Esel zu vergleichen,
und mancher Fürst aus fernen Reichen,
wie aus Sibirien, Ungarn oder der Türkei,
den Dieben. Statt der zwei sind's manchmal drei —
nur allzu häufig ist die Sorte heute!
Doch von dem Kleeblatt fällt oft keinem zu die Beute:
Ein vierter Räuber kommt daher und – schnapp,
jagt er den Esel ihnen ab.

Fab.14
Wie Simonides von den Göttern beschützt wurde

Drei Dinge gibt's die nie man hoch genug kann preisen:
Gott, die Geliebte und den Herrn.
Malherbe sagt's einmal, und ich bekenn' mich gern
zu diesem Ausspruch unsres Weisen.
Wohl kitzelt feines Lob und nimmt die Herzen ein,
oft ist der Schönen Gunst der Preis für Schmeicheleien.
Hört, welch ein Preis dafür von Göttern zu gewinnen.

Simonides fiel's einstmals ein,
eines Athleten Lob im Lied zu singen. Beim Beginnen
fand er zu trocken gleich, zu arm den Gegenstand:
des Ringers Sippe war fast gänzlich unbekannt,
ein dunkler Ehrenmann der Vater – kurz, ein schlichter
und dürft'ger Stoff für einen Dichter.
Anfangs sprach der Poet von einem Helden zwar
und lobte, was an ihm nur irgend war zu loben;
bald aber schweift' er ab, und zu dem Zwillingspaar
Kastor und Pollux hat er schwungvoll sich erhoben.
Er preist die beiden als der Ringer Ruhm und Hort,
zählt ihre Kämpfe auf, bezeichnet jeden Ort,
wo jemals sie gestrahlt im Glanze hellsten Lichtes.
Der beiden Lob – mit einem Wort,
zwei Drittel füllt es des Gedichtes.
Bedungen hatten ein Talent als Preis die zwei;
Jetzt kommt der Biedermann herbei,
zahlt ihm ein Drittel nur und sagt ihm frank und frei,
es würden ihm den Rest Kastor und Pollux zahlen.
»Halt dich nur an die zwei, die hell am Himmel strahlen!
Allein, daß du nicht meinst, ich sei
dir gram – besuche mich zu Tisch. Gut sollst du speisen;
auch die Gesellschaft ist nicht schlecht,
's ist meine Sippe – ist dir's recht,
so wolle mir die Ehr' erweisen.«

Simonides sagt zu; vielleicht befürchtet er,
außer dem Geld auch noch die Ehre dranzugeben.
Er kommt; man speist, läßt ihn hoch leben,
und froh und munter geht es her.
Da meldet ihm ein Sklav', es hätten an der Pforte
zwei Männer augenblicks zu sprechen ihn begehrt;
er eilt hinaus, es bleibt am Orte
die Sippe schmausend ungestört.
Das Götterzwillingspaar, das er ihm Lied gepriesen,
sie sind's und bringen eine Mahnung ihm als Lohn:
Forteilen mög' er schnell aus diesen
unsel'gen Hallen, die mit nahem Einsturz drohn.
Und bald erfüllte sich die Schreckenskunde:
Ein Pfeiler wankt, es stürzt das Dach,
das ungestützte, schlägt zugrunde
daß Eß- und Trinkgerät und mit furchtbarem Krach
die Dienerschaft im Festgemach.
Noch mehr: Als Rache für die Götter, die geschmähten,
und den betrogenen Poeten
zerquetscht ein Balken beide Beine dem Athleten.
Verletzt oder verstümmelt gar
kehrt heim der Gäste bunte Schar.
Fama verbreitete die Mär auf ihren Reisen,
die Welt verdoppelt nun, ihm Achtung zu erweisen,
den Sold des Dichters, der der Götter Liebling war.
Und jedermann aus höhern Kreisen
ließ durch ihn für Honorar
in Versen seine Ahnen preisen.

Was lehrt die Fabel uns? Zuerst mein' ich, daß man
das Lob der Himmlischen zu weit nie treiben kann;
ferner, daß mit dem Schmerz und ähnlich ernsten Sachen
Melpomene versteht manch gut Geschäft zu machen;
endlich, daß unsre Kunst man schätzt ohne Unterlaß.
Die Großen ehren sich, wenn sie uns Gunst erweisen;
als Freunde pflegte man zu preisen
die im Olymp und im Parnaß.

Fab.15
Der Tod und der Unglückliche

Stets rief in seiner Not ein armer Mann
den Tod als Retter an.
»Tod«, rief er aus, »wie so schön erscheinst du mir Elenden!
Komm, eilig komm herbei, mein grausam Los zu enden!«
Der Tod vernimmt's und ist dienstfertig gleich am Ort,
klopft an die Tür, tritt ein, und kaum läßt er sich schauen —
»Was seh' ich?« ruft der Mann. »Bringt dieses Scheusal fort!
Wie gräßlich ist er! Angst und Grauen
macht mir sein Anblick! Höre mich,
komm näher nicht, o Tod! O Tod, entferne dich!«

Maecenas war ein wahrhaft edler Mann.
Er sagte einst: »Es könnt' mich Schwäche plagen,
Verkrüppelung und Gicht – wenn ich nur leben kann,
will ich zufrieden sein und mich nicht mehr beklagen.
»O Tod, verschone mich!« hört man sie alle sagen.

Fab.16
Der Tod und der Holzfäller


Ein armer Arbeitsmann, mit Reisig schwer belastet,
von seines Bündels und der Jahre Last gedrückt,
geht schwanken Schritts einher, tief seufzend und gebückt.
Sein Hüttlein hätt' er gern erreicht, bevor er rastet.
Jetzt kann er nicht mehr fort, und mit umflortem Blick
legt er die Bürde weg und überdenkt sein Mißgeschick.
Was bot an Freuden ihm bisher sein ganzes Leben?
Kann's einen Ärmern wohl als ihn auf Erden geben?
Oft keinen Bissen Brot und niemals Ruh noch Rast,
Weib, Kind, der Steuern und der Einquartierung Last,
Frondienst und Gläubiger ohne Erbarmen —
des Jammers Bild zeigt alles dies dem Armen.
Er ruft den Tod herbei; der ist auch gleich zur Stell'
und fragt, womit er dienen sollte.
»Ach, bitte«, der Holzfäller spricht, »hilf mir doch schnell
dies Holz aufladen! Das ist alles, was ich wollte!«

Tod heilt alle Erdennot.
Doch das Leben ist nicht minder
schön, und: Besser Not als Tod,
denken wir Menschenkinder.

Fab.17
Der Mann zwischen zwei Lebensaltern und zwei Geliebten

Einer in dem unbequemen
Alter, wo vom Lebensherbst,
dunkles Haupt, du grau dich färbst,
dachte dran, ein Weib zu nehmen.
Sein Geldsack war sehr schwer und daher
auch manche Frau bemüht, ihm zu gefallen.
Doch eben darum eilt' es unserm Freund nicht sehr;
gut wählen ist das Wichtigste von allem.
Zwei Witwen freuten sich am meisten seiner Gunst,
'ne Junge und 'ne mehr Betagte,
doch die verbesserte durch Kunst,
was ihr der Zahn der Zeit benagte.
Es schwatzt und lacht das Witwenpaar,
ist stets bemüht, ihn zu ergötzen;
sie kämmen manchmal ihn sogar,
um ihm den Kopf zurechtzusetzen.

Die Ältre raubt dann stets ihm etwas dunkles Haar,
so viel davon noch übrig war —
denn gleicher dünkt sie sich dadurch dem alten Schatze.
Die Junge zieht mit Fleiß ihm aus das weiße Haar;
und beide treiben's so, daß unser Graukopf eine Glatze
beinah bekam – da wird ihm erst sein Standpunkt klar.
»Habt Dank!« spricht er. »Ich dank' euch sehr,
daß ihr mich habt so gut geschoren.
Gewonnen habe ich dabei, und nicht verloren,
denn an die Heirat denke ich nicht mehr.
Welche von euch ich nähm – entweder gäb' es Zank
oder es ginge alles stets nach ihrem Kopf.

Den Kahlkopf nimmt man nicht beim Schopf!
Für diese Lehre nehmt, ihr Schönen, meinen Dank.«

Fab.18
Der Fuchs und der Storch

Gevatter Fuchs hat einst in Kosten sich gestürzt
und den Gevatter Storch zum Mittagstisch gebeten.
Nicht üppig war das Mahl, nicht reich gewürzt;
statt Austern und Lampreten
gab's klare Brühe nur – er führt' ein sparsam Haus.
In flacher Schüssel ward die Brühe aufgetragen;
indes Langschnabel Storch kein Bißchen in den Magen
bekam, schleckt Reineke, der Schelm, das Ganze aus.

Das hat der Storch ihm nicht vergessen.
Er lädt ihn bald darauf zu sich zum Mittagessen.
»Gern«, spricht Herr Reineke, »denn unter Freunden ist
Umständlichkeit nicht angemessen.«
Er läuft geschwind zur angegebnen Frist
zu seines Gastfreunds hohem Neste,
lobt dessen Höflichkeit aufs beste,
findet das Mahl auch schon bereit,
hat Hunger – diesen hat ein Fuchs zu jeder Zeit -,
und schnüffelnd atmet er des Bratens Wohlgerüche,
des leckern, die so süß ihm duften aus der Küche.
Man trägt den Braten auf, doch – welche Pein! –
in Krügen eingepreßt, langhalsigen und engen.
Leicht durch die Mündung geht des Storches Schnabel ein,
umsonst dagegen sucht der Fuchs die Schnauze durchzuzwängen.
Hungrig geht er nach Haus und mit gesenktem Haupt,
beschämt den Schwanz ganz eingezogen.

Ihr Schelme, merkt euch das und glaubt:
Wer andere betrügt, wird selbst betrogen.


Fab.19
Das Kind und der Schulmeister

Die Fabel hier und ihre Spitze zielt
auf jene Narren, die stets Reden halten.

Ein Knäblein, das am Seine-Ufer spielt',
fiel in den Fluß. Des Himmels gnädig Walten
fügt' daß ein alter Weidenbaum, der hart
am Ufer stand, des Kindes Rettung ward.
Indes das Kind den Weidenzweig mit Bangen
erfaßt, kam just ein Schulmeister gegangen.
Das Kind schreit: »Hilfe! Ich muß untergehn!«
Auf sein Geschrei bleibt der Magister stehn,
und mit dem Pathos eines Advokaten
schilt er den Kleinen: »Seht den Fratzen doch,
wohin durch seine Dummheit er geraten!
Um solchen Schelm soll man sich kümmern noch?
Die armen Eltern, deren Pflicht im Leben,
auf solch Gesindel immer achtzugeben!
Sie haben wahrlich einen schweren Stand!«
Nach diesen Worten erst zog er das Kind ans Land.

Viel' gibt's der Art, wenn auch mit andrem Namen.
Der Schwätzer, Sittenrichter und Pedant
erkennt wohl sein Bild in diesem Rahmen —
unzählbar sind sie wie des Meeres Sand,
gesegnet hat der Schöpfer ihren Samen.
Die Sorte denkt doch stets zuerst daran,
der Rede Künste zu entfalten.
Erst rette, Freund, mich aus der Not, und dann,
dann magst du deine Rede halten!

Fab.20
Die Henne und die Perle

Eine Henne fand an einem Ort
eine Perle und trug sie sofort
zu dem Juwelier hinüber:
»Sie hat sicher hohen Preis —
doch das kleinste Körnchen Mais
wäre mir bei weitem lieber.«

Eine Handschrift inhaltreich
erbt' ein Dummkopf, bracht' sogleich
sie zum Antiquar hinüber:
»Wertvoll soll sie sein« sagt er,
»doch ein runder Taler wär'
mir bei weitem lieber.«

Fab.21
Die Hornissen und die Bienen

Am Werke kann den Meister man erkennen.

Ein paar Honigwaben waren herrenlos; Hornissen
hatten sie an sich gerissen,
doch auch die Bienen wollten sie ihr eigen nennen.
Vor eine Wespe kam der Streit, die sollt' ihn schlichten;
allein es ward ihr schwer, nach Fug und Recht zu richten.
Die Zeugen sagten, daß sie um die Wabe her
geflügeltes Getier, das braun und länglich wär'
und summte, oft bemerkt. Das sprach wohl für die Bienen;
jedoch was half's, da die Kennzeichen ungefähr
auch den Hornissen günstig schienen?
Die Wespe wußte nun erst recht nicht hin und her,
und sie beschloß – die Sache wirklich aufzuklären -,
der Ameisen Meinung anzuhören.
Umsonst! Denn alles blieb, wie's war.

»Auf diese Art wird's nimmer klar!«
sprach eine Biene, eine weise.
»Sechs Monde schleppt sich schon der Streit im alten Gleise,
und wir sind weiter um kein Haar.
Will sich der Richter nicht beeilen,
verdirbt der Honig mittlerweilen.
Am Ende frißt der Bär ihn gar!
Erproben wir jetzt drum ohn' Advokatenpfiffe
und ohne Krimskrams der Juristenkniffe
nur durch die Arbeit unsre Kraft!
Dann wird sich's zeigen, wer von uns den süßen Saft
in schöne Zellen weiß zu legen.«
Durch die Hornissen Weig'rung war
gar bald ihr Unrecht sonnenklar.
Der Bienen Schar gewann den Streit von Rechtes wegen.

O würde jeder Streit doch nur auf diese Art
entschieden und, wie man im Morgenlande richtet,
nach dem Buchstaben nicht, nein, nach Vernunft geschlichtet!
Was würd' an Kosten dann gespart,
statt daß mit endlosen Prozessen
man jetzt uns zur Verzweiflung treibt!
Wozu? Die Auster wird vom Richter aufgegessen,
während für uns die Schale bleibt.

Fab.22
Die Eiche und das Schilfrohr

Die Eiche sprach zum Schilf: »Du hast,
so scheint mir, guten Grund, mit der Natur zu grollen:
Zaunkönige sind dir schon eine schwere Last;
der Windhauch, der in leisem Schmollen
kräuselt des Baches Stirn unmerklich fast,
zwingt dich, den Kopf zu neigen,
indes mein Scheitel trotzt der Sonne Glut
wie hoher Alpenfirn und auch des Sturmes Wut
es nicht vermag, mein stolzes Haupt zu beugen.
Was dir schon rauher Nord, scheint linder Zephir mir.
Ja, ständst du wenigstens, gedeckt von meinem Laube,
in meiner Nachbarschaft! O glaube,
meinen Schutz gewährt' ich gerne dir;
du würdest nicht dem Sturm zum Raube.
So aber stehst am feuchten Saum
des Reichs der Winde du in preisgegebnen Raum.
An dir hat die Natur sehr ungerecht gehandelt!«
»Das Mitleid«, sagt das Rohr, »das dich anwandelt,
von gutem Herzen zeugt's; doch sorge nicht um mich!
Es droht mir weniger als dir der Winde Toben;
ich beug' mich, doch ich breche nicht. Zwar hieltst du dich
und standst, wie furchtbar sie auch schnoben,
fest, ungebeugt bis heut an deinem Ort.
Doch warten wir!« Kaum sprach das Rohr dies Wort,
da, sieh, am Horizont in schwarzer Wolke zeigt sich
und rast heran, ein Sturmessausen;
des Nordens schlimmsten Wind hört man da brausen.
Fest steht der Baum, das Schilfrohr aber neigt sich.
Der Sturm verdoppelt seine Wut
und tobt, bis er den fällt,
des stolzen Haupt dem Himmel sich gesellt
und dessen Fuß ganz nah dem Reich der Toten ruht.