Fab.1
Die beiden Ratten, der Fuchs und das Ei
Eine Betrachtung, Frau von La Sablière gewidmet.
Iris, dich pries' ich gern – es ist gar leicht; doch freut,
es niemals dich, wenn Weihrauch man dir streut.
Du gleichst nicht Frau'n, die jenem Götzen frönen
und wünschen, täglich möchte' ihr Lob ertönen;
in süße Träume wiegt der Schmeichelton sie meist.
Ich schelt' sie nicht dafür, gern mag ich solchen Geist:
Die Götter haben ihn, die Fürsten und die Schönen.
Der Trank, den gern das Volk der Dichter preist,
der Nektar, welchen Zeus genießt an seinem Herde
und der so leicht berauscht die Götter dieser Erde –
es ist das Lob. Du, Iris, machst dir nichts daraus,
und seinen Platz füllst du mit andern Dingen aus:
Gesprächen, heitern Sinns Entfaltung,
wo Zufall reichen Stoff dir bringt zur Unterhaltung;
es wird, wenn man's mit dir bespricht,
das Kleinste groß.
Die Welt zwar glaubt es nicht;
doch laß die Welt und ihren Glauben!
Wissenschaft, Torheit, saure Trauben,
das Kleinste, selbst das Nichts, ist gut. Ich sag', daß man
gut über alles sprechen kann.
Es ist ein Blumenbeet, wo dann und wann
auf mancher Blüte sich's ein Bienchen läßt gefallen,
und Honig saugt es uns aus allen.
Dieses vorausgeschickt, findst du es wohl am Platz,
wenn diesen Fabeln ich versuche manchen Satz
aus einer feinen, kühnen, frischen
Philosophie jetzt beizumischen.
Man nennt sie neu; hast du wohl schon von ihr gehört?
Ich weiß es nicht. Sie also lehrt:
Das Tier ist nichts als 'ne Maschine,
die alles ohne Wahl tut, nur durch Federkraft,
nicht Seele noch Gefühl, alles ist körperhaft,
wie eine Uhr, die, ohne daß ihr diene
Plan und Bewußtsein, blind sich gleichen Schritts bewegt.
Öffne sie, schau, was drin sich regt.
Statt des Weltgeistes, sieh, wie Rad an Rad sich reiht;
das erste Rad bewegt das zweit',
dem folgt das dritte nach, bis endlich dann sie schlägt,
genau so ist das Tier; wie jene Leute sagen:
Von außen wird ein Teil bewegt,
dann wird der Stoß, der auf ihn schlägt,
von dem erregten Teil zum nächsten fortgetragen;
so wird von Teil zu Teil zuletzt der Sinn erregt,
zum Eindruck. Aber wie? wirst du nun fragen.
Nach jenen durch Notwendigkeit,
willenlos, ohne Leidenschaft.
Das Tier fühlt ganz unzweifelhaft Regungen,
die das Volk sonst Liebe, Lust, Freude, Traurigkeit,
grausame Schmerzenstriebe nennt, oder ähnlich andres noch.
Doch täusche man sich nicht: Es ist ganz anders doch!
Was ist es? Eine Uhr. Und wir? Doch sachte!
Nun höre, wie Descartes* zurecht sich alles machte –
Descartes der Sterbliche, der für die Heidenwelt
ein Gott gewesen wär! Die Mitte hält er zwischen
Mensch und Geist; so etwa hält noch heute
sich zwischen Tier und Mensch manch unsrer Leute.
Merk auf denn, also schließt der Weise von Beruf:
Vor allen Wesen, die der Herr der Welt erschuf,
ward mir des Denkens Kraft: Ich weiß es, daß ich denke.
*Descartes, (Descartes
René
-
frz. Philosoph 1596-1650)
Folg, Iris, mir, wenn auf Bekanntes ich dich lenke:
Läg' Denken in des Tieres Macht,
es hätt' doch nimmer nachgedacht
dem Gegenstand und dem Gedanken.
Descartes geht weiter noch, der zu behaupten wagt,
dem Tier sei Denken ganz versagt.
Du glaubst es auch, ohne zu schwanken, ich ebenfalls.
Und doch, wenn Hörnerklang im Wald
und das Gebell der Rüden schallt
und keine Ruhe gönnt der mattgehetzten Beute,
wenn dann umsonst das Wild gelockt
auf falsche Spur die Meute,
der alte Hirsch, dem schon der Atem stockt,
schiebt dann den jüngren vor, weiß ihn zu zwingen,
als Köder für die Hunde einzuspringen.
Wieviel Berechnung, wenn's des Lebens Rettung gilt!
Trug, Neckerei, Tausch mit dem andern Wild –
die hundert Kriegeslisten wären der größten Feldherrn
und 'nes bessern Loses wert.
Nach seinem Tod wird er verzehrt;
das sind dann seine höchsten Ehren.
Es sieht in Not, vom Tod bedroht,
das Rebhuhn seine Brut, die durch ihr neu Gefieder
zum Flug unfähig, fest gebannt ist an die Flur.
Da stellt's verwundert sich, es hängt den Flügel nieder
und lockt den Jäger und den Hund auf seine Spur;
so wendet's die Gefahr von seiner Brut. Schon freut
der Jäger sich und meint, es sei des Hundes Beut';
da rauscht es ihm davon, fliegt lustig auf und lacht
über den Menschen, der da große Augen macht.
Am Nordpol soll ein Land es geben,
wo noch ganz in Unwissenheit,
wie in der allerersten Zeit,
in Geisternacht die Menschen leben.
Die Tiere aber baun dort Dämme auf,
die von dem einen Ufer sich zum anderen erstrecken
und bändigen damit geschwollner Ströme Lauf
und der Verheerung grause Schrecken.
Fest steht der Bau und wankt auf seinem Grunde nicht;
auf eine Schicht von Holz folgt eine Mörtelschicht.
Ein jeder Biber schafft mit an dem Werk; die Alten
sind stets bemüht, zum Fleiß die Jungen anzuhalten,
die Meister lehren sie mit Streng' und mit Geschick.
Ja, Platos ganze Republik
müßt' als Lehrling nur erscheinen
dieses Amphibienstaats im kleinen.
Im Winter richten sie ihr Haus und gehen von dort
über die Teich' auf Brücken fort
kunstvollen Baus, leicht zu erklimmen.
Und unsresgleichen? – Angesichts
so großer Werke können wir doch nichts
als höchstens übers Wasser schwimmen.
Daß diese Biber nur geistlose Körper sei'n,
das glaub' ich nimmermehr, wie ich auch nie verhehlte.
Allein noch mehr: Mir fällt eine Geschichte ein,
die ein ruhmreicher Fürst erzählte.
Des Nordens Schützer ist mein Bürg'; ich habe sie
von einem Helden, den Victoria sich erwählte,
vor seinem Namen bebt die türk'sche Despotie;
ja, Polens König ist's – der König log noch nie.
Er sagt uns, daß an seinen Grenzen
unter gewissem Vieh ein ew'ger Krieg besteht;
das Blut, das stets von Ahn auf Kinder übergeht,
mag immer neu den Stoff ergänzen.
Die Tiere, sagt er, sind von Reinekes Geschlecht;
nie wird' ein Krieg so kunstgerecht
geführt von Menschen – was mich wundert -,
selbst nicht in unserem Jahrhundert.
Vorhut und Nachtrab, wie Spione, Hinterhalt,
Schildwachen und was noch als Brauch im Felde galt,
was die verwünschte Kunst erfind' und spekuliere –
Tochter des Styx und die Gebärerin
der Helden -, übt der kluge Sinn
und die Erfahrung dieser Tiere.
Den Kampf zu singen, müßt' vom Schattenreich
Homer erstehn. Ach, könnt' mit ihm zugleich
des großen Epikur Genoss' uns wiederkehren!
Was schlösse der aus meinen Fabelwesen dann?
Daß in den Tieren die Natur – würd' er uns lehren –
nur durch die Federkraft dies alles wirken kann;
daß nur 'ne körperliche Gabe Gedächtnis sei und daß,
zu leisten alles dies, worauf als Beispiel ich verwies,
das Tier nichts weiter nötig habe.
Kehrt wieder dann das Ding, auf gleiche Art
sucht's dann das Bild hervor, das es verwahrt
in seinem großen Vorratsschranke,
das gleichfalls wiederkehrt und ganz unzweifelhaft,
ohne daß tätig der Gedanke
mithelfe, gleiche Wirkung schafft.
Bei uns ist's anders: Willenskraft ist es,
was uns zum Handeln treibe,
kein Ding und kein Instinkt.
Ich spreche, schreibe, stets fühl' ich etwas,
das mich trieb; alles gehorcht an meinem Leibe
diesem bewußten Urprinzip.
Nicht Körper ist's: Mehr als ihm lieb,
folgt oft der Körper ihm, dem Hüter
und unsrer Regungen alloberstem Gebieter.
Doch wie der Körper es versteht?
Das ist der Punkt. Das Werkzeug, seht,
gehorcht der Hand. Allein, wer lenkt die Hände?
Wer lenkt der Sterne Lauf ohn' Ende?
Vielleicht ein Engel, der in den Weltkörpern schwebt?
Es wohnt ein Geist in uns, der unsre Kraft belebt.
Die Wirkung fühl' ich; doch die Ursach' zu erkennen,
vermag nur, wer im Schoß der Gottheit sie geschaut.
Und soll ich ehrlich sein, behaupt' ich ernst und laut:
Descartes wußt' sie auch nicht zu nennen.
Hierin sind er und wir ganz in demselben Fall.
Doch, Iris, was ich weiß, ist: In den Tieren all',
die ich anführte als Exempel,
wirkt nie der Geist; der Mensch nur ist sein Tempel.
Gleichwohl hat unleugbar das Tier ein Element,
das an der Pflanze man nicht kennt;
dennoch hat auch die Pflanze Leben.
Doch welche Antwort wird auf folgendes man geben?
Zwei Ratten suchten Fraß, da fanden sie ein Ei.
Für solches Volk mag das als Mahlzeit wohl genügen;
es ist nicht nötig, daß es gleich ein Ochse sei.
Voll Eßlust und mit viel Vergnügen
gingen sie dran, ihr Ei zu teilen; da erschien
plötzlich ein schlauer Kerl, Reineke nennt man ihn.
Den beiden mocht' die Lust wohl schwinden.
Es mit vereinter Kraft fortschleppen, es mit Hast –
wie rettet man das Ei? – einpacken und als Last
wegziehen oder rollen, das war fast unmöglich,
die Gefahr auch schwer zu überwinden.
Doch Not lehrt beten und erfinden;
das Paar hat was von ihr gelernt:
Da der Schmarotzer noch ein gutes Stück entfernt
und ihre Wohnung nah war, legt die eine für die ganze
Strecke sich rücklings hin, nimmt fest auf ihren Bauch
das Ei; trotz ein'ger Stöß' an Wurzel, Stein und Strauch
zieht fort die andre sie am Schwanze.
Nun soll mir einer kommen, der beweist,
die Tiere hätten keinen Geist!
Ich würd' als Schöpfer ihnen schenken so viel,
als etwa man bei Kindern finden kann.
Denken die Kinder nicht von frühster Jugend an?
Ohne Selbstkenntnis kann man denken.
Um es an einem Beispiel hier zu zeigen,
würde ich dem Tier nicht grade die Vernunft,
ganz wie die unsre, geben,
indes doch etwas mehr als blinde Federkraft:
ein Stück Materie, so verflüchtigt, daß man's eben
kaum noch wahrnehmen kann, äther-atomenhaft,
des Lichtes Quintessenz, ein Etwas, das mehr Leben
als Feuer habe und beweglicher noch sei.
Durch Holz erzeugt, ist nicht die Flamme,
sich nährend von dem Stoff im Stamme
ein Bild der Seele? Sehn wir nicht das Gold aus Blei
hervorgehn? Mein Geschöpf würde ich so einrichten,
daß es empfinden könnt' und schließen – mitnichten
mehr – das Schließen auch nur mangelhaft;
dem Affen bliebe stets versagt des Denkens Kraft.
Uns Menschen würd' ein Los ich geben,
ein vielfach besseres; ich stattete von Haus
gleich mit zweifachem Schutz uns aus:
mit einer Seele erst, wie die, mit der wir alle leben,
klug, weise, dumm, an Torheit reich,
des Weltalls Bürger und darin den Tieren gleich;
mit einer andern Seele dann, die sollt' uns nahebringen
den Engeln in gewissem Sinn;
zu den himmlischen Scharen hin
müßt' diese Seele hoch sich durch die Lüfte schwingen;
sie käm' uns später erst, nicht gleich von Anbeginn,
doch ew'ge Dauer wär' ihr sicherer Gewinn.
Ich mein' es ernst, mag's sonderbar auch klingen.
Solange wir in der Kindheit sind,
lebte und leuchtete in uns dies Himmelskind
mit zartem nur und schwachem Scheine.
Wir wachsen; mehr und mehr über den Stoff gewinnt
den Sieg die Seele, diese feine,
bis endlich ganz vor ihr zerrinnt
die andre, grobe und gemeine.
Fab.2
Der Mensch und die
Natter
Ein Mensch bekam einst eine Natter zu Gesichte
»Wart«, rief er, »Nichtswürdige! Ich verrichte
sogleich ein nützlich Werk an dir!«
Nun ward das arge Tier
(ich spreche von der Schlange
und nicht vom Menschen; leicht könnt' man es mißverstehn!)
die Schlange ward gefaßt – es war gar bald geschehn -,
in einen Sack gesteckt und dann – es währt' nicht lange –
dem Tod geweiht, ganz gleich, ob schuldig oder nicht.
Indes, da grundlos nie der Mensch ein Urteil spricht,
doch richtet er an sie die Worte:
»Du bist des Undanks Bild! Wer je Nichtswürd'gen wohlgetan,
der ist ein Tor. Drum stirb! Dein Grimm soll und dein Zahn
mir nimmer Schaden tun.« Die Schlang' an ihrem Orte
sagt ihm, so gut es geht: »Sollten verurteilt sein
in aller Welt die Undankbaren,
wem, frag' ich, könnte man verzeihn?
Dich selber klagst du an, dein eigenes Gebaren,
und deine Lehren sind mir Zeugen; blick um dich.
Mein Leben liegt in deinen Händen; nach Vergnügen,
nach Laun' und Vorteil magst du über mich verfügen;
nach diesem Recht verdamme mich!
Doch laß mich, eh' ich sterbe, wagen,
in allem Freimut dir zu sagen:
Des Undanks Bild, die Schlang' ist's nimmermehr
es ist der Mensch.« Diese Worte, sehr gewichtig
gesprochen, ließen ihn erst schweigen, doch nachher
spricht er: »Was du da sagst, ist eitel, falsch und nichtig.
Mein ist das Recht, und die Entscheidung steht mir frei;
doch fragen andre wir.« Die Schlange ist's zufrieden.
Sie rufen eine Kuh in ihrer Näh', die kommt herbei,
man trägt's ihr vor. »Die Sach' ist leicht entschieden,
wozu braucht ihr mein Urteil?« sagt die Kuh.
»Die Natter hat ganz recht. Was heuchelst du?
Ernähre ich dich nicht? Seit Jahren ist vergangen
kein Tag, an dem du nichts von mir empfangen.
Alles ist dein, die Milch und die Nachkommenschaft;
ich bin der Grund, daß deine Wirtschaft blüht;
wenn du vor Alter schwach und krank, geb neue Kraft
ich wieder dir; und ich bin stets bemüht
zu tun, was not dir tut und dir gefällt.
Nun bin ich alt; im Stall ohn' alles Futter stellst
mich hin. Ließest du mich nur noch zum Weidegange!
Doch bindest du mich an. Wäre mein Herr die Schlange,
könnt' wohl im Undank die, so frag' ich alle Welt,
noch weiter gehen? – Ich sprach so, wie ich dachte.«
Der Mensch, den dieser Spruch betroffen machte,
sagt zu der Schlange: »Diese schwatzt uns Unsinn vor!
Sie ist 'ne Nörglerin, die den Verstand verlor.
Fragen den Ochsen wir.«- Sie zogen
den Ochsen jetzt zu Rat. Langsamen Schrittes einher
kommt der und da er hin und her erwogen
den Fall, meint er: Der Jahre Joch trüg' er
für uns allein, die Last der Arbeit, drückend schwer,
den Kreis durchlaufend der Beschwerden,
durch welche uns geschenkt des Ackers Gaben werden,
den Tieren aber nur verkauft um hohen Preis.
Und dann als einzigen Beweis
des Danks für alles dies von allen, wie wir wären,
viel Schläg' und wenig Heu. Im Alter höhn'
der Mensch ihn gar und meint, besonders ihn zu ehren,
wenn er mit seinem Blut der Götter Zorn versöhn'.
So sprach der Ochs', »Mag er doch schweigen«,
erwidert drauf der Mensch, »der Langweiler, er kann
nur Worte machen, sich als großen Redner zeigen!
Anstatt zu richten, klagt er an!
Auch ihn weis' ich zurück.« Nun ward der Baum von ihnen
befragt; der sagt: Als Schutz müss' er uns dienen,
er sei's, der Sonne, Sturm und Regen uns abhält.
Für uns allein schmück' er den Garten und das Feld;
nicht Schatten geb' er nur, fast breche seine Krone
unter der Früchte Last. Für alles dies zum Lohne
werde er gefällt. Dies sei der Dank, der ihm beschert
für das, was er im Jahr uns spend' an reicher Gabe:
Blüten im Lenz, im Herbst der Früchte süße Labe,
im Sommer Schatten, Holz im Winter für den Herd.
Warum könnt' man ihn nicht ohne die Axt beschneiden?
Bei seiner Lebenskraft wär' lang er noch gediehn.
Der Mensch sieht mit Verdruß, daß alles gegen ihn;
er will durchaus, für ihn soll sich der Streit entscheiden.
»Ich bin sehr gut«, sagt er, »zu hören auf dieses Pack!«
Dann schlug er an die Wand das Tier im Sack,
so daß die Schlange mußt' verrecken.
So ist es bei den Großen auch:
Gründe verletzen sie, da in dem Wahn sie stecken,
Menschen und Tiere, alles sei für sie nur zum Gebrauch.
Was tun, um da als Kluger sich zu zeigen?
Von weitem reden oder schweigen.
Fab.3
Die
Schildkröte und die beiden Enten
Die Schildkröte, die etwas schwer war von Verstande,
ward, ihrer Wohnung satt, von Reiselust erfaßt,
leicht macht zu viel man her vom fremden Lande,
leicht wird dem Hinkenden der Heimatort verhaßt.
Zwei Enten, welche zu Vertrauten
die Frau Gevatterin gemacht,
ließen manch freundlich Wort verlauten:
»Hast du den weiten Weg bedacht?
Willst nach Amerika nicht mit uns fliegen
und manche Republik zu sehen kriegen,
manch Königreich? Und Nutzen bringt dir's auch,
wenn du erfährst der Fremde Sitt' und Brauch.
Ulyß macht's ebenso.« Wohl wundert's den und jenen,
hier den Ulysses zu erwähnen hören.
Gern geht die Schildkröt' darauf ein; nicht faul,
ersinnt das Vogelpaar 'nen Plan vor allen Dingen,
die Pilgerin vom Fleck zu bringen:
Sie legen einen Stab ihr quer durchs Maul.
»Halt fest«, sagen sie ihr, »und hüt' dich loszulassen!«
An jedem Ende faßt den Stab 'ne Ente dann.
Wie nun die Schildkröt' fliegt, weiß man
sich vor Erstaunen kaum zu fassen.
»Schaut dort!« rief man, »die Königin vom Volke
der Schildkröten«, sie schwebt in jener Wolke!
»Die Königin! Jawohl, ich bin's, schaut mich nur an
und spottet meiner nicht!« Sie hätt' viel besser dran getan,
zu schweigen und zu achten gut auf alles.
Wie sie das Maul auftut, läßt fahren sie den Stab;
sie fällt, und mausetot stürzt sie zur Erde ab.
Geschwätz'ge Eitelkeit war Ursach' ihres Falles.
Geschwätzigkeit und Eitelkeit
und dumme Neugier und dergleichen Torheit
sind alle nah verwandt zusammen,
da sie von gleichen Ahnen stammen.
Fab.4
Die Fische und der
Seerabe
Es gab wohl keinen Teich ringsum im ganzen Kreise,
den der Seerabe nicht besteuert' bis aufs Blut:
Die Weiher zahlten ihm reichen Tribut.
Sein Tisch war gut bestellt. Doch als zum Greise
das arme Tier geworden, da ist jetzt
derselbe Tisch oft schlecht besetzt.
Seeraben sorgen selbst für ihre Lieferungen;
der unsre, dessen Aug' vor Alter stumpf und matt
und der nicht Garn und Netze hat,
war oft vom Hunger fast bezwungen.
Was tun? Die Not, der schon so manche List gelungen,
lehrt eine ihn. Er sieht an Teiches Rand, nicht weit,
'nen Krebs; den denkt er zu erwerben.
»Gevatter«, sagt er ihm, »geh, mach dich schnell bereit,
bring eine wicht'ge Neuigkeit
dem Volk dort unten. Es muß sterben!
Heut in acht Tagen fischt der Herr im ganzen Teich.«
Der Krebs beeilt sich alsogleich
und meldet's. Groß ist die Bewegung:
Versammlung, heftige Erregung.
Hin schickt man: »Herr Seerabe,
ist es den wahr? Wer hat die Meldung Euch getan?
Stehn wirklich gar so schlimm die Sachen?
Wißt ihr ein Mittel? Sagt, wie solln wir's machen?«
»Auswandern!« spricht er. »Doch wie fangen wir es an?«
»Ich trag' in mein Asyl euch alle, Mann für Mann,
drum macht euch weiter keine Sorgen;
der Weg dorthin ist mir allein bekannt,
es gibt kein Plätzchen so verborgen.
Ein Weiher, den Natur dort grub mit eigner Hand,
den keines Menschen Tücke fand,
dorthin mag euer Staat auswandern.«
Man glaubt's, und einen nach dem andern
des Wasservölckchens trug er fort
nach seinem stillen Felsenort.
Der saubre Heil'ge holt' von denen,
die er in einen Raum gedrängt,
der hell und flach und höchst beengt,
mühlos sich heute den zum Mahl und morgen jenen.
Er zeigte ihnen, daß man nie
vertraun darf einem, der ein Schinder und Erpresser;
und schweres Lehrgeld zahlten sie.
Ihr Schaden war nicht groß: Des Menschen Messer
hätt' ihnen ebenfalls schon bald den Tod gebracht.
Wer dich verschlingt, Mensch oder Wölfe, jeder Fresser
scheint mir ganz gleich in dem Betracht;
und ob es gestern oder heut geschieht, das macht
die ganze Sache auch nicht besser.
Fab.5
Der Mann,
der seinen Schatz vergräbt, und sein Gevatter
Ein Knauser hatte so viel angehäuft,
daß es zu bergen ihn gar sehr beschwerte.
Der Geiz, der Dummheit Bruder und Gefährte,
macht, daß in Sorg' umher er läuft,
wen zum Verwalter soll er wählen;
denn einen wollt' er. Dies der Grund, welcher ihn trieb:
»Verlockend ist's; das Geld wird sich – es kann nicht fehlen
–
vermindern, wenn's im Hause blieb';
am Ende würd' ich selbst an meinem Gut zum Dieb!«
»Zum Dieb? Genießen, heißt denn das sich selbst bestehlen?
Mein Freund, du tust mir leid, so grundlos dich zu quälen!
Merk dir's ich sag' es dir zulieb:
Geld ist nur gut, weiß man es auszugeben;
sonst ist's ein Übel. Sprich, hättest du etwa Lust,
es unnütz für die Zeit des Alters aufzuheben?
Die Mühe des Erwerbs, die Sorg' um den Verlust
sie machen's wertlos, sinnlos für das Leben.«
Von solcher Sorgen Qual bedroht,
tat unsrem Freunde nichts als sichre Leute not.
Er aber zieht die Erde vor, nimmt den Gevatter eben
zu Hilf', und beide gehen und graben ein den Schatz.
Nach ein'ger Zeit sucht er sein Geld an jenem Platz;
er findet nur die leere Stätte.
Mit Recht mutmaßt er, daß es der Gevatter hätte.
Er ruft ihn: »Komm; ich hab' als letzten Bodenschatz
noch ein'ge Heller, die will ich zum andern legen.«
Sogleich eilt jener, das gestohlene Vermögen
zurückzubringen, denn dann fällt,
so meint er, später doch ihm zu das ganze Geld.
Nun aber, zur Vernunft gekommen,
behält der andere nun sein Geld, um sich daran zu freun;
er scharrt und gräbt es nimmer ein.
Doch aus den Wolken fiel der Dieb, der wahrgenommen,
welch Schaden er sich zugefügt.
Leicht zu betrügen ist, wer selbst betrügt.
Fab.6
Der Wolf und die Hirten
Ein Wolf, erfüllt von Menschlichkeit, -
wenn solche Wölfe sind zu denken, -
begann, ob seiner Grausamkeit,
die er gezwungen übt, nur aus Notwendigkeit,
sich in Nachsinnen zu versenken.
»Ich bin«, spricht er, »gehaßt. Von wem? Von jedermann.
Den Wolf sieht überall als Feind man an:
Hund, Jäger, Bauer stehn vereint, ihn zu verderben.
Jupiter droben ist betäubt ob ihres Wutgeschreis;
in England zwang man drum uns Wölfe auszusterben,
man setzt' auf unsern Kopf 'nen Preis.
Kein Junker dort, der nicht alltäglich
durch Aufruf fordert unsern Tod;
kein kleiner Fratz, dem, wenn er kläglich
zu schreien wagt, nicht mit dem Wolf die Mutter droht.
Und alles dies, weil ich einmal ein räud'ges Schaf,
'nen faulen Esel und 'nen Köter stahl.
Dann freß ich eben nur noch leblos Laub und Gräser, brav
verhungernd. Ist das nicht die beßre Sache,
als daß ich mich verhaßt bei allen mache?«
Bei diesen Worten sieht er Hirten, die ein Lamm
verzehren, das am Spieß gebraten.
»Ho?« rief er. »Meine Missetaten
am Lamm werf' ich mir vor, und seiner Hüter Schar,
die Hunde auch, essen sie selber gar!
Ich sollt' mir ein Gewissen machen?
Bei Gott, das wäre doch zum Lachen!
Das nächste Lämmchen pack' ich an –
ich brauch's nicht an den Spieß zu stecken -,
und auch die Mutter soll mir schmecken;
zuletzt kommt noch der Vater dran!«
Der Wolf hat recht. Wenn man uns kann beweisen,
daß all die Tiere wir verspeisen,
wie können wir vom Tier verlangen, daß es speist
wie im Zeitalter, das man das Goldne preist?
Soll's nichts für sie zu beißen geben?
Der Wolf hat Unrecht – daß ihr's wißt -,
nur weil er nicht der Stärkre ist.
Sollt' er vielleicht als Klausner leben?
Fab.7
Die Spinne und die
Schwalbe
»Jupiter, der du weise, wie von je du warst,
geheimnisvoll aus deinem Hirn gebarst Pallas,
die einst mir grollte – woll' im Leben einmal
Gehör nur meiner Klage geben!
Prokne nimmt mir all meine Bissen weg;
in Lüften kreisend und an Bächleins Steg
schnappt Fliegen sie, die ich schon fast gewonnen.
Stets wär' gefüllt mein Netz – du siehst es dort -,
wär' der verwünschte Vogel nicht am Ort;
aus festen Stoffen hab' ich es gesponnen.«
So keck, da sie im Recht sich deucht,
beklagt Arachne* sich, einst Meisterin im Weben,
die jetzt, als Spinnerin nur eben, meint',
ihr gehöre was da fleucht und kreucht.
Auf Beute lauernd, schnappt die Schwester Philomelens
dem kleinen Tier zum Trotz die Fliegen nach wie vor
für sich und ihre Brut, die, nimmer satt des Quälens,
mit Kinderstimmen, doch mit lautem Toben
nach Nahrung schreit. Hört, was der Spinne widerfuhr:
Nichts hat die arme Kreatur als Füß' und Kopf –
nutzloses Rüstzeug nur! Da fühlt sie sich emporgehoben:
Die Schwalb' entführt das Netz, das arme Ding
mit ihm, das unten ganz am Ende hing.
Zwei Tische deckte Jupiter für alle: Dem Gescheiten,
dem Starken, Wachsamen hat er den Platz gewährt
am ersten Tische; doch der Kleine nährt
von den Brosamen sich am zweiten.
*Arachne,
ist eine Gestalt der griechischen Mythologie.
Die begabte, aber hochmütige Weberin wurde von Athene zu
einem
Wettstreit auf dem Gebiet der Webkunst herausgefordert, den
sie mit
Bravour meisterte. Dies erzürnte die Olympierin derart, dass
sie ihre
sterbliche Konkurrentin schließlich in eine Webspinne
verwandelte.
Fab.8
Das Rebhuhn und die
Hähne
Bei lauter Hähnen, die von wenig Lebensart,
unbändig, roh, zanksüchtig, ward
ein Rebhuhnweibchen mitgehalten.
Die Gastfreundschaft und ihr Geschlecht
gab ihr die Hoffnung, bei den Hähnen, die so recht
verliebt, herrsch' Anstand auch, fein ritterlich und echt:
Sie würden ihrer Pflicht als Wirte freundlich walten.
Doch nein; sie sah dies Volk oft grimme Wut entfalten,
das wenig Rücksicht nur der fremden Dam' erwies
und mit den Schnäbeln sie oft hieb und stieß.
Erst grämte sie sich ob der Schande;
allein sobald sie sah, daß diese wilde Bande
untereinander sich zerfleischt, zerhackt – und wie! -,
tröstet sie sich und spricht: »Es ist so ihre Art;
anklagen nicht, vielmehr beklagen will ich sie.
Nicht gleich von Jupiter gebildet ward
ein jeder Körper oder Geist,
was an der Rebhuhn und der Hahnenseele sich erweist.
Wenn es von mir allein abhinge, würd' ich eben
in besserer Gesellschaft leben.
Der Herr des Hühnerhofes will, es sollte anders sein:
Er fing im Garn mich, sperrt' inmitten
der Hähne mich und hat die Flügel mir beschnitten;
wen ich anklagen muß – es ist der Mensch allein.«
Fab.9
Der Hund mit
den gestutzten Ohren
»Was tat ich, um vom eignen Herrn
also verstümmelt mich zu sehen?
Ein schöner Zustand! Wird noch gern
einer der andern Hund' in Zukunft mit mir gehen?
Ihr Herrn der Tiere, nein, Quäler voll Tyrannei,
wer läßt euch Gleiches wohl erleiden?«
Muffel die Dogge, klagte so. Man war dabei,
herzlos und ungerührt von ihrem Schmerzensschrei,
ihr ohn' Erbarmen just die Ohren zu beschneiden.
Muffel bejammert' den Verlust; doch merkt sie bald, er sei
Gewinn noch gar für sie: Geschaffen, ihresgleichen
zu packen, wäre nach mißlungnen Streichen
sie heimgekehrt, wenn man
von jenem Körperteil ein Stückchen wohl verloren;
ein biss'ger Köter hat ja stets zerrißne Ohren.
Ein Glück, je weniger der Feind uns nehmen kann.
Wenn's zu verteid'gen gilt nur eine Stelle,
dann werden wir dies tun auf alle Fälle.
Muffel bezeugt uns das: Als Wehr hat sie ein Halsband bloß,
vom Ohr 'nen Rest, nicht ganz wie mein Handteller groß.
Der Wolf wüßt' nimmer, wo sie fassen.
Fab.10
Der Schäfer und der
König
Von zwei Dämonen ist besessen unser Leben,
und wo sie herrschen, ist Vernunft weit fortgebannt;
ich weiß kein Herz, das nicht den beiden hingegeben.
Und wie sie heißen? Nun, sie sind euch wohlbekannt:
Die Liebe wird der eine, Ehrgeiz der andere genannt.
Des letzteren Reich ist weit: Ihm frönen alle Seelen,
selbst Liebe ist von ihm bedroht.
Gar leicht bewies' ich's, doch mein Zweck ist zu erzählen,
wie einen Schäfer einst ein Fürst zu Hof entbot.
Es ist 'ne alte Mär' und nicht aus unsern Tagen.
Der König sah im Feld der Herden üpp'ge Schar,
gut grasend, wohlgenährt, und die in jedem Jahr,
dank ihres Schäfers Müh, großen Gewinn getragen.
Der Hirt gefiel ihm, der so zuverlässig war.
»Ein guter Seelenhirt«, spricht er, »wärst du wohl gar.
Die Schafe laß, du sollst es wagen,
Menschen zu hüten nun: Zum höchsten Richter sei ernannt.«
Bald saß der Schäfer da, die Waage in der Hand.
Zwar hat von Menschen nur 'nen Klausner er gesehen,
nur Schafe, Hund und Wolf sind ihm bekannt;
Doch hatt' gesunden Sinn er, und so mocht's schon gehen,
kurz, er bracht' alles wohl zustand.
Der Nachbar Klausner kommt: »Sag, Freund, mir, ob ich wache!
Und was ich sehe, ist das nicht ein Traumgesicht?
Du Günstling? Du jetzt groß? Ach, trau den Kön'gen nicht!
Schwankend in ihrer Gunst! Das Schlimmste bei der Sache:
Sie trügt und kostet viel. Du gehst auf falscher Spur;
auf solche Täuschung folgt ein großes Elend nur.
Du kennst den Reiz nicht, der dich bannt in diese Kreise;
ich rat' als Freund dir: Sieh dich vor!«
Der andre lacht; doch unser Klausner: »Gib nur acht,
dann siehst du ein: Schon jetzt macht dich der Hof unweise.
Dem Blinden gleichst du auf der Reise,
der eine frosterstarrte Schlange fand,
sie für 'ne Peitsche hielt und aufhob mit der Hand;
die eigne Peitsche fiel ihm fort, sie war verschwunden.
Wie er dem Himmel dankt, daß er Ersatz gefunden,
ruft ihm ein Wandrer zu: »O Gott! Was habt ihr dort?
Schnell, werft das arge Tier, die tück'sche Schlange fort!«
»Es ist 'ne Peitsche.« - »Nein, sag' ich, es ist 'ne
Schlange.
Ich weiß nicht, wozu quäl' ich mich mit Euch noch lange?
Wünscht zu behalten Ihr den Schatz?« - »Warum den nicht?
Ich hab' 'ne gute Peitsch'; es spricht
nur Neid aus Euch, das merk' ich eben!«
Der Blinde hat es nicht geglaubt
und büßt das bald mit seinem Leben:
Das aufgetaute Untier hat es ihm geraubt.
Dir wird, glaub mir, du wirst es sehen,
dir wird viel Schlimmeres als jenen noch geschehen!«
»Was? Schlimmeres als der Tod wäre mir aufgespart?«
»Ja, Reu' und Ekel«, sagt der Klausner. Und wie mächtig
zeigt die Weissagung sich! Durch Schliche aller Art
macht mancher Schurk' am Hof den Richter rein und zart
und sein Verdienst dem König bald verdächtig.
Man schmäht ihn, man besticht Ankläger, niederträchtig
Gesindel, das sein scharfer Richterspruch gefaßt.
»Von unsrem Gelde«, heißt's, »baut er sich 'nen Palast!«
Die reichen Schätze will der König selbst ergründen.
Er sieht nur überall Bedürfnislosigkeit,
den Preis der Armut uns das Lob der Einsamkeit;
das war die Pracht, die hier zu finden.
»Sein Schatz«, rief man, »besteht nicht in Gold und
Edelstein;
er hat 'nen Koffer voll, groß und zehnfach verschlossen!«
Er zeigt' den Koffer vor; verlegen schauten drein
des Truges schurkische Genossen.
Den Koffer öffnet' man; was war die ganze Pracht?
Nur Lumpen, eine Schäfertracht,
ein kleiner Hut, Rock, Stab, 'ne Tasche für das Essen,
den Dudelsack nicht zu vergessen.
»Mein Schatz, du teures Pfand des Glücks, das ich genoß«,
rief er, »du wecktest niemals Lüge, Haß und Rache!
Komm wieder her; ich geh' aus diesem reichen Schloß,
wie ich aus einem Traum erwache.
Den Ausruf, Herr verzeiht! Schon meines Falls bewußt
war ich, als mir erstrahlt' all dieses Glanzes Schimmer.
Hochmut kommt vor dem Fall; allein, wem schwellte nimmer
ein Körnchen Ehrgeiz wohl die Brust?«
Fab.11
Die Fische
und der flötende Schäfer
Tircis, der einzig für Annette
ertönen ließ der Stimme Sang
und seine Flöte – Tote hätte
ergriffen selbst ihr süßer Klang -,
sang einst den klaren Bach entlang,
der bunte Wiesen netzte,
an deren Blütenduft der Zephyr sich ergötzte.
Indessen sitzt Annett' und angelt; aber ach!
Kein Fischlein läßt sich sehn im Bach;
der Schäferin will's heut nicht glücken.
Der Schäfer, dessen Lied wohl schon
so manche Spröde mocht' entzücken,
wähnt, auch die Fische lock' herbei der Ton.
Er singt sie also an: »Bewohner der Gewässer,
laßt eure Nymphe doch in feuchter Grotte. Besser,
tausendmal schöner lockt euch hier ein reizend Bild.
Die Holde fesselt zart; grausam erscheinen
kann sie nur gegen unsereinen,
euch hegt sie zärtlich, sanft und mild.
Es geht ja nicht an euer Leben;
ein Weiher nimmt euch auf, klar wie Kristall und rein.
Und sollt' der Köder euch vielleicht bedenklich sein:
Tod von Annettens Hand, kann es was Schönres geben?«
Seine Beredsamkeit wirkt wenig nur: Die Schar
der Hörer zeigt sich taub, wie stumm von je sie war.
Tircis predigt umsonst; die Worte, süß und linde,
verhallen als ein Raub der Winde.
Er legt ein Netz, und gleich kann er's der Maid
mit Fischen prall gefüllt zu Füßen legen.
O Könige, die ihr doch Menschenhirten seid!
Durch Überredung wähnt, durch Gründe ihr den Geist
der stumpfen Menge anzureden?
Auf diese Art, glaubt mir, erreicht man nicht sehr viel;
versucht es nur auf andern Wegen.
Werft eure Netze aus; die Macht führt euch zum Ziel.
Fab.12
Die
zwei Papageien, der König und sein Sohn
Zwei Papageien, Vater war's und Sohn,
die an des Königs Tisch ihr Futter fanden –
bei Sohn und Vater, zwei Halbgöttern, standen
in Gunst die beiden Vögel nach dem Thron.
Das Alter hält mit wahrer Freundschaft Banden
umschlungen sie: Die Väter liebten sich;
die Kinder auch, obwohl leichtsinnig, schlossen
sich beide aneinander fest und brüderlich,
der Schule wie des Mahls Genossen.
Das war viel Ehre für den jungen Papagei;
ein Prinz war jenes Kind, sein Vater war ein König,
und gut geartet von Natur, hatt' er nicht wenig
die Vögel lieb. Ein Spatz, leichtfertig, keck und frei
und der verliebteste in sämtlichen Provinzen,
erfreute gleichfalls sich der Gunst des jungen Prinzen.
Dies Nebenbuhlerpaar spielt' einstmals und geriet,
wie's jungen Leuten wohl geschieht, dabei in Streit.
Es ward zerschlagen, zerhackt der unvorsicht'ge Spatz
so arg, daß er halbtot vom Platz und flügellahm
ward fortgetragen; man meint', daß er unheilbar sei.
Der Prinz erschlug den Papagei
im Zorn. Der Alte hat es bald vernommen.
Er weint' und schrie, doch nichts mehr frommen
konnt' es, umsonst war all sein Weh und Ach;
der sprachbegabte Vogel lag im Sarge.
Der Vogel, der jetzt nicht mehr sprach,
versetzte nun in Wut den Vater, in ganz arge:
Des Prinzen Augen hackt er aus mit mächt'gen Hieb.
Sogleich flieht er und birgt unter dem Wipfeldach
von einer Tanne sich; dort, in der Götter Schoß,
sitzt er an sichrem Ort und freut sich seiner Rache.
Der König eilt herbei und lockt ihn: »Kehr zu mir zurück!
Was hilft uns noch das Weinen hier?
Haß, Rache, Trauer – laß all das uns jetzt vergessen.
Wie groß auch ist mein Schmerz, ich sage dir:
Die Schuld ist unser, wohl ermessen hab ich's,
sie trägt mein Sohn in seines Zornes Wahn.
Mein Sohn? Ach nein, das Schicksal hat's getan.
Eins unsrer Kinder sollt', so stand's im Buch der Parze,
sterben, das andere erblinden; sieh, das schwarze
Verhängnis mußt' uns also nahn.
Kehr wieder heim, laß uns einander Trost zusprechen!«
Der Vogel: »Meinst du wirklich, Mann,
daß nach so blutigem Verbrechen
ich dir mich anvertrauen kann?
Dem Schicksal gibst du Schuld, denkst du daran,
mit Lockungen mein Mißtrauen abzuschwächen?
Mag die Vorsehung nun, mag blinde Schicksalsmacht
die Ordnung dieser Welt besorgen,
fest steht's: Auf dieses Baums unnahbar hoher Wacht
oder in tiefem Wald geborgen,
bring' meine Tag' ich hin; fern sei von dir verbannt,
was stets mit Recht ein Gegenstand
des Hasses und der Wut dir wär'. Ich weiß, die Rache
gehört den Kön'gen, da ihr nun mal Götter seid.
Vergessen wolltest du die Sache?
Ich glaub's, doch deinem Aug' und deinem Arme weit
entfernt zu bleiben, halt' ich für gescheit.
Mein Freund, du sprichst umsonst, drum laß es!
Rückkehr? Niemals! Die Trennung tut
das ihre schon: Sie ist zur Heilung wilden Hasses
wie gegen Liebe als ein Pflaster gut.«
Fab.13
Die Löwin und die Bärin
Der Löwenmutter raubt' ihr Junges man –
ein Jäger tat's -, da hub die arme Gramverzehrte
so fürchterlich zu brüllen an,
daß sich der ganze Wald empört beschwerte.
Die stille Nacht, die Dunkelheit
und alle Wonnen, die ihr eigen –
des Waldes Königin brachten sie nicht zum Schweigen;
es floh der süße Schlaf die Tiere weit und breit.
Die Bärin sprach: »Willst du gestatten
ein Wort nur? All die Jungen, die
dein Zahn zerriß, ob nicht auch sie
noch Vater oder Mutter hatten?«
»Die hatten sie.« - »Nun, wenn wir,
als uns Kinder starben, nicht gleich mußten unterliegen
und wenn so viele Mütter schwiegen,
warum schweigst du nicht ebenfalls?«
»Ich schweigen? Noch kann ich's nicht fassen!
Weh mir! Mein Kind ist hin! Nun harrt ein Alter mein,
gar traurig, einsam und verlassen!«
»Wer zwingt dich denn? Muß es durchaus so sein?«
»Mich haßt das Schicksal!« - »Ach, das hört man sagen
von jedem jederzeit und auch an jedem Ort.«
Wie arm und elend ihr euch fühlt, euch gilt dies Wort.
Wie grundlos hört' ich oft und frevelhaft euch klagen!
Wer sich vom Himmel glaubt gehaßt, in seiner Pein
denk er an Hekuba!*
Dankbar wird er den Göttern sein.
*Hekuba,
die Gattin des Priamus, König von Troja, erlebte nicht nur
den Fall
Trojas mit, sondern mußte mitansehen, wie ihr Mann und ihre
ganze Familie
umkamen.
Fab.14
Die beiden Glücksritter
und der Talisman
Es ist kein Blumenpfad, steil ist der Weg zum Ruhme.
Man sieht's am Herkules und seinen Werken;
kaum ist noch für seinesgleichen Raum
in Fabeln und in der Geschichte Heiligtume.
Doch weiß ich einen, den ins Märchenland
ein alter Talisman zur Jagd nach Glück gesandt.
Mit einem Freund macht' er die Reise;
an einem Pfosten fand 'nen Zettel unser Paar,
auf welchem dies zu lesen war:
»Herr Abenteurer, willst du sehn in wunderbarer Weise,
was kein Glücksritter noch jemals vor dir gesehn,
brauchst nur durch diesen Strom zu gehen;
den Elefanten dann nimm, den, aus Stein gehauen,
du wirst am Boden liegend schauen;
in einem Atem trag den Berg ich unverzagt
hinauf, des Riesenhaupt dort in den Himmel ragt.«
Dem einen fällt das Herz – wohin, will ich nicht sagen.
»Der Strom ist tief und reißend; wagen
wir's wirklich«, spricht er, »und wir kommen gar an Land,
wozu dann, frag ich, noch der schwere Elefant?
Was für ein lächerliches Beginnen?
Ein Kluger würde sich vielleicht nicht lang besinnen,
wenn um vier Schritte nur sich handelte der Spaß;
allein den Berg hinauf in einem Atem, das
vermag kein Sterblicher! Unmöglich ist's; es wäre
ein Däumling denn, ein Zwerg der Elefant, ein Kopf,
geschnitzt für einen Stock als Knopf.
Ist dies der Fall, wo bleibt des Abenteuers Ehre?
Ein Denkzettel wird es nur, für Narren eine Lehre,
ein Schelmenrätsel wird's, ein Kinderstückchen sein!
Du und dein Elefant, ich lass' euch drum allein.«
Der Schwätzer geht, es springt der andre in die Wellen,
geschlossnen Augs hat er's gewagt.
Nicht Tiefe, nicht des Stromes Schnellen
halten ihn auf; jenseits liegt, wie der Zettel sagt,
der Elefant am Strand. Als er ihn aufgenommen
und richtig mit der Last des Berges Höh' erklommen,
von wo er eine Ebene und eine Stadt erschaut.
Da gibt der Elefant von sich 'nen schrillen Laut;
bewaffnet strömen Volkeshaufen
herbei. Ein andrer wär' sogleich davongelaufen,
doch unser Ritter, kühn behauptet er das Feld,
und muß er fallen, will er sterben als ein Held.
Erstaunt hört er die Schar zum Herrscher ihn ausrufen,
da durch des Königs Tod der Thron erledigt wär';
er läßt sich bitten und ersteigt des Thrones Stufen,
obwohl – er sagt's – die Last er findet schwer.
So mocht' auch Sixtus bei der Papstwahl sich gebärden –
ist König oder Papst zu werden
denn ein so großes Ungemach?
Bald sah man, daß er doch nicht allzu ehrlich sprach.
Dem blinden Mann wird oft ein blindes Glück als Lohn im
Leben.
Der Weise wählt mit Recht manchmal die schnelle Tat,
eh' der Weisheit konnt' Bedenkzeit geben
und leistet gern Verzicht auf ihren Rat.
Fab.15
Die Kaninchen
Eine Betrachtung dem Herrn Herzog von La Rochefoucauld
gewidmet.
Oft hab' ich mir gesagt, sah ich das Tun und Schalten
des Menschen und wie sein Verhalten in tausend Fällen
dem der Tiere ganz entspricht: Der Herr der Schöpfung
hat weniger Mängel nicht als seine Sklaven. Jedem Wesen
gab die Natur ein auserlesen
Stückchen von jener Masse, aus der schöpft der Geist;
den Geist, der Körper ist, mein' ich, gewoben –
aus Stoff, wie euch das folgende beweist.
Zur Dämmerung – sei's, daß das Licht von oben
mit seinem letzten Strahl die feuchte Erd' erhellt,
sei's, daß die Sonne sich zu neuem Lauf erhoben
und zwischen Nacht und Tag noch schwebt die Welt –
erklimm' ich einen Baum am Waldesrand; dort sitze
ich wie ein junger Jupiter auf dem Olymp und blitze
auf ein Kaninchen, wenn sich just
mir schußgerecht eins vorgeschoben.
Gleich flieht das ganze Volk Kaninchen, das voll Lust
im Heidekraut, mit heitrem Toben,
mit offnem Aug' gespitztem Ohr,
mit Thymian ihr Mahl gewürzt noch kurz bevor.
Vom Knall verscheucht, sucht wie besessen
die ganze Schar im ersten Schreck
ihr unterirdisches Versteck.
Ist die Gefahr vorbei, ist auch die Furcht vergessen,
und das Kaninchenvolk kommt zu des Mahls Genuß,
noch heitrer als zuvor, mir wieder vor den Schuß.
Ob an der Menschen Tun uns dies nicht mahnen muß?
Von des Sturms Gewalt verschlagen,
kaum genaht dem sichern Port,
sieht man neuen Sturm sofort,
neuen Schiffbruch man sie wagen.
Als Kaninchen zeigen dann
sie sich in Fortunas Händen.
Zu einem andern Fall will ich sogleich mich wenden.
Wenn eine Hundeschar in einem Dorf ich find',
wo diese Hunde nicht zuhause sind –
welch ein Geheul und welch ein Gebelle!
Des Dorfes Hunde, auf der Stelle
von Futterneid erfaßt, mit scharfem Biß
verfolgen sie die Fremden bis
an des Gebietes letzte Grenze.
Der Neid auf Geld und Größ' und Ruhmeskränze
bewirkt, daß Fürsten oft und Schranzen, ja gewiß
auch Leut' aus jedem Stand sich ebenso betragen.
Wir alle fallen ohne Zagen
her über den, der uns als Nebenbuhler droht.
Dichtern und schönen Frauen will man's nachsagen,
und jungen Schriftstellern, o welche Not!
Nur möglichst wenige auf einen Bissen Brot,
das heißt Geschäft! Was hilft das Klagen?
Beweise sind es nicht, woran es mir gebricht;
allein je kürzer ein Gedicht,
je besser es gefällt. Daß dies wahr und recht ist,
weiß von den Meistern ich, und mancher Kritikus
lehrt, daß noch immer was zu denken bleiben muß;
und deshalb eil' ich jetzt zum Schluß.
Du, der du stets mir gabst, was immer gut und echt ist,
dessen Bescheidenheit nur deiner Größe gleicht,
der du errötest, wenn ein Lob dich je erreicht,
wär' auch dies Lob, das man verkündet,
noch so gerecht und wohlbegründet,
bei dem mit Mühe nur ich die Erlaubnis fand,
daß eine Huldigung ich deinem Namen weihe,
der Schutz mir gegen Zeit und vor Zensur verleihe –
ein Name, jederzeit und überall gekannt,
der Frankreich Ehre macht, dem es seit frühsten Tagen
an großen Namen nicht gebricht,
gestatte wenigstens mir, aller Welt zu sagen,
daß du den Gegenstand mir gabst für mein Gedicht.
Fab.16
Der Kaufmann, der
Edelmann, der Hirt und der Prinz
Vier, die einst übers Meer gezogen,
halbnackt entronnen jetzt den Stürmen und den Wogen,
ein Kaufmann und ein Prinz, ein Hirt, ein Edelmann,
bettelten, wie mit seinem Knaben
einst Belisar,* die Leute an
in ihrer Not um kleine Gaben.
Erst zu erzählen, wie es sich zusammenfand,
dies Doppelpaar, so weit getrennt nach Rang und Stand,
wär' viel zu lang an dieser Stelle.
Die Ärmsten saßen da, geschart um eine Quelle,
und hielten Rat. Der Prinz legt höchst ausführlich dar,
die Großen seien stets umgeben von Gefahr.
Der Hirt dagegen meint, man solle doch sein Denken
jetzt nicht auf das Vergangne lenken;
nach Kräften sei vielmehr ein jeder drauf bedacht,
wie man der Not ein Ende macht.
»Kann Klagen«, sagt er noch, »uns Rettung bringen?
Nein, nur durch Arbeit wird das Schwerste selbst gelingen.«
Ein Hirt, der also spricht! So spricht? Glaubt ihr, es sei'n
vom Himmel denn mit Geist nur die gekrönten Köpfe
und mit Verstand begabt allein
und alle Hirten, weil ihr Stand so arm und klein,
gleich ihren Schafen, dumme Tröpfe?
Der Rat des Hirten schien vortrefflich jetzt den drei'n,
die nach Amerika mit ihm wurden verschlagen.
»Ich«, meint' der Kaufmann, »kann's mit Rechnen wagen,
gar viel bringt monatlich der Unterricht mir ein.«
»Die Staatskunst könnte ich vortragen«,
sagt jetzt der Königssohn. Darauf der Edelmann:
»Mir ist Heraldik wohlbekannt, sie will ich lehren.«
Als ob in Indien auch nur einer dann und wann
dran denken würde, sich um diesen Kauderwelsch zu scheren!
Der Hirt sagt: »Wohl habt ihr gesprochen. Aber was!
Vier Wochen hat der Mond; wollt ihr bis dahin leben,
ohne zu essen? Könnt ihr das?
Die Hoffnung, die ihr mir gegeben,
ist schön, doch weit in Sicht. Mich hungert ganz fatal;
wer sorgt auf morgen denn für unser Mittagsmahl?
Noch mehr: Wer von euch leistet eben
uns heute nur Gewähr für unser Abendbrot?
Das tät' uns doch vor allem not!
Ich sehe euer Wissen all und Streben
reicht dafür nimmer aus; ich biet' euch meine Hand.«
Drauf ging der Hirt zum Wald und band
Besen von Reisig dort, die bringt er zum Verkauf. So lindert
für ein paar Tage er die Not, und so verhindert er,
daß die andern drei, vom Hunger übermannt,
zu üben ihr Talent, gingen ins Schattenland.
Dies Abenteuer lehrt mich denken,
zum Leben brauche man nicht viel Gelehrsamkeit,
und daß uns, dank Naturgeschenken
die Hand stets sichere und rasche Hilfe leiht.
*Belisar
war ein bedeutender Feldherr des Kaisers; nachdem er bei
seinem
Herrn in Ungnade gefallen war, geriet er in solche Not, daß
er auf den Straßen
betteln ging.
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