Fab.1
Der Löwe
Der Sultan Leopard besaß
durch Erbschaft, andern wohl zum Neide,
so manchen Hirsch im Wald, manch Schaf im Wiesengras
und manches Rind auf seiner Weide.
Ein Löwe kam zur Welt auf nahegelegner Heide.
Nachdem Begrüßungen gewechselt dort und hier,
wie's Brauch ist unter Potentaten,
berief der Sultan gleich den Fuchs, seinen Wesir,
'nen alten schlauen Diplomaten.
»Du fürchtest«, sagt er ihm, »den jungen Leu'n so sehr?
Sein Vater starb, was kann er machen?
Beklag die arme Waise mehr!
Er hat daheim manch schlimme Sachen
noch zu bestehn und schützt viel mehr
sein Eigentum, als daß er den Erobrer spiele.«
Kopfschüttelnd sagt der Fuchs: »Ich fühle
für solche Waisen großes Mitleid eben nicht!
Zum guten Freund ihn uns zu machen scheint mir Pflicht
oder sogleich ganz ohne Gnaden
ihn zu vernichten, eh' Gebiß und Krall'
ihm wachsen und er dann imstand ist, uns zu schaden.
Entschließ dich schnell in jedem Fall.
Sein Horoskop kenn' ich: Groß wird er werden;
durch Krieg; der beste Löwe wird er sein
für alle seine Freund' auf Erden.
Such seine Freundschaft drum; wenn nein,
such ihn zu schwächen.« Nicht hört' man die Worte.
Der Sultan schlief; von seines Schlosses Pforte
bis an die Grenzen , schlief ein jeder, bis zuletzt
das Löwenjunge sich zum Leu'n entwickelt hat. Jetzt
steht alles gegen ihn, es schallt von Ort zu Orte
der Lärm des Krieges. Den Wesir
fragt man um Rat; er spricht: »Warum reizt ihr
ihn? Nun ist es zu spät und Rettung ausgeschlossen!
Umsonst ruft jetzt herbei ihr tausend Bundsgenossen;
je mehr, je teurer! Nichts hilft euch der ganze Hauf,
er frißt euch nur die Hammel auf.
Versöhnt den Leu'n; er schafft beim blut'gen Werke
mehr als die Helferschar; die nur das Gut verzehrt.
Drei Helfer hat er, mehr als all die euren wert
und kostenlos, es sind: Mut, Wachsamkeit und Stärke.
Werft ihm rasch einen Hammel hin zum Schmaus;
verlangt er mehr – es sei euch nicht darum zu tun,
legt noch ein Rind dazu; doch, rat' ich, sucht ihm aus
das fetteste der ganzen Weide
und rettet so den Rest!« Doch es mißfiel der Rat,
er blieb erfolglos. Mancher Staat,
des Sultans Nachbar, kam zu Falle;
keiner gewann, verloren haben alle.
War auch fast alle Welt ihm feind,
der blieb der Meister, den sie fürchtend hassen.
Sei klug und mach den Löwen dir zum Freund,
hast du erst groß ihn werden lassen!
Fab.2
Die Götter,
die einen Sohn Jupiters unterrichten wollten
Für de Herrn Herzog von Maine
Jupiter hatte einen Sohn, der, da ihm wohlbekannt
sein Ursprung, diesem Ehre machte
und wie ein Gott empfand und dachte.
Die Kindheit liebt nicht; er, der junge Göttersohn,
strebt nach zwei Dingen nur vor allen:
Er wollte lieben und gefallen.
Es war Verstand ihm und Gemüt
vorausgeeilt der Zeit, auf deren leichtem Fittich
zu früh nur jede Stund' und jeder Tag entflieht.
Flora, die liebliche, sanft lächelnd, hold und sittig,
erregte mächtig des Olympiers junges Herz.
Was Leidenschaft nur je imstand ist zu entzünden,
das zarteste Gefühl, das zärtlichste Empfinden,
Tränen und Seufzer, nichts fehlt' seinem Liebesschmerz.
Wohl mußte von Geburt mit andern Himmelsgaben
schon ausgerüstet sein Jupiters liebes Kind,
als andrer Götter Söhne sind;
trefflich schien seine Rolle er studiert zu haben:
Den Liebhaber spielt' so vollkommen er, als wär' er
in dem Fach kein Neuling mehr.
Jupiter will indes, daß er noch Unterricht erhalte.
Die Götter sammelt er um sich: »Bis heut verwalte«,
spricht er, »ich ganz allein der Welten All; jedoch
hab' ich verschiedne Ämter noch
den neuen Göttern zuzuteilen.
Dies teure Kind, gern lass' mein Aug' auf ihm ich weilen;
mein Blut ist's, alles ist seiner Altäre voll.
Wenn der Unsterblichkeit er würdig werden soll,
muß er allwissend sein.« Kaum hat der Herr der Erde
geendet, als man Beifall zollt ihm allermeist.
Alles zu wissen, hat das Kind nur zu viel Geist.
Der Gott des Krieges spricht: »Ich werde
selber ihn lehren jene Kunst,
durch welche mancher Held die Gunst
der Götter schon erlangt und des Olympus Ehren.«
»Ich will des Sanges Kunst ihn lehren«,
sagt der blondlockige Apoll.
»Von mir«, ruft Herkules im Löwenfelle, »soll
er lernen, Laster zu besiegen,
zu bänd'gen wilde Gier, die Herzvergifterin,
die, einer Hydra gleich, stets neu umstrickt den Sinn.
Fern allem weichlichen Vergnügen,
weis' ich den Pfad ihm, der, von wen'gen nur berührt,
zu höchsten Ehren auf der Spur der Tugend führt.«
Jedoch Cytheras Gott verheißt
ihm Kunde von den Dingen allen.
Amor hat recht: Welch Ziel erreichte nicht der Geist,
gemeinsam mit dem Streben zu gefallen!
Fab.3
Der
Pächter, der Hund und der Fuchs
Es sollen Wolf und Fuchs gar schlimme Nachbarn sein;
in dieser beiden Näh' baut' ich ein Haus mir nimmer.
Der letztre lauerte schon immer
des Pächters Hühnern auf; so schlau und fein
er war, mißlang's ihm doch, das Federvieh zu fassen.
Für unsern Meister Fuchs das Ärgerlichste war
der Hunger einerseits und andrerseits Gefahr.
»Soll«, rief er, »ich das auf mir sitzen lassen?
Das Pack lacht ungestraft mich aus!
Ich geh', ich komm', um aufzupassen,
ersinne List auf List; der Bauer bleibt zu Haus,
behaglich und bequem, schlägt Geld aus allen Dingen,
verkauft Geflügel, schmaust auch selbst Kapaun, Fasan
und was er will; und ich kriegt' ich 'nen alten Hahn,
dann wollt' ich schon vor Freude springen!
Warum hat Vater Jupiter zu einem Fuchs doch
mich ausersehn? Ja, ich beschwöre alle Mächte
des Styx und des Olymp, zur Sprache bring' ich's noch!«
Nachdenkend, wie er wohl sich rächte,
wählt' eine Nacht er aus, da Morpheus reichen Saft
ausgoß, der allen tiefen Schlaf verschafft':
Verwalter, Diener, Vieh, der Hund selbst lag umfangen
von festem Schlaf. Es hatt' der Pächter überdies,
indem den Stall er offen ließ,
einen höchst leichtsinnigen Streich begangen.
Leicht dringt der Räuber in den schlecht bewachten Ort,
entvölkert ihn und füllt ihn an mit Blut und Mord.
Am nächsten Morgen fand man dort
die Spuren seiner Tat, vergoßnen Blutes Zeichen
und haufenweis getürmte Leichen.
Fast wär' die Sonne, schreckverstört,
zurückgesunken in des feuchten Bettes Frieden.
So schuf Apoll einst, tief empört
und voll des Zornes auf den prahlenden Atriden,
ein blutig Leichenfeld; man sah der Griechen Macht
vernichtet fast – es war das Werk nur einer Nacht.
So zog Ajax, wahnwitz'gen Mutes,
in toller Gier vergossnen Blutes,
erschlagner Schafe um sein Zelt den wüsten Kreis;
Ulyß, den Nebenbuhler, wähnte er zu töten
und sie, die schamlos ohne zu erröten
dem andern zuerkannt den Preis.
Der Fuchs, ein Ajax heut, die Hühner zu bekriegen,
schleppt fort, so viel' er kann, die andern läßt er liegen.
Der Herr tat, was man meist in solchen Fällen tut,
er zankte mit den Dienern und mit seinem Hunde:
»Verdammtes Tier, du bist nur zum Ersäufen gut!
Was gabst du von dem Morden nicht gleich Kunde?«
»Warum ließt Ihr es zu? Leicht war der Dieb gestört.
Ihr konntet Euch als Herr, dem alles dies gehört,
bei unverschloßner Tür ganz ruhig schlafen legen,
und wollt, daß ich, der Hund, dem nichts daran gelegen,
für nichts und wieder nichts den Schlaf Euch opfern soll?«
Der Hund sprach höchst verständnisvoll;
fast möcht' ich zu behaupten wagen,
ein Herr könnt's auch nicht besser sagen.
Doch da er nichts war als ein Hund,
fand man, daß er nichts tauge, und
der arme Kerl ward sehr gehauen.
Wer du auch seist, Hausherr und Vater – im Vertrauen
sag' ich dir, dieses Glück erregt nie meinen Neid,
auf andre bau'n, indes du schläfst, ist nie gescheit.
Als letzter geh zu Bett und schließ die Türen richtig!
Bau nicht in Dingen, die dir wichtig,
auf eines Anwalts Tätigkeit!
Fab.4
Des Moguls Traum
Ein Mogul sah einen Wesir im Traum,
der ew'gen Seligkeit in lichtem Himmelsraum
genoß und Wonnen, die im reinsten Lichte strahlen.
Derselbe Träumer sah an andrem Ort in Qualen
'nen armen Klausner, glutumfacht,
der selbst der Elenden Erbarmen rege macht.
Das schien ihm gar nicht recht zu passen,
als hätt' Minos in den zwei Toten sich geirrt.
Der Schläfer wachte auf, erstaunt und ganz verwirrt:
Sollt' ein Geheimnis nicht der Traum umfassen?
Drum wollt' er ihn sich deuten lassen.
Der Traumausleger sagt: »Der Traum hat Sinn
ein Wink der Götter ist's; ich bin
bereit, die Deutung zu versuchen.
In ihrem Leben, auf der Erde zugebracht,
da pflegte der Wesir die Einsamkeit zu suchen,
der Klausner hat Wesiren oft den Hof gemacht.«
Ein Wörtchen noch zur Deutung dieses Weisen:
Die Einsamkeit vor aller Welt möchte ich preisen.
Sie schafft den, der sie liebt, ein Glück, das ohne Reu',
ein Pfand des Himmels, rein und immer neu.
Wo seid ihr, Orte, die ich liebte, mit dem leisen,
geheimnisvollen Wehn, wo, fern dem Lärm der Welt,
nur kühler Schatten mich und Duft umfangen hält
und wo's melodisch klingt aus dunkler Bäume Nestern?
Wann darf ich, fern vom Hof, nur den neun Schwestern
ganz angehören, wann erlernen an dem Firmament
der Sterne Wunderlauf, den unser Aug' nicht kennt,
die unerreichbar fern in Wandelfeuer glimmen
und unser Handeln wie unser Geschick bestimmen?
Bin ich geschaffen nicht für so erhabnen Flug,
gibt mir des Bächleins Lauf der Wonnen doch genug;
sein Ufer schildr' ich, das von Bäumen rings umgeben.
Aus goldnen Fäden spinnt die Parze nicht mein Leben,
kein üppig Himmelbett ist meinem Schlaf beschert;
Doch ist mein Schlummer darum minder wert?
Wird er mich wen'ger fest umschlingen?
Nein, einsam will ich gern ihm neue Opfer bringen.
Naht dann der Augenblick des Scheidens: Ohne Scheu
und Sorg' hab ich gelebt und sterbe ohne Reu'.
Fab.5
Der
Löwe, der Affe und die beiden Esel
Um gut zu herrschen, müsse man,
meinte der Leu, Moral studieren;
drum wendet' er sich einstmals an
den Affen, der war Doktor unter allen Tieren.
Die Lektion beginnt, der Lehrer spricht:
»Wer weise herrschen will, mein König, dessen Pflicht
ist Sorge für den Staat und große
Selbstüberwindung. Auch von Eitelkeit
und Eigenliebe sei er ganz befreit;
sie ist die Mutter, deren Schoße
die Fehler all' entstammen, die
so oft man trifft bei allem Vieh.
Daß gänzlich man von Eigenliebe los sich mache,
ist keine gar so leichte Sache;
so schnell erreicht man nicht sein Ziel.
Sie ein'germaßen nur beherrschen ist schon viel.
Dies Können, wenn's erprobt und echt ist,
erhabner Herr, hält stets Euch fern,
was lächerlich und ungerecht ist.«
»Von beiden Arten hätt' ich gern
ein Beispiel«, spricht drauf der König.
Der Doktor sagt: »Im Herzen hält
jeder Beruf – wir selbst nicht wenig -
und jeder Stand sich für den ersten in der Welt
und all die andern nur für Laien,
die unverschämt anmaßend seien,
und was man hier und da wohl schwätzt.
Die Eigenliebe zeigt auch oft sich in dem Streben,
die Unsern zu erhöhn; dies Mittel ist zuletzt
ganz gut, sich selber zu erheben.
Der Art sah ich schon viel, und daraus schließ' ich jetzt:
So manch Talent ist hier nichts als gefälschte Ware,
die sich zur Geltung noch durch Schwindel bringt.
Einst folgt' ich einem Eselpaare;
ich acht' auf sie und seh', bald der, bald jener schwingt
das Weihrauchfaß; ich höre, wie beim Wandern
einander Lob sie streun und einer sagt zum andern:
»Kollege, findet Ihr nicht dumm und ungerecht
den Menschen, jenes so vollkommne Tier? Er schändet
uns; den Namen Esel nämlich spendet
er jedem, der nur stumpf an Geist ist und geschwächt.
Andrer Beschimpfung noch erfrecht
er sich: Er nennt Geschrei unser Gespräch und Lachen.
Der lächerliche Mensch meint, sich hervorzutun!
Er kann es nicht; nein, nein! Ihr, Ihr müßt reden nun
und seine Redner schweigen machen;
die sind doch Schreier nur! Von all dem Lug
nichts mehr! Wir kennen uns, das ist genug.
Und wollt Ihr unser Ohr ergötzen
durch Euren Göttersang, daß wir daran uns letzen,
erscheint uns Philomel' ein Lehrling nur, mehr nicht;
Ihr seid der Sangesfürst!« Das andre Langohr spricht:
»Kollege, gleichen Wert weiß ich an Euch zu schätzen.«
Nachdem das Eselpaar einander so gekraut,
preisen von Stadt zu Stadt sie laut
jeder den andern; denn zu fördern seine Sache
meint jeder; wenn berühmt er den Kollegen mache,
da doch des andern Ruhm auf ihn zurück auch fällt.
Gar viele kenn' ich in der Welt,
nicht unter Eseln bloß, nein, Leute, welche glänzen
durch Rang und Stand und die sehr gern getauscht
hätten die Stellung, und manch simple Exzellenzen
zu Majestäten aufgebauscht.
Ich sagte schon zu viel; doch hoff' ich, schweigen
werd' Euer Majestät davon. Ihr habt's gewollt;
Ihr wißt ja, Ihr befahlt, daß durch Beispiel' ich sollt'
die lächerlichen Folgen zeigen
der Eigenliebe. Von der Ungerechtigkeit
red' ich ein ander Mal, dazu bedarf's mehr Zeit.«
So sprach der Aff'. Ob er den andern Punkt indessen
behandelt, weiß ich nicht – er mocht' ihn scheu'n;
denn unser Doktor war kein Narr: Er hielt den Leu'n
für einen Herrn, mit dem nicht gut war Kirschen essen.
Fab.6
Der Wolf und der Fuchs
Wie kommt Äsop darauf, wenn er vom Fuchse spricht,
den Preis der List und Schlauheit ihm zu geben?
Ich suche nach dem Grund, allein ich find' ihn nicht.
Ich finde, daß der Wolf, verteidigt er sein Leben
oder fällt er 'nen andern an,
genau so viel wie jener kann.
Ich glaub', er kann noch mehr, möcht' mich erfrechen
und meinem Meister hier ein wenig widersprechen.
Doch jetzt erzähl' ich was, das alle Ehre macht
dem Fuchs. Des Mondes Bild sah er in einer Nacht
auf eines tiefen Brunnens Grund; für 'nen enormen
Käs' hielt er der Scheibe runde Formen.
Zwei Eimer schöpften, ab und auf
wechselnd, das kühle Naß herauf.
Der Fuchs, dem das Herz vor Hunger bebte,
setzt' in den Eimer sich, der hoch am Rande schwebte,
und ließ in ihm sich schnell hinab.
Nun sitzt er da im feuchten Grab,
merkt seinen Irrtum, und mit Bangen
sieht er sich schon vom Tod umfangen;
denn wie hinaus, kommt nicht ein andrer her,
den auch das Bild getäuscht und der,
sein Unglück teilend ihm zur Seite,
ihn auf demselben Weg befreite?
Zwei Tage waren schon vergangen; keiner kam.
In den zwei Nächten schnitt die Zeit unaufhaltsam
ein Stück, in altgewohnter Weise,
dem silberstrahlenden Gestirn aus seinem Kreise.
Verzweifelt sitzt Herr Reineke und matt.
Gevatter Wolf, der alte Nimmersatt,
geht jetzt vorbei. Reineke ruft: »Mein Lieber,
ich schenk' dir einen Käse, wie noch keinen du
gesehn; Gott Faunus selbst bereitete ihn zu,
die Milch gab Io ihm, die Kuh.
Jupiter, wär' er krank und läg' im Fieber,
gesundet', hätt' er sich an solcher Kost geletzt.
Ein Stück hab' ich schon aufgegessen,
der Rest ist immer noch für dich ein fettes Fressen.
Steig in den Eimer, den für dich ich hingesetzt.«
Er macht, so gut er kann, die Sache ihm noch klarer.
Der Wolf, der's glaubt – so töricht war er -,
steigt ein, und sein Gewicht, sinkend in schnellem Lauf,
zieht Meister Reineke hinauf.
Spotten wir nicht, als ob wir nicht verführbar wären
durch Dinge, grundlos ganz wie das!
Leicht glauben wir ja alle, was
wir fürchten und was wir begehren.
Fab.7
Der Bauer von der Donau
Nicht nachdem äußern Schein soll man die Leute schätzen.
Der Rat ist gut, jedoch nicht neu; schon wies ich's nach
an eines Mäuschens Irrtum, und ich sprach
von dem schon, was ich hier will auseinandersetzen.
Heut führ' ich euch als Zeugen an
den guten Sokrates, Äsop und einen Mann
vom Donaustrand, des Bild, getreulich nach dem Leben
gezeichnet, Marc Aurel uns hat gegeben.
Die ersten sind bekannt, der andre sei euch hier
in Kürze dargestellt von mir.
Sein Kinn von strupp'gem Bart umgeben war,
der ganze Kerl, bedeckt von dichtem Haar,
schien mehr ein Bär zu sein, ein Bär, noch ungeleckt.
Tief unter busch'ger Braue lag das Auge ihm versteckt,
zu schiefen Blick die krumme Nas' und aufgeworfne Lippe,
sein Rock ein Ziegenfell, ein Stück
als Gurt, gedreht als Schilf und Tang.
Dies Ungetüm kam als Gesandter all der Städte,
welche die Donau netzt. Dort gab es keine Stätte,
wohin nicht röm'sche Habgier drang
und nicht mit Räuberhand die blut'ge Geißel schwang.
Der Mann trat vor und sprach nach einigem Bedenken:
»Römer und du, Senat, die ihr mich hören wollt!
Erst bitt' die Götter ich, mir Freund zu sein und hold:
Geben die Ewigen, die meine Zunge lenken,
daß nichts ich sage, was sich tadelnswert erweist!
Ohn' ihre Hilfe steht dem Bösen unser Geist
so offen wie den Ränken und Kabalen.
Indem man sie umgeht, wird ihr Gebot verletzt.
Seht uns, wie Strafe wir der röm'schen Habgier zahlen!
Mehr unsre Missetat als euer Sieg macht jetzt
Rom, ach, zum Werkzeug unsrer Qualen.
Hütet, ihr Römer, euch, daß nicht einst komm' der Tag,
der unsre Tränen heim euch, der verhängnisvolle,
und unsre Leiden zahl', in rechtem Gegenschlag
Sieg unsern Waffen leih' und uns Vergeltung zolle,
an dem der Himmel euch im Grolle
zu unsern Sklaven machen mag!
Warum sind eure wir? Man soll mir Antwort geben:
Worin seid besser ihr als andre Völker? Und
welch Recht macht euch zu Herren über's Erdenrund?
Weshalb stört ihr nur unser harmlos Leben?
In Frieden bauten wir glückliche Felder; wir
sind fähig für der Kunst und des Landbaus Geschäfte.
Was lehret die Germanen ihr?
Sie haben Mut und Geisteskräfte;
wären sie gierig, wie ihr's seid,
und voll Gewalttat, fiel' am Ende,
statt in die euren, jetzt die Macht in ihre Hände,
und sie gebrauchten sie gewiß mit Menschlichkeit.
Wie es bei uns zu Lande euere
Prätoren treiben,
ist in der Tat nicht zu beschreiben.
Selbst eurer Götter heil'ge Macht
kann unentweiht davon nicht bleiben;
denn wißt, die Ew'gen haben acht
auf unser Tun. Sie schaun – ihr gebt ja die Exempel! –
was Abscheu nur erregt, wohin ihr Auge späht:
Mißachtung ihrer selbst und ihrer Tempel
und eine Habgier, die oft bis zum Wahnsinn geht.
Wen Rom uns sendet, den befriedigt keine Beute;
Besitz und Arbeit unsrer Leute
genügen nie zur Sätt'gung jener Gier.
Ruft sie zurück; nicht wollen wir
weiter für sie die Felder bauen.
Wir fliehen ins Gebirg', verlassen Städt' und Auen,
scheiden von unsern lieben Frauen;
wir wollen kein Geschlecht erzeugen, das gebannt
ans Elend ist, für Rom bevölkern nicht ein Land,
dem unter seinem Druck die Freiheit ging verloren.
Den Kindern, die vorher uns gab
der Himmel, wünschen wir ein möglichst frühes Grab;
zum Frevel zwingen so uns die Prätoren.
Ruft sie zurück, sie impfen uns nur ein
der Üppigkeit, des Lasters Schande!
Bald werden die Germanen sein
gleich ihnen eine gier'ge Räuberbande.
Das ist's, was meinem Blick sogleich in Rom sich bot:
›Habt ihr nicht etwas zu verschenken?
Kein Ämtchen zu verleihen?‹ Vergeblich denken
an Schutz durch das Gesetz wir: Viele Kniffe lenken
sie stets weit ab vom Ziel. Mein Wort, das unsre Not
euch schildert, wird euch nicht behagen.
Ich schließe. Straft nur mit dem Tod
mein vielleicht zu aufrichtig Klagen.«
Er wirft sich hin; erstaunt ist
alles und besiegt
durch die Beredsamkeit, die so hochherzig kühne,
des Wilden, der am Boden liegt.
Man gibt den Adel ihm: Dies sei die einz'ge Sühne,
die solcher Rede wohl gebührt. Man wählt sofort
andre Prätoren; Wort für Wort
schreibt nieder man die Rede auf Befehl der Alten
als Lehr' und Muster für die Redner künft'ger Zeit.
Nicht lang hat sich in Rom gehalten
die Art und Weise von Beredsamkeit.
Fab.8
Der Greis und
die drei Jünglinge
Einst pflanzt' ein achtzigjähr'ger Greis.
»Anbaun, vielleicht, doch pflanzen in den Jahren?«
sagten drei Jünglinge, die Nachbarskinder waren.
»Gewiß, er ist nicht mehr bei Sinnen.
Sagt nur, bei aller Götter Gnaden,
was Ihr von dieser Müh' für Frucht zu ernten denkt,
es sei das Alter des Methusalem Euch den geschenkt?
Wozu mit Sorgen Euch beladen für eine Zukunft,
die Euch weigert die Natur?
Denkt der Verirrungen aus längstvergangnen Tagen;
weitgehenden Hoffnungen und Plänen wollt entsagen,
das paßt für unsereinen nur!«
»Ganz sicher dürfte auch bei euch nichts bleiben!«
erwiderte der Greis. »Was man erwählt als Ziel,
spät kommt’s und währt nicht lang. Die Parzen treiben
mit euren Tagen und den meinen gleiches Spiel;
ganz gleich, weil kurz, sind unsres Lebens Grenzen.
Wer wird der Sterne, die am blauen Himmel glänzen,
von uns sich länger freun? Gibt’s eine Spanne Zeit,
in der der folgenden ihr völlig sicher seid?
Urenkel werden mich ob dieses Schattens preisen.
Wohlan! Wollt wehren ihr dem Weisen,
für das zu sorgen, was für Spätere ein Gruß?
Schon das ist eine Frucht, die heut mir bringt Genuß;
sie wird das Morgen mir und manchen Tag versüßen.
Vielleicht werd' ich die Sonne grüßen
des öfteren auf eurem Grab.«
Der Alte hatte recht: Der Eine fiel hinab
von Bord und starb, eh' er Amerika gesehen;
der Andre, der im Dienst des Kriegs bewährt und brav,
stolz, in der Republik ruhmreichem Heer zu stehen,
verlor das Leben, als ein Schuß ihn plötzlich traf;
der Dritte fiel von einem Baume,
den selbst zu pfropfen er sich quält'.
Der Greis grub ein auf ihres Denksteins Raume,
was ich soeben euch erzählt.
Fab.9
Die Mäuse und die
Eule
Nie spreche zu den Leuten man:
»Hört einen Witz, ich will euch Wunderdinge sagen!«
Kennt ihr die Hörer? Wißt ihr denn,
ob ihrem Sinn es wird wie euch behagen?
Hier liegt ein Ausnahmefall vor uns; vor aller Welt
behaupt' ich, daß die Sach', obwohl sie wunderbar ist
und fabelhaft erscheint, doch ganz gewiß und wahr ist.
Es wurde eine Fichte ihres Alters wegen einst gefällt,
der Eule düstres Schloß, des Vogels, der, verbündet
der Atropos, von ihr oft schwarze Mär' uns kündet.
In ihrem hohlen Stamm, in tief durchwühltem Loch
wohnten, mit andrem Volke noch,
viel Mäuse ohne Fuß, vor Fett kaum anzusehen.
Der Vogel nährte sie mit Körnern wohl; doch war
durch seinen Biß zuvor verstümmelt ihre Schar.
Die Eule hat's bedacht, daß muß man zugestehen.
Denn wenn sonst Mäuse sie gefangennahm,
waren sie aus dem Loch oft wieder ausgerissen;
dem abzuhelfen, macht' die Schelmin alle lahm.
Nachdem sie ihnen erst die Beine abgebissen,
konnt' sie wenn's ihr Vergnügen macht',
heut die und morgen jene speisen –
all' auf einmal ging nicht, auch war sie stets bedacht
und hatte stets auf die Gesundheit acht.
Ihre Fürsorge dürft' sich unsrer gleich erweisen:
Sie ging so weit, daß oft genug
die Eule ihnen selbst das Korn zutrug;
nun soll Descartes noch drauf bestehn,
in Tieren nur ein Trieb- und Räderwerk zu sehn!
Welch Federchen mahnt' sie daran,
dem flücht'gen Mäusevolk die Beine abzubeißen?
Wenn das Verstand nicht ist, ja dann
weiß ich nicht, was Verstand soll heißen.
Die Eule schließt: »Hat man 'ne Maus
gefangen, reißt sie wieder aus;
drum töte man sie gleich, wie man sie konnt' erwischen!
Alle? Das geht nicht an. Soll man für Vorrat denn
nicht Sorge tragen auch? Darum ernähre man
sie, ohne daß sie uns entwischen.
Doch wie? Die Beine beiß' ich ab!« Nun, findet ihr,
daß klüger wohl ein Mensch verfährt in solchem Falle?
Lehren denn Aristoteles und seine Jünger alle
euch eine andre Logik? Zeigt sie mir!
Nachwort
So hat die Muse mir, an klarem Bache lauschend,
in Göttersprache übersetzt,
was so viel Wesen einst und jetzt
sagen gewollt, die Stimme der Natur sich borgend.
Dolmetsch verschiedener Völker, stellt'
ich dar in meinem Werk sie redend, all' und jede;
denn alles spricht in dieser Welt,
und keinem ist versagt die Rede.
Mag der für klüger sich, als ich ihn schildre, halten,
mag jener, den ich hier einführt', mich treulos schelten,
mag meine Dichtung auch nicht grad als Muster gelten:
Den Weg zeig' ich; es komme dann
ein andrer her und leg' die letzte Feile an.
Der Musen Günstlinge, führt aus, was ich begonnen;
um den Gedanken werft der Dichtung schillernd Kleid!
Doch ach, ich weiß, daß ihr nur zu beschäftigt seid:
Indes nur sanften Schwungs die Muse mich beflügelt',
hat Ludwigs Siegerarm Europa jetzt gezügelt;
die Pläne führt er aus, erhaben, wie sie nie
eines Monarchen Haupt entsprungen.
Der Musen Günstlinge, vor solcher Poesie
beugt Zeit und Parze sich bezwungen.
|