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Buch 3
 
Der Müller, sein Sohn und der Esel
Die Glieder und der Magen
Der Wolf als Schäfer
Die Frösche, die einen König haben wollten
Der Fuchs und der Ziegenbock
Der Adler, das Wildschwein und die Katze
Der Trunkenbold und seine Frau
Die Gicht und die Spinne
Der Wolf und der Storch
Der vom Menschen niedergeworfene Löwe
Der Fuchs und die Trauben
Der Schwan und der Koch
Die Wölfe und die Schafe
Der altgewordene Löwe
Philomele und Prokne
Die ertrunkene Frau
Das Wiesel im Kornspeicher
Der Kater und die alte Maus

Fab.1
Der Müller, sein Sohn und der Esel
An Herrn von Maucroix

Von einem Müller las ich mal und seinem Sohn
jener ein Greis und dieser halb erwachsen schon
und fünfzehn Jahre alt. Einst sah man die zwei laufen;
sie gingen hin zum Markt, 'nen Esel zu verkaufen.
Damit das Tier hübsch frisch und recht preiswürdig sei,
banden sie ihm die Bein' und trugen es ganz frei
an einem Stock, wie man Kronleuchter pflegt zu tragen –
das dumme arme Volk, gewohnt, sich stets zu plagen!

Der erste, der sie sieht, bleibt staunend stehn und lacht:
»Was dieses Bauernvolk für dummes Zeug doch macht!
Wen von den drei'n soll man den größten Esel nennen?«
Der Müller mochte wohl die Torheit jetzt erkennen,
schnürt los das Tier und läßt's auf eignen Füßen gehn.
Laut schreit der Esel auf, er schien's nicht gern zu sehn;
der Müller hört nicht drauf, er läßt den Jungen reiten
und geht daneben her. Von biedren Handelsleuten
wird unser Paar gesehn; die ärgern sich darob,
und ihrer einer ruft dem Jungen zu ganz grob:
»Holla! Steig ab! Ein Bursch mit jugendlichen Mienen
läßt sich von einem Greis mit grauem Bart bedienen!
Der sollte reiten, du zu Fuße gehn!«
Der Müller spricht: »Ihr Herren, euer Wille soll geschehen.«
Der Knab' sitzt ab, und nun besteigt der Greis den Grauen.

Drei Mädchen kommen. »Ist das nicht 'ne Schmach zu schauen«,
sagt eine, »wie zu Fuß der arme Junge schwitzt,
indes der alte Tropf stolz wie ein Bischof sitzt,
sich reckt und räkelt, just als ob ein Kalb er wäre?«
»In meinem Alter«, sagt der Müller, »ist, auf Ehre,
man sicherlich kein Kalb! Geht eures Wegs nur fort!«
Nachdem noch hin und her geschimpft manch grobes Wort,
gibt nach der Greis und läßt auch noch den Jungen reiten.
Kaum dreißig Schritt, da kommt ein dritter Trupp von Leuten,
die spotten ihrer laut: »Seht nur die Toren!
Das Langohr kann nicht mehr und ist gewiß verloren!
Das arme Tier ist viel zu schwer beladen!
Nach langem, treuem Dienst verdient' es beßre Gnaden!
Die bringen ganz gewiß zu Markte nur das Fell!«
Der Müller sagt: »Ach ja! Ich seh' es klar und hell:
Nur ein Verrückter denkt es jedem recht zu machen.
Indes versuchen wir's – es ist zwar nur zum Lachen.
Laß sehn, ob's uns gelingt!« Sie steigen beide ab,
leer geht der Esel nun voraus in stolzem Trab.
Kommt wieder einer: »Ah! Bravo! Das muß ich sagen!
Spazieren geht der Esel, und der Müller muß sich plagen!
Ich rat' Euch, daß Ihr gleich in Gold ihn faßt!
Zerreißen ihre Schuh' und schonen ihren Grauen!«
Der Müller nun: »Ein Esel bin ich, ja, ich will's gesteh'n!
Allein von jetzt an wird das anders – Ihr sollt seh'n:
Wie auch die Welt von mir dann red', ob gut, ob schlecht,
ich tu' nach meinem Kopf!« Er tat's und er tat recht.

Du – geh zu Hofe, schwör zu Mars', zu Amors Fahnen,
steh, lauf, bleib hier, zieh dich zurück ins Schloß der Ahnen,
werde Geistlicher, Soldat, Geheimrat, nimm ein Weib, nimm keins,
dem Klatsch der Welt verfällst du doch – 's ist alles eins.


Fab.2
Die Glieder und der Magen

Dies Märchen sollte zum Beginn
etwas vom Königtume sagen;
sein Ebenbild ist in gewissem Sinn
der hochwohlgeborene Herr von Magen:
Fehlt dem etwas, dann fühlt es gleich der ganze Leib.

Die Glieder fanden einst, es sei kein Zeitvertreib,
für ihn zu schaffen; als Baron wollt' jedes leben.
Das eig'ne Beispiel ist's, auf das man sich beruft.
»Ohn' uns«, so sprechen sie, »lebt er wohl nur von Luft!
Wir sollen unsern Schweiß, Packeseln gleich, hingeben.
Für wen? Für ihn allein! Wir werden nimmer satt,
wir sorgen nur dafür, daß er zu essen hat.
Drum streiken wir! Er treibt dies Geschäft ohn' Ende ja selbst!«
Gesagt, getan: Nichts fassen mehr die Hände,
schlaff hängt der Arm, der Fuß will nicht mehr gehen;
ein jeder sagt, der Magen soll nach andern sich umsehn.
Das war ein Irrtum, den sie reuevoll empfanden:
Bald fiel das Volk in Ohnmacht und ward schwach,
im Herzen bildete kein frisches Blut sich nach;
es litt ein jedes Glied, und alle Kräfte schwanden.
Nicht lang, und die Rebellen fanden,
daß der, den sie für faul und müßig hielten, grad
fürs allgemeine Wohl mehr als sie alle tat.

Dies Bild ist auf die Macht der Kön'ge anzuwenden:
Sie gibt und sie empfängt mit völlig gleichen Händen.
Ein jeder wirkt und schafft für sie, und umgekehrt
ist sie's, die alle schützt und nährt.
Dem Handwerk schafft sie, daß die Arbeit lohne,
dem Kaufmann Reichtum, sie zahlt Obrigkeit und Rat,
der Bauer findet Schutz bei ihr, Sold der Soldat,
Geschenk' und Gnaden teilt vielfältig aus die Krone,
zusammen hält sie ganz allein den Staat.

Gut wusst's Menenius anzuwenden,
als einst zu Rom das Volk sich lossagt' vom Senat.
Es sei die ganze Macht – so klagt's – in dessen Händen,
Würden Ehr' und Geld und der Befehl im Heer,
indes das Schlimme all' dem Volk geblieben wär',
Abgaben, Steuern und des Krieges schwere Lasten.
Schon lagen außerhalb der Mauern sie umher,
da der Auswanderung gewagten Plan sie faßten.
Da macht' Menenius ihnen klar,
daß sie genau so waren wie die Glieder,
zu ihrer Pflicht führt er zurück sie wieder
durch diese Fabel klug und wahr.

Fab.3
Der Wolf als Schäfer


Es ging ihm sein Geschäft in Schafen etwas flau,
da mochte einst ein Wolf wohl meinen,
es wäre gut, vermummt und wie ein Fuchs so schlau
in andrer Gestalt im Lande zu erscheinen.
Er kleidet sich als Hirt, zieht einen Kittel an,
nimmt einen festen Stock alsdann
und schließlich einen Dudelsack zur Hand.
Er hätte gern an seines Hutes Rand
geschrieben, daß die List vollkommen werde:
»Guillot bin ich, der treue Hirte dieser Herde.«
So ausgerüstet und in diesem Kleide
schlich, auf den Stab gestützt die Vorderfüße beide,
der falsche Guillot leis herbei und unentdeckt.
Guillot, der wahre Hirt, lag da, auf grüner Heide
in festem Schlummer ausgestreckt.
Sein Hund schlief ebenfalls und, satt von fetter Weide,
die Schafe auch, da nichts sie weckt und schreckt.
Fein, mit der List des Diplomaten
hätt' gerne er die Schafe hingelockt zu seinem Bau,
und die Verkleidung zu ergänzen schlau
mit Worten, schien ihm sehr geraten.
Doch war's die dümmste seiner Taten;
denn da des Hirten Ton zu treffen ihm mißlang,
und sein Geheul im Walde widerklang,
war sein Geheimnis bald verraten.
Vor Schreck bei dieser Stimme wird
gleich alles wach, Schaf, Hund und Hirt.
Der arme Wolf in Angst und Bangen
kann sich, durch seinen Rock beirrt,
nicht wehren noch zur Flucht gelangen.

Auf irgendeine Art läßt jeder Schelm sich fangen.
Wer Wolf ist, lass' als Wolf sich sehn,
so wird er meistens sichrer gehen.


Fab.4
Die Frösche, die einen König haben wollten


Müde seien sie der Demokratie,
schrien die Frösche tausendtönig,
und nicht eher ruhten sie,
bis Jupiter sie einem Herrn macht' untertänig.
Vom Himmel fiel herab ein höchst friedfert'ger König;
doch macht' sein Fall solch einen Lärm, daß sie,
Sumpfbewohner, deren Schar
furchtsam stets und töricht war,
schnell im Wasser sich verloren,
unterm Schilf, in Binsenrohren,
in den Löchern des Morastes
und lang sich nicht getrauten, ins Angesicht des Gastes
zu schaun; denn ihnen kam er wie ein Riese vor.
Nur ein Klotz lag da im Moor;
doch seine stumme Würd' erregte Furcht und Grauen
beim ersten, der sich vorgewagt,
aus seiner Höhl', ihn anzuschauen.
Er naht sich ihm, doch sehr verzagt;
ein zweiter, dritter folgt, bald kommt herbeigejagt
ein ganzer Haufen, und die Schlauen
sind endlich voller Mut und springen voll Vertrauen
auf ihres Königs Schulter dreist herum.
Der gute Herr läßt sich's gefallen und bleibt stumm.

Bald macht das Volk dem Gott viel Kopfzerbrechen:
»Gib uns 'nen König, der sich regen kann und sprechen!«
Den Kranich sendet nun der Götterfürst den Frechen;
der beginnt sie abzustechen
und zu fressen nach Begier.
Wie die Frösche Klag' erheben,
spricht Jupiter: »Nun, was wollt ihr? Sollen etwa Wir
euren Launen immer nur nachgeben?
Gewesen wäre wohl der klügste Rat,
zu wahren euren alten Staat.
Da dies nun nicht geschehn, so mußt' es euch genügen,
daß euer erster Fürst voll Mild' und Sanftmut war.
Den hier behaltet, um nicht gar
am Ende einen schlimmren noch zu kriegen!«

Fab.5
Der Fuchs und der Ziegenbock


Altmeister Reineke ging einstmals zum Vergnügen
mit seinem Freund, dem Bock, der hohe Hörner trug,
sonst aber nicht weitsichtig war und klug,
ein Schelm jedoch und Meister im Betrügen.
Vor Durst stieg man in einen Brunnen flugs,
dort tranken sie sich satt und satter,
und als sie nun getrunken, sprach der Fuchs
zu seinem Freunde Bock: »Was tun wir nun Gevatter?
Der Trunk war gut, allein wie kommt man aus dem Loch?
Heb deine Vorderbeine und die Hörner hoch,
stemm an die Mauer fest sie an; auf deinem Rücken
erst in die Höhe klettre ich,
schwing' dann auf deine Hörner mich;
auf diese Art wird's mir schon glücken,
herauszukommen allgemach,
und später ziehe ich dich nach.«
»Trefflich, bei meinem Bart!« spricht jener. »Ich lobe
so kluge Leute immer sehr;
ich für mein Teil wär' nimmermehr
darauf gekommen, ohne Frage!«
Reineke springt heraus, läßt seinen Kameraden drin
und hält ihm dann mit weisem Sinn
'ne Rede, um Geduld zu predigen.
»Hätten«, so fängt er an, »die Götter dir, die gnädigen,
so viel Verstand im Hirn verliehn wie Bart am Kinn,
dann wärest du nicht so leichtsinnig
hinabgestiegen. Nun, lebe wohl! Ich bin heraus;
sieh, wie du nachkommst! Gib dir Müh' und harre aus!
Ich hab' zu tun, und drum bin ich
verhindert, länger noch bei dir zu stehn.«

Bei jedem Ding muß man aufs Ende sehn!

Fab.6
Der Adler, das Wildschwein und die Katze

Hoch nistete der Aar auf einem hohlen Baum,
unten das Schwein, die Katz' im mittlern Raum.
So lebte ganz bequem ein jedes mit den Seinen
am eignen Ort, die Mütter mit den Kleinen.
Der Katze Falschheit hat die Eintracht schwer bedroht;
zum Adler klettert sie und sagt zu ihm: »Unser Tod –
zumindest unsrer Kinder Tod, das Schlimm're fast von beiden
scheint kaum noch zu vermeiden.
Siehst du dort unten nicht, wie die verdammte Sau
nur wühlt und gräbt? Entwurzeln will beizeiten
sie diese Eiche, und das seh' ich ganz genau,
den Säuglingen den Untergang bereiten.
Fällt erst der Baum, frißt sie alle auf;
ich geb' dir Brief und Siegel drauf.
Ach, bliebe mir nur eins, ich würde minder klagen!«

Nachdem die Falsche hier verbreitet Furcht und Zagen,
schleicht sie hinab sogleich
zum Fuß des Baums in den Bereich
des Schweins, das grade lag in Wochen.
Zur Wöchnerin hat leise sie gesprochen:
»Ach, liebste Nachbarin, glaubt mir, ich rat' Euch gut;
geht ja nicht fort, sonst stürzt auf Eure Brut
der Adler sich! Versprecht mir, nicht zu schwatzen,
sonst fällt auf mich sein ganzer Groll.«

Nachdem auch dieses Haus von Angst und Schrecken voll,
kehrt sie zurück zu ihren Katzen.
Der Aar traut sich nicht fort, schafft seiner Brut kein Brot,
das arme Schwein litt fast noch größre Not.
Die Toren! Sie sehen nicht das wichtigste Gebot,
daß man zunächst den Hungertod vermeide.
Zu Hause saßen fest sie alle beide,
um beizustehn den Ihrigen sofort:
der Adler bei dem Sturz der Eiche,
das Schwein bei Überfall und Mord.
Der Hunger tötete sie, übrig ließ er keinen,
keines der Adlerjungen, keines von den Schweinen.
Jedes den Tod erleiden mußt',
dem Katzenvolk zu großer Lust.

Ach, welches Unheil ist den falschen Zungen
und schlauer Niedertracht noch nicht entsprungen!
Von allen Übeln, aller Pein,
die aus Pandoras Büchse stammen,
scheint mir am meisten wert, stets zu verdammen
der hinterlistige Betrug zu sein.

Fab.7
Der Trunkenbold und seine Frau

Ein Fehler haftet ohne Zweifel jedem an,
nicht Scham noch Furcht hilft ihm dagegen.
Da fällt mir ein Geschichtchen ein, das kann
als Beispiel diesen Satz belegen – so halte ich es stets.

Ein echter Bacchussohn ward schwach an Körper,
Geist und Beutel. Schade!
Gewöhnlich ist die Art auf halbem Lebenspfade
mit ihrem Gelde ganz zu Ende schon.
Einst hatte dieser Mann dem Saft der Reben,
den letzten Rest Verstandes preisgegeben;
da sperrte seine Frau in eine Gruft ihn ein.
Ausdampfen konnte da der junge Wein
in ihm. Als er erwacht mit leisem Schauer,
sieht er um sich des Todes ernst' Geleit,
die Kerzen und das Sterbekleid.
»Ha«, ruft er, »trägt mein Weib schon Witwentrauer?«
Da kommt die Frau, als Furie angetan,
um dem vermeintlich Toten sich zu nahn
mit Bier, so glühend heiß, als wär' es für den Teufel;
dicht vor die Nase sie's ihm hält.
Der arme Mann! Nun glaubt er ohne Zweifel,
er sei schon in der Unterwelt.
»Wer bist du?« fragt er die Erscheinung sondergleichen.
»Bin Kellnerin in Satans Reichen«,
spricht sie, »und Speise trag ich allen denen zu,
die in des Grabes Nacht versinken.«
Sogleich versetzt der Gatte: »Du,
sag, bringst du ihnen nichts zu trinken?«

Fab.8
Die Gicht und die Spinne

Der Teufel schuf die Gicht und schuf zugleich die Spinne.
»Ihr, meine Töchter, könnt euch rühmen insgemein«,
so sprach er, »für der Menschen Sinne
gleich furchtbar und verhaßt zu sein.
Doch wo quartiert ihr euch am besten ein?
Seht hier die niedrig engen Hütten,
dort die Paläste, schön mit Gold geziert und groß;
ihr sollt drin wohnen – Widerspruch wird nicht gelitten.
Hier sind zwei Hölzchen – darf ich bitten?
Wählt eines oder zieht das Los.«
Die Spinne meint: »Nie könnt' die Hütte mir behagen!«
Die Gicht, im Gegenteil, sieht die Paläste, voll
von Ärzten, und sie denkt: »Wie soll
in Ruh' und Frieden nur ich hier zu hausen wagen?«
Sie wählt das andre Teil, schlägt dort ihr Lager auf,
setzt sich und macht sich breit auf eines Armen Zehen
und spricht: »Ich fürcht' nicht, müßig hier zu stehen,
noch treibt Hippokrates von hier, ich wette drauf,
hinweg mich oder heißt mich gehen.«

Die Spinne setzt sich auf ein Wandgetäfel hin,
als hätte sie eingemietet für ihr Leben,
und spinnt drauflos – seht nur ihr Netz sie weben!
Seht, Fliegen sind bereits als Beute drin!
Da fegt die Magd es fort mit einem Schlage;
ein neu Geweb' – und gleich ein neuer Besenstrich.
Das arme Tier zieht um fast alle Tage –
umsonst! Zuletzt entschließt es sich
und geht zur Gicht ins Haus; doch die war nicht mehr drinnen,
denn sie war tausendmal noch schlimmer dran
als die unglücklichste der Spinnen.
Holz hacken führt sie bald ihr Wirt, der arme Mann,
bald graben oder roden. Doch die Gicht so abzuhetzen,
heißt halb schon an die Luft sie setzen.
»Ich halt' es hier nicht länger aus!« ruft sie empört.
»Komm, tauschen wir!« Wie das die andre hört,
nimmt sie sie gleich beim Wort und kriecht zur Hütte rein,
Die Gicht dagegen sucht sich ihre Stätte
bei einem Bischof, macht ihm Pein
und läßt ihn nicht mehr aus dem Bette.
Umschläge, Salben – lieber Gott! Ein jedes Leiden,
wird durch der Menschen Torheit nur verschlimmert, glaubet mir.
Ganz ihre Rechnung fand so jede von den beiden;
sie taten klug daran, zu tauschen ihr Quartier.

Fab.9
Der Wolf und der Storch


Der Wolf frißt stets mit gier'ger Hast
und hat sich einst so übernommen
bei einer Mahlzeit, daß er fast
dabei ums Leben wär' gekommen:
In seiner Kehle stecken blieb ein Knochenstück,
er konnte nicht mehr heulen; bis zu seinem Glück
zufällig kommt ein Storch vorbei.
Er winkt dem Storch, der kommt heran,
zu zeigen, welch geschickter Arzt er sei.
Er zieht den Knochen aus dem Schlund und fordert dann
den wohlverdienten Lohn für die Geschicklichkeit.
»Was willst du? Einen Lohn?
Gevatter, du mußt scherzen«, schreit
der Wolf. »Glück hattest du doch wahrlich schon
daß du noch lebst und bist gesund
und du den Hals gerettet hast aus meinem Schlund!
Geh, Undankbarer, deiner Wege!
Komm nie mir wieder ins Gehege!«

Fab.10
Der vom Menschen niedergeworfene Löwe

Einst wurde ausgestellt ein Bild
darauf gemalt von Künstlerhand
man einen Löwen groß und wild
von einem Mann bezwungen fand.
Laut rühmt das Publikum sich dessen.
Ein Löwe, der es hört, bringt jedermann zum Schweigen.
»Man will den Mann als Sieger zeigen,
doch fälschlich wird der Sieg ihm zugemessen«,
erklärt der Löwe. »Mag er nur immer prahlen!
Mit größrem Recht hätt' uns die Oberhand gebührt,
könnt' unsereins nur etwas malen.«

Fab.11
Der Fuchs und die Trauben

Dem Hungertode nah, sah ein Gascogner Fuchs,
ganz hoch am Dache grüner Lauben,
fast überreif in üpp'gem Wuchs
die schönsten dunkelblauen Trauben.
Das wär' ein Mahl, so recht nach dem Geschmack
des armen Schelms. Doch da er sie nicht konnt' erjagen,
sprach er: »Sie sind zu grün, nur gut für Lumpenpack!«

Tat er damit nicht besser, als zu klagen?

Fab.12
Der Schwan und der Koch

Es lebten einst in einem Garten,
voll von Geflügel aller Arten
'ne Gans und auch ein Schwan.
Der Schwan war für des Herren Auge da, die Gans für seinen Magen;
im Garten fand der eine Futter mit Behagen
indes der andere es aus dem Haus bekam.
Die beiden tummelten sich meist in des Schlosses Graben;
bald schwammen, Seit' an Seit', sie friedlich auf und ab,
bald um die Wette schnell, bald tauchten sie hinab,
als könnten am Vergnügen nie genug sie haben.
Da nahm einmal der Koch, der tief ins Glas gesehn,
anstatt der Gans den Schwan, den Hals im umzudrehn
und ihn als Suppe auf den Tisch zu bringen.
Halb tot beginnt der Schwan sein Klagelied zu singen;
da wird der Koch vor Schrecken bleich,
und seinen Mißgriff merkt er gleich:
»Wie? Solch ein Sänger sollte eine Suppe geben?
Nein, nimmermehr raubt meine Hand das Leben
der Kehle, die so hold erklingt!«

Man sieht, wenn in Gefahr und Not wir schweben,
ein sanftes Wort uns niemals Schaden bringt.


Fab.13
Die Wölfe und die Schafe

Nach Kriegen, die wohl tausend Jahre währten
ward zwischen Wolf und Schaf ein Pakt geschlossen.
Es schien, daß dessen Glück sie beide recht genossen.
Denn wenn die Wölfe ein verirrtes Schaf verzehrten,
ward mancher Wolf dafür erschlagen und erschossen.
Sie waren vorher unfrei: die auf ihrer fetten Weide,
jene beim Raub in Wald und Heide;
zitternd genossen sie das Futter und den Schlaf.
Nun war der Friede da, und Geiseln stellten beide:
der Wolf sein Junges und den Wächterhund das Schaf.
Es ward der Tausch, wie's im Gesetze vorgeschrieben,
durch Abgeordnete betrieben.
Nach kurzer Zeit fühlt sich der jungen Wölfe Schar
als ausgewachsne Wölfe, und nach Morden lüstern
nutzten sie jene Stunden, wo im Düstern
der Stall verlassen von den Hirten war.
Sie töteten die meisten Lämmer, um mit Haut und Haar
zu fressen sie im Wald, dem Kühlen
Die Hunde bauen auf des Friedens Macht
und werden schlafend umgebracht,
und das geschieht so schnell, daß sie fast gar nichts fühlen.
Zerfleischt lag alles da, kein einziger entrann.

Woraus den Schluß man ziehen kann:
Vor Bösen kann man nur durch steten Kampf sich schützen.
Gut ist an sich des Friedens Walten;
allein was kann es nützen
mit Feinden, die ihr Wort nicht halten.

Fab.14
Der altgewordene Löwe

Der Löwe, einst der Wälder Schreck,
gebeugt vom Alter und vom Schwund der Macht,
ward jetzt vom übrigen Getier mißhandelt schnöd und keck,
die seine Schwäche stark gemacht.
Das Pferd kommt und versetzt ihm eins mit seinem Huf,
der Wolf 'nen Biß, das Rind 'nen Stoß mit seinem Horne;
der arme Leu, betrübt in ohnmächtigem Zorne,
kann brüllen kaum – zu schwach ist seiner Stimme Ruf.
Mit Würde trägt sein Los er dennoch ohne Klagen.
Da sieht er einen Esel nahn von fern.
»Das ist zu viel!« ruft er. »Den Tod erleid' ich gern,
doch zweimal sterben hieße es, von dir 'nen Schlag ertragen!«

Fab.15
Philomele und Prokne

Prokne, die gute Schwalbenseele,
flog einst vom Lärm der Städte fort
zu eines Waldes stillem Ort,
wo einsam tönt das Lied der armen Philomele.
»Nun, liebe Schwester«, Prokne spricht, »wie geht es dir?
Man hat bald tausend Jahr' nichts mehr von dir vernommen!
Ich wüßte wahrlich nicht, daß du je wärst gekommen
seit unsrer Thrazier-Zeit und hättest gewohnt bei mir.
Wie denkst du künftig nun zu leben?
Die Einsamkeit gedenkst du nimmer aufzugeben?«
»Wo«, fragte Philomele, »ist's schöner wohl als hier?«
Prokne erwidert: »Wie? Der Zauber deiner Kehle
erklänge fortan nur den Tieren
und hin und wieder einer Bauernseele?
Soll in der Wüste sich so ein Talent verlieren?
Komm in die Stadt, dein Licht laß leuchten vor den Leuten.
Des Waldes Anblick tut nicht gut;
hier denkst du stets daran, wie Tereus' wilde Glut
in ähnlichen Waldeinsamkeiten
dir einstmals Schmach und Schimpf hat angetan.«*
»Just die Erinnerung der Schmach, die man vermessen
mir angetan, macht, daß ich dir nicht folgen kann;
denn, ach, seh' ich die Menschen an,
kann ich die Schmach noch weniger vergessen!«

*Der thrakische König Tereus war mit der attischen Königstochter Prokne
vermählt.
Deren Schwester Philomela wurde von ihm geschändet. Die Schwestern rächten
sich, indem sie Itys, den Sohn des Königspaares, töteten und dem Vater zum
Mahle vorsetzten.
Die Götter verwandelten darauf Prokne in eine Schwalbe, Philomela in eine
Nachtigall, Tereus in einen Wiedehopf.

Fab.16
Die ertrunkene Frau

»Was liegt daran?« so spricht wohl mancher, der es hört.
»Es ist ein Weib, das sich ertränkt hat!«
Ich sag' im Gegenteil: des höchsten Mitleids wert
ist dies Geschlecht, das uns nur Glück und Lust geschenkt hat.
Nicht ohne Grund sag ich es. Meine Fabel soll
von einer Frau euch Kunde geben,
die in den Fluten unheilvoll
durch ein beklagenswert Geschick verlor ihr Leben.

Es sucht' ihr Mann den Leichnam drauf,
um ihn, wie es die Pflicht des Gatten,
mit allen Ehren zu bestatten.
Nun gingen an des Flusses Lauf,
in dem das Unglück war geschehen,
viel Leute, die noch nichts vernommen von dem Fall.
Der traur'ge Witwer fragt sie all'
ob sie den keine Spur von seiner Frau gesehen.
»Nein«, sagt der eine, »doch sucht weiter unten nur
und folgt dem Laufe der Gewässer.«
Ein andrer aber spricht: »Nein, folgt nicht dieser Spur,
stromaufwärts sucht, das scheint mir besser!
Nach welcher Richtung auch – das steht ganz fest –
des Wassers Strom und Fall sie leite,
der Geist des Widerspruchs läßt
sie treiben nach der andern Seite.«

Der Scherz des Mannes war nicht übermäßig fein.
Was er vom Hang zum Widersprechen
gesagt – vielleicht mag's richtig sein;
doch sei es nun, ob ja ob nein,
der Frauen Neigung und Gebrechen:
Ist eine mit der Eigenschaft geboren,
geht sie im Leben ihr auch nicht verloren.
Sie widerspricht, bis mit dem Tod ist alles aus,
und wenn sie kann, darüber noch hinaus.

Fab.17
Das Wiesel im Kornspeicher

Ein Wieselweibchen, schlank und zart, das kroch
in einem Speicher durch ein enges Loch.
Von langer Krankheit just genesen,
ließ sie es sich hier wohl ergehn;
sie schmauste nur, was auserlesen
und gut und teuer ist gewesen –
der schöne Speck, der dabei flöten ging!
So wurde bald das muntre Ding
recht üppig und von feinstem Wesen.
Acht Tage drauf – sie saß beim Mahl soeben noch -,
da hört' sie ein Geräusch; sie will hinaus zum Loch,
allein sie kann nicht durch. Erst glaubt sie, aus Versehen
an einem falschen Loch zu sein;
doch sagt sie: »Nein, hier ist's! Ich kann es nicht verstehen,
vor fünf, sechs Tagen kam ich hier herein!«
Das hörte eine Ratte, die sich freute
und sprach: »Da war dein Wanst auch nicht so voll wie heute.
Wer mager kam, der soll auch mager bleiben.
Der Rat ward manchem schon gegeben, will ich meinen.
Doch möcht' ich den Vergleich nicht übertreiben
und ihre Lage nicht verwechseln mit der deinen.«

Fab.18
Der Kater und die alte Maus


Ich las bei einem Fabeldichter
von einem Kater, der ein Alexander war,
ein Attila, 'ne Geißel gar dem mauseschwänzigen Gelichter;
Ich las, daß seinerzeit vor diesem Kater meilenweit
umher sie zitterten wie vor dem Höllenhunde:
Vertilgen wollt' die Mäuse er vom Erdenrunde.
Die Bretter, aufgehängt an dünnem Zwirn zum Ziel
des Mäusefangs, die Mausefallen
sind gegen ihn nur Kinderspiel.
Wie nun in den Löchern allen
Die Mäuse sieht sich ängstlich ballen –
sie wagen sich nicht mehr heraus in sein Revier –
hängt an die Decke sich das listenreiche Tier,
den Kopf nach unten, und spielt so den Toten;
an einer Schnur hält er sich fest mit seinen Pfoten.
Das Mäusevolk hält's für 'nen Akt des Strafgerichts,
weil er an Fleisch und Käse Diebstahl hat begangen,
einen zerkratzt und sonst was Schlimmes angefangen,
und daß man drum hat aufgehängt den Taugenichts.
Seine Beerdigung, das Volk verspricht's,
einstimmig zu begehen lachenden Gesichts.

Nun lassen sie die Nas' und bald die Köpfe sehen,
fahr'n drauf ins Mäusenest zurück
und kommen dann mit scheuem Blick
vier Schritt' hervor, um rings zu spähen.
Doch, ach, da war's um sie geschehen:
Der Tote kam herab, auf seine Füße springend,
und fing die langsamsten von ihnen.
»Ich kann noch mehr«, begann er, sie verschlingend.
»Die List ist alt, und eure Löcher dienen
euch nicht zur Rettung mehr. Ich sag' es jetzt euch an:
Der Reihe nach kommt ihr mir alle dran!«
Er prophezeite wahr; denn nun ersann
bald eine neue List und führt sie aus gar schnell:
Mit Mehl bestreut er sich das Fell
und hockt, unkenntlich so gemacht,
in einen offnen Trog in dem man bäckt die Kuchen.
Das war sehr fein von ihm erdacht;
bald kommen Mäuse, ihren Tod zu suchen.
Nur eine Maus, die hat von Ferne zugeschaut;
sie war ein alter Fuchs, mit mancher List vertraut,
und hatte ihren Schwanz in einer Schlacht verloren.
»Das Mehl macht mich doch nicht zum Toren!«
So ruft von fern sie zu dem Katzengeneral.
»Ich fürchte, daß 'ne List dahinter steckt.
Es hilft dir nichts, daß dich das Mehl bedeckt.
Wärst du ein ganzer Sack, ich käme nicht einmal!«

Gar klug gesprochen war's, ich muß es loben.
Die Alte hatt' Erfahrung, und seitdem
hat sich bewährt durch manche Proben
das alte Sprichwort: »Trau, schau, wem!«