Fabelverzeichnis

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Buch 8
 
Der Tod und der Sterbende
Der Schuster und der Reiche
Der Löwe, der Wolf und der Fuchs
Die Macht der Fabel
Der Mensch und der Floh
Die Frauen und das Geheimnis
Der Hund, der seines Herrn Mittagbrot am..
Der Spötter und die Fische
Die Ratte und die Auster
Der Bär und der Gartenfreund
Die zwei Freunde
Das Schwein, die Ziege und der Hammel
Tircis und Amarant
Das Leichenbegängnis der Löwin
Die Ratte und der Elefant
Das Horoskop
Der Esel und der Hund
Der Pascha und der Kaufmann
Der Vorzug der Wissenschaft
Jupiter und die Donnerwetter
Der Jagdfalke und der Kapaun
Die Katze und die Maus
Der Bergbach und der Fluß
Die Erziehung
Die beiden Hunde und der tote Esel
Demokrit und die Abderiten
Der Wolf und der Jäger

Fab.1
Der Tod und der Sterbende

Dem Weisen macht der Tod nicht bange;
zu scheiden ist er stets bereit,
stets ist gewärtig er der Zeit,
da's sich zu rüsten gilt zum letzten Gange.
Und diese Zeit umfaßt, ach, alle Frist,
die eingeteilt in Tage und Minuten ist;
kein Augenblick, der nicht verfallen
ihrem Verhängnis wär', denn sie gebietet allen.
Die allererste Stund', in der ein Königssohn
dem Lichte öffnet seine Augenlider,
ist oft auch seine letzte schon
und schließt sie ihm auf ewig wieder.
Was helfen Größe, Ehr' und Treu',
Schönheit und Jugend, Tugend dir und Glaube?
Der Tod rafft alles ohne Scheu
dahin, und einst wird ihm die ganze Welt zum Raube.
Nichts ist uns minder unbekannt,
und nichts, obwohl es nirgends fehlte,
das minder uns gerüstet fand.

Ein Sterbender, der mehr als hundert Jahre zählte,
beklagte sich beim Tod, daß er mit solcher Hast
ihn zwingen wollt', ins Jenseits zu enteilen,
eh' er sein Testament verfaßt,
ohn' alle Mahnung. »Darf ich nicht verweilen
ein wenig nur, ein kleines Stündchen noch?
Mein Weib will, nur mit ihr soll ich den Himmel schauen;
auch möcht' ich manches tun für meinen Neffen doch;
laß an mein Haus mich einen Flügel noch anbauen!
Warum so eilig denn, du Gott voll Schreck und Grauen!«
Der Tod drauf: »Alter, nennst du Überraschung dies?
Zu Unrecht wagst du, mir ob meiner Hast zu fluchen.
Zählst du nicht hundert Jahr? Du sollst mir in Paris
zwei, die so alt wie du, zehn in ganz Frankreich suchen!
Du forderst Mahnung noch von mir, die hin dich wies
zur bess'ren Vorbereitung auf das nahe Ende;
war es dir Mahnung nicht genug, als dir die Hände
und Füße schlotterten, die Stirn
sich runzelte und Herz und Hirn
schwach ward, als dir Geschmack und Sehn und Hören schwanden
und deine Sinne kaum noch irgendwas empfanden?
Vergebens strahlt sein Licht des Tags Gestirn dir her;
das Glück, um das du klagst, ist längst für dich nicht mehr.
Die Freunde sahst du all' mit Bangen
im Tode bereits vorangegangen.
Ist all dies Mahnung nicht genug? Ich hätt's gedacht!
Drum fort jetzt, Alter, ohne Wimmern!
Der Staat wird wenig sich drum kümmern,
ob du dein Testament gemacht.«

Der Tod hatt' recht: Mir scheint, man sollt' in hohen Jahren
vom Leben gehen, wie sich's bei einem Mahl gebührt,
dem Wirte dankend und das Bündel wohl geschnürt.
Wie lange meint man denn, die Reise aufzusparen?
Du, Alter, murrst? Schau wie die Jugend unverweilt
dort auf dem Schlachtfeld einem Tod entgegeneilt,
erhaben zwar, ruhmreich und heldenmutig,
doch oft so grauenvoll und blutig!
Ich predig' dir umsonst, mein Eifer macht mich blind:
Die Menschen sterben um so schwerer, je näher sie am Tode sind.

Fab.2
Der Schuster und der Reiche

Ein heitrer Schuster sang von Morgen bis zur Nacht;
ihn anzusehn war eine Pracht,
'ne Pracht, zu hören ihn; er sang so lust'ge Weisen,
zufriedner als die sieben Weisen.
Sein Nachbar, der im Gold sich wälzt', war minder froh,
da Sang und Schlaf ihn ewig floh:
Er war Bankier, der lieh und borgte.
Wann morgens früh sein Aug' ein Schlummer deckt',
gleich ward vom lust'gen Sang des Schusters er geweckt;
dann flucht' er wohl, aufs Bett gestreckt,
dem Himmel, der nicht dafür sorgte,
daß man mit Geld den Schlaf auch kaufen kann
wie Trank und Speise für den Magen.

Einst rief zu sich der reiche Mann
den Sänger und fragt ihn: »Könnt Ihr mir sagen,
was ihr verdient im Jahr?« - »Im Jahre? Meiner Treu«,
erwidert' lächelnd ohne Scheu
der lust'ge Schuster, »Herr, es ist nicht meine Sache,
das auszurechnen, kaum daß ich 'nen Abschluß mache
von Tag zu Tag; ich hab nicht Not
und sehe, wenn das Jahr vorüber,
ich hatte stets mein täglich Brot.«
»Und was verdient Ihr wohl am Tag, mein Lieber?«
»Mal mehr, mal weniger. Das Schlimmste sind fürwahr
— sonst könnte ich um den Verdienst nicht klagen —,
das Schlimmste sind für uns die Feste all' im Jahr;
glaubt mir, man macht uns tot mit Feiertagen:
Eins jagt das andre, und der Pfarrer macht
in jeder Predigt uns bekannt mit neuen Heil'gen.«
Der Reiche sagt, indem er dieser Einfalt lacht:
»An einem großen Glück will ich Euch heut' beteiligen.
Nehmt hundert Taler hier, doch nehmet mit Bedacht
sie als Notpfennig wohl in acht.«

Dem Schuster ist's, als säh' er alles Golds Gefunkel,
das seit Jahrhunderten die Erd'
an Schätzen dieser Welt beschert.
Heim kehrt er und vergräbt in seines Kellers Dunkel
sein Geld, mit ihm auch seine Lust.
Kein Sang entquoll mehr seiner Brust,
seit er besaß, womit die Sorgen stets anfangen;
in seinem Bett kein Schlaf mehr zu ihm kam
und dessen Stelle unverzüglich nahm
der Argwohn ein und Angst und Bangen.
Bei Tag war stets er auf der Lauer, und bei Nacht,
wenn ein Geräusch die Katze macht,
denkt er an Raub. Zuletzt lief er voll Kummer
zu jenem, der seitdem besaß des Schlafes Glück.
»Gebt wieder mir mein Lied und meinen Schlummer«,
sprach er, »und nehmt hier Euer Geld zurück!«

Fab.3
Der Löwe, der Wolf und der Fuchs

Ein alter Löwe, schwer geplagt von Gicht,
verlangt ein Mittel, ihn vom Alter zu bewahren;
unmögliches gibt's ja für einen König nicht.

Die Ärzte kamen her in Scharen,
ringsher sah man zum Hof Rezeptschreiber wallen.
Doch blieb bei den Besuchen allen
der Fuchs daheim und ließ sich nirgends sehn.
Der Wolf, er spottet bei des Königs Schlafengehn
über den Fuchs. Der Fürst befiehlt, ohn' jede Schonung
ausräuchern solle man den Fuchs aus seiner Wohnung
und schaffen ihn zur Stell'. Er kommt, der Demut Bild,
und wissend, daß der Wolf den Streich ihm spielte:
»Ich fürcht', Herr, ein Bericht, der Angst mir erzielte«,
sagt er, »hat mich als einen Euch enthüllt,
der säumig wär', Euch hier zu huldigen;
doch mag die Wallfahrt mich entschuldigen,
mit der für Euer Wohl ich ein Gelübd' erfüllt.
Gelehrte fragt' ich nach der Schwäche, die Euch quält
und deren Folgen Euch nicht gut bekommen.
Nur Wärme ist's, an der's Euch fehlt;
das Alter hat sie Euch genommen.
Von 'nem lebend'gen Wolf das abgezogne Fell
müßt warm, noch rauchend, Ihr umbinden;
dies Mittel, wirksam ist's und schnell
belebend, wenn die Kräfte schwinden,
Herr Wolf dient dann bequem und traut
als Schlafrock Euch in Mußestunden.«
Den König hat der Rat erbaut;
den Wolf, zerrissen und geschunden,
hat der Monarch zum Nachtmahl erst verdaut.
Dann hüllt' er sich in seine Haut.

Ihr Herrn vom Hof, laßt ab, zugrunde euch zu richten.
Erfüllt doch harmlos eures Hofes Pflichten.
Vierfach verdunkelt Gutes ihr durch Schlechtigkeit.
Wer andre narrt, der wird auf die, auf jene Weise
genarrt; bedenkt, ihr lebt in einem Kreise,
wo einem keiner was verzeiht.

Fab.4
Die Macht der Fabel
An Herrn von Barillon

Läßt ein Gesandter sich herab
Fabeln zu lesen und gewöhnliche Geschichten?
Darf meine leichten Verse ich an Dich wohl richten?
Wenn ich das Kleid der Würde ihnen gab,
wirst als verwegen Du und keck sie dann nicht hassen?
Du mußt mit anderem dich befassen
als dem, wie's Häschen sich ergötzt
und mit dem Wiesel bricht die Lanze.
Lies oder lies sie nicht; doch jetzt
verhindre nur, daß man das ganze
Europa auf den Hals uns hetzt.
Daß ringsum sich der Feind erhebt
und tausend Herren sich empören –
mag sein! Allein, daß England danach strebt,
die Freundschaft unsrer Kön'ge zu zerstören,
werd' ich nur schwer begreifen können.
Soll Ludwig sich noch immer keine Rast vergönnen?
Welch andrer Herkules erlahmte nicht im Streit
mit jener Hydra? Wüßt' ich nur, was wir gewönnen,
wenn seinem starkem Arm ein neues Haupt sie zeigt?
Vermag dein Geist, beredt und biegsam,
die Herzen milder und geschmeidig
zu machen, daß erspart uns bleibt des Krieges Spiel,
will hundert Widder ich Dir opfern; das ist viel
für einen Bürger des Parnasses.
Für heut' nimm meines Weihrauchfasses
bescheidne Gabe gnädig an;
nimm meine heißen Wünsche dann
und dies Gedicht, das ich dir hier zu Füßen lege.
Es paßt für Dich, mehr sag' ich nicht;
auf's Lob, das Dir sogar der Neid
muß lassen, leg' ich kein Gewicht;
ich weiß, wie Ihr bescheiden seid.

Leichtsinnig war das Volk einst in Athen.
Ein Redner, der Gefahr fürs Vaterland gesehn,
bestieg die Rednerbühne. In die Herzen dringen
wollt' er, durch die Gewalt der Rede sie bezwingen;
fürs allgemeine Wohl bot alle Kraft er auf.
Man hört ihn nicht. Da griff der Sprecher im Verlauf
der Rede zu den stärksten Mitteln,
die selbst den trägsten Geist vermögen aufzurütteln:
Er donnert, was er kann, er weckt die Toten auf –
alles nur in den Wind, es achtet niemand drauf.
Es ward an diesem Tag an dem erhab'nen Orte
das tausendköpf'ge Tier zu keinem Ernst gebracht:
Rings sahn sich alle um; er merkt', sie gaben acht
auf Kinderprügelei'n und nicht auf seine Worte.
Was tat der Redner? Er versucht's auf andre Art.
»Ceres«, so fing er an, »macht' einstmals eine Fahrt
mit einem Aal und einer Schwalbe. Auf der Reise
hielt sie ein Wasser auf; der Aal, kundig genug
des Schwimmens, und die Schwalb' im Flug
kamen bald drüber weg.« Sogleich einstimmig frug
das Volk: »Und was tat Ceres?« Drauf der Weise:
»Was Ceres tat? Es wallt' ihr Blut
auf gegen euch in Zorn und Wut.
Wie, Fabeln sind's, wonach das Volk nur trachtet?
Und die Gefahr, in der es schmachtet,
sind nicht der Rede wert für leichtsinnigen Übermut!
Warum fragt ihr denn nicht, was König Philipp tut?«

Die durch das Gleichnis schnell erwachte
und zur Besinnung bald gebrachte
Bevölkerung gab nun auf ihren Redner acht.
Ein Stückchen Fabel hat's gemacht.

Athener sind wir alle in dem Punkt. Nicht lügen
will ich: Hätt' einer mir, als ich dies niederschrieb,
die Fabel von der Eselshaut erzählt, ich blieb'
wohl selber stecken vor Vergnügen.
Man sagt, die Welt ist alt. Ich glaub' es; doch gewinnt
nur, wer sie unterhält, als wäre sie ein Kind.

Fab.5
Der Mensch und der Floh

Beschwerlich fallen durch der Wünsche Ungeschick
den Göttern wir, und oft um ganz nichtswürd'ge Sachen,
als hätt' der Himmel nichts, ja weiter nichts zu machen,
als immer nur auf uns zu richten seinen Blick,
als dürft' der Sterblichen Geringster mit 'ner Bitte
bei jeder Lumperei, bei jedem seiner Schritte
die Bürger des Olymps beläst'gen jederzeit,
als gält's der Griechen und der Trojer wicht'gen Streit.

Ein Floh biß einen Toren; forthüpfend dann in Eile,
in Falten seines Hemds barg sich das Flöhelein.
»O Herkules«, rief da der Tor, »du mußt die Welt befrein
von dieser Hydra, diesem schrecklichen Unheile!
O Jupiter, warum vertilgst du nicht dieses blutgeile
Geschlecht? Auf diese Weise wäre ich gerächt!«

Um einen Floh zu töten, wär's ihm gerade recht.
wenn ihm die Götter liehen Blitz und Donnerkeile.

Fab.6
Die Frauen und das Geheimnis

Geheimnisse sind eine Last;
den Frauen fällt es schwer, sie weit zu tragen.
Hierin sind alle Männer fast auch Weiber nur,
das muß ich sagen.

Sein Weib zu prüfen, rief bei Nacht ein Ehemann
an ihrer Seite aus: »O Gott! Was fang ich an?
Ich kann nicht mehr! Ach, welche Plagen!
Himmel! Ich leg' ein Ei!« - »Ein Ei?« - »Ja, sieh's nur an;
ganz frisch! Doch hüte dich, etwas davon zu sagen;
man schimpft mich Henne sonst, drum schweig nur überall.«
Die gute Frau, der dieser Fall ganz neu war,
wie auch manche andre Fragen,
sie glaubte es und schwor, es still bei sich zu tragen.
Doch hat an den Eid, als diese Nacht
vorüber war, sie kaum mehr gedacht.

Die Frau erhebt aus ihrem Bett sich,
sobald die Morgensonne lacht
und läuft zur Nachbarin geschwätzig:
»Gevatterin, denkt nur, was da geschehen ist diese Nacht!
Doch redet nicht davon, weil mich mein Mann sonst schlägt:
Ein Ei, so groß wie vier, hat er gelegt.
Doch bitt' um Gottes Willen ich,
von dem Geheimnis nichts zu sagen.«
»Ihr kennt mich schlecht, könnt Ihr an mir zu zweifeln wagen!«
spricht jene drauf. »Verlaßt Euch ganz auf mich.«
Des Eierlegers Frau kehrt wieder heim; doch brennen
sieht man vor Ungeduld die andre schon und rennen
von Haus zu Hause mit der Neuigkeit vom Ei:
Aus einem macht sie gar schon drei.
Ein andres Weib sagt, daß es viere seien
und fügt hinzu, wie streng geheim die Sache wär'.
Unnötig waren die Geheimniskrämereien –
längst war es kein Geheimnis mehr.
So wuchs der Eier Zahl, sie ward von Mund zu Munde
dank dem Geschwätz vermehrt wie toll;
und vor der nächsten Abendstunde
war richtig schon das Hundert voll.

Fab.7
Der Hund, der seines Herrn Mittagbrot am Halse trug

Für Schönheit sind bestechlich unsre Augen,
und unsre Hände sind's für Geld;
es gibt nur wenige in dieser Welt,
die einen Schatz zu hüten taugen.

Ein Hund, als Bote in ein Gasthaus einst gesandt,
trug seines Herren Mahl, als Halsband umgehangen.
Enthaltsam war er, mehr fast, als man könn't verlangen,
von einem Hund, der einen guten Bissen fand –
aber, er war's. Und wir? Begehren
wir denn nicht alles Mögliche voll Lüsternheit?
Merkwürdig! Einen Hund lehrt man Enthaltsamkeit,
den Menschen aber kann man sie nicht lehren!
Der Pudel läuft mit seinem Körbchen ohne Rast;
da kommt ein Köter her, der nach den Speisen faßt.
Das ging, so sehr er sich drauf freute,
doch nicht so schnell: Um die Beute,
besser zu schützen, wirft er ab die Last.
Man kämpft. Andere Hunde nahn in Massen,
die herrenlos herum so liefen auf den Gassen.
Der Pudel, fürchtend, daß sie ihn zerreißen,
wollt' auch sein Teil und rief mit schlauem Überblick:
»Nur ruhig Blut, ihr Herrn! Ich will ja bloß mein Stück,
ums übrige mögt ihre euch beißen!«
Den ersten Bissen schnappt er weg bei diesem Wort;
gleich fällt darüber her die ganze Meute,
nach Kräften schmausen alle von der Beute,
ein jeder trägt sein Teil mit fort.

Der Staat ist dieser Fabel Sinn,
in dem das Geld man anvertraut der Bürgerschaft.
Schöffen und Händler, jeder rafft
so gut er kann zusammen den Gewinn.
Zum Lachen, wie geschwind dabei das Geld verschwindet!
Und wenn ein Redlicher das nicht in Ordnung findet
und bringt dagegen kluge Worte vor,
dann sagt man ihm: Du bist ein Tor!
Er wird sich wohl nicht lange schämen
und bald als erster seinen Teil sich nehmen.

Fab.8
Der Spötter und die Fische

Man sucht die Spötter, ich bemüh' mich, sie zu meiden.
Nur in des Meisters Hand ist diese Kunst zu leiden,
und für die Toren nur schuf Gott
Witzbolde mit boshaftem Spott.
Mit einer Fabel möchte ich euch dergleichen
vor Augen führen. Und vielleicht
bekennt ihr, daß sie ihren Zweck erreicht.

Ein Spötter saß zu Tisch bei einem Reichen
und fand an seinem Platz ungern
nur kleine Fischchen, all die großen lagen fern.
Er nimmt die kleinen, spricht ihnen ins Ohr ganz leise
und tut, als hört' in gleicher Weise
er ihre Antwort. Staunend blickt man ihn an,
ein Schweigen ringsumher begann.
Der Spötter sagt' drauf in Ehren,
er fürcht', es litt im vor'gen Jahr
ein Freund, der fortgegangen war
nach Indien, Schiffbruch in den Meeren;
ob's wahr sei, frag' er nun die kleinen Fische bloß.
Man sagt' ihm allerseits, daß sie zu jung noch wären,
zu kennen seines Freundes Los;
höchstens ein großer Fisch könnt' ihn belehren.
»Ein Großer? Ach, wie fragt' ich den wohl jetzt?«
Daß die Gesellschaft viel Behagen
an seinem Witz fand, dies zu sagen
vermag ich nicht; doch schließlich ward ihm vorgesetzt
ein Untier, alt genug, die Namen ihm zu nennen
all derer, die gesucht ein unbekanntes Land
und deren Spur man nimmer fand,
und schon hundert Jahr' in Meeres Grund gebannt,
des weiten Reiches Ahnen lernte kennen.

Fab.9
Die Ratte und die Auster

Es war gewiß nicht grad des Feldes klügste Ratte,
die ließ, da sie's langweilig fand,
Feld, Korn und Streu im Stich, kurz, alles, was sie hatte,
schlüpft' fort und wandert' durch das Land.
Kaum draußen, mit erstaunten Mienen:
»Wie ist so groß und weit die Welt!« ruft aus der Zwerg.
»Dies ist der Kaukasus! Das sind die Apenninen!«
Der kleinste Maulwurfshauf' erschien ihr als ein Berg.
Dann kommt sie, wandernd längs dem Strande,
in eine Gegend, wo Tethys am Meeresrande
viel Austern leben ließ; die Ratte glaubt sofort,
es sei'n, was sie erblickt, Schiffe mit hohem Bord.
»Mein Vater«, sagt sie, »ist ein armer Wicht geblieben;
zu reisen wagt' er nicht, furchtsam bis in den Tod.
Ich hab' das Meer gesehn und mich umhergetrieben
in Wüsten, trotzend der Gefahr, die mich bedroht'.«
Von einem Schulmeister wußt' alles dies die Ratte
und sprach's wie ein einfältig Kind,
nicht jenen gleich, die, weil sie Bücherfresser sind,
nur leben von gelehrtem Wind.

Von den geschlossnen Austern hatte
eine sich aufgetan; gähnend im Sonnenstrahl,
erfrischt durch sanften Windes Wehen,
schlürft sie die Luft, als wollt' in Wonne sie vergehen,
weiß, fett, schien sie ein ganz besonders leckres Mahl.
Kaum hat die Ratte sie mit ihrem Blick gemessen,
ruft sie: »Was seh' ich denn? Das ist ja was zu essen!
Wenn richtig aus der Farb' auf den Geschmack ich schloß,
so winkt ein Schmaus, wie ich ihn nie genoß.«
Der Schale nähert sich die Ratte und streckt weit
den Hals und Kopf hinein in gierigem Verlangen.
Da klappt die Auster zu, die Ratte ist gefangen.
So geht es der Unwissenheit.

Die Fabel gibt uns mehr als eine Lehre an:
Wir sehn zunächst, daß einem unwissenden Mann,
die kleinste Kleinigkeit die Fassung rauben kann.
Und was sodann aus ihr hervorgegangen:
Wer andre glaubt zu fangen, wird gefangen.

Fab.10
Der Bär und der Gartenfreund

Ein halb geleckter Bär, dem Hochgebirg' entstammt,
lebt', gleich Bellerophon,*
den einst das Schicksal steigen
und fallen ließ, im Wald zur Einsamkeit verdammt.
Verrückt ward er; denn der Vernunft ist's eigen,
daß sie nie lang bei Eremiten bleibt.
Reden ist Silber, sagt man, Gold ist Schweigen;
doch beides ist nicht gut, wenn man es übertreibt.
Kein lebend Tier mocht' da sich zeigen,
leer blieb's und öde ganz und gar,
so daß, obwohl ein Bär er war,
er höchst langweilig fand dies jämmerliche Leben.

Indes er also hier der Schwermut sich ergeben,
langweilte ganz auf gleiche Weis'
in seiner Nähe sich ein Greis,
ein Gartenfreund, der in Pomonas Dienste schaltet'
und Floras Priesteramt verwaltet'.
Schön ist dies Doppelamt; doch glaub' ich, schöner sei's
in liebenswürd'ger Freunde Kreis.
Ein Garten spricht nicht viel, außer in meinem Buche.
Drum ging der Greis einst auf die Suche
im Morgensonnenschein, der stummen Sippschaft satt,
nach Freunden; querfeldein wandelt' er frisch und munter.
Der Bär, der gleiche Absicht hatt',
kam auch von seinem Berg herunter.
Durch Zufall trifft höchst sonderbar
an einer Ecke sich das fremde Paar.
Der Mann hat Angst. Doch wie ausweichen? Was anstellen?
Mut heucheln war das Beste stets in solchen Fällen;
er wußt' es und verbarg die Furcht vor der Gefahr.
Der Bär, der nicht sehr höflich war,
sagt kurz zu ihm: »Komm zu mir!« Darauf jener: »Gerne zwar,
doch seht, da steht mein Haus; wollt ihr mir Ehr' erweisen,
so eßt darin mit mir ein ländlich schlichtes Mahl.
Ich habe Obst und Milch. Zwar weiß ich nicht einmal,
ob die Herrn Bären auch gewohnt sind solche Speisen,
doch biet' ich, was ich hab'.« Der Bär nimmt's an, sie gehn;
man kann schon unterwegs sie als zwei Freunde sehn.

Im Hause haben sie sehr freundlich sich vertragen;
mag auch Alleinsein mehr behagen als eines Narren Gegenwart,
so hindert, da der Bär in Schweigen meist verharrt,
doch nichts den Mann, daß er sein Tagewerk verrichte.
Der Bär geht auf die Jagd, schafft Wild herbei, obliegt
dann seinem Hauptgeschäft vergnügt
als Fliegenjäger, scheucht vom Angesichte
des Freundes, wenn er schläft, das lästige Insekt,
die Fliege, die so oft uns neckt.
Einst sieht er unserm Greis in tiefem Schlummer liegen
und eine Fliege, die ihm auf der Nase kreucht;
er wütet, da umsonst er immer fort sie scheucht.
»Wart nur!« so ruft er aus. »Dich werde ich schon kriegen!«
Gesagt, getan: Seht da, der Fliegenmeister schafft
'nen Pflasterstein herbei und schleudert voller Kraft,
ihn nach des Greises Haupt, die Fliege zu verjagen.
Er hat – als guter Schütze, doch höchst mangelhaft
als Denker – auf der Stell' ihn mausetot geschlagen.

Nichts bringt so viel Gefahr uns wie ein dummer Freund;
weit besser ist ein kluger Feind
.

*(Held der griech. Sage, wollte auf dem Wunderroß Pegasus in den Olymp
reiten, stürzte aber ab)


Fab.11
Die zwei Freunde

Zwei Freunde lebten einst in Monomotapa;
was einer hatte, war dem andern auch zu eigen –
die Freundschaft solle besser ja
sich dort als hierzulande zeigen.

In einer Nacht sieht man den einen sich aufraffen;
er eilt zu seinem Freund, erweckt der Diener Schar,
da Morpheus stundenlang schon Herr im Hause war.
Der Schläfer staunt, er greift nach Börs' und Waffen,
gewahrt den Freund und spricht: »Du pflegst doch sonst nicht viel
zu laufen, wenn man schläft wie jeder, der gescheit ist
und besser nützt die Zeit, die nur dem Schlaf geweiht ist!
Verlorest du etwa gar dein ganzes Geld im Spiel?
Da, nimm! Sollt' dich ein Ehrenhandel quälen?
Hier ist mein Degen, komm! Wenn du verdrießlich scheinst,
weil du im Bett alleine warst: Die Schönste magst du wählen
von meinen Sklavinnen; soll ich sie herbefehlen?«
»Nein«, sagt der Freund. Von allem, was du meinst,
ist's nichts; doch magst auf meinen Dank du zählen.
Im Traum erschienest du ein wenig traurig mir;
ich sorgt', es wäre wahr, drum kam ich schnell zu dir.
Der dumme Traum war's, der es machte.«

Wer liebt den andern mehr? Wie denkst mein Leser du?
Die Frage ist es wert, daß man sie ernst betrachte;
ein wahrer Freund verdient, daß man ihn achte.
In deines Herzens Grund sucht er, was not dir tu',
spart dir die Scham, ihm selber zu
entdecken, was dir etwa fehle;
ein Traum, ein Nichts, läßt ihm nicht Ruh',
gilt's dem Geliebten seiner Seele.

Fab.12
Das Schwein, die Ziege und der Hammel


Ein Hammel, eine Zieg' und ein gemästet Schwein,
auf einen Karren wurden sie zum Markt gefahren.
Nicht zum Vergnügen sollt' es für sie sein,
da sie, soviel man weiß, bestimmt vom Kärrner waren,
am Markte zum Verkauf zu stehn,
und nicht, um den Hanswurst zu sehn.

Frau Schwein schrie so, als wäre es schon geschehn
um sie und folgten ihr zehn Schlächter auf den Spuren;
ja, einen Lärm, um taub zu werden, machte sie.
Die andern, gutes Volk und sanftre Kreaturen,
wunderten sich gar sehr, daß sie um Hilfe schrie;
sie sahen keinen Grund zu zagen.
Der Kärrner spricht zum Schwein: »Was hast du denn zu klagen?
Du machst uns alle toll! Warum gibst du nicht Ruh'?
Die beiden andern, weit anständiger als du,
sollten dich Lebensart oder doch Schweigen lehren!
Sieh den Hammel an, hält er sich nicht fast stumm?
Denn er ist klug.« - » Nein, er ist dumm!
Wüßt' er, auf welchem Gang wir wären,
er macht' es wohl wie ich und schrie aus vollem Hals,«
erwiderte das Schwein, »und jene andre gute Seele,
schrie ebenso aus voller Kehle!
Sie denken, nehmen will man ihnen allenfalls,
der Ziege ihre Milch, dem Hammel seine Wolle.
Ob's richtig, sei dahingestellt;
doch mir, die höchstens gut man hält
zum Essen, droht der schmerzenvolle
und sichre Tod. Leb wohl, o Welt!«

Das Schwein zeigte Verständnis, sollt' ich meinen.
Allein was nützt' es ihm? Steht fest das Unheil, dann
kann Klagen auch nichts ändern mehr daran,
und der Kurzsichtigste wird stets der Klügste scheinen.

Fab.13
Tircis und Amarant
Für Fräulein von Sillery

Ich verließ Äsop, auf daß
mich Boccaccio ganz erfülle;
doch es ist auf dem Parnaß
wieder einer Göttin Wille,
Fabeln meiner Art zu sehn.
Nun, ihr einfach widerstehn
ohne triftige Entschuld'gung,
wäre eine schlechte Huld'gung,
einer Göttin dargebracht,
welche durch der Schönheit stillen
Zauber über jeden Willen
herrscht mit unumschränkter Macht.
Denn – ich sag' es unverhohlen –
Sillery hat es befohlen,
daß bei mir von neuem flugs
Meister Rab' und Meister Fuchs
in gereimter Sprache reden.
Sillery – genug weiß man:
In der Schätzung eines jeden
steht ihr Name obenan.
Wie hätt' ich's nicht unternommen?
Doch, zur Sache jetzt zu kommen:
Meine Fabeln, meinte sie,
sind nicht klar und dort und hie
manchem Schöngeist unverständlich.
Dichten drum wir ein'ge, die
ohne Kommentar verständlich!
Hirten führn wir vor und reimen unverzagt
ganz gemütlich dann, was Wolf und Schaf gesagt.

Zur jungen Amarant sprach Tircis einst: »Beglücken
würd's mich, ach, kenntest du wie ich doch jenes Leid,
das Leid voll Lust und voll Entzücken –
nicht seinesgleichen gibt's auf Erden weit und breit!
Erlaube mir, daß ich dir's sage,
und Furcht und Zweifel sei verbannt;
könnt' ich dich täuschen, dich, der ich im Busen trage
das zärtlichste Gefühl, das je ein Herz empfand?«
Sofort stellt' Amarant die Frage:
»Wie nennst du dieses Leid? Wie heißt es? Sag mir's an!«
»Die Liebe.« - »Schönes Wort! Wie soll ich sie erkennen?
Beschreib sie mir, mein Freund: Sag was empfindet man?«
»Gar süße Pein. Langweilig ist zu nennen
der Kön'ge Lust, wenn man's vergleicht. Man fühlt allein
ganz selig sich im stillen Hain.
Betrachten wir uns in des Baches Welle,
so sehen wir nicht uns selbst, ein Bild nur, klar und helle,
das stets uns wiederkehrt, wo immer wir auch sind;
für alles andre sind wir blind.
Ein Hirt ist's dessen Nahn zur Stelle,
des Stimme, dessen Name uns erröten macht;
wir seufzen, wenn wir sein gedacht.
Wir wissen nicht, warum wir seufzend nach ihm trachten;
wir fürchten, ihn zu sehn, indes wir nach ihm schmachten.«
Sogleich erwiderte Amarant:
»Ah so? Das ist das Leid, das du so süß genannt?
Das ist mir nicht mehr neu, ich glaub' es wohl zu kennen.«
Tircis glaubt schon, sie sein zu nennen;
da fährt die Schöne fort: »Genau dasselb' empfand
ich lange schon für Clidamant.«
Er meinte vor Verdruß, vor Gram und Scham zu sterben.

Wie er hat mancher wohl im Sinn,
für eignen Vorteil nur zu handeln und werben,
und schafft bloß anderen Gewinn.


Fab.14
Das Leichenbegängnis der Löwin

Des Löwen Gattin starb; zur Stell'
eilt' jeder hin, um möglichst schnell
sich vor dem Fürsten zu entledigen
der Beileidsförmlichkeit,
die immer mehr gilt als das Herzeleid.
Der Löwe kündete durch einen gnädigen
Befehl dem Lande Zeit und Ort
der Leichenfeier an: Marschälle seien dort,
das Fest zu ordnen und den Kreisen
der Gäste Plätze anzuweisen.
Es fehlte keiner, und es brüllt alsbald
der Fürst, daß von des Tons Gewalt
die ganze Höhle widerhallt –
der Leu hat keine andre Halle.
Nach seinem Beispiel brüllten alle
die Höflinge in ihrem ungeheuren Leid.

Der Hof scheint mir ein Land, wo jeder jederzeit
ist traurig oder froh, gleichgültig und bereit,
kurz, was der Fürst befiehlt; und kann man das nicht schaffen,
sucht man die Form doch abzugaffen.
Dies Volk besteht nur aus Chamäleons und Affen.
Viel tausend Körper, stets belebt von einem Geiste bloß,
sind dort die Menschen: Puppen willenlos.

Doch wieder jetzt zu unsern Sachen!
Der Hirsch nur weinte nicht. Wie sollt' er's auch wohl machen?
Rache war dieser Tod für ihn: Die Königin
rafft' einst ihm Weib und Kind dahin.
Genug, er weinte nicht. Ein Schelm, stark im Verdrehen,
sagt' gleich, er hab ihn lachen sehen.
Der Zorn des Königs, sagt der weise Salomon,
ist schrecklich, und mehr noch des Löwen auf dem Thron.
Doch mocht's bei unserm Hirsch wohl schlecht ums Lesen stehen.
Der König herrscht ihn an: »Elender Waldeswicht,
du lachst? Es rühren dich der Seufzer Töne nicht?
Doch unsre heil'ge Tatze wollen wir mit deinem Jammerleibe
nicht entweihen! Wölfe, kommt herbei
und rächt die Königin; geopfert sei
der Schurke dem erhabnen Weibe.«
Der Hirsch erwidert drauf: »O Herr, des Weinens Frist
ist jetzt vorbei; zu nichts kann hier der Schmerz noch dienen.
Eu'r selig Eh'gemahl, ruhend auf Blumen, ist
nah dieser Stätte mir erschienen –
ich kannte sie sogleich an ihren Mienen.
>Sorge<, sprach sie, >beim Leichenfest, wenn mich
der Götter Gruß empfängt, daß keine Träne fließe,
da tausend Wonnen im Elysium ich genieße
mit denen, die geheiligt sind wie ich.
Der König, so will ich's, ergeb' einstweilen sich
dem Schmerz!< Kaum hört das Wort man, das leichtfertig lose,
gleich schallt es ringsumher: »O Wunder! Apotheose!«
Der Hirsch strich ein Geschenk statt aller Strafen ein.

Bereite Königen Vergnügen
durch Träume und durch angenehme Lügen.
Wie zornig sie auch sind: Der Köder ist zu fein,
sie beißen sicher an; stets wirst ihr Freund du sein.


Fab.15
Die Ratte und der Elefant

Sich etwas dünken, das ist Brauch bei uns zu Lande;
so mancher spielt den Mann von Stande
und ist ein kleiner Bürger nur.
Das ist französische Natur:
Alberne Eitelkeit ist uns besonders eigen.
Der Spanier hat sie, doch er wird sie so nicht zeigen;
sein Stolz scheint mir darum viel törichter, doch nicht so dumm.
Laßt euch ein Bild, ganz nach dem Leben
gezeichnet, von dem unsern geben.

Die kleine Ratte sah 'nen Elefanten, der
ein Riese war; sie lacht', wie langsam doch einher
das große Tier schritt durch die Straßen!
Er ging geschmückt über die Maßen;
auf seinem hohen Rücken saßen
eine berühmte Sultanin
und Katze, Hund, Begleiterin,
Äffchen und Papagei, die mit ihrer Gebieterin
als Reisende das Land durchmaßen.
Die Ratte staunt', wie man im Land
begierig war, zu schaun die schwer gewalt'ge Masse.
»Wie großen Raum«, so sprach sie, »man umfasse,
entscheidet das, ob hoch, ob niedrig unser Stand?
Nun, was bewundert ihr an ihm denn so, ihr Leute?
Den Leib, vor dem manch Kind wohl Angst empfand?
Wir sind zwar klein, doch dünken wir uns nicht um Haares Breite
geringer als ein Elefant.«

Sie hätte wohl noch mehr gesprochen;
doch eine Katze kam herbeigekrochen,
und die bewies ihr kurzerhand:
Die Ratte ist kein Elefant.

Fab.16
Das Horoskop

Oft wird vom Schicksal man getroffen
auf Wegen, die man wählt, grad um ihm zu entgehn.

Ein Vater hatt' sein einzig Hoffen,
den einz'gen Sohn, so lieb, daß er, um zu erspähn
des Sprößlings Los in künft'gen Tagen,
nicht scheut', Wahrsager zu befragen.
Einer derselben sagt', vor Löwen sollt'
er seinen Sohn bis zu gewissem Alter wahren,
so etwa bis zu zwanzig Jahren.
Der Vater, mit besorgtem Sinne wollt'
besonders schützen seines Lieblings Leben,
verbot, daß je auch nur mit einem Tritt
des sichern Schlosses Tor der Knabe überschritt.
Drin konnt' er ganz nach Lust der Freude sich ergeben,
mit Freunden seinen Tag im Laufen, Springen, Spiel
verbringen, wie es ihm gefiel.

Als er im Alter war, wo Neigung
zur Jagd im jungen Herzen quillt,
macht' man ihm ein abscheulich Bild
von dieser Lust; doch Überzeugung,
Belehrung, Rat – kurz, was man nur
versucht', nichts ändert' die Natur.
Der Jüngling, aufgeregt und feurig, voll des Mutes,
fühlt' kaum die Wallungen des jugendlichen Blutes,
schon schwellt die Sehnsucht ihm die Brust
und mit den Hindernissen wächst ihm auch die Lust.
Er kannte wohl den Grund des lästigen Beschlusses;
und da im Schlosse bei dem Glanz des Überflusses
ein Reichtum sich an Bildern fand,
da Pinsel ihm und Malerleinwand
des Waldes Pracht und lustig Jagdvergnügen
vor Augen führten – Tiere, die er nie gekannt,
und Menschen mit bekannten Zügen –
geriet er einst in Zorn vor eines Löwen Bild.
»Du Bestie!« rief er. »Deinetwegen leb' ich an dem Orte
versteckt und festgebannt!« Er führt' bei diesem Worte
auf das unschuld'ge Tier, von heft'ger Wut erfüllt,
mit seiner Faust zwei wucht'ge Schläge.
Unter der Leinwand war ein Nagel, der ihm, ach,
die Lebensader so durchstach,
daß ihn der Ärzte angestrengte Pflege
nicht retten konnte. Schuld an seiner Not
war nur die Sorge, zu bewahren ihn vom Tod.

Man sagt, daß Äschylus, der Dichter so geendet hat.
Man hatte ihn gewarnt, er sei vom Tod
durch eines Hauses Sturz bedroht.
Sogleich verließ er drum die Stadt,
um fern von Dächern sich im Freien aufzuhalten.
Da flog ein Adler grade drüber hin, der eine
Schildkröte trug. Mit einem blanken Steine
verwechselt' er den kahlen Kopf des Alten
und ließ die Beute fallen, daß sie drauf zerschellen sollt'.
So fand auch Äschylus das End', das er vermeiden wollt'.

Sterndeuterei – die Beispiele sollen's lehren –
führt grade, wenn sie Wahrheit spricht, das Mißgeschick herbei
das jene scheun, die auf sie schwören;
ich halte sie für falsch, drum spreche ich sie frei.

Ich glaube, daß Natur die Hände
sich niemals bindet noch uns so die Freiheit nimmt,
daß unser Schicksal sie im Himmel schon bestimmt;
das letztere wird durch die Umstände
bedingt, durch Menschen, Zeit und Ort,
nicht durch der Schwindler schreierisches Wort.
Ein Fürst hier und ein Hirt dort unter einem Sterne
sind sie geboren, jener hoch, der niedrig, weil's der ferne
Jupiter so will und so beliebt.
Was ist den Jupiter? Ein Körper ohne Willen.
Wie kommt's, daß seine Macht im stillen
auf diese beiden so verschiednen Einfluß übt?
Wie sollt' er bis zu unser Welt wohl dringen?
Wie durch das tiefe Blau des Äthers durch sich ringen,
durch Mars und Sonne, durch des Raumes Leere,
wo ein Atom imstand, ihn abzulenken, wäre!
Wie sollten die Sterndeuter dann ihn wiederfinden?
Europas Lage – aus so vielen Gründen
verdiente sie, daß man vorher uns dran gemahnt!
Warum tat's keiner? Weil nicht einer sie geahnt.

Fab.17
Der Esel und der Hund

Man soll einander helfen. Dem Naturbefehle
hat Meister Langohr einst sich widersetzt.
Weiß nicht, wieso er ihn verletzt,
denn er ist sonst 'ne gute Seele.
Er ging einst über Land, langsamen Schrittes und
gedankenlos mit einem Hund;
ihr Herr begleitete sie beide.
Der Herr schlief ein; gleich ging der Esel auf die Weide.
Auf dieser Weide gab's ein Gras,
das er besonders gerne fraß.
Zwar Disteln gab es leider keine,
doch immer heikel sein, das geht auch nicht;
obwohl 'ne Eselsmahlzeit ohne dies Gericht
doch eigentlich nicht gelten kann als eine feine.
Für diesesmal behalf der Esel sich zur Not.
Der Hund jedoch vor Hunger schon halb tot,
sagt' ihm: »Ach, lieber Freund, ein wenig bücke
dich nur, daß ich erreichen kann den Korb mit Brot.«
Doch keine Antwort kriegt er, keinen Blick,
denn Langohr denkt, es könnt' beim Stillestehn
ein Maulvoll ihm verlorengehn.
Er geht, den Bitten taub, vorüber.
Endlich erwidert er: »Ich rate dir, mein Lieber,
zu warten, bis der Herr sein Schläfchen hat gemacht;
denn ohne Zweifel wird, sobald er nur erwacht,
dein richtig Teil dir zugemessen;
es kann nicht lange dauern mehr.«
Inzwischen kommt ein Wolf daher
vom Wald, ein hungrig Vieh, das lange nichts gefressen.
Des Hundes Beistand ruft der Esel an sofort;
der rührt sich nicht, er sagt: »Ich rate dir, mein Lieber,
zu fliehen, bis des Herren Mittagsschlaf vorüber;
es währt nicht lange. Schnell nur mach dich fort!
Kommt dir der Wolf zu nah, dann schlag ihm ohne Zagen
den Rachen ein. Du bist ja neu beschlagen –
leicht streckst du nieder ihn.« Bei diesem weisen Wort
fiel Meister Langohr schon als Beute zu den Wölfen.

Ich mein', man soll einander helfen.

Fab.18
Der Pascha und der Kaufmann

Ein griech'scher Kaufmann trieb seit manchen Jahren
Handel. Ein Pascha wollt' ihm hilfreich sein,
wofür der Grieche ihn bezahlte: nicht als Kaufmann, nein,
als Pascha zahlte er. Am teuersten von allen Waren
sind Gönner! Dieser war's so unerhört,
daß sich der Grieche überall beschwert'.

Drei andre Türken von geringem Rang und Posten
boten gemeinsam ihre Hilfe an;
die drei versprachen, weniger zu kosten,
als er bisher gezahlt dem einen Mann.
Der Grieche hört's und bleibt in ihren Händen.
Dem Pascha wird's berichtet alsogleich;
man rät ihm, um es klug zu wenden,
mög' er den Leuten einen argen Streich
spielen und schnell zu Mohammed sie senden
mit einer Botschaft grad ins Paradies,
und zwar sofort; wo nicht, so täten sie's
mit ihm – wüßten sie doch, nach jeder Seite
wären sie von seinen Rächern sie umstellt;
leicht fördert' ihn ein Gift in jene Welt
als Schutz und Gönner dort'ger Handelsleute!
Auf diese Nachricht zeigt der Türke groß
wie Alexander sich; und voll Vertrauen
geht zu dem Kaufmann er, setzt frisch drauflos
an seinen Tisch sich, und dort läßt er schauen
in Red' und Haltung so viel sichern Mut,
daß niemand glaubt, er ahne, was sich tut.
»Ich weiß«, sagt er, »du willst mich, Freund, aufgeben,
man meint sogar, es gehe mir ans Leben;
doch dazu halt' ich dich für viel zu gut.
Du siehst nicht aus wie ein Gifttrankbereiter –
ich sprech' auch über diesen Punkt nicht weiter.
Betreffs der Leute, die dir ihren Schutz
anbieten: Statt mit Gründen dich zu quälen
und langen Reden, will ich dir zu Nutz
nur eine kleine Fabel jetzt erzählen.

Ein Hirt hatt' einen Hund zu seiner Herde Hut.
Man fragt' ihn, was ihm so eine Dogge solle,
die täglich, wenn sie fressen wolle,
ein ganzes Brot verbrauch'. Er müsse kurz und gut
das Tier dem Edelmann verehren. Er im Grunde
brauch' höchstens zwei, drei kleine Hunde;
für seinen Dienst genügten die,
sie kosten weniger, die Herde würden sie
jedoch mehr als der eine ihm bewachen.
Der fraß zwar mehr als drei; doch eins vergaß man bald:
Er hatt' auch 'nen dreifachen Rachen,
wenn es den Kampf mit Wölfen galt.
Der Schäfer gab ihn ab und kauft' drei kleine Hunde;
die waren billiger, doch flohn sie vor dem Wolf zur Stunde.
Die Herde merkt's! Auch du, suchst einen Halt
mit jenem Pöbel du im Bunde,
wirst merken das«. Der Grieche glaubt's.

Dies woll'n wir lehren die Provinzen:
Weit besser ist es, alles wohlbedacht,
sich eines Königs zuverläss'ger Macht
anzuvertraun als vielen kleinen Prinzen
.

Fab.19
Der Vorzug der Wissenschaft

Zwei Bürger einer Stadtgemeinde
gerieten einst in ernsten Streit;
arm, aber hochgelehrt der eine,
der andre reich, doch nicht gescheit.
Dieser, der seinem Gegner weit
sich überlegen zeigen wollte,
verlangt', jeder Gelehrte sollte
ihm Ehr' erweisen, das sei Pflicht!

Ganz töricht war's; ich schätze solche Güter nicht,
die einer unverdient besessen!
Der Grund scheint mir nicht angemessen.
»Freund«, sagt' er dann und wann
dem hochgelehrten Mann,
»Ihr meint, daß Achtung Euch gebührt;
sagt, ob 'nen guten Tisch Ihr führt!
Was hilft es, wenn man stets nur lesen kann?
Ihr wohnt im dritten Hof, womöglich noch dahinter;
im Juni kleidet Ihr Euch wie im strengsten Winter,
nur euer Schatten folgt als Diener Euch hintan.
Der Staat fragt viel nach solchen Leuten,
die nichts ausgeben! Wie ich mein',
hat nur der Mann was zu bedeuten,
der viel verbraucht und freigebig vermag zu sein.
Wir tun's, weiß Gott! Durch unsre Lustbarkeiten
lebt Handel und Gewerb, die Schmuck bereiten,
und davon lebt ja wohl auch Ihr:
Die schlechten Bücher widmet Ihr den Reichen
und nehmt von ihnen gutes Geld dafür!«

Die Unverschämtheit sondergleichen,
bald ward sie nach Verdienst belohnt.
Es schwieg der Wissenschaftler auf des Toren Rede.
Doch mehr als Spott rächt' ihn die rasche Fehde:
Mars äschert' ein den Ort, den diese zwei bewohnt;
sie mußten alle zwei die Stadt verlassen.
Der freche Tor blieb auf den Gassen,
verachtet stets und ungeehrt;
der andre fand, wohin er kam, nur Gunst und Frieden.
So wurde denn ihr Streit entschieden.

Sagt, Toren, was ihr wollt: Das Wissen ist was wert.

Fab.20
Jupiter und die Donnerwetter

Jupiter, der unsere Gebrechen
sah, rief einst vom Himmelszelt:
»Füllen wir mit andern Gästen
all die Gegenden der Welt,
die bewohnt von jener Bande,
die mir Ärger bringt und Schande!
Geh, Merkur, zur Unterwelt.
Die im Grausen meistgeübte
Furie bring von den drei'n.
Du, Geschlecht, das so ich liebte,
sollst diesmal vernichtet sein!«
Bald fing Jupiter sich zu begüt'gen
an, sein Groll ward minder groß.

Könige; laßt, die zu hüten
ihr berufen seid, der Menschen Los,
zwischen eures Zornes Wüten
und dem Sturm, den es entfacht,
stets den Zeitraum einer Nacht!

Wie des Boten Wangen blühten
rosig! Wie er leichtbeschwingt
zu den schwarzen Schwestern dringt!
Mag Megära Unheil brüten
und *Tisiphone: Seine Wahl
trifft Alektos Herz von Stahl.
Und mit Blicken, stolzerglühten,
bei Persephones Gemahl
schwur sie, nächstens geh' zunichte
all das menschliche Gezüchte,
das der Unterwelt geweiht.
Jupiter mißbilligte den Eid
dieser Furie. Die Gekränkte
schickt zurück er; aber doch
schleudert er 'nen Blitz, der noch
auf ein treulos Volk sich senkte.
Dieser Strahl, den selbst er lenkte,
der der Vater jener war,
die bedroht er mit Gefahr,
wirkte nichts als Angsterregung:
Er versengt nur die Umhegung
eines Waldes, von Menschen frei.
Jeder Vater schlägt vorbei.

Was geschah? Der Menschen wilde
Sippschaft fußt auf dieser Milde.
Der Olymp war aufgebracht;
und beim Styx im Rat der Götter
schwur des Wolkensammlers Macht,
senden woll' er andre Wetter,
sichrer wirkende! – Man lacht:
Vater sei er, ernstlich hassen
könn' ein solcher nimmermehr;
drum möchte andre Götter er
mit den Blitzen doch befassen!
Dem Vulkan ward's überlassen.
Donnerkeile hält verwahrt
dieser Gott zwiefacher Art:
Sicher trifft in Todeswettern
jener, den der ganze Rat
des Olymp auf uns läßt schmettern;
dieser irret ab vom Pfad,
nur auf hohen Bergesspitzen,
oft auch gar nicht, schlägt er ein –
diese letztre Art von Blitzen
schickt uns Jupiter allein.

*Tisiphone:
(Neben Alekto und Megaira ist Tisiphone die dritte der Rachegöttinen (Erinyen)
Wie auch der Namensbestandteil tisis ("Vergeltung") sagt, ist sie die Rächerin,
besonders von Mordtaten)


Fab.21
Der Jagdfalke und der Kapaun


Oft lockt euch eine Stimm', um dann euch zu verraten;
seid klug und folgt nicht gar zu schnell.
Glaubt mir, der Hund von Johann von Nivelle
war gar nicht dumm: Er roch den Braten.

Ein Bürger von Le Mans, Kapaun von Rang und Stand,
ward einst von seines Herren Gnaden
vor seiner Laren Sitz geladen,
vor jenen Richterstuhl, gewöhnlich »Herd« genannt.
Die Leute lockten ihn mit heuchlerischem Munde:
»Du Kerlchen! Kerlchen!« Doch er dachte nicht daran;
er ließ die Leute schrein und sagte ihnen dann:
»Ich dank Euch! Euer Köder müßt' nur gar so plump nicht sein;
ich beiß nicht an, aus gutem Grunde!«

Von seiner Stange sah ein Falk, wie in der Flucht
unser Normann'  sein Heil nun sucht.
Kapaune nahn uns – sei's Instinkt, sei es Erfahrung –
nur mit vorsichtiger Verwahrung.
Der unsre, welchen man mit Mühe nur erwischt,
sollt' sich am nächsten Tag, als Braten aufgetischt,
an einem Abendschmaus beteil'gen – eine Ehre,
nach der er nicht zu gierig hascht!
Der Jagdfalk sagt zu ihm: »Ich bin ganz überrascht
ob Eures Unverstands. Ihr seid doch geistesleere
Geschöpfe, Pack, das nichts gelernt hat und nichts tut!
Ich fliege aus zur Jagd und kehr' zum Herrn dann wieder.
Er ruft Euch. Seid Ihr taub?« -»Ich höre nur zu gut«,
entgegnet der Kapaun. »Was will er mit mir machen?
Und dort der nette Koch, das Messer in der Hand?
Hieltet Ihr dieser Lockung stand?
Laßt mich entfliehn, hört auf, sie zu verlachen,
die Unvernunft; sie treibt mich grad zur Flucht,
wenn mit so süßem Ton man mich zu locken sucht.
Säht Ihr am Spieße braten so viele Falken jeden Tag
wie ich Kapaune sehen mag,
so würdet Ihr mir sicherlich zu andern Dingen raten«.

Fab.22
Die Katze und die Maus

Vier Tiere ganz verschiedner Art – die Katze
Käseschnapp, das schlanke Wieselchen, die Eule Trauerhelm
und endlich Maschenfraß, die Maus,
jeder ein ausgesuchter Schelm –
hausten im Fichtenstumpf an wild-einsamem Platze.

Sie hausten so, daß um den Baum in einer Nacht
Netze der Mensch ausstellt'. Die Katze, kaum erwacht
ging früh am Morgen aus auf Beute.
Die letzten Schatten, die das Licht noch nicht zerstreute,
deckten das Netz; sie fiel hinein, ein groß Geschrei
erhob sie laut, und schnell eilt' auch die Maus herbei.
Die eine zagt', indes die andre sehr sich freute:
Sah in der Falle doch sie ihren ärgsten Feind.
Die arme Katze spricht: »Mein Freund,
dein Wohlwollen ist mir sehr wichtig
und längst bekannt; jetzt hilf mir noch
aus dieser Schlinge raus, in die ich unvorsichtig
geraten bin! Recht hatt' ich doch,
daß ich dich ganz allein von allen deinen Vettern
geliebt; wie meinen Augapfel, so hegte stets ich dich.
Nie reut' es mich, o nein, den Göttern danke ich!
Grad wollt' ich beten zu den Göttern,
wie's jede fromme Katz' am Morgen pflegt zu tun.
Dies Garn hält mich; sei du mein Lebensretter nun.
Komm, nag die Maschen auf!« -

»Welche Belohnung«, fragt jetzt die Maus, »krieg ich von dir?«
»Ewigen Bund zu Schirm und Schonung«,
versetzt die Katze, »schwör' ich dir.
In meiner Krallen Schutz ist sicher deine Wohnung;
gegen jedweden Feind will ich dir Beistand leihn.
Das Wiesel will und obendrein
der Eule Männchen will ich fressen;
sie hassen beide dich.« Die Maus spricht da: »Du Tor!
Ich dich befrein? So dumm! Gott schütze mich davor!«
Sie schlüpft zu ihrem Loch; indessen
das Wiesel sitzt ganz nah dem Ort.
Die Maus, sie huscht hinauf und sieht die Eule dort.
Gefahren hier und da; der nächsten zu entgehen,
kehrt Maschenfraß zurück zur Katz', ihr beizustehen,
löst einen Knoten nach dem andern und so fix,
daß sie die Falsche bald befreite.
Da naht der Mensch, und augenblicks
suchen die beiden jüngst Verbündeten das Weite.
Nur kurze Zeit darauf sieht unsre Katz' aufs neu
die Maus, die fern sich hält, still und verschlossen.
»Komm«, spricht sie, »gib 'nen Kuß mir! Deine Scheu
beleidigt mich; den Bundsgenossen
siehst wie 'nen Feind du an. Du meinst,
ich hätt' vergessen, daß ich einst
nächst Gott nur dir verdankt mein Leben?«
Die Maus darauf: »Und ich? Meinst, ich vergäße eben
deine Natur? Kann ein Vertrag
zur Dankbarkeit jemals wohl eine Katze zwingen?
Kann Sicherheit einen Bund uns bringen,
dem nur die Not zugrunde lag?«

Fab.23
Der Bergbach und der Fluß

Mit lautem Tosen und Gekrach
stürzt vom Gebirg der Bach, der Wilde;
man fliehet ihn, und Schrecken folgt ihm nach,
angstvoll erbeben die Gefühle.
Kein Wandrer wagte eine so
gewalt'ge Schranke zu durchdringen;
ein einz'ger nur, verfolgt von Räubern, floh,
sucht' zwischen sich und sie die Flut zu bringen.
Nur drohend war der Bach, da's ihm an Tiefe fehlt';
nur Furcht war's, die den Mann beseelt' -
er wagt's, sein Glück macht ihn verwegen.
Die Räuber gaben die Verfolgung aber noch nicht auf.
So kam er bald auf seinen Wegen
zu einem Flusse, dessen Lauf,
des Schlummers Bild, des friedlichen und reinen,
den Übergang zuerst ganz leicht ihm ließ erscheinen:
Kein steiles Ufer, klar der Sand. Gleich sprungbereit,
bringt vor den Räubern ihn das Roß in Sicherheit
doch nicht vor diesen dunklen Fluten –
bald tranken aus dem Styx die Guten.
Der Kunst des Schwimmens ganz und gar
unkundig, mußt' im Land der Finsternis das Paar
ganz andre Flüsse noch durchwandern.

Von stillen Wassern droht uns mehr Gefahr
als vor den noch so wilden andren
.

Fab.24
Die Erziehung

Laridon und Cäsar, adelige Hunde gut und wert,
zwei Brüder, schön und stark, voll Mut und Witz,
sind bei zwei Herrn seit Jahren im Besitz.
Der eine dient im Wald, der andere am Herd.
Die unterschiedliche Dressur
verstärkt im einen noch die glückliche Natur,
verdarb im andern sie: Er ward mit Spott und Schand
von einem Küchenjungen Laridon benannt.
Sein Bruder, stets auf edlen Wildes Spur,
der manche Sau gepackt, bestanden manchen Strauß,
zum Cäsar rief das Hundevolk ihn aus.
Man sorgte, daß nicht durch unebenbürt'ge Liebe
in seiner Kinder Schar sein Blut entarten sollt'.
Doch unbeachtet folgte Laridon dem Triebe:
Der ersten besten war er hold.
Das Land bevölkernd in der Runde,
zeugt' er die Art gemeiner Hunde,
die vor Gefahren fliehn in Eil' –
ganz der Cäsaren Gegenteil.

Nicht immer ist's, daß man der Ahnen Tugend wahrte:
Die Lässigkeit, die Zeit wirkt leicht, daß sie entarte.
Wer die Natur nicht hegt und schätzt,
der wird wie mancher Cäsar auch ein Laridon zuletzt.

Fab.25
Die beiden Hunde und der tote Esel

Tugenden sollten Schwestern sein –
sind doch die Fehler sämtlich Brüder:
Kehrt Ihrer einer nur in unsrem Herzen ein,
gleich folgen alle nach wie einer Kette Glieder –
und wohnen gern einander nicht zuwider,
gemeinsam unter einem Dach.
Allein die Tugenden – geht man der Sache nach -,
wie selten sieht man sie, vereint mit ihresgleichen,
die Hände brüderlich einander reichen!
Dieser ist stark, doch kalt! jener ist klug, doch schwach.
Unter dem Vieh tut sich der Hund was drauf zugute,
daß er treu sei, von wachem Mute;
doch ist gefräßig er und dumm.

Beweis: zwei Köter. Um des Ufers Rand herum
sahn auf den Wellen sie 'nen toten Esel treiben;
weiter und weiter bringt der starke Wind ihn fort.
Der eine spricht: »Besser als ich siehst du. Schau dort!
Auf jenem Punkte laß den Blick ein wenig bleiben.
Ich glaub', ich seh' dort was; ist es ein Pferd, ein Stier?«
»Ach was! ganz gleich, was für ein Tier«,
versetzt der andre, »'ne Beute ist's, bei meiner Seele!
Nun heißt's: Wie kriegen wir's? Der Weg zu ihm ist weit,
und Schwimmen gegen Wind hat seine Schwierigkeit.
Saufen wir's Wasser aus! Glaub, unsrer durst'gen Kehle
wird das gelingen; bald sehn wir das Aas
im Trocknen liegen, und der Fraß
wird für 'ne ganze Woche langen.«
So saufen sie. Bald ist der Atem ihnen ausgegangen
und dann das Leben auch: Sie trinken
bis beide tot zur Erde sinken.

Der Mensch ist auch so: Hält ihn Leidenschaft in Banden,
dann ist Unmögliches für ihn nicht mehr vorhanden.
Was leistet alles er an Wunsch, Versuch und Tat,
damit nur Geld und Ruhm zuteil ihm werden sollen!
»Abrunden möchte' ich meinen Staat!«
»Könnt' ich hebräisch!« - »Hätte ich 'nen akademischen Grad!« -
»Könnt' meine Kasten füllen ich mit Goldesrollen!« -
Das heißt das Meer austrinken wollen.
Und wenn es ginge – wär' man zufrieden dann?
Um auszuführen, was ein einz'ger Geist ersann,
braucht' es vier Körper. Und selbst diese kehren
auf halbem Wege um, weil's ihnen an der Kraft gebricht.
Nein, vier Methusalems zusammen brächten nicht
zustand, was einer mag begehren.

Fab.26
Demokrit und die Abderiten

Wie hab' ich stets gehaßt die Menge und ihr Meinen!
Frech, ruchlos, ungerecht wollt' sie mir stets erscheinen:
Sie sieht die Dinge durch gefärbtes Glas
und mißt die andern nur nach eignem Maß.

Der Lehrer Epikurs dient dafür zum Beweise.
Sein Volk hielt ihn für toll – niemals, wie allbekannt,
gilt der Prophet im Vaterland!
Die Leute waren toll, Demokrit war der Weise.
Es ging soweit, daß zu Hippokrates der Staat
Abdera Boten sandt' und bat,
zu kommen und den einst so hellen
Verstand des Kranken doch womöglich herzustellen.
»Freund Demokrit«, sagten sie weinend, »er
wird toll, das Lesen raubt ihm den Verstand allmählich,
wir sähn es lieber, wenn er ganz unwissend wär'.
Er meint im Ernst, die Welten sei'n unzählig;
vielleicht sind gar, nach seinem Sinn,
zahllose Demokrite drin!'
In seinen Träumereien denkt er an Atome,
Gespinste eines kranken Hirns, Phantome!
Der Himmel mißt von hier er und der Sterne Licht;
er kennt das Weltall, doch sich selber kennt er nicht.
Ehmals ging noch auf ein Gespräch er ein; jetzt spricht
er mit sich selbst. Ach, möchst du eilen,
du großer Sterblicher, den tollen Wahn zu heilen!«

Zwar glaubte Hippokrates nicht allzu sehr daran;
doch reist er ab. Nun bitt' ich euch, recht achtzugeben,
wie wunderlich doch oft im Leben
das Schicksal spielt! Es kam Hippokrates grad an,
als der, den alles Volk wahnwitzig schalt, nachsann
und forscht' an Mensch und Tieren,
in Kopf und Herz den Sitz des Denkens aufzuspüren.
In tiefem Schatten ging er an einem stillen Bach
den Windungen des Hirns er nach.
Zu seinen Füßen lag so manch Buch. In tiefes Denken
versunken, sah er kaum den hochverehrten Mann
und Freund zu ihm die Schritte lenken.
Kurze Begrüßung nur, wie man sich denken kann;
an Zeit und Worten sucht der Weise stets zu sparen.
Nachdem beseitigt bald die Redensarten waren,
ward über Mensch und Geist gründlich philosophiert;
wie dann auf die Moral sie kamen,
kann ich hier weiter nicht auskramen,
und wie die beiden disputiert.

Doch klar ist der Beweis geführt:
Als schlechter Richter ist das Volk nur anzusehen.
In welchem Sinn ist zu verstehen,
was ich einst las, verwundert sehr:
daß Volkes Stimme Gottes Stimme wär'?

Fab.27
Der Wolf und der Jäger

Habgier, du Ungetüm mit Augen, die nur blind
und undankbar für Wohltaten der Götter sind!
Soll den vergebens dich mein Werk bekämpfen immer?
Wie lang belehr' ich dich! Wann endlich folgst du mir?
Wird, meiner Stimme taub wie der des Weisen, nimmer
der Mensch einsehn: »Jetzt ist's genug; genießen wir!«
Eil dich mein Freund, bald stehst du an der dunklen Pforte.
Nochmals – ein ganzes Buch liegt in dem einen Worte:
Genieße! »Ich will's tun.« Doch wann? »Ab morgen schon.«
Vielleicht packt dich der Tod noch heut, mein Sohn!
Genieß schon jetzt und fürcht, daß dich ein Los erreiche,
das dem des Jägers und des Wolfs der Fabel gleiche.

Der Jäger, dessen Pfeil 'nen feisten Damhirsch schoß,
erspäht' ein Hirschkalb, das daneben lag, Schicksalsgenoss'
des Toten – regungslos im Gras die beiden Leichen.
Ein Damhirsch und ein Kalb, 'ne Beute fein und nett,
an der genug wohl ein bescheidner Weidmann hätt'!
Doch lockt' ein Eber noch, ein Riese sondergleichen,
den Schützen, dem solch Wild ein leckrer Bissen schien.
Auch er dem Styx geweiht! Doch schwer nur faßten ihn
die Parze mit der Schere; erst in wiederholtem Ringen
konnt' ihn zu Fall die Todesgöttin bringen,
doch endlich der Gewalt des Streichs er unterlag.
Des Guten war's genug. Wer sagt das? Nichts vermag
die Gier dessen zu stillen, den der blut'ge Raub erfreute.
Indes ein wenig noch das Schwein aufatmet, sieht
der Schütz' ein Rebhuhn, das längs einer Furche flieht,
ein lump'ger Zuwachs eigentlich zu all der Beute;
doch spannt den Bogen er zu neuem Zeitvertreib.
Das Schwein schlitzt, alle Kraft aufraffend, mit den Hauern
den Bauch ihm auf und stirbt gerächt auf seinem Leib;
das Rebhuhn dankt ihm ohne Trauern.

Den Nimmersatten gilt der Fabel erster Teil;
den Geiz'gen diene jetzt der andre zum Exempel.
Ein Wolf ging dort vorbei und sah all dieses Unheil.
»Fortuna«, rief er, »ich gelobe dir 'nen Tempel!
Vier Leichen! Welch ein Schatz! Indessen muß man klug
und sparsam sein; so was trifft man nicht alle Tage!«
Das ist der Geiz'gen stete Klage.
»Ich habe«, sagt der Wolf, »'nen Monat dran genug.
Eins, zwei, drei, vier genau berechnet und gesprochen,
ist das ein Vorrat auf vier volle Wochen.
Und übermorgen fang' ich an; heut fress' ich klug
des Bogens Sehne – wie ich vom Geruch urteile,
ist sie von echtem Darm.« Er stürzt bei diesem Wort
sich auf den Bogen in der größten Eile.
Dieser geht los – es fällt aufs neue von dem Pfeile
ein Opfer: Er durchbohrt dem Wolf das Herz sofort.

Ich komme wieder drauf zurück: Man soll genießen!
Die zwei, so hart gestraft, gelten als Zeugen mir:
Der eine hatte seine Gier,
der andre seinen Geiz zu büßen.