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Buch 9
 
Der ungetreue Verwalter
Die beiden Tauben
Der Affe und der Leopard
Die Eichel und der Kürbis
Der Schüler, der Lehrer und der Gartenbesitzer
Der Bildhauer und das Standbild des Jupiter
Die in ein Mädchen verwandelte Maus
Der Narr, der die Weisheit verkauft
Die Auster und die Streitsüchtigen
Der Wolf und der magere Hund
Nur nicht zuviel!
Die Wachskerze
Jupiter und der Reisende

 
Die Katze und der Fuchs
Der Ehemann, die Frau und der Dieb
Der Schatz und die beiden Männer
Der Affe und die Katze
Der Milan und die Nachtigall
Der Schäfer und seine Herde

 

Fab.1
Der ungetreue Verwalter

Dank der Musen konnte ich besingen
dieses oder jenes Tier;
andre Helden mochten mir
mindern Ruhm vielleicht einbringen.
Spricht im Reim der Wolf und Hund
stets auf meines Buches Seiten,
tun euch all die Tiere kund
manch verschiedene Art von Leuten,
hier die Narr'n, dort die Gescheiten;
so doch, daß die Narrenwelt
stets die Oberhand behält,
denn die Mehrzahl bilden jene.
Auch führ' ich euch auf die Szene
Niedertracht, Betrügerei,
schnöden Undank, Tyrannei,
manches Vieh, zum Türeinrennen
dumm, den Schmeichler, den Spion;
hier wär' gleich auch mit zu nennen
all der Lügner Legion.
Jeder Mensch lügt, sagt der Weise.
Hätte er damit gemeint
Leute nur aus niedrem Kreise,
dürfte man's, so wie mir scheint,
dulden schon in keinem Falle;
aber daß wir alle, alle
lögen – hätt' ein andrer Mann
dies gesagt, wohl würd' ich dann
ihm zu widersprechen wagen.
Ja, könnt' einer wie Homer
und Äsop uns Lügen sagen,
Lügner wär' er nimmermehr;
denn das Bild, ob es auch trüge,
das des Dichters Traum erfüllt,
zeigt uns Wahrheit, in der Lüge
zauberisch Gewand gehüllt.
Schriften haben uns gegeben
beide, wert, ewig zu leben;
lügen, so wie sie's geübt,
kann nicht jeder, dem's beliebt.
Aber so wie jener lügen,
der den andern wollt' betrügen
und ihm eigenen Wort sich fing,
ist ein ganz erbärmlich Ding.

So nämlich war's:
Ein Perser ging auf Reisen
und hinterlegte einen Zentner Eisen
beim Nachbarn, der im ihn in Verwahrung nahm.
»Mein Eisen?« fragt' er, als er wiederkam.
»Das Eisen? Ist nicht da, 'ne Ratte hat's gefressen.
Ich sag's Euch mit Bedauern; doch
was ist zu tun? Ich schalt die Diener. Nun, ein Loch
hat jede Wand.« Drob staunt der Handelsmann, indessen
verstellt er sich und tut, als ob er's wirklich glaubt.
Nach ein'ger Tage Frist straft er den Schelm: Er raubt
sein Söhnchen ihm, drauf lädt zu Tisch ganz harmlos eben
den Vater er. Der kommt mit gramgebeugtem Haupt:
»Erlaßt mir's heut und wollt vergeben;
elend bin ich und freudenleer!
Den Sohn liebt' mehr ich als mein Leben;
ich hab' nur ihn – ach nein! Ich hab' ihn ja nicht mehr!
Man stahl ihn mir! Beklagt mich, dessen Glück zunichte!«
Der Kaufmann sagt: »Gestern im Abenddämmerlichte
entführte Euren Sohn 'ne Eule; ganz genau
sah ich: Sie schleppt' ihn fort nach einem alten Bau.«
Der Vater drauf: »Wie mögt Ihr denken, daß ich glaube,
'ne Eule könne je entfliehn mit solchem Raube?
In jedem Falle hätt' mein Sohn die Eule doch besiegt.«
Der andre spricht: »Ich sag' nicht, wie sie ihn gekriegt;
allein ich hab's gesehn mit diesen Augen, sag ich!
Und was veranlaßt Euch, so frag' ich,
zu zweifeln, wenn ich was versichre auf mein Wort?
Und könnt Ihr's wunderbar denn finden,
wenn Eulen hier an diesem Ort,
wo eine Ratte läßt 'nen Zentner Eisen schwinden,
'nen Knaben stehlen, der 'nen halben Zentner schwer?«
Das Ziel, nach dem der Pfeil geschossen, merkt' der Vater schon:
Er gab dem Mann das Eisen her,
und dieser gab ihm seinen Sohn.

Zwischen zwei Reisenden gab's fast den gleichen Streit.
Der eine war ein Mensch, der jederzeit
durch ein Vergrößerungsglas die Dinge pflegt' zu sehen:
Riesig scheint alles ihm; gleich wie in Afrika so gehen
die Ungeheuer recht gemütlich bei ihm ein und aus.
Zu übertreiben scheint ihm recht. Mit einem Male:
»Ich sah einst einen Kohlkopf«, sagt er, »höher als ein Haus.«
Der andre: »Ich 'nen Topf, so groß wie 'ne Kathedrale.«
Der erste lacht, da sagt der zweite ihm: »Jawohl,
drin kochen sollt' man Euren Kohl!«
Der Topfmensch war voll Witz, der Eisenmensch gescheiter.
Ist gar zu albern, was man dir aufbindet, dann
tu deinem Gegenpart die Ehre nicht der Widerlegung an,
nein, übertrumpf ihn noch und ärgre dich nicht weiter.

Fab.2
Die beiden Tauben

Zwei Tauben liebten sich gar innig;
der einen ward's zu eng im Haus,
drum wollte töricht und unsinnig
sie reisen weit ins Land hinaus.
Die andre spricht: »Wie soll ich's fassen?
Willst einsam hier zurück mich lassen?
Ach, Scheiden ist das herbste Leid –
für dich, Grausame, nicht! Vielleicht, daß mit der Zeit
der Reise Mühn und Fährlichkeiten
ein Hemmnis deinen Mut bereiten.
Ja, wären wenigstens noch günstiger die Zeiten!
Wart mildre Luft ab. Wer treibt dich? Eben heut
hat Meister Rabe großes Unheil prophezeit.
Ich weiß, daß Unglück nur im Traum ich künftig schaue,
Raubvögel, Schlingen. Oh, wie's stürmt und gießt mit Wut.
Hast du wohl alles das, was not dir tut,
Nest, Speis' und was dich sonst erbaue?«
Wohl rührt der Rede tiefer Schmerz
der reiselust'gen Törin Herz;
doch tragen Neugier und unsteten Triebs Befehle
zuletzt den Sieg davon. Sie sagt: »O weine nicht;
drei Tage höchstens, dann hat Ruh' die liebe Seele.
Bald kehr ich wieder, in ausführlichem Bericht
will ich von allem Rede stehen:
so kürz' ich dir die Zeit. Wer gar nichts hat gesehen,
hat nichts zu sagen auch. Die Schildrung macht dir Spaß
und ein Vergnügen, auserlesen:
Dort war ich – sag' ich dir -, hier sah ich dies und das;
du meinst, du wärst dabei gewesen.«

Drauf schieden weinend sie. Die Reisende zieht fort;
doch schon nach kurzer Zeit deckt eine Wolkenhaube
das öde Feld; sie sucht sich einen Zufluchtsort.
Ein einz'ger Baum war da, und trotz dem dichten Laube
peitscht ganz erbarmungslos der Sturm die arme Taube.
Als wieder klar die Luft, fliegt frosterstarrt sie auf,
trocknet, so gut es geht, ihr ganz durchnäßt Gefieder,
sieht auf entlegnem Felde Korn, gestreut zu Hauf,
ein Täubchen dicht dabei; das gibt den Mut ihr wieder:
Hin fliegt sie – sitzt fest; das Korn verdeckt nur
der Schlinge trügerische Schnur.
Das Garn war abgenutzt, so daß nach vielem Drängen
mit Flügel, Schnabel, Fuß sie's endlich riß entzwei.
Sie ließ so manche Feder; und das Schlimmste war dabei,
daß jetzt ein Geier mit begier'gen Fängen
erspäht die Ärmste, der am Leibe hängen
des Garnes Fäden und Maschen wirr und kraus;
sie sieht wie ein entsprungner Sträfling aus.
Fast hat der Geier sie gepackt, da schießt hernieder
ein Adler aus der Höh' mit rauschendem Gefieder.
Die Taube nutzt geschickt der beiden Räuber Streit,
fliegt auf und fort und setzt sich hinter ein Gemäuer;
nun, glaubt sie, sei zu End' ihr Leid
mit diesem letzten Abenteuer.
Jugend hat Tugend nicht: Ein Knabe kam,
der unser Tier aufs Korn mit seiner Schleuder nahm
und ihr beinah den Tod gegeben.
Jetzt kehrt, ob dieser Neugier voller Scham,
am Flügel und am Fuße lahm,
hinkend und halb nur noch am Leben,
sie graden Wegs nach Haus zurück.
Sie kam ohn' andres Mißgeschick
mit blauem Aug' davon noch eben.
Das neu vereinte Paar – man denk', mit welchem Preis
von Freuden es getilgt all den erlittnen Schaden!

Ihr, die ihr glücklich liebt, wollt reisen ihr? Dann sei's
zu nahgelegenen Gestaden.
Seid eine Welt für euch, die ewig schön und neu,
in stetem Wechsel fest und treu;
denkt nur an euch und laßt das andre unerwogen.
Wie oft hab' ich geliebt; doch hätt' auf keinen Fall
gegen des Louvre Schätze all',
gegen das Firmament und seinen Himmelsbogen
den Wald, die Stätten ich getauscht,
wo mir das Auge strahlt' und ich dem Schritt gelauscht
der Schäferin mit holden Mienen,
der unter Amors Fahnen dienen
ich durfte, treu der Pflicht und meinem ersten Eid.
Ach, kehrt sie nimmer mir zurück, die schöne Zeit?
Muß so viel holder Reiz und so viel Lieblichkeit
meinem unsteten Geist bereiten stete Plage?
Ach, wagte doch mein Herz noch einmal aufzulohn!
Soll nie ein Zauber mehr mich fesseln? Sind die Tage
der Liebe schon auf ewig mir entflohn?

Fab.3
Der Affe und der Leopard

Der Affe und der Leopard
hatten zur Messe viel Einnahme.
Jeder für sich besonders ward
zur Schau gestellt. »Mein Vorzug und mein Name«,
sprach dieser, »sind berühmt. Der König schaute mich;
und wenn ich sterbe, wünscht er sich
'nen Muff von meinem Fell, so bunt gescheckt,
so schön getüpfelt und gefleckt,
und ganz mit Streifen überdeckt.«
Wohl jedem, der es sah, gefiel das bunte Fell;
doch bald entfernte man sich schnell.
Der Affe rief: »Zu mir, ihr Herren – wollt ihr lachen? -,
kommt her; ich zeig' euch tausend närr'sche Sachen.
Jene Buntscheckigkeit, die man euch preist so laut,
mein Nachbar Leopard hat sie nur auf der Haut,
ich habe sie im Geiste. Euer Diener, Peter Gimpel,
Vetter und Schwiegersohn Bertrands,
weiland des Papstes Affenschwanz,
kam eben mit dreifachem Wimpel
zu Kahn in eure Stadt; er will euch sprechen, gleich.
Er spricht, er tanzt, macht manchen Streich,
verrenkt aufs lustigste die Glieder,
durch Reifen springt er; und das alles – hört und wißt,
ihr Herrn – für einen Sou! Wer nicht zufrieden ist,
dem geben wir sein Geld dort an der Türe wieder!«

Der Affe hatte recht: 's ist nicht das Kleid zumeist,
des Mannigfaltigkeit gefällt, es ist der Geist.
Diese bringt stets Gewinn, und sie erfreut uns immer;
jene erregt gar bald Langweil' und Müdigkeit.

Ach, wie der Leopard sehn große Herrn fast nimmer
auf das Talent – nur auf das Kleid!


Fab.4
Die Eichel und der Kürbis

Was Gott tut, wohlgetan ist das. Dies zu begründen,
brauch' ich im Weltall nicht zu suchen hin und her:
Ich kann's an einem Kürbis finden.

Ein Landmann denkt, wie groß und schwer
die Frucht und wie so schwach und dünn ihr Stengel wäre.
»Was hat der Schöpfer«, sagt er, »sich dabei gedacht?
An schlechtem Platz hat er den Kürbis angebracht.
Ich hätt' ihn doch, auf Ehre,
an einer Eiche festgemacht!
Das wär' das Richtige gewesen,
daß Baum und Frucht von gleichem edlen Wesen.
Es ist doch schade, daß du nicht im Rate dessen bist,
welchen dein Pfarrer dich anbeten lehrt als Christ.
Alles wär' besser dann. Warum, zum Beispiel, brachte
die Eichel, kürzer als mein kleiner Finger, man
denn nicht an dieser Stelle an?
Gott irrte! Und je mehr ich es betrachte,
wie schlecht die Frucht doch hängt, je mehr wird es mir klar,
daß dies ein reiner Mißgriff war.«
Dieser Gedanke macht dem Biedern manchen Kummer
»Man schläft nicht«, sagt er, »hat man so viel Geist.«
Er legt an einer Eiche Fuß sich hin zu kurzem Schlummer;
'ne Eichel fällt herab, die wund die Nas' ihm schlägt.
Auf wacht' er; wie er nun die Hand ans Antlitz brachte,
fand er die Eichel, die in seinem Kinnbart saß,
die wunde Nase lehrt' ihn jetzt, wie falsch er dachte.
»Ich blute!« rief er. »Gott, was wäre das,
fiel' mir ein größer Stück aufs Haupt und wenn an Schwere
die Eichel gleich dem Kürbis wäre?
Gott hat es nicht gewollt; recht hat er sicherlich,
ich seh's am Beispiel dieses Falles.«
Dankbar Gott lobend jetzt für alles,
trollt er vergnügt nach Hause sich.

Fab.5
Der Schüler, der Lehrer und der Gartenbesitzer

Ein Knabe voll Schuljungenlist und –Tücken,
ein Schelm aus Kinderei und doppelt dumm –
war immer doch die Vernunft zu unterdrücken,
der Schulfüchse Privilegium.– stahl Frücht' und Blumen oft –
man wußt drum – beim Nachbarn.
Von *Pomonas reichsten Gaben
mußt' dieser stets im Herbst die schönsten haben;
was andre ernteten, war Kleinigkeit.
Das Beste bracht' ihm jede Jahreszeit,
denn auch im Lenz erfreuten ihn nicht minder
der jungen Flora blühend schönste Kinder.
Einst hat den Jungen er im Garten abgefaßt,
der, kletternd ohne Scheu auf eines Obstbaums Ast,
die Knospen pflückt, die zart aufkeimend sprießen
und reichen Segen ihm und Überfluß verhießen.
Selbst Zweige bricht er ab und treibt's so arg zuletzt,
daß der Besitzer dieses Gartens jetzt
zum Klassenlehrer schickt, bei ihm sich zu beklagen.
Der Lehrer kommt mit einem Knabenschwarm;
der haust im Garten – Gott erbarm'! –
ärger als jener noch. Des Schulfuchses Betragen
verschlimmerte das Übel noch,
indem er her die Rangen führte;
und alles, wie er sagt, weil eine Strafe doch,
ein warnend Beispiel hier dem Knabentroß gebührte,
das unvergeßlich ihm und eine Lehre sei!
Vergil und Cicero zog gründlich er herbei
nebst allerlei gelehrten Schwarten.
Die Rede währt' so lang, daß unterdes den Garten
die ungezogne Brut zerstampft' an jedem Fleck.

Ich hasse alle Redensarten,
die nicht am Platze sind und ohne jeden Zweck,
und wüßte' nichts Dümmeres zu nennen
als Jungen, wenn es nicht ein Schulfuchs wär'.

Den Besten dieser zwei, muß ehrlich ich bekennen,
möchte' ich zum Nachbarn nimmermehr.

*Pomona,
der römischen Göttin des Obstsegens.

Fab.6
Der Bildhauer und das Standbild des Jupiter

Ein Bildner hat durch Schicksals Gunst
den schönsten Marmorblock erhandelt.
»Ob«, sprach er, »meines Meißels Kunst
zum Gott, zum Tisch, zur Schale ihn verwandelt?«

Ein Gott soll's sein; ich will sogar,
daß er des Donners Träger werde.
O Sterbliche, bringt ihm Gelübde dar
und zittert vor dem Herrn der Erde!

Und meisterhaft gestaltet er
das Bild und gibt ihm Geist und Seele;
man fand, daß diesem Jupiter
nichts weiter als die Sprache fehle.

Der Künstler selbst, erzählte man,
hab', als die Arbeit kaum vollendet,
von seinem eigenen Werke dann
in Angst und Zittern sich gewendet.

Kaum größern als des Bildners Mut
schien einst der Dichter zu bekunden:
Er fürchtet den Haß, die Wut
der Götter, die er selbst erfunden.

In diesem Punkt war er ein Kind,
da Kinder nur dies eine Wehe
kennen und stets in Sorge sind,
daß ihrer Puppe nichts geschehe.

Leicht schließt dem Geist das Herz sich an;
aus dieser reinen Quelle leitet
der Heiden Wahn sich, welchen man
bei so viel Völkern sieht verbreitet.

Für seine Truggebilde stand
ein jeder ein mit allen Waffen:
Pygmalion ist in Lieb' entbrannt
zur Venus, die er selbst geschaffen.

Gern hält der Mensch für Wirklichkeit,
womit ihn seine Träume trügen,
kalt für die Wahrheit, jederzeit
feurig entflammt für reine Lügen.

Fab.7
Die in ein Mädchen verwandelte Maus

Ein Mäuschen, schon vom Kauz geschnappt, fiel in den Sand.
Ich hätte sie nicht aufgenommen,
doch ein Brahmane tat's. Hat jedes Land
doch eigne Sitt' und eigne Bräuche.
Die Maus hatte davon was abbekommen.
Auf solche Art von Nächsten gibt
bei uns man wenig nur; doch der Brahmane liebt
als Bruder ihn. Er meint, die Seele
wandre aus eines Königs Haupt
in eine Milbe oder, nach des Schicksales Befehle,
in anderes Getier; das ist ein Hauptpunkt, den er glaubt.
Dort fand Pythagoras den Urquell seiner Lehre.

So meinte der Brahman', daß wohlgetan es wäre,
bät' er 'nen Zauberer, zu wandeln diese Maus
in einen Leib, der sonst ihr schon gedient als Haus.
Der Zauberer macht ein Mädchen ganz entzückend
aus ihr, jung, schön und derart sinnberückend,
daß Priams Sohn für sie gewiß noch mehr gewagt
als für die Griechin einst, die ihm doch sehr behagt.
Erstaunt sieht der Brahman', was hier sich zugetragen,
und zu der Kleinen, hold und fein,
spricht er: »Du hast die Wahl; gern willigt jeder ein
und preist das Glück, dein Mann zu sein.«
»Je, nun, dann sei«, hört man sie sagen,
»der Mächtigste von allen mein!«
»O Stern des Tags«, ruft der Brahman', »du wirst allein
mein Schwiegersohn, es kann nicht fehlen!«
»Nein«, spricht der Sonnengott, »der Nebel dort
ist stärker wohl als ich: Er hüllt mich ein sofort;
ich möchte euch raten, ihn zu wählen.«
»Gut, so bist du«, sagt der Brahmane, »für mein Kind
geschaffen?« - »Nein, denn mich vermag der Wind,
wie's ihm beliebt, von Ort zu Ort umherzujagen;
nicht darf des Sturms Gewalt ich je zu trotzen wagen.«
Empört ruft der Brahman' jetzt zu dem Wind:
»Nun also, Wind, sei du für unsre Schöne auserkoren!«
Er eilt herbei; ein Berg hemmt seinen Lauf im Nu.
Auch dem wirft man den Ball nun zu.
Der wirft ihn fort und spricht: »Feindschaft geschworen
hätt' mir der Ratz! Und den beleid'ge ich
nicht gern; denn leicht durchwühlt er mich.«
Beim Namen »Ratz« spitzt ihre Ohren
die Schön'; er ward ihr Mann sogleich.
Ein Ratz? – Ein Ratz; 's ist so ein Streich,
wie Amors Laune sie geboren;
doch sag' nur leis ich dies zu euch.

Dahin strebt alles, wo es seinen Ursprung hatte.
Die Fabel lehrt's; doch, ganz genau besehn bei Licht,
ein kleiner Trugschluß ist dabei, ich leugn' es nicht.
Denn, nimmt man's so, frag' ich: Ist jeder Gatte
dem Sonnengott nicht vorzuziehn? Ein Riese: Heißt
er schwächer als ein Floh, wiewohl in dieser beißt?
Der Ratz mußt' ebenfalls die Schöne überweisen
dem Kater, dieser dann dem Hund,
der Hund zum Wolf. Zuletzt auf Grund
von sogenannten Trugbeweisen
zeigt ein Sophist den Stern des Tags uns wieder dann
als unser Schönheit hochbeglückten Ehemann.

Die Seelenwanderung! Was der Zaubrer des Brahmanen
getan, ist weit entfernt, als ein Beweis zu dienen
für sie; es zeigt vielmehr grad ihre Falschheit an.
Leicht wies' ich nach, daß im Irrtum wäre
der Brahman'; denn klar ist, daß nach seiner Lehre
der Mensch, die Maus, der Wurm, jedes lebend'ge Ding
aus eines einz'gen Quells Urgrund die Seel' empfing:
die Seelen all' aus einem Breie;
nur der Organe Unterschied
wirkt, daß man diesen kriechen sieht
und jener sich erhebt ins Freie.
Woher denn käm' es, daß der Leib, so schön gemacht,
seine Bewohnerin zu frein nicht triebe,
den Gott der Sonn'? Ein Ratz hat ihre Liebe!
Alles in allem wohlbedacht:
Der Mäuse und der schönen Mädchen Seelen
sind sehr verschieden. Den Befehlen
des Schicksals folgt man, wie sein Würfel fiel,
und wie das Gesetz des Himmels vorgeschrieben.
Ob Teufelsspuk, ob Zaubrer du getrieben,
du machst kein Wesen doch abwendig seinem Ziel.

Fab.8
Der Narr, der die Weisheit verkauft

Von Narren laß dich nie in ihr Gehege ziehen;
das ist der klügste Rat, den ich dir geben kann.
Die beste Lehre ist, daß man
der Eitlen Schwarm bedacht sei stets zu fliehen.
Bei Hofe kann man oft sie sehn:
Dem Fürsten macht es Spaß, da sie es wohl verstehn,
Schelmen und Toren manchen Streich zu spielen.

Ein Narr rief aus – er blieb an jeder Ecke stehn -,
die Weisheit hab' er zu verkaufen. Gläubig fielen
die Leute drauf herein: Herbei lief alle Welt,
ließ manche Possen sich gefallen,
und dann erhielt zwei Ellen Schnur man für sein Geld
und zwei Maulschellen, die recht knallen.
Die meisten sind empört. Was half's? Sie hatten nur
zum Schaden noch den Spott; das Beste war, zu lachen
oder sich still davonzumachen
mit den Maulschellen und der Schnur.

Nach einem Sinn hier noch zu fragen
wär' lächerlich und brächt' nur neuen Hohn noch ein.
Soll die Vernunft denn Bürge sein
für eines Narren Tun? Der Zufall, muß man sagen,
ist es, der Blasen treibt in einem kranken Hirn.
Doch unbefriedigt von der Maulschell' und dem Zwirn,
fragt' einen Weisen einer der Genarrten.
Der sagt ihm, ohne langes Warten:
»Hieroglyphen sind's, die jener Euch gab auf.

Wer wohlberaten stets sich wahren will vor Schaden,
bleib' immer ganz genau so weit, als dieser Faden
lang ist, von Narren fern; wo nicht, verlaßt Euch drauf,
droht im ganz ähnliche Liebkosung.
Der Narr betrog Euch nicht: Weisheit war seine Losung.«


Fab.9
Die Auster und die Streitsüchtigen


Zwei Pilger fanden eine Auster, die zum Strande
geschwemmt; ihr Aug' verschlingt sie, und es weist
ihr Finger drauf; allein, da sie noch liegt im Sande,
entbrennt ein Streit darüber, wessen Zunge sie verspeist.
Schon bückt der eine sich, die Beute einzustecken;
der andre stößt ihn fort und sagt: »Erst muß es klar
doch sein, wem sie von uns soll schmecken.
Der, welcher nachweist, daß er der Entdecker war,
der schlucke sie, indes der andre mag zusehen.«
»Nun, danach soll der Spruch geschehen«,
erwidert sein Genoss', »Gottlob, mein Aug' ist scharf.«
»Meins auch! Und, wie ich schwören darf,
ich sah sie noch vor dir«, hat jener drauf gesprochen.
»Gut, du hast sie gesehn, doch ich hab' sie gerochen.«
Indessen kommt Hans Taps heran,
dem nun den Richterspruch die beiden übertragen.
Die Auster öffnet er höchst ernst, und mit Behagen
schlürft er sie. Die beiden schauen ihn an.
In feierlichem Ton verkündet er sodann:
»Jeder von euch erhält, wie das Gericht entschieden,
'ne Schale, kostenfrei; nun kehret heim in Frieden.«

Denkt, was an Kosten heut an die Gerichte fällt
und was den meisten bleibt, die's zu Prozessen treiben!
Ihr werdet sehn: Es nimmt Hans Taps das ganze Geld,
und den Parteien wird der leere Beutel bleiben
.

Fab.10
Der Wolf und der magere Hund

Wenn auch der junge Karpfen einst
trefflich gepredigt und geraten,
man hat ihn schließlich doch gebraten.
Den sicheren Besitz loslassen, weil du meinst,
gehofften Vorteil zu erreichen,
ist eine Torheit ohnegleichen.
Der Fischer hatte recht, der Karpfen Unrecht nicht;
verteidigt jeder doch, so gut er kann, sein Leben.

Ein neues Beispiel will ich geben für das,
was schon bewies mein früheres Gedicht.
Ein Wolf, genau so dumm wie jener Fischer weise,
traf einen Hund im Feld; als Speise
wollt' er fortschleppen ihn. Der schlaue Hund wies hin
auf seine Magerkeit: »Da ich so dürr bin,
ist es gewiß, daß Euer Gnaden mich nicht wählen.
Doch wartet nur! Mein Herr, der will vermählen
sein Töchterchen; beim Hochzeitsschmaus
gedenk' ich, mich recht fett zu fressen und zu saufen.«
Das glaubt der Wolf und läßt ihn laufen.
Nach ein'gen Tagen geht er aus,
zu sehen, ob sein Hund schon besser sei zum Fressen.
Allein der Schelm sitzt jetzt im Haus
und ruft zum Gitter ihm hinaus:
»Ich komm' im Augenblick, Freund, warte du indessen;
des Hauses Wächter kommt mit mir,
wir stehn sogleich zu Diensten dir.«
Der Wächter war ein Hund, gewaltig anzusehen,
der wußt' mit Wölfen umzugehen.
Der Wolf sagt: »Grüß den Wächter vorderhand«,
und läuft davon. Hurtig und flink im Rennen,
war er doch nicht sehr klug zu nennen,
da sein Geschäft als Wolf er gar so schlecht verstand.

Fab.11
Nur nicht zuviel!

Zu finden wollt' mir nie gelingen
ein Wesen, das sich mäßig hält.
Und dennoch will der Herr der Welt,
daß man ein Maß in allen Dingen beachte.
Tut man's? Nein; kaum einem einz'gen fällt
es ein, im Guten sich, im Schlimmen dran zu kehren.

Das Korn, ein reich Geschenk von Ceres' güt'ger Hand,
zu schnell oft wuchernd, saugt es aus das brache Land;
ausbreitend sich im Überfluß der Ähren
und treibend mit zu voller Wucht,
beraubt' es oft der Nahrung seine Frucht.
Der Baum desgleichen. So kommt Üppigkeit zu Ehren!
Das Korn zu bessern, wies der Ernte Übermaß
in seiner Weisheit Gott den Schafen an zum Fraß,
die dann drauflos unmäßig rasten,
alles verdarben und abgrasten,
bis Gott den Wölfen bald darauf
ein paar zu fressen gab; sie fraßen alle auf,
und taten sie's auch nicht, sie wollten's doch.
Indessen erlaubt dem Menschen er zum Schutz,
jene zu strafen; doch es bot der Mensch vermessen
den göttlichen Geboten Trutz.

Vor allen Wesen neigt der Mensch zum Sündenfalle
gegen des Maßes streng Gebot;
und eine Strafe täte not für Klein' und Große,
denn dagegen sünd'gen alle.
»Nur nicht zu viel!« ist ein Gebot für alle Welt,
von dem man immer spricht und das man niemals hält.

Fab.12
Die Wachskerze

Die Bienen kamen vom Olymp. Auf luft'gen Wegen
schwärmten die ersten zu dem Berg Hymettus hin,
so heißt's, setzten sich fest und schwelgten in
den Schätzen, welche dort die milden Lüfte hegen.
Als jenem prächt'gen Bau der Himmelstöchter stracks
man die Ambrosia nahm, die seine Zellen tragen,
oder, um es auf deutsch zu sagen,
als man nur honigleeres Wachs im Bienenstocke fand,
formte man draus die Kerze.
Die Kerze sah: Durch Feuers Macht gehärtet,
trotzt die Erd' als Ziegel, fest wie Erze, der Zeit.
Das will auch sie; im Sehnsuchtsschmerze
stürzt wie *Empedokles,
den in den Glutenschacht gejagt sein eignes eitles Herze,
sie gleichfalls sich hinein.
Das wahr nicht wohlbedacht;
kein Gran Philosophie wohnt doch in solcher Kerze.
Nichts gleicht dem andern; laß von dem Gedanken ab,
daß noch ein Wesen, das dir gleicht, auf Erden wandre.
Der Wachs-Empedokles springt in das Flammengrab;
genau so unklug wie der andre.

*Empedokles,
griech. Staatsmann 492 v. Chr.-430 v. Chr.

Fab.13
Jupiter und der Reisende

Die Götter wären, ach, wie reich durch unsre Not,
wenn der Gelübde wir, die sie uns abzwingt, dächten!
Doch ist die Not vorbei, vergißt man, was in schlechten
Umständen man dem Himmel bot,
und denkt nur, was an Schuld man zollt der Erde Mächten.
Da spricht der Leichtsinn: »Jupiter ist doch ein guter Gläubiger,
der niemals schickt Gerichtsvollzieher her!«
Sind seine Donner nicht die rechten Mahnrufer?
Wie denn sonst nennt solche Warnung man?

Ein Reisender vom Sturm verschlagen,
bot hundert Rinder dem Titanensieger an.
Nicht eins hatt' er; es konnte ebenso der Mann
auch hundert Elefanten sagen.
Doch ein'ge Knochen zündet, an das Land getragen,
dem Gott er an; es steigt der Rauch zu Jupiter hinauf.
»Nimm«, sagt er, »großer Jupiter, mein Opfer gnädig auf.
Der Duft des Bratens ist ja deiner Hoheit Sache;
dein Anteil ist der Rauch, ich schulde dir nichts mehr.«
Jupiter stellte sich, als ob er lache;
doch straft der Gott den Mann nachher:
Er kündet ihm im Traum aus Rache,
es liege da und da ein Schatz. Der Opferspender rennt
gleich nach dem Schatz, als ob es brennt'.
Hier traf er Räuber an, mit einem Taler konnt' er dienen
jedoch versprach sogleich er ihnen
hundert Talent' aus jenem Schatz
von Gold; er liegt' an jenem Platz vergraben,
und sofort gehoben werden könnte er.
Den Räubern schien der Ort verdächtig; einen Streich
versetzt der eine ihm und spricht: »Mein Freund und Gönner,
du spottest unser! Stirb, scher dich zu Pluto gleich,
mach ihn mit deinem Golde reich!«

Fab.14
Die Katze und der Fuchs


Die Katze und der Fuchs, ein nettes Heil'genpaar,
ging' mal auf Pilgerschaft. Sie waren beide
vom Stamme der Tartuffes, Erzschelme ganz und gar,
Duckmäuser, die in großen Zahlen
Käs' und Geflügel stets als Reisezehrung stahlen
und sich damit verköstigten, so gut es ging.
Des Weges Langeweil' möglichst zu kürzen,
fing das Pilgerpärchen an zu streiten –
ein Streit soll stets anregend sein,
ohn' ihn schläft gar zu leicht man ein -,
und heiser schrien sich beide Seiten.
Als nun der Streit vorbei, begann der nächste flugs;
zur Katze nämlich äußerte der Fuchs:
»Du sagst, daß Schlauheit dir beschert sei.
Hast du wie ich an Kniffen wohl ein ganzes Pack.«
»Nein«, sprach sie, »einen nur hab' ich in meinem Sack;
doch mein' ich, daß er tausend wert sei.«

Als nun von neuem jetzt ein heft'ger Streit entbrannt'
um ja und nein, da ward zum Frieden bald gewandt
der Zank durch eine Koppel Hunde.
Die Katze spricht: »Nimm deinen Sack zur Hand,
und such in deines pfiffigen Gehirnes Grunde
'ne sichre List. Ich hab' sie, schau mich an.«
Bei diesen Worten klimmt sie einen Baum hinan.
Der andre macht hundert Sätze,
späht hundert Löcher aus und bringt im Zickzacktrab
die Hunde von der Fährte ab.
Verzweifelt sucht er alle sichren Plätze;
umsonst: Stets wird er aufgespürt,
da auf die Spur sein Schweiß der Hunde Nasen führt.
Er kriecht aus einem Loch; da würgen ihn, die Hetze
gewohnt, zwei Hunde ab mit Wut.

Der Mittel Übermaß bringt Sichre oft zu Falle:
Beim Wählen flieht die Zeit, man prüft sie alle –
besser, man hat nur eins, und das ist gut.


Fab.15
Der Ehemann, die Frau und der Dieb

Ein Gemahl, der sehr verliebt,
sehr verliebt war in sein Weibchen,
fühlt' sich dennoch tief betrübt.
Kein trauter Blick von seinem Täubchen,
kein Schmeichelwort, wie Lieb' es gibt,
kein Lächeln und kein hold Erbarmen,
das gleich zum Gott gemacht den Armen,
bezeugten ihm, daß Lieb' er je ihr abgewann.
Glaub's wohl; er war ein Ehemann.
Ihm war's von Hymnen nicht beschieden,
daß er, mit seinem Glück zufrieden,
den Göttern Dank dafür geweiht.
Ja, wenn die Liebe nicht der Ehe
Wonnen uns würzt, ja dann verstehe
ich nicht, welch Glück sie uns verleiht.
Die Frau war nun mal so; und da es ihr behagte,
daß jede Zärtlichkeit dem Gatten sie versagte,
beschwert' in einer Nacht er bitter sich.
Ein Dieb stieg ein und unterbrach das Klagen.
Das arme Weibchen aber trieb die Furcht:
Sie warf vor Angst und Zagen
in ihres Gatten Arme sich.
»Dies süße Glück«, rief er, »blieb' ohne dich
mir ewig unbekannt! Zum Lohn nimm, was nur tragen
du kannst von unserm Gut und was dir mag behagen;
die ganze Wohnung nimm!« Spitzbuben dieser Art
sind nicht verschämt noch allzu zart.
Der Dieb, er machte seinen Schnitt.

Und was der Fall bewiese?
Die allerstärkste Leidenschaft ist Furcht;
sie bändigt oft des Widerwillens Kraft,
oft die der Liebe selbst; oft freilich siegt auch diese.
Beweisen mag das jener Liebende, der
sein Haus anzündet, um sein Liebchen zu umschlingen,
das er den Flammen muß entringen.
Solch heißes Blut, ich lieb' es sehr,
und die Erzählung rührt mich ungemein;
echt spanisch ist das, voll von Glut,
und in der Tat mehr groß als toll.

Fab.16
Der Schatz und die beiden Männer

Ein Mann, der weder Geld mehr hatte noch Vertrauen,
in dessen Börse nur zu schauen der Teufel,
das heißt nichts mehr, war, meinte,
sich aufzuhängen wär' doch gar das Beste,
um ein Ziel zu setzen seinen Nöten;
es würd' ihn sonst doch bald der Hunger töten,
ein Tod, der solchen nur gefällt,
die wissen möchten, wie man scheidet aus der Welt.
In dieser Absicht hat der Mann ein alt Gemäuer
zum Schauplatz ausersehen für ein Abenteuer.
Er hat ein Seil und schlägt 'nen Nagel mit Geschick
in diese Mauer, zu befestigen den Strick.
Es wankt die Mauer, alt und sehr gebrechlich,
beim ersten Schlag, und aus ihr fällt ein Schatz.
Der arme Teufel nimmt ihn auf, ganz unaussprechlich
erfreut, und trägt ihn fort; den Strick läßt er am Platz.
Er zählt ihn nicht, die Freud' hätt's nicht gelitten.
Noch während er ausreißt mit eil'gen Schritten,
naht der Besitzer, sucht sein Geld am alten Ort – doch er ist fort!
»Wie« rief er, »soll ich lebend überdauern den Schmerz?
Im Augenblick erhängt' ich mich, hätt' ich nur einen Strick!«
Der Strick hing noch, er schien auf ihn zu lauern –
er hängt sich wirklich auf. Dies eine tröstet nur
ihn noch in seinen letzten Stunden,
daß doch ein anderer für ihn bezahlt den Strick.
So hatten Geld und Strick 'nen Herrn gefunden.

Des Geiz'gen Ende ist nur selten tränenleer;
was er vergräbt, bringt ihm statt Lust Beschwerde;
nur für die Diebe sammelt er, für seine Erben, für die Erde.
Was aber sagt man zu Fortunas Tausche jetzt?
Das ist so recht ein Streich, an dem sie sich ergötzt;
und geht ganz toll es her, dann freut sie sich unbändig.
Die Göttin, immer unbeständig,
hat sich's mal in den Kopf gesetzt,
'nen Menschen hängen sehen zu wollen;
und der sich hängte dann zuletzt,
hatt' nie gedacht, es tun zu sollen.

Fab.17
Der Affe und die Katze

Bertrand und Raton waren ein Hausgenossenpaar
im Dienst desselben Herrn, ein Affe und ein Kater,
jeder ein Tunichtgut, dem nichts je heilig war,
der sich nie scheut', und was er wollt', das tat er.
War irgendwo im Haus ein Schaden nur geschehn,
hatt' niemals einer im Verdacht die Nachbarsleute:
Bertrand stahl alles weg; Raton mußt' auch gestehn,
er suche lieber Käs' als Mäuse sich zur Beute.
Einst sah in seinem Übermut
dies Gaunerpaar Kastanien rösten in der Glut.
Sie wegstibitzen schien ihm eine hübsche Sache,
daraus den Schelmen ein zweifacher Vorteil lache:
ihr eigner Nutzen erst, des andern Schaden dann.
Bertrand sagt zu Raton: »Freund, heute mußt du dran,
du mußt ein Meisterstück vollbringen.
Hol die Kastanien mir. Wär' ich zu solchen Dingen
von Gott bestimmt, dann sollst du sehn,
um die Kastanien wär's geschehn!«
Gesagt, getan: Es schiebt mit seiner kleinen Tatze
vorsicht'gerweise unser Kater die Asche erst beiseit',
er zieht die Pfoten dann zurück, bringt wieder sie heran,
eine Kastanie erst, dann zwei, dann drei zu packen;
Bertrand freut sich, sie aufzuknacken.
Da kommt die Magd; aus ist's. Raton hat, wie man sagt,
höchst unzufrieden sich beklagt.

Gleich unzufrieden sind die meisten kleinen Prinzen,
die, stolz, daß sie dazu ernannt,
die Finger oft in den Provinzen
für einen König sich verbrannt
.

Fab.18
Der Milan und die Nachtigall

Der Milan, wohlbekannt als Räuber überall,
durchstreifte einst mit vielem Lärm die Nachbarschaft;
des Dorfes Jugend jagt' ihm nach mit Pfeifen und Geschrei.
Da fällt ihm in die Klau'n die arme Nachtigall.
Die Lenzverkünderin erfleht von ihm ihr Leben:
»Mich fressen, die nichts hat als ihrer Stimme Klang?
Vernimm doch lieber meinen Sang;
von Tereus' wilder Lust will ich dir Kunde geben.«
»Was? Tereus? Ist der auch als Fraß für einen Milan gut?«
»O nein; das war ein Fürst, doch seine Liebesglut
und Schandtat mich zu ew'ger Klage zwingen.
Ich will davon ein Lied, ein schönes Lied dir singen,
das dich entzücken wird wie eines jeden Sinn.«
Der Milan drauf mit höhn'schem Lachen:
»Wirklich? Das find ich nett. Jetzt, da ich nüchtern bin,
kommst du und willst Musik mir machen?«
»Vor Kön'gen sing ich!« - »Gut! Fängt mal ein König dich,
mit Märchen magst du ihn betören.
Mir aber scheint das lächerlich:
Ein leerer Magen kann nicht hören.«

Fab.19
Der Schäfer und seine Herde

»Ach! Immer muß ein teures Haupt
von diesem braven Volk mir fehlen.
Stets wird vom Wolf mir eins geraubt!
Ich zähl's schon gar nicht mehr. Erst waren's tausend Seelen;
und dann hat er den Hans gebissen mir zu Tod,
Hänschen, den Bock, auf den ich zählen konnt'
und der für ein Stück Brot mir stets gefolgt,
und wär's bis in der Erde Mitte!
Ließ meinen Dudelsack ich tönen, er verstand's.
Kam ich, so wittert' er mich schon auf hundert Schritte.
Mein Böckchen! Ach, mein armer Hans!«
Als Meister Guillot so höchst feierlich beendet die Leichenred'
und seinen Hans genug gerühmt, da wendet' er sich
zu seiner Herde Stamm, den Hammeln, Schafen, bis zum kleinsten Lamm,
und er beschwört sie, festzustehn; gegen den Wolf
sei dies die einz'ge Gegenwehr.
Da schwuren allesamt auf Volkes Treu und Ehr,
nicht einen Schritt zurückzugehen.
»Zerreißen«, riefen sie, »wir ihn vom Kopf zum Schwanz,
den Mörder unsres Bockes Hans!«
Ein jeder bürgt' mit seinem Haupte;
Guillot dankt' ihnen, weil er glaubte.
Doch noch vor Abend zeigt' sich's klar,
wie zuverläss'gen Mut sie hatten:
Ein Wolf erschien; gleich floh die ganze Schar.
Es war nicht mal ein Wolf, es war nur dessen Schatten.

Sie schwören Kampf auf Tod und Leben;
doch naht Gefahr, ist's aus mit ihrem Mut: Sie weichen,
und nicht dein Beispiel noch dein Ruf hemmt ihre Flucht.
Zähl nicht auf feiger Söldner Zucht!