Buch 2
 

Antoine Houdar de La Motte

*17.
Januar 1672 in Paris † 26. Dezember 1731 in Paris
Er war ein französischer Schriftsteller.


Quelle:
Des Herrn Houdart de la Motte

Neue Fabeln /aus dem Französischen in deutsche Verse übersetzt von Christian Gottlieb Glafey
Frankfurt und Leipzig 1736/
Druck Dietrich Krahn
 
Buch 1
 
Die Schöne und der Spiegel
Der Pelikan und die Spinne
Der Papagei
Der Fuchs und der Kater
Der medizinische Sternseher
Der Spötter
Der Esel
Der Kater und die Fledermaus
Der Brombeerstrauch und Gärtner
Die Affen
Die Glücksstände in Säcken
Die zwei Eidechsen
Der Ochs und die Milbe

 
Die Lotterie des Jupiters
Die zwei Statuen
Die Hexe
Die Vögel
Die Götter der Ägypter
Der Geizhals und Minos

 

I.
Die Schöne und der Spiegel

Ein Engel von Gestalt, ein schönes Frauenzimmer,
(Die Schönheit hab ich hier mit Fleiß gesetzt,
Weil man sie Kronen gleiche schätzt)
Dies schöne Kind, sag ich, war immer
Mit seinem Nachttisch fest vereint.
Hier war der Spiegel stets ihr unverfälschter Freund,
Der sagt Ihr allemal die Wahrheit frei und klar:
Man nennt Euch, sprach er, schön, man sagt es, es ist auch wahr,
Der Titel pflegt Euch zu zukommen,
Nur etwas weniges ausgenommen.
In Anmut sehet Ihr der Venus ziemlich gleich;
Doch, wie gesagt, noch etwas fehlet Euch.
Ihr müsset Euch was Mühe geben,
Gewisse Fehler noch zu heben,
Die Euch verkleinerlich und unanständig sein.
Sie sind dem Ansehn nach klein,
Doch glaubet mir: bei schönen Leuten,
Hat auch ein kleiner Fehl schon vieles zu bedeuten,
Was nützt die Schminke hier? bemühet Euch doch nicht,
Die Schönheit der Natur unnötig zu verstellen.
Ihr lächelt allzu frei. Ein freundliches Gesicht,
Zu dem sich Munterkeit und Ernst gesellen,
Würd Euch am allerbesten stehn.
Das waren alles gute Lehren.
Die Schöne pflegte sie auch willig anzuhören,
Und nahm sich feste vor, dem treulich nachzugehn.
Drauf kriegte Sie Besuch von großer Kompanie,
Sie trat vom Spiegel weg die Gäste zu empfangen.
Die lobten nun an Ihr die schön gemalten Wangen,
Die Reizung des Gesichts. Dies alles wollten sie,
So gar auch ihr zu treuestes Lachen,
Zu einem Wunderwerk der größten Schönheit machen.
Man fuhr so lange fort ihr Ansehn zu erheben,
Bis sie den Unterricht zuletzt gar vergaß,
Den Ihr treues Spiegelglas
Zu ihrem Nutz und Heil gegeben.

Ihr Prinzen! die Ihr einst der Krone schweres Gold,
Auf euren Häuptern tragen sollt,
Ihr seht schon, daß Ihr hier mit voller Ähnlichkeit,
Dies schöne Frauenzimmer seid;
Der Spiegel aber ist der Lehrer Unterricht,
Die Euch von Kindheit auf den Reichsstab tragen lehren.
So oft Ihr künftighin die Schmeichler werdet hören,
Vergesset doch des Spiegels nicht.

II.
Der Pelikan und die Spinne

Hier öffnet sich auf dem Papiere
Die Universität der Tiere.
Die Professores sind teils ordineri,
Teils außerordentlich, so wild als zahmes Vieh,
Mit Pelzwerk ausgezieret, nach Rang und Harmonie,
Da Eins ums Andere in diesem Lust-Reviere
Die Sittenlehre treibt, Collegia beginnt.
Fast jede Art kann einen Punkt entscheiden
Und profitiert zugleich. Hier muß man leiden
Daß Esel selbst Doktores sind.
Wie manch Philosophus hat ehedessen
Sein Handwerk allhier ausstudiert?
Ja Sokrates hat als ein Schüler hier gesessen,
Æsopus einen ganzen cursum absolviert.
Und La Fontaine als der Erbe dieses Weisen
Hat dessen Werk noch mehr erkläret und geziert,
Es artig, lachend, nett und gründlich ausgeführt.
Ein guter Kopist ist fast dem Dichter gleich zu preisen
Auf eben der Akademie
Läßt sich ein neuer Doktor hören:
Herbei, ihr Sterblichen! Allhie
Entdecken sich ganz neue Lehren.
Ja wohl für euch, Ihr Herrn! gehören sie.
Wir können all' so viel ihr unser sind auf Erden,
An den Tieren unsre Fehler sehn,
Und wo wir diese Lehrer nicht verschmähn,
Von ihnen lernen Menschen werden.
* * * *
Es machte sich ein Pelikan
An einen dürren Baum ein Nest ganz unten an.
Sein süßer Zeitvertreib, sein einziges Bemühen
War seine Jungen groß zu ziehen.
Einst war kein Futter mehr zu kriegen,
Die Hungersnot war groß, das arme Nest schrie laut,
Der Alte setzte sich, die Kinder zu vergnügen,
Den Schnabel an die Brust, und ritzte sich die Haut,
Er ließ aus Zärtlichkeit sein väterliches Blut,
Den Kindern in die Hälse fließen.
Und also wurden sie der heftigen Hungerswut,
Und folglich auch dem Tod entrissen,
Die Spinne, welche dieses sah,
Sprach zu dem Pelikan: Was machst du da?
Ich, sprach er, rette hier durch meinen eignen Tod
Die Kinder aus der Hungersnot.

O schrie die Spinne drauf, du bist wohl nicht recht klug:
Wer wird, wie du, sein eignes Leben
So bald für seine Kinder geben?
So närrisch bin ich nicht, ich habe Kinder genug,
Und sollt ich ihretwegen sterben?
Eh mag das Lumpenpack auf einen Tag verderben,
Mein Bauch sei selbst ihr Grab, eh daß man mich begräbt.
So lange nur noch eins von ihnen lebt,
So lange weiß ich auch mein ganz gewisses Essen,
Wenn ich noch leben soll, will ich sie alle fressen.
Dem Pelikan verging hierüber Hören und Sehn,
Die Sonne schien ihm selbst am hohen Himmelshause,
Von einem so verfluchten Schmause,
Ihr Antlitz traurig weg zu drehn.
Schweig! Rabenmutter, schweig! schrie hier der Pelikan,
O! ungeheurer Appetit
Der wieder die Natur so zieht,
Der seiner Kinder Fleisch so grausam fressen kann.
Ich will mein Leben lieber für sie geben,
Als selbst ihr Mörder sein, und wie die Spinnen leben.

Ihr Fürsten! mögt Euch nun besinnnen,
Da wir die Kinder sind, so sagt, was Ihr wollt sein?
Heil, Väter, oder Tod und Pein?
Als Pelikane oder Spinnen?
Wenn Codrus für sein Volk in das Verderben rannte:
Sah Nero seine Lust, als Rom im Feuer brannte.
Sagt bald, zu wem Ihr Euch von diesen Beiden zählt?
Erst lang im Zweifel stehn, ist schon halb schlimm gewählt.

*
Codrus ein König der Athenienser ließ sich freiwillig in einer Schlacht ums
Leben bringen, weil er vom Orakel vernommen, daß seine Armee nicht eher,
als nach seinem Tode siegen würde
.

III.
Der Papagei

Ein Mann verlor sein Weib. Nachdem sie nun begraben,
So wollte der betrübte Mann
Bald einen Papagei an ihrer Stelle haben,
(Man tröstet sich so gut man kann)
Die gute Frau war hin, und mit Ihr sein Ergötzen,
Doch wollt er wenigstens ihr Plappermaul ersetzen,
Man sah ihn auch sogleich zum Vogelhändler gehn.
Hier fand er Vögel genug von Stimm und Federn schön,
Es waren Zeisige, Stieglitz und Nachtigallen,
Besonders sehr viele Papageien.
Der Ungeschickteste unter allen
War gleichwohl so geschickt, holt Wein! holt Wein! zu schreien.
Ein andrer schrie den Gassenrufern nach
Und wiederholte stets, was der und jener sprach;
Noch einer schrie ums Morgenbrot,
Mich hungert! deckt den Tisch! O! schlagt die Köchin tot!
Der Käufer wußte nicht, zu was er greifen sollte,
Weil er sie insgesamt für sehr geschickt befand,
Und als er resolvieren wollte,
So nahm er einen wahr, der unterm Tische stand.
Du Leutescheu schrie ihm der Witwer zu,
Hast du denn nichts gelernt? Was schweigest du?
Ich denk mir desto mehr! sprach, wie ein kluges Tier,
Der Papagei. Sieh da! der ist nach meinem Sinn,
Rief gleich der Käufer aus, was wollt ihr dafür?
So und so viel. Hier ist's. Er nahm den Vogel hin,
Und dacht, er würde ihm nun auf alle seine Fragen
Dergleichen kluge Antwort sagen;
Allein der gute Mann betrog sich sehr,
Der Vogel hatt in vielen Wochen
Kein einzig anders Wort gesprochen,
Als immer sein: Ich denk mir desto mehr.
Du Rabenaas! schrie ein betrogner Herr,
Du bist ein Narr! Und ich ein doppelter,
Daß ich mich lassen so verführen,
Dich auf ein Wort zu judizieren.

IV.
Der Fuchs und der Kater

Die Tiere redend einzuführn,
War nicht die ganze Kunst von des Æsopi Lügen;
Er wußte drinnen auch besonders beizufügen,
Was man an jedem kann vor Trieb und Neigung spüren.
Es ist von der Natur nicht leichtlich abzugehn,
Und muß man nicht den Wolf, der Schafe Spießgesellen,
Auch nicht der Nachtigall Gesang vortrefflich schön
Nach ihrer Brütungszeit vorstellen.
Wie man zu sagen pflegt von einem Konterfei,
Das wohl getroffen ist: es fehlen nur die Worte;
So, wenn man hier an unserm Orte
Ein Tier agieren will, muß die Geschicklichkeit
Es also malen, daß ein Leser gleich kann sagen:
Ja, ja, so tut das Tier, wenn es nicht redete,
So glaubt ich, daß es da natürlich vor mir steh.
Das Fabelwerk kann nichts gezwungenes vertragen,
Als zum Exempel mir gefällt
Der Fuchs, der dort den reifen Wein läßt hangen,
Und ihn für allzu sauer hält,
Dieweil er ihn nicht kann erlangen.
Doch wird er nicht mehr recht natürlich vorgestellt
Beim Kopfe, der kein Hirn in sich enthält.
Sein Ausspruch ist zwar gut; doch soll's ein andrer fügen,
Ja! wird man mir entgegen fragen:
So wird kein Fehler nicht in euren Schriften sein?
Ach! Fehler genug; jedoch als denn schlägt mein zensieren
Bei mir ja freilich selbst ein,
Das geb ich zu. Man mags auf mich auch applizieren.
Mein Schreiben halt ich nicht von allen Fehlern rein,
Sonst wär ich würdig auszulachen,
Wer aber wollte um solchem Lohn Gedichte machen.
* * * *
Man sah einst einen Fuchs mit einem Kater reisen,
Die schwatzten unterwegs sehr viel von der Moral:
Wie schön ist's, sprach der Fuchs, sich stets gerecht erweisen!
Der Kater gab auch allemal
Sein Jawort mit dazu, und lobte diese Lehren.
Es schien, als wenn sie beide sonder Streit
Die besten Sittenlehrer wären.
Sie redeten noch, als mit der Zeit
Ein Wolf aus einem Walde kam,
In eine Herde fiel, ein Schaf beim Kopfe nahm,
Es gleich zerriß, und fraß bis auf das Rückgrad.
Seht! rief der Kater aus, die ungerechte Tat!
Er frißt das arme Schaf! der Kerl hat kein Gewissen.
Es fehlt an Eicheln nicht, es hat ja Sträuche genug,
Der Mörder könnte ja zu seiner Sättigung,
Das fette Laub davon genießen.
Der Fuchs fing gleichfalls an dies Unrecht zu verfluchen,
Und rief: Schaut! wie der Bluthund morden kann?
Was hat das arme Schaf getan?
Könnt er sein Brot denn nicht auf andre Weise suchen?
So eiferte das fromme Paar!
Als es bei einem Bauernhofe war.
Hier wurde Doktor Fuchs ein fettes Huhn gewahr,
Nunmehr war's bei ihm um die Moral geschehn,
Er fing und fraß es ohn Bedenken.
Drauf ließ sich eine Maus unweit der Scheune sehn:
Der Katze Appetit ist niemals einzuschränken,
Das fühlte wohl die arme Maus.
Die Spinne sah kaum den abscheuvollen Schmaus;
So fluchte sie auf diese Mordtaten,
Wie die vorhin dem Wolfe taten.
Ihr Eifer gegen sie entbrannte lichterloh,
Doch eine Fliege fiel, da macht sie's eben so.

So sind wir auch, so reden wir,
Verdammen meist zur Ungebühr,
Wir tadeln oft an andern was,
Und kommt Gelegenheit, so tun wir eben das.

V.
Der medizinische Sternseher

Ihr Herren von Galens Geschlechte,
Verzeiht, wenn jemand ja gedächte,
Das wäre bloß auf Euch gemeint,
Ein Arzt, und was noch schlimmer scheint,
Ein Mann, der die Planeten fragte,
Und das, was künftig ist, aus dem Gestirne sagte,
Der hatte Nickeln seinem Knechte
Einst die Nativität gestellt.

Galens war ein berühmter Medicus im andern Seculo, dessen Methode die
meisten Medici nachfolgten
.

Der Kerl war jung und stark, als wenn er auf der Welt
Vielhundert Jahr zu leben dächte.
Nun fand der Arzt beim Schlusse seiner Müh,
Der Knecht würde einst mit ihm, laut der Astrologie,
Auf einen Tag die Erde käuen.
Er stellte noch vielmals den Calculum von neuen,
Sah die Autoren durch, schlug viele Bücher auf,
Und fand allzeit, er würde seinen Lauf
Kaum eine Stunde später schließen.
Aus diesem läßt sich leicht verstehn,
Daß unsers Nickels Wohlergehn
Den Doktor ungemein erfreut.
Nunmehr wollt er ihn beständig um sich wissen,
Und pflegt ihn wohl des Tages unzähligemal zu fragen:
Wie ist dir? Ist dir wohl? Er war auch stets bereit,
Wenn Nickel nieste, sein Salus! drauf zu sagen,
Sah ihm beim Essen zu, er gab ihm Mittags Wein,
Des Abends allezeit ein gutes Süppchen ein.
Schlief Nickel nicht recht gut, bald ließ ihm sein Patron
Ein wärmendes Klistier des Morgens applizieren.
Doch der zu sehr gepflegte Sohn
Fing an, teils durch Diät die Kräfte zu verlieren;
Teils war der Zwang, so regulär zu leben,
Vermögend genug, ihm seinen Rest zu geben.
Die Kolik schlug zu, man schickte nach dem Vater,
Und ließ dem armen Kerl zur Ader,
Denn gab man ihm zum Brechen ein.
Der Ausschlag fand sich vom Erhitzen,
Da mußt er sich beinah zu Tode schwitzen;
Und dennoch wollt's nicht besser sein,
Bis daß der, den man so kurierte
Ins Reich der Toten abmarschierte.
Der Stern erfahrne Mann kam über diesen Streich
In rechte Todesangst, ward einer Leiche gleich,
Und schrieb sein Testament mit Furcht und Zittern auf,
In Meinung, eine Stunde drauf
Würd er, so wie sein Knecht, den Tod zu hoffen haben.
Die Stunde ging vorbei, der Tag mitsamt der Nacht,
Ja viele Wochen wurden hingebracht,
Und dennoch war nichts zu begraben.
Der Arzt wurde endlich klug, der nunmehr in sich geht,
Cardanus und Galen bekamen das Valet,
Weil ihre ganze Kunst, die wie ein Rauch verschwindet,
Sich meist auf lauter Irrtum gründet.

Wohl dem, der doch auf einmal kann genesen,
So von der Sternsehkunst, als von dem Arzneiwesen.

Cardanus, ein berühmter Medicus in Italien, und zugleich der Astrologie
sehr ergeben, obwohl sie ihn gleich oft betrogen hatte
.

VI.
Der Spötter

Mein Leser! sage mir welch Antrieb dich regiere?
Bin du ein Freund und nicht ein Neider guter Schrift?
Wenn es mir ungefähr allhier ja widerführe,
Daß dich ein sinnreich neu und gut Gedanke trifft.
Bist du nicht zum voraus schon so gericht',
Es absolut vor schlecht und elend zu erklären?
Wenn dieses ist, so will ich nicht von dir begehren
Hier weiter fort zu gehn: Denn für dich schreib ich nicht.
Geh nur mit deinem Witz, wo Brocks und Richey wohnen,
Und wo die Compagnie der Deutschen schreibt und dicht,
Da tadle, wo du kannst, da triffst du deinen Mann,
Mit mir wird sich's der Mühe nicht verlohnen,
Weil dir aus meinem Schimpf schlecht Lob erwachsen kann.
Ich wünsche mir zu diesen Sachen,
So einen Leser, der nicht das, was mangelhaft,
Nur hier und da zusammen rafft,
Das ganze Werk dadurch Auslachens wert zu machen.
Nein; der es ungern rührt, wo sich ein Fehler findet,
Und wo ich recht gesetzt, es auch mit Lust empfindet.
Ein solcher Leser müsse leben!
Dem aber, den der Neid zur Folterbank gleich zieht,
Wenn er an andern Gaben sieht,
Wünsch ich, daß es für ihn mag solche Schriften geben,
Die aus dem Himmel selbst entsprießen
Und ihn durch ihren Wert recht zu bestrafen wissen.
Was plagt er sich allhier mit schlechten Ärgernissen?
* * * *
Fast jedes neu entdeckte Land
Hat Tiere, die uns unbekannt,
Von unterschiedner Art, von ganz besonderem Wesen,
Wie von Virginien* zu lesen.

*
Eine Landschaft in Amerika.

Hier findet man Vögel tausendsatt,
Von denen Deutschland nichts jemals gesehen hat.
Der eine, der allhier mit bunten Federn pranget,
Hat, statt der eignen Melodie
Das spöttische Talent von der Natur erlanget,
Den andern nachzutun.  Als einst des Morgens früh
Der Vögel muntrer Chor ihr Morgenlied erhob,
So schrie der Spötter nach, er sang bald klein, bald grob,
Und quälte sie, nach seiner Mode.
Durch sein dazwischen Schrein zu Tode.
Er zog sie alle durch, ließ keinen ungezwackt.
Dem schlägt die Stimme fehl; dem, sprach er, fehlt der Takt;
Ward ein Adagio hierfür gebracht,
So fing er als ein Hund abscheulich an zu heulen;
Wenn ein Allegro kam, so schrie der Narr zuweilen,
Wie wenn der Wind des Nachts die Schindeln pfeifend macht.
Da sein Gespötte nun das Chor zu schimpfen dachte,
Sprach einer, den der Zorn für sie zum Redner machte:
Wir singen schlecht, ich geb es zu!
Allein, wie schön singst denn du?

VII.
Der Esel

Zu was für Unstern bin ich doch geboren!
Rief einst ein Esel aus, der die Geduld verloren,
Ach! daß mein Herr nicht längst den lichten Galgen ziert!
Wie treulich dien ich ihm, da doch mein saurer Schweiß
Von keinem Lohne war, nur viel von Schlägen weiß.
Kaum daß sich nur die Nacht verliert,
So bin ich schon bepackt und wandre nach der Stadt,
Da muß ich dann vor allen Türen,
Mit Kraut und Kohl herum hausieren.
Kaum komm ich wieder heim, und wär ich noch so matt,
So muß ich den verfaulten Mist,
Der bei dem Ackerbau zum Düngen nötig ist,
Auf die entlegne Felder tragen.
Nach diesem pflegt mein Herr mich in den Wald zu jagen,
Die Reisigbündel heim zu bringen,
Da möcht ich mich zu Tode springen.
Stellt sich der Sonntag ein, so sieht's noch schlimmer aus,
Da pflegt mein Herr auf mir, Er und sein ganzes Haus
Auf allen Kirmessen rum zu reiten,
Er vorn, danach ein Weib, die Kinder auf den Seiten,
Die in zwei großen Körben hangen.
Auf meinem Kopfe sitzt sein Affe.
Und wenn ich einen Tritt nur aus dem Wege gaffe,
Ein Maul voll Disteln zu erlangen,
Schlägt Meister Prügel los, als wenn er rasend wär,
Der Affe, sein Hanswurst, der Müßiggänger! der!
Lebt als ein großer Herr, springt ärger als ein Bock,
Zeigt seinen Podex her, zerludert Hemd und Rock,
Speist an der Tafel mit, und lebt in guter Ruh,
Er darf nur närrisch tun, so sieht ihn jeder gern,
Und wird noch wohl gelobt dazu.
Der Henker hole einen solchen Herrn!
Ach! sprach ein kluges Rind: dies Schicksal ist gemein,
Dein Herr ist, wie sie alle sein.

Wer dient, hat auf der Welt niemals so gute Sachen,
Als wer sich kann gefällig machen.

VIII.
Der Kater und die Fledermaus

Laßt uns doch nicht vergebens dichten:
Die Fabel muß uns fein zur Wahrheit unterrichten.
Was ist sie, wenn sie Nichts mit vielen Worten sagt?
Ein faules strafbares Erzählen,
Nach welchem Niemand etwas fragt.
Doch muß man nicht der Wahrheit rechte Art verfehlen,
Dem ist sie abgeschmackt und zu gemein:
So dient es ja zu Nichts, sie ferner auszuschrein.
Was hilft's, durch viele Reden anzuführen,
Daß zwei mal zwei soviel als viere wär?
Daß alles sterblich sei. Das weiß ich schon vorher,
Wer kann was Neues draus studieren?
Ich liebe Wahrheit, die man brauchbar nennet,
Die man mit leichter Müh erkennet,
Die die Verwunderung gleichwohl in uns erregt,
Und deren Same schon in die Natur gelegt,
Die unser Fleiß nicht macht, die die Begierde entzündet,
Daß, wenn man nur dran denkt, sie alsbald wahr befindet.
Hier wendet wohl ein strenger Zensor ein:
So laßt das fabulieren bleiben,
Gedenket ihr dadurch uns Lehren vorzuschreiben?
Für so gelehrte Leute? Nein!
Doch gibt es Leser, die ein Stockwerk kleiner sein.
Ist ein Gedicht gleich für euch nicht eben;
So könnt es diesen doch wohl gute Lehren geben:
Es müssen alle Menschen leben.
* * * *
Ein Kater, dessen gefräßiger Bauch
Stets ohne Unterschied so Feind als Freund verschlang,
Fiel einen Zeisig an, der ganz vortrefflich sang,
Er biß ihn tot, und fraß ihn auch.
Sie hatten beide einen Herrn,
Kaum war die Mordtat ausgebrochen,
So ward dem Täter auch das Leben abgesprochen,
Ein jeder schwur es, und wollte gern
Des Vogelmörders Henker sein.
Der Kater hörte dies, das Schrecken nahm ihn ein,
Das Blut wär ihm beinah erfroren.
Die Furcht hat meistenteils Gelübde ausgeboren.
Drum schwur er in der Angst, die groß und heftig war,
Entging er dieses Mal der drohenden Gefahr;
So sollte künftighin kein Vogel durch ihn sterben,
Sollte er vor Hunger selbst verderben.
Die Götter möchten doch des Endes Zeuge sein,
Und ihm nur diesmal noch verzeihn.
Es schien auch dieser Schwur sei nicht umsonst getan,
Die Rache unterblieb, man dachte nicht mehr dran.
Kaum war der Dieb dem Tod entgangen,
Als in zwei Tagen drauf sein hungerndes Verlangen
Nach einer Fledermaus das Maul sich wässern ließ,
Zwar hält ihn das Gelübde in Schranken,
Weil es den Mord ihm stark verwies;
Jedoch der Hunger war ganz anderer Gedanken.
Es stritt sich lange hin und her,
Der Kampf war ungemein und schwer,
Des Katers Schluß fiel endlich da hinaus:
Er sprach: Ich mag dich nicht, insoweit dich die Welt
Für einen Vogel wirklich hält;
Ich fresse dich als eine Maus,
Kann das den Himmel wohl verdrießen?
Ach! Nein! ich hab ein gut Gewissen.

Schaut! wies der Casuiste stellt!
Und wie wir ihm hierin oft pflegen nachzuahmen:
Was man auf eine Art für Unrecht hält,
Das tut man unter andern Namen.

Casuiste: Eine Art von gelehrten Leuten, welche allerhand verwirrte Zufälle
und Gewissensskrupel untersuchen und Erläuterung davon geben
.

IX.
Der Brombeerstrauch und Gärtner

Der Brombeerstrauch hing sich einst einem Gärtner an,
Und sprach: Ey! hört doch nur zwei Worte,
Mein lieber Hans! bin ich wohl hier am rechten Orte?
Der ich wie andre Bäume auch Früchte bringen kann.
Soll ich mich stets um diese Hecke drehen,
Als wie ein Wächter insgemein?
Pflanzt mich ins Gartenbeet, ihr werdet Wunder sehen,
Wie groß der Nutzen werde sein.
Begießt mich nur, und laßt mich auch vorm Frost bedecken,
So werd ich wiederum bedacht
Auf Früchte sein, die gar vortrefflich sollen schmecken,
Und Blumen, die wie Rosen sind geacht.
Ich wollte wohl noch mehreres sagen,
Doch Eigenlobes schäm ich mich,
Ihr dürft es also kühnlich mit mir wagen,
Ich weiß in kurzer Zeit bekennt ihr öffentlich,
Daß meine Werk und Tat die Worte übertragen.
So redete mit Aufgeblasenheit,
Die Eigenlieb und Hoffart der unnützen Pflanze.
Hans Einfalt glaubt es ihr; denn zu derselben Zeit,
Da Pflanzen redeten, war die Geschicklichkeit,
Noch nicht, wie itzt, in solchem Glanze.
Drauf wurde nun der Brombeerstrauch versetzt,
Als ein Spalier gepflanzt, gewartet und genetzt,
Fast mehr als andere.  Er hält auch sein Versprechen,
Und breitete sich aus, nahm vieles Erdreich ein,
Die scharfen Zweige machten alles fast zerbrechen,
Und konnte neben ihm kein Kraut noch Frucht gedeihn.
Der Gärtner sah sein Vergehen dergestalt,
Und glaubte forthin den Pflanzen nicht so bald.

An Eigenrühmern kann man merken
Daß ihnen Torheit angeerbt:
Ihr Maul redet zwar von Wunderwerken,
Doch was sie tun, das wird verderbt.

X.
Die Affen

Das Affenvolk wollt einen König wählen,
Es sollte damals bloß allein
Verdienst und Würdigkeit der Weg zur Krone sein.
Die Untertänigkeit geht einem sauer ein,
Wenn dem Regierenden so Lieb als Ehrfurcht fehlen.

Der große Reichstag fing an,
Auf einem flach und ebnen Plan,
Man tummelte sich hier, man sprang und war bereit,
Durch seiner Beine Hurtigkeit,
So weit es die Gesetze erlaubten,
Das Recht zur Krone zu behaupten.
Das Ziel war eine Frucht, die vorne an der Spitze,
Auf einem hohen Aste hing,
Man brannte vor Begier und Hitze,
Weil aller Wunsch und Sinn nach diesem Zwecke ging:
Denn wer so glücklich wäre, die Frucht herab zu reißen,
Der sollte König sein und heißen.
Man gab das Zeichen kaum durch den Trompeten Klang,
Als der Verwegenste schon in die Höhe sprang,
Die Frucht ward zwar bewegt, allein sie blieb zurück.
Ein anderer tat's ihm nach, jedoch mit gleichem Glück,
Der dritte sprang, und zwar vorbei,
Und fiel sich mißvergnügt den Rücken halb entzwei.
Nach langem hin und wieder Springen,
Schien die Erschütterung die Frucht zum Fall zu bringen.
Nun hatten ihrer Zwei bisher an der Frucht
Ihr Heil und Glück noch nicht versucht.
Der eine davon war schwer, ungeschickt und dick,
Der andre hurtig leicht und munter.
Sie sprangen beiderseits, die Frucht fiel auch herunter,
Den Ungeschickten traf das Glück,
Daß sie ihm blind ins Maul hinein fiel,
Der andre kriegte nur den Stiel.
Ha! fing das tolle Volk drauf an zu schrein,
Der mit der Frucht soll König sein.
Der andre ward verlacht, warum? die Sache ist klar,
Dieweil er zwar geschickt, doch nicht so glücklich war.
Mit Gunst! die Wahl ist falsch und ungerecht beschaffen,
Schrie einer von den alten Affen,
Der hier mit Klugheit widersprach:
Wir Narren ahmen ja zu sehr den Menschen nach,
Wir richten nicht nach dem Geschicke,
Nur nach dem bloßen blinden Glücke.

Die Sache wird auch noch auf andre Art erzählt,
Und jegliche sehr wohl beschrieben.
(Die Affen stellen es auch in jedermanns Belieben,
Ob man die oder jene wählt)
Man meldet, sag ich, von dem alten Affen,
Daß, weil er ziemlich schwach beschaffen,
Er sich nah an den Baum gelegt,
Dieweil er aus Erfahrung sah und wußte,
Daß die besagte Frucht, erschüttert und bewegt,
Doch endlich runter fallen mußte,
Und in dem Fall fing er sie auf
So gleich erfolgte dies darauf,
Daß sie den klugen Kopf zum Könige ernannten,
Nur bloß die Weisheit macht Regenten.

XI.
Die Glücksstände in Säcken

Die Fabel deucht mich, ist von ganz besondern Wert,
Wenn sie auch überdies, daß sie die Menschen lehrt,
(Wie's ihrer Pflicht von selbst gebühret)
Viel andre Wahrheit noch zur Seite mit berühret.
Nur muß kein Mischmasch draus entstehn,
Nein; sondern wie man beim Spazierengehn
Durch einen fruchtbaren Gang zum Endzweck immer rücket,
Und unterwegs zugleich so Früchte als Blumen pflücket.
Das ist der Klugen Kunst und Glück,
Und weiser Redner Meisterstück,
Die geben gleichsam schon, indem sie mehr versprechen,
Durch Worte der Beredsamkeit,
Die ihre Nachricht stets mit guter Lehre bestreut.
Lob sei der Fabel, der es hier nicht will gebrechen,
Die hin und wieder schon was lehrt,
Eh ihr Erzählen aufgehört.
Weg mit der kalten Art von Märlein, da Poeten
Nur Wörterprast zusammen löten,
Und eine dürre Fruchtbarkeit,
Da man zu sehr verlangt nach dem Moralbescheid.
Die Welt will itzt nur das, was vielfach Dienste tut,
Und dieser Unterricht ist, ohne Ruhm, sehr gut,
Hab ich ihm stets gefolgt? Des rühm ich mich nicht eben:
Selbst Tun ist nicht so leicht, als andern Regeln geben.
* * * *
Der beste Stand wird uns zur Pein,
Sobald wir unzufrieden sein.
Der Neid um andrer Glück gab einem Menschen ein,
Er habe nicht genug. Er war bei seinem Glücke
Beständig mißvergnügt, und plagte das Geschicke
Mit tausend ungestümen Klagen,
Mehr Sorge für sein Wohl zu tragen.
Er ward erhört.  Es zog ihn Jupiter einmal
Bei schön und heitrer Luft in den gestirnten Saal,
Wo aller Stände Glück nach einer Reih'
In eben so viel Säcken fand.
Nimm hin! sprach Jupiter, die Wahl steht dir itzt frei,
Dein Glückstand sei in deiner Hand,
Laßt sehn, kann ich einmal jemand zufrieden stellen!
Zwar du verdient es nicht, dein Widerbellen
Wär eher meines Zorns, als meiner Gnade wert;
Doch genug! ich stelle mich, als hätt ich's nicht gehört.
Schau her! hier siehst du der Menschen Stände liegen,
Hier such dir einen aus, doch wähle fein gescheit:
Je herrlicher der Stand und die Zufriedenheit,
Je leichter pflegt der Sack zu wiegen:
Das Klagen darüber macht's nur schwer,
Nach diesem richte dich, ich sage dir's vorher,
Gut! gut! schrie unser Mensch, da ich nur wählen mag,
Nun will ich glücklich sein.  Er nahm den ersten Sack,
Worin der höchste Stand, der voller Unruh steckt,
Und Kummer und Gefahr mit Krone und Purpur deckt.
Wie? fing der Mensch hier an sich selbst zu fragen:
Wer, wenn er noch so stark, wird solche Last ertragen?
Das ist kein Werk für mich.  Er wog den nächsten Sack,
Worin der Stand der Hofbedienten lag,
Der war voll Mühsamkeit, voll tiefem meditieren,
Voll Ehrsucht und voll Furcht die Gnade zu verlieren,
Voll Ratschlags, der zwar gut, doch öfters fehl geschlagen.
Weh dem! sprach unser Mensch, der diese Last soll tragen,
Dafür bedank ich mich! drauf nahm er andre her,
Er hob vielhundert auf, und fand sie alle schwer,
Inteils war großer Zwang und Menschenfurcht verhüllet,
Teils waren mit Begierde und Neid gefüllet.
Nur etliche davon befand er ungefähr
Der guten Tage wegen schwer,
Ach Himmel! schrie der Mensch mit mißvergnügtem Blick,
So ist denn gar kein Stand von leichtem Glücke?
Doch was beklag ich mich? Hie! hier! der Sack ist mein!
Der, der ist nicht so schwer zu heben.
Er würde noch viel leichter sein,
Sprach Jupiter, der ihm die freie Wahl gegeben;
Doch der genießt das Glück, der's nicht versteht,
Und dieser Unverstand macht das Gewicht erhöht.
Der Mensch versetzte drauf: Ich seh es besser ein,
O! bliebe dieser Stand nur meine!
Wohl, sagte Jupiter, es soll so sein,
Denn er ist schon vorhin der deine.
Genieß ihn nur bei guten Tagen,
Und lerne in Zukunft nicht mehr klagen.

XII.
Die zwei Eidechsen

Eine Eidechse sprach mit der andern,
Beim Eingang eines Waldes längs einer Mauer hin,
Auf welcher sie nach Wunsch und Sinn,
Im Sonnenschein vertraulich konnten wandern:
Wie schlecht ist unser Stand! wie elend geht's uns hier!
Wir schöpfen kaum nur Luft, was mehr? denn sterben wir,
Niemand weiß von uns was.  Hier ist kein Staat noch Rang.
Ich weiß dem Himmel wenig Dank,
Daß er mich hat ein kriechend Tier gemacht,
Hätt er mir noch die Größe zugedacht,
Die einem Krokodil gehört,
So würd ich Göttern gleich geehrt,
Wie in Ägypten, die vor Jahren
So hoch geachtet und angebetet waren.
Die Mode führt ich wahrlich wieder ein.
Wär ich ein solches Tier, wie glücklich wollt ich sein?

Wie? sprach der andre Wurm, der was gescheiter war,
Was klagest du? Wir leben gleichwohl ohne Gefahr,
Von Sorge und Kummer frei; dünkt dich das Nichts zu sein?
Luft, Wasser, Erde und Sonnenschein
Hat man in schönster Ruhe allhier gemein.
Verachtet uns der Mensch, was liegt daran?
Man schaut ihn wiederum verächtlich an.
Nein, sprach der stolze Wurm, von Hoffart blind,
So niederträchtig bin ich nicht gesinnt,
Ich schäme mich, es macht mir Pein,
Ein so geringes Tier zu sein.
Mein Ansehn wünsch ich recht erhöht,
So wie der Hirsch aussieht, der dort geht,
Sein hocherhabner Leib, ein drohendes Geweih
Setzt jedermann in Furcht und Scheu.
Wie herrlich sieht er aus an Mienen und Gebärden,
Ach möcht ich ihm doch gleich werden!

Hier ward der Gernegroß in dem Diskurs gestört,
Es wurde durch den ganzen Wald
Ein hetzend Jagdgeschrei gehört.
Der Hirsch nahm zwar die Flucht, doch fiel er bald
Durch einen Schuß, nicht weit von unserm Echsenpaar.
Der Schall des Jägerhorns ermunterte die Schar,
Die Hunde flohen nach, und holten ihn bald ein;
Doch weder Mensch noch Hund nahm unsre Würmer wahr,
Den großen Hirsch betraf die Not allein.
Die prächtige Gestalt, das Ansehn der Person
Gebar ihm Fall und Tod; die Hunde fuhren zu,
Und kriegten ihren Part davon.

Schau! sprach der kluge Freund: Was meinst du nun?
So geht's den Großen dieser Erden,
Ist's gut, denselben gleich zu werden?
Der klug gewordne Tor war anders nun bericht,
Er sprach: Nein! besser niedrig leben,
Als in so viel Gefahren schweben:
Auf kleine Leute zielen große Fälle nicht.

XIII.
Der Ochs und die Milbe

Was ist der Mensch? Wie stellt man ihn sich vor?
Der Mensch ist ein vernünftig Tier,
Spricht Aristoteles.  Das kann ich schwerlich glauben,
Er ist, wenn man ihn soll dem Grunde nach beschreiben,
Ein närrisch Tier, stolz und doch miserable
Zur Weisheit ungeschickt, zur Torheit sehr capable.
Nichts, lächerlich, schwach, elend, klein
Sind wir, und bilden uns doch große Sachen ein.
Manch Gernegroß glaubt von sich, er müßt ein Riese sein,
Der an der Größe nur zwei viertel Ellen zählet.
Drum Aristoteles hat hier gar sehr gefehlet,
Und uns gewiß nicht recht gekannt,
Sonst hätt er uns vielmehr Hoffart und Nichts genannt,
Das wär ein Name für die ganze Menschen Zunft,
Wer nennet aber das Vernunft?
Dem sei nun wie ihm will, schaut hier jemanden schleichen,
Dem wir fast alle zu vergleichen.
* * * *
Staroste Rind wurde einst aus Polen
In großer Compagnie nach Schlesien geführt.
Auf diesem großen Tier kam oben ganz verhohlen,
Das allerkleinste Tier, die Milbe, mit marschiert.
Sie wollte gleichfalls Länder sehn,
Stieg auf des Ochsens Horn; kaum aber war's geschehn,
So bildete sie sich ein aus seinen finstern Blicken,
Sie würde ihm allzu schwer, und ihn zu heftig drücken.
Es war ihr leid, was halfs? denn wär sie abgestiegen,
So brachte sie sich selbst um das Vergnügen,
Mit ihm nach Schlesien zu gehn,
Denn die Gelegenheit war gar zu wunderschön:
Der Ochse konnt ihr recht auf einmal und allein
Tisch, Wagen, Bett und Gasthof sein.
Die Last war groß; doch Not hat kein Gesetze.
Und also ging es fort;  Man hatte viele Plätze,
Manch Dorf und Stadt schon durchgerannt,
Als unser Ochs auf einmal stille stand,
Und schnappte nach der Luft. Ach, um des Himmels Willen
Sprach der verhohlne Passagier,
Was mach ich ihm vor Müh!  Er trägt sich tot an mir!
Die Hitze war sehr groß, das Rind fing an zu brüllen,
Und da es auch nicht wenig keuchte,
So machte sich die närrische Milbe leichte,
Fing gar zu fasten an, und speiste nur halb satt,
Aus Furcht, der Ochse würde sonst matt,
Und könnten sie, wenn ihm die Kraft entgangen,
An Ort und Stelle nicht gelangen.
Doch endlich trafen sie mit ganzer Haut
Am Galli Markt zu Schweidnitz ein.

Wenn am Tag Gallus jährlich ein großer Viehmarkt gehalten wird.

Da bat die Milbe nun den Ochsen überlaut,
Er möchte ihr doch geneigt verzeihn,
Daß sie ihn unterwegs so sehr beschwert,
Und auch zugleich so ausgezehrt.
Wer redet da droben? schrie das Rind,
Ich bin's, Herr Ochse! sprach die Milbe.
Wer? Ich! wo denn? allhier! Ho! ho! du liebes Kind,
Ich wußte von dir keine Silbe.

Wie mancher wird sein selbst hier lachen!
Dergleichen Milben sind gemein,
Die aus sich selbst wer weiß was machen,
Und in der Tat doch gar Nichts sein.

XIV.
Die Lotterie des Jupiters

Es machte Jupiter aus ganz besondern Gnaden
Einst eine große Lotterie.
Merkur erhielt Befehl, die Menschen einzuladen.
Es war ein rechtes Glück für sie:
Denn Alle sollten hier gewinnen,
Drum waren lauter Treffer drinnen.
Es war auch resolviert, trotz andern Lotterien,
Bei Zahlung des Gewinnes durchaus Nichts abzuziehen.
Der Lose Unterschied war so gestellt:
Die großen brachten Lust, und Ehr und vieles Geld,
Wer ein gewisses traf, der wurde ein großer König.
Das allergrößte Los war Weisheit und Verstand,
Die andern Lose brachten wenig.
Der gütige Jupiter, der es so für gut befand,
Gab diesen letzteren doch Hoffnung oben drauf,
Kein Geld wurde eingelegt, nur bloß ein Opferkauf
Ward beim Altar gezahlt.  Man sah Kühe und Ziegen
Und Schaf und Tauben genug daselbst liegen.
Die Ärmsten konnten gar mit Mehl und schlechten Kuchen
Den Kauf der Lose wohlfeil suchen,
Gott Jupiter nahm alles an,
Als der in allem Ernste wollte,
Daß jeder, auch der ärmste Mann
Der Gnade mit genießen sollte.
Zugleich stand es einigen von denen Göttern frei
Auch für sich Lose auszuheben.
Drauf ging nun kurze Zeit vorbei,
So war die Anzahl voll, die Zettel ausgegeben.

Die Zeit der Ziehung kam heran,
Die Lose wurden alle in einen Topf getan,
Geschüttelt und gemengt; um den Verdacht zu fliehen,
Sprach Jupiter: so mag Fortuna solche ziehen,
Weil ihre Augen beide blind,
Und also unparteiisch sind,
Nun fing das Glücke an, und zog drauf los.
Merkur notierte stets die Lose samt den Namen,
So, wie sie nacheinander kamen,
Genau und fleißig auf.  Die Anzahl war schon groß,
Und gleichwohl sah man Nichts als lauter Hoffnung kommen,
Man hatte sie schon tausendmal
Der Reihe nach herausgenommen,
Und kam noch immerfort in ungemessner Zahl,
Bis daß das Blatt sich endlich wandte.
Die Lose fingen an, und fielen besser aus,
Bald kam ein glücklicher Amante;
Bald kam ein reicher Mann: bald kam ein Fürst raus,
Das größte Los kam auch, der Zettel ward besehn,
Man schrie: die Weisheit und für wen?
Die Nummer so und so, und mit Minervens Namen.
Das war den Göttern recht, sie machten nach der Reih
Ein jubilierendes Geschrei.
Die Menschen, die zu kurz hier kamen,
Gerieten gegenteils in Murren und Verdacht,
Und schrieen: Jupiter hat alles so gemacht,
Und es als Vater so zu karten wissen,
Daß seinem Töchterchen das Beste werden müssen.
Es geht sichtbarlich nach Gunst und nicht nach Recht.
Damit nun Jupiter das menschliche Geschlecht
Vergnügen, und zugleich die Bosheit strafen möchte,
So faßt er den Entschluß, den lästernden Rebellen,
Anstatt der Weisheit Torheit zuzustellen.

Der Mensch vergnügte sich, und ward zur Ruhe gestellt,
Seitdem geschieht es in der Welt,
Daß sich der größte Narr stets für den Klügsten hält.

XV.
Die zwei Statuen

Das Heidentum wollte einst aus Liebe zu den Götzen,
Auf einen Tempel oben drauf,
Der Göttin Pallas Bildnis setzen.
Das Volk trug dieses Werk zwei großen Künstlern auf.
Dem Glücklichsten ward Ehr und Geld;
Dem aber, dessen Bild dem Volke nicht gefällt,
Nichts zur Belohnung ausgestellt.
Ein jeder griff sich an, und schonte den Verstand
So wenig, als den nötigen Fleiß.
Der reichlich ausgefeilte Preis,
Zudem die Ehrfurcht kam, beflügelte die Hand,
Daß jeglicher sein Bild in kurzem fertig machte.
Der Vorhof war der Platz, wohin man beides brachte.
Das Volk lief zu, und drang sich stark heran,
Fing auch sogleich fein kritisieren an.
Das Eine ward gelobt, das Andre ward verlacht,
Und kaum des Ansehens wert geacht.
Das erste spielte mit tausend Artigkeiten,
Die Züge waren zart, so wie der Umfang klein,
Und selbst die Tadelsucht, die auch Vollkommenheiten
Mit ihrem Gifte droht, schien hier vergnügt zu sein.
Das andre gegenteils sah wie ein plumper Stein,
Die Bildung des Gesichts war grob und unvollkommen,
Der Umfang ungestalt, das Maß zu groß genommen,
So, daß man es zurücke sandte,
Weil man es gar vor Jungenarbeit schalt;
Hingegen jenes Bild ein Meisterstücke nannte,
Man suchte hierauf mit Gewalt
Den Preis dem ersten zuzuteilen.
Halt! schrie der andre, halt! Man wird sich übereilen,
Man lasse doch nur erst die Probe vor sich gehn.
Ist denn mein Bild gemacht, hier in der Näh zu stehn?
Ihr müßt die Statuen erst auf den Tempel setzen,
Danach könnt ihr Aussehn schätzen,
Man tat's, wiewohl nicht gern, und hielt aus Unverstand
Die Müh und Kosten übel angewandt.
Doch, siehe da! kaum war's geschehen,
So schienen beide Stück ganz anders auszusehen.
Das Bildnis, das man vorher so wundernswert befand,
Verlor, nachdem es oben stand,
Die zarten Züge des Gesichts:
Denn der entfernte Blick erkannte davon Nichts.
Das andre gegenteils erlangte durch die Weite,
Denn dazu war's gemacht, den Beifall aller Leute,
Die Nähe macht es nur vorhin verschmähn.

Drum muß man jedes Ding am rechten Orte sehn.

XVI.
Die Hexe

Die Nacht hieß allbereit die Unruh stille sein,
Die Arbeit nahm die Flucht, die Menschen schliefen ein,
Und Morpheus wiegte sie mit Träumen,
Als eine Zauberin, ein Weib, das Teufel bannt,
Und in der schwarzen Kunst viele andre überwand,
Sich in den Wald erhob, der sich mit allen Bäumen
Vor ihrer Gegenwart recht fürchterlich bewegte.
Kaum als sich dieses Vorspiel legte,
So machte sie den Kreis, und fing drauf an
Das Murmeln ihrer Zaubersachen,
Um ein Experiment von ihrer Kunst zu machen,
Das Hölle und Geister zwingen kann.
Sie wollte auf dem Altar von drei Ecken,
Ihr kräftig Eisenkraut in Rauch und Flammen stecken.
Anstatt des Opfers brachte sie
Im nächsten Stall das Sterben unters Vieh.
Erst fraß es nicht, danach verreckt es gar.
Der finstre Gott der Höllenschar
Bot seine Geister auf, und resolvierte sich
Ein ganzes Regiment dem Weibe zuzuschicken.
Sie kamen als ein Blitz, man sah sie ordentlich
Um den Altar herum sich vor der Hexe bücken.
Das war ihr noch nicht genug, sie ließ nicht eher Ruh,
Der Mond sollte selbst vom Himmel zu ihr kommen,
Und brachte es durch ein Wort dazu.
Das wilde Volk* daselbst, so dies kaum wahrgenommen,
Schlug auf die Trommeln los, und schrie mit Weib und Kindern,
Des Mondes Abgang zu verhindern,

*Wenn der Mond verfinstert war, glaubten gewisse amerikanische Völker,
er wäre krank oder verzaubert, und wollten ihm durch viel Geschrei oder
trommeln helfen.


Der aber dieses Mal nicht zu vermeiden stand.
Warum? Hört weiter zu: Als nun die Zauberin
Sofort nach ihrem Wunsch und Sinn
Ihr alles zu Gebot und Diensten fand;
So sprach sie: wißt ihr was? warum ich euch beschworen
Ich habe meinen Hund verloren.
Wie? schrie ein Geist, das lohnt sich wohl der Müh!
Hat man dergleichen Ding gehöret?
Daß man um einen Hund, um so ein Lumpenvieh,
Die Ordnung der Natur in ihrem Laufe störet?
Wer fragt nach der Natur? sprach unsre Hexe drauf,
Was scher ich mich um ihren Lauf?
Und wenn sie heute noch zur Hölle führe,
Wenn ich nur dabei Nichts verliere.

Ach hätte mancher Mensch die Macht in seiner Hand,
Er würde gleich so dumm nichtswürdiger Dinge wegen
Den Bau der ganzen Welt in Staub und Asche legen,
Red ich zu viel? Ach nein! Es ist ja weltbekannt,
Worauf sich meine Fabel stützt,
Wenn Alexanders Zorn sich über was erhitzt;
So will er den Verdruß zu rächen
Der ganzen Welt die Hälse brechen.

XVII.
Die Vögel

Die Morgenröte stach durch Nacht und Schatten vor,
Als einst der Vögel muntrer Chor
Auf einer Eiche saß.  Ihr artiger Gesang,
Der durch das flache Feld mit vieler Anmut drang,
Vermehrte den Wahn, daß diese Konzertisten
Von Sorge und Kummer gar Nichts wüßten.
Sie hüpften auf den Ästen hin und nieder.
Bald war die frohe Munterkeit,
Und bald ein süßer Liebestreit,
Der Inhalt ihrer schönen Lieder.
Da nun die Stunde kam, daß sie der Hunger plagt,
Flog just ein Hänfling her, der sagte:
Es wäre nicht gar weit ein ihm bekannter Ort,
Wo Essen tausendfach vorhanden sei.
Kommt Kinder! sprach er, auf mein Wort.
Bleibt! schrie die Lerche drein, es ist Betrügerei,
Es kostet euch den Hals. Erwägt doch die Gefahr,
Ihr findet Futter, das ist wahr,
Jedoch zugleich auch ausgespannte Netze,
So daß ich euch schon für verloren schätze.
Ich bin infam, wenn ihr - - - Doch diesen guten Lehren,
Verlangte Niemand zuzuhören.
Die Warnung warne noch so viel,
Ja! Hunger lehrt das Widerspiel.
Die Vögel vertrauten auf des Hänflings Wort,
Dem flogen sie blind nach an den gezeigten Ort,
Und fingen an, wie er, die Körner aufzuklauben.
Da fiel das Netze zu.  Es war um sie getan,
Sie lernten, doch zu spät, der guten Warnung glauben.
Ein Teil fing gar vor Zorn zu wüten an,
Und einige hatten vor dem Fressen
Zu ihrem Trost nicht Zeit, ihr Elend zu ermessen.
Seht! Hab ich's euch nicht prophezeit?
Sagt selbst, ob ihr von mir betrogen seid?
Schrie hier die Lerche, die noch in der Freiheit war.
Nein! rief ein Vogel aus: Das macht uns die Gefahr,
Weil man dasjenige nicht leicht in Zweifel zieht,
Was unsre Neigungen begehren,
Und daß man allererst den Fehler sieht,
Wenn es nicht mehr Zeit ist umzukehren.

XVIII.
Die Götter der Ägypter

Bei den Ägyptern war jedes Vieh ein Gott.
Sogar schien jeder Mensch damals ein Vieh zu sein.
War etwa anderwärts ein Tier der Leute Spott;
So räumte man ihm hier Altar und Tempel ein.
Der Katze die hier auch ihr Herd und Feuer hatte,
Ward einst mit vielem Pomp und Pracht,
Durch Opferung einer weißen Ratte,
Ein besonderer Gottesdienst gebracht,
Des andern Tages fiel der Ratte Festtag ein,
Da sollte ihr wiederum die Katze ein Opfer sein.
Der Mausehund erschien mit Blumen überstreut,
Und von der Priesterschaft umgeben.
Man fing hierauf gleich an der Ratte Göttlichkeit
Bis an den Himmel zu erheben.
Ihr weitgedehntes Loblied ward
Durch Satz und Gegensatz nach Dichter Art
Von zwei Chören abgesungen,
Und nach poetischer Schmeichelei,
Der Ratte kleines Lob, hoch über hoch geschwungen.
Von schlechten Taten viel Geschrei,
Man bat die Göttin Maus, den eingeernteten Segen,
Der ihr fatalen Katze wegen,
In deren Scheuren vom verwüsten zu befrein,
Und durch der Katzen Tod versöhnt zu sein.
Sie? Göttin? sprach die Katze drauf,
Was bin denn ich? gebt her! ich will die Göttin fressen,
Ihr opfertet sie mir ja gestern noch erst auf;
Und heute glaubt ihr so närrisch als vermessen,
Ihr könntet mich für sie ermorden?
Wie kommt es, daß ihr doch so bald
Vom Weißen auf das Schwarze fallt?
Vorher war ich selbst ein Gott, nun bin ich's Opfer worden?
Der Einwurf war zu stark, die Frage zu subtil,
Drum kam das Opferbeil, das statt der Antwort fiel.

Wir sind Ägypter, und ebenso bestellt,
Weil man die Neigungen für unsre Götter hält.
Da opfert man, nach der Gelegenheiten Lauf,
Die eine stets der andern auf.

XIX.
Der Geizhals und Minos

Von allen Lastern die sonst auf den Menschen ruhn,
Kommt mir der Geiz am lächerlichsten vor:
Ein Geizhals ist der ärgste Tor,
Wer ihn verspottet, wird nicht Unrecht tun.
Ich wünsch ihn selbst recht durchzuziehn,
O Schade! daß ich nicht Apollo bin,
Ich wollte gleich die Dichter insgesamt
An dieses dumme Laster hetzen,
Dem ließ ich im Parnaß keine Ehr, noch Rang, noch Amt,
Der ihm nicht könnt empfindlich eins versetzen.
Das ist ja, wendet man hier ein,
Schon ein altes Ding, und längst davon geschrieben,
Kein Seculum, kein Ort wird wohl zu finden sein,
Da man nicht Spott mit ihm getrieben.
Was soll man weiter tun? Was! sag ich, fraget ihr!
Stellt nur den Geizigen recht in närrischer Armut für,
Des Satans Götzenknecht, der allen Umgang fliehet,
Bloß auf sein Geld erpicht, sich drum der Welt entziehet.
Der sich bei seinem Tisch das eigne Brot vergällt,
Sich selbst für einen Tellerlecker hält,
Den man mit schlechten üblen Speisen
Nur müsse suchen abzuweisen.
Bleibt nun dem ungeachtet das Laster trotzig stehen;
So gebt auch nicht nach, und macht es öffentlich
Auf dem Theatro lächerlich,
Solange bis ihr seht, daß man will in sich gehen.
Doch braucht Momos Spöttereien
Viel lieber, als Gewalt, wie Herkules getan;
Mit Macht und Fäusten geht's nicht an.
Wer eigne Schande er sieht, wird selbst sich davon befreien,
Sieht aber denn ein Geizhals das nie ein,
Daß, da er sich von seinem Geld und Gut,
Aus Furcht vor Armut Nichts zugute tut,
Er das itzt und schon ist, was er besorgt zu sein?
Man spottet ihn, des nimmt er sich nicht an,
Ein Schimpfwort ist ihm nicht so sehr entgegen,
Als wenn er nicht sein groß Vermögen
Um einen Heller mehren kann,
Drum laß ich ihn, er wird wohl unkuriert bleiben:
Ein Laster ohne Scham ist schwer zu hintertreiben.
* * * *
Ein Geizhals nahm von seinen vielen Schätzen
Recht kläglich gute Nacht, der Hunger war sein Tod.
Man gab ihm nach den Landesgesetzen
Den Totenpfennig zwar, doch mit genauer Not,
Unwillig, mit Verdruß, in die erstarrte Hand.
So macht's das Erbenvolk.  Wenn reiche Freunde sterben,
Die ihm ihr Hab und Gut vermächtlich zugewandt,
Daß es kann Tonnen Goldes erben;
So schämt es sich nicht der Unersättlichkeit,
Ja, daß es öfters gar das Holz zum Sarge reut.
Der Abgeschiedne kam nun an den Höllenfluß,
Wo man dem Charon sonst das Fährgeld zahlen muß,
Wer Nichts zu zahlen hat, den schifft er nicht mit ein.
Die Seele war gewohnt zu sparen,
Der Pfennig war ihr lieb.  Sie sprang in den Fluß hinein,
In willens franco durchzufahren.
Der Charon schrie: Halt an! Sie hörte Nichts, sie schwamm,
Bis daß sie an das Land der andern Seite kam.
Da bellte Cerberus mit allen drei Köpfen,
Die Schar der Furien mit ihren Schlangenzöpfen

Charon:
Der Fährmann über den Höllenfluß Styx, dem die Überfahrenden,
nach den alten Heidengedichten, allezeit ein Fährgeld zahlen müssen
.
Cerberus:
Der Höllenhund mit 3 Köpfen.

Erschienen Augenblicks, und machten an dem Strand
Die geizige Seele contreband,
Sie wanderten mit ihr gleich auf den Minos los.
Die Tat war unerhört und groß,
Das Protokoll ward nachgeschlagen,
Dergleichen hatte sich noch niemals zugetragen,
Und Minos der sich hier den Kopf wohl recht zerbrach,
Sann der verdienten Strafe nach.
Der Durst des Tantali, Ixions schwere Plagen
Sind, sprach er bei sich selbst, für diese neue Sünde
Noch viel zu gut und zu gelinde.
Er helfe Sisyphus die Last der Steine tragen!
Er fühle des Prometheus Schmerz!
Ein Adler fress ihm stets das kaum gewachsene Herz!
Doch Nein! er soll, ich ändre meinen Willen,
Wie andre tun, die Fässer ohne Boden füllen!
Hier fiel dem Minos wieder ein,
Es würden alle Höllenplagen
Für diese Tat zu wenig sein.
Wir wollen, sprach er drauf, den Kerl zurück jagen,
In seine Wohnung auf die Welt:
Da soll er selbst schauen, mit was vor Springen
Sein schwer und sauer erscharrtes Geld
Die Erben pflegen durchzubringen.