zu Buch 3

 

Buch 2

I. Fabeln nach Saadi
II. Fabeln nach Georg Philipp Harsdörffer
III. Fabeln nach Justus Gottfried Rabner

 


I. Fabeln nach Saadi
eigentlich Moscharref od-Din Abdullah um
1190 in Schiraz † 1283 oder 1291


Der Reiche und der Arme

"Schau her, wie meines Vaters Grab,
Mit Gold und Marmor schön geschmückt
Voll edlen Stolzes, hoch herab
Auf tausend niedere Gräber blickt!
Den deinigen bedeckt kaum dieses Häuflein Erde."

So prahlt mit spottender Gebärde
Zum Armen einst des Reichen Sohn;
Doch dieser lacht und spricht: "Erspare dir den Hohn!
Denn wenn uns einst aus stiller Gruft
Die richtende Trommel ruft,
Dann schwingt aus seinem leichten Hügel
Mein Vater schon zum Paradies die Flügel;
Indes der deinige, vom schweren Stein bedeckt,
Noch mühsam seine Glieder streckt."

Die Gewissensfrage

"Wenn du mit einem schonen Mädchen ganz allein
Kannst bei verschlossner Türe sein;
Wenn in der dunkeln Mitternacht
Kein einzig Lauscher - Auge wacht;
Wenn reif bereits der Dattel Frucht,
Und dir sie abzupflücken
Kein Gärtner zu verwehren sucht;
Wird dann Enthaltsamkeit dir glücken?"


So fragt man einen weisen Mann.
Er spricht: "Selbst, wenn ich schuldlos bliebe;
Selbst wenn ich aller Menschheit Triebe
Bezwingen könnte, würde ich dann
Frei vom Verdachte bleiben?
Drum rate ich dir und mir, zu stolz auf Selbstgefühl
Das ganze liebe Spiel
Viel besser nicht zu treiben."

Der König und der Knabe

Ein König siechte; und seiner Ärzte Kunst
Rät ihm die Leber eines Knaben, der
Erst 14 Jahr und frisch erwürget sei.
Noch wenn sie zuckt zu essen. Rasch ergeht
Ein Ausruf durch sein Land. Und siehe, es bringt
Hin, Vater selbst den Sohn; empfängt das Gold
Und flieht; ein Tiger menschlicher Gestalt!
Beim Lager des Monarchen steht, indem
Man ihm das Opfer bringt, ein Kasi,* den
Der König fragt, ob es auch Rechtens sei
Hier zu verströmen Menschenblut. Und der
Ihn schnell belehrt: "Die Pflicht des Untertan
Für seinen Fürsten sei zu dulden Tod!" -
"So sei dann Tod dein Los, o Knabe!" spricht
Der Fürst und winkt. In eines Henkers Hand
Blitzt schon das Schwert. Der Jüngling kniet und blickt
Des Streiches harrend auf zum Himmel und
Ein freundlich Lächeln glänzt in seinem Blick.
Kein Wort, das Gnade fleht! Befremdet ruft.


Als er dies sieht, der Fürst dem Henker zu:
"Halt ein! und du des Todes naher Raub,
Sprich, wie du lächeln kannst, ein Haarbreit nur
Vom ewigen Schlaf entfernt?" Voll höheren Mut
Antwortet dieser ihm: "Der Eltern Schoß
Ist sonst der Kinder Schutz; zum Priester flieht
Der, den die Welt verstößt; und Recht und Macht
Ward Königen zu Teil, damit ihr Thron
Bedrückter Unschuld Rettung sei. Doch mich
Verkauft ein Vater. Mich zu töten nennt
Ein Kasi wohlgetan; und ein Monarch
Den nie mein kleinstes Wort beleidigt, nie
Mein Auge sah, befiehlt dem Henkerschwert
Mich zu ermorden. Ach, kein Freund, der mir
Noch übrig bleibt, als Gott, als Gott allein!
Ihn bald zu sehn, zu klagen ihm, wie hier
Mich jeglicher verließ, des freute ich mich."


Des Mitleids Schauer bebt durch des Fürsten Herz.
Vom Auge rollt ihm eine Zähre, die
Sein köstlicher Juwel, sein ganzer Schatz,
Verdoppelt zehn und zwölf Mal, nicht erreicht.
"Nein" ruft er aus, und rauschte schon um mich
Asrahels* Fittich; sehe ich aufgehen schon
Die Sonne, die für mich nicht untergeht;
Viel lieber stürbe ich, ehe ein schuldlos Blut
Mein Leben fristen, ewige Reue dafür
Mein Herz beschweren soll." Spricht's und umarmt
Den Jüngling, den er reich begabt entläßt.
Und schaut, und schaut! Der Ewige, er winkt
Asraheln nicht; er winkt, Gesundheit, dir!
Dein Balsam-Odem haucht ins Fürsten Herz
Verjüngte Kraft, weil er nicht ganz vergaß,
Daß er ein Mensch und Lehensmann Gottes war.

*
Kasi: Ein geistlicher Richter
*
Asrahel: Der Todesengel bei den Mohamedanern

Hutsias und der Weise

Ein Biedermann erwies dem Hutsias
Nicht Ehre genüglich. Wider ihn ergeht
Des Fürsten Spruch, als Spruch des Todes schnell.
Der Greis vernimmt's, und weint und lacht zugleich.
Befremdet fragt der König ihn: Woher
Entstehe dies Gemisch von Lust und Schmerz?
Der Edle spricht: "Hier diese Zähre fließt
Um die bedrängte Welt; sie fließt um vier
Schuldlose Kinder, bald verwaist durch mich.
Doch dieses Lächeln gilt dem guten Gott,
Der unser Erdenrund erschuf, und mich
Nun Erde werden läßt, nicht als Tyrann,
Nur als Tyrannen-Opfer!" - "König" fleht
Ein Rat des Fürsten: "Zieh die strenge Hand
Von diesem Greis! denke, daß ein Edelstein
In jeder Fürsten-Krone Mildigkeit
Und fehlen menschlich sei! Erbarme dich
Der zarten Kinder Schmerz, und sei gewiß,
Daß jenes letzten Tages Waage dir,
Vergeltung wiegen wird!" Doch der Tyrann,
Für Wahrheit und für Tugend taub, stößt selbst
Den Dolch ins Herz des Weisen, daß er sinkt.

Er stirbt, und in der nächsten Nacht steht bleich
Sein Schatten vor dem Lager dessen, der
So dreist zum Wüterich sprach. "Ich danke dir,"
Ruft er, "nur weine, Lieber, nicht um mich!
Denn meine Pein war Pein des Augenblicks.
Doch jenen Mörder schützt sein Diadem
Nur wenig Monde noch; und seine Qual
Brennt schrecklich bis zum Tage des Gerichts!"

Die zwei ungleichen Freunde

Um Glück und Unglück treu vereint zu tragen,
Verbanden einst zwei Freunde sich.
Schon alt der eine, hager, kümmerlich.
An Kräften arm, der nie von guten Tagen
Sehr viel gehört, und wie ein Schatten schlich
Der andere noch in seiner Jahre Blüte,
Von Körper stark, froh von Gemüte,
Der, wie ein Löwe frisch, des Trübsals schwere Hand,
Noch nie geachtet, nie empfand.

Sie zogen aus; durchstreiften Meer und Land,
Und kamen in ein Reich, wo Bürgerkriege flammten;
Wo vogelfrei der Fremdling war;
Wo Hass und Mißtrauen unser Brüderpaar
Zum Kerker, als Spione, verdammten.

Hier saßen sie bei Wasser und bei Brot
In Ketten und Banden; doch es kamen.
Aus ihrem Vaterlande auf Kundschaft ihrer Not,
Vom Fürsten Boten an; und nahmen
Den Argwohn des Verrates hinweg.

Man schloß das Tor
Des Kerkers auf; und froh
Sprang jener Magere nun hervor;
Den andern fand man tot auf seinem dumpfen Stroh.


Erstaunt vermochte dies der Pöbel nicht zu fassen.
Der starke Mann erblaßt? Frisch dieser Schwächling?
So scholl es umher. Ein einziger Weise sprach gelassen:
"Dies, glaubte ich schon bevor ich es sah.
Denn dem war Ungemach ein längst gewohnter Gast.
Und schwer erträgst du eine Last,
Wenn du schon an dir selbst genug zu tragen hast."

Der Arme und sein Kind

Ein Dürftiger, der eines Weibes Mann
Und eines Knäbleins Vater war, vergoß
Der Tränen viele, da der erste Zahn
Des Sohnes erschien. "Wo sprach er, nehm ich Brot
Und Kräuter her, ihn zu ernähren?" Sanft
Schlingt seine klügere Gattin ihren Arm
Um seinen Hals, küßt ihm die Träne weg
Und spricht: "O sorge nicht! denn jener Gott,
Der Zähne gibt, läßt Kraut auch keimen, das
Für diesen Zahn sich schickt. Suche es nur brav
Im Schweiß des Angesichts! Es wächst gewiß."

Der Höfling und der Derwisch

Zu einem stolzen Höfling naht
Ein armer Derwisch sich, der mit gekrümmten Rücken
Ihn um die kleinste Münze bat.
Mit Schimpf im Munde, Spott in Blicken
Wirft ihm der Frevler einen Stein
Auf den geschornen Kopf. Der Derwisch steckt ihn ein.
Verbirgt den Schmerz und eilt von hinnen.


Ehe aus der Zeiten Ozean
Zehn Jahre schnell verrinnen.
Läßt eben diesen Höfling sein Tyrann
Gott weiß, wodurch? erzürnt, von seiner Höhe gleiten,
Und ihm im tiefsten Käfig einen Ort
Zum künftigen Wohnplatz zubereiten.

Kaum sitzt er dort,
So fährt ein Stein
Zum Kerkerfenster rasch herein,
Der des Gefangnen Kopf
Beinah zerschellt. "Ha, ruft er, welche Tücke
Verfolgt so niedrig mich?" – "Still armer Tropf!"
Schallte eine Stimme ihm zu "auch mir fuhr ins Genicke
"Einst dieser Kiesel, den ich dir
Mit Dank zurück nun schicke;
Kennst du den Derwisch jetzt in mir?"

Der unwürdige Sohn

Ein königlicher Rat, der Vater war
Von einem bösen Sohn, starb hingerafft
Durch schnellen Tod, und also bald gebietet
Der König, einzuziehen sein Hab und Gut.
Mit Zittern wirft der Sohn im Staub sich hin
Und fleht um den Besitz des Erbteils. Doch
Der Fürst entgegnet ihm: "Durch Tugend und
Verstand ward einst dein Vater groß und reich;
Sei erst sein Erbe an Tugend und Verstand,
Dann sollst du es auch von seinen Gütern sein!"
Wie gut für manch hochadelig Geschlecht,
Daß Saadis Weisheit Persien nur ehrt!

Der Kaufmann und sein Sohn

Zehntausend Taler büßt Amit, ein Kaufmann ein.
"Laß ja," sprach er zum Sohn, "den Schaden uns verschweigen!
Sonst dürfte uns leicht nicht der Verlust allein,
Sonst dürfte uns Feindes-Spott noch desto tiefer beugen."

Osmins Reisegeschichte

Osmin, ein Jüngling, stark und kühn, doch tief
Durch Armut in den Staub gedrückt, beschloß
Die Welt zu sehn; zu suchen anderswo.
Was ihm daheim das Glück versagt. "Sohn!" sprach
Der Vater oft, "bezähme die Begier!
Denn Ruhm und Reichtum gibt die Arbeit nicht;
Sie spendet nur ein blindes Ungefähr
Und hättest du der Tugenden zweihundert
An jedem Haare deines Scheitels; kehrt
Das Glück den Rücken dir, ist all dein Tun umsonst"

"Und dennoch, Vater, hörte ich oft des Reisens Ruhm,
Daß es Erfahrung schaffe, Freundschaft knüpfe,
Geschicklichkeit und guter Sitten viel
Uns lehre."


"Alles wahr! doch allen ziemt
Nicht alles. Wenn der Kaufmann reichen Schatz
Von Indus Ufern holt; wenn der Gelehrte
Mit seiner Weisheit weislich wuchert, und
Der goldnen Münze gleich, sich überall
Empfangen gehn und hochgehalten sieht;
Wenn der, dem Schönheit ward zum Eigentum,
Auch auswärts Herzen zu erobern sucht;
Wenn jetzt der Sänger, mit den Nachtigallen
Tönen, Barbarenseelen lieblich zwingt;
Und wenn der Künstler, seiner Kunst gewiß,
Gewiß daß überall sich ihm die Tafel deckt,
Das Ausland zu durchwandern wagt, dann wagt
Ein Jeglicher nichts mehr, als was er kann,
Doch Armut ist ein bleiernes Gewand,
Das den, der fortzuschreiten trachtet, bald
"Zu Boden zieht."

"Und doch gibt Gott dem Armen
Oft Brot am Tor des Reichen; gab mir Kraft
In meine Nerven, Mut in meinen Geist,
Daß ich den Kampf mit Löwen zu bestehen
Nicht scheuen darf! Und sollte Kümmernis
Der Wanderschaft mehr sein, als Löwenkampf?
Und sollte der, der weder Ruhm noch Gut
Dahinten läßt im Vaterlande, dich
Vermissen, Vaterland? Der Reiche sorgt
Mit Recht, wie er des Abends wiederkehr
Zu seiner Habe, seinem Schlosse; doch
Der Arme trifft eher überall sein Schloß
Und seine Habe, nur daheim nicht."


So sprach der Jüngling, reiste fort und kam
Gar bald zu einem schnellen Strome, der
Mit Wogensturz, mit Wirbeln tausendfach
Den Schwimmer schreckte; Furt und Brücke fehlt;
Nur eine Fähre nimmt für wenig Geld
Die Wanderer auf. Der Jüngling eilt zu ihr
Und bietet, statt des Denars, der ihm fehlt, die Starke
Und Hilfe seines Arms den Schiffern an;
Doch laut lacht ihm ihr Spott entgegen: "Geld
Ist mehr als Stärke! hättest du die Kraft
Von 20 Männern; Geld von einem nur
Beschämt die Zwanzig weit." Er bittet, fleht;
Umsonst; ihr Geiz ist taub, kein Bitten hilft;
Kein Flehn! Sein dargebotner Rock allein
Bewegt die Grausamen zu landen und
Ihn aufzunehmen. Aber Rache flammt
In seinem Busen hoch. Kaum sieht er sich
Im Schiff, so fällt er mit geballter Faust
Wild über sie, und schlägt so hart und lange.
Bis Rock und Überfahrt ihm gern gestattet wird.


Doch auch in ihrem Herzen glimmt nun Groll!
Ein Windhauch nur, so lodert hoch die Flamme.
Seht! in des Flusses Mitte steht ein Pfahl;
Jetzt naht sich ihm das Schiff, und plötzlich schreit
Der Steuermann: "Ein Leck! ein Leck! wehe uns!
Bald wird das Wasser ihn erweitern und
Versenken Schiff und Mann und Maus! wer hilft
Wer hilft uns auf des Flusses Mitte?"
"Wer hilft?" tönt ängstlich ihm das Echo nach
"Ha diesen Pfahl," ruft schnell der Steuermann,
"Bestimmt ein Gott zu unsrer Reitung. Wer
Von euch hat Mut genug mit einem Tau
Auf ihn zu springen und den Nachen fest
Zuknüpfen? "Alle schweigen. "Her das Tau!''
Spricht unser Jüngling gieriger nach Ruhm
Als Leben selbst. Doch kaum, daß er den Pfahl
Erreicht, als schnell der Schiffer trüglich ihm
Das Tau entreißt; das Schiffchen abstößt und
Mit Spott ihm zuruft:


"Harre nun, du Starker,
Auf diesem Eiland, deiner wert! versuche,
Ob deine Riesenfaust die Wellen auch
"Zu Paaren treibe!" Fährt davon und hört
Des Jünglings Angstgeschrei und Bitten nicht!
Zwei Tage und Nachte, Jahren gleich, schwebt so
Der Ärmste, jeden Augenblick des Todes
Gewärtig und Errettung wünschend. Doch
Am dritten Tage heischt von ihm der Schlaf
Den lang entbehrten Zoll; und als ihm noch
Die Wimper zusinkt, weckt ihn schon der Sturz
Ins Wasser wieder auf. Was er noch nie,
Gelernt, lehrt jetzt ihm Not. Er schwimmt; gelangt
Ans Ufer; Mattigkeit und Hunger drohn.
Von neuem ihm den Tod. Mit blutiger Hand
Gräbt er sparsame Wurzeln aus und bricht
Von einem Baum, dem Früchte fehlen, wenigstens
Halbwelke Blätter sich; ein kläglich Mahl!

Von ihm und einer Stunde Schlafes gestärkt,
Setzt er die Wanderung fort. Ein neuer Feind
Bekämpft ihn bald. Durch Wüsteneien irrt
Sein Fuß, wo ihn kein Wassertropfen labt;
Lang blickt er um sich, und erblickt zuletzt
Ein Brünnlein; rund um ihn sitzt eine Schar
Von Hirten, und begehrt von jedem, der
Sich naht, um hier zu schöpfen, einen Zoll.
Der Geldentblößte Jüngling fleht; umsonst!
Da glüht sein Zorn; da nimmt er abermals
Zur Stärke seiner Faust die Zuflucht! doch
Der Hunger und der Durst hat ihn entnervt;
Und, allzu mächtig ist für ihn der Hirten Schwarm.
Sie schlagen ihn, daß er sein Leben kaum
Davon als Beute trägt.
Er flieht und sieh!
Es steigt ein Staub empor; im langen Zuge
Naht eine Karawane sich. Zu ihr,
Von Not und Gram und Hunger tief gebeugt,
Flieht unser Jüngling, und erhält mit Müh
Brosamen, trübes Wasser und den Schutz
Der Mitgesellschaft.
Gegen Abend kommt
Die Karawane an einen Ort, der längst
Im Ruf von Fährlichkeiten war, und wo
Schon mancher seinen Geist von Räuberhänden
Aufgab. Auch jetzt erbeben alle, nur
Der Jüngling nicht. "Mir," sprach er, "ward die Kraft
Von zwanzig Fäusten; tut ihr andern bloß
Was euch gebührt, so holt kein Feind sich Beute,
Wohl aber Schmach von euch!". Der Zuspruch hilft.
Man gibt dem tapfern Jüngling Speis und Trank,
Daß seiner Nerven Kraft sich neu verjüngt
Und er dann satt dem Schlafe Preis sich gibt.

Ein einziger Alter, den Erfahrung längst
Zum Weisheitshafen brachte, schüttelt jetzt
Den Kopf; versammelt rund um sich den Trupp
Und spricht:
"Daß nur die Stütze nicht, die vor
Gefahr euch schützen soll, ein Fallstrick sei!
Traut immerhin! Ich trau dem Jüngling nicht.
Denn sagt! wer ist er? Und wo kam er her?
Wohin sein Pfad? und wer sein Bürge?
Seht, ihr alle schweigt; und ein Geschichtchen drängt
Sich auf in mir. >Ein Priester, der schon längst
Für Armut Geld gesammelt hatte, war
Besorgt, daß ihm durch Räuber nicht sein Schweiß
Entwendet würde, und bat den ältesten Freund,
Den er besaß, mit ihm zu wachen. Gern
Verspricht's ihm dieser; wacht zwei Nächte; merkt
Sich nun des Schatzes Ort; und raubt ihn in
Der dritten Nacht. Des Morgens sieht zu spät
Der Priester den Betrug, zerreißt sein Haar
Und sein Gewand. Bestahl ein Räuber dich?
Fragt jeder Nachbar; er erseufzt und spricht:
Der Schutz vor Räubern war der Räuber selbst.<
Wohl uns, wenn dieser Jüngling nicht ihm gleicht!
Wenn ihn ein Räuberschwarm zum Späher nicht
Erkor, und er des Zeitpunktes harrt, wo uns
Sein kleinster Wink in Feindes Hände stürzt."


Wie, wenn der Wind durch volle Saaten rauscht.
Die Ähre sich bald ost- bald westwärts beugt;
So beugt des Alten Rede leicht den Schwarm
Bald her, bald hin; mit Zittern blicken sie
Den Jüngling an, und fragen: "Was zu tun?"
Ihn hier zu lassen, wie er schläft; gemach
Hinweg zu ziehen!" Das ist des Greises Rache,
Den man befolgt.

Der Morgensonne Strahl
Geht auf, und sengt den Armen, den kein Zelt,
Kein Obdach schirmt; er fährt empor; und wer
Faßt sein Entsetzen, als er sich allein
Auf heißem Sand und um sich her nur Spuren
Von Menschen und Kamelen, nirgendwo
Kamele und Menschen selbst erblickt! Er ruft,
Er sucht; umsonst; sie sind entflohen. Da schlägt
Er sich verzweiflungsvoll an Stirn und Herz,
Und flucht dem Augenblick, wo er zuerst
Sich auf die Bahn gewagt.

Noch vier und zwanzig Stunden
Schleppt er so murrend gegen Gott und Menschheit
Sich langsam fort. Ihm folgt auf jedem Schritt
Ermattung, Hunger, Hitze und Durst, bis er
Zuletzt in einen Hain gelangt, und an
Der höchsten Tanne Wurzel lebenssatt
Sich hinwirft, atmend kaum. Die Zunge lechzt.
Der Blick erstarrt; schon hascht nach ihm der Tod;
Da hört er nah bei sich des Hüfthorns Jubelton,
Versucht empor zu sehn, und — ach! vermag es nicht.


Doch näher kommt die Jagd. Der Sohn des
Fürsten durchsprengt den Forst; ein günstig Ungefähr
Zeigt ihm den Leichnam, den auf seinen Wink
Ein Schwarm von Dienern aufhebt, mühsam ihn
Zurück ins Leben ruft, mit Balsam und
Mit Wein erquickt, bis hell sein Auge, rot
Die Wange wird, und Puls und Kraft sein Blut
In neuem Zirkel treibt. Der milde Fürst,
Den schon des Jünglings Anblick, stärker noch
Des Jünglings Klage rührt, gebietet, ein Ross
Herbei zu führen, nimmt ihn mit an den Hof,
Und sendet ihn mit Kleidern reich begabt
Zum Vater heim.

"Sagte ich dir nicht," sprach dieser
Nach der Umarmung erstem Kusse, "daß
Des Starken leere Hand ein Löwenfuß
Entblößt von Klauen, sei? Und daß ein Gran
Des Goldes mehr, als Zentner Stärke wiege?" -
"Ihr sagtet mir es, und ich empfand es. Doch glaubt:
"Der Biene Stachel ist an Honig reich,
Des Wanderns Trübsal reich an guter Lehre.
Denn süßer schmeckt mir nun daheim die Ruhe.
Wer Perlen fischt, darf nicht den Walfisch scheuen.
Und schändlich ist's, der Spinne gleich, sein Haus
Verlassen nie, und Fliegen fangen wollen."
"So recht, mein Sohn! du nimmst es, wie du es sollst.
Das Glück, das dich zuletzt vom Prinzen finden ließ,
Ist Glücks genug. Nur trau ihm nicht zu viel!
Als Lehre und Nutzen nimm dies Geschichtchen dir:


>Ein König, und ein Freund des Bogens, ließ
Einst seinen Fingerreif, wo ein Juwel
Von Wert unschätzbar prangte, hoch erhöhen.
Und setzte ihn dem zum Preis, des Pfeil ihn treffe.
Vierhundert Schützen kämpfen; alle umsonst!
Ein Knabe steht auf einem Dache, sieht
Dem Wettstreit zu und lacht. Noch spannt er nie
Des Vaters Bogen; holt ihn heimlich jetzt,
Drückt los den Pfeil, und sieh, ein günstiger Wind
Treibt ihn zum Ziel, daß sein der Edelstein
Und manche Gabe noch vom Fürsten wird.
Der Knabe dankt, und wirft dann in die nächste Glut
Pfeil, Köcher, Bogen hin. Erstaunt fragt man:
Warum? "Weil ich nun lebenslang den Ruhm
Des besten Schützen mir erhalten will!"<
 
Fabeln nach Georg Philipp Harsdörffer
1.11.1607-17.09.1658

Das Buch und das Büchlein

Das Buch begegnete dem Büchlein, und fragte solches verächtlich: "Wo geht deine
Wenigkeit hin?" — "Und wohin deine Vielheit?"— "Wer hat dich," fragte jenes, "an die
Wissenschaften mit angebunden?" — "Und wer dich von fremder Wissenschaft aufgelöst?
Denn nie könntest du so dick sein, wenn du nicht der Hehler manches fremden
Diebstahls wärest." — "So hältst du also das, was du in deinem Busen trägst, für das
einzige Neue unter der Sonne? Was ist gesagt worden, das andere zuvor nicht auch
gesagt hätten?" — "Und warum sollte nicht die alte Welt klüger mit den zunehmenden
Jahren werden? Wer hat es den Verstorbenen gelehrt? Und wenn sie erfanden, warum
wir nicht auch?"
So stritten sie noch lange fort, bis Mnemosyne* den Ausspruch tat: das große Buch solle
dem Reichen, das kleine den armen Studierenden zukommen; da jener daraus viel lernen
kann; dieser zuweilen erfinden.

*
Mnemosyne: griech. Göttin des Gedächtnisses und Mutter der neun Musen

Die Befleckung

Im Garten der Wollust gingen einige vornehme Leute spazieren, vorzüglich um die
vielfältigen Wasserwerke zu betrachten; und der Gärtner wußte sie so listig unter die
Vexiergewässer* zu bringen, daß nicht einer von ihnen anders als durchnäßt davon
kam. Als sie nun zum Feuer eilten, und sich leicht zu trocknen vermeinten, fanden sie
dies ganz anders. Einige, zwar von dem Wasser der Eitelkeit, Faulheit, des Wahns und
Geschwätzes bespritzt, wurden bald, doch mit Verlust ihrer Kleider, wieder rein.
Langsamer wurden es diejenigen, die von den Röhren des Geizes, Neides, der Ehrsucht
und Trunkenheit benetzt worden waren, und ihre Kleider verloren alle ihren Glanz.
Aber wer mit Unzucht und Blutfluten befleckt worden war, der vermochte nicht sich
wieder rein zu machen; seine Kleider schrumpften zusammen, und selbst an Haut und
Leibe blieben Male zurück.
"Dies wundert mich nicht, sprach einer, denn dies sind die tief verletzten; nur das
wundert mich, daß ich im Garten der Wollust, mitten unter den Gewässern, einen
schönen Regenbogen von den Sonnenstrahlen gebildet sähe, den man das Bild der
göttlichen Barmherzigkeit nannte."

*
vexieren: etwas versteckt anbringen

Der Palast des Betrugs

Der Betrug sah, daß die Weisheit ihren Palast auf sieben Säulen* gegründet habe, wollte
dies nachahmen, und baute ein prächtig scheinendes Werk, gleichfalls auf sieben Säulen,
nämlich auf zweideutige Worte: öffentliche Lügen, falsche Versprechungen, falsche
Waren, trügliche Gebärden, falsche Siegel und Meineide. Ihre Grundlage war Sand, ihre
Bleiwaage hieß menschliche Vermessenheit. Zwar verstanden die Bauleute und ihre
Gehilfen oft sich selbst nicht, weil ihre Worte und Gebärden anders schienen und wirklich
anders waren; doch kam endlich ein hohes Gebäude zustande.
Da ging die Wahrheit vorbei und sprach: "Der Herr lacht ihrer, und der Herr spottet ihrer;
er wird mit ihr reden in seinem Zorn." Kaum hatte sie dieses gesagt, als ein Sturm vom
Niedergang kam, der lockere Boden entrollte, und der ganze Palast in Trümmer
zusammenstürzte.

*
nach Meißner beziehen sich diese "sieben Säulen" auf die Sprüche Salomos 9/1

Los der Tyrannei

Die Tyrannei legte dem Gehorsam ein eisernes Joch auf, und geißelte ihn noch überdies
hart mit den Skorpionspeitschen Rehabeams. Lange ertrug dies der Gehorsam mit großer
Geduld. Der Skorpion der Steuern machte ihn arm, der Skorpion der Frondienste machte
ihn matt, aber der Skorpion der Verachtung fraß so das Herz ihm ab, daß er den Tod
mehr als das Leben wünschte. Doch als dem ungeachtet die Tyrannei ohne Reue und
Scheu fortfuhr, da verwandelte der Gehorsam sich plötzlich in Ungehorsam, Hass,
der bisher nur verlarvt des Nachts umher geschlichen war, Freiheit, die aus dem Elend
zurück kam, verbanden sich mit ihm; und indes die Tyrannei bei der Sicherheit
schmauste, überfielen sie die Verschworenen, ermordeten ihre Diener, den Geldgeiz und
den Hochmut, verbrannten die Skorpionspeitschen und verjagten die Tyrannei.

Eine Geschichte, die in dem Zimmer jedes Despoten mit goldenen Buchstaben eingeätzt
werden sollte!


Edelsteine

Ein Juwelier, Stolz genannt, hatte seinen ganzen Kram um sich gehängt, und die Eitlen
bezahlten ihm für kleine Steine große Summen.
Dies sah ein Müller, und da er hörte, daß man in diesen Steinen den inneren Wert so
hoch bezahle, eilte er nach Hause, ließ einen alten Mühlstein auf diesen Markt wälzen,
und bot ihn für tausend Gulden an. Man lachte laut über ihn; umsonst versicherte er,
daß dieser Stein schon mehr als tausend Menschen ernähren helfen, und daher mehr als
jene Juwelen wert sein müsse; man erwiderte, daß ihm der Glanz mangle, den die
edlen Steine von sich strahlen. "Wenn ihr den Glanz nur schätzt," rief der Müller, "so hab
ich faules Stroh in meinem Keller, das heller als eure teuren Steine glänzt. Doch ich sehe
es schon, daß ihr Toren nur schätzt, was euch nichts nützt, und verwerft, was euch
dienen kann. Lebt wohl; meine Edelsteine sollen Gesundheit, Stärke, Gedächtnis,
Ehrbarkeit und fleißige Arbeit sein."

Die Ehre

An der Blumengöttin Hofe hielten die Tulpen sich prächtiger und stattlicher in ihren
geflammten und gestickten Gewändern, als alle die übrigen; erhoben sich auch mit
hochklingenden Titeln.
Die anderen alten Hofdiener sahen dies mit neidischen Augen an, und beklagten sich bei
der Göttin, daß ihre ehemaligen Dienste, ihre Geruchs- und Arzneivollen Kräfte minder
geschätzt würden, als diese bunten nichtsnutzigen Blendlinge; baten auch daher, daß
sie wieder eingesetzt, und jene abgeschafft würden. Flora bedachte sich eine Weile;
dann aber sagte sie: "Gebt euch zufrieden, es ist besser, ehrwürdig ohne Ehrenstellen
sein, als unwürdig große Ehrentitel zum Ruhm bei Unverständigen, zum Gelächter bei
Vernünftigen erhalten."


Der Haushahn

Ein Haushahn rühmte sich gegen seinen Herrn einer großen Gemeinschaft mit der Sonne,
weil er deren Wirkung unter allem Gefieder zuerst verspüre; pries auch die Dienste, die
er ihm durch seine fleißige Wacht, und durch sein fast wundersames Geschrei erzeige,
mit welchem er die Diebe zu verscheuchen, den Hausherrn zu wecken und zur Arbeit zu
rufen suche. Man gestand ihm dies letztere zu, doch da bald darauf der Hausherr krank
wurde, und einige Nächte schlaflos zubringen mußte, da ließ er dem Hahn Essen
reichen, und gebieten, daß er in drei Tagen nicht früh schreien sollte, weil sein Herr
doch nicht arbeiten könne, sondern schlummern wolle. Die Speise nahm der Hahn an,
setzte aber nach wie vor seine Morgenmusik fort. Da erzürnte sich der beunruhigte Wirt,
und befahl ihn abzuschaffen; "denn was rühmt er sich," sprach er, "einiger Verdienste
um mich, da er, was er tut, nicht aus Absicht und Überlegung, sondern aus Gewohnheit tut?"


Die Gesundheit

Die Gesundheit befragte die Ärzte um Mittel zu ihrer Erhaltung, und sie schrieben ihr
wegen Schlaf und Wachen, Speis und Trank, Luft und Wohnung, Bewegung,
Leidenschaften, Tugend und Untugend, so vielerlei vor, daß es mehr Zeremonien als das
mosaische Gesetz erfordert, dies alles zu halten. Einige verordneten ihr Goldpulver zur
Stärkung des Herzens, andere stete Vermeidung aller Unmäßigkeit und Unkeuschheit,
andere beinahe stets Hunger." Und werde ich dann," fragte sie, "wenn ich dies alles halte,
ganz gewiß recht lange leben?" -
"Länger freilich nicht, als das Ziel des Lebens gesetzt worden, doch wenigstens mit
geringerer Unruhe und Krankheiten." – "Wohlan, rief die Gesundheit, ich will nicht mehr
mit Wein und Liebe scherzen; doch alle eure Gebote können kürzer gefaßt werden, wenn
ich im Schweiße meines Angesichts mein Brot esse!" - "Richtig," antworteten die Ärzte,
"dann bedürft ihr unser nicht!"


Versprechen und Halten

Der Verstand erzeugte mit der Redlichkeit zwei Söhne, der eine Versprechen, der andere
Halten genannt. Der Älteste gar ein schöner, aber sehr schwacher Knabe; der andere
etwas stärker von Gliedmaßen, und von jedermann viel werter, als sein Bruder gehalten.
So lange beide auf ihres Vaters Landgut lebten, war jedermann wohl mit ihnen zufrieden,
und konnten sie aus brüderlicher Liebe nicht voneinander lassen.
Doch nachher zog das Versprechen mit einem Marktschreier hinweg, und kam an eines
Fürsten Hof, der gar ein böser Haushalter war. Hier ward es der Redlichkeit selbst zum
Hofmeister gesetzt; und vertröstete jeden, der an ihn verwiesen ward, daß sein Bruder
nächstens kommen, und alles gut machen würde. Da dies nicht geschah, ward bald das
Volk gegen ihn aufgebracht; um desto mehr aber überhäufte sein Herr ihn mit Gnaden,
so daß es ihn nicht mehr aufs Dorf zu seinen Eltern zurückbegehrte; und seitdem ist
Versprechen edelmännisch. Halten hingegen bäurisch geblieben.

Laster mit der Tugend Namen

Als in einer namhaften Stadt starke Krankheiten umhergingen, wandten die Ärzte viel
Mühe an, um das Übel zu steuern, und schoben es bald auf Zeit, bald auf Ort und Luft.
Endlich verschrieb man, andere Ärzte, deren erste Sorge war, die Apotheken zu
durchsuchen, und mit großem Erstaunen fanden sie die Überschriften der meisten
Büchsen ganz betrüglich; fanden, daß auf den Büchsen der Verschwendung
Freigebigkeit auf der des Geizes der Name Sparsamkeit, auf Großmut Raserei, auf der
Wahrheit Wahn, auf der Geschicklichkeit ihr Geschwätz, auf der Heuchelei wahre
Freundschaft, und dergleichen mehr stehe. Jetzt klagten die Ärzte laut diese
Arzneikrämer an; aber die Geizigen waren nicht zur Wegwerfung dieser falschen Mittel zu
bewegen, und noch jetzt machen sie oft das Übel ärger, das sie tilgen sollen.


Gastmahl der Eitelkeit

Die Eitelkeit hielt an ihrem Geburtstage ein prächtiges Gastmahl, und lud dazu den Herrn
von Stolz mit seinem Fräulein Hoffart, den Herrn Klüngelwitz und sein Fräulein Tadelgern,
den Herrn Goldhold und sein Fräulein Geizrechtin. Eine Welttafel ward bald ausgebreitet
von dem Schwindel als Tafeldecke.
Die Unwissenheit war Marschall, und brachte etliche gemeine Trachten der Gewohnheit,
als Fleisches- Gelüsten, Unrechts- Braten, Rindfleisch der Knechtschaft, schweinerne
Füllerei, Kalbfleisch des Unverstandes, Geißfleisch der Unzucht, und welches das Beste,
Lammfleisch der Geduld.
Vom Geflügel den Selbstruhm des Pfauen, das Geschwätz der Gans, Furchtsamkeit des
Kapaunen, Unreinigkeit der Enten.
Von Fischen sah man Krebse des Zweifels, Schmerling der Unordnung, Schildkröten der
Vergessenheit, Austern des Kitzels, unter welchen Gerichten viele im Öle der
Unbeständigkeit, viele in der Butter des falschen Wahnes gekocht waren. Es wurden auch
genossen welsche Weine des Aberglaubens, Maloasier aus Kreta des Betrugs, Rheinwein
der Ruhmredigkeit. Zuletzt wurde aufgetragen der Käse der Halsstarrigkeit, Glücks und
Unglücks Äpfel, leere Nüsse der Hoffnung und das Zuckerwerk der Heuchelei.

Fabeln nach Justus Gottfried Rabner
1634 - 1699

Die Nessel und der Feigenbaum

Auf einem schönen Feigenbaum wuchs einstmals eine Nessel; hatte sich tief in dessen
hohlen Stamme eingewurzelt, und rühmte sich ihres hohen Orts, auch, daß sie mitten in
den allersüßesten Früchten grüne. Doch der Feigenbaum strafte ihren Hochmut mit den
Worten: "Willst du nicht für einen Bastard und für einen Schandfleck deiner Mutter
angesehen werden, so mußt du ihre Süßigkeit nachahmen; so lange du aber Stacheln
statt der Feigen, und Feuer statt der Früchte trägst, wird die Tugend deiner Eltern dich
mehr schelten als loben."

Der Hauswirt und die Ameise

Ein Hauswirt hatte einen schönen Apfelbaum, den er vorzüglich liebte, und der ihm alle
Jahre von den Ameisen angefressen und verdorben wurde. Umsonst versuchte er eine
Menge von Mitteln. Alle halfen entweder gar nicht, oder nur auf eine sehr kurze Zeit.
Endlich riet man ihm, einen Topf Honig mit Wasser in des Baumes Nähe zu setzen.
Er tat es; die Ameisen ließen sich wirklich durch die Süßigkeit der Lockung reizen, liefen
hinein, und ersoffen alle.
Über diese ihre Torheit lachte der Hausherr; aber die letzte sterbende Ameise sprach,
indem sie starb: "Was lachst du über eine Torheit an uns, die ihr Menschen noch weit
stärker besitzt. Läuft ihr nicht alle, von der vergifteten Süßigkeit der Sünde gelockt, und
stürzt euch durch sie in den doppelten Tod?"


Der redliche Mann und das Unglück

Das Unglück hatte, wie gewöhnlich, einen frommen redlichen Mann zum Gegenstand
seines Hasses und seiner Kränkungen sich ausersehen. Aber obwohl er gleich seine
treuesten Diener, Neid, Verleumdung, Verfolgung und Gefahr gegen ihn hetzte, so
begegnete er doch allen diesen teils mit Vorsicht, die ihre Angriffe abschlug, teils mit
Großmut, durch die er Feind und Unfall überwand, und mit langsamen Schritten bis zu
den glänzendsten Ehrenstellen gelangte. Endlich da seine Feindin auf keiner Seite ihm
beikommen konnte, und doch eben dadurch ihr Hass täglich wuchs, da wandte sie sich
an ihre Nachbarin, die Glückseligkeit, und bat sie, ihn mit süßen Worten einzuschläfern.
Dies geschah, und kaum war er eingeschlafen, als es jener leicht fiel, den Redlichen zu
überfallen und hinzurichten.
Eine Warnung, erst dann recht wachsam zu sein, wenn es uns nach Wunsche geht.

Adrast und die Frösche

Adrast wohnte des Sommers auf dem Lande, unweit einer Lache, in welcher eine große
Menge Frösche lebten, und mit ihrem unaufhörlichen Gequake, oft seine Ungeduld zu
Verwünschungen reizten. Endlich, als sie immerfort damit anhielten, schlich er einst aus
Verdruß mit einem langen Stocke bewaffnet, zu dem Pfuhl, und führte auf den einen
Frosch einen gewaltigen Streich in der Meinung, ihn auch unterm Wasser damit zu
erschlagen. Aber dieser verbarg sich beizeiten, und der unleidliche Adrast ward über und
über mit Wasser und mit stinkendem Kote bespritzt.
Was sind die schmähsüchtigen Lästerer anders als Frösche in der Mistlache? Und wer sich
mit Gewalt an ihnen zu rächen sucht, was erhält er sonst zum gewöhnlichen Lohn, als
Besudelung?


Die Kinderzucht

Ein wohlhabender Mann hatte verschiedene Söhne, die er zu den Wissenschaften
auferziehen wollte, und die allerdings mannigfaltige Fähigkeiten dazu besaßen. Aber auch
den ganzen Tag mußten sie über den Büchern sitzen und jeder kindische Mutwille ward
an ihnen aufs ernstlichste bestraft. Ein guter Freund sah dies mit an; es mißfiel ihm,
doch schwieg er, erzählte aber seinem Freunde eines Tages, daß er im verwichenem
Herbst verreisen, und die Bestellung der Weinlese seinem Verwalter anvertrauen mußte.
Da habe dieser die Fässer bis obenhin mit Most gefüllt, und als sie überlaufen wollten,
fest zuspinden lassen, so daß endlich der brausende Most den Boden ausgestoßen habe.

"Und du hast nicht, fragte jener zornig, einen solchen Narren tüchtig ausstauben lassen?"
- "Sachte, sachte!" antwortete jener lächelnd, daß dich Lieber, nicht selbst dies Urteil
treffe. Begehst du an deinen Kindern nicht den gleichen Irrtum? Und ist ein kleiner
Mutwille etwas anderes, als ein Brausen oder Schaum guter Gemüter?"


Die Armut und die Gerechtigkeit


Die Armut, eine hinterlassene Witwe der Aufrichtigkeit, war lange und viel von dem
Reichtume unterdrückt und beleidigt worden, welches sie aber bisher aus mangelnder
Hilfe leiden und verschmerzen mußte. Endlich riet ihr ihre Nachbarin, die Einfalt, sie
sollte zur Gerechtigkeit gehen und diese um Schutz anrufen; denn diese sei eine fromme
und leutselige Fürstin, die Arme, sowohl als Reiche vor sich lasse, und jedermann ohne
Ansehen der Person Recht verschaffe. Dieser Rat gefiel der Armut, und sie verfügte sich
zum Throne der Gerechtigkeit in der Hoffnung, da Rettung zu finden. Aber als sie sah,
daß der Thron von lauterem Gold glänzte, sie selbst in einer Hand eine goldene Waage,
in der anderen ein blankes Schwert, dessen Heft mit lauter Edelsteinen ausgesetzt war,
halte; da erschrak sie von Herzen, und ging traurig davon, sagend: Was soll ich Arme
von dieser hoffen, die sich schon in meiner Feindin Livree gekleidet hat!

Die Fliege und das Johanniswürmchen

Ein Johanniswürmchen, von einem Knaben verfolgt, rettete sich mühsam in eine
Wandritze, wohin auch eine Fliege, um da zu übernachten, gekrochen war. Ihr klagte das
Würmchen sein Unglück, daß es allenthalben ohne die geringste Schuld verfolgt werde.
"Nicht du wirst verfolgt," war deren Antwort, "sondern deine Güter. Willst du sicher sein,
so leuchte nicht!" Ein guter Rat, den aber jenes nicht annahm, und auch daher des
anderen Abends gefangen ward, in ein Gläschen gesetzt, und elendiglich verhungern mußte.

So ward Verfolgung und Kerker das Los von manchem, der gern leuchten wollte im Staate.


Die beraubten Tugenden

Vom Anbeginn der Welt war ein ewiger Streit zwischen den Tugenden und Lastern.
Einst kam es zur förmlichen Schlacht, und die Tugenden hielten sich so. tapfer, daß
ihre Gegnerinnen endlich voll Schmach und Wunden die Flucht ergreifen mußten.
Da aber auch die Sieger sich in diesem Streite mit Staub und Feindesblute sehr besudelt
hatten, fanden sie es für ratsam, ihre Kleider zu waschen, und sich selbst im nächsten
Strome zu baden. Indem sie aber dies letzte taten, und ihre Kleider an der Sonne
trockneten, kamen heimlich die Laster geschlichen, entwendeten diese Gewänder, und
betrügen noch jetzt in der Tugenden Kleider die Menschen, daß nur wenige sie von ihren
Siegerinnen zu unterscheiden vermögen.


Der Brunnen des Ruhms

Einen ehrlichen Deutschen dürstete nach Ruhme. Um seinen Durst zu löschen, ging er zu
einem eigenen Brunnen in seinem Hofe; fand aber dessen Wasser so faul und stinkend,
daß er es selbst nicht nur nicht genießen konnte, sondern auch seine Nachbarn sich über
den Geruch beschwerten, der durch Umrührung dieses Brunnens entstanden sei. Er eilte
daher zu seinen guten Freunden; aber auch deren Brunnen war so trübe und schleimig,
daß er auch daraus zu trinken nicht vermochte. Endlich von Durst gezwungen, ging
er vor seines Feindes Türe, sah sich zwar Anfangs mit vielen Scheltworten empfangen,
gelangte aber nach vielen Verweigerungen, doch zur Erlaubnis schöpfen zu dürfen; und
dies Wasser fand er klar und lieblich, zwar tief und mühsam herauf zu holen, aber
gesund und kühlend.

Eigenlob stinkt; verdächtig ist der Ruhm, den Freunde uns erteilen; aber der vom Feind
errungene, sei er immer schwer, sein Wert ersetzt es reichlich wieder.


Das Veilchen und die Tulpen

Ein Veilchen hatte sich von ungefähr unter einigen Tulpen eingeschlichen, und blühte
lieblich zu ihren Füßen. Doch diese verachteten es, weil ihr nicht allein die Schönheit,
sondern auch der hohe Stengel von ihnen fehle, so daß es jedermann niedertreten
könne. Lange ertrug das Veilchen diesen Spott; endlich gab es ihnen zur Antwort: "Auch
der Diamant ist klein, und doch kostbarer als ein großer Fels. Das Gold wächst in den
tiefsten Orten, und ist doch besser als der Gipfel der Zedern. Mein niedriges Blümchen
ähnelt der Farbe des Himmels, wenn er am schönsten ist. Mein Geruch ist
unvergleichlich, und ein köstlicher Sirup wird aus mir bereitet. Da ihr aber bloß das Auge
reizt, seid ihr unnütz für jeden weiteren Sinn."

Die Bäume

Die Fruchtbäume, stolz auf ihre süßen Erzeugnisse, wollten keine unfruchtbaren neben
sich leiden, belegten sie mit dem schimpflichen Namen Unkraut, und drohten, bei den
Menschen eine Bittschrift einzugeben, daß alle unfruchtbaren Bäume umgehauen, und
fruchtbare an deren Statt gepflanzt werden mochten. Aber jene behaupteten, dem
Menschen noch nützlicher zu sein. Von unserem Holze, sagten sie, bauen sie Häuser und
Schiffe, machen tausenderlei Hausrat, und wärmen sich im Winter. Wahrlich dann
würden sie gern euer Obst, so schön es auch ist, fahren lassen, wenn er dafür unter
freiem Himmel liegen und erfrieren sollte; und euch selbst würde das Los des
"Umhauens" treffen.


Hoffart und Verachtung

Hoffart und Verachtung waren zwei Erzfeinde, die durch keinerlei Mittel ausgesöhnt
werden konnten, sondern wo sie einander erblickten, in blutigen Hader zusammen
gerieten. Da kein menschliches Gericht ihre Streitigkeiten schlichten konnte, so forderte
endlich Jupiter sie vor seinen Thron, und da er aus ihren bitteren Klagen auf
unversöhnlichen Hass schloß, so ließ er den Vulkan rufen, und befahl ihm, diese beiden
Zänker mit diamantenen Ketten zusammen zu schmieden, damit sie durch dies Band
entweder Frieden halten lernten, oder wenigstens des Streites müde würden.
Zwar geschah beides nicht, aber noch hält ihre Kette.

Das Nardenwasser


Ein Apotheker befahl einem seiner Diener, ein köstliches Nardenwasser durch den
Trichter in ein gläsernes Gefäß zu gießen, daß es nicht seinen Geruch verliere. "Warum
sollte ich erst viel Zeit mit dem Trichter verderben, und sie eben dadurch verstreichen
lassen?" dachte dieser, nahm ein Glas mit engem Hals und weitem Bauch, und goß,
statt zu tröpfeln oder zu trichtern, um desto früher fertig zu sein, stromweise dies
Wasser aufs Glas. Aber eben des engen Halses wegen kamen nur wenige Tropfen hinein,
und alles übrige ward auf die Erde verschüttet.

Knaben sind Gläser mit engen Hälsen. Nicht Faulheit allein, auch übereilter Fleiß kann sie
verderben. Alle Wissenschaften auf einmal ihnen einzuflößen wollen heißt, fast alles
daneben schütten.

Der Apfelbaum und der Schwamm

Ein Apfelbaum trug lange Jahre gute und schöne Früchte. Obgleich hohen Alters wegen
seine Kräfte abnahmen, der Gipfel verdorrte, die Äste mit Moos bewuchsen, und alles
zum Untergange sich neigte, und doch sproßten mit jedem Jahre neue Schößlinge
hervor. Endlich aber entstand im Gipfel ein Schwamm, der durch tägliches Wachstum den
untersten Ästen allen Saft entzog, da entfiel dem Baum alle Hoffnung zur Genesung, und
er starb bald darauf bis an die Wurzeln.

Kein sichereres Zeichen vom Sterben eines Staates, als wenn unwürdige, geldgierige
Männer bei ihm die höchste Gewalt erlangen, und giftigen Schwämmen gleich, die Säfte
der anderen Glieder an sich ziehen.


Die Elster und die Tauben

Als die Elster einst den schönen sittsamen Gang der Tauben sah, trug sie Verlangen nach
ihm, bat die Tauben, sie zu unterrichten, und erbot sich zum Gegendienst, sie zu warnen,
wenn Katze und Marder ihnen nachstellten. Die Tauben waren es zufrieden, und gaben
sich alle mögliche Mühe. Doch kaum war sie einige Tage zu ihnen in die Schule
gegangen; kaum hatte sie nur ein wenig die Tritte setzen gelernt, als sie schon alles
erlernt zu haben glaubte, davon flog, und ihren Lehrmeistern mit Undank lohnte. Daher
jener lächerliche Gang der Elster, die nach zwei, drei ordentlichen Schritten wieder zu
hüpfen anfängt.
Und so geht es allen Schülern, die aus törichter Einbildung von Vollkommenheit zur
Unzeit ihre Meister verlassen.

Das Kalb und das Kind

Ein Zugochse sah ein Kalb nach eigenem Belieben im Stall und Hof herum springen, indes
des Hauswirtes Kind in Windeln eingewickelt weinte. Er pries daher die Glückseligkeit
seines Stammes, und schloß auf die Liebe des Herrn zum Kalbe, und auf dessen Hass
gegen sein eigenes Kind. "O du Tor, "rief ein Ross ihm zu, "auf dein Kalb warten, so wie
es erwachsen, Joch und Peitschen; auf den Knaben hingegen Freiheit und Herrschaft."

Allzu sorglose Zucht macht ein schwächliches und unglückliches Alter.


Die Schule der Armut

Die Armut hatte schon seit vielen Jahren um Beförderung angehalten, doch ward sie aller
Orten vergessen, weil es ihr an Geschenken gebrach. Um endlich sich des Hungers zu
erwehren, errichtete sie eine Schule, und unterwies ihre Schüler mit größtem Fleiße
in Gebet, Arbeit, Gehorsam, Demut, und vielen nützlichen Künsten. Bald darauf ward in
der nämlichen Stadt, eine starke Räuber- Betrüger- und Bettlerrotte eingezogen, und
alle diese bekannten im Verhör, daß sie ihre Untaten von ihrer Lehrerin, der Armut,
erlernt hätten. Man hielt ihr daher diese Aussage vor, in der gewissen Meinung, daß sie
solche leugnen würde. Aber zu aller Verwunderung gestand sie, daß sie allerdings
dergleichen Sache denen lehre, welchen sie ihrer Faulheit wegen nichts besseres
beibringen könne. Ihre Lehre, sagte sie, sei zwar ein Wetzstein, der aber nur Stahl
schleife, hölzerne Messer und bleierne Dolche hingegen nicht zu schärfen vermöge.


Der Wiedehopf und die Vögel

Als der Adler einst einen Reichstag der Vögel ausschrieb, erschien unter anderen auch
der Wiedehopf, der durch seine natürliche Fontange,* bunten Federn, und daher
eingebildete Schönheit den Vorzug allen anderen streitig machen wollte. Wirklich
verwunderten sich diese von ferne über die Schönheit seines Gefieders, aber als er nahe
kam, wollte ihn seines unleidlichen Gestankes willen niemand neben sich leiden, und er
ward allein gelassen.

Das Bild eines schönen aber unzüchtigen Frauenzimmers, die man zwar von ferne lobt,
die aber kein Verständiger zur Ehegefährtin begehrt, weil ihr böser Leumund allenthalben
ausbricht.

*
Der Name bezieht sich auf die Herzogin von Fontanges, eine Maitresse von Ludwig XIV.
Die Fontange ist eine hohe, über einem Gestell aus Draht aufgebaute Haube, die etwa
von 1685 bis 1715 von Frauen in Europa getragen wurde.


Der zu früh ausgeflogene Sperling

In einem verlassenen Schwalbenneste brüteten Sperlinge ihre Jungen. Einer dieser
Letzteren, wiewohl ihm die Federn noch nicht hinlänglich gewachsen waren, konnte die
Zeit des Ausfluges kaum erwarten. Vergebens warnten ihn die Alten; in ihrer
Abwesenheit wagte er sich doch aus dem Neste.
Die Folge war, wie ihm verkündet worden. Seine zarten Schwingen trugen ihn einige
Spannen weit, dann fiel er zu Boden. Ein paar Knaben fanden ihn, banden einen Faden
an seinen Fuß, und schleppten ihn spottend hin und her.
Einige Tage später wuchsen seine Fittiche. Jetzt hätten sie ihn sicher getragen, aber der
böse Faden verbot es. Endlich gelang es ihm doch, sich los zu reißen; allein ein Teil
seines Fußes ging verloren; er blieb gebrechlich, nur das Mitleid einiger Brüder ernährte
ihn kärglich in einem niederen Strauche. Nie konnte er die Übrigen fliegen sehen, ohne
zu seufzen: o hätte ich gewartet wie ihr, bis es Zeit war!

* * * *

Wünsche dir nicht allzu früh dein eigener Herr zu werden! Wirst du es, bevor deines
Geistes Kräfte gereift sind; so könntest du es leicht mißbrauchen, und dann eben
dadurch unmündig für dein ganzes Leben bleiben.

* * * *

Wie freute sich der Jüngling Telmar, als früh seine etwas strengen Eltern starben, und er
im achtzehnten Jahr schon Herr eines fast fürstlichen Vermögens ward! Einige wenige
Jahre hindurch schwelgte und praßte er auf alle nur mögliche Art. Dann ward er ein
Bettler bis in sein hohes Alter; war ein Spott der Kinder, und sich selbst zur Last.


Der Lappländer und der Sämann

Die Lappen, wie bekannt, bauen der Kälte wegen weder Feld noch Gartenfrucht.
Getrocknete Fische und Brot aus Wurzeln sind ihre vornehmsten Nahrungsmittel. Einer
aus diesem Volke kam einst in ein milderes Land, sah einen Bauer mit großer Mühe sein
Getreide ausdreschen, worfeln und säubern, wunderte sich darüber, und schwieg.
Aber als er eben denselben bald nachher das nämliche Getreide händevoll wieder in die Erde
werfen sah, da brach er in ein lautes Gelächter aus, meinend, der Mann sei unsinnig, daß er
 seine Mühe und seine Kosten so vergeblich in die Erde streue. Erst nach langen Beweisen
 glaubte er, daß künftig eine Zeit kommen könnte, wo reichliche Früchte ihn belohnten.

Diesem unerfahrenen Fremdling sind die Geizigen gleich, die es für große Torheit achten,
seine Güter den Armen mitzuteilen, und sich auch nicht jener zukünftigen Ernte erinnern.

Der schmeichelhafte Hund

Ein Hund, der mit seinem Herrn in ferne Lande reiste, verlor diesen Der Hunger drängte
ihn; er suchte einen neuen Versorger, und beschloß, um ihn desto leichter zu finden, mit
jedem, der ihm begegne, freundlich zu tun, und mit dem Schwanze ihm zu schmeicheln.
Zuerst nahm ihn ein Bauer mit, aber kaum sah er, wie bekannt sein Fremdling gegen alle
Nachbarn tue, als er ihn mit Prügeln fortjagte. Er folgte nun einem Bürger, aber auch
dieser litt seiner unzeitlichen Freundlichkeit halber ihn nur wenige Tage. Endlich kam er
nach Hofe. Der Überfluß guter Speisen allda beliebte ihm gar zu sehr; zwar mußte er
sich Anfangs gräulich mit den großen schon im Besitz seienden Hofhunden
herumbeißen, aber doch ward er endlich gelitten.
Und wo hätte er auch anders sollen gelitten werden, als bei dieser Vaterherde des Müßiggangs
 und der Schmeichelei, wo aber freilich die, die dort hausen wollen, erst viel leiden müssen.


Die Flüsse und das Meer

Die Flüsse beschwerten sich einst untereinander, daß sie nun schon seit vielen hundert
Jahren ihr Wasser in das unersättliche Meer ergossen hätten, ohne daß es davon voller
werde, wohl aber oft mit großem Ungestüm ihren Ausfall zurückhalte; und beschlossen
einstimmig, künftig ihr Wasser für sich zu behalten. Wirklich richteten sie ihren Vorsatz
auch ins Werk; aber gar bald sahen sie, wie töricht sie gehandelt; denn die
unbeweglichen Gewässer wurden nicht nur stinkend, sondern da das Meer auch ihre
Quellen nun zurück behielt, vertrockneten sie ganz.

Tätigkeit erhält, Stillstand tötet. Von dem Urquell der Welt empfingen wir unsere Kräfte;
sie zum Nutzen der Welt verwenden, heißt sich selber nützen.


Der ungeduldige Schullehrer

Ein sonst nicht ungeschickter Mann nahm ein Schulamt an; da es ihm aber an der
nötigen Sanftmut fehlte, behandelte er seine Schüler, bei dem kleinsten Versehen, oft
sehr hart, und entschuldigte seinen Zorn dann mit der Knaben Bosheit, die einer scharfen
Zucht bedürfe. Um ihn hierin auf einen anderen Weg zu bringen, erzählte ihm einst sein
Freund: >ein berühmter Lautenist habe einst seine Kunst vor einer großen Gesellschaft
sollen hören lassen. Er habe das Instrument daher wirklich in die Hand genommen, und
zu stimmen angefangen; da aber sich dies etwas zu lange hinzog, und die gegenwärtigen
Bekannten deshalb mit ihm gescherzt hätten, habe er im Grimm die Laute hingeworfen,
daß alle Saiten abgesprungen, und doch auf sie, die Saiten, die Schuld geschoben, als
ob keine Harmonie sich in sie bringen lasse.< "Der Kerl ist nicht klug gewesen" rief der
Schulherr aus; aber er ward nicht wenig beschämt, als sein Freund die Anwendung auf
ihn selber machte.


Die Sabbatsentweihung

"Ein Vornehmer von Adel," - so erzählte einst ein Hofprediger seinem Fürsten, der oft den
Sonntag zu Lustbarkeiten bestimmte, - "ein Vornehmer von Adel hatte 7 schöne Stuben
in seinem Schlosse. Sechs davon räumte er seinem Sohne ein, und behielt nur die
Hinterste für sich, um da in Ruhe Gott dienen zu können; und doch, so oft der Sohn
fremde Gäste bekam, lädt er sie in dieses siebente Zimmer, und machte durch solches
dem Vater so viel Verdruß, daß er endlich in die Gesindestube sich flüchten mußte.
Was halten wohl Ew. Durchlaucht von einem solchen Sohne?" -
"Daß der Vater den undankbaren Burschen aus dem Hause stoßen sollte, und daß ich
ihn, wenn ich ihn kennte, in meinen Lande nicht leiden würde." -
"Wenn aber Gott selbst dies Urteil auch fällen wollte, wo würden Ew. Durchlaucht bleiben?
Hat er uns nicht 6 Tage zu unserer Bequemlichkeit eingeräumt, und nur einem zu seinem
Dienste ausgezogen? Warum nimmt man ihm das Seinige, und läßt ihm kaum zwei Stunden?"
Wahrlich eine dreiste Erwiderung. Aber der Fürst fühlte sich beschämt und gefangen;
hielt auch von nun an den Sonntag in Ehren.


Ursachen des Unsegens

Ein reicher Mann klagte seinem frommen Seelsorger einst, daß seine Nahrung täglich
abnehme, und er, wohin er auch blicke, nichts als Verlust und Schaden spüre. Der
Prediger, da man seinen Rat begehrte, war willfährig dazu, verlangte aber, daß der
Fragende erst seine Barschaft ihm zeige. Nicht ganz willig, doch schamhalber tat der
Reiche dies; führte ihn in seine Schlafkammer und schloß einen großen Kasten angefüllt
mit Geld ihm auf. Kaum war dies geschehen, als beide mit Erstaunen sahen, daß viele
Dreier und Groschen weit ihren Mund auftaten, und ganze Taler verschluckten, ohne
davon mehr zuzunehmen, als Pharaos magere Kühe bei Verschlingung der Fetten.
"Dies sind, sprach der Prediger, die unrecht erworbenen Pfennige; sondere sie von den
rechtmäßigen, und gib, mit Zachäus, dem wieder den du betrogen, so wird dein
Reichtum sich täglich mehren" Ein Rat, der befolgt ward, und eintraf.

Bald darauf erzählte dies der Reiche einem seiner Freunde, der zwar frei von unrecht
erworbenem Gute war, doch aber klagte, daß weder ihm noch seinen Kindern die
reichlichst angerichteten Mahlzeiten gedeihen wollten. Auch dieser Klagende wandte sich
an den frommen Priester, der sich, um die Ursache zu erforschen, auf den anderen Tag
sich dort selbst zu Gaste lud. Der Tisch ward ganz mit Speisen beladen; aber man setzte
sich ohne Gebet nieder, und stand ohne Danksagung auf. Die ganze Mahlzeit über sah
der Geistliche oft starr in einen Winkel, und fragte endlich, wie viel ihrer denn hier bei
Tische säßen. Der Wirt zählte, und antwortete: Sieben. "Wer ist denn aber," erwiderte er,
"jener achte dort im Winkel, der so unersättlich frißt, daß er auch den Kindern das
ihrige vom Teller nimmt? Sicher ist es kein anderer als der Fluch Gottes, dessen
unergründlichen Rachen niemand füllen kann." Befahl darauf, die Güter Gottes mit Dank
zu empfangen, und half auch diesem Hause durch seinen Ratschlag auf.



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