Fabeln nach
Georg Philipp Harsdörffer
1.11.1607-17.09.1658
Das Buch und das Büchlein
Das Buch begegnete dem Büchlein, und fragte solches verächtlich:
"Wo geht deine
Wenigkeit hin?" — "Und wohin deine Vielheit?"— "Wer hat dich,"
fragte jenes, "an die
Wissenschaften mit angebunden?" — "Und wer dich von fremder
Wissenschaft aufgelöst?
Denn nie könntest du so dick sein, wenn du nicht der Hehler
manches fremden
Diebstahls wärest." — "So hältst du also das, was du in deinem
Busen trägst, für das
einzige Neue unter der Sonne? Was ist gesagt worden, das andere
zuvor nicht auch
gesagt hätten?" — "Und warum sollte nicht die alte Welt klüger
mit den zunehmenden
Jahren werden? Wer hat es den Verstorbenen gelehrt? Und wenn sie
erfanden, warum
wir nicht auch?"
So stritten sie noch lange fort, bis Mnemosyne*
den Ausspruch tat: das große Buch solle
dem Reichen, das kleine den armen Studierenden zukommen; da
jener daraus viel lernen
kann; dieser zuweilen erfinden.
*Mnemosyne:
griech. Göttin des Gedächtnisses und Mutter der neun Musen
Die Befleckung
Im Garten der Wollust gingen einige vornehme Leute spazieren,
vorzüglich um die
vielfältigen Wasserwerke zu betrachten; und der Gärtner wußte
sie so listig unter die
Vexiergewässer* zu bringen,
daß nicht einer von ihnen anders als durchnäßt davon
kam. Als sie nun zum Feuer eilten, und sich leicht zu trocknen
vermeinten, fanden sie
dies ganz anders. Einige, zwar von dem Wasser der Eitelkeit,
Faulheit, des Wahns und
Geschwätzes bespritzt, wurden bald, doch mit Verlust ihrer
Kleider, wieder rein.
Langsamer wurden es diejenigen, die von den Röhren des Geizes,
Neides, der Ehrsucht
und Trunkenheit benetzt worden waren, und ihre Kleider verloren
alle ihren Glanz.
Aber wer mit Unzucht und Blutfluten befleckt worden war, der
vermochte nicht sich
wieder rein zu machen; seine Kleider schrumpften zusammen, und
selbst an Haut und
Leibe blieben Male zurück.
"Dies wundert mich nicht, sprach einer, denn dies sind die tief
verletzten; nur das
wundert mich, daß ich im Garten der Wollust, mitten unter den
Gewässern, einen
schönen Regenbogen von den Sonnenstrahlen gebildet sähe, den man
das Bild der
göttlichen Barmherzigkeit nannte."
*vexieren:
etwas versteckt anbringen
Der Palast des Betrugs
Der Betrug sah, daß die Weisheit ihren Palast auf sieben
Säulen* gegründet habe, wollte
dies nachahmen, und baute ein prächtig scheinendes Werk,
gleichfalls auf sieben Säulen,
nämlich auf zweideutige Worte: öffentliche Lügen, falsche
Versprechungen, falsche
Waren, trügliche Gebärden, falsche Siegel und Meineide. Ihre
Grundlage war Sand, ihre
Bleiwaage hieß menschliche Vermessenheit. Zwar verstanden die
Bauleute und ihre
Gehilfen oft sich selbst nicht, weil ihre Worte und Gebärden
anders schienen und wirklich
anders waren; doch kam endlich ein hohes Gebäude zustande.
Da ging die Wahrheit vorbei und sprach: "Der Herr lacht ihrer,
und der Herr spottet ihrer;
er wird mit ihr reden in seinem Zorn." Kaum hatte sie dieses
gesagt, als ein Sturm vom
Niedergang kam, der lockere Boden entrollte, und der ganze
Palast in Trümmer
zusammenstürzte.
*nach
Meißner beziehen sich diese "sieben Säulen" auf die Sprüche
Salomos 9/1
Los der Tyrannei
Die Tyrannei legte dem Gehorsam ein eisernes Joch auf, und
geißelte ihn noch überdies
hart mit den Skorpionspeitschen Rehabeams. Lange ertrug dies der
Gehorsam mit großer
Geduld. Der Skorpion der Steuern machte ihn arm, der Skorpion
der Frondienste machte
ihn matt, aber der Skorpion der Verachtung fraß so das Herz ihm
ab, daß er den Tod
mehr als das Leben wünschte. Doch als dem ungeachtet die
Tyrannei ohne Reue und
Scheu fortfuhr, da verwandelte der Gehorsam sich plötzlich in
Ungehorsam, Hass,
der bisher nur verlarvt des Nachts umher geschlichen war,
Freiheit, die aus dem Elend
zurück kam, verbanden sich mit ihm; und indes die Tyrannei bei
der Sicherheit
schmauste, überfielen sie die Verschworenen, ermordeten ihre
Diener, den Geldgeiz und
den Hochmut, verbrannten die Skorpionspeitschen und verjagten
die Tyrannei.
Eine Geschichte, die in dem Zimmer jedes Despoten mit goldenen
Buchstaben eingeätzt
werden sollte!
Edelsteine
Ein Juwelier, Stolz genannt, hatte seinen ganzen Kram um sich
gehängt, und die Eitlen
bezahlten ihm für kleine Steine große Summen.
Dies sah ein Müller, und da er hörte, daß man in diesen Steinen
den inneren Wert so
hoch bezahle, eilte er nach Hause, ließ einen alten Mühlstein
auf diesen Markt wälzen,
und bot ihn für tausend Gulden an. Man lachte laut über ihn;
umsonst versicherte er,
daß dieser Stein schon mehr als tausend Menschen ernähren
helfen, und daher mehr als
jene Juwelen wert sein müsse; man erwiderte, daß ihm der Glanz
mangle, den die
edlen Steine von sich strahlen. "Wenn ihr den Glanz nur
schätzt," rief der Müller, "so hab
ich faules Stroh in meinem Keller, das heller als eure teuren
Steine glänzt. Doch ich sehe
es schon, daß ihr Toren nur schätzt, was euch nichts nützt, und
verwerft, was euch
dienen kann. Lebt wohl; meine Edelsteine sollen Gesundheit,
Stärke, Gedächtnis,
Ehrbarkeit und fleißige Arbeit sein."
Die Ehre
An der Blumengöttin Hofe hielten die Tulpen sich prächtiger und
stattlicher in ihren
geflammten und gestickten Gewändern, als alle die übrigen;
erhoben sich auch mit
hochklingenden Titeln.
Die anderen alten Hofdiener sahen dies mit neidischen Augen an,
und beklagten sich bei
der Göttin, daß ihre ehemaligen Dienste, ihre Geruchs- und
Arzneivollen Kräfte minder
geschätzt würden, als diese bunten nichtsnutzigen Blendlinge;
baten auch daher, daß
sie wieder eingesetzt, und jene abgeschafft würden. Flora
bedachte sich eine Weile;
dann aber sagte sie: "Gebt euch zufrieden, es ist besser,
ehrwürdig ohne Ehrenstellen
sein, als unwürdig große Ehrentitel zum Ruhm bei Unverständigen,
zum Gelächter bei
Vernünftigen erhalten."
Der Haushahn
Ein Haushahn rühmte sich gegen seinen Herrn einer großen
Gemeinschaft mit der Sonne,
weil er deren Wirkung unter allem Gefieder zuerst verspüre;
pries auch die Dienste, die
er ihm durch seine fleißige Wacht, und durch sein fast
wundersames Geschrei erzeige,
mit welchem er die Diebe zu verscheuchen, den Hausherrn zu
wecken und zur Arbeit zu
rufen suche. Man gestand ihm dies letztere zu, doch da bald
darauf der Hausherr krank
wurde, und einige Nächte schlaflos zubringen mußte, da ließ er
dem Hahn Essen
reichen, und gebieten, daß er in drei Tagen nicht früh schreien
sollte, weil sein Herr
doch nicht arbeiten könne, sondern schlummern wolle. Die Speise
nahm der Hahn an,
setzte aber nach wie vor seine Morgenmusik fort. Da erzürnte
sich der beunruhigte Wirt,
und befahl ihn abzuschaffen; "denn was rühmt er sich," sprach
er, "einiger Verdienste
um mich, da er, was er tut, nicht aus Absicht und Überlegung,
sondern aus Gewohnheit tut?"
Die Gesundheit
Die Gesundheit befragte die Ärzte um Mittel zu ihrer Erhaltung,
und sie schrieben ihr
wegen Schlaf und Wachen, Speis und Trank, Luft und Wohnung,
Bewegung,
Leidenschaften, Tugend und Untugend, so vielerlei vor, daß es
mehr Zeremonien als das
mosaische Gesetz erfordert, dies alles zu halten. Einige
verordneten ihr Goldpulver zur
Stärkung des Herzens, andere stete Vermeidung aller Unmäßigkeit
und Unkeuschheit,
andere beinahe stets Hunger." Und werde ich dann," fragte sie,
"wenn ich dies alles halte,
ganz gewiß recht lange leben?" -
"Länger freilich nicht, als das Ziel des Lebens gesetzt worden,
doch wenigstens mit
geringerer Unruhe und Krankheiten." – "Wohlan, rief die
Gesundheit, ich will nicht mehr
mit Wein und Liebe scherzen; doch alle eure Gebote können kürzer
gefaßt werden, wenn
ich im Schweiße meines Angesichts mein Brot esse!" - "Richtig,"
antworteten die Ärzte,
"dann bedürft ihr unser nicht!"
Versprechen und Halten
Der Verstand erzeugte mit der Redlichkeit zwei Söhne, der eine
Versprechen, der andere
Halten genannt. Der Älteste gar ein schöner, aber sehr schwacher
Knabe; der andere
etwas stärker von Gliedmaßen, und von jedermann viel werter, als
sein Bruder gehalten.
So lange beide auf ihres Vaters Landgut lebten, war jedermann
wohl mit ihnen zufrieden,
und konnten sie aus brüderlicher Liebe nicht voneinander lassen.
Doch nachher zog das Versprechen mit einem Marktschreier hinweg,
und kam an eines
Fürsten Hof, der gar ein böser Haushalter war. Hier ward es der
Redlichkeit selbst zum
Hofmeister gesetzt; und vertröstete jeden, der an ihn verwiesen
ward, daß sein Bruder
nächstens kommen, und alles gut machen würde. Da dies nicht
geschah, ward bald das
Volk gegen ihn aufgebracht; um desto mehr aber überhäufte sein
Herr ihn mit Gnaden,
so daß es ihn nicht mehr aufs Dorf zu seinen Eltern
zurückbegehrte; und seitdem ist
Versprechen edelmännisch. Halten hingegen bäurisch geblieben.
Laster mit der Tugend Namen
Als in einer namhaften Stadt starke Krankheiten umhergingen,
wandten die Ärzte viel
Mühe an, um das Übel zu steuern, und schoben es bald auf Zeit,
bald auf Ort und Luft.
Endlich verschrieb man, andere Ärzte, deren erste Sorge war, die
Apotheken zu
durchsuchen, und mit großem Erstaunen fanden sie die
Überschriften der meisten
Büchsen ganz betrüglich; fanden, daß auf den Büchsen der
Verschwendung
Freigebigkeit auf der des Geizes der Name Sparsamkeit, auf
Großmut Raserei, auf der
Wahrheit Wahn, auf der Geschicklichkeit ihr Geschwätz, auf der
Heuchelei wahre
Freundschaft, und dergleichen mehr stehe. Jetzt klagten die
Ärzte laut diese
Arzneikrämer an; aber die Geizigen waren nicht zur Wegwerfung
dieser falschen Mittel zu
bewegen, und noch jetzt machen sie oft das Übel ärger, das sie
tilgen sollen.
Gastmahl der Eitelkeit
Die Eitelkeit hielt an ihrem Geburtstage ein prächtiges
Gastmahl, und lud dazu den Herrn
von Stolz mit seinem Fräulein Hoffart, den Herrn Klüngelwitz und
sein Fräulein Tadelgern,
den Herrn Goldhold und sein Fräulein Geizrechtin. Eine Welttafel
ward bald ausgebreitet
von dem Schwindel als Tafeldecke.
Die Unwissenheit war Marschall, und brachte etliche gemeine
Trachten der Gewohnheit,
als Fleisches- Gelüsten, Unrechts- Braten, Rindfleisch der
Knechtschaft, schweinerne
Füllerei, Kalbfleisch des Unverstandes, Geißfleisch der Unzucht,
und welches das Beste,
Lammfleisch der Geduld.
Vom Geflügel den Selbstruhm des Pfauen, das Geschwätz der Gans,
Furchtsamkeit des
Kapaunen, Unreinigkeit der Enten.
Von Fischen sah man Krebse des Zweifels, Schmerling der
Unordnung, Schildkröten der
Vergessenheit, Austern des Kitzels, unter welchen Gerichten
viele im Öle der
Unbeständigkeit, viele in der Butter des falschen Wahnes gekocht
waren. Es wurden auch
genossen welsche Weine des Aberglaubens, Maloasier aus Kreta des
Betrugs, Rheinwein
der Ruhmredigkeit. Zuletzt wurde aufgetragen der Käse der
Halsstarrigkeit, Glücks und
Unglücks Äpfel, leere Nüsse der Hoffnung und das Zuckerwerk der
Heuchelei.
Fabeln nach Justus
Gottfried Rabner
1634 - 1699
Die Nessel und der Feigenbaum
Auf einem schönen Feigenbaum wuchs einstmals eine Nessel; hatte
sich tief in dessen
hohlen Stamme eingewurzelt, und rühmte sich ihres hohen Orts,
auch, daß sie mitten in
den allersüßesten Früchten grüne. Doch der Feigenbaum strafte
ihren Hochmut mit den
Worten: "Willst du nicht für einen Bastard und für einen
Schandfleck deiner Mutter
angesehen werden, so mußt du ihre Süßigkeit nachahmen; so lange
du aber Stacheln
statt der Feigen, und Feuer statt der Früchte trägst, wird die
Tugend deiner Eltern dich
mehr schelten als loben."
Der Hauswirt und die Ameise
Ein Hauswirt hatte einen schönen Apfelbaum, den er vorzüglich
liebte, und der ihm alle
Jahre von den Ameisen angefressen und verdorben wurde. Umsonst
versuchte er eine
Menge von Mitteln. Alle halfen entweder gar nicht, oder nur auf
eine sehr kurze Zeit.
Endlich riet man ihm, einen Topf Honig mit Wasser in des Baumes
Nähe zu setzen.
Er tat es; die Ameisen ließen sich wirklich durch die Süßigkeit
der Lockung reizen, liefen
hinein, und ersoffen alle.
Über diese ihre Torheit lachte der Hausherr; aber die letzte
sterbende Ameise sprach,
indem sie starb: "Was lachst du über eine Torheit an uns, die
ihr Menschen noch weit
stärker besitzt. Läuft ihr nicht alle, von der vergifteten
Süßigkeit der Sünde gelockt, und
stürzt euch durch sie in den doppelten Tod?"
Der redliche Mann und das Unglück
Das Unglück hatte, wie gewöhnlich, einen frommen redlichen Mann
zum Gegenstand
seines Hasses und seiner Kränkungen sich ausersehen. Aber obwohl
er gleich seine
treuesten Diener, Neid, Verleumdung, Verfolgung und Gefahr gegen
ihn hetzte, so
begegnete er doch allen diesen teils mit Vorsicht, die ihre
Angriffe abschlug, teils mit
Großmut, durch die er Feind und Unfall überwand, und mit
langsamen Schritten bis zu
den glänzendsten Ehrenstellen gelangte. Endlich da seine Feindin
auf keiner Seite ihm
beikommen konnte, und doch eben dadurch ihr Hass täglich wuchs,
da wandte sie sich
an ihre Nachbarin, die Glückseligkeit, und bat sie, ihn mit
süßen Worten einzuschläfern.
Dies geschah, und kaum war er eingeschlafen, als es jener leicht
fiel, den Redlichen zu
überfallen und hinzurichten.
Eine Warnung, erst dann recht wachsam zu sein, wenn es uns nach
Wunsche geht.
Adrast und die Frösche
Adrast wohnte des Sommers auf dem Lande, unweit einer Lache, in
welcher eine große
Menge Frösche lebten, und mit ihrem unaufhörlichen Gequake, oft
seine Ungeduld zu
Verwünschungen reizten. Endlich, als sie immerfort damit
anhielten, schlich er einst aus
Verdruß mit einem langen Stocke bewaffnet, zu dem Pfuhl, und
führte auf den einen
Frosch einen gewaltigen Streich in der Meinung, ihn auch unterm
Wasser damit zu
erschlagen. Aber dieser verbarg sich beizeiten, und der
unleidliche Adrast ward über und
über mit Wasser und mit stinkendem Kote bespritzt.
Was sind die schmähsüchtigen Lästerer anders als Frösche in der
Mistlache? Und wer sich
mit Gewalt an ihnen zu rächen sucht, was erhält er sonst zum
gewöhnlichen Lohn, als
Besudelung?
Die Kinderzucht
Ein wohlhabender Mann hatte verschiedene Söhne, die er zu den
Wissenschaften
auferziehen wollte, und die allerdings mannigfaltige Fähigkeiten
dazu besaßen. Aber auch
den ganzen Tag mußten sie über den Büchern sitzen und jeder
kindische Mutwille ward
an ihnen aufs ernstlichste bestraft. Ein guter Freund sah dies
mit an; es mißfiel ihm,
doch schwieg er, erzählte aber seinem Freunde eines Tages, daß
er im verwichenem
Herbst verreisen, und die Bestellung der Weinlese seinem
Verwalter anvertrauen mußte.
Da habe dieser die Fässer bis obenhin mit Most gefüllt, und als
sie überlaufen wollten,
fest zuspinden lassen, so daß endlich der brausende Most den
Boden ausgestoßen habe.
"Und du hast nicht, fragte jener zornig, einen solchen Narren
tüchtig ausstauben lassen?"
- "Sachte, sachte!" antwortete jener lächelnd, daß dich Lieber,
nicht selbst dies Urteil
treffe. Begehst du an deinen Kindern nicht den gleichen Irrtum?
Und ist ein kleiner
Mutwille etwas anderes, als ein Brausen oder Schaum guter
Gemüter?"
Die Armut und die Gerechtigkeit
Die
Armut, eine hinterlassene Witwe der Aufrichtigkeit, war lange
und viel von dem
Reichtume unterdrückt und beleidigt worden, welches sie aber
bisher aus mangelnder
Hilfe leiden und verschmerzen mußte. Endlich riet ihr ihre
Nachbarin, die Einfalt, sie
sollte zur Gerechtigkeit gehen und diese um Schutz anrufen; denn
diese sei eine fromme
und leutselige Fürstin, die Arme, sowohl als Reiche vor sich
lasse, und jedermann ohne
Ansehen der Person Recht verschaffe. Dieser Rat gefiel der
Armut, und sie verfügte sich
zum Throne der Gerechtigkeit in der Hoffnung, da Rettung zu
finden. Aber als sie sah,
daß der Thron von lauterem Gold glänzte, sie selbst in einer
Hand eine goldene Waage,
in der anderen ein blankes Schwert, dessen Heft mit lauter
Edelsteinen ausgesetzt war,
halte; da erschrak sie von Herzen, und ging traurig davon,
sagend: Was soll ich Arme
von dieser hoffen, die sich schon in meiner Feindin Livree
gekleidet hat!
Die Fliege und das Johanniswürmchen
Ein Johanniswürmchen, von einem Knaben verfolgt, rettete sich
mühsam in eine
Wandritze, wohin auch eine Fliege, um da zu übernachten,
gekrochen war. Ihr klagte das
Würmchen sein Unglück, daß es allenthalben ohne die geringste
Schuld verfolgt werde.
"Nicht du wirst verfolgt," war deren Antwort, "sondern deine
Güter. Willst du sicher sein,
so leuchte nicht!" Ein guter Rat, den aber jenes nicht annahm,
und auch daher des
anderen Abends gefangen ward, in ein Gläschen gesetzt, und
elendiglich verhungern mußte.
So ward Verfolgung und Kerker das Los von manchem, der gern
leuchten wollte im Staate.
Die beraubten Tugenden
Vom Anbeginn der Welt war ein ewiger Streit zwischen den
Tugenden und Lastern.
Einst kam es zur förmlichen Schlacht, und die Tugenden hielten
sich so. tapfer, daß
ihre Gegnerinnen endlich voll Schmach und Wunden die Flucht
ergreifen mußten.
Da aber auch die Sieger sich in diesem Streite mit Staub und
Feindesblute sehr besudelt
hatten, fanden sie es für ratsam, ihre Kleider zu waschen, und
sich selbst im nächsten
Strome zu baden. Indem sie aber dies letzte taten, und ihre
Kleider an der Sonne
trockneten, kamen heimlich die Laster geschlichen, entwendeten
diese Gewänder, und
betrügen noch jetzt in der Tugenden Kleider die Menschen, daß
nur wenige sie von ihren
Siegerinnen zu unterscheiden vermögen.
Der Brunnen des Ruhms
Einen ehrlichen Deutschen dürstete nach Ruhme. Um seinen Durst
zu löschen, ging er zu
einem eigenen Brunnen in seinem Hofe; fand aber dessen Wasser so
faul und stinkend,
daß er es selbst nicht nur nicht genießen konnte, sondern auch
seine Nachbarn sich über
den Geruch beschwerten, der durch Umrührung dieses Brunnens
entstanden sei. Er eilte
daher zu seinen guten Freunden; aber auch deren Brunnen war so
trübe und schleimig,
daß er auch daraus zu trinken nicht vermochte. Endlich von Durst
gezwungen, ging
er vor seines Feindes Türe, sah sich zwar Anfangs mit vielen
Scheltworten empfangen,
gelangte aber nach vielen Verweigerungen, doch zur Erlaubnis
schöpfen zu dürfen; und
dies Wasser fand er klar und lieblich, zwar tief und mühsam
herauf zu holen, aber
gesund und kühlend.
Eigenlob stinkt; verdächtig ist der Ruhm, den Freunde uns
erteilen; aber der vom Feind
errungene, sei er immer schwer, sein Wert ersetzt es reichlich
wieder.
Das Veilchen und die Tulpen
Ein Veilchen hatte sich von ungefähr unter einigen Tulpen
eingeschlichen, und blühte
lieblich zu ihren Füßen. Doch diese verachteten es, weil ihr
nicht allein die Schönheit,
sondern auch der hohe Stengel von ihnen fehle, so daß es
jedermann niedertreten
könne. Lange ertrug das Veilchen diesen Spott; endlich gab es
ihnen zur Antwort: "Auch
der Diamant ist klein, und doch kostbarer als ein großer Fels.
Das Gold wächst in den
tiefsten Orten, und ist doch besser als der Gipfel der Zedern.
Mein niedriges Blümchen
ähnelt der Farbe des Himmels, wenn er am schönsten ist. Mein
Geruch ist
unvergleichlich, und ein köstlicher Sirup wird aus mir bereitet.
Da ihr aber bloß das Auge
reizt, seid ihr unnütz für jeden weiteren Sinn."
Die Bäume
Die Fruchtbäume, stolz auf ihre süßen Erzeugnisse, wollten keine
unfruchtbaren neben
sich leiden, belegten sie mit dem schimpflichen Namen Unkraut,
und drohten, bei den
Menschen eine Bittschrift einzugeben, daß alle unfruchtbaren
Bäume umgehauen, und
fruchtbare an deren Statt gepflanzt werden mochten. Aber jene
behaupteten, dem
Menschen noch nützlicher zu sein. Von unserem Holze, sagten sie,
bauen sie Häuser und
Schiffe, machen tausenderlei Hausrat, und wärmen sich im Winter.
Wahrlich dann
würden sie gern euer Obst, so schön es auch ist, fahren lassen,
wenn er dafür unter
freiem Himmel liegen und erfrieren sollte; und euch selbst würde
das Los des
"Umhauens" treffen.
Hoffart und Verachtung
Hoffart und Verachtung waren zwei Erzfeinde, die durch keinerlei
Mittel ausgesöhnt
werden konnten, sondern wo sie einander erblickten, in blutigen
Hader zusammen
gerieten. Da kein menschliches Gericht ihre Streitigkeiten
schlichten konnte, so forderte
endlich Jupiter sie vor seinen Thron, und da er aus ihren
bitteren Klagen auf
unversöhnlichen Hass schloß, so ließ er den Vulkan rufen, und
befahl ihm, diese beiden
Zänker mit diamantenen Ketten zusammen zu schmieden, damit sie
durch dies Band
entweder Frieden halten lernten, oder wenigstens des Streites
müde würden.
Zwar geschah beides nicht, aber noch hält ihre Kette.
Das Nardenwasser
Ein
Apotheker befahl einem seiner Diener, ein köstliches
Nardenwasser durch den
Trichter in ein gläsernes Gefäß zu gießen, daß es nicht seinen
Geruch verliere. "Warum
sollte ich erst viel Zeit mit dem Trichter verderben, und sie
eben dadurch verstreichen
lassen?" dachte dieser, nahm ein Glas mit engem Hals und weitem
Bauch, und goß,
statt zu tröpfeln oder zu trichtern, um desto früher fertig zu
sein, stromweise dies
Wasser aufs Glas. Aber eben des engen Halses wegen kamen nur
wenige Tropfen hinein,
und alles übrige ward auf die Erde verschüttet.
Knaben sind Gläser mit engen Hälsen. Nicht Faulheit allein, auch
übereilter Fleiß kann sie
verderben. Alle Wissenschaften auf einmal ihnen einzuflößen
wollen heißt, fast alles
daneben schütten.
Der Apfelbaum und der Schwamm
Ein Apfelbaum trug lange Jahre gute und schöne Früchte. Obgleich
hohen Alters wegen
seine Kräfte abnahmen, der Gipfel verdorrte, die Äste mit Moos
bewuchsen, und alles
zum Untergange sich neigte, und doch sproßten mit jedem Jahre
neue Schößlinge
hervor. Endlich aber entstand im Gipfel ein Schwamm, der durch
tägliches Wachstum den
untersten Ästen allen Saft entzog, da entfiel dem Baum alle
Hoffnung zur Genesung, und
er starb bald darauf bis an die Wurzeln.
Kein sichereres Zeichen vom Sterben eines Staates, als wenn
unwürdige, geldgierige
Männer bei ihm die höchste Gewalt erlangen, und giftigen
Schwämmen gleich, die Säfte
der anderen Glieder an sich ziehen.
Die Elster und die Tauben
Als die Elster einst den schönen sittsamen Gang der Tauben sah,
trug sie Verlangen nach
ihm, bat die Tauben, sie zu unterrichten, und erbot sich zum
Gegendienst, sie zu warnen,
wenn Katze und Marder ihnen nachstellten. Die Tauben waren es
zufrieden, und gaben
sich alle mögliche Mühe. Doch kaum war sie einige Tage zu ihnen
in die Schule
gegangen; kaum hatte sie nur ein wenig die Tritte setzen
gelernt, als sie schon alles
erlernt zu haben glaubte, davon flog, und ihren Lehrmeistern mit
Undank lohnte. Daher
jener lächerliche Gang der Elster, die nach zwei, drei
ordentlichen Schritten wieder zu
hüpfen anfängt.
Und so geht es allen Schülern, die aus törichter Einbildung von
Vollkommenheit zur
Unzeit ihre Meister verlassen.
Das Kalb und das Kind
Ein Zugochse sah ein Kalb nach eigenem Belieben im Stall und Hof
herum springen, indes
des Hauswirtes Kind in Windeln eingewickelt weinte. Er pries
daher die Glückseligkeit
seines Stammes, und schloß auf die Liebe des Herrn zum Kalbe,
und auf dessen Hass
gegen sein eigenes Kind. "O du Tor, "rief ein Ross ihm zu, "auf
dein Kalb warten, so wie
es erwachsen, Joch und Peitschen; auf den Knaben hingegen
Freiheit und Herrschaft."
Allzu sorglose Zucht macht ein schwächliches und unglückliches
Alter.
Die Schule der Armut
Die Armut hatte schon seit vielen Jahren um Beförderung
angehalten, doch ward sie aller
Orten vergessen, weil es ihr an Geschenken gebrach. Um endlich
sich des Hungers zu
erwehren, errichtete sie eine Schule, und unterwies ihre Schüler
mit größtem Fleiße
in Gebet, Arbeit, Gehorsam, Demut, und vielen nützlichen
Künsten. Bald darauf ward in
der nämlichen Stadt, eine starke Räuber- Betrüger- und
Bettlerrotte eingezogen, und
alle diese bekannten im Verhör, daß sie ihre Untaten von ihrer
Lehrerin, der Armut,
erlernt hätten. Man hielt ihr daher diese Aussage vor, in der
gewissen Meinung, daß sie
solche leugnen würde. Aber zu aller Verwunderung gestand sie,
daß sie allerdings
dergleichen Sache denen lehre, welchen sie ihrer Faulheit wegen
nichts besseres
beibringen könne. Ihre Lehre, sagte sie, sei zwar ein Wetzstein,
der aber nur Stahl
schleife, hölzerne Messer und bleierne Dolche hingegen nicht zu
schärfen vermöge.
Der Wiedehopf und die Vögel
Als
der Adler einst einen Reichstag der Vögel ausschrieb, erschien
unter anderen auch
der Wiedehopf, der durch seine natürliche Fontange,*
bunten Federn, und daher
eingebildete Schönheit den Vorzug allen anderen streitig machen
wollte. Wirklich
verwunderten sich diese von ferne über die Schönheit seines
Gefieders, aber als er nahe
kam, wollte ihn seines unleidlichen Gestankes willen niemand
neben sich leiden, und er
ward allein gelassen.
Das Bild eines schönen aber unzüchtigen Frauenzimmers, die man
zwar von ferne lobt,
die aber kein Verständiger zur Ehegefährtin begehrt, weil ihr
böser Leumund allenthalben
ausbricht.
*Der
Name bezieht sich auf die Herzogin von Fontanges, eine Maitresse
von Ludwig XIV.
Die Fontange ist eine hohe, über einem Gestell aus Draht
aufgebaute Haube, die etwa
von 1685 bis 1715 von Frauen in Europa getragen wurde.
Der zu früh ausgeflogene Sperling
In einem verlassenen Schwalbenneste brüteten Sperlinge ihre
Jungen. Einer dieser
Letzteren, wiewohl ihm die Federn noch nicht hinlänglich
gewachsen waren, konnte die
Zeit des Ausfluges kaum erwarten. Vergebens warnten ihn die
Alten; in ihrer
Abwesenheit wagte er sich doch aus dem Neste.
Die Folge war, wie ihm verkündet worden. Seine zarten Schwingen
trugen ihn einige
Spannen weit, dann fiel er zu Boden. Ein paar Knaben fanden ihn,
banden einen Faden
an seinen Fuß, und schleppten ihn spottend hin und her.
Einige Tage später wuchsen seine Fittiche. Jetzt hätten sie ihn
sicher getragen, aber der
böse Faden verbot es. Endlich gelang es ihm doch, sich los zu
reißen; allein ein Teil
seines Fußes ging verloren; er blieb gebrechlich, nur das
Mitleid einiger Brüder ernährte
ihn kärglich in einem niederen Strauche. Nie konnte er die
Übrigen fliegen sehen, ohne
zu seufzen: o hätte ich gewartet wie ihr, bis es Zeit war!
* * * *
Wünsche dir nicht allzu früh dein eigener Herr zu werden! Wirst
du es, bevor deines
Geistes Kräfte gereift sind; so könntest du es leicht
mißbrauchen, und dann eben
dadurch unmündig für dein ganzes Leben bleiben.
* * * *
Wie freute sich der Jüngling Telmar, als früh seine etwas
strengen Eltern starben, und er
im achtzehnten Jahr schon Herr eines fast fürstlichen Vermögens
ward! Einige wenige
Jahre hindurch schwelgte und praßte er auf alle nur mögliche
Art. Dann ward er ein
Bettler bis in sein hohes Alter; war ein Spott der Kinder, und
sich selbst zur Last.
Der Lappländer und der Sämann
Die Lappen, wie bekannt, bauen der Kälte wegen weder Feld noch
Gartenfrucht.
Getrocknete Fische und Brot aus Wurzeln sind ihre vornehmsten
Nahrungsmittel. Einer
aus diesem Volke kam einst in ein milderes Land, sah einen Bauer
mit großer Mühe sein
Getreide ausdreschen, worfeln und säubern, wunderte sich
darüber, und schwieg.
Aber als er eben denselben bald nachher das nämliche Getreide
händevoll wieder in die Erde
werfen sah, da brach er in ein lautes Gelächter aus, meinend,
der Mann sei unsinnig, daß er
seine Mühe und seine Kosten so vergeblich in die Erde streue. Erst nach
langen Beweisen
glaubte er, daß künftig eine Zeit kommen könnte, wo reichliche Früchte ihn
belohnten.
Diesem unerfahrenen Fremdling sind die Geizigen gleich, die es
für große Torheit achten,
seine Güter den Armen mitzuteilen, und sich auch nicht jener
zukünftigen Ernte erinnern.
Der schmeichelhafte Hund
Ein Hund, der mit seinem Herrn in ferne Lande reiste, verlor
diesen Der Hunger drängte
ihn; er suchte einen neuen Versorger, und beschloß, um ihn desto
leichter zu finden, mit
jedem, der ihm begegne, freundlich zu tun, und mit dem Schwanze
ihm zu schmeicheln.
Zuerst nahm ihn ein Bauer mit, aber kaum sah er, wie bekannt
sein Fremdling gegen alle
Nachbarn tue, als er ihn mit Prügeln fortjagte. Er folgte nun
einem Bürger, aber auch
dieser litt seiner unzeitlichen Freundlichkeit halber ihn nur
wenige Tage. Endlich kam er
nach Hofe. Der Überfluß guter Speisen allda beliebte ihm gar zu
sehr; zwar mußte er
sich Anfangs gräulich mit den großen schon im Besitz seienden
Hofhunden
herumbeißen, aber doch ward er endlich gelitten.
Und wo hätte er auch anders sollen gelitten werden, als bei
dieser Vaterherde des Müßiggangs
und der Schmeichelei, wo aber freilich die, die dort hausen wollen, erst
viel leiden müssen.
Die Flüsse und das Meer
Die Flüsse beschwerten sich einst untereinander, daß sie nun
schon seit vielen hundert
Jahren ihr Wasser in das unersättliche Meer ergossen hätten,
ohne daß es davon voller
werde, wohl aber oft mit großem Ungestüm ihren Ausfall
zurückhalte; und beschlossen
einstimmig, künftig ihr Wasser für sich zu behalten. Wirklich
richteten sie ihren Vorsatz
auch ins Werk; aber gar bald sahen sie, wie töricht sie
gehandelt; denn die
unbeweglichen Gewässer wurden nicht nur stinkend, sondern da das
Meer auch ihre
Quellen nun zurück behielt, vertrockneten sie ganz.
Tätigkeit erhält, Stillstand tötet. Von dem Urquell der Welt
empfingen wir unsere Kräfte;
sie zum Nutzen der Welt verwenden, heißt sich selber nützen.
Der ungeduldige Schullehrer
Ein sonst nicht ungeschickter Mann nahm ein Schulamt an; da es
ihm aber an der
nötigen Sanftmut fehlte, behandelte er seine Schüler, bei dem
kleinsten Versehen, oft
sehr hart, und entschuldigte seinen Zorn dann mit der Knaben
Bosheit, die einer scharfen
Zucht bedürfe. Um ihn hierin auf einen anderen Weg zu bringen,
erzählte ihm einst sein
Freund: >ein berühmter Lautenist habe einst seine Kunst vor
einer großen Gesellschaft
sollen hören lassen. Er habe das Instrument daher wirklich in
die Hand genommen, und
zu stimmen angefangen; da aber sich dies etwas zu lange hinzog,
und die gegenwärtigen
Bekannten deshalb mit ihm gescherzt hätten, habe er im Grimm die
Laute hingeworfen,
daß alle Saiten abgesprungen, und doch auf sie, die Saiten, die
Schuld geschoben, als
ob keine Harmonie sich in sie bringen lasse.< "Der Kerl ist
nicht klug gewesen" rief der
Schulherr aus; aber er ward nicht wenig beschämt, als sein
Freund die Anwendung auf
ihn selber machte.
Die Sabbatsentweihung
"Ein Vornehmer von Adel," - so erzählte einst ein Hofprediger
seinem Fürsten, der oft den
Sonntag zu Lustbarkeiten bestimmte, - "ein Vornehmer von Adel
hatte 7 schöne Stuben
in seinem Schlosse. Sechs davon räumte er seinem Sohne ein, und
behielt nur die
Hinterste für sich, um da in Ruhe Gott dienen zu können; und
doch, so oft der Sohn
fremde Gäste bekam, lädt er sie in dieses siebente Zimmer, und
machte durch solches
dem Vater so viel Verdruß, daß er endlich in die Gesindestube
sich flüchten mußte.
Was halten wohl Ew. Durchlaucht von einem solchen Sohne?" -
"Daß der Vater den undankbaren Burschen aus dem Hause stoßen
sollte, und daß ich
ihn, wenn ich ihn kennte, in meinen Lande nicht leiden würde." -
"Wenn aber Gott selbst dies Urteil auch fällen wollte, wo würden
Ew. Durchlaucht bleiben?
Hat er uns nicht 6 Tage zu unserer Bequemlichkeit
eingeräumt, und nur einem zu seinem
Dienste ausgezogen? Warum nimmt man ihm das Seinige,
und läßt ihm kaum
zwei Stunden?"
Wahrlich eine dreiste Erwiderung. Aber der Fürst fühlte sich
beschämt und gefangen;
hielt auch von nun an den Sonntag in Ehren.
Ursachen des Unsegens
Ein reicher Mann klagte seinem frommen Seelsorger einst, daß
seine Nahrung täglich
abnehme, und er, wohin er auch blicke, nichts als Verlust und
Schaden spüre. Der
Prediger, da man seinen Rat begehrte, war willfährig dazu,
verlangte aber, daß der
Fragende erst seine Barschaft ihm zeige. Nicht ganz willig, doch
schamhalber tat der
Reiche dies; führte ihn in seine Schlafkammer und schloß einen
großen Kasten angefüllt
mit Geld ihm auf. Kaum war dies geschehen, als beide mit
Erstaunen sahen, daß viele
Dreier und Groschen weit ihren Mund auftaten, und ganze Taler
verschluckten, ohne
davon mehr zuzunehmen, als Pharaos magere Kühe bei Verschlingung
der Fetten.
"Dies sind, sprach der Prediger, die unrecht erworbenen
Pfennige; sondere sie von den
rechtmäßigen, und gib, mit Zachäus, dem wieder den du betrogen,
so wird dein
Reichtum sich täglich mehren" Ein Rat, der befolgt ward, und
eintraf.
Bald darauf erzählte dies der Reiche einem seiner Freunde, der
zwar frei von unrecht
erworbenem Gute war, doch aber klagte, daß weder ihm noch seinen
Kindern die
reichlichst angerichteten Mahlzeiten gedeihen wollten. Auch
dieser Klagende wandte sich
an den frommen Priester, der sich, um die Ursache zu erforschen,
auf den anderen Tag
sich dort selbst zu Gaste lud. Der Tisch ward ganz mit Speisen
beladen; aber man setzte
sich ohne Gebet nieder, und stand ohne Danksagung auf. Die ganze
Mahlzeit über sah
der Geistliche oft starr in einen Winkel, und fragte endlich,
wie viel ihrer denn hier bei
Tische säßen. Der Wirt zählte, und antwortete: Sieben. "Wer ist
denn aber," erwiderte er,
"jener achte dort im Winkel, der so unersättlich frißt, daß er
auch den Kindern das
ihrige vom Teller nimmt? Sicher ist es kein anderer als der
Fluch Gottes, dessen
unergründlichen Rachen niemand füllen kann." Befahl darauf, die
Güter Gottes mit Dank
zu empfangen, und half auch diesem Hause durch seinen Ratschlag
auf.
nach oben
|