zu Buch 4
 

Buch 3

Fabeln nach Leo Baptist Alberti
*14.02.1404 in Genua Italien †vermutlich 04.1472 in Rom Italien

 


Der Neidische und das Feuer


Der Neidische erfand das Feuer, und verbarg es, um den Gebrauch desselben seinem
Nächsten zu entziehen, in seinem eigenen Busen. Der Tor! denn bald brach das Feuer
hervor und verbrannte Kleider, beschädigter Körper waren des Neidischen Strafe.

Daß es jedem so ginge, der Wahrheiten entdeckt und verschweigt

Das Spickenar-Kraut (Saliunca.)

Das Spickenar- Kraut, das in der Mitte von Strömen zu wachsen pflegt, wünschte einst
alle Strohhalme, die den Fluß hinab kamen, an sich zu ziehen und behalten zu können.
Der Flußgott gewährte ihm diesen Wunsch; jedoch zum eigenen Verderben, denn die
große Menge von Halmen, die sich daran legten, erstickten und versenkten es bald.

Drücker des Landes, wuchernde Geizige! — doch wie käme diese Fabel in eure Hände?

Die Blasebälge

In einem Kramladen wunderten die übrigen Gerätschaften sich über einige Blasebälge,
und begriffen nicht, wie sie so vielen Wind von sich geben konnten. Sei das unsere
Sorge, antworteten, diese; wenn wir nur wissen, wo wir ihn hernehmen sollen.

Der Pfeil und der Bogen

Als ein Feldherr den Pfeil, mit welchem er den König der Feinde getötet, im Tempel zu
seinem Ruhme aufgehängt hatte, beschwerte sich laut der Bogen, daß man aus ihm
nichts mache, da er doch die Hauptursache dieser so großen Tat gewesen se.

Wahrlich, die Tat, die oft den Fürsten verewigt, sollte billiger seinen Minister, und noch
öfter tiefer herab, den Sekretär desselben verewigen.


Die Hunde

Ein wachsamer Haushund lag an der Kette, und sah eine Menge anderer unnützer Hunde
frei und ungehindert um sich herum spielen. Gewiß, rief er, auf diese Art ist es viel
besser zu nichts nütze zu sein!

Trost für den Armen, daß auch bei Menschen das nämliche so öfters gilt!

Der Ochs und der Baum

Ein stößiger Ochs ward zum Verlust seiner Hörner verdammt, und fest an einen Baum
gebunden, wo man solche ihm abzusägen willens war. Voller Wut schimpfte er in diesem
Zustande auf den Baum, und droht ihn auszureißen, so bald er wieder frei sein würde.
"Das hättest du eher tun sollen," antwortete dieser mit ruhigem Spotte, "denn vormals
hattest du Kräfte und bösen Willen zugleich. Jetzt wird bald nur der Letztere dir übrig
bleiben, und dieser von Ohnmacht begleitet, erweckt nur Spott, nicht Furcht."

Die Weidenbäume

Einige junge Weiden sahen, bei einer Überschwemmung, die Macht des Stromes sich
immer mehr und mehr ihnen nähern, und beratschlagten sich untereinander, wie sie
solchen wohl mit gehörigem Anstand und mit Zierlichkeit begrüßen sollten. Mittlerweile
kam der Fluß wirklich, und riß sie mit sich fort. "Törichte Eitelkeit," rief eine ältere,
feststehende Weide ihnen nach, "hättet ihr doch, ehe ihr für Anstand sorgtet, auf die
Notwendigkeit eurer Erhaltung gedacht, vielleicht hättet ihr dann euch der Entwurzelung erwehrt."


Der Hund und der Stier

Ein Hund, der mit einem Stier kämpfen sollte, versprach sich im Voraus einen gewissen
Sieg, und schätzte seinen Gegner gering, weil er keine Oberzähne habe. Aber er hatte
der Hörner vergessen, die er nur allzubald und allzu kräftig empfand, denn von ihnen in
die Luft geschleudert, rief er zu spät nun aus: daran habe ich nicht gedacht!

Der witzige aber seichte Cleanth, und der gründlich gelehrte Markulf. — Wahrlich, das
Belfern des ersteren hält nicht an, wenn die nachdrückliche Stärke des zweiten sich zeigt.

Der Stier und der Hund

Ein Stier und ein Hund entzweiten sich; der Letztere forderte sogar den Ersten zum
Kampfe auf. Verächtlich nahm der Stier die Herausforderung an, und glaubte, ein
Geschöpf, das ihm an Kräften so ungleich sei, beim ersten Gange sogleich entweder mit
seinen Hörnern zu spießen, oder mit feinem Hufe zu zermalmen.

Doch jetzt, indem er seinen Kopf zur Erde beugte, wich der schlaue Hund seinen Stößen
aus, und faßte das stärkere Tier beim Ohre. Vergebens schüttelte der Stier sein Haupt;
brüllte und stampfte vergebens; vom wütenden Schmerz übermannt, mußte er zuletzt
demütig und mit zerfleischtem Ohre um Frieden bitten.

* * * *

Verlasse dich nicht auf körperliche Stärke allein! Geschicklichkeit weiß sie zehnfach zu
ersetzen, und zu überwinden.


Der Esel und sein Treiber

"Warum schlägst du mit deinem Hufe gegen deine Brüder nicht eben so, wie gegen die
Menschen aus?" fragt ein Eseltreiber sein Tier. "Der Grund ist leicht einzusehen;"
antwortete dieser, "weil sie mich nicht schlagen."

Nicht ganz die Maxime der Esel in Menschengestalt, zumal derer vom Range; sie
schlugen oft selbst den, der durch diesen Schlag erst Kenntnis ihrer Existenz erhielt.

Der. Spiegel

Der Stolze sah sein Bild im Spiegel, hielt es für eine fremde Person, und nahm es übel,
daß sie sich nicht vor ihm beuge. Seine zornige Miene ging natürlich auch aufs Bild über;
eine neue Beleidigung für ihn, und er nahm nun ein verächtliches Lächeln an. Auch
dieses vergalt ihm der Spiegel, und länger konnte der Stolze seinen Zorn nicht mäßigen.
Er erhob den Stock, und zerschlug den Spiegel. Aber dann erst hatte er recht Ursache
sich selbst Vorwürfe zu machen, denn statt des einen, der bisher über ihn gelacht hatte,
sah und hörte er nun das Gelächter von vielen.

Der Schiffbrüchige und das Meer

Ein Kaufmann, der Schiffbruch erlitten hatte, verklagte das Meer wegen Raubes seiner
Güter, und überwies es dessen. So komm dann, rief dieses spottend, wer leugnet dir
denn das Deinige ab! Versuch nur es mir wieder zu nehmen.

Die ihr mit Mächtigen prozessiert, oder Fürsten bei ihren eigenen Gerichten verklagt,
nicht wahr, diese Antwort seid ihr schon gewohnt?


Die Ruder und das Steuer

Eine ganze Menge von Rudern entzweite sich mit dem Steuer; und alle spotteten dessen,
weil es so klein und einzig sei. Jenes schwieg, aber plötzlich lenkte es dergestalt das
Schiff, daß es auf eine Klippe stieß, und alle Spötter auf dieser Seite splitterten und zerbrachen.

Die Flöte

Der Staub hatte eine Flöte verstopft. Ihr Herr, ein Dichter, nahm sie, um darauf zu
spielen, sah ihren Zustand und rief: "Wahrlich du hast viel Gleichheit mit uns; denn
beide singen wir nicht, wenn unsere Bäuche voll sind."

Und man steht noch an, die Fürsten Deutschlands Väter deutscher Dichtkunst zu
nennen? Sie, die so treulich dafür sorgen, daß unsere Dichterbäuche ledig bleiben?

Der Fuchs und der Löwe

Der Löwe hatte sich hinter einen Baum auf die Lauer gestellt, und ein Fuchs, der vorbei
gehen wollte, sah von weitem die Spitze seines Schweifes. Noch war er ungewiß, ob es nicht der Schweif eines Stieres sein könnte: Aber dennoch floh er schnell davon, und sprach:
"Besser, daß meine Freunde über diese meine Flüchtigkeit lachen, als über mein Unglück weinen!"


Der Merkur und der Priapos*

Ein Knabe trug über eine Brücke einen kleinen Merkur von Silber, und einen Priapos von
Holz. Durch ein Ungefähr brach die Brücke, und indem beide Götter ins Wasser fielen,
sank Merkur, durch die Schwere des Metalls zu Boden; aber der hölzerne Priapos
schwamm auf des Stromes Oberfläche. "Wunderbar, rief ein Priester, daß ein Gott, der
auf Erden so viel Gewicht hat, jetzt so leicht im Wasser wird!" – "Und glaubst du denn,"
antwortete der Fluß, "daß auch du Mensch im Glück und Unglück stets der nämliche
bleiben wirst?"

*
Priapos, Sohn des Dionysos und der Aphrodite war in der griechischen Mythologie ein Gott der Fruchtbarkeit,
und erschien als Beschützer von Vieh, (Schafen und Ziegen) Bienen, Fischen und Früchten.


Die Gans und die Biene

Haben wir denn unsere großen Füße deswegen, um einen so leichten Kopf zu stützen?
sprach einst eine Gans.
Und weist du denn nicht, antwortete die Biene, daß just die Stärke der Beine da am
meisten erfordert wird, wo der Kopf am leichtesten ist?

Der Ochs und der Strick

Ein Ochs, der mit den Hörnern an einem Strick auf ein Lastschiff gezogen werden sollte,
wünschte, so lange er mit den Füßen auf der Erde stand, daß der Strick entzwei reißen
sollte. Als er aber an demselben in der Luft schwebte, wünschte er noch heftiger, daß er
halten möge. "Da siehst du," sprach der Strick, wie du so gar nicht weißt, was zu deinem
Leben oder Tod gehört; das ratsamste ist wohl, künftig gar nichts zu wünschen."


Der Wasserkrug

Ein angefüllter Wasserkrug stand mit verstopftem Maule stillschweigend da; als er aber
ausgeleert war, schimpfte er mit offenem Munde alle Vorübergehenden.

Die Schmähsucht von sehr vielen schweigt, wenn man ihnen mit Geschenken den Mund
stopft, und mit Speisen den Leib anfüllt.

Die Krähe und der Eber

Eine Krähe hatte sich mit ihren Krallen in das Rückgrat eines Ebers eingekrallt, und fragte
alle Bäume in der Runde umher: wohin sie die gemachte Beute tragen sollte? "Hierher,"
sprach endlich die Eiche, "wenn dir's beliebt, ich will sie getreu bewachen." – "Recht gut,"
antwortete jene, "aber eben denke ich darüber nach, wie ich mit meinen Kräften diese
ungeheure Last aufheben soll." – "Aufheben und festhalten, rief der Eber, daran,
dächte ich, hättest du eher denken sollen, und würdest dann vielleicht die Blume um
keinen Rat gebeten haben." Indem er es noch sagte, schüttelte er die Krähe lächelnd los.

                                                                                                                     nach oben

Die Kohle

"Unglückliche!" sprach eine Äffin, indem sie eine Kohle angriff, "die kurz zuvor noch in
ihrem hellen Glanze die Gesträuche und die Bäume umher gefürchtet haben, und die du
jetzt so schwarz und kalt da liegst." – "Schwarz und kalt!" antwortete diese, "und doch
jetzt glücklicher als vorhin; denn dieser feurige Glanz würde mich ganz verzehrt haben,
hätte ich nicht noch zur höchsten Zeit mich davon befreit."

In welchem Zustande finde ich dich, Freund? fragte bedauernd Z * * einen gestürzten
Höfling. Im Zustande der Ruhe, war dessen Antwort.


Der Wasserkrug


Ein angefüllter Wasserkrug stand mit verstopftem Maule stillschweigend da; als er aber
ausgeleert war, schimpfte er mit offenem Munde alle Vorübergehenden.

Die Schmähsucht von sehr vielen schweigt, wenn man ihnen mit Geschenken den Mund
stopft, und mit Speisen den Leib anfüllt.

Die Krähe und der Eber

Eine Krähe hatte sich mit ihren Krallen in das Rückgrat eines Ebers eingekrallt, und fragte
alle Bäume in der Runde umher: wohin sie die gemachte Beute tragen sollte? "Hierher,"
sprach endlich die Eiche, "wenn dir's beliebt, ich will sie getreu bewachen." – "Recht gut,"
antwortete jene, "aber eben denke ich darüber nach, wie ich mit meinen Kräften diese
ungeheure Last aufheben soll." – "Aufheben und festhalten, rief der Eber, daran,
dächte ich, hättest du eher denken sollen, und würdest dann vielleicht die Blume um
keinen Rat gebeten haben." Indem er es noch sagte, schüttelte er die Krähe lächelnd los.

Die Kohle

"Unglückliche!" sprach eine Äffin, indem sie eine Kohle angriff, "die kurz zuvor noch in
ihrem hellen Glanze die Gesträuche und die Bäume umher gefürchtet haben, und die du
jetzt so schwarz und kalt da liegst." – "Schwarz und kalt!" antwortete diese, "und doch
jetzt glücklicher als vorhin; denn dieser feurige Glanz würde mich ganz verzehrt haben,
hätte ich nicht noch zur höchsten Zeit mich davon befreit."

In welchem Zustande finde ich dich, Freund? fragte bedauernd Z * * einen gestürzten
Höfling. Im Zustande der Ruhe, war dessen Antwort.


Die verschiedenen Tierarten

Ein Hausvater sah auf der Wiese einen Esel, ein Schaf, ein Schwein, eine Ziege und ein
Pferd ruhig zusammen weiden, währenddessen am anderen Ende dieser nämlichen Wiese
zwei eifersüchtige Stiere einander auf das grausamste mit ihren Hörnern zerfleischten.
"Ist es nicht ein Wunder," rief er, "daß zwei Verwandte so erbittert gegeneinander
wüten, und Tiere hingegen, an Sprache und Sitten so verschieden, ruhig zusammen
leben?" – "Es würde ein Wunder sein, wenn es anders wäre," entgegnete ihm ein Faun;
"entsinnst du dich denn nicht, daß auch bei euch gewöhnlich die Freundschaft, und noch
öfter die Feindschaft vom Futter und vom Beischlaf herrührt; und wo ist
Nebenbuhlerschaft denn unumgänglicher als bei Wesen, die ihrer Natur nach sich
verwandt sind?"

Das Brot und das Ei

Ein Philosoph sah in der Mitte eines Ofens Brot liegen, welches dadurch Stärke und Kraft
erhielt, indes am Eingang eben dieses Ofens ein Ei lag, welches schwitzte, und sich sein
Kleid verdarb. "Welch ein Unterschied," sprach er, "liegt in einem ruhigen und müßigen
Leben! denn dieses, von Jugend auf zärtlich verwöhnt, ist ungeduldig, mürbe und
unstandhaft. Jenes hingegen, vom ersten Ursprung her bearbeitet, und dem Unglück
unterworfen, ist nie in träger Ruhe erstarrt, und erwirbt zuletzt sich selbst durch diese
große Glut, Schönheit, Bestehungskraft und Größe."

Die Amsel und die Nachtigall

"Entweder schweige still, oder singe etwas wohlklingender!" sprach die Nachtigall zur Amsel."
"Wahrhaftig, du bist eine Törin," antwortete diese, "daß du mit so großer Kunst die Töne
aus der Tiefe deiner Brust hervorziehst. Heutzutage hält man nicht diejenigen für gelehrt,
die es sind, sondern die es zu sein prahlen."


Die beiden Bäumchen

Zwei junge Bäumchen fragten einen Strom, wohin er mit so großer Schnelligkeit eile?
"An einen Ort," antwortete er, "wo er größer und weiser werden wollte, und wo auch sie
es werden könnten, weil es dort der Bäume noch wenige gäbe." Eines derselben, von
Ehrsucht angereizt, wollte sogleich mit dem Wasser fort, und besann auch sich sogleich
eines anderen, als es hörte, daß es alles, was ihm hinderlich sei, zurücklassen müsse;
aber das zweite entledigte sich mit seinen Wurzeln des Erdreichs; schwamm in
Gesellschaft des Stroms, und setzte sich nach vielen erduldeten Ungemächlichkeiten an
einem fetten Boden an, wo es zu einem großen und berühmten Wald empor wuchs.

Der Knabe und die Sonnenstrahlen

Ein Knabe tappte und griff nach den Sonnenstrahlen, ohne sie fest halten zu können.
"Gib dir keine Mühe," sprach die Sonne, göttliche Dinge lassen sich nicht von Sterblichen
einschränken."

Die Hornisse und die Schnecke

Eine Hornisse, die mit einer Schnecke Streit bekommen hatte, und mit ihr kämpfen
wollte, versuchte fruchtlos ihren Stachel an der harten Schale derselben. Indes hörte sie,
daß auch jene gewohnt sei, zwei große Lanzen im Kampf hervorzubringen. Zwei gegen
eine! und dabei so unverwundbar! dachte sie; und furchtsam zog sie sich zurück. Aber
die Schnecke, die darin der Feindin summende Stimme hörte, hegte für sie eben so viel
Scheu, und blieb versteckt. Satyre die zusahen, lachten ihrer wechselseitigen Zaghaftigkeit.

Da würden sie noch mehr Stoff zum Lachen haben, sähen sie den Zweikämpfen mancher
unserer neuen Helden zu.


Der Kaufmann und die Rosen

Ein Kaufmann, der zur Herbstzeit wieder nach Hause kehrte, fragte die Rosenstöcke, die
er im Lenz in voller Pracht verlassen hatte, und an denen er jetzt nichts als unnütze
Körner und Hülsen fand: "Wie kommt es, daß ihr so schlechte Flüchte bei einer so
schönen Blüte tragt?"
"Eben weil mir auf die Herrlichkeit dieser Blüte alle unsere Kräfte verschwendeten."

Der Schatten des Menschen

Der Schatten des Menschen sah, daß er immer größer ward, je tiefer die Sonne sich
neigte. Sehnlichst wünschte er daher, in Hoffnung noch mehr zuzunehmen, derselben
gänzlichen Untergang. Dieser erfolgte, und der Schatten verschwand; vergebens jetzt
den Augenblick vor seinem Ende, die Sonne im höchsten Mittag zurück sich wünschend.

Der Rauch

Der Russ und die Asche riefen dem aufsteigendem Rauche nach: "Ach Bruder, warum
verläßt du uns hier in unserem Unglück?" – "Was habe ich mit euch zu schaffen,
antwortete dieser, ihr trägen Müßiggänger? Wie passen wir zusammen? denn indem ihr
untätig brütet, schwing ich mich zum Himmel." Er sprach's noch, als ein leiser Lufthauch
seinen oberen Rand faßte, und wegwehte, indes jenen doch wenigstens ihr Dasein blieb.

Der Spargel

Ein Bauer wunderte sich, als er fand, daß der Spargel, der in seinem ersten Wuchse so
weich und zart gewesen war, jetzt rau, hart und unbrauchbar geworden sei. "Ist es
denn so etwas erstaunenswürdiges," versetzte dieser, "daß ich meinen Vorfahren
ähnlich werde? Und wird bei euch Menschen der, oft nicht auch der hartnäckigste Mann,
der, der beugsamste Knabe war?"


Das Öl

Als sich das Öl bei den Vestalischen Jungfrauen, beschwerte, daß das Feuer, nun schon
so viele Jahre von ihm mit seinem eigenen größten Schaden genährt, noch nie dafür sich
bedankt habe, antwortete das Feuer ihm: "Es kann dir Belohnung genug sein, daß du
vielmehr im Tempel, als im Kramladen dein Leben verlierst."

Wahrlich eine Fabel, die mir ein Fürst erfunden zu haben scheint! Ein Karl Xll. etwa, der
halb Schweden entvölkert, um seinen Tollkopf durchzusetzen, oder ein Peter, der in
Petersburgs ungesunden Sümpfen viele tausend Arbeiter aufopfert, und noch
Zufriedenheit von ihnen fordert, weil sie im Dienst ihres Monarchen sterben.

Der Lahme

Ein Lahmer erlaubte, daß man ihm eines seiner Beine, welches viel länger, als das
andere war, um so viel abschnitt, weil er dann gerade zu gehen hoffte. O wie wünschte
der Unglückliche, als es nun abgelöst war, sein voriges Bein sich zurück; denn er fand
nun, daß er gar nicht mehr gehen könne.

Das Bild und die Leuchter

Die goldenen, und mit kostbaren Edelsteinen besetzten Leuchter eines Tempels,
bezeugten ihre Verwunderung, daß man einem Bild aus schlechtem, sonst verachteten
Holze gemacht, Anbetung erzeige. "Nicht mir, nicht meinem Holze," erwiderte dieses,
"sondern der Person des Gottes, den ich vorstelle, erweist man diese Ehre."

Daß die nämlichen bescheidenen Gedanken unserer Priester hätten, wenn vor ihrem
schwarzen Amtsrocke die Hüte der ganzen Stadt beinahe sich abziehen!


Der Schiffer und sein Gelübde

Ein Schiffer versprach in der Gefahr nach vollendeter Schiff-Fahrt dem Neptun ein
ansehnliches Geschenk zu weihen. Neptun hörte ihn, und er lief unbeschädigt, und mit
großem Gewinn im Hafen ein. Nun drängten sich der Mastbaum, die Anker, die Segel und
die Schiffsseile zu diesem ehrenvollen Opfer; aber der Schiffer antwortete: "Besser ich
nehme das Ruder! Eben so würdig, als ihr, ist es auch das, was am wenigsten kostet."

Heißt dies Haltung des Gelübdes, oder Meineid?

Der Erdschwamm und der Wachholder

Der Erdschwamm sprach zum Wachholder: "So oft schon hat, wie ich höre, die Sonne
dich beschienen, und doch sind deine Beeren noch bitter. Wann werden sie denn reifen?"
- "Ich bin von Natur langsam, mein Lieber," antwortete dieser, "aber in acht Tagen will
ich dir antworten." Er hätte die Frist kürzer setzen sollen, denn der schnellgereifte
Schwamm war in acht Tagen nicht mehr.

Die Krone

Der Diamant und der Rubin, die kostbarsten Steine in der Krone Adrians, wollten nicht
länger neben den Perlen stehen, die, wie sie sagten, ihre Schönheit und den Reiz ihrer
Würde durch ihre Größe verdunkelten. Es ward ihnen freigestellt, sich einen andern Platz
zu wählen; sie wählten lang, und erwählten sich endlich den geringsten,
unbedeutendsten von allen.

So würde der Mensch über sein Glück schalten, stände ihm die Wahl desselben frei.


Das Messing

Das Messing verlangte, seines Glanzes wegen die nämliche Schätzung wie das Gold. "Und
wirst du auch," fragte der Goldschmied dasselbe," die Stärke und die Hitze des Feuers
eben so aushalten, wie jenes?" - "Du hast Recht," erwiderte das Messing, ich besinne
mich soeben, daß ich nicht so geschätzt sein mag."

Die ihr nach dem Prunk des Fürsten neidisch blickt, wollt ihr auch dulden, was sie dulden müssen?

Der Mohn und die Nessel

"Wie kommt's," sprach zum Mohn die Nessel," daß du, der du unter den übrigen Blumen
auf den Beeten einen so ehrenvollen Platz einnimmst, doch so blaß, so furchtsam, und
so mißmutig bist? Kaum kann ich ein so elendes Leben führen; ich, die ich verachtet und
gehaßt nur in den abgelegensten Winkeln geduldet werde."
"O ich Unglücklicher!" antwortete der Mohn, "mir nur allein sind all die Gefahren bekannt,
denen ich bloßgestellt bin. Du duldest keine unbescheidene Betastung, beißest nämlich
jeden, der dich abpflücken will, lebst bloß dir selbst, und trotzest nahe am Boden jedem
Sturm. Aber ich streue Vergnügen um mich her, trage in mir selbst einen nützenden
Samen, bin auf einem schwachen Stengel so groß geworden, daß der kleinste Hauch
mich schwankt; und beugen bald auf diese bald auf jene Seite ist meine einzige Zuflucht.
Kann etwas gefahrvoller sein, als der Zustand eines Unbewehrten, der anderen zu
nützen vermag?"

Der Wagen des Neptun

Warum flieht ihr so vor uns? riefen die Räder dem Wagen Neptuns den Rossen desselben zu.
Prahlende Schwächlinge, antworteten jene. Wir fliehen nicht vor euch, sondern wir ziehen euch fort.


Der Schwefel und das Feuer

Ein Mädchen fragte den Schwefel: Warum er das Feuer so liebe, so viel Freundschaft mit
ihm hätte, da es doch seiner Pein sich freue, und seinen Untergang ihm zuzöge.
"Antworte ihr nicht," sprach das Feuer zum Schwefel, ehe das Mädchen nicht auch dir
bekennt, warum sie ihrem brünstigen Liebhaber so viele Grausamkeit entgegen setzt,
wohl gar sein Leben verkürzt."

Das Werg

Auf einem Schiffe befand sich unter andern auch viel Werg, als ganz was geringfügiges
verachtet. Doch als das Schiff einen Leck gewann, da suchte man ängstlich danach, und
da versteckte sich dieses zur Rache wiederum, und brachte das Schiff in große Not. Als
aber diese Not ihren höchsten Gipfel erreicht hatte, da sprachen die klügsten Flocken:
"Laßt uns wieder hervor kommen! Wir können freilich machen, daß das Schiff
untergeht. Aber gehen wir dann nicht auch mit unter?"

Parteien im Staat! Genfs trauriges Bild.

Der Fuchs und der Strick

Ein Fuchs bat den Strick, der ihn gefangen hielt, lange vergeblich, sich aufzulösen und
ihn gehen zu lassen. Jener weigerte sich stets dessen, weil er dann nicht bleiben könnte,
was er sei. Der Fuchs, endlich ungeduldig, fing an zu nagen, und es gelang ihm, solchen
mit den Zähnen zu zerreißen.
"O ich Unglücklicher!" rief nun der Strick, "der ich durch meine Weichheit mich auflösen ließ.
 Härte und Unerbittlichkeit wäre mir besser gewesen, denn jetzt ist meine Gefälligkeit mein Tod."

"Schweig du Elender!" rief der Fuchs: Willst du nun gar mit Weichherzigkeit prahlen, weil
du littest, was du nicht hindern konntest. Du wärst ganz geblieben, hättest du dich
freiwillig aufgelöst; jetzt stirb unbedauert, und als deiner Hartnäckigkeit Opfer!"

                                                                                                                      nach oben

Das Schiff

Ein Kriegsschiff des Duilius hörte, daß die Schiffe, die einst den Äneas getragen,
Meergöttinnen geworden wären; in der Hoffnung eines gleichen Geschickes, stürzt es sich
in die Tiefe, und, statt eine Nymphe zu werden, ging es unter.

Die Winterbirne

Ein Mädchen biß in eine erst abgenommene Winterbirne, die also trotz ihrer schönen
Farbe noch nicht eßbar war. "Wie kommt," fragte sie, als sie getäuscht sich fand, "daß
du in deiner schönsten lieblichsten Gestalt für den Geschmack so herbe bist, und wenn
du schrumpelst und unscheinbar geworden, den Gaumen Süßigkeit mitteilst?"
"Weil Schönheit und Reife bei mir, wie bei deinen Schwestern, selten beisammen stehen."

Der Regenbogen im Glase

Die Sonne hatte mittels eines Glases voll Wasser, auf einem Altar, wo jenes stand, einen
Regenbogen hervor gebracht. Das Wasser rühmte sich, daß dies sein Werk sei. Das Glas
entgegnete, es sei das seinige, weil ohne dessen Durchsichtigkeit und Helle nichts
sichtbar sein würde; und der Altar, als er diesen Streit mit anhörte, lachte laut auf, weil
ohne ihn, der den Platz dazu hergäbe, ja unmöglich ein Regenbogen statt finden könne.
An die Sonnenstrahlen, die vorzüglichsten Urheber, gedachte keines der Streitenden mit einem Worte.


Das Gemälde

"Mich hat der größte aller Meister verfertigt, rühmte sich ein älteres Gemälde von der
Hand des Zeuxis." "Würde ich dich auch sonst wohl," sagte dessen Käufer, mit allen deinem
Schmutz an mich erhandelt haben?"

Daß ihr es ja zuweilen sagt, von wem ihr herstammt, ihr Herrn von X und Y! Wer würde
euch sonst, ohne eure Ahnen schätzen?

Die Lorbeerreiser

An den Pforten vom Tempel des delphischen Apollo standen zwei Lorbeerbäume. Ein
Jüngling, der geopfert hatte, bat sehnlichst einige von den niedrigsten Ästen, sie
möchten sich um sein Haupt zu einer Krone schmiegen. Aber es, ward ihm stolz die
Antwort: sie fänden es zu erniedrigend für sie, dem Vergnügen eines Sterblichen zu
dienen. Erst drei Tage darauf, als sie in einen Büschel zusammen gebunden, den Boden
des Vorhofes kehren mußten, bereuten sie es, nicht dienstfertiger gewesen zu sein.

So wie manche eitle Dirne es bereut, den ersten rechtschaffenen Freiwerber abgewiesen zu haben.

Der Ochs und der Ziegel

Ein Bauer ereiferte sich über einen unbändigen Ochsen, und drohte ihn mit einem Ziegel
zu bewerfen. Der Ochs lachte dessen. "Ist ein Ziegel nicht von Erde; durchackere ich die
Erde nicht?" Er lachte nicht mehr, als er den Wurf wirklich fühlte, wirklich empfand, wie
sehr diese Erde mittlerweile im Feuer sich verhärtet hatte.

So spottete mancher des Feindes, den er klein gekannt hatte, und das Spotten verging
ihm, als er fand, daß er inzwischen groß geworden sei.


Das Licht und die Laterne

"Du verdunkelst meinen Glanz um ein großes!" sprach das Licht zur Laterne.
"Wohl möglich," antwortete diese, und doch bist du mir Dank schuldig, denn ich schirme
dich vor den Anfällen der freien Luft und des Windes; erhalte dein Leben vor mancherlei Gefahren."
Eine größere Unbequemlichkeit wird vorteilhaft durch eine Kleinere vermieden.

Der Löwe des Andronicus

Der Löwe des Andronicus, den sein Herr, gleich einem zahmen Hunde, an einem Stricke
durch die Straßen und Hauser führte, ward gefragt, warum er, der gewohnt sei, im
Laufen die Rosse, im Springen die Leoparden, an Stärke die Stiere, und an
Menschlichkeit selbst die Menschen zu übertreffen; er, von allen Löwen der Schönste,
doch es dulden könne, daß man gebunden ihn umher führe, und ruhig hinter sich das
Gebelfer der Hunde leide?
"Eben das, antwortete er, ist Kennzeichen einer edlen Seele, wenn man seinen Freunden
hilft, und der Bellenden nicht achtet."

Der Hase und der Löwe

Ein Hase, der von den Hunden verfolgt wurde, flüchtete sich geradezu in die Höhle eines
Löwen. "Ich weiß," rief er, "wer hier wohnt; doch wenn der Löwe großmütig gegen mich
handeln will, wo könnte ich dann sicherer sein als bei ihm? Und will er mich töten, besser
ist es, durch einen so edeln Feind, als durch einen Unedlen umkommen."

Er betrog sich nicht. Dem Löwen gefiel sein Zutrauen. Er trat aus der Höhle. Erschrocken
wichen die Hunde zurück, als sie ihn sahen. Den Hasen entließ er unbeschädigt.

* * * *

Mußt du zwischen zwei Feinden wählen, so überliefere dich dem mächtigeren freiwillig!
Nicht stets, doch öfter ist er der großmütigste von beiden.


Der See

Ein See, der von den Bergen her, dichte Wolken sich in die Lüfte erheben, und senkrecht
über seinem Haupte schweben sah, glaubte, daß diese Wolken selbst Berge wären, und
ihn ganz zu Grunde richten würden. Als aber solche ihr Gewässer in Strömen gleichsam
herunter stürzten, und er mächtig dadurch anschwoll, da rief er: O ich Tor, der ich
unnötiger Weise Kummer mir machte! Schaden daher besorgte, wo mir Nutzen zuwächst!

Der Jähzornige und der Brief

Ein Jähzorniger erhielt einen Brief, der ihm vielerlei angenehme Dinge sagte; doch da
eben derselbe auch an einigen Stellen durch Auslöschungen unleserlich gemacht wurden
so erzürnte er sich, und zerriß ihn. "Wie unbesonnen handelst du!" sprach der Brief,
"Eines kleinen Fehlers willen muß ich diese Strafe leiden, und wegen größerer von mir
erhaltener Wohltaten sagst du mir nicht ein Wörtchen Dank."

Der Feuerfunke

Von einem brennenden Holzstoße rissen sich Funken los, einer davon glänzte heller, als
alle seine Brüder. "Steig auf!" riefen die anderen, "und du wirst dich bis zu den Sternen
erheben" Er tat's, zwei Sekunden lang, und - erlosch.

"Ein herrlicher Jüngling!" rufen zuweilen einem neu Aufgetretenen die Kunstrichter zu.
Ihm nach, dem Messladensänger. Er glaubt es, und erlischt.


Das Floßholz

In einem Strome, vom Regen angeschwellt, strömte viel Holz, unter welchem einige
kleine Bäume sich an einem größeren anhielten, so daß dieser die ganze Gewalt des
Flusses allein auszuhalten hatte. Er beklagte sich laut darüber, und schmähte auf seine
Größe, aber die Bäumchen antworteten ihm: "Wahrhaftig, dein Schatten raubte uns sonst
viele Sonnenstrahlen und viele vergnügte Stunden. Nimm nun das Böse eben so geduldig
hin, wie du das Gute trugst, und erdulde es friedlich, daß wir an dem uns stützen, der
sonst uns drückte."

Der Unglückliche

Ein Unglücklicher wallfahrte zur Bildsäule Minervens, die auf dem Gipfel eines hohen
Berges stand. Langsam stieg er herauf, ohne zu schwitzen, noch zu keuchen, und küßte
die Füße der Göttin.
"Sonderbar," rief der Priester, "längst habe ich's bemerkt, daß der Unglücklichen und
Lahmen weit mehrere als der Fröhlichen und Gesunden, ohne Müdigkeit zum Dienste
Minervens gekommen sind."
"Und welcher Berg," antwortete der neue Ankömmling, sollte auch dem zu steil sein,
der mit dem Berge des Elends schon bekannt geworden ist"

Praxiteles und die Statue

Praxiteles* wandte bei einer Statue der Venus wiederholte Vorstellungen, Drohen und
Bitten an, daß sie einen Fehler, der ihre Augen verstellte, verbessern möchte; alles
umsonst! Endlich ergriff er den Meißel, und rief: "Bin ich nicht ein Tor, daß ich, da die
Vorstellungen von Stunden und Tagen verschwende, wo die Tätigkeit von wenigen
Minuten alles auslichten kann?"

*
griechischer Bildhauer 392-330 v. Chr.

Der gemalte König

Einen gemalten König ersuchte jemand, ihm sein goldenes Gewand zu schenken, mit
dem Zusatze, daß Freigebigkeit eine königliche Tugend sei. "Ei wohl, nur nicht bei einer
Sache, wo ich die ganze Königswürde zugleich mit verschenken würde."

Der Bogen und die Sehne

Der Bogen bat den Strick, sich zu verlängern oder zu zerreißen; der Strick bat den
Bogen, entweder kürzer zu werden, oder zu zerspringen und beiden schienen diese Bitten
ungerecht. "Eben deswegen," sprach der Schütze, "verteidigt euch, statt fremdes
Nachgeben zu verlangen durch eigene Mittel; du Bogen dich, durch deine Stärke, und du
durch deine Sehnenkraft. Oder wendet, was noch besser ist, eure vereinte Gewalt gegen
den Pfeil, als gegen den dritten Mann."

Die Hummel und die Bienen

Eine Hummel schimpfte auf die Königin der Bienen: "Wie träge bist du! Wie ganz in
Wollüsten versunken! indes ich Länder durchreise, und überall meine Stimme hören
lasse; und doch dienen deine Völker dir mit einem törichten Eifer."

"Und zwar mit Recht," antworteten die Bienen ihr, "was prahlst du mit Fleiß, träges
nutzloses Tier! Unsere Königin sorgt für die Ihrigen, und will lieber gut in ihrem Hause
sein, als rühmlich auswärts scheinen."

Der Stern

Ein stolzer Stern, die Zierde seines Planetensystems, unzufrieden mit dessen Lobe allein,
wollte auch die Bewunderung seiner Welten erwerben, und wagt es, seinen Lauf
zu verändern. Der arme Tor! kaum wandt er sich, um von der bisherigen Bahn
abzuweichen, so sank er erlöschend herab in die unermeßliche Tiefe.

Dichter der Ode und des Heldengedichtes, was wagst du dich unter die Dichter der Bühne?


Der sterbende Pfau

Ein sterbender Pfau vermachte wenige Augenblicke vor dem Tode seinen schönen
Schweif dankbar dem Hausherrn, der ihn ernährt hatte.
Seine Kinder beschwerten sich darüber, weil nun das vorzüglichste Stück ihrer Erbschaft
verloren gehe. "O," rief der Vater ihnen zu, "ihr seid nicht meine Söhne, wenn ihr nicht
auch unbeschenkt einst ähnliche Schweife tragt."

Söhne berühmter oder verdienstvoller Männer, ihr müßt Ruhm und Verdienst euch selbst
erwerben, wenn ihr eurer Väter würdig sein wollt!

Die Nuß

Ist das mein Lohn, rief eine schon halb ausgehöhlte Nuß dem Wurme zu, der sie
verzehrte, ich habe dich gezeugt, und du selbst vernichtest mich!" – "Wenn du mich,"
erwiderte jener, "gebarst, um sogleich wieder Hungers zu sterben, so war das Leben von
dir ein so verächtliches Geschenk, daß es weder meinen Dank, noch meine
Erkenntlichkeit verdient."

Der Schoßhund

Das Schoßhündchen einer Dame war so
wählerisch gewöhnt, daß es nichts hinnahm,
was es nicht vorher wohl zehn Mal beschnuppert hatte. Die Dame starb, und ihr Günstling kam
unter andere Hunde, die gierig nach jedem Knochen fuhren, die ihr Herr ihnen hinwarf.
Hunger tat wehe, und der sonst so W
ählerische lernte nun binnen weniger Tage einen
Bissen von schwarzem trockenen Brot in der Luft aufzufangen.

Die bewährte Kur jedes Muttersöhnchens, jedes Weichlings ist - Not und Bedürfnis.

Der Löwe und das Sternbild

Ein Löwe hörte, daß unter den himmlischen Zeichen auch einer seiner Brüder sich
befände, brannte vor Begierde nach gleichem Ruhm, und suchte sich durch die
vortrefflichsten Handlungen vor allen anderen seines Geschlechts auszuzeichnen.
"Du handelst töricht," sprach der Neid, "daß du dich so viel mühst; der Platz am Himmel
für euch Löwen, ist ja doch schon einmal eingenommen." – "So wird es mir genügen,"
sprach der Edle, "ihn wenigstens verdient zu haben."



                                                                                                                     nach oben