Fabelverzeichnis

weiter
 

Fabeln 2
 
Der einäugige Hirsch
Die Mücke
Der Bauer und der Fuchs
Der Affe
Der Hirtenjunge
Die Ähren
Das Sahrchen und das Chamäleon
Jupiter, Apollo, Momus
Der Löwe und der Fuchs
Der Specht und der Auerhahn
Der junge Hund
Der Bauer und der Esel
Lips
Die zwei Bäche
Die Almosen
Die Wünsche des Esels
Der Riese und der Zwerg
Der Eichhase und der Hund
Die zwei Frösche
Die zwei Drosseln
Apollo und Merkur
Die drei Wanderer
Der Fuchs und das Stachelschwein

 

Der einäugige Hirsch

Ein alter Hirsch, behutsam von Natur,
Auf einem Auge blind, das ihm ein Pfeil durchfuhr,
Ging immer nur am Meeresstrande
Und drehte das gesunde Licht
Beständig nach dem festen Lande:
"Hier ist Gefahr, vom Wasser nicht."

In einem Nachen schwebt ein Schütze,
Legt an und trifft. Das arme Tier
Fällt nieder, schreiend: "Wehe mir!
Wozu ist denn die Klugheit nütze?"

Tor! Wenn ein Auge dir gebricht,
So ist's der Klugheit Fehler nicht.

Die Mücke

In eines leeren Fasses Schlunde
Wuchs aus den Hefen auf dem Grunde
Ein kleines Völklein auf. In diesem Raum gebannt,
Durchkroch, durchwühlt' es nur der Hefen feuchte Masse,
Soviel ihm nötig war, damit es Nahrung fand.
Kurz, ein Geschlecht starb hin, und ein Geschlecht entstand,
Und niemand fiel es ein, daß außer diesem Fasse
Ein andrer Raum sich denken lasse.
Ein einzig Mücklein zeigte früh
Ein philosophisches Genie,
Erforschte die Natur der Tonne, die Distanzen,
Die Höhen, die Gestalt des Ganzen,
Erriet, bewies, sein Faß, die Erde, sei
Ein vorn und hinten plattes Ei.

Einst, als es, stets erpicht auf Lehre,
Des Fasses Vordergrund durchkroch,
Geriet es an ein kleines Loch,
Den Eingang einer engen Röhre.
Es drängt sich durch den offnen Hahn
Und kommt an seiner Mündung an.
O welch ein Schauspiel für die Mücke!
Der Welten mehr als hundert Stücke,
In welcher schönen Symmetrie!
Wie reine Luft umfließet sie!
Was für ein Glanz strömt von dem prächtigen Sterne
(Des Kellers schmutzige Laterne),
Das ganze Weltall seh' ich hier.
Gesegnet seiest du, Wißbegier!
Du führtest mich, du zeigst mir alles heller. —

Im Fasse steckt das Volk, der Philosoph im Keller.

Der Bauer und der Fuchs

Ein hart gejagter Fuchs kam einst zu einer Hütte,
Vor welcher gleich ein Bauer stand.
Der Lagerholz in Büschel band.
"Gewähre mir aus Mitleid eine Bitte
Verbirg mich, bis die Hunde sich zerstreun,
In deinem Haus!" — Ihn läßt der Bauer ein.
"Auch schwöre mir, auf alle Fragen
Der Jäger, nicht ein Wort von mir zu sagen."
Er schwört. Sie kommen. "Freund, kam nicht ein Fuchs hierher?

Ein Trinkgeld, wenn du weißt, wohin er sich geschlagen!" —
Er schweigt. Wer wird den Meineid wagen?
Doch statt der Worte, weiset er
Mit Fingern und mit Blicken auf die Hütte.
Die Jäger merken nicht darauf,
Und setzen den gehemmten Lauf
Im Walde fort. Kaum sind sie hundert Schritte
Davon, so kriecht mein Fuchs heraus.
Zieht aus, und schweigt. "Infames Tier! mein Haus
Gestatt' ich dir, ich rette dir das Leben,
Und du, so bricht der Bauer aus,
Du fliehest, ohne mir nur einen Dank zu geben."

Der Fuchs zu ihm sich wendend spricht:
"Wahr ist's, die Zunge schwieg; doch was die Jäger nicht
Gesehen, sah doch ich. Dir möcht' ich, falscher Wicht!
Die Augen aus dem Kopfe reißen,
Die Finger von den Händen beißen:
Denn bessern Dank verdienst du nicht."

Der Affe

Ein Affe kam zum ersten Mal
In einen reich geschmückten Saal
Voll Spiegel und gemalter Stücke.
Ein schöner Kopf, mit einer Staatsperücke,
Das Bild von einem General,
Dem Vetter seines Herrn, fällt ihm ins Aug'. Er stutzet:
So war ich neulich aufgeputzet,
Mein Bildnis, ganz gewiß! Sein zweiter Blick
Trifft einen Spiegel. Welche Fratze!
Was für ein Höcker! welche Tatze!
Das ist wohl ein Familienstück.

Der Hirtenjunge

Ein Hirtenjunge saß und sah die Schafe weiden.
"Sieh doch, das liebe, sanfte Vieh!
Ein wenig Gras, so leben sie.
Von ihnen hat kein Tier zu leiden,
Wie von der Wölfe tollen Brut,
Den Wüterichen; die brauchen Lämmerblut.
War es nötig, daß die Erde
Der Ungeheuer Rotte trug?
Warum wies ihnen Gott nicht so wie meiner Herde
Auch Gras zur Nahrung an? Für beide wächst genug."

So denkt er. Plötzlich steht mit höhnischer Gebärde
Ein Genius* vor ihm, berührt ihm Aug' und Ohr.
Als ob von jenem sich ein Flor,
Ein dichtes Fell von diesem zöge,
So scheint's ihm. Schärfer sieht und hört er, als zuvor.
Den kleinsten Halm sieht er von tausend Tierchen rege,
Und ihr Gewinsel steigt nunmehr zu ihm empor:

"Flieht, Kinder, flieht! Die Lämmer kommen.
Zu Millionen schlinget euch
Ihr mörderischer Schlund. O wären sie dem frommen,
Dem sanft gesinnten Wolfe gleich!
Der schadet niemals unserm Stamme.
Ihr Götter! rächt durch ihn uns an dem grassen Lamme!"

*
lat. Bei den Römern Schutzgott jedes einzelnen Menschen,
auch von Orten.
Symbol des Genius ist eine Schlange.

Die Ähren

Bei einer hohen, schlanken Ähre
Stand mit gesenktem Haupt der reifen Schwestern Schar.
Den steifen Wuchs hält jene sich zu Ehre.
"Ein herrliches Verdienst, fürwahr!"
Erwidert die gebückte Schar.
"Dein Hochmut kommt von deiner Leere,
Bescheidenheit von unsrer Schwere."

Das Sahrchen und das Chamäleon

Sahrchen,* das Chamäleon,
Zwei Freunde, sprachen von den Launen.
"Gott sei's gedankt, ich weiß fast nichts davon,
Ich bin mir immer gleich, sprach das Chamäleon." —
"Du immer gleich? Nun das ist zum Erstaunen.
Wie? wirklich glaubst du das von dir?
Und dennoch gibt's, verzeih es mir!
Kein so veränderliches Tier,
Als du." — "Die allgemeine Sage
Schreibt mir den Fehler zu," spricht jener; "doch die Frage
Ist nur, geschieht's mit Recht? Zwar weiß ich wohl, es scheint
Als spränge' ich stets vom Grauen zu dem Braunen,
Zum Gelben, und so fort. Sind dieses meine Launen?
Kommt es von mir? Mitnichten, Freund!
Das kommt von außen her, das kommt von tausend Fällen.
Laß alles um mich her von gleicher Farbe stellen,
Laß mir stets gleiche Luft, und gleiche Wärme zu,
So bin ich stets der nämliche, wie du."
"Mag sein! doch was nun auch für Dinge mich umgeben,
Ich bleibe grau durchs ganze Leben."

*Sahrchen oder kleine Sahrbache, schwarzes Pappelbäumchen.

Jupiter, Apollo, Momus

Apollo sang bei einem Götterfeste,
Sang wunderschön. Ihm klatschten alle Gäste.
Er (wie nun Sänger sind) fängt sich zu rühmen an:
"In dem Olymp, dies müßt ihr alle sagen,
Hat keiner noch es mir zuvor getan."
Vom Götterwein erhitzt fängt drauf Kronion an:
"Wahr ist's, das Gurgeln, Trillerschlagen
Hab' ich noch nie versucht. Für Joven zu gering
Schien mir die leere Kunst Jedoch ein leichtes Ding
Wär' es vermutlich mir; dem Gott der Götter,
Dem Allgewaltigen." Beim Worte nimmt Apoll
Ihn gleich, und Momus ists, der beide richten soll.
Zeus räuspert sich, fangt an, brüllt wie ein Donnerwetter.
Die Damen halten sich die Ohren ängstlich zu:
Er lacht, und brüllet fort. Nein, Zeus! ruft ihm der Spötter,
Laßt diesen singen, donnere du!

Der Löwe und der Fuchs

Zum Redner war der Fuchs bestellt,
Auf seinem Zuge durch die Welt
Des Löwen Majestät in Welschland zu begrüßen,
Herr Reineke, halb Schranze, halb Pedant,
Mit dem Geschmack der Mächtigen bekannt
Ließ Lob und Preis in vollen Strömen fließen.
Er übertrieb so sehr die alte Rednerart,
Die Tugenden ein wenig zu erhöhen,
Die Fehler selbst zu Tugenden zu drehen.
Daß sein Panegyrik* fast zur Satire ward,
Die Lippen beißend steht die Menge
Und den empörten Blick der Erde zugekehrt.
Der Löwe selbst, zuerst nur in der Menge,
Ergrimmet nach und nach, springt endlich auf, und schäumt:
"Die Rede so: Dank sag' ich dir, Geselle!
Wenn alles Wahrheit ist. Doch streust du Lügen ein,
Dann . . . . (Jeder fürchtet schon, er packt ihn bei dem Felle)
Dann .... ja! dann mag dir's Gott verzeihn!

So sehr man auch die Lobgier unterdrücket,
So hört man immer doch den Schmeichler nachsichtsvoll.
Dies ist der Fleck, wo es uns alle jucket,
Und wer ihn kratzt, der tut uns wohl.

*
Panegyrik: Lobrede

Der Specht und der Auerhahn

Der Unerfahrene hält für Sicherheit
Gerade das, was ihm am nächsten dräut.

"Wie ruhig bleibst du hier auf deinem Aste sitzen!"
So sprach der Specht zum jungen Auerhahn.
"Sieh dort den schlecht versteckten Schützen.
Dir ist sein Pfeil bestimmt, er setzt den Bogen an."
"Wie töricht! Weit gefehlt, daß dieser gute Mann
Sein Eisen mir entgegen schickt,
Sieh hin, er zieht es ja zurück."
Die Saite klingt, der Pfeil durchjagt den Auerhahn.

Der junge Hund

Der Morgen graut, der Jäger stößt
Ins krumme Horn, und aufgelöst
Verstreuen sich die waidgerechten Hunde,
Und schnüffeln stumm in dem beschauten Grunde.
Ein junger Hund, der jetzt zum ersten Male nur
Mit ihnen läuft, ahmt ihre Rolle
Geschäftig nach, beriechet jede Scholle.
Umsonst; man findet keine Spur.
Der Lehrling, müde mehr zu schweigen, gibt das Zeichen
Des Fundes, und mit Keichen
Läuft alles hin, und sucht, und findet nichts,
Und lacht des plauderhaften Wichts.
Doch er beharrt im eitlen Bellen.
Der Jäger kommt, packt den Gesellen,
Und gerbt ihn wacker durch, und spricht:
"Da! merke dir: wenn zu erfahrnen Alten
Ein junger Tölpel kommt, so ist es seine Pflicht
Zum wenigsten das Maul zu halten."

Der Bauer und der Esel

Mit seinem schwer beladnen Esel kam
Ein Bauer aus der Stadt, und nahm
Den Weg zurück nach seiner Hütte.
Bei langer Weile, sachtem Schritte,
Sann er der kleinen Wirtschaft nach,
Was er nunmehr gekauft und was ihm noch gebracht.
"Mein alter Schornstein stehet schräge
Ich brauche Ziegel ihn zu bau'n;
Auch Holz muß ich mir morgen hau'n."

Von ungefähr erblickt er hart am Wege,
Wo sonst ein kleines Höfchen stand,
Nun einen leeren Baum. Das Haus war abgebrannt.
Im Schutte sieht er noch berauchte Ziegel liegen.
"Ha! Niemand will sie mehr? Noch taugen sie für mich.
Ein Dutzend Ziegel lassen sich
Noch wohl zur Last des Esels fügen."
Nach beiden Seiten gleich verteilt er sie.
Der Zuwachs biegt des Esels Knie;
Doch seine Kräfte rafft das gute Vieh
Zusammen, stellt sich fest, versucht's, und trippelt weiter.

Verschiedne hingestreute Scheiter
Erblickt nun Hans im gehn, die kurz zuvor
Von seinem Wagen Holz ein andrer Hans verlor.
"Ja! noch ein guter Fund! So weniger zu hauen!"
Auch diese wirft er auf den Grauen,
Der jedes Mal, wenn er ein neues Scheit empfängt
Erzittert, knickt, den Kopf noch tiefer senkt.
Kaum kriecht er, kaum genügen Bein' und Rücken
Der Überlast. Gleich stand die Sonne hoch.
Hans zieht den Kittel aus: "Auch diesen trage noch!
Der wird dich nicht danieder drücken."
Gefehlt! Der Esel kann nicht mehr,
Er fällt. Der Bauer faßt den Knittel ihn zu schlagen:
"Wie, Fauler! Holz und Steine kannst du tragen,
Und findest nun den Rock zu schwer?" —
"Wie ungerecht!" versetzt das Tier. Bedenke, Lieber!
Ein volles Faß lauft auch durch Einen Tropfen über."

Lips

Vom Knecht erhob sich Lips, der Schustersohn,
Durch Glück und Kniffe zum Baron.
Jetzt bläht er sich im reichen Kabinette,
Und windet sich im seidnen Bette,
Übt Strenge, wie man sie einst gegen ihn geübt,
Freigebigkeit nur dann, wenn sie zu reden gibt.
Aus Mode hielt er auch Mätressen.
Einst, als er gleich beim Spiel verlor,
Ward des Verspruches Zeit vergessen.
Doch jetzt besinnt er sich, fährt von dem Stuhl empor,
Und ruft: "Geschwind! fahrt mit dem Wagen vor!"
Man läßt es sich nicht zweimal sagen.
Er eilt zerstreut hinab. Schon jagt im vollen Lauf
Der Schimmel Zug daher; man öffnet ihm den Wagen
Und der Baron — steigt hinten auf.

Die zwei Bäche

Zwei Bäche, Kinder einer Quelle,
Nachdem sie lange brüderlich
Fast Hand in Hand geflossen, teilten sich
Und wählten jeder seine Stelle.

Der Ältre sprach: "Das Tal dort unten reizet mich."
Mit langer Mühe drängt er sich
Hindurch. Bald muß er Wurzeln unterwühlen,
Bald Kiesel aus dem Wege spülen.
Beharrlichkeit siegt endlich, und er fließt
In seinem rauen zwar, doch ganz bequemen Bette,
In welchem ihm der frohe Bauer grüßt.
Der Äcker und der Wiesen lange Kette
Beschleimet er, der Bäume Zucht
Treibt er empor, verdoppelt ihre Frucht,
Stößt hier der Mühle Rad, wird dort zum Fischerteiche,
Schafft Überfluß umher im ganzen kleinen Reiche.

Ein stolzer Garten nimmt den jüngern Bruder auf.
Der Herr begegnet ihm mit fröhlichem Empfange:
"Solch einen Gast wünscht' ich mir lange." -
Kanäle nach der Schnur und in gemessnem Hange
Gräbt man für ihm. Zwar kurze Zeit
Muß er in engen Röhren fließen;
Doch um zuletzt mit größrer Herrlichkeit
Aus einem Marmorberg emporzuschießen.

Von seiner Höhe blickt' er einst voll Übermut
Hinab ins Tal: "Sieh, was aus mir geworden!
O Bruder, hörest du das Rauschen meiner Flut?
Nur Höflinge mit Schlüsseln und mit Orden
Läßt man zu mir. Auch diese bleiben stehn,
Mich mit Bewunderung anzusehn."

"Oh, glaube nicht, daß ich dich drum beneide,"
Spricht jener. "Zwang und Pracht ergötzen dich,
Natur und Freiheit bringt mir größre Freude.
Dich staunt der Höfling an, der Landmann segnet mich."

Die Almosen

Zwei Briten wollten einst im Stillen
Ein Christliches Gelübd' erfüllen,
Das sie in einem Sturm getan.
Sie wollten jeder zwanzig Pfunde
Der Armut weihn. Sie setzen Tag und Stunde
Zum Liebeswerk und zur Berechnung an.
Der Eine nimmt die zwanzig Pfunde
In Golde zu sich; dem gefällt
Zu seinem Zwecke kleinres Geld.

Sie gehen aus nach Armen, Kranken, Krüppeln.
(So sieht man selten in der Welt
Die Leute durch die Straßen trippeln.)
Der Abend kommt, und beide stellen sich
In einem Gasthof ein. Nun, mein Geschäft hab' ich
Geendigt. Hier ist mein Register:
"Drei Kronen gab ich an den Küster
Der Pfarre zum verteilen, dort
Drei Schillinge, hier sieben, und so fort.
Summa Summarum: zwanzig Pfunde."

Der Andre hört ihn ernsthaft an.
"Ich," spricht er, "habe nichts getan,
Und trage noch zu dieser Stunde
Die Summe ganz bei mir. Nach einem andern Grunde
Verfuhr ich. Einem nur allein
Wollt' ich durch eine tücht'ge Gabe
Auf lange Zeit behilflich sein
Doch einem Würd'gen, den ich nicht gefunden habe." —
"Für einen Dienst von solcher Wichtigkeit,"
Erwidert ihm sein Freund, "zeigt die Gelegenheit
Sich selten nur. Laß uns für mindre Gaben
Stets kleines Geld im Beutel haben!"

Die Regel paßt nicht auf das Geld allein.
Durch eine große Tat sich würdig zu erheben.
Ist seltnes Glück; im Kleinen gut sein,
Kann täglich sich der Fall begeben.

Die Wünsche des Esels

Ein junger Esel sollte nun
Bei einem Gärtner Dienste tun.
Es war im Mai. Der frühen Blumen Herde
Packt man, in Töpfen, mit der Erde,
Ihm täglich auf und treibet ihn
Damit zum nahen Städtchen hin.
"Das schwere Zeug! Wer mag doch Lenz und Blumen lieben!
O Sommer komme bald!" – Er kommt, die Ruhe nicht.
Man gibt dem Grauen Kohl, Salat und Rüben
Zu schleppen: schwerer, da die Sonne heißer sticht.
"Geduld! der Herbst macht dieser Qual ein Ende." –
"Ihr Knechte!" ruft im Herbst der Gärtner, "regt die Hände!
Das Obst den Bäumen abgepflückt
Und tüchtige Lasten nach der Stadt geschickt!"
"Ein neues Kreuz! doch in den Wintertagen
Gibt mir gewiß die Erde nichts zu tragen.
O Winter, eil herbei!" – Der Winter schleicht heran:
Dem Knechte wird nun anbefohlen,
Zweimal im Tage Mist zu holen.
"Nun Mist? und zweimal gar? O Lenz, komm bald heran!"

Der Knabe wünschet sich zum Jüngling, der zum Mann;
Der Alte finge gern beim Knaben wieder an.

Der Riese und der Zwerg

Auf seinen Schultern trug ein Riese
Ein Zwerglein. Dieses sprach: "Am Rande jener Wiese
Siehst du das Türmchen?" – "Nein," erwidert ihm der Riese.
>Das glaub ich<, denkt der Zwerg. >Ich, der ich höher bin,
Ich sehe freilich weiter hin.<

So reiten wir die lieben Alten,
Sie, gegen die wir uns für große Geister halten.

Der Eichhase und der Hund

Aus seinem Wald' in einen Bauer
Verpflanzet, ward an einer Küchenmauer
Ein Eichhase* aufgehenkt, der sein beweglich Rad
Den ganzen langen Tag bald vor- bald rückwärts trat.
Ein müder Hühnerhund schleicht einst sich in die Küche;
Er bettet sich beim Rest der Glut,
Er dehnt sich aus, er rundet sich, und ruht.
"Der Tagedieb! wenn ich ihm gliche, wer triebe dann die Walze hier?"
Ruft jener aus. "Sieh her, und folge mir!" —
"Warum sollt' ich der Ruhe nicht genießen?"
Versetzt der Hund "Auch sie hat ihre Zeit,
So wie der Fleiß: und den laß ich mir nicht verdrießen,
So bald er nützen kann. Sechs Hühner bracht' ich heut;
Doch du mit deinen hurt'gen Füßen
Treibst müßige Geschäftigkeit."

*
Der Eichhase ist ein eßbarer Pilz.

Die zwei Frösche

Zwei Bürger einer Pfütze,
Zwei Frösche, durch die Hitze
Aus ihrem trocknen Sumpf verbannt,
Durchhüpften Wald und Land,
Und suchten neue Sitze,
Der eine kam an eines Brunnens Rand,
Und sah das Naß im Grunde.
"O der beglückten Stunde!"
Rief er. "Wie kühl und rein
Mag dieses Wasser sein!
Komm, Lieber, springe mit hinein!"

"Tor!" sagte sein Gefährte,
"Halt ein! Bedenke doch:
Wenn nun die Sonne noch
Auch diese Flut verzehrte,
Wie kämst du wieder aus dem Loch?"

Die zwei Drosseln

Es war ein Mißwuchs in den Feigen.
Zwei Drosseln fühlten sich durch Hungersnot
Die Eine fast gelähmt, die Andre kaum nicht tot.
"O Schwester! willst du mir den letzten Dienst erzeigeigen?"
So spricht die Sterbende: "nimm deine Kräfte doch
Zusammen, vielleicht findest du noch ein paar verborgne Feigen;
Nur einen Schnabel voll. Wer weiß,
Es rettet mich. Doch Schwester, nur geschwinde!"
Die Schwester macht sich auf, verspricht ihr allen Fleiß
"Und wenn ich auch nur Eine finde,
Dein soll sie sein. Mißlinget mir
Der Flug, so kehr' ich um und sterbe neben dir."

Sie strengt die Flügel an, schwebt wankend hin und wieder,
Und läßt sich nun in einem Garten nieder.
Das Treibhaus stehet aufgedeckt;
Ein Baum, der voller Feigen steckt,
Fallt ihr so gleich ins Auge. Glück zum Funde!
Hier ist genug für Kranke, für Gesunde.
Sie flieget hin und pickt und pickt,
Bis sie vor Fülle fast erstickt.
Zur Schwester nun!— Doch schwer bin ich. Die Abendstunde
Ist da. Wer flieget gern bei Nacht?
Ich bleibe hier, so kann ich morgen
Mich für den Tag mit Speise gleich versorgen,
Und bring' ihr, ehe sie erwacht,
Ein reiches Mahl hin, eine Göttertracht.

Sie schläft auf dem bequemsten Zweige
Mit vollem Bauch den tiefsten, längsten Schlaf,
Und wacht nicht eher auf, als bis das laute Schaf
Schon auf der Wiese blökt. Geschwind noch eine Feige
Für mich, und diese dann dem Schwesterchen. Sie fliegt
Nun rascher: doch die Schwester liegt
Schon rücklings mit gekrümmter Klaue,
Und schickt den kleinen Geist ins Blaue.

So ist's! am meisten zaudert man,
Wenn man am schnellsten helfen kann.

Apollo und Merkur

Apoll und Majens Sohn, aus dem Olymp verjagt,
Vom Hunger und vom Durst geplagt.
Mit leerer Hand, und doch dem Bauerkittel,
Der Schaufel gram, ersannen sich ein Mittel
Zum Unterhalt das nötige Geld
Mit leichtrer Mühe zu verdienen.

In einem Städtchen wird ein Schauplatz aufgestellt.
Auf der Trompete Ruf versammelt sich vor ihnen
Ein dichter Schwarm. Ihr Herren! ruft Apoll,
Nach Art der Welschen Bänkelschreier,
Seht ihr dies Elixier? Ein Fläschchen voll.
Wer Gold dagegen wägt, der kauft es nicht zu teuer
Heut geb' ich es für einen Dreier.
Fragt einer nun, was denn des Wassers Tugend ist?
Antwort: Nach Stands Gebühr geehrte Herren, wißt,
Wenn jemand noch so dumm, so albern ist,
Und ich vor ihm das Fläschchen nur entpfropfe,
So fliegt der Witz ihm nach dem Kopfe,
So wird er ein Poet, ein Staatsmann, ein Sophist,
Was ihm alsdann am liebsten ist.

Apollo sieht und harrt mit seiner Flasche.
Kein Bürger greifet nach der Tasche,
Kein Tüchlein fliegt herbei. Nun tritt Merkur hervor,
Und spricht: Vergebt! mein Kamerad, der Tor,
Misskante ganz die Köpfe dieses Landes.
Bedarf wohl jemand hier Verstandes?
Er läuft euch auf den Straßen nach.
Doch hier, mein Pülverchen wird euch viel besser nützen.
Personen, welche Geist besitzen,
Sind meistens am Gedächtnis schwach.
Das Pulver stärket euch die Nerven
Des Hirnes. Eine Priese kann
Das stumpfeste Gedächtnis wieder schärfen.
Die Dose schlag' ich nur zu einem Groschen an.

Jetzt fliegen Tücher her, und Geld von allen Enden;
Man reißet sich, die Büchsen aus den Händen.
Merkur schiebt sich die Taschen voll,
Und seiner Gnade lebt Apoll.

Die drei Wanderer

Aus einem dicken Walde fanden
Drei Wandrer keinen Weg. Sie standen
Und hielten Rat. Zur rechten müssen wir
Uns drehn. — Zur linken, sag' ich dir. —
Nicht doch, ihr Herrn! da kommet ihr
Gott weiß wohin. Nach allen Seiten
Laßt es uns versuchen. Eine muß
Uns endlich doch an einen Fluß,
Auf einen Weg, zu einem Weiser leiten.
Doch wie es meistenteils in solchen Fällen geht,
Des andern Rat verwirft ein jeder, und besteht
Auf seinem. In verschiedner Richtung geht
Das erste Paar davon; doch jeder seinen Gründen
Getreu, verfolgt den Weg gerade fort. Zuletzt
Gelingt es beiden, sich dem Walde zu entwinden.
Der Dritte, der sich klüger schätzt,
Läuft hin und her nach allen Winden,
Bald vorwärts, bald zurück. Geduld! ich finde doch
Zuletzt den rechten Weg. Er sucht, und suchet noch.

Du zweifelst zwischen zwei Methoden? halt an Eine
Dich fest; sie führet dich stets sicherer als keine.

Der Fuchs und das Stachelschwein

Einst rühmte sich der Fuchs beim Stachelschwein:
Erfinderisch bin ich, und weiß gleich hundert Wege
Mich von den Feinden zu befrein;
Du aber scheinst mir an Geiste stumpf and träge,
Zum Schutze brauchest du den Stachel stets allein!

Hier hören sie den Laut der Hunde.
Der Fuchs entläuft. Das Stachelschwein
Ballt sich, bewaffnet sich, liegt ruhig auf dem Grunde.
Puss bellt es an, laßt ab, und rennt dem Fuchse nach.
Den sieht der Igel jetzt durch Feld und Büsche fliegen,
Durch Schläge die Verfolger trügen.
Allein zuletzt, erschöpft und schwach,
Fällt er. Der Jäger Schar eilt auf ihn zu mit Knitteln.

Was hast du nun von deinen hundert Mitteln?
Ruft jener. Sie verraten dich.
Mein einziges, doch sichres rettet mich.