Fabelverzeichnis

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Gottlieb Konrad Pfeffel

geb. 28. 06. 1736 in Colmar
gest. 01. 05. 1809 ebd.

Er war ein deutscher Schriftsteller, Kriegswissenschaftler und Pädagoge aus dem Elsass.
Gottlieb Konrad Pfeffels Namen trägt in Colmar eine Schule,
das Collège Pfeffel.


Quelle der Fabeln:

Gottlieb Conrad Pfeffel/Fabeln und poetische Erzählungen/
mit Erläuterungen.
Erster Band/Stuttgart und Tübingen 1861


 
Buch 1
Fabeln 1
 
Die Klugheit
Die zwei Füchse
Der Schmetterling und der Rabe
Das Pferd und das Füllen
Der Geier und der Rabe
Der kranke Löwe
Der Pavian und der Pudel
Der Kater
Die zwei Hunde
Der Wolf und der Löwe
Mikromegas

Der Fischer und der Delphin
Der Affe am Hofe
Der Adler und der Papagei
Der Fuchs und das Eichhorn
Der Retter
Der Ochs und der Esel
Der Reformator
Die Nachtigall und der Star
Der geflügelte Fisch

 

Die Klugheit

Durch eines Fischers List berückt,
Ward in sein Garn ein junger Hecht verstrickt.
Das Sprichwort sagt: die Not bricht Eisen.
Der Kriegsgefangne nagt so lang,
Bis daß es ihm zuletzt gelang,
Sich aus den Banden loszureißen.
Jetzt, sprach er bei sich selbst: Ei, ei
Ich dacht es nicht, bei meiner Ehre,
Daß hier ein Netz verborgen wäre.
Je nun, ich bin ja wieder frei,
Kein Henker soll zum zweiten Mal mich kriegen.
Doch still, was seh ich dort vor jenem Boot
Im Wasser hin und wieder fliegen?
Beim Element, ein fetter Bissen Brot!
Er schnappt ihn auf und läßt, dem Netze kaum entgangen,
Sich nun durch einen Hamen* fangen.

*
Kescher

Die zwei Füchse

Zwei Füchse brachen einem Pächter
Zur Nachtzeit in sein Hühnerhaus
Und übten Mord und Todschlag aus.
Ein stolzer Hahn, des Hofes Wächter
Der Hennen Abgott, fiel im Straus
Als Held für seine Sultaninnen,
Und kurz, es konnte nichts entrinnen,
Was Federn auf dem Leibe trug.
Den Dieben frommt kein langes Weilen,
Sie sagten: laßt den Raub uns teilen.
Raps war schon alt und folglich klug.
Er sprach zum jüngern Spießgesellen:
"Mein Sohn, ich weiß aus tausend Fällen,
Wie nötig man zu sparen hat
Ist heut mein Magen noch so satt,
So will er Morgen doch was haben.
Auch ist der Winter vor der Tür,
Darum Herr Neffe glaube mir,
Laß uns den reichen Schatz vergraben,
Um lang uns noch damit zu laben."

Der junge Rips, ein lockrer Wicht
Versetzte mit ersticktem Lachen:
"Ich danke für den Unterricht
Und will ihn mir zu Nutze machen."
Hier fiel er auf den Proviant
Und schob ein Hühnchen in den Rachen.
Ein zweites ward ihm nachgesandt
Und mit dem Spiele fortgefahren,
Bis alle, trotz der Homilie*
Des Oheims, rein verzehret waren.
Nun suchte Rips mit saurer Müh
Sich von der Tafel zu erheben,
Allein auf einmal wird ihm schwach
Sein Atem stockt, die Knie beben.
Er wälzt sich, seufzet Weh und Ach
Und sucht den Fraß zurück zu geben.

Der Oheim fuhr dem armen Gauch
Mit einer Feder in die Kehle.
Allein umsonst, der volle Bauch
Zerbarst. Zeus helfe seiner Seele
Sprach Raps und schickte sich nun auch
Zum Siegesmahl. Er nagt die Flügel
Des Hahns in kleinen Bissen ab,
Höhlt für den Rest des Raubs ein Grab
Und überdeckt mit Moos den Hügel.
Nun schlendert er in kurzem Trab
Nach Haus, und überschlägt im Gehen
Wie weit der Vorrat reichen mag.
Er rastet nicht, kaum graut der Tag,
So eilt er nach dem Schatz zu sehen.
Allein der Pächter, ein Pandur
Der nur zu früh den Raub erfuhr,
Ließ heimlich auf den Gaudieb lauern.
Auch war er kaum dem Hügel nah,
So stund ein Regiment von Bauern
Mit ungeheuren Prügeln da.
Und um den Ausgang kurz zu sagen,
Raps ward auf seinem Schatz erschlagen.

Kein Alter ist von Lastern frei.
Der Jüngling frönt der Schwelgerei,
Der Greis ist seiner Taler Sklave
Und beide sind sich selbst zur Strafe.

*
Predigt

Der Schmetterling und der Rabe

Kaum hatte Florens Zauberring
Der Tellus* kalten Schoß berühret
Und ihn mit Blumen ausgezieret,
So schwang ein junger Schmetterling
Die blaugezackten Silberflügel
Und flog, von süßer Lust berauscht,
Sogleich auf Paphos Myrthenhügel,
Wo Amor unter Rosen lauscht.
Hier sah ihn ein gelehrter Rabe,
Der in betrachtungsvoller Ruh
Zehn Jahre schon in einem Grabe
Sein Wesen trieb, und rief dazu:

Der Rabe

Um ein paar Wochen nur zu leben,
Sprich! ist es wohl der Mühe wert,
Auf buntem Rand umher zu schweben,
Den, so wie dich, ein Tag zerstört?
Ja, hätte Clothen zehn Dekaden
Und mehr an deinem Lebensfaden
Wie an den meinen angereiht;
So wären deine Gaukeleien,
So wäre deine Sicherheit
Dir eher zu verzeihen

Der Schmetterling

Ich tue, was mein Trieb mich lehrt,
Und wette diese Purpurnelke,
Mein Glück ist wohl das deine wert.
Wahr ist, daß ich mit ihr verwelke.
Allein, so lange weit und breit
Bekannt ist, daß die Herren Raben
Mit Leichen ihren Gaumen laben,
Reizt keiner meinen Neid.

Der Rabe

Wohlan, so lauf in dein Verderben,
Betrogner Sklav der Eitelkeit.
Da deine ganze Lebenszeit
Nichts ist als kurze Frist zum Sterben.
So folgt, daß du ein Narr sein mußt,
Im Taumel schnöder Sinnenlust
Auf Amaranthen und Narzissen
Sie sorglos zu verküssen.

Der Schmetterling

Nun, nun, Herr Doktor, schönen Dank,
Für deine süßen Sittenlehren.
Fahr wohl, ich liebe keinen Zank,
Und in der Tat, du wirst mich nicht bekehren.
Du lebest lang, ich lebe schön;
Allein auch du wirst einst vergehn.
Dann ist es gleich, ob mir nur Stunden,
Ob Menschenalter dir verschwunden.

Wer ohne Vorwurf und Verzug
Die Freuden dieses Lebens brauchet,
Und wenn er's morgen von sich hauchet,
So stirbt er alt genug.

*
lat. die Erde-Erdboden

Das Pferd und das Füllen

Ein edler britischer Wallach,
Der auf dem Eis ein Bein zerbrach,
Kroch martervoll nach seinem Stalle,
In dem ein rundes Füllen fraß.
"Ei, guter Oheim, was ist das,"
Rief es, "wie kamst du denn zu Falle?
So rasch ich bin, so ist doch mir,
Gott Lob, der Fuß noch nie geglitten."
"Ganz wohl," versetzt das arme Tier,
"Allein du liefst noch nie im Schlitten."

So Freund, ist oft die Heiligkeit,
Womit sich kleine Seelen blähen,
Bloß Mangel an Gelegenheit
Die Fehler andrer zu begehen.

Der Geier und der Rabe

Der Hain des Gottes in Delphi war
Die Wohnung eines alten Raben,
Dem Elster, Kauz und selbst der Star
Das stolze Lob der Weisheit gaben.

Einst fragt ihn seiner Enkel Schar,
Was doch der Vogel Phönix wäre?
Ein Unding, Kinder, eine Mähre,
Vom Aberglauben ausgeheckt,
War der Bescheid. "Gerechte Götter,
Kein Phönix? Ha, verruchter Spötter!"
Rief hier ein Geier, der versteckt
Dem Patriarchen aufgepasset.
"Mich nimmt nur wunder, daß Apoll,
Der doch gewiß die Ketzer hasset,
In seinem Hain sie dulden soll.
Doch ich will seine Schande rächen
Und dieser Brut die Hälse brechen."

Er tut's und ist der erste nicht,
Der, eigne Leidenschaft zu stillen,
Dem Redlichen, um Gottes Willen,
Den Mordstahl in den Busen sticht.

Der kranke Löwe

Der Tiere Großsultan lag auf dem Krankenbette;
Er war vom Kopf bis auf den Schwanz
So dürr als Bruder Hein im Basler Totentanz.
Da war kein Vieh, das ihm nicht was geraten hätte.
Der Schwindsucht sichre Kur, die ein Franzos erfand,
Die Kur im Ochsenstall, war damals unbekannt.
"Die Gerste," sprach das Pferd, "ist trefflich für die Lunge,
Sie kühlet das Geblüt und reiniget die Zunge."

"Nicht doch," versetzt der Bär, "der wilde Honigseim
Ist Balsam für die Brust und löst den zähen Schleim."
"Freund," rief der weise Wolf, "ich wette hundert Kronen,
Mein sympathetisches Arkan
Erhält den Preis: Neun frische Ziegenbohnen
Im Vollmond angehängt ziehen alle Seuchen an."
"Pfui," sprach der Leopard, "man möchte flugs purgieren
Der Henker brauche diesen Quark:
Ich lobe mir das Menschenmark
Um einen Fürsten zu kurieren.
Ein Pfund des Tags in Tränen aufgelöst
Hilft ganz gewiß, probatum est."
"Dies, Vetter, will ich gleich probieren,"
Versetzt der Patient, "dein Rat ist Goldes wert:
Ich selber habe längst gehört,
Daß viele große Herrn auf Erden
Durch dieses Mittel fett als wie junge Dachse werden."

Der Pavian und der Pudel

Ein großer finstrer Pavian,
Der in ein Kloster sich entfernet,
Wo er dem Pater Guardian
Die Kasuistik abgelernet,
Kam mit dem Pudel Tamerlan
Vom Terminieren einst zurücke
Und traf auf einer großen Brücke
Ein Dutzend wilder Knaben an.
Sie stellten mit behendem Fuße
Sich frech auf das Geländer hin
Und flugs lag einer in dem Flusse.
Er schreit, er winkt, umsonst, — sie fliehn.
"Hier ist ein seltner Streit von Pflichten,"
Sprach der gelehrte Pavian,
"Wär ich beim Pater Guardian,
Ich wüßte gleich den Fall zu schlichten.
Soll ich des Knaben Retter sein?
Ja freilich spricht die Menschenliebe
Doch wie, wenn ich im Wasser bliebe?
Nein, ruft die Selbsterhaltung, Nein!"
"O, wehe dem," versetzt der Pudel,
"Der Schulwitz und Gewissensrat
Zu guten Taten nötig hat,"
Und riß den Knaben aus dem Strudel.

Sei stolz, o Freund, auf dein empfindsam Herz
Ist es gleich oft gefährlich für die Jugend,
So schmelzt es auch bei unsrer Brüder Schmerz.
Empfindsamkeit ist das Genie der Tugend.

Der Kater

Ein Kater sah bei einem Schmaus
Die goldgefüllten Römer blinken;
Er sah die Gäste wacker trinken
Und rief in vollem Eifer aus:
"O Himmel, welch ein toller Haufen!
Wie schändlich ist es, Wein zu saufen,
Uns Katzen ekelt vor dem Wein.
Nur bei den Menschen gibt es Prasser;
Wir löschen unsern Durst mit Wasser,
Oh, lernt von Katzen weise sein!"
"Herr Murner, nur nicht so vermessen,"
Rief ihm ein Gast mit Lachen zu:
"Ich bin so tugendhaft als du,
Denn ich kann keine Mäuse fressen."

Freund, der aus Wahl die Tugend liebt,
Ist der wohl tugendhaft zu nennen,
Der sich den Lastern nicht ergibt,
Die seiner Lust nicht schmeicheln können?

Die zwei Hunde

Ein Pudel und eine Dogge kamen
Auf ihrem Weg von ungefähr zusammen.
Nachdem man sich, wie es gewöhnlich ist,
Erst fein berochen und geküßt,
So fing man an sich allerhand zu sagen.
Der Pudel ein Genie, sprach im Posaunenton
Von seiner eigenen Person;
"Dies ist der Modestil in unsern Tagen.
Herr Vetter," fing er lächelnd an,
"Sie sollten mich nur einmal sehen,
Was ich für Schwänke machen kann
Es ist ein Spiel für mich auf einem Seil zu gehen
Und wie ein steifer Flügelmann
Mit einem Spieß im Schilderhaus zu stehen.
Ich tanze, besser tanzt der große Vestris nicht.
Ich lasse mich zu Tode schießen
Und bin flugs wieder auf den Füßen,
Wenn man ein Wort vom Henker spricht.
Noch mehr, ich kann mit unerhörten Sprüngen,
Bald über einen Stock, bald durch den Reif mich schwingen
Und . . . gähnen Sie?" Hier brach der Redner ab.
Die Dogge sprach: "Soll ich mich auch erheben?
Ich schütze meinem Herrn das Leben
Und gehe mit ihm bis ins Grab."

Der Wolf und der Löwe

Aus eines Sultans Park entkam
Ein Löwe, der mit raschem Schritte,
Voll edlen Trotzes wie ein Brite
Den Weg nach einer Wildnis nahm.
Ihn lud ein Wolf in seine Höhle
Auf einen fetten Hammel ein,
Und rief bei Tische: "Freund erzähle,
Wie lebt man in des Fürsten Hain?" —
"Man wird," sprach er, "mit Fleisch gefüttert,
Man schläft auf einer Streu von Moos,
Der Wald ist tausend Ruten groß,
Allein mit starkem Erz vergittert."
"Wie glücklich, Vetter, war dein Los!"
Versetzt der Wolf; "bei meinem Leben
Will man ein Schaf mir täglich geben,
So sperre man mich in den Hain
Des Sultans diese Nacht noch ein."
Der Gast fuhr auf und rief entrüstet:
"Den pisse Has' und Esel an,
Der die Despoten fliehen kann
Und sich mit ihren Fesseln brüstet!"

Mikromegas

Ein Midas war so winzig klein
Als keiner in dem Heer der Affen,
Die Jupiter zum Scherz geschaffen,
Und doch vor Sehnsucht, groß zu sein,
Schon oft bald aus der Haut gesprungen.
Nichts ließ er unversucht, allein
Noch war kein Mittel ihm gelungen;
Das beste fiel zuletzt ihm ein.
Er machte sich von Bambusrohre
Zwei Stelzen, und mit keckem Schritt
Erschien der lose Schelm damit
In der erstaunten Brüder Chore.
Ein jeder ruft, so laut er kann:
"Betrachtet doch den großen Mann!" —
"Geduld! ihr habt noch nichts gesehen;
Bald soll ein Titan vor euch stehen,"
Versetzt er, klimmt auf einen Berg
Und scheint nun was er war — ein Zwerg.


Der Fischer und der Delphin

Ein Fischer fuhr an einen Felsen an.
Auf einmal barst sein kleiner Kahn
Und splitterte wie sprödes Glas in Stücken.
Er war dem bangsten Tode nah,
Als ihn ein frommer Delphin sah.
Er schwamm herbei, er lud ihn auf den Rücken
Und trug ihn glücklich an den Strand.
Schnell zog der Fischer ihn ans Land
Und sprach mit gnadenreichen Blicken:
Dein Schicksal ist in meiner Hand;
Doch zum Beweis, daß auch wir Menschen edel denken,
So will ich dir das Leben schenken.

Der Affe am Hofe

Ein Affe machte so viel Streiche,
So manche feine Schelmerei,
Daß in dem ganzen Königreiche
Sein Ruhm erscholl und selbst der Leu,
Ein Freund der Künste, zween Emiren
Befahl, ihn auf die Burg zu führen.

Der Großherr wollte fast zerplatzen,
Als unser Gaukler vor ihn trat;
Durch tausend Schwänke, tausend Fratzen
Erhielt er gleich den Rang als Rat;
Und bald hernach durch Brief und Siegel
Den Titel: Ritter Eulenspiegel.

Im Anfang trafen seine Possen
Den Schöps, den Esel und das Rind,
Ein Kleeblatt, dem des Spötters Glossen
Von Alters her gewidmet sind.
Allein sie schwiegen oder machten
Gar Chorus mit, wenn andre lachten.

Der Beifall, der ihn warnen sollte,
Des Königs Gunst berauschten ihn,
Indem er mehr noch glänzen wollte,
Vergaß sich unser Harlekin
Und übte seine Neckereien
Am Tiger, Wolf und andern Beyen.

Nach einer Zeit von sieben Tagen
War Meister Affe so beherzt,
Sich an den Leuten selbst zu wagen,
Und nun war seine Gunst verscherzt.
Die Majestät, anstatt zu lachen,
Befahl, ihm den Prozeß zu machen.

Bei Niedern, die dem Spotte weichen,
Ist er verblümte Tyrannei;
Bei denen, die an Stand sich gleichen,
Ist er ein Quell der Zänkerei:
Bei Großen ist er ein Verbrechen,
Das sie mit ihren Blitzen rächen.

Der Adler und der Papagei

Ein naseweiser Papagei
Aus unsern aufgeklärten Zeiten,
Da stolzer Wahn und Spötterei
Pygmäisch das Verdienst bestreiten,
Sah einen Adler, den sein Flug
Aus dem Revier der Sonne trug,
Auf einem Baum sich niederlassen,
Und kriegte Lust mit ihm zu spaßen.
Er flattert auf den Weisen zu,
Der die gesenkte Stirne kühlte
Und in dem Heiligtum der Ruh
Die Wonne seines Daseins fühlte.
"Herr Vetter," sprach der Papagei,
"Mich dünkt die Zeiten sind vorbei,
Da man dich als Monarch verehrte;
Die Zeiten, da des Dichters Witz
Dich mit dem schreckenvollen Blitz
Des wilden Donnergottes bewehrte;
Und gleichwohl bist du schlau genug,
Noch jetzt den Pöbel zu betören,
Und lenkest deinen stolzen Flug
Nach mystischen, erhabnen Sphären,
Als wäre es, wie der Gimpel glaubt
Nur deiner Majestät erlaubt
Auf des Olymps lazurnen Hügeln
Sich in dem Quell des Lichts zu spiegeln."

Der lose Vogel schweigt und lacht,
So wie es jeder Spötter macht,
Wenn sein bescheidner Gegner gähnet.
"Dem Adler ist es einerlei,"
Sprach jener, "was ein Papagei
Und was ein Gimpel von ihm wähnet.
Sein Wesen sagt ihm was er ist;
Der kühne Geist, der ihn belebet,
Das Auge, das die Sonne grüßt,
Sobald es nur die Wimper hebet,
Der ehrne Fittich, den er trägt,
Der kaum bekielt die Hüfte schlägt,
Um aus dem Nest sich aufzuraffen,
Verkündigt ihm das stolze Glück,
Er sei vom gütigen Geschick
Zum Bürger des Olymps erschaffen."


Der Fuchs und das Eichhorn

Der Attila für Huhn und Hähne,
Herr Fuchs, war alt und wohlbetagt:
Er kam um alle seine Zähne
Und ward vom Podagra geplagt.
Das alte deutsche Sprichwort sagt:
Der allerärgste Schelm auf Erden
Muß noch zuletzt ein Mucker werden.
Warum? Ist hier die Frage nicht;

Genug der alte Bösewicht,
Begann seine Räubereien,
Durch Seufzen, Fasten und Kasteien,
Vor allen Tieren zu bereuen.
Mit tränenvollem Angesicht
Trat er nach den zermalmten Knochen
Von einem jungen Auerhahn,
Dem er nur erst vor wenig Wochen
Mit schlauer Wut den Hals gebrochen,
Voll Andacht eine Wallfahrt an.
Er wählte sich die rauhsten Stege,
Die man im Wald nur finden kann

Und traf auf seinem weiten Wege
Ein junges rasches Eichhorn an.
Er sah es mit vergnügten Sprüngen
Sich auf die höchsten Wipfel schwingen,
Und schnell erhebt sich in der Brust
Des Büßers eine fromme Lust,
Sich an dem Tänzer zu erbauen
Und ihn von nahem zu beschauen.
"Sei mir gegrüßet, lieber Sohn,"
So sprach er in gebrochnem Ton:
"Ich sehe mit vergnügtem Herzen
Dich so beglückt, so sorgenfrei
Des Lebens Gram vorüber scherzen.
Doch ich gestehe dir dabei,
Daß ich auf meinen Pilgerzügen
An der entfernten Wolga Strand
Vorlängst ein weißes Eichhorn fand
Das in der seltnen Kunst zu fliegen,
Es dir noch weit zuvor getan."

Der Vorwurf kränkte Mäzchens Ehre.
"Ich dächte," hub er höhnisch an,
"Daß ich kein Klotz im Springen wäre."
"Oh," sprach der Alte, "glaube mir,
Du kannst mit jenem Wundertier
Auf keine Weise dich vergleichen.
Es drückte fest die Augen zu
Und konnte doch so flink wie du,
Die Wipfel tausendjähriger Eichen
Mit einem sichern Flug durchstreichen."
"Ha," sprach das Eichhorn, "blöder Greis,
Das kann ich auch, so viel ich weiß."
Es schließet flugs die Augenlieder,
Nimmt einen ungemessnen Satz
Und stürzet auf den Rasenplatz
Zu Meister Fuchsens Füßen nieder.
Der plötzlich alle seine Kraft
Verräterisch zusammen rafft,
Um unsern Springer bei dem Nacken
Mit scharfen Krallen anzupacken.
Das Eichhorn schrie, "Barmherzigkeit!
Herr Fuchs, der Spaß geht allzu weit,
Sie tun, als wollten sie mich fressen."
"Nur sachte lieber kleiner Sohn,"
Sprach Reinecke mit bittrem Hohn.
"Ich habe längst den Spaß vergessen
Und suche mir ein Abendessen."

Auf diesen freundlichen Bericht
Rief Mäzchen voller Angst und Grauen
"O Zeus! jedoch ich murre nicht
Ein zu gerechtes Strafgericht
Gibt mich in dieses Heuchlers Klauen.
Allein du falscher Bösewicht,
Der lachend mir den Nacken bricht,
Ich sah dich erst als Pilger wallen,
Ich hörte dein Gebet erschallen,
Und nun dankst du den Göttern nicht,
Die dich mit meinem Fleische speisen?
Ein Heuchler will auch selbst zur Zeit,
Wenn er den Arm dem Laster leiht,
Noch immer gottesfürchtig heißen."

Der fromme Fuchs war schon bereit
Den fetten Braten anzubeißen.
Nun blickt er voller Heiligkeit
Nach des Olymps azurnen Kreisen
Und faltet, um den Zeus zu preisen,
Der Pfoten blutgefärbtes Paar.
Das Eichhorn nimmt den Zeitpunkt wahr,
Und schneller als des Habichts Schwingen
Durch die zerteilten Lüfte dringen,
Erreicht es einen sichern Ast.
Hier sah es unter tausend Schwüren
Den saubern Vetter abmarschieren
Und rief ihm nach: "Mein frommer Gast,
Willst du hinfort ein Eichhorn speisen,
So mußt du nie die Götter preisen,
Als bis du es verzehret hast."

Der Retter

Von einem Weih verfolgt, entrann
Ein Haselhuhn in eine Höhle.
Da sprang ein schlimmerer Tyrann,
Ein rascher Fuchs, ihm an die Kehle.
Doch schnell macht es ein Jäger frei.
Sein Hund, der ihm die Spur verraten,
Zerriß den Fuchs, er schoß den Weih
Und ließ das gute Hühnchen — braten.

Der Ochs und der Esel

Ochs und Esel zankten sich
Beim Spaziergang um die Wette,
Wer am meisten Weisheit hätte.
Keiner siegte, keiner wich.
Endlich kam man überein,
Daß der Löwe wenn er wollte,
Diesen Streit entscheiden sollte;
Und was konnte klüger sein?

Beide treten tief gebückt
Vor des Tierbeherrschers Throne,
Der mit einem edlen Hohne
Auf das Paar herunter blickt.

Endlich sprach die Majestät
Zu dem Esel und dem Farren:
"Ihr seid alle beide Narren."
Jeder gafft ihn an und geht.

Der Reformator

Dem Affen kam es unbegreiflich vor,
Daß von dem ganzen Götterchor
Kein einziger so klug und so gerecht gewesen,
Ihn für den Pfau, den Adler oder Spatz,
Und wenigstens doch an der Eule Platz,
Zu einem Günstling auszulesen.
Er schüttelte den Kopf, ward erst ein Pirrhonist
Und endlich gar ein Atheist.
Ein langer Umgang macht auch mit Chimären
Den Geist vertraut. Er ordnet seine Lehren
In ein System und fasset mit der Zeit
Den edlen Vorsatz, aus Barmherzigkeit
Das ganze Tierreich zu bekehren.

Schon kam der neue Philosoph
Mit ernstem Schritt an des Monarchen Hof.
Er wußte wohl, daß sich in Moden und in Pflichten
Die Völker nach den Fürsten richten,
Und daß den goldnen Spruch: "Kein Ding ist unerlaubt"
Ein Potentat am ersten glaubt.
Der Löwe wollte gleich ein großes Bußfest halten,
Weil Gras und Korn mißraten war;
Mit tiefgesenktem Haupt, umringt von Jung und Alten,
Bracht er dem Zeus ein Opfer dar.
Der Philosoph ergrimmt und will es mutig wagen,
Mit seinem großen Schwert den ersten Streich zu schlagen.
Er drängt mit stolzem Blick sich in die bunte Schar
Und macht ein Dutzend freche Glossen
Auf diese frommen Kinderpossen.

Der Bär brummt in den Bart, der Tiger lacht ihn an;
Allein der Elefant, ein alter Feind der Affen,
Erhascht den aufgeblasnen Laffen
Und schleppt ihn als Vezier zum Großsultan.
Jetzt höret man den kecken Pavian,
Gleich einem Cicero vor dem Monarchen sprechen;
Er wünschet als ein Philosoph
Dem König und dem ganzen Hof
Den Star des Vorurteils zu stechen.
Noch mehr: der Held verspricht dem dümmsten Rind
Flugs darzutun, daß keine Götter sind.
Nun redet er in abgezognen Schlüssen
Vom ersten mystischen Atomenmeer,
Aus dessen schwangern Finsternissen
Uns bloß ein blindes Ungefähr
Und kein erträumter Zeus gerissen;
Ein Meer, auf welchem uns ein Wirbel oben hält,
Bis wir nach kurzer Frist, wie Seifenschaum zerrinnen,
Um fern von Tartarus und Elisäerfeld,
Den Todesschlaf von neuem zu beginnen.

Er schweigt. Monarch und Volk, bis auf die Clerisei,
Die stets die freie Wahrheit tadelt,
Stimmt ganz entzückt, mit gräßlichem Geschrei,
Dem so bequemen Glauben bei.
Kurz, Meister Affe wird geadelt
Und des Monarchen milde Hand
Schwingt schon dem trauten Gast ein blaues Ordensband,
Beschwert mit einem goldnen Schlüssel,
Um seinen Hals. Doch schnell ergreift der Elefant
Den neuen Kammerherrn mit seinem Rüssel
Und eh er noch um Hilfe ruft,
So schwebt er schon ein Haus hoch in der Luft
Reif ins Atomenmeer zurück zu fließen,
Stürzt er zerfetzt zu seines Feindes Füßen.

Hilf Jupiter, wie rast des Löwen Majestät,
Wie sträubt sich seine falbe Mähne!
Sein Auge flammt als ein Komet,
Er fletscht die geschärften Zähne
Und brüllt dem Staatsminister zu:
"Was, Bösewicht, so frech bist du,
Dich an dem Freund, auf den wir unsre Gnade häufen,
Vor unsern Augen zu vergreifen?"
Jetzt fällt er knirschend auf ihn her;
Allein, der Großvezier setzt lachend sich zur Wehr
Und ruft aus vollem Hals, daß es die Völker hören:
"Du glaubest keinen Zeus, ich keinen König mehr."
Der Sultan schäumt und winkt dem Tiger, Wolf und Bären
Den Erzrebellen zu verzehren.
Doch jeder merkte sich des Elefanten Spruch
Und lacht den König aus und schwört bei seiner Ehre,
Daß er so gut als dieser Löwe wäre.
Der Wolf erfrechet sich mit einem schweren Fluch,
Der Majestät zum Trotz, den Widder zu zerreißen
Und sein Gevatter Fuchs die Henne tot zu beißen.

Kurz, dieser Tag gebar die Anarchie,
Das Faustrecht und den Krieg, der noch im Staate wütet:
Und so hat die Philosophie,
So gut als die Theologie,
Schon manches Unheil ausgebrütet.

Die Nachtigall und der Star

Die gattenlose Philomele,
Die manche trübe Mitternacht
In leisen Klagen durchgewacht,
War krank und sang mit heitrer Seele
Ihr Abschiedslied. Ein fetter Star,
Der Feldprobst in dem Haine war,
Besuchte sie nach alter Mode.
Er schlich zur frommen Dulderin
Mit abgewandtem Blicke hin
Und sprach, nach mancher Episode
Vom Krieg und Wetter, auch vom Tode.
"Ach," rief er aus, "dies ist ein Feind,
Vor dem auch Helden sich entfärben." —
"Wer Mut zu leben hatte, Freund,"
Versetzt sie, "hat auch Mut zu sterben."

Der geflügelte Fisch

Lang sah ein Fisch, den die Natur mit Flügeln
Von dünnem Schleier ausgeschmückt,
Den hohen Phöbus sich im Weltmeer spiegeln;
Und endlich rief er ganz entzückt:
"Ich muß, ich muß dich in der Nähe,
Wohltäter aller Wesen, sehn!"
Er schwingt sich kühn in die lazurne Höhe:
"Wie groß bist du, wie liebenswert, wie schön!
Wie wundervoll sind deine Strahlen,
Die jeden Tropfen in dem Ozean
Mit deinem frohen Bild bemalen!
O selig, wer dein Antlitz schauen kann!"
Jetzt fühlt er nur und opfert stille Tränen;
Doch plötzlich deckt sein Aug ein düstrer Flor:
Der Flügel ausgedorrte Sehnen
Versagen ihm. Er sinkt, rafft sich empor,
Sinkt tiefer, stürzt entgeistert nieder,
Und fand, der Seele gleich, die jenseits unsrer Welt
Die Gottheit schauen will, und aus den Wolken fällt,
In seinem Element sich wieder.