| Die Klugheit
 
 Durch eines Fischers List berückt,
 Ward in sein Garn ein junger Hecht verstrickt.
 Das Sprichwort sagt: die Not bricht Eisen.
 Der Kriegsgefangne nagt so lang,
 Bis daß es ihm zuletzt gelang,
 Sich aus den Banden loszureißen.
 Jetzt, sprach er bei sich selbst: Ei, ei
 Ich dacht es nicht, bei meiner Ehre,
 Daß hier ein Netz verborgen wäre.
 Je nun, ich bin ja wieder frei,
 Kein Henker soll zum zweiten Mal mich kriegen.
 Doch still, was seh ich dort vor jenem Boot
 Im Wasser hin und wieder fliegen?
 Beim Element, ein fetter Bissen Brot!
 Er schnappt ihn auf und läßt, dem Netze kaum entgangen,
 Sich nun durch einen Hamen* fangen.
 
 *Kescher
 
 Die zwei Füchse
 
 Zwei Füchse brachen einem Pächter
 Zur Nachtzeit in sein Hühnerhaus
 Und übten Mord und Todschlag aus.
 Ein stolzer Hahn, des Hofes Wächter
 Der Hennen Abgott, fiel im Straus
 Als Held für seine Sultaninnen,
 Und kurz, es konnte nichts entrinnen,
 Was Federn auf dem Leibe trug.
 Den Dieben frommt kein langes Weilen,
 Sie sagten: laßt den Raub uns teilen.
 Raps war schon alt und folglich klug.
 Er sprach zum jüngern Spießgesellen:
 "Mein Sohn, ich weiß aus tausend Fällen,
 Wie nötig man zu sparen hat
 Ist heut mein Magen noch so satt,
 So will er Morgen doch was haben.
 Auch ist der Winter vor der Tür,
 Darum Herr Neffe glaube mir,
 Laß uns den reichen Schatz vergraben,
 Um lang uns noch damit zu laben."
 
 Der junge Rips, ein lockrer Wicht
 Versetzte mit ersticktem Lachen:
 "Ich danke für den Unterricht
 Und will ihn mir zu Nutze machen."
 Hier fiel er auf den Proviant
 Und schob ein Hühnchen in den Rachen.
 Ein zweites ward ihm nachgesandt
 Und mit dem Spiele fortgefahren,
 Bis alle, trotz der Homilie*
 Des Oheims, rein verzehret waren.
 Nun suchte Rips mit saurer Müh
 Sich von der Tafel zu erheben,
 Allein auf einmal wird ihm schwach
 Sein Atem stockt, die Knie beben.
 Er wälzt sich, seufzet Weh und Ach
 Und sucht den Fraß zurück zu geben.
 
 Der Oheim fuhr dem armen Gauch
 Mit einer Feder in die Kehle.
 Allein umsonst, der volle Bauch
 Zerbarst. Zeus helfe seiner Seele
 Sprach Raps und schickte sich nun auch
 Zum Siegesmahl. Er nagt die Flügel
 Des Hahns in kleinen Bissen ab,
 Höhlt für den Rest des Raubs ein Grab
 Und überdeckt mit Moos den Hügel.
 Nun schlendert er in kurzem Trab
 Nach Haus, und überschlägt im Gehen
 Wie weit der Vorrat reichen mag.
 Er rastet nicht, kaum graut der Tag,
 So eilt er nach dem Schatz zu sehen.
 Allein der Pächter, ein Pandur
 Der nur zu früh den Raub erfuhr,
 Ließ heimlich auf den Gaudieb lauern.
 Auch war er kaum dem Hügel nah,
 So stund ein Regiment von Bauern
 Mit ungeheuren Prügeln da.
 Und um den Ausgang kurz zu sagen,
 Raps ward auf seinem Schatz erschlagen.
 
 Kein Alter ist von Lastern frei.
 Der Jüngling frönt der Schwelgerei,
 Der Greis ist seiner Taler Sklave
 Und beide sind sich selbst zur Strafe.
 
 *Predigt
 
 Der 
					Schmetterling und der Rabe
 
 Kaum hatte Florens Zauberring
 Der Tellus* kalten Schoß berühret
 Und ihn mit Blumen ausgezieret,
 So schwang ein junger Schmetterling
 Die blaugezackten Silberflügel
 Und flog, von süßer Lust berauscht,
 Sogleich auf Paphos Myrthenhügel,
 Wo Amor unter Rosen lauscht.
 Hier sah ihn ein gelehrter Rabe,
 Der in betrachtungsvoller Ruh
 Zehn Jahre schon in einem Grabe
 Sein Wesen trieb, und rief dazu:
 
 Der Rabe
 
 Um ein paar Wochen nur zu leben,
 Sprich! ist es wohl der Mühe wert,
 Auf buntem Rand umher zu schweben,
 Den, so wie dich, ein Tag zerstört?
 Ja, hätte Clothen zehn Dekaden
 Und mehr an deinem Lebensfaden
 Wie an den meinen angereiht;
 So wären deine Gaukeleien,
 So wäre deine Sicherheit
 Dir eher zu verzeihen
 
 Der Schmetterling
 
 Ich tue, was mein Trieb mich lehrt,
 Und wette diese Purpurnelke,
 Mein Glück ist wohl das deine wert.
 Wahr ist, daß ich mit ihr verwelke.
 Allein, so lange weit und breit
 Bekannt ist, daß die Herren Raben
 Mit Leichen ihren Gaumen laben,
 Reizt keiner meinen Neid.
 
 Der Rabe
 
 Wohlan, so lauf in dein Verderben,
 Betrogner Sklav der Eitelkeit.
 Da deine ganze Lebenszeit
 Nichts ist als kurze Frist zum Sterben.
 So folgt, daß du ein Narr sein mußt,
 Im Taumel schnöder Sinnenlust
 Auf Amaranthen und Narzissen
 Sie sorglos zu verküssen.
 
 Der Schmetterling
 
 Nun, nun, Herr Doktor, schönen Dank,
 Für deine süßen Sittenlehren.
 Fahr wohl, ich liebe keinen Zank,
 Und in der Tat, du wirst 
					mich nicht bekehren.
 Du lebest lang, ich lebe schön;
 Allein auch du wirst einst vergehn.
 Dann ist es gleich, ob mir nur Stunden,
 Ob Menschenalter dir verschwunden.
 
 Wer ohne Vorwurf und Verzug
 Die Freuden dieses Lebens brauchet,
 Und wenn er's morgen von sich hauchet,
 So stirbt er alt genug.
 
 *lat. 
					die Erde-Erdboden
 
 Das Pferd und das 
					Füllen
 
 Ein edler britischer Wallach,
 Der auf dem Eis ein Bein zerbrach,
 Kroch martervoll nach seinem Stalle,
 In dem ein rundes Füllen fraß.
 "Ei, guter Oheim, was ist das,"
 Rief es, "wie kamst du denn zu Falle?
 So rasch ich bin, so ist doch mir,
 Gott Lob, der Fuß noch nie geglitten."
 "Ganz wohl," versetzt das arme Tier,
 "Allein du liefst noch nie im Schlitten."
 
 So Freund, ist oft die Heiligkeit,
 Womit sich kleine Seelen blähen,
 Bloß Mangel an Gelegenheit
 Die Fehler andrer zu begehen.
 
 Der Geier und der Rabe
 
 Der Hain des Gottes in Delphi war
 Die Wohnung eines alten Raben,
 Dem Elster, Kauz und selbst der Star
 Das stolze Lob der Weisheit gaben.
 
 Einst fragt ihn seiner Enkel Schar,
 Was doch der Vogel Phönix wäre?
 Ein Unding, Kinder, eine Mähre,
 Vom Aberglauben ausgeheckt,
 War der Bescheid. "Gerechte Götter,
 Kein Phönix? Ha, verruchter Spötter!"
 Rief hier ein Geier, der versteckt
 Dem Patriarchen aufgepasset.
 "Mich nimmt nur wunder, daß Apoll,
 Der doch gewiß die Ketzer hasset,
 In seinem Hain sie dulden soll.
 Doch ich will seine Schande rächen
 Und dieser Brut die Hälse brechen."
 
 Er tut's und ist der erste nicht,
 Der, eigne Leidenschaft zu stillen,
 Dem Redlichen, um Gottes Willen,
 Den Mordstahl in den Busen sticht.
 
 Der kranke Löwe
 
 Der Tiere Großsultan lag auf dem Krankenbette;
 Er war vom Kopf bis auf den Schwanz
 So dürr als Bruder Hein im Basler Totentanz.
 Da war kein Vieh, das ihm nicht was geraten hätte.
 Der Schwindsucht sichre Kur, die ein Franzos erfand,
 Die Kur im Ochsenstall, war damals unbekannt.
 "Die Gerste," sprach das Pferd, "ist trefflich für die 
					Lunge,
 Sie kühlet das Geblüt und reiniget die Zunge."
 
 "Nicht doch," versetzt der Bär, "der wilde Honigseim
 Ist Balsam für die Brust und löst den zähen Schleim."
 "Freund," rief der weise Wolf, "ich wette hundert Kronen,
 Mein sympathetisches Arkan
 Erhält den Preis: Neun frische Ziegenbohnen
 Im Vollmond angehängt ziehen alle Seuchen an."
 "Pfui," sprach der Leopard, "man möchte flugs purgieren
 Der Henker brauche diesen Quark:
 Ich lobe mir das Menschenmark
 Um einen Fürsten zu kurieren.
 Ein Pfund des Tags in Tränen aufgelöst
 Hilft ganz gewiß, probatum est."
 "Dies, Vetter, will ich gleich probieren,"
 Versetzt der Patient, "dein Rat ist Goldes wert:
 Ich selber habe längst gehört,
 Daß viele große Herrn auf Erden
 Durch dieses Mittel fett als wie junge Dachse werden."
 
 Der Pavian und der 
					Pudel
 
 Ein großer finstrer Pavian,
 Der in ein Kloster sich entfernet,
 Wo er dem Pater Guardian
 Die Kasuistik abgelernet,
 Kam mit dem Pudel Tamerlan
 Vom Terminieren einst zurücke
 Und traf auf einer großen Brücke
 Ein Dutzend wilder Knaben an.
 Sie stellten mit behendem Fuße
 Sich frech auf das Geländer hin
 Und flugs lag einer in dem Flusse.
 Er schreit, er winkt, umsonst, — sie fliehn.
 "Hier ist ein seltner Streit von Pflichten,"
 Sprach der gelehrte Pavian,
 "Wär ich beim Pater Guardian,
 Ich wüßte gleich den Fall zu schlichten.
 Soll ich des Knaben Retter sein?
 Ja freilich spricht die Menschenliebe
 Doch wie, wenn ich im Wasser bliebe?
 Nein, ruft die Selbsterhaltung, Nein!"
 "O, wehe dem," versetzt der Pudel,
 "Der Schulwitz und Gewissensrat
 Zu guten Taten nötig hat,"
 Und riß den Knaben aus dem Strudel.
 
 Sei stolz, o Freund, auf dein empfindsam Herz
 Ist es gleich oft gefährlich für die Jugend,
 So schmelzt es auch bei unsrer Brüder Schmerz.
 Empfindsamkeit ist das Genie der Tugend.
 
 Der Kater
 
 Ein Kater sah bei einem Schmaus
 Die goldgefüllten Römer blinken;
 Er sah die Gäste wacker trinken
 Und rief in vollem Eifer aus:
 "O Himmel, welch ein toller Haufen!
 Wie schändlich ist es, Wein zu saufen,
 Uns Katzen ekelt vor dem Wein.
 Nur bei den Menschen gibt es Prasser;
 Wir löschen unsern Durst mit Wasser,
 Oh, lernt von Katzen weise sein!"
 "Herr Murner, nur nicht so vermessen,"
 Rief ihm ein Gast mit Lachen zu:
 "Ich bin so tugendhaft als du,
 Denn ich kann keine Mäuse fressen."
 
 Freund, der aus Wahl die Tugend liebt,
 Ist der wohl tugendhaft zu nennen,
 Der sich den Lastern nicht ergibt,
 Die seiner Lust nicht schmeicheln können?
 
 Die zwei Hunde
 
 Ein Pudel und eine Dogge kamen
 Auf ihrem Weg von ungefähr zusammen.
 Nachdem man sich, wie es gewöhnlich ist,
 Erst fein berochen und geküßt,
 So fing man an sich allerhand zu sagen.
 Der Pudel ein Genie, sprach im Posaunenton
 Von seiner eigenen Person;
 "Dies ist der Modestil in unsern Tagen.
 Herr Vetter," fing er lächelnd an,
 "Sie sollten mich nur einmal sehen,
 Was ich für Schwänke machen kann
 Es ist ein Spiel für mich auf einem Seil zu gehen
 Und wie ein steifer Flügelmann
 Mit einem Spieß im Schilderhaus zu stehen.
 Ich tanze, besser tanzt der große Vestris nicht.
 Ich lasse mich zu Tode schießen
 Und bin flugs wieder auf den Füßen,
 Wenn man ein Wort vom Henker spricht.
 Noch mehr, ich kann mit unerhörten Sprüngen,
 Bald über einen Stock, bald durch den Reif mich schwingen
 Und . . . gähnen Sie?" Hier brach der Redner ab.
 Die Dogge sprach: "Soll ich mich auch erheben?
 Ich schütze meinem Herrn das Leben
 Und gehe mit ihm bis ins Grab."
 
 Der Wolf und der Löwe
 
 Aus eines Sultans Park entkam
 Ein Löwe, der mit raschem Schritte,
 Voll edlen Trotzes wie ein Brite
 Den Weg nach einer Wildnis nahm.
 Ihn lud ein Wolf in seine Höhle
 Auf einen fetten Hammel ein,
 Und rief bei Tische: "Freund erzähle,
 Wie lebt man in des Fürsten Hain?" —
 "Man wird," sprach er, "mit Fleisch gefüttert,
 Man schläft auf einer Streu von Moos,
 Der Wald ist tausend Ruten groß,
 Allein mit starkem Erz vergittert."
 "Wie glücklich, Vetter, war dein Los!"
 Versetzt der Wolf; "bei meinem Leben
 Will man ein Schaf mir täglich geben,
 So sperre man mich in den Hain
 Des Sultans diese Nacht noch ein."
 Der Gast fuhr auf und rief entrüstet:
 "Den pisse Has' und Esel an,
 Der die Despoten fliehen kann
 Und sich mit ihren Fesseln brüstet!"
 
 Mikromegas
 
 Ein Midas war so winzig klein
 Als keiner in dem Heer der Affen,
 Die Jupiter zum Scherz geschaffen,
 Und doch vor Sehnsucht, groß zu sein,
 Schon oft bald aus der Haut gesprungen.
 Nichts ließ er unversucht, allein
 Noch war kein Mittel ihm gelungen;
 Das beste fiel zuletzt ihm ein.
 Er machte sich von Bambusrohre
 Zwei Stelzen, und mit keckem Schritt
 Erschien der lose Schelm damit
 In der erstaunten Brüder Chore.
 Ein jeder ruft, so laut er kann:
 "Betrachtet doch den großen Mann!" —
 "Geduld! ihr habt noch nichts gesehen;
 Bald soll ein Titan vor euch stehen,"
 Versetzt er, klimmt auf einen Berg
 Und scheint nun was er war — ein Zwerg.
 
 Der Fischer und der 
					Delphin
 
 Ein Fischer fuhr an einen Felsen an.
 Auf einmal barst sein kleiner Kahn
 Und splitterte wie sprödes Glas in Stücken.
 Er war dem bangsten Tode nah,
 Als ihn ein frommer Delphin sah.
 Er schwamm herbei, er lud ihn auf den Rücken
 Und trug ihn glücklich an den Strand.
 Schnell zog der Fischer ihn ans Land
 Und sprach mit gnadenreichen Blicken:
 Dein Schicksal ist in meiner Hand;
 Doch zum Beweis, daß auch wir Menschen edel denken,
 So will ich dir das Leben schenken.
 
 Der Affe am Hofe
 
 Ein Affe machte so viel Streiche,
 So manche feine Schelmerei,
 Daß in dem ganzen Königreiche
 Sein Ruhm erscholl und selbst der Leu,
 Ein Freund der Künste, zween Emiren
 Befahl, ihn auf die Burg zu führen.
 
 Der Großherr wollte fast zerplatzen,
 Als unser Gaukler vor ihn trat;
 Durch tausend Schwänke, tausend Fratzen
 Erhielt er gleich den Rang als Rat;
 Und bald hernach durch Brief und Siegel
 Den Titel: Ritter Eulenspiegel.
 
 Im Anfang trafen seine Possen
 Den Schöps, den Esel und das Rind,
 Ein Kleeblatt, dem des Spötters Glossen
 Von Alters her gewidmet sind.
 Allein sie schwiegen oder machten
 Gar Chorus mit, wenn andre lachten.
 
 Der Beifall, der ihn warnen sollte,
 Des Königs Gunst berauschten ihn,
 Indem er mehr noch glänzen wollte,
 Vergaß sich unser Harlekin
 Und übte seine Neckereien
 Am Tiger, Wolf und andern Beyen.
 
 Nach einer Zeit von sieben Tagen
 War Meister Affe so beherzt,
 Sich an den Leuten selbst zu wagen,
 Und nun war seine Gunst verscherzt.
 Die Majestät, anstatt zu lachen,
 Befahl, ihm den Prozeß zu machen.
 
 Bei Niedern, die dem Spotte weichen,
 Ist er verblümte Tyrannei;
 Bei denen, die an Stand sich gleichen,
 Ist er ein Quell der Zänkerei:
 Bei Großen ist er ein Verbrechen,
 Das sie mit ihren Blitzen rächen.
 
 Der Adler und der 
					Papagei
 
 Ein naseweiser Papagei
 Aus unsern aufgeklärten Zeiten,
 Da stolzer Wahn und Spötterei
 Pygmäisch das Verdienst bestreiten,
 Sah einen Adler, den sein Flug
 Aus dem Revier der Sonne trug,
 Auf einem Baum sich niederlassen,
 Und kriegte Lust mit ihm zu spaßen.
 Er flattert auf den Weisen zu,
 Der die gesenkte Stirne kühlte
 Und in dem Heiligtum der Ruh
 Die Wonne seines Daseins fühlte.
 "Herr Vetter," sprach der Papagei,
 "Mich dünkt die Zeiten sind vorbei,
 Da man dich als Monarch verehrte;
 Die Zeiten, da des Dichters Witz
 Dich mit dem schreckenvollen Blitz
 Des wilden Donnergottes bewehrte;
 Und gleichwohl bist du schlau genug,
 Noch jetzt den Pöbel zu betören,
 Und lenkest deinen stolzen Flug
 Nach mystischen, erhabnen Sphären,
 Als wäre es, wie der Gimpel glaubt
 Nur deiner Majestät erlaubt
 Auf des Olymps lazurnen Hügeln
 Sich in dem Quell des Lichts zu spiegeln."
 
 Der lose Vogel schweigt und lacht,
 So wie es jeder Spötter macht,
 Wenn sein bescheidner Gegner gähnet.
 "Dem Adler ist es einerlei,"
 Sprach jener, "was ein Papagei
 Und was ein Gimpel von ihm wähnet.
 Sein Wesen sagt ihm was er ist;
 Der kühne Geist, der ihn belebet,
 Das Auge, das die Sonne grüßt,
 Sobald es nur die Wimper hebet,
 Der ehrne Fittich, den er trägt,
 Der kaum bekielt die Hüfte schlägt,
 Um aus dem Nest sich aufzuraffen,
 Verkündigt ihm das stolze Glück,
 Er sei vom gütigen Geschick
 Zum Bürger des Olymps erschaffen."
 
 Der Fuchs und das 
					Eichhorn
 
 Der Attila für Huhn und Hähne,
 Herr Fuchs, war alt und wohlbetagt:
 Er kam um alle seine Zähne
 Und ward vom Podagra geplagt.
 Das alte deutsche Sprichwort sagt:
 Der allerärgste Schelm auf Erden
 Muß noch zuletzt ein Mucker werden.
 Warum? Ist hier die Frage nicht;
 
 Genug der alte Bösewicht,
 Begann seine Räubereien,
 Durch Seufzen, Fasten und Kasteien,
 Vor allen Tieren zu bereuen.
 Mit tränenvollem Angesicht
 Trat er nach den zermalmten Knochen
 Von einem jungen Auerhahn,
 Dem er nur erst vor wenig Wochen
 Mit schlauer Wut den Hals gebrochen,
 Voll Andacht eine Wallfahrt an.
 Er wählte sich die rauhsten Stege,
 Die man im Wald nur finden kann
 
 Und traf auf seinem weiten Wege
 Ein junges rasches Eichhorn an.
 Er sah es mit vergnügten Sprüngen
 Sich auf die höchsten Wipfel schwingen,
 Und schnell erhebt sich in der Brust
 Des Büßers eine fromme Lust,
 Sich an dem Tänzer zu erbauen
 Und ihn von nahem zu beschauen.
 "Sei mir gegrüßet, lieber Sohn,"
 So sprach er in gebrochnem Ton:
 "Ich sehe mit vergnügtem Herzen
 Dich so beglückt, so sorgenfrei
 Des Lebens Gram vorüber scherzen.
 Doch ich gestehe dir dabei,
 Daß ich auf meinen Pilgerzügen
 An der entfernten Wolga Strand
 Vorlängst ein weißes Eichhorn fand
 Das in der seltnen Kunst zu fliegen,
 Es dir noch weit zuvor getan."
 
 Der Vorwurf kränkte Mäzchens Ehre.
 "Ich dächte," hub er höhnisch an,
 "Daß ich kein Klotz im Springen wäre."
 "Oh," sprach der Alte, "glaube mir,
 Du kannst mit jenem Wundertier
 Auf keine Weise dich vergleichen.
 Es drückte fest die Augen zu
 Und konnte doch so flink wie du,
 Die Wipfel tausendjähriger Eichen
 Mit einem sichern Flug durchstreichen."
 "Ha," sprach das Eichhorn, "blöder Greis,
 Das kann ich auch, so viel ich weiß."
 Es schließet flugs die Augenlieder,
 Nimmt einen ungemessnen Satz
 Und stürzet auf den Rasenplatz
 Zu Meister Fuchsens Füßen nieder.
 Der plötzlich alle seine Kraft
 Verräterisch zusammen rafft,
 Um unsern Springer bei dem Nacken
 Mit scharfen Krallen anzupacken.
 Das Eichhorn schrie, "Barmherzigkeit!
 Herr Fuchs, der Spaß geht allzu weit,
 Sie tun, als wollten sie mich fressen."
 "Nur sachte lieber kleiner Sohn,"
 Sprach Reinecke mit bittrem Hohn.
 "Ich habe längst den Spaß vergessen
 Und suche mir ein Abendessen."
 
 Auf diesen freundlichen Bericht
 Rief Mäzchen voller Angst und Grauen
 "O Zeus! jedoch ich murre nicht
 Ein zu gerechtes Strafgericht
 Gibt mich in dieses Heuchlers Klauen.
 Allein du falscher Bösewicht,
 Der lachend mir den Nacken bricht,
 Ich sah dich erst als Pilger wallen,
 Ich hörte dein Gebet erschallen,
 Und nun dankst du den Göttern nicht,
 Die dich mit meinem Fleische speisen?
 Ein Heuchler will auch selbst zur Zeit,
 Wenn er den Arm dem Laster leiht,
 Noch immer gottesfürchtig heißen."
 
 Der fromme Fuchs war schon bereit
 Den fetten Braten anzubeißen.
 Nun blickt er voller Heiligkeit
 Nach des Olymps azurnen Kreisen
 Und faltet, um den Zeus zu preisen,
 Der Pfoten blutgefärbtes Paar.
 Das Eichhorn nimmt den Zeitpunkt wahr,
 Und schneller als des Habichts Schwingen
 Durch die zerteilten Lüfte dringen,
 Erreicht es einen sichern Ast.
 Hier sah es unter tausend Schwüren
 Den saubern Vetter abmarschieren
 Und rief ihm nach: "Mein frommer Gast,
 Willst du hinfort ein Eichhorn speisen,
 So mußt du nie die Götter preisen,
 Als bis du es verzehret hast."
 
 Der Retter
 
 Von einem Weih verfolgt, entrann
 Ein Haselhuhn in eine Höhle.
 Da sprang ein schlimmerer Tyrann,
 Ein rascher Fuchs, ihm an die Kehle.
 Doch schnell macht es ein Jäger frei.
 Sein Hund, der ihm die Spur verraten,
 Zerriß den Fuchs, er schoß den Weih
 Und ließ das gute Hühnchen — braten.
 
 Der Ochs und der Esel
 
 Ochs und Esel zankten sich
 Beim Spaziergang um die Wette,
 Wer am meisten Weisheit hätte.
 Keiner siegte, keiner wich.
 Endlich kam man überein,
 Daß der Löwe wenn er wollte,
 Diesen Streit entscheiden sollte;
 Und was konnte klüger sein?
 
 Beide treten tief gebückt
 Vor des Tierbeherrschers Throne,
 Der mit einem edlen Hohne
 Auf das Paar herunter blickt.
 
 Endlich sprach die Majestät
 Zu dem Esel und dem Farren:
 "Ihr seid alle beide Narren."
 Jeder gafft ihn an und geht.
 
 Der Reformator
 
 Dem Affen kam es unbegreiflich vor,
 Daß von dem ganzen Götterchor
 Kein einziger so klug und so gerecht gewesen,
 Ihn für den Pfau, den Adler oder Spatz,
 Und wenigstens doch an der Eule Platz,
 Zu einem Günstling auszulesen.
 Er schüttelte den Kopf, ward erst ein Pirrhonist
 Und endlich gar ein Atheist.
 Ein langer Umgang macht auch mit Chimären
 Den Geist vertraut. Er ordnet seine Lehren
 In ein System und fasset mit der Zeit
 Den edlen Vorsatz, aus Barmherzigkeit
 Das ganze Tierreich zu bekehren.
 
 Schon kam der neue Philosoph
 Mit ernstem Schritt an des Monarchen Hof.
 Er wußte wohl, daß sich in Moden und in Pflichten
 Die Völker nach den Fürsten richten,
 Und daß den goldnen Spruch: "Kein Ding ist unerlaubt"
 Ein Potentat am ersten glaubt.
 Der Löwe wollte gleich ein großes Bußfest halten,
 Weil Gras und Korn mißraten war;
 Mit tiefgesenktem Haupt, umringt von Jung und Alten,
 Bracht er dem Zeus ein Opfer dar.
 Der Philosoph ergrimmt und will es mutig wagen,
 Mit seinem großen Schwert den ersten Streich zu schlagen.
 Er drängt mit stolzem Blick sich in die bunte Schar
 Und macht ein Dutzend freche Glossen
 Auf diese frommen Kinderpossen.
 
 Der Bär brummt in den Bart, der Tiger lacht ihn an;
 Allein der Elefant, ein alter Feind der Affen,
 Erhascht den aufgeblasnen Laffen
 Und schleppt ihn als Vezier zum Großsultan.
 Jetzt höret man den kecken Pavian,
 Gleich einem Cicero vor dem Monarchen sprechen;
 Er wünschet als ein Philosoph
 Dem König und dem ganzen Hof
 Den Star des Vorurteils zu stechen.
 Noch mehr: der Held verspricht dem dümmsten Rind
 Flugs darzutun, daß keine Götter sind.
 Nun redet er in abgezognen Schlüssen
 Vom ersten mystischen Atomenmeer,
 Aus dessen schwangern Finsternissen
 Uns bloß ein blindes Ungefähr
 Und kein erträumter Zeus gerissen;
 Ein Meer, auf welchem uns ein Wirbel oben hält,
 Bis wir nach kurzer Frist, wie Seifenschaum zerrinnen,
 Um fern von Tartarus und Elisäerfeld,
 Den Todesschlaf von neuem zu beginnen.
 
 Er schweigt. Monarch und Volk, bis auf die Clerisei,
 Die stets die freie Wahrheit tadelt,
 Stimmt ganz entzückt, mit gräßlichem Geschrei,
 Dem so bequemen Glauben bei.
 Kurz, Meister Affe wird geadelt
 Und des Monarchen milde Hand
 Schwingt schon dem trauten Gast ein blaues Ordensband,
 Beschwert mit einem goldnen Schlüssel,
 Um seinen Hals. Doch schnell ergreift der Elefant
 Den neuen Kammerherrn mit seinem Rüssel
 Und eh er noch um Hilfe ruft,
 So schwebt er schon ein Haus hoch in der Luft
 Reif ins Atomenmeer zurück zu fließen,
 Stürzt er zerfetzt zu seines Feindes Füßen.
 
 Hilf Jupiter, wie rast des Löwen Majestät,
 Wie sträubt sich seine falbe Mähne!
 Sein Auge flammt als ein Komet,
 Er fletscht die geschärften Zähne
 Und brüllt dem Staatsminister zu:
 "Was, Bösewicht, so frech bist du,
 Dich an dem Freund, auf den wir unsre Gnade häufen,
 Vor unsern Augen zu vergreifen?"
 Jetzt fällt er knirschend auf ihn her;
 Allein, der Großvezier setzt lachend sich zur Wehr
 Und ruft aus vollem Hals, daß es die Völker hören:
 "Du glaubest keinen Zeus, ich keinen König mehr."
 Der Sultan schäumt und winkt dem Tiger, Wolf und Bären
 Den Erzrebellen zu verzehren.
 Doch jeder merkte sich des Elefanten Spruch
 Und lacht den König aus und schwört bei seiner Ehre,
 Daß er so gut als dieser Löwe wäre.
 Der Wolf erfrechet sich mit einem schweren Fluch,
 Der Majestät zum Trotz, den Widder zu zerreißen
 Und sein Gevatter Fuchs die Henne tot zu beißen.
 
 Kurz, dieser Tag gebar die Anarchie,
 Das Faustrecht und den Krieg, der noch im Staate wütet:
 Und so hat die Philosophie,
 So gut als die Theologie,
 Schon manches Unheil ausgebrütet.
 
 Die Nachtigall und 
					der Star
 
 Die gattenlose Philomele,
 Die manche trübe Mitternacht
 In leisen Klagen durchgewacht,
 War krank und sang mit heitrer Seele
 Ihr Abschiedslied. Ein fetter Star,
 Der Feldprobst in dem Haine war,
 Besuchte sie nach alter Mode.
 Er schlich zur frommen Dulderin
 Mit abgewandtem Blicke hin
 Und sprach, nach mancher Episode
 Vom Krieg und Wetter, auch vom Tode.
 "Ach," rief er aus, "dies ist ein Feind,
 Vor dem auch Helden sich entfärben." —
 "Wer Mut zu leben hatte, Freund,"
 Versetzt sie, "hat auch Mut zu sterben."
 
 Der geflügelte Fisch
 
 Lang sah ein Fisch, den die Natur mit Flügeln
 Von dünnem Schleier ausgeschmückt,
 Den hohen Phöbus sich im Weltmeer spiegeln;
 Und endlich rief er ganz entzückt:
 "Ich muß, ich muß dich in der Nähe,
 Wohltäter aller Wesen, sehn!"
 Er schwingt sich kühn in die lazurne Höhe:
 "Wie groß bist du, wie liebenswert, wie schön!
 Wie wundervoll sind deine Strahlen,
 Die jeden Tropfen in dem Ozean
 Mit deinem frohen Bild bemalen!
 O selig, wer dein Antlitz schauen kann!"
 Jetzt fühlt er nur und opfert stille Tränen;
 Doch plötzlich deckt sein Aug ein düstrer Flor:
 Der Flügel ausgedorrte Sehnen
 Versagen ihm. Er sinkt, rafft sich empor,
 Sinkt tiefer, stürzt entgeistert nieder,
 Und fand, der Seele gleich, die jenseits unsrer Welt
 Die Gottheit schauen will, und aus den Wolken fällt,
 In seinem Element sich wieder.
 
 
 
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