Fabelverzeichnis

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Fabeln 3
 
Der Biber
Der Esel
Der Basilisk
Der Goldfasan
Der Reichstag
Das Schaf
Der Knabe und der Hund
Die Maskerade
Der Stockfisch
Der Lohn des Helden
Der Hahn und der Kapaun
Die Bekehrung
Der Skorpion
Der Hase
Der Maulwurf
Die Löwin und der Hund
Die Kirchenvereinigung
Die zwei Hunde
Der Hecht
Der Wolf und der Fuchs

Die Unsterblichkeit

Der Biber

Der Leue sprach zum Biber:
Gib mir das Kopfgeld, Lieber,
Du bist mein Untertan.
Nein, sprach er, ich gehöre
Als Fisch ins Reich der Meere,
Und warf sich in den Ozean.

Der Walfisch sprach zum Biber:
Gib mir das Kopfgeld, Lieber,
Du bist mein Untertan.
Nein, sprach er, nur der Leue
Hat Recht auf meine Treue,
Und schwang sich schnell den Strand hinan.

Der Kaiman sprach zum Biber:
Gib mir das Kopfgeld, Lieber,
Mir zollet Land und See.
Der Biber protestierte
Und der Tyrann skalpierte
Indes ihn provisorie.

Der Esel

Der Esel trat als Supplikant*
Zum Löwen. "Sir, darf ich es wagen,"
Sprach er, "ein Wort dir vorzutragen?
Die Polizei in jedem Land
Hat Männer von Talent ernannt,
Des Nachts die Stunden anzusagen:
Nun wissen Berge, Tal und Wald,
Wie mächtig meine Töne schallen,
Drum bitt ich, Sir, laß dir gefallen,
Mit einem mäßigen Gehalt
Von Rocken, Haber oder Kleien
Das Wächteramt mir zu verleihen."
Er senkt das Ohr und schweigt. Alsbald
Wird seine Bitte plazidieret;
Der Esel wird durch Stab und Horn
Zum Stundenrufer investieret,
Und ein Gehalt von Heidekorn
Wird ihm zu Gnaden assignieret.

Die Nacht bricht ein. Wie Boreas**
Ruft er: "Ihr Herren laßt euch sagen . . . ."
Dem Hof gefiel der neue Spaß:
Doch als der Zeiger eins geschlagen
Und er noch rief, da fing der Chan
Den Schreier zu verwünschen an;
Und Luna ging noch nicht zur Neige,
So bot er durch ein Windspiel ihn
Auf seine Burg. Das Tier erschien.
"Geh, friss dein Korn daheim und schweige."
So sprach der Fürst und ließ ihn ziehn;

Und so entstanden in dem Staate
Die fetten Hofkanonikate
Für Esel, die auf Polstern ruhn,
Und Sold beziehn, um nichts zu tun.

*
Bittsteller.
*
*Bei den Griechen der stürmische Nordwind.

Der Basilisk

Zu Satan sprach die alte Schlange:
"Ich borgte dir zum Untergange
Der Menschen meinen Balg; allein was war mein Lohn?
Des Rächers Fluch und der noch ärgre Hohn,
Als Wurm auf meinem Bauch zu gehen.
Kann deine Kunst mein Ungemach
Nicht lindern, ha! so mußt du mir gestehen,
Mein Freund, du bist auch gar schwach." —
"Ich kann es und du sollst es sehen,"
Rief der Verführer brüllend aus.
Er speit die Natter an. Aus ihrem Rücken sprießen
Zwei Flügel, gleich der Fledermaus;
Ihr Bauch erhebet sich auf gelben Hahnenfüßen
Und zeigt der schauernden Natur
Den krassen Basilisk. Mit höllischem Vergnügen
Schaut Satan auf sein Werk. Die neue Kreatur
Versucht es bald zu gehen, bald zu fliegen
Und zischt den Rächer aus. Jetzt bleibt ihr trunkner Blick
Auf einem klaren Bache kleben;
Sie sieht ihr Bild und fährt zurück
Und haucht bereits ihr junges Leben
In ihres Schöpfers Hand. Allein der alte Wicht
Faßt lachend sie beim Kamm: "Was soll das dumme Beben?
Gefällst du dir im neuen Schmucke nicht?"
Der Basilisk erwacht: "Vergib mir meinen Schrecken,
Mein blöder Geist war nicht darauf gefaßt,
Im Körper, den du mir gegeben hast,
So manchen Zug des deinen zu entdecken." —
"Ei nun, ich mach es wie mein Feind
Dort oben in dem Sterngefilde,"
Versetzt der Schalk: "Ich schaffe meinen Freund —
Nach meinem Ebenbilde."

Der Goldfasan

Es war einst eine Hungersnot
Im Tierreich, alles schrie nach Brot.
Die Vögel fielen aus der Luft
Wie Mücken in die weite Gruft.

Ein Goldfasan schlich matt und schwer
Und ächzend durch den Hain umher.
Ihm sah ein Specht von ferne zu
Und sagte: "Freund, was ächzest du?

An deiner Stelle hätt' ich bald
Den fettesten Tisch im ganzen Wald.
Verkaufe nur dein reiches Kleid,
So hast du Brot auf lange Zeit."

Dem Goldfasan gefiel der Rat.
Er setzte seinen ganzen Staat
Bei einem alten Hamster ab,
Der ihm zehn Scheffel Korn drum gab.

Nun pflegt er sich bei Fürstenkost.
Doch plötzlich fiel ein Winterfrost
Und plötzlich war der arme Narr
Am nackten Leibe blau und starr.

"O weh mir!" sprach er nun zum Specht,
"Mein guter Freund, dein Rat war schlecht.
Ich weiß man stirbt aus Hungersnot,
Doch wer erfriert ist gleichfalls tot."

Der Reichstag

Matz, der Affen Großherr, kam
Durch den Schlag um alle Kräfte;
Sein Gehirn verlor die Säfte,
Arm und Beine wurden lahm.

Arzt und Henker pfuschten zwar,
Doch umsonst war Kunst und Sorgen;
Die Gefahr wuchs jeden Morgen,
Weil der Reichstag nahe war.

Man besorgt aus gutem Grunde
Einen Aufruhr in dem Staate,
Weil schon lang der Potentate
Übel mit dem Volke stund.

Es war wider die Natur
Morgenländscher Etikette,
Daß der Fürst gesprochen hätte;
Dies geschah durch Zeichen nur.

Eben das vermehrt die Not;
Wäre er bloß ein Narr, wir fänden
Leichter Rat; doch lahm an Händen,
Hieß es, ist so gut als tot.

Schweigt und stellt das Jammern ein,
Rief ein Ausbund schlauer Affen,
Ich, ihr Herrn, will Hilfe schaffen,
Oder gleich gehangen sein.

Als der Reichstag nun begann,
Wurde Matz auf einem Schragen
Heimlich auf den Thron getragen
Und mit Purpur angetan.

Unter diesem Mantel stand
Meister Gaudieb. Seine Pfoten
Deklamierten, wie nach Noten,
Viel von Pflicht und Vaterland.

Alles Volk schwur hoch erfreut:
Nein, seit dem wir Fürsten haben,
Zeigte keiner solche Gaben
In der Staatsberedsamkeit.

Doch da sich der Schwarm verlor,
Kroch der Schalk aus seiner Höhle
Und mit ihm des Fürsten Seele
In der Tories Kreis hervor.

Bravo! rief ein Ordensstern;
Aber sag uns unverhohlen,
Wo hast du die Kunst gestohlen?
"In Europa, meine Herrn."

Das Schaf

Ein Fleischer riß ein Lamm im Schlaf
Vom Euter seiner frommen Amme.
"Grausamer," ächzt das bange Schaf,
"Stoß, ungetrennt von meinem Lamme,
Auch mir dein Messer in das Herz!" —
"Nein," rief der Mann mit bitterem Scherz,
"Ich muß dich erst noch fetter machen." —
"Du mich?" erwidert, mit dem Schmerz
Der Niobe, die arme Mutter:
"Das wirst du nicht." Von nun an aß
Sie keinen Halm von ihrem Futter
Und trank nicht mehr. Der Fleischer sah's
Und trieb sie schon am vierten Tage
Zur Würgbank: "Lieber schlacht ich dich,
Als daß ich dich zum Schinder trage,"
Sprach er. "Da siehst du's, Wüterich,"
Versetzt das Schaf mit heit'rer Seele,
"Es ist auf Erden kein Tyrann
So mächtig, daß er dem befehle,
Der sterben will und sterben kann."

Der Knabe und der Hund

Von einem Hund geleitet, schlich
Ein blinder Greis an seinem Stabe
Durch eine Stadt. Ein frecher Knabe,
Der Spitzbarts Israelchen glich,
Schnitt, um sich einen Spaß zu machen,
Des Mann's Kompaß, den Strick entzwei.
"Flieh," sprach er, "Philar, du bist frei;
Dein Graukopf mag sich selbst bewachen."
Der Pommer fuhr dem kleinen Wicht
Voll edlen Grimmes an die Waden,
Und sagte: "nein, ich fliehe nicht,
Du willst mir wohltun um zu schaden."

Die Maskerade

Vor Zeiten als der Russe noch
Vor seinem geistlichen Monarchen,
Wie vor dem Zar, im Staube kroch,
Sah man den neuen Patriarchen
Auf einer sanften Eselin,
Umringt von bärtigen Prälaten,
Bojaren, Popen und Soldaten,
Durch Moskaus lange Gassen ziehn.

Einst stak man zwischen Tür und Angel,
Weil in der Stadt und auf dem Land
O Wunder! sich kein Esel fand.
Allein der Erzhirt half dem Mangel
Durch weise List auf immer ab.
Er läßt aus Nürnbergs Kunstfabriken
Sich ein Paar Eselsohren schicken
So groß wie es noch keine gab;
Und wählt zum Helden des Betruges
Ein kleines Pferd. Am Tag des Zuges
Ward es mit grauem Tuch bedeckt
Und ihm der Schmuck vom schlauen Küster
So künstlich auf den Kopf gesteckt,
Daß es bald selbst der Hohepriester
Für einen wahren Esel hielt.
Zwei Stunden hatte schon der Schimmel
Sein frommes Drama baß gespielt,
Als ihn ein Gaul aus dem Getümmel
Erkannte: "Vetter, rasest du?
Was soll der Kopfputz? Pfui des Toren!"
"Respekt!" rief ihm die Maske zu,
"Es sind des Patriarchen Ohren."

Der Stockfisch

Ein Stockfisch ward in Neufundland gefangen
Und sprach mit ängstlichem Verlangen
Zum rohen Schiffer: "Höre, Mann!
Was hast du mit mir vor?" — "Ei nun," fing dieser an,
"Das kann ich dir ja leicht vertrauen;
Zuerst wird dir der Kopf vom Rumpf gehauen,
Dann wirst du in die Welt gesandt
Und –-- " — "Himmel! ächzt der Arrestant,
Als träf ihn schon des Briten Eisen,
Im tiefsten Elegienton:
"Was! ohne Kopf?" — "Nun ja," versetzt der Schiffspatron,
"Es ist die neueste Art zu reisen."

Der Lohn des Helden

Einst fiel der Leu, der auf der Jagd
Zu tief sich in das Holz gewagt,
Zwei Tigern in die Pranken.
Gewaltig war sein Widerstand;
Allein, erschöpft und übermannt
Fing er jetzt an zu wanken.

Da sprang der Dogge schnell heran
Und rettete dem armen Khan
Durch seinen Tod das Leben:
Denn kaum entfloh die Mörderbrut,
So sah er ihn mit stillem Mut
Den Geist den Göttern geben.

Jetzt kam der ganze Hof herbei.
"Mir ekelt hier," sprach König Leu
Zum Fuchse, seinem Sklaven:
"Weg mit dem Aas! es braucht kein Grab;
Nur zieh' mir ja die Haut ihm ab,
Es läßt sich gut drauf schlafen."

"Ist dieses," rief mit bitterem Hohn
Der Bär zum Wolf, "des Helden Lohn,
Nach dem wir alle dürsten?
Stirb für dein Weib, für deinen Freund,
Fürs Vaterland, für deinen Feind;
Nur stirb für keinen Fürsten!"

Der Hahn und der Kapaun

Ein alter Hahn, der Schmuck vom Ritterhof,
Fing vor Auroren an, den Morgen zu verkünden.
"Hör auf," rief ein Kapaun, "die Ohren mir zu schinden!
Auch ohne deinen Ruf, Herr Philosoph,
Wird sich das Licht der Sonne zeigen."
Mit Macht beginnt das Blut dem edlen Hahn
In den gezackten Kamm zu steigen:
"Wohl dem," sprach er, "der krähen kann!
Denn merk es dir, dazu gehört ein Mann;
Eunuchen müssen freilich schweigen."

Die Bekehrung

Ein Wolf, ein wahrer Ariman,*
Der so viel Schafe niedermachte,
Als kaum der Fleischer Tamerlan
Dem Kriegsgott Menschenopfer brachte,
Lag auf den Tod am Magenkrampf
In seiner Kluft. Sein treuer Vetter
Und Spießgesell, ein frecher Spötter,
Besucht ihn, um im letzten Kampf
Ihm beizustehen: "Alle Wetter!"
Rief er, "was machst du armer Gauch?
Zwickt dich vielleicht ein Lamm im Bauch?
Steh auf; laß uns ein Schmaltier jagen;
Ein Teufel treibt den andern aus." —

"Was sagst du? Zitt're vor dem Rächer
Der Unschuld!" sprach der kranke Schächer
Mit schwacher Stimme: "keine Maus
Will ich mehr töten: gleich den Bissen
Der Viper nagt mich mein Gewissen;
Alecto,** mit dem Höllenpfuhl
Im Blicke, stürmet meine Höhle,
Und reißet meine schwarze Seele
Vor Minos ernsten Richterstuhl.
Ha, Freund! - Jetzt flossen seine Zähren
Wird Jupiter mein Flehn erhören,
Macht seine Gnade mich gesund,
So will ich meine Sünden büßen,
Nur Wurzeln und nur Gras genießen,
Und mit dem frommen Schäferhund
Die Herde vor den Wölfen schützen,
Ja, selbst mein Blut für sie verspritzen."
Der Vetter schüttelte den Kopf,
Und sprach bei sich: der arme Tropf!
Das Fieber macht ihn phantasieren.
Hier würden Luftklistier, Magnet,

Und selbst Apoll den Ruhm verlieren.
Er küßt den Freund und seufzt und geht.

Kaum bleicht der zackige Planet
Zum andermal die braunen Schatten,
So kehrt er in den Hain zurück,
Um ihn zur Erde zu bestatten,
Und sieht ihn mit erstauntem Blick
Vor einem fetten Widder sitzen,
Aus dem er Herz und Nieren fraß.
"Ei, ei, Herr Bruder, was ist das?"
Rief er, "heißt das die Herde schützen,
Und selbst sein Blut für sie verspritzen?"
Hier zog der graue Bösewicht
Sein finster blutiges Gesicht
Ins Lächeln, wie beim Sturm und Blitzen
Das Seegespenst im Tafelgolf:***
"Je nun," sprach er, und strich den Magen,
Ich war ein Lamm in kranken Tagen;
Gesund bin ich nun wieder Wolf."

*
eigentlich: Angra Mainyu, und das ist ein avestischer Begriff,
der in der zoroastrischen Theologie die Epitomie des Zerstörerischen
repräsentiert.
In den mittelpersischen Texten der zoroastrischen Tradition erscheint
der Name als Ahriman.

*
*eine Furie, Tochter des Äther und der Erde.
***
zu finden in der Lusiade Gesang. 5

Der Skorpion

Ein Schäfer stieß auf einen Skorpion
Und schwang schon seinen Fuß, ihn zu zerstören.
"Halt ein!" rief das Insekt: "Ist dies der Lohn
Für meine Nützlichkeit?" — "Hoho, laß hören,"
Versetzt der Hirt, "was wohl ein Skorpion
In aller Welt für Nutzen stifte?" —
"Ei!" sprach der Wurm im Operatorston,
"Wer kennet nicht mein Öl? Es wehrt dem schnellen Gifte,
Wenn euch mein Stachel ritzt." — "So, Bösewicht!
Und darum soll die Rache dich verschonen?"
Rief Milon: "Gäb es keinen Skorpion,
So brauchte man ihr Öl auch nicht."

Der Hase

Es traf sich einst ein rascher Hase
Mit einem wilden Kater auf der Straße.
Man schwatzte viel, auch von der Tapferkeit,
Und jetzt entstand ein Ehrenstreit.
Herr Murner pries den kühnen Mut der Katzen
Und hieß die Hasen feige Matzen.
"Verleumdung!" rief Herr Lamp, "du sollst mich sehn
Dem ersten Hund beherzt entgegen gehn."
Gut, gut. Sie trabten fort; auf einmal stießen
Sie auf das Aas von einem Schäferhund.
Lamp sah's zuerst. Mit schnellen Füßen
Läuft er so weit er kann, läuft sich die Sohlen wund
Und bleibt erschöpft von Mattigkeit und Schrecken,
In einem dichten Busche stecken.
Hier fand zuletzt der Kater ihn;
"Nun, nun, das heiß' ich mir vor einem Aase fliehn,"
Rief er, "ich suche dich schon eine halbe Stunde,
Du tapfrer Held." — "Ei, liebes Kind,
Versetzte Lamp, "ein and'res sind
Lebendige, ein and'res tote Hunde."

Der Maulwurf

Einst fand ein Maulwurf eine Brille,
Die eine fahrende Sibylle
Aus ihrem Zauberbuch verlor.
Er pflanzt' sie rüstig auf die Nase
Und sah gerade – was zuvor.
"Pfu," sprach er, "mit dem dummen Glase!"
Und warf es weg. Doch plötzlich ging
Ein Licht ihm auf. Mit trunk'ner Seele
Fuhr er damit in seine Höhle
Und wies es, als ein Wunderding,
Der Kolonie: "Seht, Brüder, sehet,"
Rief er von Weisheit aufgeblähet,
"Was ich vom Trismegist* empfing!
Ein Glas, wodurch ich Sterne, Maden,
Dämonen, Götter und Monaden
Mit hellem Aug' erblicken kann."

Jetzt fängt er an zu demonstrieren
Und von dem neuen Talisman
So salbungsvoll zu phantasieren,
Daß jeder glaubt es sei was dran.
Die Brüder wollten's auch probieren,
Und ob sie gleich nur Dünste sahn,
So tat es nichts. Die Brüder sprachen
Nur desto mehr vom Wunderglas
Und von dem Mann, der es besaß.
Wir müssen ihn zum Doktor machen,
Hieß es, und flugs war er gekrönt.

Sein Oheim nur, ein alter Späher,
Kratzt sich den Scheitel und verhöhnt
Mit bitt'rem Spott den neuen Seher;
Allein, man gab ihm Hohn für Hohn,
Er ward verdammet und geflohn.
Das kränkt den Alten. In der Stille
Der Nacht bricht er beim Doktor ein,
Stielt beide Gläser aus der Brille
Und deckt den Raub mit einem Stein.

Des Morgens tritt der neue Weise,
Mit dem entlehnten Augenpaar,
In seiner Schüler dichte Kreise
Und zeiget der entzückten Schar,
Trotz einem epischen Poeten,
Viel wunderschöne Raritäten.
Er ward des Diebstahls nicht gewahr,
Als aus dem Dunkel eines Winkels
Der Oheim auf den Lehrstuhl sprang:
"Das Fratzenspiel des Eigendünkels
Und des Betrugs währt allzu lang;
Ich muß des Hermes großem Schüler
Die Maske von der Stirne ziehn!"
Rief er und warf dem Schattenspieler
Die Gläser vor die Füße hin.
Der schweigt. Tumult erfüllt die Grotte.
Der Doktor stutzt, die ganze Rotte
Fällt racheschnaubend über ihn:
"Vergeßt euch nicht in eurem Grimme,"
Rief der Adept, mit dreister Stimme;
"Ihr Herrn macht euch nicht lächerlich!
Wahr ist's, ich hab' euch täuschen wollen;
Doch ihr betrogt euch mehr als ich;
Denn, unter uns, ihr hättet mich
Nicht gleich zum Doktor machen sollen."

*
Trismegist, Trismegistus, ein Beiname des Ägyptischen
Hermes oder Merkur.


Die Löwin und der Hund

In einem Wald bei Trankebar
Kam eine Löwin in die Wochen,
Die, selbst aus Feindes Mund gesprochen,
Ein Muster jeder Tugend war.
Doch ach, schon in den ersten Tagen
Ward ihre Frucht zu Grab getragen.
Sie lag betrübt auf kühlen Grund,
Als ihr getreuer Freund, der Hund,
Der stets an ihrer Seite wachte,
Mit einem Blick voll Zuversicht
Ihr einen jungen Tiger brachte.
"Was soll ich mit dem kleinen Wicht?"
Fragt sie bestürzt. "Ei nun, ich dachte,
Versetzt der Freund, du solltest ihn
Statt deines Kindes auferziehn."
"Ich?" rief sie hastig; "lieber sterbe
Ich, einen Tiger!" — "Eitler Wahn"
Sprach Philax, kann man Laster erben,
So steckt wohl auch die Tugend an."

Die Kirchenvereinigung

In einer griechischen Abtei,
Am Fuß des hohen Tabors, nährte
Der Prior einen Papagei,
Den er das Ave singen lehrte.
Er sang die Hymne so geschickt,
Daß ihn das fromme Volk entzückt
Mehr als Sankt Rochus Hund* verehrte.
Der Prior starb. Die Reiselust wacht'
Im Virtuosen auf; er kehrte
Mit leisem Flug, bei dunkler Nacht
Ins alte Vaterland zurücke.
Er stellte sich dem Hofe dar.
Der Adler, der zu gutem Glücke
Ein Freund der edlen Tonkunst war,
Erhob, als er in der Kapelle
Sich hören ließ, ihn auf der Stelle
An des verstorbnen Mufti Platz.
So hohe Würden hatte Matz
Sich auch im Traume nicht versprochen.

Doch Ehre bläht, Gewalt macht kühn;
Das neue Haupt des Sanhedrin
Gebar gleich in den ersten Wochen
Die Grille, seine Psalmodie
Bei allen Vögeln einzuführen.
Der frohe König billigt sie;
Der Waldgesang, die Liturgie
Des Herzens konnt ihn nicht mehr rühren,
War für sein Ohr Kakophonie:
Und zudem ist ja reformieren
Der Fürsten Steckenpferd. Sogleich
Ließ er in seinem ganzen Reich
Den neuen Canon publizieren.
Nun schützte zwar der Vögel Chor
Die hergebrachten Rechte vor;
Allein da half kein Protestieren.
Der Mufti drohte mit dem Bann:
Der Sultan sprach vom Strangulieren,

Und kurz, das neue Lied begann.
Die Sänger wetzten sich den Schnabel
Und orgelten mit Angst und Pein
Das tollste Wirrwarr durch den Hain,
Das seit der Symphonie zu Babel
Auf unserm Erdenrund erscholl.
Den Vorsang führten andachtsvoll
Der Storch, der welsche Hahn, die Eule,
Die Gans, der Kuckuck und der Pfau:
Sie kollerten sich braun und blau,
Und füllten, durch ihr Klaggeheule,
Das Land auf eine halbe Meile.

Ein weiser Rabe, lahm und grau
Vor Alter, saß bei dem Monarchen
Und schwieg. Mit zornigem Gesicht
Sprach der Despot zum Patriarchen:
"Rebelle, warum singst du nicht?" —
"Weil dein Gebot mein Herz empöret,"
Versetzt der Alte: "glaube mir,
Der Schöpfer hat ein jedes Tier
Sein eigenes Gebet gelehret,
Das ihm gefällt. Ein Lobgesang,
Den Furcht erpreßt, ist Übelklang,
Ist Lästerung, die ihn entehret.
Befiel nun meinen Tod." Er schwieg.
Der Sultan auch: wie Meereswogen,
So schäumt sein Blut. Noch wankt der Sieg;
Doch schnell rief er: "Ich ward betrogen!
Heil dir, o Freund, du zogst ihn ab,
Den Schleier, der mein Aug' umgab.
Und ihr, empfangt die Freiheit wieder,
Ihr Vögel, singet eure Lieder
In eurem angebornen Ton!"
Jetzt drangen sie in dichten Kreisen
Entzückt um des Monarchen Thron
Und lobten Gott nach tausend Weisen.
Der majestätische Choral
Steigt wallend in die lichten Sphären.
Der Sultan staunt. Zum ersten Mal
Hört er, was keine Muftis hören,
In der verschiednen Melodie
Die feierlichste Harmonie.

*Sankt Rochus Hund

Ein kurzer Auszug aus der Überlieferung:

Rochus von Montpellier

Die Überlieferungen über Rochus sind legendär. Demnach verlor
er schon früh beide Eltern, schenkte sein Vermögen den Armen,
trat in den Dritten Orden der Franziskaner ein und begab sich auf
Pilgerfahrt nach Rom; unterwegs half er bei der Pflege von
Pestkranken, dabei zeigte sich seine Gabe, Pestkranke allein durch
das Kreuzzeichen wundersam zu heilen. In Rom heilte wieder viele
Menschen, darunter einen Kardinal, dennoch blieb er arm und ohne
Ansehen. Auf der Rückreise wurde er in Piacenza selbst pestkrank;
im Spital ob seiner Armut nicht geduldet, zog er sich in eine Hütte
des nahen Waldes zurück. Da erschien ein Engel zu seiner Pflege,
und der Hund eines benachbarten Edelmanns brachte ihm Brot,
bis er genesen, heimkehren konnte.


Die zwei Hunde

Ein Junker hielt sich ein paar Hunde;
Es war ein Pudel und sein Sohn.
Der junge, Namens Pantalon,
Vertrieb dem Herrchen manche Stunde.
Er konnte tanzen, Wache stehn,
Den Schubkarren ziehen, ins Wasser gehn,
Und alles dieses aus dem Grunde.
Der schlaue Fritz, des Jägers Kind,
War Lehrer unsers Hundes gewesen,
Und dieser lernte so geschwind,
Als mancher Knabe kaum das Lesen.

Einst fiel dem kleinen Junker ein,
Es müßte doch viel leichter sein,
Den alten Hund gelehrt zu machen.
Herr Schnurr war sonst ein gutes Vieh,
Doch seine Herrschaft zog ihn nie,
Zu solchen hochstudierten Sachen;
Er konnte bloß das Haus bewachen.
Der Knabe nimmt ihn vor die Hand
Und stellt ihn aufrecht an die Wand,
Allein der Hund fällt immer wieder
Auf seine Vorderfüße nieder.
Man rufet den Professor Fritz,
Auch der erschöpfet seinen Witz;
Umsonst, es will ihm nicht gelingen
Den alten Schüler zu bezwingen.
"Vielleicht," sprach Fritze, "hilft der Stock:"
Er holt den Stock, man prügelt Schnurren;
Noch bleibt er steifer als ein Bock,
Und endlich fängt er an zu murren.
"Was wollt ihr," sprach der arme Tropf,
"Ihr werdet meinen grauen Kopf
Doch nimmermehr zum Doktor schlagen;
Geht, werdet durch mein Beispiel klug,
Ihr Kinder, lernet jetzt genug,
Ihr lernt nichts mehr in alten Tagen."

Der Hecht

Ein Klausner, der am Tiberstrand
Einst fischte, zog in seinem Netze
Den schönsten Hecht erfreut ans Land.
"Verwegner!" rief der Fisch, "verletze
Nicht meine heilige Person!
Du weist, die ganze Passion,
Den Kelch, den Schwamm, das Kreuz, die Lanze,
Die Nägel samt dem Dornenkranze,
Hab ich im Kopfe." — "Wunderlich!"
Versetzt der Greis: "Doch darf ich fragen,
Was hast du hier im vollen Magen?
Sprich oder ich zergliedere dich!" —
"Ach nichts; ein Nest mit jungen Aalen,
Hochwürdiger Herr Eremit,
Ein kleines Frühstück." — "Ha, Bandit!
Ich dacht' es wohl, ihr Kannibalen
Tragt die Religion im Kopf,
Und in dem Busen das Verderben."
Hier warf er ihn in seinen Topf
Und ließ ihn wie Sankt Vitus sterben.

Der Wolf und der Fuchs

Der Löwe war an Kräften ganz erschöpft,
Die kalte Gicht durchwühlte seine Glieder,
Umsonst ward er gerieben und geschröpft,
Der Quell des Lebens floß nicht wieder.
Sein Hofstaat ließ sich Tag vor Tag
Mit traurigem Gesicht vor seinem Bette sehen,
Um ihm mit Rat und Hilfe beizustehen.

Einst mißte man den Fuchs. Ein voller Taubenschlag
Gab ihm auf einem Dorf zu schaffen.
"Da sieht man's," sprach der Wolf zum Affen,
So leise daß dem Schach kein Wort entging,
"Der Bösewicht fragt einen Pfifferling
Nach seines guten Königs Qualen."
Hier ward die Wut des Löwen aufgeweckt
Er schwur: das soll er mir mit seinem Blut bezahlen.

Die Nachricht wird dem Fuchs gesteckt.
Er kam des andern Tags mit heitern Mienen
Zum alten Schach. "Was hielt dich gestern ab,
Verräter?" — "Sir, der Eifer dir zu dienen.
Ich lief nach Epidaur, dem Helfer Äskulap
Durch mein Gebet ein Mittel abzudringen,
Das deine Schmerzen stillt, die Kräfte wiederbringen,
Ja gleich dem Phönix dich verjüngen kann."
"Ist's möglich," rief der Schach; "ha, bester Freund, sag an!" —
"Du darfst dich," sprach er, "nur nach des Orakels Willen
In eine warme Wolfshaut hüllen,
So ist das ganze Werk getan."
"Ei, ei," rief Isegrim, "Gott Äskulap will spaßen,"
Und schlich der Türe zu. Der Löwe winkt dem Bär,
Dem Tiger und dem Hund, den Spötter anzufassen,
Und kurz er mußte sich, trotz aller Gegenwehr,
Auf seiner Majestät Gesundheit schinden lassen.

Die Unsterblichkeit

Der Esel Bileams starb alt und lebenssatt.
Sein grauer Schatten kam auf das Gestirn zu wohnen,
Wo sein Geschlecht schon seit Äonen
In bunten Tälern seinen Limbus hat.
Kaum sah der Brüder Chor den Klepper des Propheten
Aus Syrien, so rief die ganze Schar:
"Heil dir! auf unserm friedlichen Planeten,
Du, welchem das Talent im Ernst vergönnet war,
Das uns die Laune der Poeten
Im Scherze borgt, und das uns nur
Das Schattenreich gewährt. Trophäen und Altäre
Erwarten Dich schon lang auf dieser Flur." —
"Ihr Herren," sprach der Gast, "erweist mir zu viel Ehre:
Ich strebte nie nach hohem Ruhm,
Auch kostet mich mein Heldentum
Drei bare Rippen. Ha, bei meinen Ohren!
Das Los des Esels ist die Dunkelheit:
Wer in den Tempel der Unendlichkeit
Geprügelt werden muß, ist nicht dafür geboren."

Wenn es dich interessiert von welchem Esel hier die Rede ist, lies in der Bibel im 4.Buch Mose, Kap. 22 die Verse 20-33.