Der Wolf
Einst fiel in des Osiris Hain
Der schlimmste Wolf auf Gottes Erde
Ins Netz. Der Hirt der Opferherde,
Ein Priester, fand ihn. "Ich bin rein
Von allem Blut; sieh meine Klauen,
Sieh meinen Schlund: Herr, schone mein!"
Rief der Bandit mit bangem Grauen.
"In deinem Herzen wohnet Mord,"
Versetzt der Priester. — "Wenn's auch wäre,
So bin ich," fuhr das Raubtier fort,
"Nicht würdig, daß mir der Altäre
Geweihter Stahl das Herz durchsticht;
Beflecke deines Amtes Ehre
Und deine frommen Hände nicht." —
"Nur des Gerechten Blut beflecket,"
Sprach der Epopt,* "des Menschen Hand."
Er sprach es und sein Messer strecket
Das Ungeheuer in den Sand.
*Ein
Epopt ist ein Beschauer, Zeuge, Aufseher oder
Augenzeuge.
Die Bienen
Einst fuhr der Geist der Politik
In einen Bienenkorb. Da ging es an das Schwärmen;
Der Eifer für die Welt und für der Nachwelt Glück
Schien jede Brust und jeden Kopf zu wärmen;
Und auch das kleinste Glied der kleinen Republik
Drang sein Rezept ihr auf. So dauerte das Lärmen
Den ganzen Sommer durch. Der Arbeit strenge Pflicht
Kam völlig außer acht. Dies kränkte die Matronen
Von altem Schrot und Korn. Mit mütterlichem Schonen
Und mütterlichem Ernst im strafenden Gesicht
Ermahnten sie den Schwarm: vergeßt die Wirtschaft nicht!
Allein um sonst; man machte Motionen
Zum Wohl des Staats, bis Reif und Schnee verbot,
Nach Proviant zu gehen; dann stellte sich die Not
In allen Zellen ein. Von blinder Wut getrieben,
Bekriegten sie sich selbst, und was dem Krieg entrann,
Das hatte bald ein schlimmerer Tyrann,
Der dürre Hunger, aufgerieben.
Der Hund und der Esel
Der biedre Hund verließ die Burg des wilden Leuen.
Er traf auf einer grünen Bahn
Den sanften Junker Langohr an.
"Woher?" — "Ich floh den Hof" — "Warum?" — "Die Plackereien
Des Sultans kränkten mich." — "Das brave Tier!
Wohlan, ich mache dich zu meinem Leiblakaien.
Bleib hier; ich bin nicht grausam wie der Schach." —
"Nein," sprach der Hund mit ernster Miene:
"Verbrechen ist's dem Wütrich dienen;
Dem Dummkopf dienen, wäre Schmach."
Der Fuchs und der Wolf
Herr Fuchs ging auf die Freierei
Und kam an einem Born vorbei,
An dem ein blankes Zwillingspaar
Von Eimern aufgehangen war.
Er guckt hinein und sieht entzückt
Sein Bild im Wasser abgedrückt,
Und glaubt im Rausch der Schwärmerei,
Daß es sein trautes Liebchen sei.
Er winket ihr, sie winket ihm;
Er folgt. Mit frohem Ungestüm
Schifft er sich ein und schnellt hinab
Mit Rasseln in das nasse Grab.
"Wo bin ich, ach, ich armer Tropf!"
Ruft er. Doch er behält den Kopf
Und jauchzt: sein Jubel füllt die Luft
Und lockt den Wolf aus seiner Kluft.
Er trat zum Born: "Ach, armes Kind,
Liegst in der Hölle?" — "Bist du blind,
Mein Freund? Ich setze dir mein Vlies
Zum Pfand, ich bin im Paradies.
Komm, sieh, wie herrlich man hier lebt;
Steig in das Faß, das oben schwebt."
Der Wolf gehorcht ihm, fährt zu Grund
Und zieht den Gaudieb aus dem Schlund.
Die Klugheit macht, daß in der Welt
Das Zwerglein oft den Riesen fällt;
Nur wendet sie kein Biedermann,
Die Einfalt zu berücken, an.
Der Schwan und die Gans
Einst sang ein Schwan auf einem See
Sein Lied. Sonst hörten's nur die Söhne
Apolls; nun reizten seine Töne
Selbst eine Gans, die sich im Klee
Des Ufers sonnte. "Laß doch sehen,"
Sprach sie, "ob wir – denn Gans und Schwan
Sind eins – die Kunst nicht auch verstehen."
Sie streckt den Kragen himmelan,
Füllt ihren Blasebalg und kreischet
So jämmerlich, daß ihr Tenor
Des Menschen und des Tieres Ohr,
Ja selbst ihr eignes Ohr zerfleischet.
"Durch Übung wird man Meisterin,"
Sprach sie, versuchet es aufs neue,
Sinkt endlich heisch und kraftlos hin
Und bleibet immer Pfuscherin.
"Ha," gackert sie, "bei meiner Treue!
Der Schwan ist ein verdammter Wicht,
Ein Zauberer, sonst könnte nicht
Sein Lied so leicht, so tonreich fließen." —
"Ei Törin!" fiel der Schwan ihr ein,
"Man braucht kein Zauberer zu sein,
Um mehr als eine Gans zu wissen."
Der Skorpion und der
Knabe
Der Hirtenknabe Coridon,
Der nie den Buffon* las,
Fing einen großen Skorpion
Im braungesengten Gras.
Ein seltner Krebs, denkt er; allein
Vergebens führest du
Die Scheren nicht. Um klug zu sein,
Hielt er sich fest ihm zu.
"Sieh, Vater, welch ein Ungetüm
Ich dort im Grase fand,"
Rief er, und schon zerstach es ihm
Mit seinem Schwanz die Hand.
"Sohn, traue keinem Bösewicht,"
Sprach dieser; "schadet er
Dir nicht von vorne, sieh, so sticht
Er dich von hinterher."
*Georges
Louis Marie Leclerc, Comte de Buffon *7. September 1707 in
Montbard † 16.
April 1788 in Paris war ein französischer Naturforscher.
Sein offizielles botanisches Autorenkürzel lautet "Buffon".
Das Eichhorn und
seine Mutter
Ein Eichhorn hörte schon an seiner Mutter Brust
Den Hochgeschmack der Mandeln preisen.
So wie der Sommer wuchs, so wuchs mit ihm die Lust,
Von dieser Fürstenkost zu speisen.
Die Zeit erschien; die Frucht wird abgepflückt,
Der kleine Lecker beißt entzückt
Die bittre Schale durch, und stampft und grinst und spucket.
"Ein Esel," rief er aus, "wer diesen Quark verschlucket.
Beim Pan! die Mutter hat mich nur geneckt.
Ich schenk ihr meinen Teil an ihrem Göttermahle;
Allein laß sehn, was besser unten steckt."
Er räumt die Hülse weg und kommt nun auf die Schale.
"Was ist denn das? verflucht! ein Kieselstein.
Ho, ho! zum dritten Mal will ich der Narr nicht sein.
Fort mit der dummen Frucht!" Sie flog in einen Graben.
Die Mutter, die kein Wort vom Selbstgespräch verlor,
Sprang nun aus einem Busch hervor.
"Du zürnst umsonst," sprach sie zum naseweisen Knaben,
Und brach den Kiesel auf. "An dir liegt nur die Schuld:
Ein wenig Arbeit mehr, ein wenig mehr Geduld,
So würdest du den Kern gefunden haben."
Der Gebrauch der
Freiheit
An Herrn v.
Nicolai in Petersburg
Aus eines Junkers Burg entflohen einst vier Sklaven,
Ein Hund, ein Murmeltier, ein Kater und ein Star.
"Triumph, nun sind wir frei!" rief die entzückte Schar;
"Allein was tun wir jetzt?" — "Ich will ein Jährchen
schlafen,"
Versetzt das Murmeltier. "Und ich," sprach Meister Star,
"Ich will ums liebe Brot auf unsern Junker fluchen." —
"Das brauch ich nicht," rief Mauz; "ich werde stracks
Korsar." —
"Und ich," beschloß der Hund, "will einen Herrn mir suchen."
Dies, lieber alter Freund, war stets der Freiheit Los.
Der Sklave brauchet sie zur Dienstmagd seiner Lüste,
Indes der edle Mensch selbst auf Marokkos Küste
Sie nicht verlieren kann, noch in der Alpen Schoß
Sie erst zu suchen braucht; sie wohnt in seinem Busen
Und ihre Wächter sind die Weisheit und die Musen.
Circe und ihr Affe
Ein Affe war an Circes Hof,
Was nachher mancher Philosoph
Am Thron – ein Tierchen zur Parade.
Nur fand er bei der Fee mehr Gnade,
Als Plato je beim Dionys.
Einst, als er sich am Seegestade
Der Ehrfurcht Grillen überließ,
Erschien ein Adler seinen Blicken,
Der mutig in die Wolken drang,
Indes ein Delphin auf dem Rücken
Der Flut sich auf und nieder schwang.
"Ha!" sprach der Günstling voll Entzücken,
"Es kommt auf Circes Wink nur an,
Um mich mit Flügeln zu beglücken,
Und meine Pfoten, gleich dem Schwan,
Mit einer Schwimmhaut auszuschmücken;
Dann ist im ganzen weiten Reich
Der Schöpfung mir kein Wesen gleich."
Gesagt, getan. Mit schnellem Schritte
Lief er zur Dame. Diese war
Bei guter Laune; seine Bitte
Ward ihm gewährt. Sie sagte zwar:
Vielleicht wird dich dein Wunsch gereuen.
Allein er hört es nicht und leckt
Ihr unter tausend Faseleien
Die Hand, die sie ihm hingestreckt.
Kaum sah der Gaukler sich im Freien,
Als er sich in die obere Luft
Mit seinen neuen Flügeln wagte.
Hier ward aus seiner Felsenkluft
Ein Condor ihn gewahr; er jagte
Ihm nach und hackt ein Aug ihm aus.
Betäubt von Schrecken und vom Schmerze,
Floh er ins Meer. Gleich einer Maus
Fing ein Haifisch und zum Scherze
Biß er das rechte Bein ihm ab.
"Ach!" wäre ich wieder auf dem Lande,
Sonst wird der Fische Bauch mein Grab!"
Seufzt er und schwimmt so schnell zum Strande.
Als er nur kann. "O Königin!"
Spricht er zur Fee mit trübem Blicke,
"Ach sieh, wie ich verstümmelt bin!
Nimm wieder Flosse und Fittig hin
Und gib mir Aug und Fuß zurücke."
Voll Huld ergänzt das lose Weib
Des armen Märtyrers Fragmente
Und sagte mit Lachen: "Jeder bleib
In seinem Elemente."
Der Schakal
Ein Schakal fiel mit wildem Zahn,
Als einst das tapfre Heer der Briten
Am Ganges einen Sieg erstritten,
Die Körper der Erschlagnen an.
"Ha, Frevler!" rief ein zweiter Trimm
Dem Untier zu, "bist du besessen?
Ich will dich lehren Menschen fressen!"
Er sprach’s und zog sein Schwert nach ihm.
"Wer ist," so schlug das freche Vieh
Den frommen Zorn des Rächers nieder,
"Die größte Geisel deiner Brüder?
Du tötest, ich begrabe sie."
Die Vögel
Der Adler war zu jeder Zeit
Der Vogel Oberherr; allein die große Charte
Des Reichs entzog das Volk dem Joch der Dienstbarkeit.
Einst bracht' ein alter Kauz mit einem langen Barte
Den großen Vorschlag auf die Bahn,
Die Staatsverfassung umzuschmelzen.
Der Papagei, der Star, die Gans, der welsche Hahn,
Die Spatzen und die Wasserstelzen
Bejauchzten den Entwurf der Reformation,
Der jedes Glied der Nation
Mit vollem Recht zum Mitregenten machte.
Der Schwan allein blieb stumm. Er überdachte
Den neuen Schöpfungsplan. — "Warum so still,
Wenn Groß und Klein mir lauten Beifall zollen?"
Rief Solon Kauz ihm zu. — "Wenn jeder herrschen will,"
Versetzt der Schwan, "so sprich, wer wird gehorchen wollen?"
Der Paradiesvogel
Ein Vogel, von dem Paradies
Hat er, Gott weiß warum, den Namen,
Geriet dem Pater Aloys
Von Dominiks geweihtem Samen
Auf seinem frommen Ritterzug
Nach Koromandel* in die Klauen.
Der Pfaffe konnte nicht genug
Das seltene Geschöpf beschauen.
Entzückt rief er ihm endlich zu:
"Du, dessen Ahnen einst in Eden
Mit Adam hausten, hörest du
Nicht manchen Greis noch von ihm reden?" —
"Ach nein," versetzt das gute Tier. —
"Ist nichts durch Überlieferungen
Aus jener Zeit zu euch gedrungen?" —
"Kein Wort." — "Du willst, gesteh es mir,
Mich durch Verstellung bloß betören." —
"Nein, wahrlich, nein, das kann ich schwören." —
"Wie dumm!" rief der beschorne Held,
"Uns ist es leicht, den frommen Seelen
Aus jedem Teil der andern Welt
Stets etwas neues zu erzählen."
*Koromandel
(Coromandel) ist die südl. Ostküste Vorderindiens.
Das Rhinozeros
und die Gazelle
Das trotzige Rhinozeros
Tat einstmals gegen die Gazelle
Mit seinen Heldentaten groß.
"Ich," sprach der panzerne Geselle,
"Verachte selbst des Löwen Zorn;
Den Elefanten spießt mein Horn,
Und wenn ich ihn nicht immer fälle,
So kostet stets der Sieg ihn Blut." —
"Nun," sagte die Gazelle, "gut,
So kannst du doch den kürzern ziehen;
Ich niemals." — "Du?" brüllt der Gigant
Mit Augen, welche Flammen sprühen.
"Ich," rief sie spöttisch und verschwand,
"Denn ich kann stets dem Feind entfliehen."
Der Habicht und die
Taube
Ein Täubchen fiel in eines Habichts Klauen.
"Ha!" rief der Wüterich,
Indem er's rupfte, "hab ich dich?
Verruchte Brut! Ich weis, mit welchem Grauen,
Mit welchem Hass von mir die Taubenrotte spricht;
Doch es gibt Götter, die den Frommen rächen." —
"Ach! möchtest du die Wahrheit sprechen!"
Versetzt das Täubchen. — "O! der Bösewicht!
Was hör ich? wie? du leugnest gar die Götter?"
Erwidert ihm der Schalk. "Ich wollte dir verzeihn,
Nun aber stirb!" . . . "Stirb selbst, verruchter Spötter,"
Rief jetzt ein Jäger aus dem Hain;
Und der Verräter fiel zugleich mit seinem Raube.
"Vergib mir," sprach der Mensch zur Taube,
"Mein Bolzen traf dich bloß aus Not;
Denn um auf deinen Feind nicht fehl zu schießen,
Hab' ich dich selbst durchbohren müssen."
Das Täubchen sagte nichts; es war schon tot.
Allein der Habicht sprach: "Du bist mein Meister;
Auf Wiedersehen im Reich der Höllengeister!"
Der Fuchs und der Bär
Ein schlauer Fuchs fing sich in einer Falle
Und ächzte jämmerlich. Ein weißer Bär
Kam an den Ort, gelockt vom dumpfen Schalle
Der ekeln Elegie. "Der Himmel führt dich her,"
Rief Reinhard aus, "vom Tode mich zu retten.
Ein Druck von deiner Faust zersprenget meine Ketten." —
"Wie fielst du denn in Sklaverei?"
Versetzt der Samojed; "ihr Herren Hühnerdiebe
Seid sonst verschmitzt genug." — "Ei nun, aus Bruderliebe,"
Sprach Meister Fuchs. "Auf meiner Streiferei
Sah ich ein fettes Aas in dieser Falle liegen.
Ha, dacht' ich bei mir selbst, ein unerfahrnes Tier
Kann dieser Köter leicht betrügen;
Auf, Reinhard, nimm ihn weg! der Fuß entwischte mir,
Die Falle schnappte zu, und ach! ich war gefangen.
Zieht deine Großmut mich nicht aus dem ehern Netz,
So wird mein Henker bald mit meinem Felle prangen." —
"Beim Zeus! das soll er nicht!" erwidert Petz
Und bricht den Kerker auf. "Gottlob, es gibt noch Bären.
Getrost! ich werde dich mit Haut und Haar verzehren."
Der Kranich und der
Fuchs
Ein Kranich stand auf einem Hügel
Gedankenvoll auf einem Bein,
Und schien mit tiefgesenktem Flügel
In Kummer aufgelöst zu sein.
Da kam aus einem nahen Hain
Ein alter Fuchs hervorgekrochen.
"O Freund! dich quält geheime Pein,"
Rief er, "hab ich nicht wahr gesprochen?
Was ist der Grund von deinem Schmerz?
Bedarfst du meiner treuen Hilfe?" —
"Nichts," sprach der Kranich, "heilt mein Herz;
Hör an: Ich baute mir im Schilfe,
Das jenes Teiches Ufer deckt,
Mein erstes Nest. Voll banger Sorgen
Verließ ich hungrig diesen Morgen
Vier Eier, die ich bald ausgeheckt
Der Liebe schönste Frucht versprachen,
Indes ein Fischer mit dem Nachen
Vorüberfährt, das Nest entdeckt
Und ach! Die ganze Brut zerstöret." —
"Ha!" rief der Fuchs, "der Bösewicht!
Ward je solch eine Tat erhöret,
Die wohl mit Recht das Herz dir bricht,
Und selbst das kälteste Blut empöret!
Doch sage, Lieber, weist du nicht,
Was aus den Eiern wohl geworden?
Vielleicht" . . . "Ach," fiel der Vogel ein,
"Gereizt durch bloße Lust zu morden,
Zerschmiß er sie an jenem Stein." —
"Gott tröste dich!" sprach der Geselle,
"Auf Wiedersehn." In vollem Lauf
Eilt er nach der bemerkten Stelle,
Und fraß die Embryonen auf.
Der Kranich sah es. "Ha, Verräter!"
Rief er den sauberen Tröster zu,
"Wer ist ein größrer Übeltäter,
Der wilde Mörder oder du?"
Die Giraffe
Das Tier mit klafterhohem Fuß,
Sonst Giraff, das die Musen hassen,
Weil man den Namen stümmeln muß,
Um ihn in einen Vers zu passen.
Dies Monstrum des Parnasses stand
Vor einem Wald, steif wie die Zeder:
So steht ein finstrer Doktorand
Auf seinem staubigen Katheder.
Ein Esel sah es, während er
Mit einem Fuchs auf einer Wiese
Mittagsruh hielt, von vorneher
Und rief: "Sieh Bruder, welch ein Riese!"
"Laß uns ein Eckchen in den Wald
Auf jenem Seitenpfade gehen,"
Versetzt der Fuchs, "sonst wirst du bald
Den Riesen auch von hinten sehen."
Gesagt, getan. Das Wundertier,
Das kurz vorher als Ries' erschienen,
War jetzt ein Zwerg. "Gibt's Hexen hier?"
Schrie Langohr mit bestürzten Mienen.
"Verbanne, Nachbar, deinen Graus;
Um einen Mann für groß zu achten,
Mußt du zuvor," rief Reinhard aus,
"Von allen Seiten ihn betrachten."
Der Widder,
der Fuchs und die Ziege
Ein Widder hielt im weichen Grase
Mit einer Ziege Mittagsruh;
Da schlich ein Fuchs mit weiser Nase
Aus einem dicken Busch hinzu.
Er gafft den Widder an. "Wie prächtig,"
Sprach er, "ist deiner Hörner Paar!
Wie furchtbar wärest du, wie mächtig,
Nähmst du des edlen Vorteils wahr,
Den du von der Natur empfangen.
Könnt ich mit solchen Waffen prangen,
So wäre ich selbst mir Herr und Schutz;
Ich lachte dann mit stolzer Seele
Des Leuen herrische Befehle
Und böte seinen Schössern* Trutz." —
"Das wäre hübsch, bei meinem Leben!"
Versetzt der Widder, "muß ich nicht
Ihm jährlich zwei Pfund Wolle geben?" —
"Ha," rief der Fuchs, "Der Bösewicht!" —
"Ich," sprach die Ziege, "will nun eben
Nicht klagen; freilich muß ich ihm
Des Jahres zwei Kannen Milch erlegen;
Allein, er schützte mich dagegen
Schon oft vor Meister Isegrim.
Auch dich, Herr Fuchs, entriß der Leue,
Ich sah es selbst, des Tigers Zahn,
Und fielen ihrer zwei dich an,
Was nützte dann dir dein Geweihe?" —
"Ich trete deiner Meinung bei,"
Versetzt der Widder; "mag der Schösser
Noch heute kommen; immer besser
Ist zinsbar sein, als vogelfrei."
*Beim
"Schoss" handelt es sich um die Bezeichnung für direkte
Steuern.
Den Schosseintreiber nannte man Schösser, also einen
Steuereintreiber.
Der Leopard und
das Eichhorn
Ein Eichhorn, das auf seiner Fahrt
Von Baum auf Baum zephyrisch hüpfte,
Verlor den Kopf, sein Fuß entschlüpfte,
Es fiel auf einen Leopard,
Der in dem Schatten einer Eiche
Der Ruhe pflegte. Der Gigant
Fuhr brüllend auf. Bereits halb Leiche
Vor Schrecken, fiel der Arrestant
Auf seine Knie, bat um Gnade
Und machte sich gar winzig klein
Vor seiner Hoheit. "Arme Made!"
Rief dieser, den die Todespein
Des Zwergs zur Huld bewog, "dein Leben
Ist mein; ich schenke dirs; allein
Zuvor mußt du Bescheid mir geben,
Warum du stets so fröhlich bist,
Indes mich, Prinz vom Geblüte,
Der Überdruß und Mißmut frißt?" —
"Herr!" sprach das Eichhorn, "deine Güte
Macht Wahrheit mir zur Pflicht; doch hier
Spricht's es nicht gut; ich quetschte mir
Bei meinem schweren Fall die Lunge;
Laß mich ins Freie." — "Nun, es sei,"
Versetzt der Prinz, und gab es frei.
Das Eichhorn maß mit seinem Sprunge
Den Baum, und sprach vom höchsten Ast:
"Du wolltest mein Geheimnis wissen;
Hier ist's: ein Gut, das du nicht hast,
Das deinesgleichen stets vermissen,
Erhalt mein Herz bei heiterem Mut." —
"So nenne mir dies edle Gut." —
"Es heißt: ein ruhiges Gewissen."
Jupiter und das Pferd
Aktäon war, man weiß es längst,
Der Jagd mit Wut ergeben;
Manch treuer Hund, manch braver Hengst
Verlor durch ihn sein Leben.
Dies Los sah auch ein Schweißfuchs vor,
Der endlich die Geduld verlor
Und sich beim Zeus beklagte.
"Herr," sprach er seufzend, "möge doch
Mein Ungemach dich rühren!
Ich trage, in der Tat! das schwerste Joch
Von allen deinen Tieren.
Mein Junker schindet mich zu tot,
Drum bitt' ich dich, ende meine Not
Und mache mich zum Esel."
"Zum Esel?" rief der gute Gott,
"Hast du sein Los vergessen?
Ihn drücken Arbeit, Schläge, Spott,
Und Disteln sind dein Essen.
Geh, schände deinen Adel nicht,
Bleib was du bist; der Unmut spricht
Aus deinen bittern Klagen."
"Mein Adel macht mich armen Gauch
Zu eines Narren Vasallen;
Dem Esel geht es freilich auch
Nicht immer nach Gefallen;
Doch er ist mit Geduld versehen,
Auch zwingt der Stock ihn bloß zu gehen,
Mich zwingt der Sporn zu laufen."
"Was sagst du zu dem Riesenwuchs
Der oft belachten Ohren?" —
"Was Zeus gemacht," versetzt der Fuchs,
"Das tadeln bloß die Toren."
Chronion lächelt. Für ein Pferd
Fand er die Antwort fein und wert
Ein Wunder auszuwirken.
"Nun, nun," rief er, "der Fall ist neu;
Dir sei dein Wunsch gewähret,
Sei, was du warst, und doch dabei,
Was du zu sein begehrest."
Er sprach's und winkte mit der Hand.
Der Gaul erbebte; plötzlich stand
Ein Maultier vor dem Throne.
Es jauchzt ihm Dank, es hüpft davon,
Es wälzt sich auf Rosen.
Doch bald entdeckt es sein Patron,
Er wirft mit falschen Rosen
Ihm einen Zügel um den Kopf
Und brauchte jetzt den armen Tropf
Zugleich als Pferd uns Esel.
Nun bat das Tier Chronions Huld,
Noch einmal es zu retten.
"Nein" sprach der Gott mit Ungeduld,
"Behalte deine Ketten.
Der Sklave, der, vom Joch befreit
Zurückfällt in die Dienstbarkeit,
Verdient das Joch zu tragen."
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