Der Reiher, der Habicht und der Schöps
"Wie lange willst du noch, Barbar,
Die ganze Flur veröden,
Und als ein wütender Korsar
Die schwächern Brüder töten?
Bald ist der Wald von Vögeln leer,
Und schon entzückt ihr Lied nicht mehr
Den Schnitter und den Hirten."
So ward ein Habicht, der vom Fraß
Vergnügt nach Hause kehrte,
Von einem Reiher, der im Gras
Den fettesten Aal verzehrte,
Mit ernsten Blicken angekräht,
Wie wenn des Priors Majestät
Den Mönchen Buße predigt.
"Was du an mir als Fehler rügst,
Das tust du selbst," versetzte
Der Habicht. — "Wie du dich betrügst!
Als ob ich Vögel hetzte!"
Rief Junker Reiher; "liebes Kind,
Auch im strengsten Fasten sind
Die Fische nicht verboten."
Der Habicht widersprach, allein
Da war nichts auszurichten;
Doch kam man endlich überein,
Dass, um den Zank zu schlichten,
Ein Schöps, den man im Busche sah,
Durch einen Spruch ex cathedra*
Den Fall entscheiden sollte.
Sie stritten sich im dreisten Ton
Gelehrter Renomisten
Aus allen Kräften vor dem Thron
Des neuen Kasuisten;
Der gar ein großes Tier sich schien,
Indem die zwei Athleten ihn
Stets ihre Weisheit nannten.
"Ihr Herren," blökt der seltne Geist
Nach wohlerwognen Klagen,
"Nie kann, wer Fisch und Vögel speist,
Den Namen Mörder tragen
Der einzig wahre Mörder ist
Der frevle Wolf, der Schöpse frißt;
Und nun geht hin in Frieden."
*ex
cathedra
lat. verbindlich, unfehlbar, eine Erklärung abgeben.
Die Flötenspieler
Damötas blies dem Hirtenchor,
Bestrahlt vom Glanz der Abendröte,
Ein altes Lied des Phöbus vor.
Die zarten Töne seiner Flöte
Ergötzten Philomeles Ohr,
Und rührten selbst die rohen Faunen.
Die Gruppe sank in süßes Staunen,
Ihr Auge hing am Zauberrohr,
Und mächtig stieg bei jedem Laute
Ihr sanft beklemmtes Herz empor.
Sogar ein Esel trat hervor,
Der in dem Tale Disteln kaute.
"Der Mensch ist doch ein großer Tor,"
Sprach er bei sich; "da bläst ein Hase
Mit vollen Backen in ein Loch,
Und alles öffnet Maul und Nase.
Wie sie nun klatschen! Säng' er noch,
So wäre es ihnen zu verzeihen.
Allein was sag' ich? fliehn sie doch
Mit Ekel meine Melodeien.
Zwar Undank ist der Künste Lohn!"
Vertieft in finstre Träumereien,
Schlich er mit sachtem Schritt davon,
Und fand auf einer nahen Matte
Die Flöte, die der junge Hirt,
Myrtill, im Gras verloren hatte.
Er stehet still; sein Klotzaug irrt
Mit schiefen Blicken auf dem Rohre;
Nun pflanzt er mit gesenktem Ohre
Die platte Schnauze vor das Loch,
Versucht es frisch hineinzuschnauben
Und presset – o wer wollte doch
Nicht an des Zufalls Wunder glauben?
Ein Ut heraus. Er kennt sich kaum,
Schielt triumphierend nach Damöten
Und ruft mit einem Purzelbaum:
"Juhei! juhei! auch ich kann flöten."
Kein Balsam gleicht der Eitelkeit,
Sie heilt sogar des Esels Neid.
Die Entdeckungsreise
Um fremde Länder zu besehn,
Ließ König Adler ein paar Störche
Mit Doktorsrang auf Reisen gehen.
Schon sang das hohe Lied der Lerche
Zum zweiten Mal den Frühling an,
Als unsre Waller wiederkehrten,
Und bei dem König durch den Hahn
Mit klappern Audienz begehrten.
"Willkommen," rief der gute Chan,
Indem das hohe Paar sich nahte,
"Ich muß nach dem geheimen Rate,
Darum erzählt jetzt nur im Flug
Das Wichtigste von eurem Zug." —
"Sir," sprach der eine mit zu Boden
Gesenktem Schnabel, "unserm Lauf
Stieß in dem Land der Antipoden
Ein Volk von seltnen Vögeln auf.
An Rechten gleich, wie an Gefieder,
Sind alle beides, Haupt und Glieder,
Hier ist kein Herr, kein Untertan;
Auch nennen sie sich alle Brüder." —
"So werden sie," versetzt der Chan,
"Einander auch als Brüder lieben?
Du schweigst?" — "Herr," sagte sein Gespan,
Der wider Willen stumm geblieben,
"Die Wahrheit zu gestehn, wir sahn
Sie täglich bis aufs Blut sich balgen." —
"Ha," rief der Fürst von Zorn entbrannt,
"Kommt solch ein Bruder in mein Land,
So sei der erste Baum sein Galgen."
Die Raupe
In einem Klub von Tieren ward
Die seltne Kunst des Seidenwurms erhoben.
"Wie schön," rief jedes aus, "wie fein, wie zart
Ist sein Gespinst! Der Königinnen Roben,
Der Götter Schärpen sind aus ihm gewebt." —
"Ich sehe wohl, ihr seid nicht karg im Loben,"
Sprach eine Raupe hier; "was ihr so hoch erhebt,
Ist des Geschreis nicht wert." Vergebens wandte
Man dies und das ihr ein. Sie gab nicht nach;
Im Gegenteil, je mehr man widersprach,
Je hitziger ihr Zorn entbrannte.
Der Klub erstaunt. Da trat aus einem Strauch
Der Fuchs hervor, und mit dem Ernst des Bären
Sprach er:"Ich will das Rätsel euch erklären:
My Lady Raupe spinnet auch."
Der Gärtner und
der Birnbaum
In Meister Veltens war
Ein alter Baum, sonst reich an Birnen,
Jetzt aber siech und unfruchtbar.
Ein Tor nur kann darüber zürnen:
Ja wohl. Indes gab der Barbar
Mit einer Axt in seinem Grimme
Dem Birnbaum einen Hieb. "Halt ein!"
So rief der Dryas* dumpfe Stimme,
"Laß dir mein Alter heilig sein.
So lange hab' ich dich genähret,
Und nun - o warte, bis die Zeit
Mein bißchen Leben gar zerstöret."
"Mich rühret," sprach der Mann, "dein Leid;
Allein ich brauche Holz." Jetzt machte
Er sich zum zweiten Streich bereit.
"Was tust du?" rief zu gleicher Zeit
Ein Chor von Vögeln; "sachte, sachte!
In dieses Baumes Schatten setzt
Dein Weib sich täglich und ergötzt
Ihr Ohr an unserm Lied." Hier lachte
Der wilde Gärtner; er vertrieb
Den Chor und tat den zweiten Hieb.
Doch schnell erhob ein Schwarm von Bienen
Sich aus dem hohlen Stamm hervor
Und sprach zum Gärtner: "Sei kein Tor;
Der Baum soll dir noch Geld verdienen.
Verschonst du ihn, so hausen wir
In seinem Schoß und werden dir
Manch schönes Tröpfchen Honig geben.
Bewegt dich das?" — "O! glaubet mir,
Ich möchte weinen; er soll leben,"
Versetzt der Filz, "der liebe Baum;
Er, dessen Früchte meinem Gaum
So manches süße Labsal gaben;
Er, dessen Äste meinem Weib
Bald Schatten, bald den Zeitvertreib
Des Waldgesangs gewähret haben,
Und dessen Stamm zur Residenz
Die holdesten Bienchen sich erlasen.
Wohlan, ich will ihn jeden Lenz
Mit einem frischen Blumenrasen
Für eure Tafel rund umziehn;
Verlaßt euch drauf." Er ging. Im Gehen
Schuf er ein Honigmagazin
Im Kopfe. Kurz, der Baum blieb stehen.
Wenn Eigennutz den Dank gebietet,
So rechnet auf Erkenntlichkeit.
*kommt
vom griech. Dryade und bedeutet Baumgeist.
Der Bußprediger
Als Reineke sich allgemach
Dem hohen Alter nahte
Und es ihn oft an Wild gebrach,
Ging er mit sich zu Rate
Und sprach: mein Mühlrad stehe still;
Was treib ich nun? wohlan, ich will
Dem Predigtamt mich widmen.
Er pflanzte sich auf einen Stein,
Entlehnte die Gebärde
Von einem Kreuzluftvögelein,
Und sprach von dieser Erde
Als einem finstern Jammertal,
Besät mit Dornen ohne Zahl,
Bewohnt von Basilisken.
Dann drang er mit gesenktem Blick
Auf Einfalt, Sanftmut, Liebe.
Allein er machte wenig Glück
Mit seiner Diatribe.
Ein Murmeltier und eine Kuh,
Ein alter Pudel hörten zu;
Die andern Tiere schwatzten.
Stracks ändert unser Demosten
Den Inhalt seiner Lehren,
Und schilt als ein Energumen*
Auf Tiger, Wölfe, Bären.
Sein kühner Pinsel malt mit Blut
Die Raubsucht und die freche Wut
Der mörderischen Horde.
Nun horchet alles, Esel, Gaul,
Schöps, Hirsche, Hasen, Affen;
Der plärrt, der klatscht, der krümmt das Maul,
Der küßt den biedern Pfaffen.
Und keine Woche strich vorbei,
So wurde vor dem König Leu
Mit Ruhm von ihm gesprochen.
"Den muß ich hören!" rief der Khan,
Und ließ den Redner rufen.
Er kommt, im Geist schon Hofkaplan,
Und leckt des Thrones Stufen.
Flugs wurde vor des Königs Zelt
Ein hohler Kürbis aufgestellt,
Der ihm zur Kanzel diente.
Er donnerte wie Chrysostom
Dem Sultan ins Gewissen;
Nie sah man seiner Gnade Strom
So mächtig sich ergießen.
Der Schranzen Trug ward aufgedeckt,
Und der getäuschte Fürst erweckt,
Der Unschuld Recht zu schaffen.
Der Hof erhob ein Kriegsgeschrei
Und sprach von den Galeeren.
"Nein," rief der Schach, "er rede frei,
Ich muß die Wahrheit ehren.
Freund, mir gefällt dein kühner Ton;
Bleib hier; was forderst du zum Lohn?" —
"Sir, täglich ein paar Gänse."
*Energumen
(griech.) ein von einem Dämon besessener rasender Schwärmer.
Der Fuchs und das
Hühnchen
Ein Hühnchen, das sich in der Ernte,
Indem es Weizenkörner las,
Zu weit vom Mutterdach entfernte
Und kichernd seine Beute fraß,
Sah schnell aus eines Baumes Höhle
Sich einen alten Kreuzfuchs nahn.
Das arme Ding befahl dem Pan
Mit Krächzen seine bange Seele.
»Getrost!« rief ihm der Schächer zu,
"Mein Fräulein, warum zagest du?
Doch ich begreife deinen Schrecken;
Ach! meiner Brüder schlaue Wut
Pflegt oft genug mit euerm Blut,
Gott sei's geklagt! sich zu beflecken.
Umsonst such' ich die Höllenbrut
Durch frommen Zuspruch zu bekehren;
Sie spotten meiner treuen Lehren.
Es sei darum; ein Biedermann
Läßt sich im Wohl tun doch nicht stören;
Er trachtet stets, so gut er kann,
Der Bosheit insgeheim zu wehren.
Das tu auch ich. Zwei Stunden schon
Frag' ich nach eurer frommen Zelle,
Um euch zu sagen, daß mein Sohn
Der Gaudieb, und sein Mordgeselle,
Der Marder, heut gesonnen sein,
Euch einen Nachtbesuch zu machen.
O ließen sie mich zu sich ein,
Ich würde gegen diese Drachen
Selbst deiner Eltern Haus bewachen."
Das Hühnchen führt den Hannibal
Im Schafspelz hüpfend nach dem Hofe.
Doch kaum erreichen sie den Stall,
So gab es eine Katastrophe,
Trotz der Pariser Bluthochzeit.
Der Schutzherr warf der Heiligkeit
Erborgte Larve weg. Er stürmte
Die Burg; wie Hector, der Titan,
Im Lager des Atriden, türmte
Er Hekatomben* auf. Sein Zahn
Zerriß zuerst den Monokraten
Der Kolonie, den stolzen Hahn,
Mit Weibern, Kindern und Kastraten,
Dann sieben kupfrichte Prälaten
Aus Kalekut. Das Hühnchen saß
Halb tot im Stroh; eh er es fraß,
"Nimm," sprach er, "nach dem Höllenreiche,
Mein Schatz, die große Lehre mit,
Daß auf der Erde kein Bandit
An Schalkheit einem Frömmler gleiche."
*Als
Hekatombe (ἑκατόμβη
[hekatómbê]) bezeichnete man
bei den antiken Griechen ursprünglich ein Opfer von 100
Rindern.
Die Erziehung des Löwen
Des Löwen Eheschatz gebar
Ihm endlich einen jungen Prinzen.
Was das nicht für ein Jubel war
Am Hof und in des Reichs Provinzen!
An Freunden, wie man weiß, gebricht
Es glücklichen Monarchen nicht;
Doch dieser war dabei auch weise.
Kaum öffnete sein kleiner Sohn,
Die Augen, so erwog er schon
In seines Rats vereintem Kreise
Die Mittel, seinen Benjamin
Zum Wohl des Volkes, dem Thron zur Ehre,
Durch einen Mentor zu erziehn,
Der dieses Titels würdig wäre.
"Ich weiß," so sprach der Potentat
Voll Huld zum horchenden Senat,
"Die Wahl ist wichtig, nichts ist schwerer
Zu finden als ein Fürstenlehrer,
Der Tugend mit Talent vereint
Drum bitt' ich euch mir treu zu raten;
Wer kennt einen Kandidaten,
Der ihm des Vorzugs würdig scheint?"
Er schwieg. "Herr König," sprach der Tiger,
"Der Krieg allein macht Fürsten groß.
Wer schreckt, der herrscht. Darum wirf dein Los
Auf den nach dir berühmten Krieger.
So bald dein Sohn zu siegen weis,
So hat er ausgelernt." — "Getroffen!
Der Tapferkeit gebührt der Preis,"
Versetzt der Bär; "nur will ich hoffen,
Du suchst, Sir, den kühnen Mut
Mit stiller Klugheit, kaltem Blut
Und edler Gravität verbunden.
In dem Fall ist dein Mann gefunden." —
"Mich dünket," sprach mit scheelem Blick
Der arge Fuchs, "die Politik
Sei des Monarchen erste Tugend.
Die präge man dem Prinzen ein;
Man lehre ihm schon in früher Jugend,
Ein feiner, schlauer Hofmann sein." —
So wollte jeder sich die Stelle,
Doch nur inkognito, verleihn.
An Höfen sind dergleichen Fälle,
Wie man versichert, sehr gemein.
Dies wurmte nun den Hund. "Ich denke,
Ein guter Fürst kriegt nur aus Not,"
Sprach er, "und hasset, wie den Tod,
Die Streitsucht und die schnöden Ränke.
Ein schöneres Arkan, die Lust
Des treuen Volks, der Feinde Schrecken
Zu werden, Sir, liegt in der Brust
Der Herrscher; soll ich dies entdecken?
Ruhm; Überfluß und Allmacht gibt
Ein Volk dem Fürsten, der es liebt.
Dies heiß ich Staatskunst, das Gewerbe
Des Erdengottes; soll dein Erbe
Es lernen, Herr, so sei's von dir." —
Der Divan stutzt und hängt die Ohren.
"O Freund! gesegnet seist du mir
Und meinem Volk! du bist geboren
Der Stifter unsres Glücks zu sein;
Sei es und flöße meinem Sohne,
Von Schmeichlern fern und fern vom Throne,
Die Staatskunst deines Herzens ein."
So sprach der Schach, und ließ den Weisen
Mit seinem kleinen Zögling reisen.
Der Mentor bringt den Wahn ihm bei,
Daß er ein armes Hündchen sei,
Ein Vetterchen, das es erziehe;
Und da der Alte falb von Haar
Und vom Geschlecht der Pudel war,
Gelang die List ihm ohne Mühe.
Er zog mit ihm von Land zu Land,
Wies ihm das Volk gedrückt, getäuschet,
Den Schwächern in des Stärkern Hand,
Den Hasen von dem Fuchs zerfleischet,
Das fromme Schaf vom Wolf verzehrt,
Den Rehbock in des Panthers Klauen.
Sie sahn mit einem Joch beschwert,
Und kaum zur Not mit Spreu genährt,
Den Stier im Schweiß den Acker bauen,
Indes, geliebet und geehrt,
Der Affe mit den Großen prasste.
"Ist's möglich, Oheim," sprach zum Greis
Der Prinz, den Zorn und Mitleid faßte,
"Daß König Löwe dieses weis
Und duldet? Welche Gräueltaten!" —
"Ei!" rief der Hund, "nur die Magnaten
Sehn des Monarchen Angesicht,
Und die Gefressnen reden nicht."
So wuchs das Löwchen auf und mehrte
Der Weisheit Schatz in seiner Brust;
Ihr Name war ihm unbewußt,
Allein er übte, was er hörte.
Mit seinem Alter wuchs sein Mut
Und seine Kraft. Nach zwei Jahren
War er gebildet, weise, gut,
Nur im Geheimnis unerfahren,
Daß seinem Busen Löwenblut
Belebte. Warm von Dankgefühle,
Sprach er an seiner Wallfahrt Ziele
Einst mit dem Freund in einem Tal;
Da stürzte wie ein Wetterstrahl
Ein Tiger sich mit offnem Schlunde
Auf diesen los. Der junge Leu
Erblickt ihn, sträubet seine Mähne,
Schwingt seinen Schweif, bleckt seine Zähne
Und bohrt mit stolzem Siegsgeschrei
Sie in des Mörders Eingeweide.
Kaum ist er tot, so kehrt sein Blick
Sich nach dem Mentor. "Welch ein Glück,"
Rief er im Taumel seiner Freude,
"Daß ich das Leben dir erhielt!
Mir gab zu diesem Wunderwerke,
Mit Staunen hab ich es gefühlt,
Die Freundschaft eines Löwen Stärke." —
"Der bist du ja, geliebter Sohn,
Du bist mein Fürst, dir winkt ein Thron,"
Versetzt der Hund mit Freudenzähren.
"Heute ernte ich meiner Arbeit Lohn;
Laß uns zu deinem Vater kehren,
Er ist nicht weit." Der Telemach
Deckt weinend ihn mit seinen Küssen
Und folgte ihm zu des Königs Füßen,
Der unter einem Palmendach
Gericht hielt. "Nimm dein Kind zurücke,
Sir," sprach der Hund mit heitrem Blicke;
"Der Tag, der gegen dieses Pfand
Mich meiner hohen Pflicht entbindet,
Raubt mir den Sohn, dagegen findet
Den Vater nun mein Vaterland."
Die Natter und der
Blutegel
Die Natter sprach zum Egel: "Nein!
Ich kann es, in der Tat, den Menschen nicht verzeihn,
Daß sie mit ihrem Blut dich nähren,
Indes sie vor mir fliehn und mich dem Tode weihn.
Wir stechen beide ja." — "Das ist wohl wahr; allein,
Und dieses kann das Rätsel dir erklären,
Der Stiche Wirkung stimmt nicht völlig überein,"
Rief ihr der Egel zu; "du tötest, ich kuriere;
Ich bin Arznei und du bist Gift."
Mich dünkt, ein gleiches Urteil trifft
Auch die Kritik und die Satire.
Die
Kanarienvögel und der Star
Ein Kanaride kam als zweiter Gluck
(Ihn bildete das Flötchen der Eudore,)
In einen Wald und sang dem Vögelchore
Das Veilchen und den Marlborough.
Mit süßem Staunen ward er angehöret;
Sie riefen alle: bis! Ein Star, den das verdroß
Sprach bei sich selber: "Pfui, den hat die Kunst gelehret
Ich bin ein Autodidaktos!"
Der Wachtelhund
und der Kater
Ein Wachtelhund, den sein Patron
Dem Paladin am Rhein verehrte,
Weil er bei Hof ein Amt begehrte,
Lief seinem neuen Herrn davon
Und eilte, durch sein Herz betrogen,
Zu dem zurück, der ihn erzogen.
Allein wie staunte Pantalon,
Als er für seiner Treue Lohn
Von dem erzürnten Pflegevater
Mit Prügeln abgewiesen ward.
Er nahm die Flucht. Auf seiner Fahrt
Stieß er auf einen alten Kater
Und trug ihm seinen Kummer vor.
"Du löcherst mich mit deinen Grillen,"
Sprach Mauz: "So meinst du, blöder Tor,
Man liebet uns um unsertwillen?" —
"Wohlan, ich will kein Tor mehr sein,"
Versetzt der Hund, und auf der Stelle
Sprang er voll Übermut in den Rhein.
Ein Fischer zog ihn von der Schwelle
Des Grabes zurück und gab ihm Brot.
"O, der liebt mich um meinetwillen!
Des Mitleids frommen Trieb zu stillen,
Entriß der Edle mich dem Tod."
So denkt der Hund, indes das Boot
Des neuen Freundes am Ufer landet.
"Sieh da," rief Nachbar Sigismund
Dem wackern Velten zu, "wo fandet
Ihr diesen hübschen Wachtelhund?
Ist er euch feil? was soll er gelten?" —
"Zwei harte Taler," sagte Velten
Und strich im Geist sein Geld schon ein.
Der Hund ergrimmte: "Keinen Stater,"
Ruft er, und denkt an seinen Kater,
Und stürzt sich wieder in den Rhein.
Die Dogge und der
Schöps
Einst fiel ein schlimmer Wolf durch einer Dogge Mut.
Kaum lag entseelt der Schächer auf der Erde,
So nahte blökend sich die frohe Herde.
Die Schafe wälzten sich in des Erschlagnen Blut,
Die Böcke tanzten einen Siegesreigen.
Die Dogge nur sah sich in gesetzter Ruh
Dem ekelhaften Schauspiel zu.
"Wie, " rief ein Schöps, "du kannst bei unserm Feste
schweigen?
Er starb ja doch durch dich, der reißende Despot." —
"Pfui,"sprach der Hund, "er ist ja tot!"
Die Hyäne und das
Beuteltier
Eine grimmige Hyäne
Überfiel ein Beuteltier;
Schäumend grinste sie die Zähne,
Und ihr Blick war Mordbegier.
"Laß mich," rief sie brüllend, "sehen
Was in deiner Tasche steckt;"
Weder Sträuben half noch Flehen,
Hastig ward sie aufgedeckt.
Doch was fand sie? Säugend ruhte
Ihm ein Zwillingspaar im Schoß.
"Bist du Mutter?" Sprach die Gute,
Und das Raubtier gab sie los.
Los? – Ihr zweifelt? - Muttertränen
Können viel. Vergeßt nur nicht,
Dass mein Märchen von Hyänen,
Nicht von Maratisten* spricht.
*Hier
bezieht sich Pfeffel auf Jean Paul Marat, (24. Mai
1743-13. Juli 1793) der sich radikal gegen die Monarchie
wandte und ein Befürworter von politischer Gewalt war.
Der Kornett und sein
Pferd
Mit Stolz bestieg Max, der Kornett,
Sein Pferd Buzephalus
Und tummelt es, wie ein Poet
Den alten Pegasus.
Stracks stand es still, als ihm der Sporn
Den Wink zum Tanzen gab,
Und warf beim dritten Stich voll Zorn
Den kleinen Henker ab.
"Ha, Biest!" rief er, "das ist zu grob."
"Ich geh dir," sprach das Tier,
"Im Schritt, im Trab, selbst im Galopp,
Den Tanz verbitt ich mir."
"So, so," rief Max, "du brauchst das Maul?
Ein Bauer, spricht Papa,
Ein Tanzbär und ein Rittergaul
Sind zum Gehorchen da."
Gepeinigt durch der Peitsche Zwang,
Tanzt sich der Braun' halbtot,
Bis endlich der Trompete Klang
Dem Heer ins Feld gebot.
Max fiel. Voll Wut zerstampften ihn
Der wiehernde Koloß.
"Was tust du?" schrie der Paladin.
"Ich tanze," sprach das Roß.
Zeus und Boreas
In einem alten Buch, der Titel fehlt,
Las ich, daß einst die Pest in Babylon regierte,
Und tausend Menschen, wohl gezählt
An jedem Tag ins Schattenreich spedierte.
In dieser Not ward Zeus durch Opfer und Gebet
Vom abgehärmten Volk um Beistand angefleht,
Und Vater Zeus beschloß die Not zu heben.
Dem Boreas ward flugs Befehl gegeben,
Aus seinem Eiskastell hervorzugehn,
Und aus der Stadt und ihrer ganz mit Leichen
Bedeckten Flur die Pestluft zu verscheuchen.
Herr Boreas beginnt die Backen aufzublähn
Und auf die kranke Stadt aus seinen Lungenschläuchen
Solch einen Katarakt Gesundheitsluft zu wehn,
Daß, Lauberhütten gleich, die Häuser niederstürzten,
Und Schutt und Steckfluß siebenmal
Mehr Menschen, als die Pest, den Lebensfaden kürzten.
Noch mehr, mit gleicher Wut zog er durchs platte Land,
In dessen Schoß die Stadt des Lebens Quellen fand.
Ließ keinen Obstbaum stehn, kein Saatfeld unverdorben,
Und kurz, der Rest der Nation
Wär' ohne Fehl aus Hungersnot gestorben,
Hätt' ihr Geschrei den Zeus, der just auf seinem Thron
Siesta hielt, nicht noch zu rechter Zeit gewecket.
"Verdammter Brausekopf!" rief er dem Enkel zu,
Als er vor ihm erschien; "durch deine Kur hast du
Ein halbes Zeitgeschlecht ins Grab gestrecket." —
"Ei, Großpapa"" fiel ihm der Wildfang ein,
"Dies ist der Dinge Lauf: bei Reformationen
Fällt immer Unfug vor." — "Gut," sagte Zeus, "mag sein;
Doch dem, der ihn verübt, muß ernste Strafe lohnen.
Ich gebe dir sechs Monden Hausarrest."
So spricht nur ein Despot. Bei freien Nationen
Kuriert man gern, wie Boreas, die Pest
Und gibt den Ärzten Bürgerkronen.
Der wilde Kater
Den Schloßpark einer Exzellenz
Erkor, der schönen Hetzbahn wegen,
Ein wilder Kater sich zur Sommerresidenz.
Es war ein schlauer, tapfrer Degen,
Dem seine Beute nie entging,
Weil er mit gleicher Kunst bald ein Kaninchen haschte,
Und bald auf seinem Nest ein Rebhuhn überraschte,
Kurz, was ihm in den Wurf kam, fing.
Vergebens stellten oft des Grafen grüne Schergen
Dem schlimmen Wilddieb nach; er witterte sie kaum,
So wußte er jetzt in einen hohlen Baum,
Jetzt in ein tiefes Loch so schnell sich zu verbergen,
Daß seine List stets ihre List betrog.
Indessen ward er alt; des Greisen feige Sorgen
Ergriffen ihn, er fand, daß oft sein Aug ihn log,
Und ihm der Beute Spur entzog.
Dies trübte seinen Mut. An einem schönen Morgen,
Als er gedankenvoll auf einem Baume saß,
Nahm er von ungefähr in dem betauten Gras
Ein schwarzes Röhrchen wahr; zu Meister Graubarts Glücke
Fiel es des Tags zuvor dem Burgherrn aus der Ficke.*
An beiden Enden war ein helles, rundes Glas
Der Öffnung eingepaßt; mit einem Wort zu melden,
Es war ein Perspektiv, wie sie der Stutzer führt,
Wenn er im Opernsaal die Schönen rezensiert.
Der seltne Hausrat reizt die Neugier unsers Helden.
Er springt hinzu, begafft, beriecht, betastet ihn,
Und als das Ding ihm in das Gras entrollte,
Meint er, es birgt ein Tier, das fliehen wollte.
Er rafft es auf und hält es vor sein Auge hin;
Die kleinre Scheibe war's; nun sah er voller Freuden
An einem fernen Rain ein junges Häschen weiden,
Das unbewehrt sein Auge nicht erblickt.
"Ha, welchen Schatz hat mir das Glück geschenket!"
Ruft er, indem er ihn an seinen Busen drückt,
Und springt dem Häschen zu, das, wie er denket,
Ihm vor der Nase sitzt. Doch plötzlich macht er halt,
Durch ein Geräusch erschreckt. Er guckt in die Maschine;
Nun hält er sie verkehrt und sieht im tiefen Wald
Den Jäger, der mit wilder Miene
Die Doppelbüchse spannt; zwar schien er winzig klein
Und noch wer weis wie weit zu sein.
Nun kämpft in ihm der Hunger mit dem Schrecken;
Er dreht, er kehrt das kleine Zauberrohr;
Hier malt es ihm das fette Häschen vor,
Dort läßt es ihn den wachen Feind entdecken.
Er reibt die Stirne, kratzt am Ohr
Und murmelt: "Vor der Hand laß ich den Fraß mir schmecken,
Dann aber ist es Zeit zu fliehn."
Jetzt wagt er einen Satz; allein der nahe Schütze
Faßt ihn aufs Korn, erlegt ihn
Und macht aus seinem Fell sich eine Pudelmütze.
Ein jeder Mensch hat in der Welt
Sein eignes Augenglas, das ihn betöret;
Von Ferne zeigt es ihm, was ihm mißfällt,
Von Nahem, was sein Herz begehret.
*Kleidertasche
Die Eule, der
Kater, die Gans und die Ratte
An Hofrat Voß
In einer Klosterschule hauste
Ein alter Kauz, den ein Noviz
Aus seiner Ahnen Rittersitz,
Dem Kirchturm, in der Jugend mauste
Und sich zum Stubenburschen zog.
Er fraß vertraut mit einem Kater
Und einer Gans aus einem Trog,
Und käute täglich, was der Pater
Professor seinem Schülerchor
Aus dem Plutarch und Diodor
Erzählte, seinen Tischgenossen,
Cum notis variorum vor.
Dann waren beide lauter Ohr
Und machten wohl auch eigne Glossen
Voll kritischer Belesenheit.
Oft übten sich die drei Tironen,
Mit klotzischer Beredsamkeit,
In scharfen Disputationen.
Einst teilte sie der große Streit
Vom Wert der alten Nationen.
"Ich," sagte Mauz, "war allezeit
Für die Ägypter; diese lehrten
Uns Weisheit und Gerechtigkeit,
Und o wie liebten, wie verehrten
Sie ihre Götter nicht!" — "Und ich,"
Versetzt der Kauz, "erkläre mich
Für die unsterblichen Athener.
Athen war stets der Musen Sitz.
Was ist erhabner, was ist schöner,
Als ihre Werke, die der Witz,
Mit Kunst und mit Genie gepaaret,
Der späten Nachwelt aufbewahret!
Und ihre Helden; hat man wohl
Mehr Anmut, mit mehr Kraft verbunden,
In irgend einem Heer gefunden?" —
"Ha," rief die Gans, "beim Capitol!
Ihr faselt; habt ihr Rom vergessen?
Wer kann mit diesem Volk sich messen?
Vom Nordpol bis zum Südpol
Gleicht in dem ganzen Altertume
Und in der neuern Zeit an Macht,
An Wissenschaft, an Waffenruhme,
Selbst an des Überflusses Pracht
Kein Volk den fürstlichen Quiriten.
Sie, sie sind meine Favoriten."
Nun schrien auf einmal alle drei.
Die Fugen in der Synagoge
Sind neben diesem Dialoge
Ein Meisterstück der Melodei.
Schon sprachen Schnabel, Zahn und Tatze,
Als eine grundgelehrte Ratze,
Die manche Dissertation
Des Paters Rektor aufgezehret,
Von ihrem Aristarchenthron,
Es war ein großes Lexikon,
Wo sie den Streit mitangehöret,
Herunter rief: "Ich merke schon,
Was euch entzweit. Ägypten ehrte
Die Katzen; dem Athener war
Die Eule heilig; Rom ernährte
Im Rathaus eine Gänseschar."
Dies, lieber Voß, ist die Geschichte
Der Lehrsysteme; jedes trägt
Ein Muttermal in dem Gesichte,
Vom Egoismus aufgeprägt.
Der weiße Elephant
In Siam ehret man den weißen Elephanten;
Er wird auf Gold bedient und wohnt in einem Schloß.
Der fromme Pöbel küßt die Fährte des Giganten,
Mit Weihrauch frönet ihm ein bunter Pfaffentroß:
Oft sieht man Heere gar im Krieg ihr Blut verspritzen,
Um dieses Kleinod zu besitzen.
Ein solcher weißer Elephant —
Er hatte, wie man sagt, für ihrer zwei Verstand —
Bat seinen Wärter einst ihm anzuzeigen,
Warum vor ihm sich alle Knie beugen.
"Ich weiß," sprach er, "doch wahrlich nicht wofür?
Ich bin ja nur ein bloßes Tier."
"Ei," war die Antwort des erstaunten Heiden,
"Erlauchter Fürst, Sie sind auch zu bescheiden.
Ihr treuer Knecht kennt Ihren hohen Stand;
Er weiß, daß nach dem Tod der Menschen große Seelen,
Die man als Helden pries, sich das Gewand
Des weißen Elephanten wählen."
"Wer? ich ein Mensch?" versetzt das biedre Tier,
"Und wegen dieses Wahns hält man mich hier gefangen?
Freund, laß mich in den Wald, man treibt sein Spiel mit mir
Und hat euch alle hintergangen.
Urteile selbst: der Elephant kennt nur
Den Stolz des Edelmuts, verachtet schwache Feinde,
Ist mäßig im Genuß der Güter der Natur,
In seiner Liebe keusch und stirbt für seine Freunde.
Nun sage mir, wie ist's in aller Welt
Nur möglich, daß man uns für Menschen hält?"
Der Philosoph und
die Eule
Ein Philosoph, den man des Landes verwies,
Weil er ein jedes Ding bei seinem Namen nannte,
Zog darbend durch die Welt, denn ach! man ließ
Ihm nichts als die Vernunft, und die Justiz verbrannte
Mit seinem Buch aus Vorsicht auch sein Haus.
Einst ruhte, matt von seinem langen Zuge,
Der Erulant in einem Wäldchen aus,
Und freute sich des Glücks, dem Neid und dem Betruge
Entschlüpft zu sein. Doch seine Ruhe ward
Durch ein Geräusch gestört, Ein Schwarm erboster Krähen
Flog einer Eule nach; sie zausten ihr den Bart,
Sie pickten ihr die Brust. Vergebens war ihr Flehen.
"Nein," hieß es, "kein Quartier, du bist ein Bösewicht,
Ein Ketzer und ein Landesverräter.
Auf, Schwestern! rupft den Missetäter,
Und dann erst schleppt ihn vor Gericht."
Umsonst erschöpfte sich der arme Kauz mit Gründen;
Er konnte kein Gehör, kein Recht, kein Mitleid finden.
Der Weise rafft sich auf; denn die Philosophie
Erfüllt ein reines Herz mit reger Sympathie;
Er rafft sich auf und eilt die Rotte zu verjagen.
Dann redet er der Pallas Vogel an:
"Vergönne mir, o Freundin, dich zu fragen;
Was hast du dieser Mörderbrut getan,
Daß sie so grimmig nach deinem Leben stehen?" —
"Nichts," sprach die Eule, "nichts; nur das war mein
Vergehen,
Daß ich im Finstern sehen kann."
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