Der Hänfling und der Rabe
Ein Hänfling war es und ein Rabe,
Die Junker Fritz im Walde fing,
Und die der ritterliche Knabe
Vor seiner Eltern Fenster hing.
Ein jeder hatte seinen Bauer.
Der Hänfling hob nach kurzer Trauer
Die schönsten Melodien an,
Die alles, selbst die stumpfsten Seelen,
Vom Burgherrn bis zum Schloßkaplan,
Entzücken. Die, so ihn nicht sahn,
Vermengten ihn mit Philomelen.
Auch blieb der Rabe, sein Gespann,
Nicht stumm; er saß in seiner Klause
Frech, wie ein Bettelmönch, und sang,
Das ist, er krähte stundenlang
So laut, daß jedermann im Hause,
Aus bloßer Furcht vor Ohrenzwang,
Ihm alles gab, was er begehrte
Und seinen Wanst mit Brot und Fleisch
Und Käse bis zum Ekel nährte.
Der blöde Hänfling sang sich heisch,
Verlangte nichts und ward vergessen.
Er lebte bloß von ungefähr;
Oft gab man ihm kein Körnchen Essen,
Oft blieb sogar sein Trinknapf leer,
Und kurz, man ließ ihn ganz verderben.
Einst lag er tot im Gitterhaus.
"O schade! warum muss't er sterben?"
Rief Groß und Klein voll Wehmut aus,
"Er war uns ein so lieber Sänger;"
Und dabei blieb's. Der Müßiggänger
Kräht fort und lebt in Saus und Braus.
Die Forelle und
ihre Jungen
"Glaubt mir Kinder, wenn ich euch warne:
Bleibt mitten in dem Strom, das Ufer hat Gefahr.
Bald lauscht der Tod in eines Fischers Garne,
Und bald vertritt ein fliegender Korsar,
Der schlaue Reiger, seine Stelle.
Drum seid wohl auf eurer Hut."
So sprach zu ihrer jungen Brut,
Es war im März, einst eine Lachsforelle.
Sie merkten nicht darauf. Indessen wuchs die Flut
Und eine brausende Kaskade
Von aufgestautem Eis und Schnee
Entstürzte dem Gebirg; sie deckte das Gestade
Und Feld und Flur mit einem trüben See.
"Ha," rief der kleine Schwarm, "Mamachen wollte spaßen.
Je nun, das Alter kennt nur seinen Schlendrian.
Uns zeigt ein heller Blick, was ihre nicht umfassen;
Die greise Welt ersäuft im Ozean,
Und wenn wir kühn den engen Strom verlassen,
So nehmen wir Besitz vom neuen Wasserreich." —
"Ach Kinder! euer Wahn verblendet euch,"
Versetzt die Mutter; "wißt, es braucht nur wenig Stunden,
Nur einen trocknen Wind, so ist das Meer verschwunden,
Das euern Ehrgeiz lockt. Darum gehorchet mir:
Bleibt mitten in dem Fluß; ihr seid verloren,
Wenn ihr euch weiter wagt." — "Zu lange hören wir
Das alte Klagelied in unsern ekeln Ohren.
Nein, feiges Mütterlein, wir bleiben nicht mehr hier;
Zu höhern Rollen hat das Schicksal uns erkoren.
Ade! besuch uns bald in unserm Kanaan."
Die Mutter ruft umsonst; sie fliehn, die kleinen Toren,
Und jeder dünket sich schon Großsultan.
Entzückt verteilen sie die überschwemmten Gründe
Und tummeln sich in ihrem Staat herum.
Doch plötzlich weicht die Flut dem scharfen Hauch der Winde,
Und eines jeden Fürstentum
Verschwand in einer Nacht. Die kleinen Potentaten
Zerkämpften sich umsonst, dem Sumpfe zu entfliehn,
Und ehe noch der Mond zum zweiten Male schien,
So waren alle schon gefangen und gebraten.
Der Bock
Ein Bock, der einer alten Hexe,
Wie Pegasus dem Versifexe,*
Zum Postgaul diente, kam voll Schweiß
Vom Zuge heim. Mit großer Freude
Empfing des Morgens auf der Weide
Ihn die Verwandtschaft. Tante Geiß
Nahm ihn bei Seite. "Sohn, lass hören,
Wie ging es auf dem Blocksberg her?" —
"Sehr wunderbar," erwidert er;
"Man schmaust, man tanzt in bunten Chören
Und – doch den Rest erzählt man nicht." —
"Allein, indes beim Sternenlicht
Die Damen mit den Teufeln schäkern,"
Versetzte sie, "was treibt denn ihr?"
Mit ernster Miene raunt das Tier
Der Alten in das Ohr: "Wir meckern."
*lat.
Dichter oder versificō =Verse machen.
Der Panther und der
Leopard
Kein Schelm will Schelmen ähnlich sehen.
Man sah den Panther und den Leopard
Einst vor Chronions Throne stehen.
"Herr," sprach der Leopard, "es ist schon oft geschehen,
Daß, wenn man vom Panther hier ein Mord vorüber ward,
Auf mich der Argwohn fiel." — "Das ist auch meine Klage,"
Rief jener aus: "Man kennt die Mordbegier
Des Leopards, er ist des Waldes Plage. —
"Darum o Herrscher bitten wir,"
So schlossen sie zugleich, "den einen von uns beiden
In einen andern Balg zu kleiden." —
"Warum," versetzte Zeus, "hat das Gerücht
Den frommen Zeber nie mit euch vermenget?
Auch er ist bunt. Geht, geht, man irret nicht,
Wenn man euch alle beide hänget."
Der Bär,
der Hund und das Murmeltier
Ein Bär, ein Hund, ein Murmeltier
Genossen einst bei einem Schimmel,
Er floh wie sie das Weltgetümmel,
Das Gastrecht. "Freunde, saget mir,
Was triebt ihr unter fremdem Himmel
Für ein Geschäft?" sprach der Gaul. —
"Ei," brummte Petz, "ich mußte tanzen,
Und leider mit verbundnem Maul!" —
"Ich auch, und meist mit leerem Ranzen,"
Rief Azor. — "Das geschah auch mir;
Wie oft lag ich in meinem Kasten,
Gleich matt vom Tanzen und vom Fasten,
In Ohnmacht!" So das Murmeltier. —
"Nun wirklich, eure Herren müssen
Ein lockres Volk gewesen sein,"
Erwiderte das Pferd. –"Ach nein!
Sie walten stets mit baren Füßen,
Doch nie mit barem Geld; die Not,
Der Mißmut höhlte ihre Wangen,
Und wenn sie pfiffen oder sangen,
So taten sie's, wie wir, ums Brot." —
"Nun," sprach der Hengst," kann ich's begreifen,
Das Schicksal rächte sich und euch;
Denn trauen! im Grunde gilt es gleich,
Aus Hunger tanzen oder pfeifen."
Die Hindin und ihr Kalb
Auf einer Insel, die der Fuß
Des Jägers nie betreten hatte,
Schlug einst auf einer fetten Matte,
An deren Rand ein heitrer Fluß
Vorbeiglitt, eine weise Hinde
Mit ihrem kaum entwöhnten Kinde
Ihr Lager auf. Das kleine Tier
War lauter Speck und lauter Leben;
Es hüpfte durch das Luftrevier,
Sprang gaukelnd über Stock und Gräben,
Fraß bis zum platzen Gras und Kraut,
Trank ohne Durst aus allen Quellen,
Lag lungernd bald auf fauler Haut,
Und schaukelte bald in den Wellen
Des Bachs seinen feisten Bauch.
Dem Müßiggang und Überdrusse
Folgt schlaffer Ekel auf dem Fuße.
So ging es unserm Kälbchen auch.
Es nahte wimmernd sich der Mutter
Und sprach betrübt: "Ach! ich bin krank;
Wie Galle schmecket mir mein Trank,
Wie dürres Stroh das fetteste Futter,
Ich atme nichts als faule Luft,
Und wenn wir hier noch lange weilen,
So wird dies Kleetal meine Gruft." —
"Kind," rief die Mutter, "laß uns eilen!
Hier kommt es auf dein Leben an.
Fort, in die Welt!" Gesagt, getan.
Das Paar verließ die schöne Weide.
Der junge Pilger hüpft vor Freude;
Bedachter war der Mutter Gang,
Allein sie führte doch den Knaben,
Und ließ ihn ganze Stunden lang,
Bald durch versengte Heiden traben,
Bald über einen Felsenhang,
Auf dem kein Gräschen sproßte, klimmen.
Er stutzte, fand die Gegend kahl
Und keuchte bei den schroffen Krümmen.
Der Abend kam. Zum ersten Mal
Muß er sich nüchtern schlafen legen.
Sei's, denkt er, morgen bring ich's ein.
Kaum verschwand der Sterne Demantschein,
So ging auf unwirtbaren Wegen
Die Reise fort. Der arme Tropf
Fing dürre Disteln an zu nagen,
Und trank am Ende mit Behagen
Aus einem Sumpf. Er hing den Kopf
Und sprang nicht mehr. Kurz, nach zwei Tagen
Ließ die Diät ihm kaum die Macht,
Die müden Knochen fort zu tragen.
"Gut, nun ist meine Kur vollbracht,"
Sprach die Mama bei sich und wandte
Durch einen Paß, den nur sie kannte,
Sich nach der Heimat. Es war Nacht,
Als sie mit dem halb lahmen Kalbe
Das Tal, das es gebar, betrat.
"Der Schlaf, mein Kind, ist Nervensalbe;
Genieß ihn." Es gehorcht den Rat.
Die Sonne war schon aufgegangen,
Als es gestärket den Nacken hebt.
Es sieht den Anger neu belebt
In seinem Feierkleide prangen.
Es rafft sich auf; mit leckern Zahn
Kaut es die bunten Balsamkräuter.
"Halt Mutter, halt! beim großen Pan!"
Rief es, "ich reise nicht mehr weiter:
Hier ist Fortunas Heiligtum;
Wo könnt' ich es wohl besser finden?
Nein, nein, in diesen holden Gründen
Sei einst mein Grab." — "Kind, sieh dich um,"
Versetzt die Mutter. Nun betrachtet
Es und erkennt, was es verachtet,
Und bleibt vor Scham und Reue stumm.
"Sohn," sprach die Mutter, "willst du wissen,
Wie man ein Gut betrachten muß,
So lerne sparsam zu genießen.
Die Mäßigkeit würzt den Genuß."
Das Schaf und der Hund
Das fromme Schaf, der treue Hund
Beklagten einst als alte Freunde
Ihr Los. "Nein, auf dem Erdenrund,"
Sprach Greif, "hat niemand ärgre Feinde,
Erduldet niemand größre Not,
Als wir. Wie sauer ist mein Brot!
Ich wache vor des Menschen Hütte;
Als Knecht begleit' ich seine Schritte,
Und schütz' ihn, wenn Gefahr ihm droht.
Was ist mein Dienstlohn? Prügel, Tritte,
Und wenn ich altre, gar der Tod." —
"Freund!" rief das Schaf, "nütz' ich im minder?
Düng' ich nicht besser als die Rinder
Sein Feld? tränkt ihn nicht meine Milch?
Und trüg' er ohne mich nicht Zwilch?
Zum Danke frißt er meine Kinder,
Und wenn er eins übrig läßt,
So frißt sein Bruder Wolf den Rest.
Dies ist mein Schicksal." — "Von uns beiden
Ist freilich keiner zu beneiden;
Doch läßt sich's auch auf Dornen ruhn,"
Versetzte Greif, "und Unrecht leiden,
Ist besser doch als Unrecht tun."
Der Papagei
Ein fetter grauer Papagei
Brach seinen Kerker durch, entkam der Sklaverei
Und ließ in einem Wald sich nieder.
Es war im Lenz; der Vögel bunter Chor
Pries seine Wiederkehr durch fromme Jubellieder.
Dies kam dem Psittich albern vor;
Er machte sich zum Rezensenten.
"Die Nachtigall," sprach er, "betäubt mein ekles Ohr
Mit ihren tragischen Accenten.
Die Lerche hat nur einen Ton,
Und keinen Takt. Der Star, mein Vetter, sollte
Noch etwas werden, wenn er Lektion
Bei unser einem nehmen wollte."
Mit einem Wort, der graue Kritikus
Fand alles schlecht; der Vögel schönste Reigen
Erregten nichts bei ihm als Neid und Überdruß;
Er pfiff sie zornig aus und zwang sie oft zum Schweigen.
Zuletzt ging ihnen doch der stete Tadel nah.
Der ganze Chor umzingelte die Spitze
Der stachligen Akazia,
Die Meister Kakadu zu seinem Rittersitze
Sich ausersehn: "Wie lange soll dein Hohn
Noch unsre Rundgesänge stören?
Du singst vermutlich auch; wohlan, so laß dich hören.
Kannst du es besser, gut, so ist ein Kranz dein Lohn."
So sprach die bunte Schar zum luftigen Pasquine*
Er senkt die Flügel, duckt sein Amtsgesicht,
Und stammelt mit verlegner Miene:
"Ich pfeife, meine Herrn, allein ich singe nicht."
*dieses
Wort kann man mit "Spötter" wiedergeben.
Die Schöne und die
Biene
Die schöne Leonore,
Die blühend wie Aurore,
Nur daß sie länger schlief,
Des Morgens aus dem Bette
Zur Arbeit der Kokette,
Das ist, zum Putztisch lief,
Hielt voll geheimer Freude
Mit ihrem Spiegel Rat,
Was für ein Kopfgebäude
Zum auserwählten Kleide,
Zum frischen Inkarnat,
Das auf den Wangen glühte,
Zum losen Augenpaar,
Das rasche Blitze sprühte,
Und zu dem Rabenhaar,
Das ihre Schultern schmückte,
Sich wohl am besten schickte.
Auf einmal nahm sie wahr,
Daß ihrem Putzaltar
Sich eine kleine Biene,
Die hinter der Gardine
Hereingedrungen war,
Mit lautem Sumsen nahte.
"Hilf Nettchen! hilf, Agathe!
Treibt dieses Untier aus!"
Rief Lorchen. Ihre Glieder
Erstarrten; banger Graus
Warf auf den Stuhl sie nieder,
Und eh sie kamen, saß
Das fliegende Gerippe
Auf ihrer zarten Lippe.
Die Zofen stürzten blaß
Und zitternd in die Zelle
Der Grazien herein,
Und Nettchen packt allein
Die Frevlerin beim Felle.
Das heiß ich Heldenmut!
"Stirb!" sprach sie voller Wut
Zum Untier. Doch die Imme
Versetzt mit sanfter Stimme:
"Ach Gott! ein süßer Wahn
Ist schuld an dem Verstoße:
Ich sah für eine Rose
Ihr Purpurmündchen an."
Dies Wörtchen gab der Schönen
Den Lebenshauch zurück.
"Laß, Nettchen, dich versöhnen,"
Sprach sie mit sanftem Blick;
"Mein Schmerz hat sich zerteilet
Seitdem das Bienchen spricht."
O welchen Schaden heilet
Ein Körnchen Weihrauch nicht!
Phöbus und der Schwan
Beim Phöbus klagte jüngst ein Schwan
Den Stieglitz der Verleumdung an,
Und bat ihn, seine Schmach zu rächen.
"Der Stieglitz ist im ganzen Land
Längst als ein Lügenmaul bekannt;
Wird er einst Gutes von dir sprechen,
Dann kommt dein Leumund in Gefahr,"
Sprach Phöbus, und er sagte wahr.
Der Löwe und
die Klapperschlange
Von eines Jägers blankem Spieß
Ward König Löwens Brust getroffen;
So sehr er sich auch lecken ließ,
So blieb die Wunde dennoch offen.
Der Schmerz nahm alle Tage zu,
Und ließ dem Kranken keine Ruh.
Ist nur ein Fürst gut, edel, brav,
So hat er stets der Völker Liebe;
Auch riet vom Panther bis zum Schaf
Ihm jedes Tier aus freiem Triebe
Sein angeerbtes Hausarkan;
Doch keines schlug beim Kranken an.
Selbst eine Klapperschlange bot
Ein Blatt ihm dar vom Lebensbaume.
"Fort!" sprach der Fürst, "es bringt den Tod:
Denn es ist feucht von deinem Schaume."
Dem Blatte gleicht aus manchem Grund
Die Bibel in des Heuchlers Mund.
Der Santom,
der Rabe und der Falke
Der junge Perser Nuredin
Beschloß, in die Welt sich zu begeben,
Als Mönch auf Güter zu verziehn,
Die ihm der Himmel nicht verliehn,
Und bloß von fremdem Gut zu leben.
Er nahm den Bettelsack zur Hand,
Erhob Tribut von Haus zu Hause,
Und blieb die Nacht in einer Klause,
Die leer in einem Walde stand.
Des Morgens griff er schon zum Stabe,
Als er ein Angstgeschrei vernahm;
Es war ein kleiner nackter Rabe,
Den seine Mutter ohne Scham
Im öden Nest verlassen hatte.
Der Arme hob den welken Kopf
Und bettelte von jedem Blatte,
Das ihm umgab, mit leerem Kropf
Und aufgesperrtem Schnabel Futter.
Mit Wehmut sah's der Muselmann,
Und schalt noch auf die Rabenmutter,
Als aus dem Wolkenozean
Ein Falke sich hernieder machte,
Und der verlass'nen Kreatur
Ein reiches Maß von Speise brachte.
"O Heil dir, Vater der Natur!"
Rief hier der Santom, "deine Milde
Beschirmt die Unschuld mit dem Schilde
Der Allmacht und erhört ihr Schrein.
Damit dies Waislein nicht verderbe,
Hauchst du dem Raubtier Mitleid ein;
Und ich, dein Ebenbild, dein Erbe,
Ich soll nach Brote gehen? o nein!
Das hieße deine Vorsicht schmähen.
Dem, der die jungen Raben nährt,
Ist es doch wohl der Mühe wert,
Auch mich mit Speise zu versehen."
Er sprach's. Von nun an feiert sein Herd,
Er legt ins weiche Gras sich nieder,
Staunt bald der Schöpfung Wunder an,
Singt bald dem Allah fromme Lieder,
Und blättert bald im Alkoran.
Die Sonne sank; der Tag erbleichte,
Eh das gehoffte Manna fiel,
Eh ihm ein Engel Speise reichte.
Er legt auf seinen Binsenpfühl
Sich hungrig hin und denkt: "Bis morgen
Wird Allah zwiefach mich versorgen;
Heut soll der Schlaf mein Labsal sein."
Kaum flimmert Eos erster Schein,
Als ihn die frohen Vögel wecken;
Er gaffet rechts und links umher,
Und hofft sein Frühstück zu entdecken;
Allein umsonst, sein Bauch blieb leer,
Und als der Mittag auch nichts schickte,
So ward das Herz dem Siedler schwer,
Der seufzend jetzt gen Himmel blickte,
Jetzt neidisch auf das Waislein sah.
Sobald man es nur rufen hörte,
So war der Pflegevater da,
Und gab ihm, was sein Herz begehrte.
Als nun der Mönch im Abendstrahl
Aus Hunger einen Schwamm verzehrte,
Erschien der Falk zum dritten Mal
Mit Proviant und sprach: "Ich nährte
Dich bis auf diesen Augenblick
Als schwaches Kind, nun bist du dick,
Und kannst dein Futter selbst erwerben;
Zur Arbeit schuf dich das Geschick,
Nicht als ein Tagedieb zu sterben.
Fahr wohl! du wirst mich nicht mehr sehn."
Er sprach's und hob sich schnell von hinnen.
Errötend blieb der Santom stehn;
Die Wahrheit öffnet ihm die Sinnen.
Stracks ließ er in der Siedelei
Den Stab und Bettelranzen liegen,
Ging auf die nächste Meierei,
Und lernte von dem Bauer pflügen.
Der Phönix
An Professor
Jacobi in Freiburg
Der Phönix lag auf seinem Sterbebette
Von Myrrhen, Aloe und Zimmetreis.
Minervens Kauz, ein Denker, wie man weis,
Erspähte die geweihte Stätte
Und sprach zum Einzigen: "So glaubst du, blöder Greis,
Daß, hat die Glut zu Asche dich verzehret,
Dein Ich erneut ins Leben wiederkehret?"
Der Phönix schwieg. Der Kauz fuhr fort: "Erkläre mir,
Was gründet deinen Wahn von einem andern Leben?
Ich fordre stets Beweis." — "Den kann ich dir,"
Versetzt der Phönix, "wohl nicht geben;
Denn was man fühlt, beweist sich nicht;
Und ein Gefühl, das laut wie ein Orakel spricht,
Sagt mir, ich werde nicht vergehen."
Hier stecket er mit heitrer Zuversicht
Den Holzstoß an und ruft: "Auf Wiedersehen!"
Der Phönix, lieber Freund, philosophierte schlecht,
Allein, er wußte froh zu sterben,
Und wer nicht fühlt wie er, hat wie mich dünkt, kein Recht,
Ihm seine Freude zu verderben.
Der Löwe und die Kuh
Der Löwe trieb die Tyrannei
So grob, daß ihn das Volk verjagte.
Das Leben ließ es ihm, es sagte,
Daß er genug bestrafet sei.
Einst kam er lechzend von den Höhen
Des Atlas; alle, die ihn sahn,
Entflohn. Nur eine Kuh blieb stehen
Und bot ihm gar ihr Euter an.
Durch ihren frommen Mut bezähmet,
Legt der Tarquin sich auf den Bauch
Und saugt so derb am vollen Schlauch,
Daß ihm das Blut vom Barte strömet.
Die Amme brüllt und bäumet sich
Und weinet eine bittre Zähre.
"Vergib," sprach er, "es dünkte mich,
Als ob ich noch ein König wäre."
Das Hermelin, der Biber
und das wilde Schwein
Ergriffen von dem Reisefieber,
Verbanden sich ein Hermelin,
Ein wilder Eber und ein Biber,
Auf Abenteuer auszuziehn.
Sie erbten alle keinen Stüber,
Dem nachgebornen Adel gleich,
Von ihren Vätern, und verließen
Voll stolzer Hoffnung Wald und Teich,
Um sich in einem fremden Reich
Das Tor des Glückes aufzuschließen.
Nach einem langen Ritterzug
Und mancher Fährlichkeit erblickte
Ihr Aug' ein Land, das alles trug,
Was vormals Edens Flure schmückte,
Gebirge, Wälder, Korn und Klee.
Und einen bunt verbrämten See,
Befurcht mit leichten Silberwellen.
Die süß erstaunten Pilger sahn
Das neu entdeckte Kanaan
Wie dort Äneas Spießgesellen
Die Küste der Lateiner an.
Allein was ihre Freude störte,
War eine Grube voller Schlamm,
Die rund umher den Zugang wehrte.
In ihrem schwarzen Schoße schwamm
Ein Heer von Kröten und von Schlangen,
Das zischend bald die Zähne wies,
Bald faule Pestluft von sich blies.
"Was Brüder, ist hier anzufangen?"
Rief das Triumvirat und stand
Bestürzt an des Morastes Rand.
Jetzt hob das Hermelin die Pfote,
Allein es prallte schnell zurück.
"Ein Andrer," sprach es, "wat' im Kote;
Ich laß es bei dem Probestück.
Was soll ich mir mein Kleid verderben,
Ja gar am Biß der Nattern sterben?
Nein, schade für ein solches Glück!" —
"Geduld, mein Püppchen," sprach der Biber:
"Gebt mir nur vierzehn Tage Frist,
So hilft euch mein Talent hinüber.
Ich bin ein Maurer, wie ihr wißt,
Und will euch eine Brücke bauen,
Die fest wie Gottes Boden ist.
Ihr könnet meinen Worten trauen." —
"Was, vierzehn Tage? der Termin
Ist lang, ich komme schneller hin.
Da seht!" ruft Junker Haksch und springet
Mit allen Vieren in den Moor,
Der ihm bis an die Kehle dringet;
Doch streckt er stets den Kopf hervor
Und schwingt, zwar besser mit Kot lackieret,
Doch vom Geziefer unberühret,
Sich siegreich aus dem ekeln Grab.
Er schüttelt sich den Unflat ab
Und ruft mit einem stolzen Blicke:
"So bahnt man sich den Weg zum Glücke."
Die Spinne und der Floh
Eine Spinne floh den Tod,
Den der rüstigen Lisette
Rauer Borstwisch ihr gedroht,
Barg sich mit genauer Not
Hinter ihrer Feindin Bette
Und begann ihr Fischergarn
Mit gewohnter Kunst zu stellen,
Doch umsonst. Die finstern Zellen
Bieten flatterhaften Narren
Keinen Köder, und die Fliegen
Gaukeln gern im Sonnenschein.
Wirklich trat das Mißvergnügen
Und des Hungers größre Pein
Bei der Eremitin ein,
Als in ihrem seidnen Gitter
Sich ein fetter Floh verschlang.
"Ha," sprach sie zum braunen Ritter,
"Du bist mir ein seltner Fang;
Komm, du mußt vortrefflich schmecken." —
"Wie, du mordest deinen Freund?"
Rief der Floh voll Angst und Schrecken.
"Ich des Menschen ärgster Feind,
Ich und meine Brüder trinken
Täglich der Tyrannen Blut,
Die sich Herrn der Schöpfung dünken." —
"So?" versetzt die Spinne, "gut!
Doch auch ich schwur, es zu trinken,
Wo ich es nur finden kann."
Und sie sog dem Rittersmann,
Um nicht mit dem Eid zu scherzen,
Jeden Tropfen aus dem Herzen.
Der Fischer, der Aal
und die Schlange
In einem Garne trug ein Fischer einen Aal
Nach Rom zum Markt und stieß auf seinem Gange,
Es war in einem engen Tal,
Auf eine fürchterliche Schlange;
Sie lag und wärmte sich im Sonnenstrahl.
Dem Fischer ward vom Herzen bange;
Er sah umsonst sich um; der Pfad war allzuschmal.
Nichts als ein kühner Sprung kann seine Tage fristen.
Er tat ihn und entrann. Der Aal nahm alles wahr
Und sprach zum Fischer: "Wie, Barbar!
Die Natter lassest du sich stolz im Grase brüsten?
Sie, deren Gift so oft dem Menschen tödlich war?
Und mich verfolgt dein Netz? mich weihest du dem Tode?
Mich, der dir nie das kleinste Leid getan?" —
"Ganz recht," versetzt der Mensch, "dies ist bei uns die
Mode:
Der Unschuld stellt man nach, das Laster fürchtet man."
Die
Kanarienvögel und die Finken
Ein Vogelfreund, der Kanariden hegte,
Trieb einst das Spiel, daß er der Sie
Ein Finkenei zum Brüten unterlegte.
Die List gelang; mit frommer Müh
Heckt sie es aus. Die jungen Brüder,
Die den Betrug nicht ahnten, sahn
Den Fremdling als ein Glied der kleinen Sippschaft an.
Der Eltern wärmendes Gefieder
Schützt seinen nackten Leib vor Frost;
Sie ätzen ihn mit gleicher Kost
Und würzen seinen Schlaf durch leise Wiegenlieder.
Die kleine Brut wuchs auf und unser Finkchen auch.
Ein goldnes Federkleid deckt ihre zarten Glieder;
Nur er war braun gescheckt am Rücken, Hals und Bauch.
"Je nun," so denkt er, "die Sonne wird mich bleichen,"
Und hält sich doch für ihres gleichen.
Die Brüder glaubten's auch, und lobten selbst sein Kleid;
Wir finden alles schön an denen, die wir lieben.
Des Fremdlings Glück erregte Neid.
Einst redete, von seinem Sporn getrieben,
Ein alter Fink ihn an: "Kind, es ist hohe Zeit,
Von deinem falschen Wahn dich zu belehren:
Die Götzen deiner Zärtlichkeit
Sind deine Eltern nicht; das kann ich schwören,
Du stammst aus einem Finkenei.
Betrachte dich nur selbst, wie sehr verschieden
Bist du an Farb' und Wuchs von andern Kanariden!
Nein, diese trugen nichts zu deinem Dasein bei." —
"Als daß sie mich ernährten und erzogen,"
Fiel ihm gerührt der kleine Vetter ein.
"Du meinst, ich irrte mich? o wahrlich nein!
Mein Herz hat sich an ihnen nicht betrogen;
Es sah mit Recht die, so ihm Gutes getan,
Für seine wahren Eltern an."
Der Bär, der
Fuchs und der Esel
Am Dnieper gingen jüngst ein Bär,
Ein Esel und ein Fuchs spazieren.
Das Langohr war von Alters her
Ein großer Freund vom Disputieren,
Besonders über Politik;
Auch fing er, ohne zu verweilen,
Den Rest von Polen an zu teilen.
Der Bär, ein Freund der Republik,
Sprach vom gekränkten Völkerrechte.
Doch Reinekens Ministerblick
Las in dem Plan der hohen Mächte
Der Staatskunst feinstes Meisterstück.
Petz donnerte mit Syllogismen*
Auf Zepter, Thron und Diadem,
Und Reinhard stützte sein System
Auf ein Gerüste von Sophismen.*
Allein bald konnten Fuchs und Bär
Ihr eignes Wort nicht mehr vernehmen:
Der Esel schrie, trotz Hermann Bremen,
So laut ins Kreuz und in die Quer,
Daß beide die Geduld verloren.
Sie flohen mit geschundnen Ohren
Und schwerem Kopf aus dem Gefecht.
Der Esel sah mit stolzem Hohne
Dem Paare nach und rief im Tone
Des Jubels: "Gelt, ich hatte recht!"
*Syllogismus,lat.=
logischer Schluß, kommt aus dem griechischen.
*Sophismen
=Trugschlüsse.
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