Fabelverzeichnis
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Buch 3
 

Fabeln 3
 
Der Kater, der Hund und das...
Der Adler und der Pfau
Der Fuchs und der Hase
Die Schnecke und die Grille
Die Hunde
Die Ratzen
Die Wünsche des Esels
Der Maler
Die Schnecke und die Biene
Der Papagei und der Adler
Das Eichhorn, der Hund und der...
Die zwei Sperlinge und der Kater
Der Bock, der Esel und der Stier
Der Schmetterling und die Raupe
Der Pfirsichbaum und der...
Der Pfau und die Nachtigall
Die Brautwahl
Die Hummeln und die Bienen

Der Kater, der Hund und das Eichhorn

Vereinigt durch den Trieb zu naschen,
Schloß jüngst ein Kater und ein Hund
Mit einem Eichhorn einen Bund,
Um einen Braten wegzuhaschen.
Es war ein zahmer Goldfasan,
Den eines Burgherrn Sohn verpflegte,
Der täglich ihren Neid erregte,
Und fett war wie ein Ortolan.
"Wie greifen wir das Wagstück an,"
Sprach Murner, "liebe Spießgesellen?
Ich denke, Mätzchen muß mit mir
Sich unten an das Fenster stellen,
Und du, Freund Hector, jagst das Tier
Mit Weidmannskunst in unsre Schlingen;
Mit seinen abgestumpften Schwingen
Kann es der Falle nicht entfliehn.
Dann wollen wir im Küchengarten
Mit unsrer Beute dich erwarten."

Der Rat war schlau, und billigt ihn
Und jeder stellt sich auf die Lauer.
Freund Hector schleicht dem Junker nach
Und schmiegt sich hinter das Gemäuer.
Kaum räumt der Knabe das Gemach,
So geht er dem Fasan zu Leibe.
Er flattert auf, ergreift die Flucht
Und sprenget eine Fensterscheibe,
Wodurch er seine Freiheit sucht.
Er fand den Tod. Die zwei Korsaren,
Die unten auf dem Anstand waren,
Erhaschten ihn und säumten nicht,
Den fetten Braten aufzufressen.
Und Hector? Nun, der arme Wicht
Ward in der Eile leicht vergessen.
Er sah mit traurigem Gesicht
Dem Schmaus durchs Fenster zu; sein Heulen
Entflammt des Junkers Zorn; er stürzt
Mit seinem Stock heraus und würzt
Dem Weidmann durch ein Dutzend Beulen
Das perspektivische Bankett.

Wenn Schelme sich zum Raub vereinen,
So prellt der große Schelm den kleinen;
So war's, seitdem der Weltbau steht.

Der Adler und der Pfau

Der Adler sprach zum Vögelchor
Am Spiegelquell: "Nicht wahr,
Dem Pfau geh' ich an Schönheit vor?"
"Ja!" rief die feige Schar.

"O!" sprach der Pfau – mit Vorbedacht
Sprach er's für sich und leis —
"Der Schnabel, nicht der Federn Pracht,
Erteilte dir den Preis."

Der Fuchs und der Hase

Von einem Kraut, das giftig war,
Fraß einst ein unerfahrner Hase.
Schon bäumt er winselnd sich im Grase,
Als ihn ein streifender Husar,
Ein Fuchs, mit aufgesperrtem Rachen
Entgegensprang. "Halt ein, Barbar!"
Erseufzte Lamp, "was willst du machen?
Berühre meinen Leichnam nicht!
Ich bin vergiftet." — "Armer Wicht!"
Versetzt der Fuchs mit bittern Lachen,
"Meinst du durch diesen groben Kniff
Mich zu berücken?" Stracks ergriff
Er den vermeinten Schalk beim Felle
Und riß das welke Herz ihm aus.
Allein, kaum war der frevle Schmaus
Vollbracht, so spürte der Geselle
Des Giftes Macht. Er keucht, er bebt,
Er schwitzt, er starrt, des Lebens Quelle
Versiegt; vor seinem Auge schwebt
Der Tod mit seinen Schreckgestalten.
"Ha!" krächzt er voll Scham und Wut,
"Ich dummer Teufel war wohl gut,
Den Tropf für einen Schelm zu halten!"

Die Schnecke und die Grille


Zur Grille sprach auf bunter Weide
Die Schnecke: "Bilde dir nicht ein,
Daß ich dein Fußwerk dir beneide.
Ich laufe freilich nicht; allein
Dank sei es meiner Perspektive,
Kein Feind entwischt meinem Blick;
Von weitem seh' ich ihn und schlüpfe
In meine Felsenburg zurück."
So sprach die Schnecke. Nun entdeckte
Ein Mönch den leckern Fastenschmaus
Und schob, obwohl sie sich gleich versteckte,
Die Siedlerin samt ihrem Haus
In seinen Bettelsack. Die Grille
Entsprang und pfiff der Törin nach:
"Die Armut braucht kein Felsendach,
Und die Gewandtheit keine Brille."


Die Hunde

Vor Zeiten, da die Hunde noch,
Entfremdet von des Menschen Joch,
Nomadisch in den Wäldern hausten,
Fiel manchem seine Nahrung schwer,
Weil ihnen Wolf und Fuchs und Bär
Aus Mißgunst oft das Fell zerzausten.
Allein, sie waren frei! Der Krieg
Gab ihnen Kraft und Ruh der Sieg,
Und wenn die grauen Helden starben,
So küßten Enkel ihre Narben,
Und schwuren, brav wie sie zu sein.

Zuletzt, durch stete Balgereien
ermüdet, gingen die Parteien
Den Teilungsplan des Bären ein,
Der sich, dem Wolf und Fuchs die Wälder,
Der Hundezunft die flachen Felder
Zur Wildbahn vorschlug. Anfangs war
Der kriegserfahrnen Hundeschar
Die Jagd ergiebig; Feld und Wiesen
Gewährten ihnen reiche Prisen
An Hasen und an kleinerem Wild,
Das sie mit Siegsgeschrei verzehrten.
Allein, je stärker sie sich mehrten,
Je leerer wurde das Gefild;
Bald gab es gar nichts mehr zu jagen,
Und nun trat bittrer Mangel ein.
Die mutigsten — ein leerer Magen
Gehorchet keinem Grenzverein —
Bestürmten einen nahen Hain
Und wurden, ungeübt im Streite,
Weil, wenn der Hund mit Hasen kriegt,
Sein Haupttalent im Laufen liegt,
Der Bären und der Wölfe Beute.

Nun wollte zwar die Kolonie
Aus Hunger Obst und Wurzeln kauen;
Allein die Armen lernten sie,
So wenig als das Gras, verdauen.
Jetzt schlich ein abgezehrter Greis,
Ein Pudel war's, in ihren Kreis,
Und sprach: "Was wollen wir uns plagen,
Mit Müh und Fahr, in Wald und Flur
Um jeden Bissen uns zu schlagen?
Wagt ihr's, dem König der Natur
Euch zu Gehilfen anzutragen,
So habt ihr Obdach, Schutz und Brot."
Er schwieg. – Der Schlauste der Sophisten,
Der alles übertäubt, die Not,
Half ihm die Brüder überlisten.
Die Motion ward dekretiert,
Und Vater Pudel deputiert,
Die Unterhandlung anzufangen.
Gescheite Köpfe krönt das Glück.

Der Mensch gewährte sein Verlangen,
Und keine Woche war vergangen,
So kam schon der Legat zurück.
Mit vollem Wanst und glatten Backen,
Trug er, zum Pfand der Allianz,
Ein goldnes Halsband um den Nacken
Und bunte Schleifen auf dem Schwanz.
Das war ein Jubel! die Verwandten
Empfingen ihren Abgesandten
Mit Feldmusik und Ringeltanz.
Nun traten die verschiednen Kasten
Bei Hirten, Bauern und Dynasten
In ihre neuen Ämter ein.
Der erste Tag glich einem Feste;
Die Wirte gaben froh die Reste
Der Mahlzeit preis, um ihre Gäste
Zu Bundsgenossen einzuweihn.
Entzückt pries jeder seinen Retter
Und sein Geschick, ward täglich fetter
Und heimischer. Doch dieser Schein

Des Glücks bestand nur wenig Wochen.
Der Freund ward nach und nach ein Knecht,
Die Hauskost wurde schmal und schlecht,
Bald war's ein abgeschälter Knochen,
Bald Spülicht* oder hartes Brot;
Und fand zu seines Zwingherrn Freude
Durch ihn ein Has', ein Hirsch den Tod
So war sein Lohn das Eingeweide.
Mit jedem Jahre wuchs das Maß
Des Grames, der den armen Tieren,
Dem Krebse gleich, am Herzen fraß,
Und wollte jemand protestieren,
So hieß es: schweig du Rabenaas!
Mit einem Worte, Knut und Bande
Und Kerker waren meist ihr Los.

Stieg einer in des Glückes Schoß,
So tat er's auf dem Weg der Schande:
Er kaufte sich der Schönen Gunst
Durch Schmiegen und durch Speichellecken,
Und durch der Gaukler schnöde Kunst
Erwarb er sich die Huld der Gecken.
Noch mehr: er durfte kaum noch schrei'n,
Ließ dieser, um ihn aufzuputzen,
Die Ohren und den Schwanz ihm stutzen;
Und trat zuletzt das Alter ein,
So machten oft dem Hofbeschützer,
So wie dem faulen Stubensitzer,
Ein an den Hals gehenkter Stein,
Ein Schuß, ja selbst des Henkers Hände
Durch einen Keulenschlag ein Ende.
Auch sahen viele nie das Licht,
Die man bei der Geburt ersäufte,
Damit sich ihre Zahl nicht häufte,
Und ihre Mütter wagten's nicht,
Die seufzende Natur zu rächen.

Doch endlich weckten Harm und Wut
Des armen Völkleins trägen Mut;
Man fing von Freiheit an zu sprechen.
In einem heimlichen Senat
Gab einst ein Pommer laut den Rat,
Das Joch der Sklaverei zu brechen.
Krieg! rief der helle Haufen, Krieg!
Nur ein bejahrter Dogge schwieg,
Und als der ganze Rudel wollte,
Daß er sein Urteil sagen sollte,
Sprach er: "Ihr wollt die Knechtschaft fliehn?
Wollt frei sein? gut, ihr könnt es werden.
Doch wollt ihr denn auch den Beschwerden
Des schönen Kampfs euch unterziehn?
Wollt ihr, wie zu der Väter Zeiten,
Euch in den unwirtbaren Wald
Um euern kargen Unterhalt
Mit Wölfen und mit Bären streiten?
Ihr kennt des Menschen Allgewalt;
Wollt ihr, verfolgt euch seine Rache,
Dem Tode für die gute Sache
Mit kaltem Trotz entgegen gehn?
Wollt ihr" . . . Hier schwieg der Demosten.
Warum? Ei, weil die Freiheitshelden
Geschreckt in ihre Kerker flohn.

Dies war doch, ohne Ruhm zu melden,
Dein Werk, Zivilisation!

*
Abwasser

Die Ratzen

Einst wollte sich die Nation
Der Ratzen einen Großherrn kiesen:*
Miss Fama trug im Jubelton
Die Wahltagsproklamation
Durch Tal und Heiden, Wald und Wiesen
Und zu der anberaumten Zeit
Erschienen die Amphitryonen
Aus allen Zungen, allen Zonen,
Und dieser hohen Feierlichkeit
Nach Stand und Würden beizuwohnen.

Zuerst verlas man das Gesetz.
Es untersagte, den zu wählen,
Dem Augen oder Ohren fehlen.
Ein dummes, kindisches Geschwätz,
Das wir den Ratzen nicht mißgönnen.
Was fingen wir bei diesem Wahn
Mit so viel großen Herren an,
Die weder sehn noch hören können?

Dann setzte sich der Volkssenat
In weißen, grauen, braunen Togen
Auf ein Gerüst, mit Siegesbogen
Umwölbt, und jeder Kandidat
Ward nach der Ordnung aufgerufen.
Der, so zuerst der Bühne Stufen
Mit feierlichem Ernst betrat,
War eine weiße Maus aus Norden.
Ihr glattes, blendendes Gewand
Bezauberte den dritten Stand;
Auch wäre sie gewählt worden,
Allein im letzten Augenblick
Erschien die stolze Bisamratze,
Von Moschus duftend, auf dem Platze;
Und drängte sie vom Thron zurück.

Sogleich erteilten alle Nasen
Der Landesväter ihr den Preis.
Der Herold fing schon an zu blasen,
Als in dem balsamierten Kreis
Sich plötzlich das Ichneumon zeigte;
Es pflanzte sich auf seinen Steiß,
Und während es sich dreimal neigte,
Begann es also seinen Spruch:
"Bedenket, was ihr tut, Quiriten!*
Beschützen Rock und Wohlgeruch
Euch gegen Räuber und Banditen?
Der Tapferkeit gebührt der Thron,
Und wer kann die mir streitig machen?
Wann bin ich vor dem Feind geflohn?
Wage ich mich selbst nicht in den Rachen
Des fürchterlichen Krokodils?
Zerstöre ich nicht das Ungeheuer
Schon in dem Keime seiner Eier?
Und baute nicht am Rand des Nils
Das fromme Volk mir Dankaltäre?"
Es schweigt; ein grimmer Lärm ertönt,
Vom allgemeinen Vivat dröhnt
Das Hochgewölb der Sternensphäre,
Und das Ichneumon wird gekrönt.

Schon reicht es seine Tatze
Dem Parlament zum Handkuß dar,
Als eins schlaue Tigerkatze,
Die schwerlich eingeladen war,
Aus einem dunklen Busche stürzte
Und, schneller als ein Blitz vergeht,
Der neugeschaffnen Majestät
Geweihten Lebensfaden kürzte.
Dann sagte sie zum Oberhaus:
"Ihr solltet mich zum Sultan kiesen,
Beißt eine Maus gleich einen Reisen,
So bleibt sie doch nur eine Maus.
Was hilft der Mut, wenn Kraft ihm fehlet?"
So sprach der Schalk. Ward er gewählet?
O nein! Die Deputierten flohn;

Sie sah'n am ersten Pröbchen schon,
Daß Mut und Macht, statt es zu schützen,
Ein Volk mit Tyrannei bedrohn,
Wenn sie sich nicht auf Güte stützen.

*
erkiesen=mhd. Wort für erwählen, gewahren sehen.
*
lat. Quirites, Ehrentitel der Bürgerschaft im alten Rom.

Die Wünsche des Esels

"Weg mit dem Lenz und seinen Gaben!
Was bringt er mir für Vorteil ein,
Als täglich in die Stadt zu traben
Und Florens Botenknecht zu sein?
Laß, Zeus, die Rosen und die Nelken
Und die Narzissen doch verwelken
Und send' uns bald zu meinem Glück
Des Sommers goldne Zeit zurück!"
So rief an jedem Frühlingsmorgen
Ein Esel, der mit einer Fahrt
Von Blumen abgefertigt ward,
Die Stadt mit Sträußen zu versorgen.

Der Sommer kam. Nun ward das Tier
Mit Schoten, Kirschen, Zuckerrüben
Und Artischocken ausgetrieben.
"O," seufzte Grauchen, "wehe mir!
Vor Hitze muß ich bald verschmachten,
Und dennoch legt man größre Frachten
In meinen Kober als vorhin.
Ach, wär's doch Herbst!" — Der Herbst erschien,
Und Grauchen wird mit Äpfeln, Nüssen,
Kartoffeln, Quitten so bepackt,
Daß ihm das dürre Rückgrat knackt.
Von Gram und Ärger hingerissen,
Rief nun das Tier: "Beim Element!
Ich glaube, Zeus hält mich zum Narren."
Doch die Geduld, sein Erbtalent,
Behielt den Sieg. "Ich will noch harren,"
Sprach er, "bald ist der Winter da;
Dann gibt es Ferien; ei ja!
Ei ja! wenn's nur schon Winter wäre!"

Er kommt; schon deckt die Hemisphäre
Seinen Schwanenrock, und Langohr muß
In den erwünschten Ruhetagen,
Bei Sturm und Frost, mit schwachem Fuß,
Bald Holz, bald Mist, bald Steine tragen.
Nun übernahm in der Verdruß;
Er starb, doch ohne Wunsch und Klagen.

Recht so. Was half sein Weh und Ach?
Das Leben ist ein Tausch von Plagen,
Und selten kommt was bessres nach.
Doch wird es nur ein Esel wagen,
Dies Sprichwort immer laut zu sagen.

Der Maler

Zur Zeit Äsops, da bei dem Vieh
Vernunft und Witz alltäglich waren,
So wie vor etwa zwanzig Jahren
Bei Deutschlands Söhnen das Genie,
Kam eines Tages von fernen Landen
Ein Freund der Kunst, ein Pavian,
Der lang als Maler ausgestanden,
Bei seiner Väter Laren an.

Um nun die Früchte seiner Reisen
Dem König Löwen vorzuweisen,
Schuf des Artisten Zauberhand
Ein Tierstück, das den Potentaten,
Umringt von Dienern und Magnaten,
Im treuesten Naturgewand
Vor Augen stellte. Mit Vergnügen
Erkennt der Schach und jeder Stand
Des Reichs, auch in den kleinsten Zügen,
Sein Ebenbild. Der Raphael
Ward voller Huld von ihm umschlungen,
Und noch posaunten hundert Zungen
Sein Lob, als Eber und Kamel
Und Bock und Esel ihn verklagten,
Es hätte sie zum Spott der Welt
Sein frecher Pinsel, wie sie sagten,
Statt abzuschildern, ganz entstellt;
Drum wollten sie den Pasquillanten*
Für diesen Spott bestrafet sehn.

Der Löwe sah die Supplikanten
Bedeutend an. "Ich muß gestehn,"
Sprach er, "hier gibt es Stoff zum Spaße.
Doch eh ich einen Spruch erlasse,
So sagt mir: Schrieb der lose Wicht
Zu seinen Fratzen eure Namen?" —
"Herr König, nein, das eben nicht." —
"Ihr beißt in euren eignen Hamen,"
Rief der Monarch; "hat ungenannt
Ein jeder selbst sein Bild erkannt,
So hat der Maler nicht gelogen,
Und ihr allein habt euch betrogen."

*
Pasquillanten sind Satiriker, die bestimmte Personen angreifen.

Die Schnecke und die Biene

In eines Meiers Garten stand,
Umwölkt von einer Geißblatthecke,
Ein schöner Bienenkorb, den eine Schnecke
Der Untersuchung würdig fand.
Nach einem langen Zug ersteiget sie die Wälle
Des strohernen Kastells bei dunkler Nacht,
Und als die Garnison erwacht,
So findet sie die Zitadelle
Bereits in feindlicher Gewalt.
Der Schwarm versammelt sich, die Lärmposaune schallt,
Man hält geheimen Rat, indes in einer Zelle
Die Schnecke sich den Honig schmecken läßt.
Der Schalenturm, der ihren Rücken decket,
Ihr langes Hörnerpaar, der weiße Gäst,
Der ihrem Schoß entquillt, befremdet und erschrecket
Die ganze Kolonie. Doch endlich faßt sie Mut
Und lernt nach und nach mit kühlem Blut
Dem Untier in die Fratze sehen.

Die Jäger von der Vorderhut
Erkühnen sich sogar ihm auf den Leib zu gehen.
Doch kaum bemerkt ihr Späherblick
Durch seine Tuben sie, so zieht die Amazone
Sich schnell in ihre Burg zurück.
Nun greift die summende Schwadrone
Den offnen Platz auf allen Seiten an;
Allein die Schnecke trotzt dem Wurfspieß und der Lanze
Und schmieget sich so fest in ihre krumme Schanze,
Daß sie kein Feind erreichen kann.
"Das heißt mit dem Wind gestritten,"
Ruft jetzt die Königin; "hier nutzt kein Geschoß;
Laßt uns den Weg in dieses Zauberschloß
Mit einem Damm von Wachs verschütten."
Die Bienen drängen sich sogleich in frohen Reih'n
Zur Schanzarbeit für die gemeine Sache
Und mauern die Korsarin ein.

Nichts ist verschmitzter als die Rache.

Der Papagei und der Adler

Zum Adler sprach ein Papagei,
Der Schüler eines Philologen,
Der ihn nach seiner Faust erzogen:
"Die Welt und ich bekennen frei,
Daß in der edlen Kunst zu reden
Von den gefiederten Bipeden*
Mir niemand zu vergleichen sei.
Drum kann ich wohl, mein Fürst, es wagen,
Dir mein Talent für deinen Sohn
In aller Demut anzutragen." —
"Du sprichst, das weiß ich; doch wovon?"
Versetzt der Adler, "darf ich fragen,
Worin erteilst du Lektion?"
Dem Frosche gleich, wenn er den Nymphen
Sein Ständchen bringt, hebt er den Kopf
Und kräht mit aufgeblasnem Kropf:
"Durchlauchter Fürst, ich lehre – schimpfen."

*
die "Zweifüßler"

Das Eichhorn, der Hund und der Fuchs

Ein Eichhorn und ein Hund, die brüderlich
Auf einem Schloß gelebt, entrissen sich dem Eisen
Der Knechtschaft und begaben sich,
Wie dort Orest und Pylades, auf Reisen.
Einst überraschte sie die Nacht in einem Hain;
Gasthöfe gibt es nicht in der Dryaden Reiche.
Der Hund quartierte sich in einer hohlen Eiche,
Sein Freund auf einem Ast im obern Stockwerk ein.

Die Pilger schliefen schon; Selenens Silberschein
Erleuchtete den Wald. Da schlich aus seiner Höhle
Ein alter Fuchs herbei; er nahm das Eichhorn wahr.
"Ei sieh doch! bist du hier?« so rief ihm der Korsar
Mit glatten Worten zu; »mich freut von ganzer Seele,
Dich, liebes Kind, gesund zu sehn.
Vergib mir, wenn ich dich in deiner Ruhe störe;
Allein ich konnte, in der Tat! dem Drang nicht widerstehn,
Den Blutsfreund, welchen ich vor allen lieb' und ehre,
Ans Herz zu drücken. Mein Papa,
Der Staatsrat — ach! er fiel im Herbste mit den Blättern —
War deiner seligen Mama
Geliebter Bruder; folglich sind wir Vettern.
Bei seinem Tod befahl dich mir der wackre Mann,
Als einen zweiten Sohn zu seinem Erben an;
Darum such' ich dich auf, und könnt' ich klettern,
Ich hätte dich bereits geküßt.
O komm herab!" — Das Eichhorn roch die List

Und sprach: "Ich würde gleich an deinen Busen eilen;
Allein ich will mein Glück mit einem Freunde teilen,
Der unten in dem Baum gelagert ist.
Ich bitte dich, ihn aufzuwecken." —
"Gut," denkt der Fuchs, "hier gibt es einen zweiten Schmaus."
Er klopft an den Baum. Der Jagdhund springt heraus,
Zerreißt den Schelm und läßt sein Fleisch sich trefflich schmecken.

List gegen List fällt oft den schlausten Feind;
Doch mehr als sie nützt uns ein treuer Freund.

Die zwei Sperlinge und der Kater

Die Liebe muß gezanket haben;
So sagt das Sprichwort und sagt wahr.

Einst schalt ein junges Spatzenpaar
Im Vogelbauer eines Knaben
Sich, trotz zwei Kritikern herum.
Das Hähnchen sang den Baß zum Liede.
"Schweig," rief es endlich, "Eumenide!
Sonst mach' ich dich auf ewig stumm." —
"Ich schweigen? nein, bei meiner Ehre!"
Versetzt das Liebchen; "welch ein Joch!
Ha! wenn ich nicht gefangen wäre,
Ich schiede mich vor Abend noch." —
"Auch ich, beim Gürtel der Cythere!"
Schrie der entrüstete Galan.

"Ich kann euch helfen liebe Leute,"
Sprach jetzt ein Kater, der dem Streite
Still zugehorcht. Gesagt, getan.
Geschärft vom Appetit der Beute,
Durchfeilt sein Zahn das Gitterhaus.
Das Pärchen stürzt froh heraus,
Und wird, durch seinen Zorn betöret,
Vom schlauen Retter aufgezehret.

Der Bock, der Esel und der Stier

Einst trafen auf einer Rasenbahn
Ein Geißbock einen Esel an.
Sie strebten schon seit langen Zeiten
Dem Armstuhl der Akademie
Wetteifernd nach; auch sahen sie
Sich selten, ohne sich zu streiten.
So ging es auch jetzt. Ihr Zank begann
Gleich nach den ersten Höflichkeiten.

"Ich," sprach der Bock, "ich bin der Mann,
Dem der Gelehrtheit Preis gebühret.
Sie meinen Bart; hat die Natur
Mich nicht im Voraus graduieret?"

"O!" rief der Esel, "schweige nur;
Dein Bart ist neben meinen Ohren
Ein schnöder, alberner Ornat.
Mir ist die Weisheit angeboren,
Und mir gebührt der Doktorgrad." —

Ein Stier, der hinter einer Hecke
Kein Wörtchen von dem Streit verlor,
Sprang jetzt, vom Iahen und Geblöke
Ermüdet, aus dem Busch hervor.
"Ihr seid," sprach er, "wohl rechte Narren,
Um Bart und Ohr euch zu entzweihn:
Ich lobe mir den Schmuck des Farren,
Der prägt den Leuten Ehrfurcht ein.
Zum Beispiel." Grimmig brüllend senket
Er sein gehörntes Haupt und schwenket
Sich wie ein plänkelnder Husar
Schnell gegen das erschrockne Paar,
Das, ohne nur den Kopf zu drehen,
Gott weiß wohin entflieht. Der Stier
Ist, wenn wir ihn beim Licht besehen,
Doch wahrlich kein so dummes Tier.
Schmückt gleich der Witz nicht sein Gehirne,

So führt er doch ein Supplement,
Das mehr vermag als ein Patent
Der sieben Künste vor der Stirne.

Der Schmetterling und die Raupe

Ein Schmetterling und eine Raupe machten
Sich einen Apfelbaum – die reichsten Frachten
Des Lenzes schmückten ihn – zum Wohnplatz aus.
Die Raupe hielt, nach Ahnensitte, Haus,
Und schmauste frech die Blüten und die Blätter,
Indessen ihr mit Gold verbrämter Vetter
Gar sittiglich von Kelch zu Kelche flog,
Und still daraus des Lebens Balsam sog.

Der Gärtner kam; sein wilder Zorn erblicket
Der Raupe Frevel nur; sie ward zerdrücket.
Der Gaukler, der in seinem Eierstock
Zehn Raupen barg, geschützt durch seinen Rock,
Fuhr ruhig fort, selbst vor des Gärtners Augen,
Das Blut und Mark der Blüten auszusaugen.
Der wahre Titel dieser Fabel ist:
Der Straßendieb und der Kameralist.

Der Pfirsichbaum und der Apfelbaum

Nach unserm neuen Stil erwachte kaum
Des Sprossmonds andere Dekade,
Als eines Pfirsichbaums Dryade*
Zur Nachbarin, der einen Apfelbaum
Das Los zur Wohnung gab, mit hochgerümpfter Nase
Die stolzen Worte sprach: "He, faule Base!
In welcher traurigen Gestalt
Erscheinst du neben mir? Dem jungen Lenz zum Hohne
Stehst du noch nackend da, indes von meiner Krone,
Bis auf den letzten Zweig, ein roter Blumenwald
Mich überall umhüllt. Wirst du noch lange weilen,
Bis du mit Blüten prangst?" — "Ei nun, wir wollen sehn,"
Versetzt die Nachbarin, "was dich dein Eilen
Am Ende nutzen wird. Wie oft ist es geschehn,
Daß Bäume, welche stolz mit frühen Blüten prahlten,
Des Gärtners Hoffnung schlecht bezahlen!"
Sie sprach es noch, so fing der raue Boreas,*
Des Lenzens Erbfeind, an mit wildem Grimm zu wüten;
Aus seinem Rachen fuhr der kalte Reif und fraß
In fünf Minuten alle Blüten.

"Mein kleiner Sohn verrät bereits Genie,"
Hör ich im Freudenrausch so manchen Vater sagen.
Freund, schreie nicht zu laut: Das Bäumchen blühet früh;
Allein wird es auch Früchte tragen?

*
griech. Baumymphe.
*
Bei den Griechen der stürmische Nordwind.

Der Pfau und die Nachtigall

Ein Pfau (man weis, die Harmonie
Ist nicht die Mitgift seiner Kehle)
Sah staunend, daß, sobald er schrie,
Des Waldes Muse, Philomele,
Mit ihren Melodien schwieg,
Und schnell mit hochentzückter Seele
Dem Busch, der sie verbarg, entstieg,
Und ihn voll Ehrfurcht zu begrüßen.

"Du, deren reizendes Talent
Selbst Junos Vogel nicht verkennt,"
So fragt er einst, "o, laß mich wissen,
Warum mein Ruf dich, deren Lied
Mich oft beschämet, an sich zieht?"
"Ein Glück, dem keins auf Erden gleichet,
Das Glück, daß ich jetzt Mutter bin,"
Sprach sie, "genießt mein Herz durch ihn.
Du weist, sein scharfer Laut verscheuchet
Der Schlangen mörderische Brut.
Jüngst saß ich still auf meinen Eiern,
Als eins von diesen Ungeheuern,
Mit einem Blick voll schlauer Wut,
Herbei schlich, um sie auszusaufen.
Ich bat umsonst doch nun erschallt
Dein mir sonst ekles Krähn im Wald,
Und plötzlich sah ich es entlaufen.
Heil dir, mein Retter, mein Gesang
Verstummt vor deiner Stimme Klang."

So wenig sie der Spötter schätzet:
Wer nützt, ist mehr, als wer ergötzet.

Die Brautwahl

Ein junger, weiser Pavian,
Er war Dynast in seinem Lande,
Verspürte Lust zum Ehestande
Und zeigte seinem Nachbarn an,
Er wollte gnädigst sich vermählen
Und von den Dirnen in dem Gau
Zur Landesmutter und zur Frau
Die schönste , klügste, frömmste wählen.

Kaum wurde diese Botschaft laut,
So hatte schon der Liebesritter
Ein halbes Dutzend Schwiegermütter.
"Schön soll sie sein," so sprach vertraut
Zu ihrem Fräulein die Gazelle;
"Du Kind wirst die Fürstenbraut;
Wer streitet dir die Oberstelle?" —
"Die Frömmste kriegt den Bräutigam,"
So sprach das Schaf zu seinem Lamm;
"Du bist das beste Kind auf Erden,
Und überdies erhebt die Tracht
Der Unschuld deiner Reize Macht." —
"Talente, Schönheit, fromme Treue
Verlangt er," sprach zum Töchterlein
Die Hündin; "nun, ich prophezeie,
Mein Trautchen, dir den Preis allein.
An Reiz muß dir der Tiger weichen;
Wer darf an Kunsterfahrenheit
Im Jagen sich mit dir vergleichen?
Und in der treuen Wachsamkeit
Erregst du selbst des Hahnes Neid."

Nun kam der Tag der großen Feier,
Man stellte dem gekrönten Freier
Zugleich das holde Kleeblatt vor,
Und er, der mit dem Reiz der Jugend
Und mit Talenten feste Tugend
Bei seiner Braut gesucht, erkor
Zu seinem Schätzchen sich ein Bäschen,
Ein Meerkätzlein mir blauem Näschen

Die Hummeln und die Bienen

In einem Walde nährte sich
Ein Völkchen arbeitsamer Bienen,
Dem nichts an muntrem Fleiße glich
Im Feld und in den Magazinen.
Nicht weit von ihrem kleinen Staat
Sah man ein Heer von Hummeln schwärmen,
Bei dem ein zügelloses Lärmen
Den Platz der Emsigkeit vertrat.

Einst sprach in ihrer Schwestern Mitte
Die tollste von der tollen Schar,
Die nach der eingeführten Sitte
Des Clubs geheime Rätin war:
"Der Himmel hat uns mit dem Leben
Die Mittel und den Trieb gegeben,
Es zu erhalten; doch ihr wißt,
Wie schwer in diesen harten Tagen
Die Nahrung aufzubringen ist;
Wie oft wir an der Pfote nagen,
Indes die Biene Honig frißt.
Sie schließt, mit ihres Wuchers Früchten
Gefüllt, ein warmer Speicher ein,
Wenn Frost und Mangel uns vernichten.
O laßt uns endlich weise sein!
Sind wir nicht alle gleich geschaffen?
Warum gab Zeus uns Mut und Waffen,
Als um vom fremden Überfluß
Uns, was uns abgeht, zu ersetzen?
Dies ist nicht Raub, nur Mitgenuss
An der Natur gemeinen Schätzen."

Sie schweigt. Ein dumpfes Feldgeschrei
Erhebt die Weisheit ihres Rates;
Die ganze Horde stimmt ihm bei,
Und macht das Recht der Kaperei
Zum Grundgesetz des freien Staates.
Das Heer bricht auf: sein Summen gleicht
Dem Tosen eines Wasserfalles;
Und ehe noch der Tag verstreicht,
So wird der Bienenstock und alles,
Was er an Honigseim enthält,
Ein Raub der gierigen Megären.

Zu schwach, um ihrer Wut zu wehren,
Entfliehn die Bienen auf das Feld;
Was sie den Sommer durch erworben,
Wird in acht Tagen aufgezehrt,
Verschleudert oder gar verdorben,
Und selbst ihr Zellenbau verheert.
Nun fällt das Laub: die Meisen stimmen
Ihr Herbstlied an; die Hungersnot
Tritt ein, und hinter ihr der Tod,
Und frißt die Hummeln samt den Immen.

Des Reichen Gut ist unser Gut,
So ruft der Anarchisten Brut,
Und plündert Keller, Kisten, Speicher.
Doch was gewinnen sie dabei?
Macht sie des Reichen Armut reicher?
Nein, Raubsucht zeuget Schwelgerei,
Und diese führt zum Bettelstabe.
Sonst aßen sie des Reichen Brot;
Nun teilet er, statt seiner Habe,
Mit ihnen bloß den Hungertod.