Fabelverzeichnis

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Fabeln 2
 
Der Spottvogel
Der Sperber
Die beiden Eichhörner
Der junge Löwe
Der Lachs und das Neunauge
Das Rentier und das Hermelin
Der Walfisch und der Löwe
Das Ichneumon
Die Schafherde
Der Dachs
Der Tanzmeister
Der junge Wolf
Der Hauswächter
Die Eiche und der Lorbeerbaum
Der Neger und der Krampffisch
Der Affe und der Löwe
Die Eule am Hofe
Der Stier und der Schöps
Der Löwe und der Adler
Der Schwertfisch und der Tintenfisch
Der Lämmergeier, der Adler und der..

Der Spottvogel

Das Land, das Washington gebar,
Erzeugt auf seinen reichen Küsten
Noch andre Wunder, ja sogar
Auch einen fliegenden Linguisten.
Man nennt, vermutlich bloß aus Neid,
Ihn Spötter*. In der Kunst zu scheinen
Gleicht niemand ihm; er wohnt zerstreut
In dunklen Büschen, dichten Hainen,
Und übt mit loser Fröhlichkeit
Im Stillen seine Sprachtalente.
Bald flötet er im Widerhall,
Die Nänien* der Nachtigall,
Bald schmettert er im Baß der Ente,
Jetzt quakt er wie der Frosch im Teich,
Jetzt lacht er der Taube gleich,
Und bald darauf malt sein Geblöke
Die Liebespein der Ziegenböcke.
Ja selbst des Menschen Stimme macht
Der Zauberer nach. Den jungen Schönen
Erwidert er in ihren Tönen
Den Schlafgesang der Schäfernacht.

Auf einer Eiche residierte
Ein solcher Schalk, als ein Levit
Mit rotem Kopf und schnellem Schritt
Darunter auf und ab spazierte.
Der gute Doktor deklamierte
Den Bäumen eine Predigt vor,
Die er im Schweiße memorierte.
Der Vogel, der kein Wort verlor,
Versuchte den Orkan von Phrasen
Aus voller Kehle nachzublasen,
Und täuschte selbst des Doktors Ohr.
Er kam zum kleinen Homileten,*
Und sprach: "Mich freuet dein Talent,
Das jeden tierischen Akzent
Und selbst des Redners hohe Gnade
So treu kopiert. Nur eins ist schade."
"Und was?" — "Dein seltenes Instrument
Ertönt nur stets in fremden Sprachen;
Die eigne fehlet dir." — Mit Lachen
Versetzt der tierische Pasquin:
"Ihr könnt euch zu Genien machen,
Ich kann nicht mehr sein, als ich bin.
Doch wenn ich einem Weisen glaube,
Der oft bei meiner dunklen Laube
Mit seinem Freunde sich bespricht,
So schämen mächtige Doktoren
Und eine ganze Schar Autoren
Sich meines Handwerks nicht.
Wie mancher redet oder schreibet,
So sagt er, tief und hochgelehrt!
Nehmt ihm, was ihm nicht zugehört,
Und seht dann, was ihm übrig bleibet."

*
Spötter auch Drossel genannt
*
Nänien=Wehklagen
*
Homilet=der Fachmann für die christliche Predigt

Der Sperber

Ein Sperber hörte den Gesang
Der holden Philomele;
Sein feierlicher Ton durchdrang
Des Wüterichs eherne Seele.

"Ha!" rief er aus, "welch ein Akzent!
Vor ihm muß alles schweigen.
Wohlan, ich mache das Talent
Der Zauberin mir eigen."

Er schwellt die Kehle, reibt den Kopf
Und wetzet seine Zunge.
Doch was gewann er? einen Kropf
Und eine wunde Lunge.

"Still! noch fällt mir ein Mittel ein;
Wie konnt' ich es vergessen?"
Sprach er; "das Beste wird wohl sein
Die Nachtigall zu fressen."

Die beiden Eichhörner

Ein Eichhorn kam um seinen Schwanz;
Man weiß nicht, wie sich's zugetragen.
Was für die junge Braut der Kranz
Und für das Kirchenlicht der Kragen,
Das ist auch noch in unsern Tagen
Dem Eichhorn und dem Fuchs der Schwanz.
Der Spott gesellt sich gern zum Schaden.
Der Junker mit dem Kahlen Steiß
Ward allen seinen Kameraden,
Vom kleinsten Buben bis zum Greis,
Ein Vorwurf steter Ironien,
Und endlich trieb ihn der Verdruß
Zum philosophischen Entschluß,
Sich aus der Welt zurückzuziehen.

Er tat es; doch wie seltsam spielt
Der Zufall oft mit unserm Lose!
Indem er einst im kühlen Schoße
Des hohlen Stammes Mahlzeit hielt,
Den er zur Klause sich erwählte,
Nahm er ein fremdes Eichhorn wahr,
Dem auch der Schmuck des Schwanzes fehlte,
Und das, gleich ihm, ein Flüchtling war.
Sie boten freundlich sich die Hände,
Und noch war kaum der Tag zu Ende,
So wurde schon ein Brüderpaar
Aus unsern beiden Emigranten.

Ein Jährchen war bereits vorbei,
So zogen sie als Terminanten*
Einst aus der dunklen Siedelei,
Und trafen auf des Waldes Grenze,
Die Leichen von zwei Füchsen an.
"Freund," sagte Mäzchen zum Gespan,
"Die Herren brauchen ihre Schwänze
In jenem Leben doch nicht mehr;
Mit feinem Bast wird es nicht schwer,
Sie so geschickt uns anzupassen,
Als hätte Zeus sie wachsen lassen,
Und kehren wir, von Witz und Glück
Begleitet, in die Welt zurück,
Dann, Bruder, gibt es was zu spaßen."
Der schlaue Rat ward ausgeführt,
Die Schälke zogen wie zwei Bassen,
Mit ihren Schweifen ausgeziert,
Die sie zwei fürchterlichen Ratten
Zu tragen abgerichtet hatten,
In ihrer alten Heimat ein.
Sie traten kühn vor die Bojaren,
Die eben damals in dem Hain
Auf einem großen Landtag waren,
Und spielten den Betrug so fein,
Daß auch die nächsten Anverwandten
Die hohen Gäste nicht erkannten.

So täuscht die alte Buhlerin
Durch eine modische Perücke
Und eine Tünche von Carmin
Beim Balle selbst des Kenners Blicke.
Voll Ehrfurcht neigt das Parlament
Sich vor den zweien erlauchten Schwänzen;
Der alte, weise Präsident
Berief die fremden Exzellenzen
Auf einen Wollsack neben sich,
Und ehe noch der Tag verstrich,
Erhob er Mäzchen zum Monarchen
Und seinen Freund zum Patriarchen.


*Bettelmönche

Der junge Löwe

Ein junger Löwe bat den Vater der Natur
Einst um die Reichsinvestitur.
"Was hast du," fragte Zeus, "für Rechte?"
"Ei!" sprach der Kandidat,
"Ich bin, du weist es ja, vom herrschenden Geschlechte,
Das stets mit Ruhm regieret hat.
Mein Ältervater war der edelste der Krieger,
Und gab sein Leben für den Staat;
Sein tapfrer Sohn bezwang den Panther und den Tiger
Rebellische Banditenbrut,
Und mein Papa belegte gar die Drachen
Mit einem jährlichen Tribut." —
"Das alles wird dir niemand streitig machen,"
Sprach Zeus; "allein, was hast denn du getan?"
Verstummt und stier sah der Infant ihn an.
"Geh," fuhr Chronion fort, "erwirb erst eine Krone
Durch eigenen Verdienst; dann strebe nach dem Throne."

Der Lachs und das Neunauge

In einem Netze ward mit andern Fischen
Auch ein Neunauge aufgebracht.
"Ei," rief der Lachs ihr zu, "du nahmst dich schlecht in acht;
Neun Augen hast du Kind, und ließest dich erwischen?" —
"Mein Unglück," sprach sie, "guter Freund,
Darf dir nicht unbegreiflich scheinen:
Viele Augen helfen nichts, wenn unser Feind
Mit zweien besser sieht, als wir mit neunen."

Das Rentier und das Hermelin

"Ist's wahr, daß, wie die Sage geht,
Ihr euers Herrn Befehl versteht,
Den er ins Ohr euch sagt?"
So ward von seiner Nachbarin,
Dem naseweisen Hermelin,
Das Rentier einst gefragt.

"Wie?" sprach das Rentier, "glaubst du das?
Es ist ein Märchen, das zum Spaß
Des Lappen Witz erdacht." —
"Und ihr," rief jenes, "leidet ihr,
Daß er mit sich ein biedres Tier
Zum Landbetrüger macht?"

"Ei nun, es kitzelt, wenn man staunt,
Daß, was der Schalk ins Ohr uns raunt,
Von uns verstanden wird,"
Sprach dieses. – Sagt in aller Welt
Ein Geck, den man für weise hält,
Daß man an ihm sich irrt?

Der Walfisch und der Löwe

Zwei Herrscher, der vom festen Lande
Und der vom Ozean, gerieten einst in Streit.
Warum? Der Löwe ging in seiner Herrlichkeit
Lustwandelnd an des Meeres Rande,
Indes der Walfisch einen Solotanz
Auf seiner Fläche hielt. Er peitschte mit dem Schwanz
Die grüne Flut, und spritzte bis zum Strande
Den Zwillingsstrom, der seiner Nas' entquoll.
Der feuchte Staub erreicht des stolzen Leuen
Geweihtes Haupt. Dergleichen Neckereien
Verzeihet kein Monarch. Er wurde toll,
Er hob den starren Schweif, er sträubte seine Mähne,
Er bleckte seine gewetzten Zähne,
Und rief den Seetyrann mit gräßlichem Gebrüll
Zum Zweikampf auf. Der Walfisch rennt entrüstet
Auf seinen Gegner los, der sich zum Kriege rüstet.
Allein indem er sich ihm nähern will,
Prallt er vom klippigen Gestade
Ins Meer zurück. Des Löwen Mut,
Der ihm entgegen schießt, zähmt die getürmte Flut.
Er schnaubt und schäumt und bleibt gebannt am Ufer stehen.
Kurz, beiden Kämpfern läßt die gütige Natur
Nichts als die Macht sich tobend anzusehen.
Sie sahen bald sich satt. Der Leviathan fuhr
Hinab in seine feuchten Staaten,
Schach Löwe drollte sich in seinen Hain.

O Himmel, möchte doch auch unsern Potentaten,
Ein solches Ziel gestecket sein!

Das Ichneumon*
Bild: Johann Christian Daniel von Schreber 1739-1810


Auf Thebens dürren Fluren lag
Am hochbeschilften Nil,
An einem heißen Sommertag,
Ein wildes Krokodil.

Er dehnte sich behaglich aus
Und schlief in stolzer Ruh.
Da schlich sein Feind, die Königsmaus
Ichneumon auf ihn zu.

Sie sprang dem grausen Ungetüm
In seinem offnen Schlund,
Und drang mit kühner Arglist ihm
Bis in des Bauches Grund.

Das Untier keucht und schäumt und blökt
Und wälzte sich am Strand;
Doch plötzlich schnappt es auf und streckt
Sich zuckend in den Sand.

Ein Waller** sah den seltnen Krieg
Mit an, und jauchzte hoch,
Als aus dem Aase nach dem Sieg
Der kleine Hektor kroch.

"Gut," rief er, "liebes Tierchen, gut!
Nur dem gemeinen Feind
Zerreißest du das Herz; das tut
Der Mensch oft seinem Freund."

*
Der Ichneumon oder der Melon im engeren Sinn ist eine Raubtierart
aus der Familie der Mangusten. Er vertritt den Mungo in Afrika und ist
außerdem als einzige Manguste auch auf europäischem Boden heimisch.
Beschreibung gefunden bei Wikipedia

**Wels ein Süßwasser-Raubfisch

Die Schafherde

Ein Woywod erbte vom Papa
Die größte, schönste, fetteste Herde,
Die man auf Gottes weiter Erde,
Seitdem es Gras gibt, weiden sah.
Auch war im nichts nach seinen Hunden
So lieb als sie: doch was geschah?

Der dritte Herbst war kaum verschwunden,
So kannte man sie schon nicht mehr.
Geschmolzen war der Schafe Heer;
Der Rest war mager, voller Schrunden,
Und hing die Ohren. Der Magnat
Hielt mit den Ärzten, Schindern, Elfen
Des Gauen klinischen Senat.
Allein kein Mittel wollte helfen.
Einst sann er seinem Unfall nach,
Da kam auf seinen dürren Knochen
Ein Widder zu ihm hingekrochen;
Er leckte seine Hand, und sprach . . .

Ein Widder, sagt ihr, hat gesprochen?
Nun ja, wenn einst mit Bileam
Ein Esel sprach, so möcht' ich wissen,
Warum den wohl, bei gleichem Gram,
Ein Widder hätte schweigen müssen?

"Willst du," so sprach er tiefgebückt,
"Das Übel kennen, das uns drückt?
So zieh vom Kopf bis zu den Füßen
Die Kleider aus." Der Mann erschrickt;
Ein solches Wunder treibt auch Rittern
Das Haar bergan. Mit Angst und zittern
Gehorcht er des Orakels Ruf,
Und steht, wie Gott den Adam schuf,
Die Zähne klappernd vor dem Tiere
Es war schon kalt, und Boreas
Versilberte mit Reif das Gras.
"Ach," rief der Zwingherr, "ich erfriere;
Laß mir den Pelz, sonst bin ich tot." —
"Ich lasse," sprach der Schöps, "mit Freuden
Dir Vollmacht, ganz dich anzukleiden;
Nun kennst du deiner Herde Not.
Du kannst des Pelzes nicht entbehren?
Wir auch nicht, wenn des Hundssterns* Glut
Erkaltet ist, und jetzt noch scheren
Uns deine Knechte bis aufs Blut.
Doch den Gewinn, den sie dir geben,
Erkaufst du mit unserm Leben,
Und bringst dich an den Bettelstab."

Merkt euch die Warnung, ihr Regenten!
Plusmacherei vermehrt die Renten,
Allein sie gräbt die Quellen ab.

*
Sirius auch Hundsstern, Aschere oder Canicula ist als Doppelsternsystem
des Sternbildes "Großer Hund" das südlichste sichtbare Himmelsobjekt
des Wintersechsecks.


Der Dachs

Zum Löwen sprach der Dachs: "Herr König, gib mir auch
Ein Amt an deinem Hof." — "Empfehlen dich Talente?"
Versetzte der Monarch. "Sir," sprach der Prätendente,
"Ein platter Kopf und dicker Bauch."

Der Tanzmeister

Ein Sittich, müde, Jahre lang
Des Bruderkusses zu entbehren,
Beschloß, aus heißem Freiheitsdrang,
Ins Vaterland zurück zu kehren.
Das edle Wagestück gelang.
Er brach des Kerkers Gitterschranken,
So leicht als jüngst das Volk der Franken
Die Riegel der Bastille brach.

Der Stutzer, unter dessen Dach
Der Fremdling hauste, war im Tanzen
Ein Phönix; unter allen Schranzen
Des Hofes stand er keinem nach.
So oft er nun im Spiegelsaale,
Vor dem des Schwätzers Käfig hing,
Von einem neuen Kunstrivale
Des Vestris Lektion empfing;
So oft er auf der sanften Diele
Mit des Narzißmus Selbstgefühle
Zephyrisch auf und niederging,
So äffte Papchen die Kadenzen
Der malerischen Schritte nach,
Und trat ein Fremder ins Gemach,
So rief er ihm mit Reverenzen
Sein schnarrendes: Ihr Diener! zu.

Mit diesen Gaben ausgestattet,
Traf der entflogne Kakadu,
Von seinem weiten Zug ermattet,
Im Lande seiner Väter ein.
Er wird mit frohem Pomp empfangen;
Ein jeder will sein Gastfreund sein,
Und fragt mit brennendem Verlangen
Nach seiner Fahrt zu Land und See.
Der Pilger sucht, wie leicht zu denken,
Den Faden seiner Odyssee
Geschickt auf seine Kunst zu lenken,
Die er zuerst, wie sich's gebührt,
Erhebt, dann praktisch demonstriert,
Und frei zu lehren sich verbindet.

Allein des Volkes eitler Wahn
Verachtet, was es nicht ergründet;
Es bleibt bei seinem Schlendrian.
Die Gans nur, die mit ihrem Gange
Der Vögel Spott schon allzu lange
Sich bloß gab, nimmt den Lehrer an.
Der Unterricht wird angehoben;
Er stellt, er drillt, er zauset sie;
Allein umsonst war seine Müh,
Umsonst sein Bitten, Kreischen, Toben:
Das Gänschen watschelt nach wir vor.
So ging es sieben lange Wochen,
Bis er und sie den Mut verlor.
"Behalte deine steifen Knochen;
Ich kämpfe nicht mit der Natur,"
Rief er, "dein Urteil ist gesprochen:
Nicht jeder Klotz taugt zum Merkur."

Der junge Wolf

Ein junger Wolf, jawohl war er noch jung,
Doch überklug in seiner Einbildung,
Sprach er zu sich selbst: 'Die Schafe fliehn uns Wölfe;
Wenn du sie haschen willst, so mache dich zum Schaf.'
Gesagt, getan. Er fraß das erste, das er traf,
Und hüllte sich in seine Schelfe.*
So zog er durch den Wald. Sein eigener Papa
Ward ihn gewahr. Durch sein Gewand getäuschet,
Sprang er herbei, und ehe er sich's versah,
Biß er dem Kopf ihm ab. Er war schon halb zerfleischet,
Als er die List entdeckt. "Was, ungeratner Sohn,"
Rief er, "du wolltest mich belügen?
Doch du verdienest deinen Lohn:
Der Mensch nur hat das Recht im Schafpelz zu betrügen."

*
alter Begriff für Schale, hier wird das Fell damit gemeint.

Der Hauswächter

Kunz nahm zu seines Hofes Wächter
Sich einen jungen Pommer* an.
Sein Weib nahm einen jungen Pächter,
Aus anderen Gründen zum Galan.

Einst brach ein Dieb in seine Stube,
Der Pommer schlief, der Alte nicht;
Er schoß nach ihm, allein der Bube
Entwischte seinem Strafgericht.

Nun greift er nach dem Stecken und bläut,
Der Hundepädagogik treu,
Dem armen Spitz, der Zeter schreit,
Das mürbe Rückgrat halb entzwei.

Die Nacht darauf ging Kunz zu Biere,
Da schlich der Buhle sich ins Haus;
Spitz war gewarnt, er sprengt die Türe,
Und bellt und rast und treibt ihn aus.

Die Frau hascht einen Brand vom Herde,
Und wütend, wie ein Weib sich rächt,
Streckt sie den armen Spitz zur Erde.
Zwei Herren dient man selten recht.

*
Der Spitz wurde im Mittelalter "Pommer" genannt.

Die Eiche und der Lorbeerbaum

"Mein Haupt erreicht die Wolken, meine Zehen
Berühren Tellus Herz; im Wettersturm
Bleib ich, gleich einem Felsenturm
Im Weltmeer, unerschüttert stehen,
Und dich bemerkt man von meinem Wipfel kaum,
Du Zwitterkind von einem Baum und Strauche,
Das, gleich dem Rohr, auch von dem lindesten Hauche
Des Wests erbebt." So sprach zum Lorbeerbaum,
Mit des Narzissmus Stolz, die Eiche.
"Ein kleiner Umstand fehlt zum richtigen Vergleiche,"
Sprach jener: "deine Frucht wirft man den Schweinen vor,
Und mit dem Lorbeer krönt Apoll sein Lieblingschor."

Der Neger und der Krampffisch*

Ein Neger, der im Meere fischte,
Zog einen Krampffisch an das Land.
Er faßte ihn an; doch bald erstarrte ihm die Hand,
Und sein Gefangener entwischte.
Der Neger sieht ihm nach. "Ach!" seufzte er, "hätte doch
Der Krampf auch den, der mir das Sklavenjoch
Einst auferlegte, lähmen müssen!
O Freiheit! dich besitzt das Tier;
Warum nicht auch der Mensch?" — "Ei!" rief der Fisch, "weil wir
Sie besser zu gebrauchen wissen."

*
Der Krampffisch, ein Seefisch, welcher zu dem Geschlechte der Rochen
gehört, und die Eigenschaft hat, daß derjenige, welcher ihn anrührt,
eine Art eines heftigen Krampfes mit einem empfindlichen Schmerzen
bekommt. Auch bekannt unter Zitterrochen.


Der Affe und der Löwe

Der Löwe brach ein Bein. Man rief
Den Doktor Fuchs, ihn zu kurieren;
Doch alles Drehen, Schindeln, Schmieren
Half nichts; das Bein blieb lahm und schief.
Um dem Monarchen zu hofieren,
Erschien sein erster Hofpoet,
Ein Affe, der gar schlau sich dünkte,
Einst in der Residenz und hinkte
So arg als seine Majestät.
"Wie?" sprach der Fürst ergrimmt zum Gecken,
"Ich glaube gar, du willst mich necken?"
"Ich?" lallte Matz. "Behüte Gott!
Mich trieb die schönste meiner Pflichten,
Als treuer Knecht, als Patriot,
Nach deinem Vorbild mich zu richten."
"Geh, Schelm!" fiel ihm der König ein,
"Statt meinen Fehler nachzuahmen,
So hink in deinem eignen Namen!"
Er sprach's und brach ihm knacks ein Bein.

Die Eule am Hofe

Minervens Vogel ward dem Hof
Als ein berühmter Philosoph
Vom König Adler vorgestellet.
Ein fremder Stern! Der Spatz, der Star,
Der Gimpel, kurz die ganze Schar
Der niedern Dienerschaft gesellet
Sich schleunig zum erhabnen Gast,
Und fällt mit platten Schmeicheleien
Und tiefen Knicksen ihm zur Last.
Er schwieg zu ihren Gaukeleien,
Und blickte kaum sie seitwärts an.
Dies merkten sich die Pairs im Staate,
Der Storch, der Pfau, der Goldfasan,
Sie gingen unter sich zu Rate,
Und wählten einen andern Plan.
Sie zeigten unserm Eremiten
Den ganzen Stolz der Favoriten;
Sie ließen ihn verächtlich stehn,
Und boten ihm, wenn mit Entzücken
Der Troß ihn lobte, gar den Rücken.
Doch schien der neue Diogen
So wenig sich daran zu kehren,
Als ob sie Maienkäfer wären.
Verwundert fragt der König ihn,
Ihm beide Rätsel zu erklären.
Der Kauz bedachte sich nicht lang:
"Ei nun, in meinen Augen stehet,"
Sprach er, "der Schranze, der sich blähet,
Und der so kriecht, in gleichem Rang."

Der Stier und der Schöps

Von einem Fleischer ward ein Stier
Mit einem Schöps zur Schlachtbank abgeführet.
"Ach Bruder," seufzte tief gerühret
Der biedre Schöps, "so müssen wir
Denn sterben?" — "Seht doch den Halunken!"
Versetzte das gehörnte Tier,
"Wann haben wir den Brüderschaft getrunken?" —
"Ei," rief der Schöps, "im Totenreich,
Das wir betreten, hört bei Menschen und bei Stieren
Der Rangstreit auf." Der Büffel wollte gleich
Mit seinen Hörnern replizieren,
Als ihn ein Keulenschwung des Fleischers niederschlug.
Kein Unfall macht den Kopf des eitlen Toren klug;
Zeus kann ihn selber bloß zerschmettern, nicht kurieren.

Der Löwe und der Adler

Ein junger Leu saß auf dem Thron,
So stolz, so trotzig von Gebärde,
Als wär' er ganz von anderem Ton.
Die Großen bückten sich zur Erde,
Wenn er erschien, die Kleinen flohn.
Kaum warf er seinem Blutsverwandten,
Dem Leopard, ein Wörtchen dar,
Kaum einen Blick dem Elefanten,
Der doch sein Staatsminister war.
Auch nahten sich die Supplikanten
Dem Thron gleich einem Betaltar.
Im Anfang schien dem neuen Gotte
Die Rolle schön; doch Einsamkeit
Gebar von jeher lange Zeit;
Sie drang in seine Marmorgrotte
Im düstern Pomp der Fledermaus,
Und setzte sich auf seine Krone.
Kein Kraut, kein Weihrauch trieb sie aus.
Sie schuf den Tag ihm zur Äone
Und seine Burg zum Erebus.

Einst gab sein guter Genius —
Despoten haben auch den ihren,
Nur darf er selten sie regieren —
Im Schlaf ihm ein, den Überdruß
Durch kleine Reisen zu verjagen,
Und er beschloß die Kur zu wagen.
Der Tiere König reist zu Fuß,
Und diesmal war gar sein Wille,
Die kurze Fahrt ganz in der Stille,
Das heißt inkognito zu tun.

Am ersten Tag fiel zum Erwähnen
Nichts vor; der Schach tat nichts als gähnen,
Und wählte sich, um auszuruhn,
Sein Bett in einer hohlen Eiche,
Der höchsten in dem Pflanzenreiche;
Sie war, er wußte nichts davon,
Seit kurzem Nestor Adlers Thron.
Noch lag der Held auf seinem Ohre,
Als er von einem Sängerchore
Erwecket ward; der Zauberschall
Drang auf den Schwingen leiser Winde,
Vervielfacht durch den Widerhall,
Gleich einem Strom durch Wald und Gründe.
Schnell fuhr der Fürst aus seiner Kluft
Und forschte nach dem Abenteuer.
Er sah das bunte Volk der Luft,
Vom Distelfinken bis zum Geier,
Zu seines Königs Füßen stehn,
Und ihn mit huldreich frohen Blicken
Auf ihr Konzert heruntersehn.

Ein fremdes staunendes Entzücken
Ergriff des hohen Wallers Herz;
Er schmolz beim Klang der Zauberlieder;
So schmilzt am Feuer kaltes Erz.
Die Könige sind alle Brüder,
Drum balgen sie sich auch zu gern;
Zum Glücke entzweit die beiden Herrn
So leicht kein Zank, der Grenze wegen,
Die schon so manchen Bund getrennt.

Der Löwe machte dem Kollegen
Sein feierliches Kompliment.
Und er? Mit rauschendem Gefieder
Fuhr er von dem smaragden Thron
Zum königlichen Gast hernieder,
Und hieß, im brüderlichen Ton,
In seiner Hofburg ihn willkommen.
Verwirrt lud dieser in den Hain
Zu einer Konferenz ihn ein.
"Wie hast du," sprach er, "dich benommen,
Daß Groß und Klein sich scharenweis
Aus freiem, frohen Herzenstriebe
So zu dir drängt?" — "Ei," sprach der Greis,
"Sie lieben mich, weil ich sie liebe.
Erst schreckte sie mein Stolz zurück:
Als Träger von Chronions Blitze
Saß ich auf meinem Herrschersitze
Mit finstrer Stirn und wildem Blick.
Allein, mein lieber, guter Vetter,
Ich sah so oft den Gott der Götter
Aus einem traulichen Pokal
Mit seinen Kronvasallen trinken.
Noch mehr, ich sah so manchesmal
Ihn, ohne sich zu groß zu dünken,
Sogar verkappt als Erdensohn,
An Menschenfreuden Anteil zu nehmen." —

"Halt!" rief der Leu, "du sagtest schon
Genug, o Freund, mich zu beschämen.
Mein Dank für deine Lektion
Sei, ihr zu folgen." Fröhlich eilte
Der Schach in seine Burg, erteilte
Jetzt huldreich jedem Tier Gehör,
Und war nur König, wenn er mußte,
Doch stets zugleich ihr Freund. Nun wußte
Er nichts von Langeweile mehr.

Der Schwertfisch und der Tintenfisch

Mit einem Schwertfisch kam ein Tintenfisch in Streit.
Man weis, daß diese Herren nicht viel zu sprechen pflegen;
Sie schritten gleich zur Tätlichkeit.
Der Schwertfisch zückte seinen Degen,
Und schoß ergrimmt auf seinen Gegner los.
Doch dieser wich ihm aus; er wiederholt den Stoß.
Der Kalmar floh; wer läßt sich gerne spießen?
Er hätte doch zuletzt erliegen müssen;
Allein, wie Luther einst dem Satanas,
Schmiß er im Fliehn sein volles Tintenfaß
Dem Erzfeind ins Gesicht. Nun war die Schlacht verloren.
Der Fechter sah nicht mehr, was er begann,
Und der verfolgte Raub entrann.

Merkt euch den Pfaff, ihr Herrn Autoren!

Der Lämmergeier, der Adler und der Pelikan

"Herr König!" rief der Pelikan
Zum Adler, "nimm dich meiner an:
Indem ich heut für meine Kinder
Nach Futter ging, kam ein Korsar,
Und würgte sie. Hier ist der Star,
Der alles sah." — "Wer war der Schinder?"
Rief der Monarch. Der Zeuge sprach:
"Sir, niemand als der Lämmergeier.
Ich sah es, wie das Ungeheuer
Der kleinen Brut die Hälse brach,"
Versetzt der Star. Der wilde Jäger
Ward von Chronions Waffenträger
In Form zitiert. Er stellte sich.
"Hast du," rief der Monarch, "die Jungen
Des Pelikans getötet? Sprich!" —
"Getötet? solche Lästerungen,"
Rief Inquisit, "beschimpfen mich;
Lebendig habe ich sie verschlungen." —
"Wie," rief der Fürst," du fügst den Hohn
Zur Übeltat? Ergreift ihn, Schergen!"
Der Schelm blieb stehen, die Schergen flohn,
Um sich vor seinem Grimm zu bergen.
Jetzt schwang er langsam sich davon
Und sprach: "Sir, keiner wird gehangen,
Man hab' ihn denn zuvor gefangen." —
"Ha! flöh' er nicht," sprach König Aar,
"Durch meine Waffen müßt er fallen!"
Der König log; die Wahrheit war,
Er fürchtete des Riesen Krallen.