1. 
					Der Wolf und das Lamm 
					 
					Zum selben Bache waren Wolf und Lamm gekommen, 
					Von Durst getrieben. Weiter oben stand der Wolf, 
					Das Lämmchen mehr nach unten. Lechzend nach der 
					Beute, begann sogleich der freche Räuber einen Streit. 
					»Warum«, so red't er es an, »hast du das Wasser 
					Getrübet, das ich trinke?« Zitternd sprach das Wolltier: 
					»Bitt um Vergebung, Wolf, wie wäre dieses möglich? 
					Von dir kommt ja der Strom zu meinem Trunk 
					Herunter.« Beschämet und erzürnt ob dieser Worte 
					Wahrheit rief er: »Du schmähtest mich vor einem halben 
					Jahre.« Es sprach das Lamm: »Da war ich ja noch nicht 
					Geboren.« -»Beim Herkules!« fuhr jener auf, »so tat's 
					Dein Vater« ergreift das Lamm – zerreißt's in 
					Ungerechtem Morde. 
					 
					Geschrieben wurden diese Wort' für jene Menschen, 
					Die wegen falscher Gründe gute Menschen plagen. 
					 
					2. 
					Die Frösche 
					forderten einen König 
					 
					Als die Athener noch die gleichen Rechte hatten,* 
					Verwirrte ihren Staat politische Empörung, 
					Und Zügellosigkeit war an der Tagesordnung. 
					Parteien, die sich feindlich waren, traten auf, 
					Und als Gebieter nahm Pisistratus die Burg. 
					Als nun die Attiker die Knechtschaft sehr beweinten – 
					Nicht weil der Herrscher grausam war, nein, weil die 
					Bürde, die ihnen ungewohnt, sie drückte – und sie 
					Klagten, verkündigte Aesop ein solches kleines Märchen. 
					 
					Die Frösche, die noch keinen König hatten, hüpften 
					Im Sumpf und schrieen laut zum Zeus um einen König, 
					Dass er mit kräft'gen Arme der Verwild'rung steure. 
					Das Oberhaupt der Götter lacht' und sandte jenen 
					Vom Himmel einen Balken; dieser machte fallend 
					Ein groß Geräusch; die bange Fröscheschar erschrak. 
					Als dieser lange Zeit im Sumpf gelegen hatte, 
					Erhebt ein kleiner Frosch das Köpfchen aus dem Teiche 
					Und ruft, als er den König hat erforscht, die Andern. 
					Alsbald auch hüpften diese, ihre Furcht besiegend, 
					Heran und springen kühn, verwegen auf den Balken. 
					Als sie ihn nun mit jeder Schmach besudelt hatten, 
					Da sandten sie zum Zeus und ließen flehend bitten 
					Um einen andern König, da der Erste schlecht sei. 
					Drauf sandt' er eine Hyder, die mit scharfem Zahne 
					Den einen nach dem andern würgte. Und vergebens 
					Versuchen sie zu fliehn. Die Furcht erstickt die Stimme. 
					Sie senden den Merkur geheim zum Jupiter, damit er 
					Ihnen helfe, doch der Gott erwidert: »Weil ihr nicht in 
					Geduld das Gute tragen wolltet, ertragt das Schlechte.« 
					»Tragt auch ihr die Herrschaft, Bürger, damit euch nicht 
					Ein größres Unheil treffen möge. 
					 
					3. 
					Die stolze Krähe 
					und der Pfau 
					 
					Daß man nicht Lust bekommt, mit fremdem Gut zu 
					Prahlen, vielmehr, daß man sich gern mit seiner Lag' 
					Begnüge, hat diese kleine Fabel uns Aesop gegeben. 
					 
					Von eitlem Stolz geblendet, sucht eine Krähe 
					Die Federn auf, die einem Pfau entfallen waren, 
					Und schmückte sich mit ihnen. Ihresgleichen höhnend, 
					Vermischte sie sich mit der stolzen Schar der Pfaue. 
					Doch diese reißen ihr die Federn wieder aus und jagen 
					Sie zurück. So übelzugerichtet wend't sie mit traur'ger 
					Miene sich zu ihresgleichen; doch auch von diesen 
					Mußte sie Beschimpfung dulden, und eine von 
					Denselben, die vorher geschmähet, 
					Rief aus: »Wenn du mit uns dich hättst begnügen 
					Wollen, nicht hättst nach Höherem gestrebt, 
					Als dir beschieden, so würdest du nicht diese Schmach 
					Erfahren haben.« 
					 
					4. 
					Ein Hund trägt 
					ein Stück Fleisch zu einem Fluß 
					 
					Sein eigenes Gut verlieret, der nach fremdem haschet. 
					Es kam ein Hund mit Fleisch zu einem Flusse hin, 
					Der sah sein Ebenbild im klaren Wasserspiegel. 
					Und glaubend, daß auch Fleisch von einem zweiten 
					Hunde getragen würd', wollt' er es ihm entreißen. 
					Aber der Gierige betrog sich und verlor die Speise, 
					Die er gehabt, und nicht erhielt er die ersehnte. 
					 
					5. 
					Die Kuh und die Ziege, 
					das Schaf und der Löwe 
					 
					Das Bündnis mit den Starken ist kein festes Band. 
					Die Wahrheit dieses Satzes soll die Fabel lehren. 
					 
					Die Kuh, die Ziege und das still geduld'ge Schaf 
					Durchstreiften Felder als Verbündete des Löwen. 
					Als einen Hirsch mit feisten Körper sie gefangen, 
					Da sprach der Löwe so zu seinen schwachen Partnern: 
					»Mein ist der erste Teil, da ich der Löwe heiße, den 
					Zweiten gebt ihr mir, weil ich der Tapfre bin, und auch 
					Der dritt' gehört mir, weil ich stärker bin. Schlecht soll 
					Es einem gehn, wenn er den vierten nimmt.« 
					So nahm die böse Majestät die Beut' allein. 
					 
					6. 
					Die Frösche an die 
					Sonne 
					 
					Es sah die frohe Hochzeit eines dieb'schen Nachbars 
					Aesop, und alsobald begann er zu erzählen: 
					 
					Als einst der Gott der Sonne sich vermählen wollte, 
					Erhob der Frösche Schar ein groß Geschrei zum Himmel. 
					Und Jupiter, der dies Gequak vernommen hatte, fragt' 
					Nach der Ursach' ihrer Klagen. Ein Sumpfbewohner 
					Erwidert: »Eine Sonn' schon legt die Sümpfe trocken und 
					Läßt uns arme Frösche ganz und gar verschmachten. 
					Was steht uns erst bevor, wenn sie auch Kinder zeugt.« 
					 
					7. 
					Der Fuchs an die Larve 
					 
					Als eine Mask' der Fuchs durch Zufall hatt' gesehen, 
					Rief er: »Warum birgt nicht die schöne Hülle Geist?« 
					     Dies sei für die gesagt, die Ehr' und großen Ruhm 
					Erhalten haben, aber nicht Verstand besitzen. 
					 
					8. 
					Der Wolf und der 
					Kranich 
					 
					Wer Dank von schlechten Menschen fordert, sündigt 
					doppelt; denn erstens, weil er solchen hilft, die's nicht 
					Verdienen, und weil er nach der Hilf' nicht, ohne Schaden 
					sein kann. 
					 
					Als einst im Schlund des Wolfs ein Knochen stecken blieb, 
					Da bat er, von dem großen Schmerze überwältigt, 
					Die Tiere, ihn für Lohn vom Übel zu befreien. 
					Ein Kranich schenkte endlich diesen Schwüren Glauben 
					Und übte an dem Wolfe seine Heilkunst aus, indem er 
					Seinen Hals in dessen Rachen schob. Als er sich nun den 
					Lohn vom Wolfe forderte, sprach er: 
					»Obgleich du deinen Kopf aus meinem Schlunde 
					Ganz unversehrt herauszogst, willst du doch noch Lohn?« 
					 
					9. 
					Der Sperling 
					als Tröster des Hasen 
					 
					Sich selbst nicht helfen, andern aber Rat erteilen, 
					Ist eines Toren wert. Dies lehret uns die Fabel. 
					 
					Zum Hasen, der vom Adler überwältigt worden 
					Und heftig weinte, sprach der Spatz: »Wo ist geblieben 
					Die allbekannte Schnelligkeit? Was ruhn die Füße?« 
					Und während er dies sprach, ergriff ihn selbst der Geier 
					Und tötete ihn, des heft'gen Wehgeschreis nicht achtend. 
					Da rief der fast entseelte Has': »O Trost im Tode! 
					Du, der du eben noch mich meines Schicksals höhntest, 
					Mußt jetzt mit gleicher Klage dein Geschick beweinen.« 
					 
					10. 
					Der Wolf 
					und der Fuchs am Richterstuhl des Affen 
					 
					Wer einmal des Betruges sich verdächtig macht, dem 
					Glaubt man nicht mehr, selbst wenn er die Wahrheit 
					Spricht. Daß dies der Fall, bezeuget des Aesopus Fabel: 
					 
					Der Wolf beschuldigte den Fuchs des frechen Diebstahls, 
					Doch dieser sprach, daß er sich nicht daran beteiligt. 
					Als Richter sollt' der Affe über sie entscheiden. 
					Nachdem sie beide ihre Sache vorgetragen, da soll der 
					Affe diesen Spruch gefället haben: »Es scheint, 
					Du hast das nicht verloren, was du forderst; ich glaube, 
					Daß du's stahlst, obgleich du trefflich leugnest.« 
					 
					11. 
					Der Esel und 
					der Löwe auf der Jagd 
					 
					Der Schwächling täuschet wohl, wenn er mit Worten 
					Prahlet, dem Fremden, doch Bekannten dient er zum Gespött. 
					 
					Als mit dem Esel einst der Löwe jagen wollte, gab er 
					Ihm hinter Bäumen einen Platz, befehlend, er sollt' durch 
					Seine starke Stimm' das Wild erschrecken, damit er 
					Selbst die Flücht'gen fange. Und das Langohr erhebt nun 
					Ein Geschrei, so laut es irgend kann, und schreckt die 
					Tiere durch die ungewohnten Töne. 
					Als diese zitternd zum bekannten Ausgang eilen, fällt sie 
					Der Löwe mit gewalt'gem Sprunge an. Und von dem 
					Morden müde, ruft er jetzt den Esel, gebietet ihm, daß er 
					Verstumme. Darauf fraget der Esel: »Wie gefällt dir, 
					Löwe, meine Stimme?« — »Vortrefflich«, sagte dieser. 
					»Und wenn ich nicht kennte Geschlecht und Mut von dir, 
					Auch ich würde furchtsam fliehen.« 
					 
					12. 
					Der Hirsch bei der 
					Quelle 
					 
					Daß das, was man verachtet, manchmal schöner ist, 
					Als man lobt, soll diese Fabel uns beweisen. 
					 
					An einer Quelle blieb ein Hirsch, der dort getrunken, 
					Und sah sein Bildnis in dem klaren Wasserspiegel. 
					Doch während er das ästige Geweihe lobt, 
					Erregten sein Mißfallen die gar zu dünnen Füße. 
					Von lauten Jägerrufen plötzlich aufgeschreckt, 
					Beginnt er durch das Feld zu eilen, und die Hunde 
					Täuscht er durch schnellen Lauf, und in dem dichten Wald 
					Eilt er; doch hier verwickelte sich sein Geweih. 
					Und so gehemmt, erliegt er bald den Hundebissen. 
					Im Sterben soll er noch die Wort' gerufen haben: 
					»Ich armer, armer Tor, der ich erst jetzt erkenne, 
					Wie nützlich mir das war, was ich verachtet habe, 
					Und wie so schweres Leid mir brachte, was ich lobte.« 
					 
					13. 
					Der Fuchs und der Rabe 
					 
					Wer sich durch eines Heuchlers Lob geschmeichelt fühlt, 
					Wird in zu später Reue seine Strafe finden. 
					 
					Von einem Fenster stahl ein Rabe einen Käse 
					Und setzte sich damit auf einen hohen Baum. 
					Der Fuchs, der ihn erblickte, fing zu reden an: 
					»Welch hoher Glanz entstrahlt, o Rabe, deinen Federn! 
					Und welche Anmut trägst du im Gesicht und Körper. 
					Hättest du auch Stimme, überträfst du selbst den Adler.« 
					Und während er die Stimme hören lassen will, 
					Entfällt der Käse seinem Schnabel, den jetzt schnell 
					Der list'ge Fuchs mit seinen gier'gen Zähnen raubte. 
					Jetzt endlich sah der Rabe seine Dummheit ein. 
					 
					14. 
					Aus einem Schuster 
					ein Arzt 
					 
					Ein schlechter Schuster, durch den Mangel ganz 
					Verkommen, begann an fremdem Ort die Heilkunst 
					Auszuüben und bot mit falschem Namen Gegengifte aus. 
					Durch list'ge Ränke hatte er sich Ruf erworben. 
					Als einst der König von der Stadt gar schwer erkrankt 
					War, da forderte er, des Meisters Künste zu erproben, 
					Ein klein Gefäß und füllte dies mit kaltem Wasser, 
					Gab aber vor, daß er des Schusters Gegengift 
					Mit Gift vermische. Darauf befahl er ihm zu trinken. 
					Doch jener, ganz und gar von Todesfurcht beherrscht, 
					Ruft jammernd aus, daß er die Heilkunst nicht verstehe, 
					Des Volkes Dummheit nur hab' ihn berühmt gemacht. 
					Der König rief die Bürgerschaft und sagte ihr: 
					»Wie töricht und wie dumm müßt ihr doch alle sein, 
					Dass ihr das Leben einem Manne anvertraut, 
					Dem niemand seine Schuh' zum Flicken übergibt.« 
					 
					Dies ist, ich darf's mit Recht wohl sagen, für die Leute 
					Geschrieben, deren Torheit Schwindlern Geld verschafft. 
					 
					15. 
					Der Esel an den 
					alten Hirten 
					 
					Beim steten Wechsel einer Oberherrschaft ändert 
					Die niedre Volkesklasse nur des Herrschers Namen. 
					Daß dieses wahr, soll diese kleine Fabel lehren. 
					 
					Ein Hirte, gar zu furchtsam, weid'te einen Esel. Da 
					Plötzlich schreckt ihn auf der Feinde lautes Schreien. Er 
					Treibt zur Flucht das Tier, um nicht gefangen zu werden, 
					Doch dieses fragt gelassen: »Glaubst du, daß ich werde 
					Zu tragen haben bei dem Feind ein doppelt Joch?« 
					Der Greis verneinte dies: »Nun, was liegt mir daran, 
					Wem ich zu dienen habe? Lasten trag ich doch.« 
					 
					16. 
					Das Schaf, 
					der Hirsch und der Wolf 
					 
					Wenn ein Betrüger schlechte Leut' als Bürgen wählet, 
					So will er nicht bezahlen, nur das Übel mehren. 
					 
					Vom Schafe forderte ein Hirsch ein Maß Getreide 
					Und brachte einen Wolf als Bürgen. Doch das Schaf 
					Vermutete List und sprach: »Der Wolf, der raubt und geht, 
					Und du, o Hirsch, entfliehest mir in raschen Sätzen. 
					Wo werde ich euch finden, wenn der Zahltag kommt?« 
					 
					17. 
					Das Schaf, der 
					Hund und der Wolf 
					 
					Die Lügner pflegen stets die Missetat zu büßen. 
					 
					Als einst ein ränkevoller Hund vom Schaf das Brot 
					Begehrte, das er ihm geliehen haben wollte, 
					Sprach der als Zeuge angerufne Wolf, es wäre 
					Nicht ein Brot nur gewesen, nein, es wären zehn. 
					Das Schaf, durch dieses falsche Zeugnis überwiesen, 
					Gab sie zurück. Nach Ablauf weniger Tage sah 
					Das so geprellte Tier den Wolf als Leiche liegen. 
					Es sprach: »Dies ist die Strafe, daß du mich betrogen.« 
					 
					18. 
					Eine gebärende Frau 
					 
					Niemand kehrt gerne an einen Ort zurück, 
					Der ihm Unheil brachte. 
					 
					Nach dem Ablauf der neun Monate lag eine Frau, deren 
					Niederkunft bevorstand, am Boden und jammerte 
					Kläglich. Ihr Mann drängte sie, sich ins Bett zu legen, 
					Damit sie besser gebären könne. Da antwortete sie: 
					»Ich kann unmöglich glauben, daß an dem Ort das Übel 
					Ein Ende finden kann, wo es ursprünglich anfing.« 
					 
					19. 
					Die gebärende Hündin 
					 
					Die Schmeichelworte eines Bösen deuten Unglück. 
					Dieselben zu vermeiden, mahnen diese Worte. 
					 
					Als eine obdachlose Hündin eine andere bat, 
					Daß sie in deren Hütt' die Leibesbürde legte, 
					Gewährte sie’s. Als sie den Platz zurückbegehrte, 
					Bat jene flehentlich um Frist, bis ihre Jungen 
					Zu gehen vermöchten. Als die Zeit verstrichen war, 
					Die Räumung sehr gefordert wurde, sprach die Fremde: 
					»Ich geh, wenn du im Kampf mich mit der Brut besiegst.« 
					 
					20. 
					Die hungrigen Hunde 
					 
					Ein Plan, der töricht ist, wird nicht nur nicht gelingen, 
					Vielmehr, verleitet er die Menschen nur zum Schlimmern. 
					 
					Versenkt ins Wasser sahen Hunde eine Haut. 
					Daß sie sie leicht bekämen und verspeisen könnten, 
					Begannen sie das Wasser auszutrinken. Aber 
					Sie platzten und erhielten nicht, was sie begehrten. 
					 
					21. 
					Der alte 
					Löwe, der Eber, der Stier und der Esel 
					 
					Wer seine früh're Würde eingebüßt, der wird 
					In seinem schweren Fall sogar zum Spott des Pöbels. 
					 
					Als einst ein Löwe, durch das Alter schon geschwächt 
					Und kräftelos, in seinen letzten Zügen lag, fand ihn ein 
					Eber. Alter Feindschaft eingedenk, durchbohrte dieser 
					Ihn mit seinen spitzen Hauern. Nicht lange drauf, stieß 
					Auch ein Stier mit seinen Hörnern des Feindes Körper. 
					Als ein Esel nun bemerkte, daß ungestraft das Wild 
					Verletzet würde, schlug auch er mit seinem Huf die Stirn. 
					Und sterbend klagte der Löwe: »Nur mit Ingrimm habe 
					Ich ertragen, daß mich die Starken reizten; daß ich 
					Leiden muß Durch dich, o Schande der Natur, 
					Erschwert den Tod.« 
					 
					22. 
					Das Wiesel und der 
					Mensch 
					 
					Ein Wiesel, das von einem Menschen war gefangen 
					Und noch nicht sterben mochte, bat: »O schone meiner, 
					Ich halte auch dein Haus von läst'gen Mäusen rein.« 
					Doch jener sprach: »Wenn dies der Fall, so wär's mir lieb, 
					Und dann würd' ich auch gerne deine Bitt' gewähren, 
					Du arbeitest aber nur, damit du selbst genießest 
					Die Mäuse, die du fängst, und was sie übrigließen. 
					Aus diesem Grunde kannst du keine Gunst erwarten.« 
					Er sprach's und würgte gleich das unverschämte Tier. 
					 
					In dieser Fabel müssen jene sich erkennen, 
					Die nur für sich allein, aus Egoismus, sorgen 
					Und andern gegenüber sich Verdienste rühmen. 
					 
					23. 
					Der treue Hund 
					 
					Die Toren lieben wohl den plötzlichen Verschwender, 
					Doch die Erfahrenen umstricken nicht die Netze. 
					 
					Als einst ein Dieb, der nachts zum Stehlen ging, dem 
					Hunde ein Stückchen Brot gegeben, glaubend, daß er so 
					Das Tier für sich gewinnen könnte, sagte dieses: 
					»Fürwahr, du willst dir meine Stimme wohl erkaufen, 
					Dass ich nicht belle für das Eigentum des Herrn? 
					Du täuscht dich sehr. Dein plötzlich Wohltun heißet mich 
					Sehr wachsam sein, damit du keinen Schaden stiftest.« 
					 
					24. 
					Der geborstene Frosch 
					und der Ochse 
					 
					Ein Armer, der dem Reichen nachahmt, geht zugrunde. 
					 
					Auf einer Weide sah ein Frosch einst einen Ochsen, 
					Und, neidisch auf des Tieres majestät'sche Größe, 
					Bläht er die Haut. Drauf fragt er selbstbewußt die Kinder, 
					Ob er den Ochsen nicht an Größe überrage. 
					Doch jene sagten: »Nein!« Er müht sich wieder ab, 
					Die Haut zu dehnen, und tut dann dieselbe Frage, 
					Wer größer wäre. Jene nannten ihm das Rind. 
					Als er zuletzt in vollem Zorne noch versuchte, 
					Sich mehr zu blähen, stürzt' er mit zerplatztem Körper. 
					 
					25. 
					Die Hunde und die 
					Krokodile 
					 
					Wer klugen Leuten bösen Rat erteilen will, 
					Müht sich vergebens ab und wird auch ausgelacht. 
					 
					Es ist auch wohl bekannt, daß aus dem Nil die Hunde 
					Im Laufe trinken, daß sie nicht vom Krokodil gefangen 
					Werden. Als nun einst ein Hund im Laufen das Wasser 
					Trinken wollt', sprach so das Krokodil: »Schlapp's nur in 
					Ruhe, fürcht mich nicht!« Doch jener sagte: »Beim Zeus, 
					Ich würd' es tun, wenn ich nicht sicher wüßte, daß du 
					Nach meinem Fleische große Sehnsucht hast.« 
					 
					26. 
					Der Fuchs und der 
					Storch 
					 
					Oh, keinem darf man schaden. Aber wenn uns einer 
					Verletzt, kommt ihm dasselbe zu. Dies lehrt die Fabel. 
					 
					Es soll der Fuchs zuerst den Storch zum Mahl geladen und 
					Ihm in einer flachen Schüssel flüss'ge Brühe gereicht 
					Haben, so daß selbst bei größter Mühe der Storch von 
					Jener Speise nichts erlangen konnte. Als er nun wiederum 
					Den Fuchs zu Gaste lud, da setzte er ein halsiges Gefäß 
					Ihm vor, zerriebne Speis' enthaltend. Mittels seines 
					Schnabels genoß er selbst die Speise, doch der Gast litt 
					Hunger. Als nun umsonst der Fuchs den Hals der Schüssel 
					Leckte, da soll der Wandervogel froh gerufen haben: 
					»Wozu man selbst das Beispiel gibt, muß man ertragen.« 
					 
					27. 
					Der Hund, 
					der Schatz und der Geier 
					 
					Für Geizige kann diese Fabel passend scheinen 
					Und solche, die im niedern Stand mit Reichtum prahlen. 
					 
					Nach Menschenknochen wühlend fand einst einen Schatz 
					Ein Hund. Und weil er frevelnd Leichen hatt' verletzt, 
					Macht ihn der Gott nach Gold und reichen Schätzen 
					Lüstern, damit er dadurch den begangnen Frevel büße. 
					Und während er das Gold bewacht, die Speis' vergessend, 
					Starb er vor Hunger. Auf ihm stehend soll der Geier 
					Gerufen haben: »Hund, du hast den Tod verdient, 
					Der du dir plötzlich königliche Schätze wünschtest, 
					Obwohl im Straßenschmutz geboren und erzogen.« 
					 
					28. 
					Der Fuchs und der Adler 
					 
					Wie hoch man auch gestellt, man muß die Niedern 
					Fürchten, weil der Gewandte sich, beleidigt, rächen kann. 
					 
					Einst trug ein Adler junge Füchse hoch empor zum Nest 
					Hinauf, daß seine Jungen sie vertilgten. Voll Trauer kam 
					Die Mutter und begann zu bitten, daß er ihr nicht so 
					Großes Elend mög' bereiten. Doch er verachtet es, 
					Im Horst sich sicher fühlend. Die Füchsin stahl vom 
					Altar einen Feuerbrand und legte rings um jenen hohen 
					Baum die Glut, mit dem Verlust des Bluts 
					Schmerz für den Feind verbindend. 
					Der Adler gab dem Fuchs die unversehrten Jungen, 
					Damit er seine Brut von der Gefahr befreie. 
					 
					29. 
					Der Esel 
					verspottet den Eber 
					 
					Indem die Toren ein albernes Gelächter erregen wollen, 
					Bringen sie oft anderen schwere Schande und rufen große 
					Gefahr für sich selbst hervor. 
					 
					Als ein Esel einem Eber begegnete, sagte er zu ihm: »Sei 
					Gegrüßt, Bruder!« Dieser weist empört den Gruß zurück 
					Und fragt, wozu die Lüge diene. Da streckte der Esel sein 
					Glied vor und sagte: »Wenn du behauptest, mir nicht 
					Ähnlich zu sein, so ist das hier sicher deinem Rüssel 
					Ähnlich.« Obschon der Eber als edles Tier auf den Esel 
					Losgehen wollte, beherrschte er seinen Zorn und sagte: 
					»Ich könnte mich leicht rächen, aber ich will mich nicht 
					Mit unedlem Blut beschmutzen.« 
					 
					30. 
					Die Frösche 
					fürchten den Stierkampf 
					 
					Die Niedern tragen Schaden, wo die Mächt'gen streiten. 
					 
					Ein Frosch, der in dem Sumpfe einen Stierkampf sah, 
					Rief jammernd aus: »Welch groß Verderben drohet uns!« 
					Befragt von anderen, warum er dieses sagte, da sich 
					Dieselben nur um einen Vorrang stritten und auch die 
					Stiere weit entfernt von ihnen lebten, rief jener aus: 
					»Wohl wohnen sie am andern Orte, auch ihr Geschlecht 
					Ist nicht dem unsern gleich. Jedoch, wer, aus dem grünen 
					Hain vertrieben, fliehen muß, wird zu dem stillen 
					Aufenthalt des Sumpfes kommen, und hier wird er mit 
					Hartem Fuße uns zertreten. So wird der Rinder Wut sich 
					Auch auf uns erstrecken.« 
					 
					31. 
					Der Weih und die Tauben 
					 
					Wer sich dem Schutze eines Bösen anvertraut, 
					Der findet seinen Tod, wo er auf Rettung hofft. 
					 
					Als Tauben einem Weihen oft entflohen waren 
					Und durch die Schnelligkeit des Fittichs dem Verderben, 
					Da nahm der böse Räuber zu der List die Zuflucht 
					Und sucht durch diese Lüg' die Tierchen zu umstricken: 
					»Warum verbringet ihr in Angst euer Leben, Tauben, 
					Und wählt mich nicht zu eurem mächt'gen Oberhaupte, 
					Der ich euch stets den sichern Schutz gewähren werde?« 
					Und jene trauten ihm, ergaben sich dem Weihen; doch er 
					Begann, sie einzeln, nach und nach, zu töten, und führt' 
					Mit grimmen, scharfen Klaun die Oberherrschaft. 
					Der Tauben eine sprach: »Die Strafe ist gerecht.« 
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