Fabeln 2
 

Renuart
von diesem Fabeldichter weiß ich nur
den Namen.

Quelle:
Renuarts Fabeln und lyrische Gedichte
Eichstaett
Im Verlag bei Johann Baptist Widenmann/Buchhändler 1783

 
Prolog

An das Büchchen

Büchchen wie du wagest es,
Ohne Reize, ohne Schminke
An das Licht der Welt zu treten? –
Fürchtest du die Kritik nicht?
Zitterst du nicht in den Händen
So verschiedner Rezensenten? – –
Die – – Warum? das scheu ich nicht! – –
Wirst du Büchchen! Lob verdienen
Und der Leser Herz gewinnen,
Denn schadet dir die Kritik nichts. –
Kann man dich mit Grunde tadeln:
Denn ist dir die Kritik gut:
Die werd' ich als Freunde preisen
Die mir meine Fehler weisen.

 
Fabeln 1
 
Der Spiegel und der Aff
Morpheus und die Philosophen
Die streitenden Hähne
Die Lerche und der Uhu
Der Löwe und der Esel
Der Rabe und die Hauskatze
Aesop und die Fabel
Der Spiegel und die Fabel
Jupiter und die Krähe
Pallas und der Philosoph
Der Uhu und die Eule
Jupiter und Vulkan
Die zwo Nachtigallen
Die junge Taube und der Sperber
Der Deserteur und die Treue
Die zween gefangenen Papageien
Die Katze und die Meise

 

1.
Der Spiegel und der Aff

In einem bunten Zimmer,
Wo man Vergnügen fand,
Hing auch ein großer Spiegel
Ganz einsam an der Wand,
Ein Äffgen ging vorüber,
Und sah vor Lust hinein,
Erblickt sein häßlich Larvchen
Und spricht: — soll ich dies sein? —

Er steht: und fragt den Spiegel:
Sag mir: wer dieser ist,
Der sich in itzt schauet? —
Ich glaub, daß du es bist! —
Erwidert ihm der Spiegel:
Wer soll es anders sein? —
Es ist kein Mensch zugegen,
Als ich, — und du allein.

Der Aff ergrimmt, und blecket:
Wer ich? — du — Frevler! — du!
Und springt mit seinen Pfoten
Dem armen Spiegel zu;
Der Spiegel fällt herunter,
Und bricht in tausend Stück,
Und wirft des Affens Larve
Jetzt tausendfach zurück. —

So pflegt es dem zu gehen,
Der vor der Wahrheit flieht,
Und der es nicht kann dulden
Wenn er sich häßlich sieht:
Die Wahrheit ist der Spiegel
Der böse Mensch der Aff,
Wer ihre Warnung hasset,
Dem folget gleiche Straf.

Drum Menschen laßt euch raten! —
Brecht diesen Spiegel nicht! —
Ihr sehet euch nur öfter
Wenn dieser Spiegel bricht,
Seht lieber euch im Ganzen
Sonst wirft ein jedes Stück
Des Herzens böse Sitten
Gedoppelter zurück.

2.
Morpheus und die Philosophen

In einem Saal', wo sich zween junge Philosophen,
Durch stundenlanges Disputieren
Durch Nego, Probo, Distinquieren,
Mit Atqui, Ergo heiser schrieen, —
Fand sich auch Morpheus ein: —
Warum? — es träumte ihnen. — —

3.
Die streitenden Hähne

Was? Frevler! — du sollst meine Flur betreten?
Schrie Nachbar Hahn, zum Nachbar Hahn?
Du sollst auf meinem Grunde zehren? — — —
Und wirst du mir wohl dieses wehren?
Schrie jener ihm mit rotem Kamm entgegen:
Komm! Waffen sollen mir und dir
Das Recht entscheidend sprechen? —
Ja Waffen! — und — ach wer wird Mittler sein?
Der beiden Klauen dräun schon Blut und Wunden,
Schon stoßet Kopf an Kopf. — —
Wer fällt? — wer hat gesiegt? — — —
Sie gehn versöhnet auseinander. — —

4.
Die Lerche und der Uhu

O Schwesterchen! sag mir!
Sprach Meister Uhu zu der Lerche:
Wann wirst du wohl so niedlich singen
Wie deine Muhme Nachtigall?
Dann, lieber Uhu! — sprach die Lerche,
Wenn du einmal so schlecht wirst singen,
Wie ich dein Schwesterchen! —

5.
Der Löwe und der Esel

Als einst der Esel sich beklagte,
Daß Zeus ihn nicht zu einem Löwen schuf?
So hört dies König Löwe, und sagte: —
Dies ist nicht dein Beruf. —
Denn mich hat Zeus zum König ausersehn, —
Und dich zum Untertan.
Drum nimm dein Schicksal willig an.

6.
Der Rabe und die Hauskatze

Ein Rabe des Junkers auf dem Lande,
Den dieser von dem Nest her zog,
Pflegte aus dem Zimmer seines Herrn
Geld, Ringe, Perlen, Ohrgehänge,
Und andre Dinge mehr nach Rabenart zu rauben,
Und barg es in einen abgelegnen Ort,
Dies sah die Hauskatz in dem Winkel:
Und was nützt dieses dir? sprach sie zum Raben.
Er gab: was es dem Geizhals nützt, — damit ich's habe.

7.
Aesop und die Fabel

Was für ein Unterschied
Ist zwischen mir und einem Spiegel:
Fragt Tochter Fabel einst den Vater Äsop:
Der ist's, sprach jener: —
Der Spiegel stellt die Angesichter,
Und du die Herzen vor.

8.
Der Spiegel und die Fabel

Warum, spricht dort die Fabel zu dem Spiegel:
Sieht man sich denn so gern in dir? —
Und nur mit Ekel und Verdruß in mir? —
Ist denn nicht unsre Pflicht so ziemlich ähnlich? — —
Du Närrchen! weißt du noch die Ursach nicht? —
Fiel jener ihr nun in die Rede:
Die Menschen wollen nur ein weises Angesicht,
Nie aber schwarze Herzen sehen. —

9.
Jupiter und die Krähe

Der Krähe kam's so in den Kopf,
Sie wollte sich nach Mode kleiden,
Nach Mode unsrer heut'gen Zeiten
Im Schlender, Buckeln, und im Schopf,
Und dies bat sie den Jupiter:
Er sprach: — O! du begehrst zu viel!
Ich mag dich kleiden, wie ich will,
So bist und bleibst du immer Krähe. —

10.
Pallas und der Philosoph

Wie kommt es? — sprach ein junger Philosoph
Zur Pallas: daß es Berge gibt,
Die Feuer aus dem heißen Busen spein,
Da sie von außen doch mit Schnee bedecket sind?
Das wundert dich? sprach Pallas: — Nein! —
Gibt es doch Menschen auch von dieser Gattung.

11.
Der Uhu und die Eule

Ein junger Uhu fragte eine Eule,
Mein du! — spricht er, wie viel ist denn
Die Sonne größer als der Mond? —
Frau Eule gab sehr weise zurücke,
Was geht dies den Uhu, und die Eulen an.

12.
Jupiter und Vulkan

Du würdest Zeus nicht sein!
Wenn ich Vulkan nicht wäre, —
Wer würde dir die Donner schmieden? —
Wer deinen Himmel vor den Riesen schützen? —
So schön vertraulich sprach Vulkan
Zu Zeus bei einem Gläschen Wein. —
Ich würde gleichwohl Zeus noch sein,
Erwidert Jupiter:
Denn bei uns Göttern kommt
Es nicht allein auf Donner an.

13.
Die zwo Nachtigallen

Mutter! wie ist mein Gesang
Doch dem deinen gar so ähnlich!
Sagte einst die junge Tochter
Zu der Mutter Nachtigall; —
Ganz natürlich! sagte die:
Könnt ich deine Mutter sein,
Wenn du nicht, wie ich, sollst singen.

14.
Die junge Taube und der Sperber

Komm meine Liebe! sprach ein Sperber,
Zu einer jungen Taube, die
In ihrem ganzen Leben nie
Bis auf den Augenblick den Sperber sah,
Komm! — laß uns freiere Luft genießen! —
So immer eingesperrt sein müßen,
Läßt auf ein Mädchen deinesgleichen,
Bei meiner alten Treu nicht gut! —
Sie ging nach diesem falschen Reize hin,
Und wurde, um es kurz zu sagen,
Bald — — eine Sperberin.

15.
Der Deserteur und die Treue

Dem Deserteur, der von der Fahne,
Zu der er schwur, meineidig floh,
Begegnet auf dem Weg die Treue,
Und ob dies Pflicht des Eides sei?
Fragt sie vermummt den Flüchtling. —
Schweig! — sagte er: mit deiner Pflicht,
Die Pflicht hab ich in der Kaserne gelassen,
Wo unsre Herrchen Offiziers
Die Pflicht der Menschlichkeit vergaßen.

16.
Die zween gefangenen Papageien

Mein Häuschen ist doch sicher schöner,
Als deines, sprach ein Papagei, —
Zu seinem Nachbar in dem Käfig:
Sieh nur die schön vergoldeten Stangen
Da deine nur von Eisen sind.
Er gab: — dem sei doch, wie ihm sei? —
Bist du darum nicht auch gefangen? —

17.
Die Katze und die Meise

Die Meise fing sich in dem Fallenhäuschen,
Dies sah von ferne eine schlaue Katz
Und, denkt sie, dieses ist für mich
Ein recht erwünschtes Beutchen
Sie klettert denn den Baum hinan,
Das Vögelchen herauszunehmen. — —
Und da sie mit der einen Pratze
Das Häuschen öffnen will, —
So flog die Meise frei hinweg. —
Und dankt im Fluge ihrem Retter.