Fabelverzeichnis

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Fabeln 2
 
Der Kahlkopf und der Gärtner
Jupiter und die Frösche
Die Tauben und der Habicht
Der treue Hund und der Dieb
Der Wolf und die Sau
Der kreißende Berg
Das Lamm und die Ziegenmutter
Der alte Jagdhund
Das Rebhuhn und der Fuchs
Die lebensmüden Hasen
Das gehorsame Zicklein
Der Hund und das Krokodil
Der Hund als Schatzgräber
Der arme Mann und die...
Das angeborgte Schaf
Der unbarmherzige Esel
Der Kahlkopf und die Fliege

 
Der Fuchs und der Storch
Der Wolf und der Mime
Die Krähe und die Pfauen
Die Fliege und die Ameise
Die Fliege und das Maultier
Der Wolf und der Fuchs vor Gericht
Das gefangene Wiesel
Der aufgeblasene Frosch

 

Fab.26
Der Kahlkopf und der Gärtner

Der Kahlkopf bat den Gärtner in der Nachbarschaft, er möchte ihm eine von seinen
Melonen geben. Doch der spottete und sprach: "Geh, geh, dir will ich meine Melonen
nicht geben, du bist mir zu dumm. Im Winter wie im Sommer soll dein Schädel immer
Beschwerden haben. Fliegen und Bremsen sollen auf deiner Stirn sitzen, die aus deinem
kahlen Kopfe Blut fressen und saufen und ihn hinterher bekacken!"
Da ergrimmte der Kahlkopf, zog sein Schwert und riß den Gärtner an den Haaren, um
ihn zu töten. Der Gärtner seinerseits packte eine Melone und warf sie dem Kahlkopf an
die Stirn. Dieser jedoch war stärker und schlug dem Gärtner das Haupt ab.

Das geht auf Leute, die Bittstellern nichts Gutes tun und auf vernünftige Reden und
Antworten nicht eingehen.

Fab.27
Jupiter und die Frösche

Als die Athener in besten Verhältnissen lebten, frei waren, niemanden zu fürchten
brauchten und einander in guter Gesinnung dienten, ließen sie sich durch einen eitlen
Plan verleiten und forderten für sich einen Oberen, der die schlechten Sitten zügeln oder
bestrafen sollte. Darauf wurden viele terrorisiert, andere ausgebeutet, dritte sogar
bestraft. Wie von einer Krankheit befallen, bedauerten sie da ihre Handlungsweise,
weil sie, hinreichend unglücklich, Leid erduldeten und weil sie, durch ihr Gesetz belastet,
arge Gefahr befürchteten. Nicht daß jener Obere grausam gewesen wäre, die Tatsache
vielmehr, daß sie, ohne daran gewöhnt zu sein, unter einem fremden Gesetz oder einem
fremden Willen dienen mußten, beschwerte sie sehr, und voller Reue weinten sie.
Da erzählte ihnen Äsop die folgende Geschichte.

Die Frösche, berichtete er, die in aller Freiheit in ihren Sümpfen und Teichen hausten,
forderten mit vielem Stimmaufwand von Jupiter einen Leiter, der die Irrenden auf die
rechte Bahn bringen sollte. Als sie diesen Wunsch vorbrachten, lachte Jupiter. Darauf
begannen sie wiederum ihr Gequake. Als sich trotzdem nichts zeigte, verlegten sie sich
aufs Bitten. Jupiter, der den Unschuldigen gewogen ist, ließ in den Teich ein großes
Holzstück gelangen, das die Furchtsamen allesamt in Schach hielt.
Schließlich aber steckte ein Frosch, weil er den König über alle Frösche kennenlernen
wollte, seinen Kopf aus dem Wasser; als er das Holz erblickte, machte er allen von
seinem Wissen Mitteilung.
Manche kamen furchterfüllt herbeigeschwommen, um den großen Leiter zu begrüßen,
andere näherten sich noch mit einer gewissen Bangigkeit.
Als aber in dem Holz sich kein Leben findet, betreten sie es, erkennen, daß es ein Nichts
ist, und stampfen es mit den Füßen.
Ein zweites Mal verlegten sie sich aufs Bitten, da schickte ihnen Jupiter die
Wasserschlange; die fraß die Frösche einen nach dem andern auf.
Nun richten sie alle ihr mit Tränen vermischtes Quaken zum Himmel: "Zu Hilfe, Jupiter,
wir sterben." Doch der in der Höhe Donnernde erwiderte ihnen: "Als ihr batet, wollte ich
nicht, und als ich wollte, habt ihr mißliches bekommen. Da ihr nun das Gute nicht
ertragen wolltet, müßt ihr das Schlimme aushalten."

Daß er sorgenfrei lebt, der nichts hat, was er zu fürchten braucht, beweist die Fabel.

Fab.28
Die Tauben und der Habicht

Wer sich zum Schutze einem Bösen unterstellt, verliert zu seinem Schaden die Hilfe,
wenn er sie braucht. Das lehrt die folgende Fabel.

Weil die Tauben oftmals vor dem unerbittlichen, wilden Weih fliehen mußten, wählten
sie sich den Habicht zum Patron und Schutzherrn; denn sie meinten, unter seiner Obhut
sicher zu sein. Körperschwäche vortäuschend fing er an, eine nach der anderen zu
verspeisen. Da sagte eine von den Tauben: "Eine geringere Last war es für uns, daß wir
den brutalen Weih ertragen mußten; denn die Macht des Habichts bringt uns ums
Leben. Aber es geschieht uns schon ganz recht dabei; warum wollten wir uns einem
solchen Betrüger anvertrauen?"

Fab.29
Der treue Hund und der Dieb



Über Verführer laßt uns die folgende Fabel vernehmen.

Von einem Dieb, der bei Nacht dem Hund Brot brachte, erzählt man, daß dieser
antwortete: "Nicht umsonst wird dieses Brot gegeben; vielmehr tust du es in der
Absicht, mich zu schädigen, und ich soll dafür büßen zusammen mit dem Hausherrn
und unserer ganzen Familie. Denn wenn du alles mit dir wegschleppst, wirst du mir
dann auch noch Brot hinhalten? Würdest du mir auch später noch etwas abgeben und
dich meiner erbarmen wollen, wenn der Hunger über mich kommt? Ich möchte nicht,
daß du mir den Mund verschließt, möchte nicht Speise empfangen unter der
Bedingung, daß ich schweigen muß. Vielmehr werde ich selber laut bellen, den Herrn
und die Familie wecken, ihnen sagen: Ein Dieb ist da! Nicht auf das Heute, auf das
Morgen will ich sehen. Mach dich also fort, oder ich zeige dich an!"

Das sollten die im Auge haben, die um eines Dinners willen ihr Vermögen verlieren.

Fab.30
Der Wolf und die Sau

Man soll darauf achten, dem Bösen nicht Glauben zu schenken; davon handelt die
folgende Fabel.

Als die Sau, weil sie gebären sollte, dalag und vor Schmerzen seufzte, trat der Wolf zu ihr
und sprach: "Du kannst, Schwester, noch in dieser Stunde deine Sprößlinge unbesorgt
zur Welt bringen. Ich werde das Amt der Hebamme wahrnehmen und dir tröstend
beistehen." Doch kaum war die Sau des Bösewichts gewahr geworden, als sie sein
Anerbieten zurückwies. "Ich kann, Bruder", erwiderte sie, "meine Jungen unbesorgt zur
Welt bringen, wenn du dich trollst. Ich ersuche dich also, gib mir die Ehre."
Und sowie der Wolf fort war, gebar die Sau alsbald. Hätte sie dem Bösewicht geglaubt,
es wäre ihr schlecht ergangen.

Fab.31
Der kreißende Berg



Wo Furcht herrscht und schwerer Schrecken, ist oftmals nichts, wie diese Fabel beweist.

Einst kreißte ein Berg und machte dabei viel Gestöhne. Als das die Leute in der
Umgebung vernahmen, trat alsbald große Verwirrung ein, und alle erfaßte Schrecken.
Niemand konnte sich an Ähnliches erinnern, das starke, kräftige Dröhnen erfüllte alle mit
Furcht, und man vergaß die eigenen Angelegenheiten. Denn der kreißende Berg stöhnte
gewaltig, und schließlich brachte er eine Maus zur Welt.
Die Kunde davon verbreitete sich rasch, und die, welche vorher Furcht erfüllt hatte,
faßten wieder Mut. Und was man als ein Übel angesehen, löste sich für alle in nichts auf.

Fab.32
Das Lamm und die Ziegenmutter

Die Güte macht die Eltern aus, nicht, wie man sagt, die Abkunft. Damit wir das erkennen
können, bringt der Erzähler die folgende Fabel.

Einem Lamm, das unter die Ziegen geraten war, sagte, so will es der Erzähler, der Hund:
"Hier ist deine Mutter nicht", und wies statt dessen auf die gesondert in der Ferne
weidenden Schafe. "Nicht nach der verlangt mich", erwiderte das Schaf, "die mich in
ihrem Schoße empfing, ihre Monate trug und mich dann zur Welt brachte, sondern um
die geht es, die mich nährt, mir ihr Euter darbietet und ihre eigenen Jungen benachteiligt,
damit es mir nicht an Milch fehle." Doch der Hund entgegnete: "Trotzdem ist die,
welche dich gebar, in erster Linie deine Mutter." Darauf das Lamm: "Es stimmt, was du
sagst, doch, wie es recht ist, folgte sie dem natürlichen Triebe, ohne zu wissen, ob das
Junge männlich oder weiblich sein werde. Was nützt den Tieren ein Junges, wenn es bloß
für den Metzger vorteilhaft ist? Und was haben die Menschen, wie sie glauben, von ihren
Söhnen? Auch bei denen ist es ja zweifelhaft, ob ein jeder die Treue wahren wird."

Fab.33
Der alte Jagdhund



Einen Alten darf man nicht mißachten oder verstoßen, denn auch er war einmal jung.
Darum, wenn du für dich ein gutes Alter wünscht, so ehre die Alten, und willst du sie
nicht ehren, so ehre doch wenigstens nach Kräften ihre früheren Leistungen und
vernimm zur Sache die folgende Fabel.

Ein Hund, der in seiner Jugend seinem Herrn auf der Jagd stets zufriedenstellend
gedient hatte, wurde von Kurzatmigkeit geplagt, das Alter hatte seinen Lauf verlangsamt,
und seine Zähne waren stumpf geworden. Als er einmal einen Hasen zu erjagen suchte,
vermochte Meister Langohr dem Biß des Hundes zu entrinnen, und da er ja nicht
verwundet war, ließ er den Hund sich durch das Feld hin müde laufen. Das brachte den
Herrn gegen seinen Hund auf, und er schalt ihn als seiner Aufgabe nicht gewachsen.
Doch – so will es die Fabel – der Hund gab ihm Antwort: "Meinem Wollen fehlt die Kraft,
stumpf sind meine Zähne, doch früher war ich stark. Du lobtest, was ich war und jetzt
verdammst du, was ich bin. Denk an das Frühere, so wird dir das, was ich heute noch
vermag, gut und angenehm sein!"

Somit beweist uns die Fabel, daß, wenn einer als Jüngling erfolgreich handelte, er als Greis
nicht mißachtet werden sollte.

Fab.34
Das Rebhuhn und der Fuchs

Während das Rebhuhn irgendwo an einem hohen Ort saß, kam der Fuchs des Weges und
redete es an: "Wie formvollendet ist dein Antlitz! Deine Beine gleichen einer Rosenhecke,
dein Schnabel einer Koralle. Doch wenn du schliefest, wärst du wohl schöner!"
Das Rebhuhn glaubte ihm und schloß die Augen; flugs holte es der Fuchs herunter.
Mit tränenerstickter Stimme sprach das Rebhuhn: "Bei deinem ungewöhnlichen
Scharfsinn bitte ich dich, sag mir zuvor deinen Namen: dann magst du mich fressen."
Doch sowie der Fuchs seinen Namen nennen wollte, mußte er sein Maul öffnen, und das
Rebhuhn machte sich davon. Ärgerlich bemerkte jener: "Ich Dummkopf, was mußte ich
bloß reden?" Gab das Rebhuhn zur Antwort: " Und wozu mußte ich schlafen, da ich doch
gar nicht müde war?"

Die Geschichte zielt auf Leute, die reden, wo es nicht notwendig ist, und die schlafen,
wo sie wach zu sein hätten.

Fab.35
Die lebensmüden Hasen



Die Menschen müssen die Zeitläufe ertragen und sich den Umständen fügen. Wem seine
Last zu schwer wird, der soll sich die Lasten anderer ansehen. Davon vernimm die Fabel.

Als plötzlich großer Lärm die Hasen bedrohte, faßten sie unter sich den Plan, sich lieber
das Leben zu nehmen als beständiger Furcht ausgesetzt zu sein. Und sie begaben sich an
das Ufer eines Flusses, wo sich viele Frösche aufhielten. Wie aber der Hasenzug näher
kam, gerieten die Frösche in Schrecken und stürzten sich in den Fluß. Als das die Hasen
sahen, sprach einer von ihnen: "Es gibt auch andere, die in Furcht leben wie wir. Setzen
wir also unser Leben fort wie die anderen auch, ertragen wir es, wenn uns etwas Böses
trifft; denn immerfort wird es ja nicht Böses sein."

Fab.36
Das gehorsame Zicklein

Auf die Weisungen der Eltern zu hören dient den Kindern zum Wohl, wie die folgende
Fabel lehrt.

Als die Ziege trächtig war und zur Weide gehen wollte, warnte sie ihr unerfahrenes
Zicklein, jemandem aufzumachen; denn sie wußte, daß viele Raubtiere um die Ställe
der Haustiere herumschlichen. So mahnte sie und verließ das Haus.
Da erschien der Wolf, und während er die Stimme der Mutter nachahmte, forderte er das
Zicklein auf zu öffnen. Das Zicklein guckte durch die Spalten und sagte: "Die Stimme der
Mutter höre ich wohl; doch du bist hinterlistig und böse, und unter dem Vorwand der
Stimme der Mutter möchtest du mein Blut saufen und mein Fleisch fressen."

So lebt vorsichtig, wer auf Mahnungen hört.

Fab.37
Der Hund und das Krokodil



Die Hunde pflegen im Laufen aus dem Nil zu trinken, um nicht von den Krokodilen
gepackt zu werden. Als nun ein Hund, der aus dem Nil zu trinken begonnen hatte,
sein Tempo steigerte, sprach ein Krokodil zu ihm: "Was deinen Lippen wohltut, brauchst
du nicht zu fürchten." Antwortete der Hund: "Ich wollte mich schon an deine Worte
halten, wüßte ich nicht, daß du nach meinem Fleisch gierst."

Wer klugen Leuten unkluge Ratschläge gibt, verliert nicht nur, was er plant, sondern
wird von jenen noch schmählich verlacht.

Fab.38
Der Hund als Schatzgräber

Der Hund und der Geier gruben menschliche Gebeine aus. Da fand der Hund einen
Schatz, wodurch er die Schattengeister der Toten verletzte. Zugleich befiel ihn
Verlangen nach den Reichtümern, durch die er sein Vergehen sühnen zu können meinte.
Während er nun sein Gold bewachte, vergaß er, für Nahrung zu sorgen, und ging an
Hunger ein. Da sprach der Geier, der bei ihm stand: "Mit Recht büßest du, Hund, weil du,
der du am Straßenrand gezeugt und auf dem Mist auferzogen wurdest, königliche
Schätze begehrst. Was nutzte es dir, diese Reichtümer zu finden?"

Auf Habgierige zielt diese Fabel, die eher erschöpft zugrunde gehen, als bis sie ihr
unersättliches Begehren zu stillen vermögen.

Fab.39
Der arme Mann und die Glücksschlange

Als allzeit verdächtig hat zu gelten, wer einmal einem andern Böses zufügte, so wie es
diese Fabel beweist.

Ins Haus eines armen Mannes kam mit Regelmäßigkeit eine Schlange zu Tisch und
genoß dort die Brocken. Nicht lange darauf kam der Arme zu Besitz und wurde
zornig über die Schlange und verletzte sie mit einem Axthieb. Es verging einige Zeit,
und jener Mann kehrte zu seiner früheren Dürftigkeit zurück. Da wurde ihm deutlich,
daß das Mißgeschick der Schlange sein Unglück bewirkt hatte, so wie er um ihretwillen
reich geworden war, ehe sie durch ihn verletzt wurde. Also verlegte er sich aufs Bitten,
daß sie dem Sünder doch verzeihen möge. Ihm erwiderte die Schlange: "Da du dein
Vergehen bereust, will ich dir verzeihen. Bis jedoch die Narbe geschlossen ist, darfst du
mir nicht voll vertrauen. Ich will aber in deine Gunst zurückkehren, wenn ich die
tückische Axt zu vergessen vermag."

So muß verdächtig sein, wer einen andern einmal verletzte.

Fab.40
Das angeborgte Schaf

Wenn Betrüger borgen, stellen sie unredliche Bürgen, wie die folgende Fabel berichtet.

Einst bat der Hirsch das Schaf, ihm bis zu einem bestimmten Tage, an dem er das
Geborgte zurückbringen werde, einen Scheffel Weizen zu leihen, wobei der Wolf als
Bürge zugegen war. Erschrocken durch die Anwesenheit des Feindes, erklärte sich das
Schaf auf der Stelle bereit. Als aber der Hirsch zu ihm kam, sagte es ihm: "Wenn der
Termin da ist, wer wird mir dann das Geborgte zurückgeben? Du stampfst mit deinem
Huf das Feld, der Wolf eilt fort, wohin es ihm gefällt, und groß sind eure Ränke."

Es lehrte die Fabel, den Leuten nur vorsichtig Glauben zu schenken.

Fab.41
Der unbarmherzige Esel

Der Esel und der Ochse waren einmal zum Ziehen in dasselbe Joch gespannt.
Da versuchte der Ochse, weil sein Horn krank war, ein bißchen langsamer zu gehen.
Der Esel jedoch weigerte sich, irgendeine Erleichterung einzuräumen. Infolgedessen
brach das Horn, und der Ochse verendete sogleich davon. Den Kadaver lud der Treiber
dem Esel auf. Durch viele Schläge geschwächt, kam dieser zu Sturz, und erdrückt durch
die Last, hauchte er mitten auf der Straße sein Leben aus. Die Vögel kamen herzu, flogen
auf ihre Beute und sagten: "Hättest du dem Ochsen, als er dich darum bat, Milde gezeigt,
so würdest du uns nicht dank deinem frühen Tode zum Fraße dienen."

Fab.42
Der Kahlkopf und die Fliege

Wenn einer sich selbst etwas antut, weil ein anderer ihn reizt, über den soll man nicht
lachen, wie die folgende Fabel berichtet.

Einem Kahlkopf wurde eine Fliege lästig, die in einem fort in sein von Haaren entblößtes
Haupt stach. Der Mann sparte nicht mit Schlägen, denn er wollte die Feindin erledigen.
Die aber lachte darüber und setzte ihr Tun fort. Da wandte sich der Kahlkopf an sie:
"Du verlangst nach deinem Tod, Ruchlose. Denn mit mir komme ich leicht wieder ins
reine, du aber wirst unter meinem Schlag sterben.

Von aufgebrachten Leuten handelt die Geschichte, die sich Feinde machen.

Fab.43
Der Fuchs und der Storch


Was du nicht willst, daß man dir tu, das füg auch keinem andern zu. In ähnlichem Sinne
gestaltete unser Erzählung seine Fabel.

Der Fuchs hatte einmal den Storch zum Essen eingeladen und setzte ihm in einer
Schüssel dünne Brühe vor, von welcher der Storch nicht satt werden konnte. So kehrte
er hungrig nach Hause zurück.
Nach ein paar Tagen lud er den Fuchs zu Gast. Dabei, erzählt man, habe der Storch sich
folgendermaßen verhalten. In einer Glasflasche trug er appetitliche Speisen auf. Zuerst
nahm sich der Storch selber davon, dann forderte er den Fuchs auf. Alsbald merkte der
Fuchs den Tort, und der Storch sagte zu ihm: "Hast du Gutes getan, so nimm es an.
Willst du nicht zulangen, so liegt es nicht an mir. Wenn du willst, so verzeih."

Diese Fabel bezieht sich auf jene Leute, die so, wie sie andere mit Worten foppen, selber
am Ende von Unbill heimgesucht werden. Es mahnt die Geschichte, mit niemandem sein
Spiel zu treiben.

Fab.44
Der Wolf und der Mime

Über unkluge Leute erzählte Äsop diese Fabel.

Einen Tragödienschauspieler fand der Wolf auf dem Felde, den drehte er mehrmals um.
"Was für ein Anblick", rief er, "doch Hirn hat er nicht!"

Dies bezieht sich auf jene, die Ruhm und Ehre genießen, aber doch keine Empfindung
besitzen.

Fab.45
Die Krähe und die Pfauen



Darüber, daß sich einer nicht mit fremdem Gut groß machen, sondern sich lieber mit
dem bescheidenen Eigenen schmücken soll, damit es ihm nicht zum Schimpf wird,
wenn man ihn beraubt, darüber vernimm die Fabel unseres Autors.

Geschwollen von Hochmut und eitlem Wahn, hob eine Krähe Pfauenfedern auf, die auf
dem Wege lagen, und schmückte sich damit.
Den anderen Krähen begegnete sie von da an mit Verachtung und mischte sich vielmehr
unter die Herde der Pfauen. Doch diese rissen ihr, der unverschämten Unbekannten,
aufgebracht die Federn aus und schwächten sie mit Tritten und mit Bissen. Halbtot von
ihnen zurückgelassen und erheblich verwundet, fürchtete sich die unglückliche Krähe,
zu ihrer eigenen Sippe zurückzukehren, wo sie, als sie im Glanz stand, viele
ungerechtfertigt terrorisierte.
Da begann einer von ihren Leuten: "Denk daran, wenn du nicht erröten mußt, hättest du
deine Kleider liebgehabt und dich mit dem beschieden, was dir die Natur gewährte,
du würdest von anderen kein Leid erduldet haben und wärest von uns nicht ausgestoßen
worden. Es wäre dein Gutes gewesen, hättest du nach dem gelebt, was du besaßest."

Fab.46
Die Fliege und die Ameise


Wer sich selber lobt, geht oftmals vor die Hunde, wie durch die folgende Fabel gelehrt wird.

Die Ameise und die Fliege stritten heftig miteinander, wer von ihnen beiden die Bessere
wäre. Die Fliege begann: "Wirst du es mir vielleicht an Berühmtheit gleichtun können?
Wo geopfert wird, genieße ich als erste die Opferstücke, sogar auf des Königs Haupte
kann ich sitzen, und allen Damen gebe ich süße Küsse; du aber kannst nichts von alledem."
Darauf erwiderte die Ameise: "Das sagst du, du elendes Miststück? Und du preist noch
deine Zudringlichkeit? Kommst du etwa je erwünscht? Könige aber nennst du und
unbescholtene Frauen? Lästig bist du, wo du erscheinst und sagst, dir gehöre alles,
und wo du Zugang findest, verscheucht man dich. Überall wirst du als eklig vertrieben,
als widerlich verjagt. Im Sommer tust du dich groß; aber wie der Winter kommt, mußt du
verrecken. Ich dagegen bin verwöhnt. Im Winter bin ich geschützt, unversehrt findet mich
die gute Jahreszeit. Die Freuden kommen auf mich zu, dich Schmutztier dagegen vertreibt
man mit dem Wedel."

Diese Fabel geht auf die Streitsüchtigen. Du sagst ein Wort, ich sage ein Wort; du lobst,
ich lobe; du tadelst, ich tadle.


Fab.47
Die Fliege und das Maultier

Manche Leute, die nichts sind, haben Zorn auf die, welche besser sind, und stoßen
gewaltige Drohungen aus, da sie doch nichts durchzusetzen vermögen. Das zeigt uns
der nachstehenden Fabel.

Es sprach die Fliege, die auf der Deichsel saß, zu dem Maultier, das daran angebunden
war: "Wie langsam läufst du? Lauf zu, sonst steche ich dich in den Hals!" Darauf, so
erzählt man, erwiderte das Maultier: "Deine Worte fürchte ich nicht, wohl aber die des
Mannes, der auf dem Kutschbock sitzt, der mit den Zügeln das Gebiß lenkt und mit den
Riemen den Weg weist und dabei die Peitsche nicht scheut. Den haben wir in erster
Linie zu fürchten. Du aber bist anmaßend und prahlerisch, weil du den Stärkeren
gegenüber nichts anderes vermagst."

Fab.48
Der Wolf und der Fuchs vor Gericht

Wer einmal durch Betrug bekannt geworden ist, lebt immer in Schande, und selbst wenn
er die Wahrheit sagt, glaubt man ihm nicht. Dies bezeugt die nachfolgende kurze Fabel
Äsops.

Voll Zornwut beschuldigte der Wolf den Fuchs, einen Diebstahl begangen zu haben.
Jener leugnete seine Schuld. Da trat der auf Recht und Wahrheit bedachte Affe in das
Richteramt, um unter den Anwesenden den Schuldigen herauszufinden. Jetzt brachten
beide Rechtsgründe gegeneinander vor, legten ihre Gaunereien bloß und warfen sich
gegenseitig ihre Schandtaten vor. Da fällte der wahre, gerechte Richter sein Urteil
über beide Parteien und leitete aus der Klageschrift seinen Spruch ab.
"Du Wolf", sagte er, "verlangst, was du nicht verloren hast, und ich glaube, daß du,
Fuchs, trotzdem etwas beiseite gebracht hast, was du dem Gericht gegenüber energisch
verleugnest. So sollt ihr beide straflos bleiben und unter gleichen Bedingungen
einmütig davongehen."

Alle sollen wissen, daß, wer sich an Betrügerei gewöhnt hat, immer sehr schlecht leben wird.

Fab.49
Das gefangene Wiesel

Wo wohlgesonnene Sklaven dienen, vergelten ihnen die Herren ihr Verdienst; doch
ungerechtfertigte Täuschungen machen jede Leistung zunichte, wie uns die folgende
Fabel beweist.

Als das Wiesel nach Mäusen jagte, fing es der Mensch. Weil das Tier nicht entrinnen
konnte, sprach es zu jenem: "Ich bitte dich, verschone mich; denn ich habe allzeit
dein Haus von den lästigen Mäusen befreit." Doch der Angesprochene erwiderte:
"Nicht um meinetwillen tust du das; denn ich würde dich in Ehren halten, wenn du es
für mich getan hättest, und dir gern verzeihen. Indessen tötest du die Mäuse darum,
daß du unsere Reste verzehren kannst, die jene angeknabbert hatten. Du machst
gänzlich reinen Tisch und trägst alles mit dir fort. Ich möchte nicht, daß du dir eine
Guttat zuschreibst." Also sprach er und brachte das unselige Tier zu Tode.

Fab.50
Der aufgeblasene Frosch

Wenn ein Armer es einem Mächtigen gleichtun will, dann platzt er. Darüber hat Äsop
die folgende Fabel erzählt.

Auf einer Wiese sah einmal ein Frosch einen Ochsen weiden und meinte, daß er genauso
wie dieser werden könne, wenn er seine faltige Haut aufblase. Also pustete er sich nach
Kräften auf und fragte seine Jungen: "Bin ich so groß wie der Ochse?" Die erwiderten:
"Nein." Nun pustete er sich von neuem und noch mehr auf und sagte zu den Seinen:
"Wie ist es jetzt?" Doch die antworteten: "Nicht zu vergleichen." Als er sich aber zum
dritten Mal aufpustete, platzte die Haut, und er fand den Tod.

So soll durch dieses Exempel gewarnt sein, wer über seine Kräfte hinaus zu agieren
versucht. Und im Sprichwort heißt es: "Blase dich nicht auf, damit du nicht platzt!"