Tagelied oder Wächterlied
Diese Gattung des europäischen mittelalterlichen Minnesangs schildert zumeist in Wechselrede das Scheiden der heimlich Liebenden am Morgen, der in der typischen Form des Liedes durch den warnenden Wächter vom Turm verkündet wird.
Durch seine unverhohlene Darstellung der erfüllten Liebe nimmt das Tagelied eine Sonderstellung innnerhalb des klassischen Minnesangs ein.
©Reclam 2003 Tagelieder des deutschen Mittelalters/Ausgewählt, übersetzt und kommentiert von ©Martina Backes
Tagelied oder Wächterlied 1
Otto von Botenlauben
Dietmar von Aist
Oswald von Wolkenstein
Ulrich von LichtensteinWolfram von Eschenbach
Heinrich von Morungen
Johannes Hadlaub
Markgraf von Hohenburg
Otto von Botenlauben
Singet, vogel, singet
Singt, Vögel, singt
1.
»Singet, vogel, singet mîner frouwen, der ich sanc:
ich sanc umbe alle ir êre und umbe ir werden friundes lîp.
den beiden diente ich gerne: ir sô diene ich âne wanc.
daz triuwe ich wol erwenden, sît ich daz wunderschœne wîp
eins ritters und ir êren hât bewegen.
ich pflac ir her, nu mueze ir got der rîche pflegen
und helfe im wol von hinnen: er hât ze lange hie gelegen.
2.
Ich ziuge ez uf der kleinen vogellîne morgensanc
daz ich dir hân geleistet, ritter, swaz ich leisten sol
dîm lîbe und mîner frouwen, des mich her mîn triuwe ie twanc,
dazt hiute und iemer mêre bewaht bist und behüetet wol,
wan daz ir zorn gen tage mir zwîvel gît.
nu wecke in, frouwe, ich singe im rehte scheidens zît.
nu hüet dîn selbes, ritter: grôz angest bî der liebe lît.«
3.
Ꞌlch bin unsanfte erwecket, frouwe, ob ich entflâfen was,
von manger vogel sange, die sich da fröiwent gen dem tage.
ich hôrte lûte singen den wahter ûf dem palas,
als er uns hât bescheiden: mit sange hôrte ich sîne klage.
wie hâstu, saelic wîp, mich daz verdaget,
daz dû niht spraeche:>ritter, wache, ich waene, ez taget!<
nu muoz ich von dir scheiden: grôz angest mich von liebe jaget.Ꞌ
~0~~0~~0~
1.
»Singt, Vögel, singt für meine Herrin, für die ich gesungen habe.
Ich sang, um ihr Ansehen und das Leben ihres edlen Geliebten zu bewahren.
Beiden habe ich bereitwillig und mit großer Zuverlässigkeit gedient.
Das glaube ich nun aufgeben zu können, da die wunderschöne Frau
auf einen Ritter und ihr Ansehen keine Rücksicht nimmt.
Bisher habe ich sie beschützt, nun möge Gott der Allmächtige sie beschützen
und ihm helfen, unbehelligt von hier fortzukommen. Er hat zu lange hier geschlafen.
2.
Der Morgengesang der kleinen Vögel ist mein Zeuge, daß ich für dich, Ritter,
getan habe, was ich dir und meiner Herrin schuldig bin und wozu mich meine
Treueverpflichtung bisher stets angehalten hat, damit du heute und in Zukunft
immer gut bewacht und beschützt bist. Nur ihr Zorn bei Tagesanbruch
macht mich unsicher. Nun weck ihn, Herrin, ich kündige ihm mit meinem Lied
den richtigen Zeitpunkt für den Abschied an.
Nun gib selbst auf dich acht, Ritter. Große Gefahr ist mit der Liebe verbunden.«
3.
ꞋWar ich eingeschlafen, so bin ich, Herrin, durch den
Gesang vieler Vögel, die sich auf den Tag freuen, unsanft geweckt worden.
Ich hörte den Wächter auf der Burg, laut singen, wie er uns gewarnt hat.
Ich hörte seinen klagenden Gesang. Warum hast du mir, liebste Frau,
dies verschwiegen und nicht gesagt:
>Ritter, wach auf, ich glaube, es wird Tag.<
Nun muß ich dich verlassen. Große Gefahr treibt mich von der Liebe fort.Ꞌ
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Wie sol ich den ritter
Wie soll ich den Ritter
1.
»Wie sol ich den ritter nû gescheiden
und daz schœne wîp,
die dicke bî ein ander lâgen ê?
dâ rât ich in rehten triuwen beiden
und ûf mîn selbes lîp
daz sie sich scheiden und er dannen gê.
mâze ist zallen dingen guot.
lîp und êre ist unbehuot,
ob man iht langer lît.
ichn singe eht anders niht wan: es ist zît.
stant ûf, ritter!«
2.
>Hœrstu, friunt, den wahter an der zinnen
wes sîn sanc verjach?
wir müezen unsich scheiden, lieber man.
alsô schiet dîn lîp ze jungest hinnen,
dô der tac ûf brach
und uns diu naht sô vlühteclîche entran.
naht gît senfte, wê tuot tac.
owê, herzeliep, in mac
dîn nû verbergen nieht:
uns nimt der fröiden vil daz grâwe lieht.
stant ûf, ritter!<
3.
»Dîn kuslîch munt, dîn lîp klâr unde süeze,
dîn drucken an die brust,
dîn umbevâhen lât mich hie betagen.
daz ich noch bî dir betagen müeze
ân aller fröiden vlust!
sô daz geschiht, son dürfen wir niht klagen.
dîn minne ist gar ein zange mir,
si klemmet mich, ich muoz ze dir,
gult ez mir al den lîp.«
>dichn lât der tac, daz klage ich, sende wîp.
stant ûf, ritter!<
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1.
»Wie soll ich den Ritter und die schöne Frau,
die schon häufig die Nacht miteinander
verbracht haben, nun voneinander trennen?
Weil ich ihnen treu ergeben bin und aus
Sorge um mein eigenes Leben rate ich beiden,
sich zu trennen und daß er fortgehen soll.
Es ist gut, in allen Dingen Maß zu halten.
Leben und Ansehen sind gefährdet,
wenn sie noch länger liegenbleiben.
Ich singe doch nichts anderes als: es ist Zeit.
Steh auf, Ritter!«
2.
>Hörst du, Liebster, den Wächter auf der Zinne
und was sein Lied verkündet hat?
Wir müssen Abschied voneinander nehmen, lieber Freund.
Genauso mußtest du vor kurzem fortgehen,
als der Tag anbrach
und die Nacht uns so schnell zerronnen war.
Die Nacht schenkt Angenehmes, der Tag bringt Leid.
Ach, Herzallerliebster, ich kann dich
nun nicht länger verbergen.
Das Morgengrauen nimmt uns unser ganzes Glück.
Steh auf, Ritter!<
3.
»Dein Mund, der zum Küssen einlädt, dein schöner,
anziehender Körper, deine Art, dich an mich zu
schmiegen, und deine Umarmungen verführen mich
dazu, den Tag über hierzubleiben. Könnte ich doch
einmal den Tag bei dir verbringen, ohne alles Glück
zu verlieren. Wenn das geschieht, brauchen wir nicht
zu klagen. Deine Liebe kommt mir wie eine Zange vor.
Sie hält mich fest, ich muß zu dir, koste es
mich sogar mein Leben.«
>Der Tag läßt dich nicht bleiben, das beklage ich voller Sehnsucht.
Steh auf, Ritter!<
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Dietmar von Aist
Slâfest du, vriedel ziere?
Schläfst du noch, schöner Geliebter?
1.
ꞋSlâfest du, vriedel ziere?
wan wecket uns leider schiere;
ein vogellîn sô wol getân
daz ist der linden an daz zwî gegân.Ꞌ
2.
»Ich was vil sanfte entslâfen,
nu rüefestû, kint, >wâfen<
liep âne leit mac niht sîn.
swaz dû gebiutest,daz leiste ich, vriundîn mîn.«
3.
Diu vrouwe begunde weinen:
Ꞌdu rîtest hinnen und lâst mich eine.
wenne wilt du wider her zuo mir?
ôwê, du vüerest mîne vröide sant dir!Ꞌ
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1.
ꞋSchläfst du noch, schöner Geliebter?
Man weckt uns, leider zu bald.
Ein schönes Vöglein
ist auf den Zweig der Linde geflogen.Ꞌ
2.
»Ich war so sanft eingeschlafen.
Nun rufst du, Mädchen, >gib acht!<
Liebe ohne Leid kann es nicht geben.
Was du verlangst, das tue ich, meine Freundin.Ꞌ
3.
Die Dame begann zu weinen:
»Du reitest weg und läßt mich einsam zurück.
Wann wirst du wieder zu mir kommen?
Ach, du nimmst meine Freude mit dir fort!«
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Oswald von Wolkenstein
Anders als in der älteren Tradition weckt hier der Mann die Frau.
Wach auf, mein hort!
Wach auf mein Schatz!
1.
»Wach auf, mein hort! es leucht dort her
von orient der liechte tag.
blick durch die braw, vernim den glanz,
wie gar vein blau des himels kranz
sich mengt durch grau von rechter schanz.
ich fürcht ain kurzlich tagen.«
2.
ꞋIch klag das mort, des ich nicht ger,
man hört die voglin in dem hag
mit hellem hal erklingen schon.
o nachtigal, dein spëher don
mir pringet qual, des ich nicht lon.
unweiplich müss ich klagen.Ꞌ
3.
»Mit urloub fort! deins herzen sper
mich wunt, seit ich nicht bleiben mag.
schidliche not mir trauren pringt.
dein mündlin rot mich senlich zwingt,
der bitter tod mich minder dringt.
mich schaiden macht verzagen.«
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1.
»Wach auf mein Schatz! Dort vom Osten her leuchtet
schon der helle Tag herüber.
Blinzle durch die Wimpern, sieh den Glanz,
wie das helle Blau des Himmels
unaufhaltsam das Grau durchdringt.
Ich fürchte, der Tag bricht gleich an.«
2.
ꞋAch, ich beklage das, was ich nicht herbeisehne.
Schon hört man die kleinen Vögel mit heller Stille
im Gebüsch singen.
O Nachtigall, dein wunderschönes Lied
macht mich unglücklich, dafür danke ich dir nicht.
Ich muß mehr klagen, als eine Frau ertragen kann.Ꞌ
3.
»Laß mich gehen! Wie ein Speer
verwundet mich dein Herz, da ich nicht bleiben kann.
Der Schmerz über die Trennung stimmt mich traurig.
Dein rotes Mündchen bedrängt mich voller Sehnsucht,
der bittere Tod würde mich weniger bedrücken.
Fortgehen zu müssen macht mich ganz mutlos.«
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Das folgende Lied ist eine genaue Umkehrung des Tagesliedmotives.
Ain tunkle farb in occident
Die dunkle Farbe im Westen
1.
Ain tunkle farb in occident
mich senleichen erschrecket,
seid ich ir darb und lig ellend
des nachtes ungedecket.
Die mich zu fleiss mit ermlein weiss und hendlein gleiss
kan frönleich zu ir smucken.
die ist so lang, das ich von pang in dem gesang
mein clag nicht mag verdrucken.
Von strecken krecken mir all bain,
wenn ich die lieb beseuffte,
dir mir mein gier neur weckt allain
darzü meins vatters teuchte.
2.
Durch wincken wanck ich mich verker
des nachtes ungeslauffen.
Gierleich gedanck mir nahent ferr
mit unhilflichem waffen.
Wenn ich mein hort an seinem ort nicht vind all dort,
wie offt ich nach im greiffe,
so ist neur, ach, mit ungemach feur in dem tach,
als ob mich brenn der reiffe.
Und winden, binden sunder sail
tüt si mich dann gen tage.
Ir mund all stund weckt mir die gail
mit seniklicher klage.
3.
Also vertreib ich, liebe Gret,
die nacht bis an den morgen.
Dein zarter leib mein herz durchgeet,
das sing ich unverborgen.
Kom, höchster schatz! mich schreckt ain ratz mit grossem tratz,
davon ich dick erwache,
die mir kain rü lat spät noch frü, lieb, darzü tü,
damit das bettlin krache!
Die freud geud ich auf hohem stül.
wenn das mein herz bedencket,
das mich hoflich mein schöner bül
gen tag freuntlichen schrencket.
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1.
Die dunkle Farbe im Westen
erschreckt mich und
erfüllt mich mit Sehnsucht,
weil ich sie vermisse und nachts einsam und unbedeckt liege.
Sie, die mich eifrig mit ihren kleinen weißen Armen
und hellen Händen zärtlich an sich drücken kann,
die ist so fern, daß ich vor Angst mein
Klagen in meinem Lied nicht unterdrücken kann.
Vom Herumwälzen knacken mir alle Glieder,
wenn ich um meine Liebste klage,
die allein mein ganzes Verlangen weckt,
dazu die alte männliche Lust.
2.
In der Nacht wälze ich mich
schlaflos hin und her.
Von fern stürmen begehrliche Phantasien
mit unwiderstehlicher Macht auf mich ein.
Wenn ich meinen Schatz dann nicht am gewohnten Platz finde,
so oft ich auch nach ihr taste,
ach, so brennt es in mir vor Not wie Feuer,
als würde mich Rauhreif verbrennen.
Und gegen Morgen dreht und
fesselt sie mich ohne Seil.
Ihr Mund weckt unablässig meine Begierde
und meinen Sehnsuchtsschmerz.
3.
Auf diese Weise, liebe Grete, verbringe ich
die Nacht bis zum Morgen.
Meine Gedanken kreisen nur noch um deinen schönen Körper,
das singe ich ganz offen.
Komm, liebster Schatz! Mich schreckt eine Ratte hartnäckig auf.
Davon werde ich oft wach,
da sie mir weder früh noch spät Ruhe läßt.
Liebste, tu doch etwas, damit unser Bettlein kracht.
Wie auf einem Freudenthron möchte ich jubeln,
wenn ich mir ausmale,
wie mich mein schöne Geliebte morgens
zärtlich und liebevoll umarmt.
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Ulrich von Lichtenstein
Got willekomen herre
Herzlich willkommen, Herr
1.
»Got willekomen herre,
mîn friunt, geselle, lieber man.
mîn trûren daz ist verre,
sît ich dich umbevangen hân.
dû bist mir vor allen dingen süeze;
dâ ich dich herzenlîchen grüeze.
nu küsse tûsendstunden mich:
so küsse ich zwir als ofte dich.«
2.
ꞋDîn wîplich friundes grüezen,
dîn küssen und dîn umbevanc,
kann sich sô lieplîch süezen,
daz mir diu wîle nimmer lanc
bî dir wirt, vil herzenliebiu frouwe.
al mîn fröide ich an dir einer schouwe.
dîn lieber man, mîn liebez wîp,
daz sî wir beidiu, unde ein lîp.Ꞌ
3.
Nâch disem friundes gruoze
mit triuten wart geküsset vil.
diu selbe süeze unmuoze
in beiden riet ein minnespil.
in dem spil ir beider herze jâhen,
dô sî in den ougen rehte ersâhen
ir lieplîch minnevarwen schîn,
daz er waer ir und sî waer sîn.
4.
Nâch disem spil si lâgen
geslozzen wol nâch friundes site.
ir beider münde pflâgen
dâ sich diu liebe erzeiget mite.
ir vil lûter liebe slôz diu minne
mit der triuwe vaste zeinen sinne
in innerhalp ir herzen tür.
dâ rigelt sich diu staete für.
5.
In minnen paradîse
ir beider lîp mit fröiden lac.
dar sleich ein maget lîse:
diu sprach >nu wol ûf, ez ist tac<.
von dem worte ir ougen über wielen,
daz die treher in ûf diu wängel vielen.
dâ wart geküsset tûsent stunt
ir ougen kinne wengel munt.
6.
Sus wolt der tac si scheiden:
daz tet in herzenlîchen wê.
dô riet diu minne in beiden
ein süezez spil verenden ê.
ein ander sîz niht baz erbieten mohten:
mit armen und mit beinen lac geflohten
ir beider lîp. dô sprach diu maget
>iu beiden ez ze leide taget.<
7.
Mit linden wîzen armen
beslozzen lac des ritters lîp.
si sprach Ꞌlâ dich erbarnen,
guot friunt, mich fröiden armez wîp:
füere mich in dînen herzen hinnen.Ꞌ
»frouwe, ich minne dich mit friundes sinnen.
du bist vogt in dem herzen mîn:
sam bin ich in dem herzen dîn.
got müeze dîner êren pflegen:
dîn wîplîch güete sî mîn segen.«
~0~~0~~0~
1.
»Herzlich willkommen, Herr,
mein Freund, Geliebter, lieber Mann.
Meine Traurigkeit ist verflogen,
seit ich dich in meinen Armen halte.
Ich habe dich lieber als alles andere.
Deshalb begrüße ich dich herzlich.
Nun küsse mich tausendmal,
dann küsse ich dich zweimal so oft.»
2.
ꞋDeine Art, den Geliebten zu empfangen,
deine Küsse und deine Umarmung
sind so zärtlich und liebevoll,
daß mir die Zeit bei dir niemals
lang wird, herzallerliebste Herrin.
Du bist mein ganzes Glück.
Ich bin dein Geliebter, du bist meine
Geliebte, und wir sind doch beide eins.«
3.
Nach der Begrüßung des Geliebten
umarmten und küßten sie sich immer wieder.
Beide drängte dieselbe süße
Unruhe zum Liebesspiel.
Als sie bei diesem Spiel in den
Augen des anderen ihr liebliches
Spiegelbild erkannten, beteuerten sie
einander, daß er ihr gehöre und sie ihm.
4.
Nach diesem Spiel lagen sie
nach Art der Liebenden
eng umschlungen beieinander.
Voller Liebe küßten sie einander immer wieder.
Frau Minne schloß ihre reine Liebe
untrennbar mit der Treue verbunden
hinter der Tür ihrer Herzen ein.
Davor schob sich als Riegel die Beständigkeit.
5.
Sie lagen beide glücklich im Paradies
der Liebe. Eine Dienerin schlich leise
herbei und sagte: >Steht auf, es ist Tag.<
Wegen dieser Worte begannen sie
zu weinen, so daß die Tränen ihnen
auf die Wangen hinunterrannen.
Dann küßten sie einander tausendmal
Augen, Kinn, Wangen und Mund.
6.
Auf diese Weise wollte der Tag sie trennen.
Dies bereitete tiefen Schmerz. Da riet Frau Minne
ihnen, vorher noch ein zärtliches Spiel zu Ende
zu bringen. Sie konnten es nicht besser
miteinander spielen. Ihre Körper lagen mit
Armen und Beinen ineinander verflochten da.
Da sagte die Dienerin: >Zu euer beider Unglück
bricht der Tag an.<
7.
Der Ritter lag dort von weichen,
weißen Armen umfangen.
Sie sagte: ꞋHab Erbarmen,
lieber Freund, mit mir unglücklicher Frau.
Nimm mich in deinem Herzen mit fort von hier.Ꞌ
»Herrin, ich liebe dich zärtlich.
Du gebietest in meinem Herzen, wie ich in
deinem Herzen gebiete.
Gott möge dein Ansehen schützen:
deine Vollkommenheit sei mein Segen.«
~0~~0~~0~
Ein schoeniu maget
Eine hübsche Dienerin
1.
Ein schoeniu maget
sprach >vil liebiu frouwe mîn,
wol ûf! ez taget.
schouwet gein dem vensterlîn,
wie der tac ûf gât. der wahter von der zinnen
ist gegangen. iuwer friunt sol hinnen:
ich führte er sî ze lange hie.<
2.
Diu frouwe guot
siufte und kuste ir lieben man.
der hôchgemuot
sprach: »guot frouwe wol getân,
der tac ist hôch ûf: ich kann niht komen hinnen.
maht du mich verbergen iender innen?
daz ist mîn rât und ouch mîn ger.«
3.
ꞋUnd möhte ich dich
bergen in den ougen mîn,
friunt, daz taet ich.
des kann leider niht gesîn.
wil du hie in dirre kemenât belîben,
disen tac mit fröiden wol vertrîben,
dar innen ich dich wol verhil.Ꞌ
4.
»Nu birge mich,
swie du wil, vil schoene wîp;
doch sô daz ich
sunder wer iht vliese den lîp.
wirt mîn iemen inne, sô soltû mich warnen.
kumich ze wer, ez muoz sîn lîp eraren,
der mich mit strîte niht verbirt.«
5.
Sus wart verspart
der vil manlîch hôchgemuot
und wol bewart
von der reinen süezen guot.
wie pflac sîn den tac diu süeze minneclîche?
sô daz er wart hôhes muotes rîche.
sô kurzen tac gewan er nie.
6.
Diu naht quam dô
sâ huop sich der minne spil:
sus unde sô
wart von in getriutet vil
ich waen ie wîp würde baz mit liebem manne
danne ir was, ouwê dô muoste er danne.
dâ von huop grôzer jâmer sich.
7.
Urloup genomen
wart mit küssen an der stunt.
schier wider komen
baten ir süezer rôter munt.
er sprach »ich tuon. dû bist mîner fröiden wunne,
mînes herzen spilndiu meien sunne,
mîn fröiden geb, mîn saelden wer.«
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1.
Eine hübsche Dienerin sagte:
>Meine liebste Herrin, steht auf, es wird Tag.
Schaut zum kleinen Fenster
hinüber und seht, wie der Tag anbricht.
Der Wächter hat die Zinne bereits verlassen.
Euer Geliebter muß fort von hier:
Ich fürchte, er ist schon zu lange hier.<
2.
Die schöne Dame seufzte
und küßte ihren Geliebten. Der edle Mann
sagte: »Liebe, schöne Herrin,
es ist schon heller Tag.
Ich kann nicht mehr von hier fort.
Kannst du mich hier drinnen irgendwo verstecken?
Das ist mein Vorschlag und zugleich mein Wunsch.«
3.
ꞋWenn ich dich
in meinen Augen verbergen könnte,
Liebster, würde ich sogar das tun.
Doch geht das leider nicht. Wenn du hier
in diesem Zimmer bleiben und diesen Tag
vergnügt verbringen willst, so kann ich dich
leicht darin verstecken.Ꞌ
4.
»Verstecke mich, wie immer du willst,
wunderschöne Frau, doch so, daß ich nicht mein
Leben verliere, ohne mich wehren zu können.
Wenn mich jemand entdeckt, so mußt du mich
warnen. Wenn ich mich verteidigen muß, wird
es denjenigen, der mich zum Kampf
herausfordert, das Leben kosten.«
5.
So wurde der tapfere,
edle Mann eingeschlossen und von
der liebreizenden schönen Frau
sorgsam versteckt. Wie kümmerte sich die
zärtliche Schöne den Tag lang um ihn?
So daß er überschwengliche Freude empfand.
Noch nie war ihm ein Tag so schnell vergangen.
6.
Dann kam die Nacht.
Sogleich begann das Liebesspiel.
Sie liebten sich auf diese und jene Weise.
Ich glaube, keiner Frau erging es
je besser mit ihrem Geliebten als ihr.
Ach, dann mußte er jedoch fort.
Deshalb begann ein schmerzliches Klagen.
7.
Mit Küssen nahmen sie daraufhin Abschied.
Ihr süßer roter Mund bat ihn,
bald wiederzukommen. Er sagte:
»Das werde ich tun. Du bist mein höchstes Glück,
die leuchtende Maisonne meines Herzens,
der Ursprung meiner Freuden,
der Bürge meiner Glückseligkeit.«
~0~~0~~0~
Wolfram von Eschenbach
Den morgenblic bî wahtaeres sange erkôs
Beim Gesang des Wächters
1.
Den morgenblic bî wahtaeres sange erkôs
ein vrouwe, dâ si tougen
an ir werden vriundes arm lac.
dâ von si der vreuden vil verlôs.
des muosen liehtiu ougen
aver nazzen. sî sprach: Ꞌôwê tac!
Wilde und zam daz vrewet sich dîn
und siht dich gern, wan ich eine. wie sol iz mir
ergên! nu enmac niht langer hie bî mir bestên
mîn vriunt. den jaget von mir dîn schîn.Ꞌ
2.
Der tac mit kraft al durch diu venster dranc.
vil slôze sî besluzzen
daz half niht; des wart in sorge kunt.
diu vriundîn den vriunt vast an sich dwanc.
ir ougen diu beguzzen
ir beider wangel. sus sprach zim ir munt:
ꞋZwei herze und ein lîp hân wir.
gar ungescheiden unser triuwe mit ein ander
vert. der grôzen liebe der bin ich vil gar verhert,
wan sô du kumest und ich zuo dir.Ꞌ
3.
Der trûric man nam urloup balde alsus:
ir liehten vel, diu slehten,
kômen nâher, swie der tac erschein.
weindiu ougen - süezer vrouwen kus!
sus kunden sî dô vlehten
ir munde, ir bruste, ir arme, ir blankiu bein.
Swelch schiltaer entwurfe daz,
geselleclîche als si lâgen, des waere ouch dem
genuoc.ir beider liebe doch vil sorgen
truoc, si pflâgen minne ân allen haz.
~0~~0~~0~
1.
Beim Gesang des Wächters,
nahm eine Dame wahr, als sie heimlich
in den Armen ihres edlen Freundes lag.
Dadurch verlor sie ihr ganzes Glück.
Deshalb mußten sich ihre strahlenden Augen
wieder mit Tränen füllen. Sie sagte: ꞋAch, Tag!
Alles was lebt, sei es wild oder zahm, freut sich über dich
und sehnt sich danach, dich zu sehen, nur ich nicht.
Was soll mit mir werden? Nun kann er nicht länger hier bei mir bleiben,
mein Geliebter. Den treibt dein Licht von mir weg.Ꞌ
2.
Der Tag drang mit Kraft durch die Fenster.
Sie hatten viele Riegel vorgeschoben.
Es nützte ihnen nichts. Das machte ihnen Angst.
Die Geliebte drückte den Geliebten fest an sich.
Ihre Tränen machten beider Wangen naß.
Sie sagte zu ihm:
ꞋZwei Herzen, und nur einen Körper haben wir.
Untrennbar bleiben wir in Treue einander verbunden.
Mein ganzes Liebesglück ist zerstört,
es sei denn, du kommst zu mir zurück und ich zu dir.Ꞌ
3.
Der Mann nahm voller Trauer entschlossen Abschied,
Ihre hellen, glatten Körper
kamen sich noch einmal ganz nahe, obwohl der Tag anbrach.
Weinende Augen — zärtlicher Kuß der Geliebten.
So verflochten sie ineinander
Mund, Brust, Arme und ihre leuchtend weißen Beine.
Jeder Maler, der darstellen wollte,
wie sie zärtlich beieinanderlagen, wäre damit überfordert.
Obwohl ihre Liebe mit großer Gefahr verbunden war,
gaben sie sich ganz einander hin.
~0~~0~~0~
Der helden minne
Der heimlichen Liebe
1.
Der helden minne ir klage
du sunge ie gên dem tage,
Daz sûre nâch dem süezen.
swer minne und wîplich grüezen
alsô enpfienc,
daz sie sich muosen scheiden, -
swaz du dô riete in beiden,
dô ûf gienc
der morgensterne, wahtaere swîc,
dâ von niht <…..>sinc.
2.
Swer pfliget oder ie gepflac,
daz er bî lieben wîben lac
den merkaeren unverborgen,
der darf niht durch den morgen
dannen streben.
er mac des tages erbeiten.
man darf in niht ûz leiten
ûf sîn leben.
Ein offeniu süeziu wirtes wîp
kan sölhe minne geben.
~0~~0~~0~
1.
Der heimlichen Liebe,
sangst du immer bei Tagesanbruch, was sie klagen ließ
Bitteres folgte auf Süßes.
Wenn jemand Liebe und Zärtlichkeit der Geliebten
nur unter der Bedingung empfangen konnte,
daß sie sich wieder trennen mußten -
was immer du einem solchen Liebespaar geraten hast,
als der Morgenstern aufging,
schweig, Wächter
singe nicht länger davon.
2.
Wer es so hält oder je gehalten hat,
daß er bei einer geliebten Frau lag,
ohne sich vor den Aufpassern zu verstecken,
der braucht, sich nicht am frühen Morgen
davonstehlen.
Er kann den den Tag in Ruhe erwarten.
Man braucht ihn nicht fortzubringen,
um sein Leben zu retten.
Solche Liebe kann eine rechtmäßige zärtliche
Ehefrau schenken.
~0~~0~~0~
Sîne klâwen durch die wolken sint geslagen
Seine Klauen haben die Wolken durchschlagen
1.
ꞋSîne klâwen
durch die wolken sint geslagen,
er stîget ûf mit grôzer kraft.
ich sich in grâwen
tegelîch, als er wil tagen,
den tac der im geselleschaft
erwenden wil, dem werden man,
den ich mit mit sorgen în []verliez.
ich bringe in hinnen, ob ich kan.
sîn vil manigiu tugent mich daz leisten hiez.Ꞌ
2.
»Wahtaer, du singest,
daz mir manige freude nimt
und mêret mîne klage.
maer du bringest,
der mich leider niht gezimt,
immer morgens gegen dem tage.
Diu solt du mir verswîgen gar.
daz gebiut ich den triuwen dîn.
des lôn ich dir, als ich getar,
sô belîbet hie der geselle mîn.»
3.
ꞋEr muoz et hinnen
balde und ân sûmen sich.
nu gip im urloup, süezez wîp.
lâze in minnen
her nâch sô verholn dich,
daz er behalte êre unde den lîp.
Er gap sich mîner triuwe alsô,
daz ich in braehte ouch wider dan.
ez ist nu tac. naht was ez dô
mit drucken an [] brust dîn kus mir in an gewan.Ꞌ
4.
»Swaz dir gevalle,
wachtaer, sinc und lâ den hie,
der minne brâht und minne enpfienc.
von dînem schalle
ist er und ich erschrocken ie,
sô ninder morgenstern ûf gienc
ûf in, der her nâch minne ist komen,
noch ninder lûhte tages lieht.
du hâst in dicke mir benomen
von blanken armen und ûz herzen nieht.«
5.
Von den blicken,
die der tac tet durch diu glas,
und dô wahtaere warnen sanc,
si muose erschricken
durch den, der dâ bi ir was.
ir brüstlîn an brust si dwanc.
der rîter ellens niht vergaz;
des wold in wenden wahtaers dôn:
urloup nâh und nâher baz
mit kusse und anders gap in minne lôn.
~0~~0~~0~
1.
ꞋSeine Klauen
haben die Wolken durchschlagen,
er steigt auf mit großer Kraft.
Tag für Tag sehe ich ihn heraufdämmern,
wenn er anbrechen will,
den Tag, der dem edlen Mann,
den ich voller Sorge hereingelassen habe,
das Zusammensein mit der Geliebten nehmen wird.
Ich bringe ihn fort, wenn ich kann.
Seine große Vorbildlichkeit hat mich dazu verpflichtet.Ꞌ
2.
»Wächter, was du singst,
nimmt mir mein ganzes Glück
und vergrößert meinen Schmerz.
Jeden Morgen bringst du mir
bei Tagesanbruch eine Nachricht,
die mir nicht gefällt und mich unglücklich macht.
Die solltst du mir ganz und gar verschweigen
Das befehle ich dir, wenn du mir treu ergeben sein willst.
Ich belohne dich dafür, so gut ich kann.
Dann bleibt mein Geliebter hier.«
3.
ꞋEr muß fort,
sogleich und ohne zu zögern.
Nun laß ihn gehen, schöne Frau.
Laß ihn später
dich so heimlich lieben,
damit er Ansehen und Leben behält.
Er verließ sich auf meine Treue in der Erwartung,
daß ich ihn auch wieder fortbringen würde.
Es ist nun Tag. Nacht war es, als
unter Umarmungen dein Kuß mir ihn entführte.Ꞌ
4.
»Was immer du magst,
Wächter, das singe, und laß den hier,
der Liebe schenkte und Liebe empfing.
Von lautes Rufen
hat ihn und mich immer schon aufgeschreckt,
wenn der Morgenstern aufgegangen war
über ihm, der hierher zu mir gekommen war,
Noch irgendwo des Licht des Tages leuchtete.
Dann hast ihn mir oft aus meinen nackten Armen gerissen,
aber nicht aus dem Herzen.«
5.
Von den Strahlen,
die der Tag durch die Fenster warf,
und der Warngesang des Wächters
jagte ihr Angst ein
um den, der dort mit ihr zusammen war.
Sie preßte ihre kleinen Brüste an seine Brust.
Der Ritter spürte noch einmal heftige Leidenschaft.
Dies hatte der Gesang des Wächters verhindern wollen.
Der Abschied, nah und immer näher, brachte ihnen
mit Küssen auf andere Weise die Erfüllung ihrer Liebe.
~0~~0~~0~
Von der zinnen
Von der Zinne
1.
»Von der zinnen
wil ich gên, in tagewîse
sanc verbern.
die sich minnen
tougenlîche, und ob sie prîse
ir minne wern,
sô gedenken sêre
an sîne lêre,
dem lîp und êre
ergeben sîn.
der mich des baete,
deswâr ich taete
ime guote raete
und helfe schîn
ritter, wache, hüete dîn!
2.
Niht verkrenken
wil ich aller wahter triuwe
an werden man.
niht gedenken
solt du, frouwe, an scheidens riuwe
ûf kunfte wân.
Ez waere unwaege,
swer minne pflaege,
daz ûf im laege
meldes last.
ein sumer bringet
daz mîn munt singet:
durch wolken dringet
tagender glast.
hüete dîn, wache, süezer gast!«
3.
Er muos eht dannen,
der sie klagen ungerne hôrte.
dô sprach sîn munt:
"allen mannen
trûren nie sô gar zerstôrte
ir fröiden vunt".
swie balde ez tagete,
der unverzagete.
an ir bejagete,
daz sorge in vlôch.
unvrömedez rucken,
gar heinlîch smucken,
ir brüstel drucken
und mê dannoch
urloup gap, des prîs was hôch.
~0~~0~~0~
1.
»Von der Zinne
werde ich jetzt hinabsteigen, und mit einem Tagelied
meinen Singen beenden.
Auch wenn es die,
die sich heimlich lieben, ehrt,
daß sie einander ihre Liebe schenken,,
so mögen sie doch
dessen Rat ernst nehmen,
dem ihr Leben und ihr Ansehen
anvertraut sind.
Wenn mich jemand darum bitten würde,
gäbe ich ihm gewiß
guten Rat
und hilfreiche Unterstützung.
Ritter, wach auf, nimm dich in acht!
2.
Ich möchte die Zuverlässigkeit
aller Wächter
bei diesem edlen Mann
nicht in Verruf bringen.
Herrin du sollst nicht an den Schmerz der Trennung
denken, denn du kannst auf seine Rückkehr hoffnen
Es wäre nicht gut, wenn der,
der sich der Liebe hingibt,
sich auch noch um
die Ankündigung des Tages kümmert müßte.
Das frühe Sommerlicht führt dazu,
daß ich singe:
durch die Wolken dringt
der Schimmer des anbrechenden Tages.
Nimm dich in acht, wach auf, lieber Gast«
3.
Der, dem ihr Klagen sehr naheging,
mußte wirklich fort.
Da sagte er:
»Noch nie hat Trauer einen Mann
so erbarmungslos
sein Glück zerstört.«
Obwohl der Tag unaufhaltsam anbrach,
erreichte es der unerschrockene Mann
noch einmal bei ihr,
daß aller Schmerz ihn verließ.
Nahes Zusammenrücken,
zärtliches Sichaneinanderschmiegen,
streicheln ihrer Brüste
und mehr noch schenkte ihnen
der Abschied, der kostbar und herrlich war.
~0~~0~~0~
Ez ist nu tac
Es ist jetzt Tag
1.
»Ez ist nu tac. daz ich wol mac mit wârheit jehen.
ich wil niht langer sîn.«
Ꞌdiu finster naht hât uns nu brâht ze leide mir
den morgenschîn.
sol er von mir scheiden nuo,
mîn vruint, diu sorge ist mir ze vruo.
ich weiz wol, daz ist ouch ime,
den ich in mînen ougen gerne burge,
möht ich in alsô behalten.
mîn kumber wil sich breiten:
ôwê des, wie kumt ers hin?
der hôhste vride müeze in noch an mînen arn geleiten.Ꞌ
2.
Daz guote wîp ir vriundes lîp vaste umbevie:
der was entslâfen dô.
dô daz geschach, daz er ersach den grâwen tac,
dô muoste er sîn unvrô.
an sîne bruste dructe er sie
und sprach: »jôn erkande ich nie
kein trûric scheiden alsô snel,
uns ist diu naht von hinnen balde.
wer hât si sô kurz gemezzen?
der tac wil niht erwinden.
hât minne an saelden teil,
diu helfe mir, daz ich dich noch mit vröiden müeze vinden.«
3.
Si beide luste, daz er kuste sî genuoc.
gevluochet wart dem tage.
urloup er nam, daz dâ wol zam, nu merket wie:
dâ ergie ein schimpf bî klage.
Si hâten beide sich bewegen,
ez enwart sô nâhen nie gelegen,
des noch diu minne hât den prîs.
ob sunnen drî mit blicke waeren,
sine möhten zwischen si geliuhten.
er sprach: »nu wil ich rîten.
dîn wîplich güete neme mîn war
und sî mîn schilt hiut hin und her noch zallen zîten.«
4.
Ir ougen naz dô wurden baz. ouch twanc in klage:
er muoste von ir.
si sprach hin zime: Ꞌurloup ich nime ze vröiden mîn:
diu wil gar von mir.
sît ich vermîden muoz
dînen munt, der manigen gruoz
mir bôt unde ouch dîn kus,
alse in dîn ûzerwelte güete lêrte
und dîn geselle, dîn triuwe: —
[]weme wiltu mich lâzen?
nu kum schiere wider ûf rehten trôst!
owê dur daz mac ich strenge sorge niht gelâzen.Ꞌ
~0~~0~~0~
1.
» Es ist jetzt Tag Das muß ich wahrheitsmäßig ankündigen.
Ich kann nicht länger bleiben."
ꞋDie dunkle Nacht hat uns nun zu meinem Unglück
das erste Morgenlicht gebracht.
Wenn mein Geliebter sich nun von mir trennen muß,
so überfällt mich der Schmerz darüber zu plötzlich.
Ich weiß genau, ihm, den ich in meinen Augen liebend gern
verbergen würde, wenn ich ihn auf diese Weise behalten
könnte, geht es ebenso.
Mein Schmerz wird größer.
Ach, wie wird er von hier fortkommen?
Der Friede des Herrn möge ihn noch einmal in meine Arme führen.Ꞌ
2.
Die edle Frau umarmte ihren Geliebten leidenschaftlich.
Der schlief noch fest.
Als er das Morgengrauen bemerkte,
wurde er sehr traurig.
Er drückte sie an seine Brust
und sagte: »Ich habe fürwahr noch nie
eine so schmerzliche plötzliche Trennung erlebt.
Die Nacht ist viel zu schnell vergangen.
Wer hat sie so kurz bemessen?
Der Tag läßt sich nicht aufhalten.
Wenn Liebe an der höchsten Glückseligkeit teilhat,
dann helfe sie mir, daß ich dich noch einmal glücklichwiedersehen kann.«
3.
Beide verlangte es danach, daß er sie immer wieder küßte.
Der Tag wurde verflucht. Er nahm Abschied,
wie es sein mußte, nun hört, wie:
Lust und Schmerz mischten sich dort.
Sie waren entschlossen, einander so nahe zu sein,
wie nie zuvor zwei Liebende einander nahe gewesen waren.
Dafür gebührt der Liebe noch immer Ruhm.
Wenn es auch drei Sonnen mit ihren Strahlen gäbe,
sie hätten nicht zwischen den beiden hindurchscheinen können.
Er sagte: »Ich muß nun fortreiten.
Deine vollkommene Liebe behüte mich
und sei heute und in Zukunft überall mein Schutz.«
4.
Ihre weinenden Augen füllten sich noch mehr mit Tränen.
Auch ihn bedrückte Schmerz. Er mußte von ihr fort.
Sie sagte zu ihm: ꞋIch nehme Abschied von meinem Glück.
Das wird mich ganz verlassen.
Da ich nun auf deinen Mund verzichten muß,
der mich oftmals willkommen hieß,
und auch auf deinen Kuß,
wie deine große Vollkommenheit
und dein Begleiter, deine Treue, ihn dir eingaben,
wem willst du mich überlassen?
Komm bald zurück, mich zu trösten.
Ach, ich kann meine große Angst nicht unterdrücken.Ꞌ
~0~~0~~0~
Heinrich von Morungen
Owê, sol aber mir iemer mê
Ach, wird mir denn jemals wieder
1.
Owê, —
Sol aber mir iemer mê
geliuhten dur die naht
noch wîzer danne ein snê
ir lîp vil wol geslaht?
Der trouc diu ougen mîn.
Ich wânde, ez solde sîn
des liehten mânen schîn.
Dô tagte ez.
2.
ꞋOwê, —
Sol aber er iemer mê
den morgen hie betagen?
als uns diu naht engê,
daz wir niht durfen klagen:
>Owê, nu ist ez tac,<
als er mit klage pflac,
dô er jungest bî mir lac.
Dô tagte ez.Ꞌ
3.
Owê, —
Si kuste âne zal
in dem slâfe mich.
Dô vielen hin ze tal
ir trehene nider sich.
Iedoch getrôste ich sie,
daz sî ir weinen lie
und mich al umbevie.
Dô tagte ez.
4.
ꞋOwê, —
Daz er sô dicke sich
bî mir ersehen hât!
Als er endahte mich,
sô wolt er sunder wât
Mîn arme schouwen blôz.
ez was ein wunder grôz,
daz in des nie verdrôz.
Dô tagte ez.Ꞌ
~0~~0~~0~
1.
Ach,
wird mir denn jemals wieder
ihr wunderschöner Körper
durch die Nacht leuchten,
weißer noch als Schnee?
Der täuschte meine Augen.
Ich glaubte, es wäre der Glanz
des hellen Mondes.
Da brach der Tag an.
2.
ꞋAch,
wird es denn jemals wieder
Morgen hier verbringen?
Möge uns doch die Nacht einmal
so vergehen, daß wir nicht klagen
müssen: >O weh, nun ist es Tag.<
So rief er klagend,
als er zuletzt bei mir war. -
Da brach der Tag an."
3.
Ach,
sie küßte mich
im Schlaf unzählige Male.
Da rannen ihre
Tränen nieder.
Doch ich tröstete sie,
so daß sie aufhörte zu weinen
und mich zärtlich umarmte.
da brach der Tag an.
4.
ꞋAch,
daß er sich so oft
in meinem Anblick verloren hat!
Als er die Decke zurückschlug,
da wollte er meine nackten
unverhüllten Arme sehen.
Es war ein großes Wunder,
daß er diesen Anblick nie leid wurde.
da brach der Tag an.Ꞌ
~0~~0~~0~
Johannes Hadlaub
Ich wil ein warnen singen
Ich will ein Warnlied singen
1.
»Ich wil ein warnen singen,
daz lieb von liebe bringen
nu mag, die mâzze kunnen hân.
Sus râte ich dien ein scheiden,
der ich nu hüete, beiden:
der tag, der wil so schiere ûf gân.
Des ich wunder sorgen hân,
wie ez uns noch irgange:
ir nâhen umbevange,
die wellent sî so kûme lân.
2.
In gibe dem herren nit die schulde:
ich weiz ir ungedulde
so wol, si lât in kûme varn.
Der herre sol si lâzzen weinen:
der nacht ist noch so kleinen,
er sol ez langer nicht ensparn.
Nu bin ich aller fröiden arn,
ich vürchte mir so sêre:
ez stât umb lîb und êre.
In kann ir nicht biwarn,
3.
Sin volgen danne mînem râte.
und tuont si daz ze spâte,
owê, ich bin mit in verlorn!
Nu hœrent sî doch wol mîn warnen.
muoz ich ir minn erarnen
noch mê, daz ist mir leit und zorn.
Ôwê, daz ich wart erkorn,
daz ich wart ir wachtære!
noch wendent unsir swære:
den tag man kündet dur diu horn.«
~0~~0~~0~
1.
»Ich will ein Warnlied singen,
das den Geliebten von seiner Liebsten trennen wird,
wenn sie das rechte Maß halten können.
Auf diese Weise rate ich den beiden,
die ich zur Zeit beschütze, Abschied zu nehmen.
Der Tag wird in Kürze anbrechen.
Ich mache mir größte Sorgen,
wie es uns ergehen wird.
Denn sie wollen gar nicht aufhören,
sich zärtlich zu umarmen.
2.
Ich gebe nicht dem Herrn die Schuld daran.
Ich kenne ihre ungezügelte Leidenschaft genau,
sie läßt ihn nicht fort.
Der Herr soll sie weinen lassen.
Die Nacht ist nur noch so kurz,
er darf den Abschied nicht länger hinauszögern.
Nun ist mir jegliche Freude vergangen,
statt dessen habe ich furchtbare Angst.
Leben und Ansehen stehen auf dem Spiel.
Ich kann sie nicht vor Unheil bewahren,
3.
es sei denn, sie folgen meinem Rat.
Wenn sie dies aber zu spät tun,
ach, dann bin ich zusammen mit ihnen verloren.
Nun hören sie doch meine Warnung genau.
Wenn ich für ihre Liebe noch mehr büßen muß,
packen mich Schmerz und Wut.
Ach, daß man ausgerechnet mich auserwählt hat,
ihr Wächter zu sein.
Wendet das Unheil, das uns droht, doch noch ab.
Schon kündigt das Hörnerblasen den Tag an.«
~0~~0~~0~
Der ich leider dise nacht gehüetet hân
Die, für die ich zu meinem Leidwesen diese Nacht
»Der ich leider dise nacht gehüetet hân,
der umbevân ist noch so manigvalt,
Wan ir beider wille stellet sich inein.
Ir sorge ist klein: si sint so minnen balt.
Wan sorgent sî, wie ez uns irgê?
wirt man sîn gewar, so komen wir in nôt.
Nu welle got, daz sî sich scheiden ê!
2.
>Ez biginnet gegen dem tage stellen sich.<
alsus warne ich si beidiu, der ich pflag.
Des gewinnet doch mîn frowe leides vil,
davon sin wil nicht wîzzen noch den tag.
Mîn herre sehe selb darzuo:
ez stêt beiden umb ir lîb -, ich kum wol hin,
wan ich wil sîn ûz vor dem morgen fruo.«
3.
Ich sleich tougen ûz und sang ein warnen dô.
do sprach ie sô mîn frowe minnenklîch:
ꞋÂne lougen, der wachter hât uns verlân.
du solt ûf stân, mîn herre tugenden rîch!
Ich weiz nu wol, daz ez ist zît,
des sich unser lieblich triuten scheiden sol.
ez kumt nicht wol, swer doch ze lange lît!Ꞌ
~0~~0~~0~
1.
»Die, für die ich zu meinem Leidwesen diese Nacht
Wache gehalten habe, die hören nicht auf,
einander zu umarmen, denn beide wollen das gleiche.
Sie sind völlig unbekümmert, so sehr sind sie mit der
Liebe beschäftigt. Warum kümmert es sie nicht, wie es uns
ergehen wird? Wenn man ihn hier entdeckt, geraten wir in
Gefahr. Nun gebe Gott, daß sie sich vorher trennen.
2.
>Der Tagesanbruch rückt näher.<
Mit diesen Worten warne ich die beiden, für die ich gewacht habe.
Dies bereitet meiner Herrin allerdings großen Schmerz,
und sie will deshalb den Tag noch nicht wahrhaben.
Mein Herr sehe selbst, wie er zurecht kommt. Beider Leben
steht auf dem Spiel - ich komme schon ungeschoren davon,
denn ich will noch vor dem Morgengrauen fort sein.«
3.
Heimlich schlich ich hinaus und sang draußen ein Warnlied.
Daraufhin sagte meine liebreizende Herrin:
ꞋDer Wächter hat uns wahrhaftig verlassen.
Du mußt aufstehen, mein vortrefflicher Geliebter.
Ich weiß nun genau, daß es Zeit ist.
Deshalb müssen unsere Zärtlichkeiten ein Ende haben.
Es nimmt kein gutes Ende, wenn jemand zu lange liegenbleibt.Ꞌ
~0~~0~~0~
Sich fröit ûf die edlen nacht
Ein vornehmer Liebhaber
1.
Sich fröit ûf die edlen nacht
ein gislacht minnaere harte,
des sîn frowe ruochen wil.
Sô der tag sîn liecht verlât,
secht, so gât si an die warte,
als si hânt gileit ir zil.
Sô kumt er gegangen tougenlîche
unde rüert daz tor so lîse iesâ.
sô si daz erhoert, diu minnenkliche,
sô spricht sî: »mîn herre, bist du dâ?«
er sprichet: Ꞌedliu frowe, jâ.
tuo mir ûf, vil wunnenrîche,
daz ich dich al umbevâ!Ꞌ
2.
Im wont wilde fröide bî,
swanne sî daz tor entsliuzzet,
und daz hoert der werde man,
und sî engegen im danne ûf tuot:
dast ein guot, des nicht verdriuzzet
beider lîb so lobesan.
Sî vüert in mit ir so wîzzen hende
vür ir bette, dur der huote bant,
also stille, daz echt nieman wende.
wie schier sî sich danne enkleidet hânt!
sî gênt zemene, lieb bewant
wirt da wol mit liebem ende:
in wirt beiden minne irkant.
3.
Wer möchte bezzer fröide hân,
des enkan ich nicht volspehen,
als si hânt die nacht so gar?
Dâ wirt manig umbevang
lieblîch lang, da mag geschehen
manig kus so valsches bar.
dâ wirt brust an brust so wol gedruket,
daz da sorgen mag belîben nicht,
beider lîb zesemene nâch gesmuket,
dâvon dâ daz liebste lieb geschicht.
doch hânt sî die zuoversicht,
daz in fröide wirt verzuket,
sô der wachter tages gicht.
~0~~0~~0~
1.
Ein vornehmer Liebhaber, den seine Dame
erhören will, freut sich sehr auf die
wunderschöne Nacht.
Sobald die Dämmerung einsetzt,
seht, so geht sie, um Ausschau nach ihm zu halten,
wie sie es miteinander verabredet haben.
Heimlich kommt er herbei und klopft
sogleich ganz leise ans Tor.
Sobald die liebreizende Frau dies hört,
fragt sie: »Mein Freund, bist du es?«
Er antwortet: ꞋJa, edle Herrin.
Schließ mir auf, Liebste,
damit ich dich zärtlich umarmen kann.Ꞌ
2.
Wenn der edle Mann hört,
daß sie das Tor aufschließt, ist er außer
sich vor Freude. Und der Augenblick,
wenn sie ihm dann öffnet, ist so wundervoll,
daß die beiden vortrefflichen Liebenden
ihn in keiner Weise missen möchten.
Sie führt ihn an ihrer weißen Hand an den
Aufpassern vorbei so leise zu ihrem Bett,
daß es niemand verhindern kann.
Wie rasch sie sich dann ausgezogen haben!
Sie legen sich zueinander,
ihre Liebe ist am ersehnten Ziel.
Beide erfahren, was Liebe ist.
3.
Ich kann mir nicht vorstellen,
wer größeres Glück erleben könnte,
als sie es die Nacht lang erleben.
Ihre unzähligen zärtlichen Umarmungen
finden kaum ein Ende, und zahllose Küsse
werden ohne eine Spur von Treulosigkeit
ausgetauscht. Sie liegen so eng Brust
an Brust beieinander, daß alle Sorgen verfliegen,
und schmiegen sich so nah
aneinander, daß ihnen dabei das größte
Liebesglück widerfährt. Allerdings wissen
sie genau, daß ihr Glück dahin ist,
sobald der Wächter den Tag ankündigt.
~0~~0~~0~
Markgraf von Hohenburg
Ich wache umb eines ritters lîp
Ich halte Wache, um das Leben eines Ritters
1.
»Ich wache umb eines ritters lîp
und umb dîn êre, schoene wîp:
wecke in, frouwe!
got gebe daz ez uns wol ergê,
daz er erwache und nieman mê:
wecke in, frouwe!
est an der zît, niht langer bît.
ich bite ouch niht wan dur den willen sîn.
wiltun bewarn, sô heiz in varn:
verslâfet er, sost gar diu schulde dîn.
wecke in, frouwe!«
2.
ꞋDin lîp der müeze unsaelic sîn,
wahtaere, und al daz singen dîn!
slâf geselle!
dîn wachen daz waer allez guot:
dîn wecken mir unsanfte tuot.
slâf geselle!
wahtaere in hân dir niht getân
wan allez guot, daz mir wirt selten schîn.
du gers des tages dur daz du jages
vil sender fröiden von dem herzen mîn.
slâf geselle!Ꞌ
3.
»Dîn zorn sî dir vil gar vertragen:
der ritter sol niht hie betagen,
wecke in, frouwe!
er gap sich ûf die triuwe mîn:
do enpfalch ich in den gnâden dîn.
wecke in, frouwe!
vil saelic wîp, sol er den lîp
verliesen, sô sîn wir mit im verlorn.
ich singe, ich sage, est an dem tage,
nu wecke in, wande in wecket doch mîn horn.
wecke in, frouwe!«
1.
»Ich halte Wache, um das Leben eines Ritters
und dein Ansehen zu schützen, schöne Frau.
Weck ihn, Herrin!
Gott gebe, daß es gut für uns ausgeht
daß nur er erwacht und sonst niemand.
Weck ihn, Herrin!
Es ist Zeit, warte nicht länger.
Ich bitte auch nur um seinetwillen.
Willst du ihn schützen, so befiel ihm zu gehen.
Verschläft er, so ist es allein deine Schuld.
Weck ihn, Herrin!«
2.
ꞋDu sollst verflucht sein,
Wächter, und all dein Singen.
Schlaf, Liebster!
Dein Wachehalten wäre ja in Ordnung,
dein Wecken jedoch tut mir weh.
Schlaf, Liebster!
Wächter, ich habe dir nur Gutes getan,
davon bemerke ich kaum etwas.
Begierig wünscht du den Tag herbei, damit du
das heiß ersehnte Glück aus meinem Herzen vertreiben kannst.
Schlaf, Liebster!Ꞌ
3.
»Dein Zorn sei dir ganz und gar verziehen,
doch der Ritter darf hier nicht den Tag verbringen.
Weck ihn, Herrin!
Er hat sich meiner Zuverlässigkeit anvertraut,
ich empfahl ihn daraufhin deinem Wohlwollen.
Weck ihn, Herrin!
Liebste Frau, wenn er sein Leben verliert,
so sind wir mit ihm verloren.
Ich singe, ich sage, es ist Tag.
Nun weck ihn, denn mein Horn wird ihn ohnehin aufwecken.«
Weck ihn, Herrin!«
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