zurück

Fabeln 51 - 75
 

Fabeln 26 - 50
 

Der versammelten Vögel Urteil
Der Roßkäfer und die Biene
Der donnernde Jupiter
Der Schmiedehammer und das Eisen
Der blinde Mann, der sich viel Spiegel...
Der Wassertropfen und der Rhein
Die Gemse und der Hund
Der Jupiter und die drei Brüder
Der Diamant und der Magnet
Der Fuchs im Weinberg und dessen…
Der Rabe und der Haushahn
Die Spatzen und der Käfer
Die nicht zu bekehrende Wolfsart
Der Bär und die Biene
Die zwei uneinigen Kutschpferde
Der Töpfer und der Ton
Die grausame Barmherzigkeit

 
Der arme Schneider und der reiche….
Der Schwan und die Nachtigall
Der lybische König Basilikus
Der Zeiger und die Uhr
Die zwei sich unterredende Totenköpfe
Die zwei kleinen Fische
Der Hausherr und dessen wider seinen….
Der Mond und die Sonne

 


XXVI.
Der versammelten Vögel Urteil
von dem Schwan

Die Vögel saßen auf den Ästen,
Und hatten mancherlei gesagt,
Doch endlich hat ein Star gefragt:
Wer unter uns singt wohl am besten?
Mein! fing hierauf ein Stieglitz an,
Wer wohl sonst anders, als der Schwan.
Der Schwan? ja freilich, schrie der Haufen
Von der gesamten Vögel Schar,
Dies ist ja mehr als sonnenklar,
Und keiner darf sich unterstehn,
Mit seinem zwitschernden Getön
Ihm Rang und Vorzug abzulaufen.

Mein! sagt mir, sprach die Nachtigall,
Hat jemand wohl aus euren Chören
Den Schwan jemals selbst singen hören,
So zeigt mir doch, wie klingt sein Schall?

Dies eben nicht, was wird das machen?
Genug! daß es wirklich so bewandt;
Wir haben es von sichrer Hand,
Daher tut es nichts zur Sache;
Ob wir selbst den Gesang gehört,
Ob andre davon uns belehrt.
Dies ward zur Antwort ihr beschieden,
Wiewohl sie schlecht damit zufrieden.

*  *  *

So hört man öfters manchen loben,
Als ob er dies und jenes kann;
Allein verlangt man selbst die Proben:
So ist es nur ein eitler Wahn;
Und will man nach dem Ursprung fragen,
So hat man es nur vom Hörensagen.

XXVII.
Der Roßkäfer und die Biene

Die Biene flog nach ihrer Weise,
Hin auf ein buntgeblümtes Land,
Damit sie ihre süße Speise
Auf lieblichen Gewässern fand;
Da sah sie im Vorüberziehn,
In Äpfeln einen Käfer wühlen,
Die von den satten Pferden fielen.
"Pfui!" sprach sie, "macht doch dein Bemühn,
Du garstiger Wurm, mir so ein Grauen,
Daß ich nicht mehr imstande bin,
Vor Ekel länger zuzuschauen;
Wie schmutzig ist nicht dein Gewinn!"

Der Käfer brummte ihr darauf entgegen:
"Mein! was ist dir doch daran gelegen?
Geh du nach deiner Arbeit hin,
Und laß mich hier ruhig graben;
Wir können ja nicht einerlei
Zu unserer Ergötzung haben;
Die Wahl steht einem jeden frei.
Du liebst nur eine bunte Wiese,
Und ich sitz hier im Paradiese."

*  *  *

Der, welcher sich nur bloß bemüht,
In der Gelehrten ihren Werken
Die Fehler mühsam anzumerken,
Daß er sie durch die Hechel zieht,
Der ist den Käfern gleich zu schätzen,
Die sich allein am Kot ergötzen.

XXVIII.
Der donnernde Jupiter

Der Jupiter sprach zu der Rache,
Geh, schärfe mir den Donnerkeil,
Damit ich in geschwinder Eil
Die böse Welt zunichte mache.
Als die Erbarmung dies gehört,
Hat sie den Donnerkeil ergriffen,
Und seine Spitze weggeschliffen,
Daß er mehr schreckt als versehrt.

*  *  *

Gott ist zwar ein gestrenger Rächer,
Und läßt nichts ungestraft sein,
Doch schlägt er unter die Verbrecher
Nicht gleich mit Donnerkeilen drein;
Er hegt ein väterlich Gemüte
Und bricht nicht gleich im Eifer los;
Zwar die Gerechtigkeit ist groß,
Doch größer seine Treu und Güte.

*  *  *

Wir haben dieses auch erfahren,
*
Als heute fast um die Mitternacht,
Die Donnerwolken schrecklich waren,
Daß immer Schlag auf Schlag gekracht,
Ja daß die ganze Himmelsbühne
Ein immerbrennend Feuer schiene;
Da meinte man, es wär der Welt,
Ihr letztes Strafgericht bestellt;
So grausam hörte man es knallen;
So stark sah man das Feuer fallen.

Allein gottlob! es ist vorbei;
Wir merken auch an unsrem Teile,
Daß noch an seinem Donnerkeile
Die Spitze weggeschliffen sei;
Und wollen ihm, so lang wir leben,
Dafür Dank, Preis und Ehre geben.

*Hier bezieht sich der Autor auf ein Gewitter in
seiner Heimatgemeinde im Monat August des
Jahres 1738. Das war so schrecklich, dass man nicht
mehr glaubte es zu überstehen. Dieses Unwetter nahm
Triller zum Anlaß diese Fabel zu erdichten.


XXIX.
Der Schmiedehammer und das Eisen

Ein Schmiedehammer schlug das Eisen,
Dies aber seufzte laut und sprach:
"Laß doch mit deinen Schlägen nach,
Wir können einen Ursprung weisen;
Du bist ja Eisen, gleich wie ich,
Warum nun plagst und schlägst du mich?"

*  *  *

Daß doch das menschliche Geschlecht
Die Fabel wohl bedenken möchte;
Wir sind von einem Fleisch und Blut,
Und Anverwandte, Freund und Brüder,
Und doch sind wir, voll Zorn und Wut,
Einander immerfort zuwider.
Daß Menschen stets die Menschen plagen.
Dies ist ja billig zu beklagen.

XXX.
Der blinde Mann
der sich viel Spiegel und Bilder kauft

Ein Blinder kaufte Schildereien,
Und schöne Spiegel reichlich ein;
Da sprach sein Freund: "Ei, laß es sein,
Du kannst dich dessen nicht erfreuen.
Was nützt ein Spiegel und Gemälde
Dem, welchem das Gesicht fehlt?"
Der Blinde rief: "Dies ist geschehen,
Damit man glaubt, ich könnte sehen."

*  *  *

Der viel Geld für Bücher zahlt,
Obgleich er sie nicht versteht,
Bloß, damit er eitel prahlt,
Und sich als Gelehrter bläht,
Der wird, in dem Bild des Blinden,
Seinen eignen Abriß finden.

XXXI.
Der Wassertropfen und der Rhein

Ein Wassertropfen sprach zu dem Rhein,
Weist du auch, daß ich dich vermehre?
Stell, rief der drauf, dein Prahlen ein,
Du hast davon gar wenig Ehre;
Wie kannst du so verwegen sagen,
Daß die geringe Feuchtigkeit,
Die so ein kleiner Tropfen verleiht,
Zur Größe mir was beigetragen?

*  *  *

Die Kleinen dünken sich am meisten,
Daß sie die größten Dienste leisten.

XXXII.
Die Gemse und der Hund

Auf einem hohen Felsen stund
Ein Gemsenbock ganz frei und bloß;
Ein Hund bellte unten in dem Grunde
Mit Grimm und Eifer auf ihn los.
Die Gemse rief, geh laß dein Bellen,
Du wirst mich doch dadurch nicht fällen,
Noch durch dein leer und kraftlos Schrein
Je meiner Freiheit schädlich sein.

*  *  *

So machen es die großen Seelen,
Sie fragen niemals was danach,
Wenn sie mit Lästern, Spott und Schmach
Die bösgesinnten Neider quälen;
Sie lassen sie frech unten toben,
Und bleiben selbst doch stets erhoben.

XXXIII.
Der Jupiter und die drei Brüder

Der Jupiter stieg einst hernieder,
Wie er auch sonst schon mehr getan,
Da traf er nun drei gleiche Brüder
In einem Haus beisammen an;
Und weil sie ihn sehr wohl empfingen,
So sprach er, zur Erkenntlichkeit,
"Wünscht euch etwas, es soll gelingen;
Doch seht, daß ihr bescheiden seid,
Wünscht euch nicht etwas zum Schaden,
Sonst ist die Schuld auf euch geladen."

Der Erste sprach: "Gib Geld und Gut,
So viel, daß ich es häufig habe."
Der Andere schrie: "Gib Rebenblut,
Daß ich mich stets am Trunke labe."
Der Dritte rief: "Bring mich zu Ehren,
Und mach mich zu dem höchsten Rat,
Damit ein jeder mich zu hören
Und auch zugleich zu fürchten hat."

Der Jupiter war ganz erblaßt,
Und schlug bestürzt die Augen nieder:
"Besinnt euch," sprach er, "werte Brüder,
Wünscht euch nichts zur Gefahr und Last."
Sie aber wollten nun nicht weichen.
Wohlan denn! ja! es soll so sein,
Rief Jupiter, ich will es reichen,
Hier habt ihr Ehre, Geld und Wein."

Allein wie ist es abgelaufen?
Den Reichen schlugen Räuber tot.
Der Andere kam durch stetes Saufen
Auch bald danach in Sterbensnot.
Der Dritte büßte gar sein Leben
Durch eines Henkers Schwertstreich ein,
Dieweilen bösen Rat gegeben;
So ging es mit Ehre, Geld und Wein.

*  *  *

In Wünschen pflegt man sehr zu fehlen,
Man meint, das sei uns nütz und gut,
Was doch den größten Schaden tut;
So leider! ist es mit uns bewandt,
Wir wünschen uns aus Unverstand,
Oft selbst das Messer an die Kehlen.

XXXIV.
Der Diamant und der Magnet

Der Diamant sprach zum Magneten:
"Du bist ein schlechter dunkler Stein,
Ich aber habe Glanz und Schein,
Darum mußt du wohl aus Scham erröten."
"O nein! mein Freund," rief der Magnet,
"Du hast nicht Ursach, dich zu preisen;
Ich zieh sogar ein schweres Eisen,
So daß es mir nicht widersteht:
Mir fehlt der Glanz, du hast mehr Schimmer;
Allein darum bin ich nicht schlimmer."

*  *  *

Der äußerliche Glanz und Schein
Gibt den Vorzug nicht allein;
Man sieht oft unter schlechten Decken,
Die größte Kraft und Seele stecken.
Ein alter rostiger Soldat
Läßt oft mehr Heldentaten spüren,
Wenn er sich so geputzt hat,
Als sollte er Tanz und Reigen führen.
Darum lasse man den eitlen Wahn;
Auf das Äußerliche kommt es nicht an.

XXXV.
Der Fuchs im Weinberg und dessen Besitzer

Es war ein Fuchs in den Weinberg gekommen,
Und hatte manchen Stock versehrt,
Und manche Traube schon verzehrt;
Als dieses nun der Mann vernommen,
Dem dieser Weinberg zugehört:
War er gar übel darauf zu sprechen,
Und wollte sich am Fuchse rächen.

Der Räuber soll mir nicht entweichen,
Schrie er mit Eifer, Zorn und Keuchen:
Doch weil ein Schuß ihn gleich entseelt,
Will ich, daß er sich lange quält;
Drum soll man ihn, mich zu ergötzen,
Mit Hunden nur zu Tode hetzen.

Die Jäger kamen darauf mit den Hunden,
Es waren ihrer wohl drei Paar,
Der arme Fuchs ward bald gefunden,
Und ließ zwar Leben, Blut und Haar;
Doch war der Weinberg auch verheert,
Und Stock und Trauben umgekehrt,
Dies hieß, zu seinem größten Schaden,
Die Hund und Jäger eingeladen.

*  *  *

Die sich an ihren Feinden rächen,
Dieselben können sich nicht leicht
Von ihrer Rachlust mehr versprechen,
Als das, was dieser Mann erreicht.
Die Mittel, Zorn und Mut zu kühlen,
Die stehn meist höher in der Tat,
Als wie das Unrecht, das wir fühlen,
Wenn uns ein Feind beleidigt hat.

XXXVI.
Der Rabe und der Haushahn

Ein Rabe stahl und trug viele Dinge
Zu seinem Winkel, wo er schlief,
Auch unter andern Geld und Ringe.
Der Haushahn sah dies und rief:
"Was tust du Freund, mit diesen Sachen,
Die dir doch keine Freude machen."
"Ich weis es selbst nicht," sprach der Rabe,
"Ich habe es nur, damit ich's habe."

*  *  *

Ein Kind selbst kann diese Fabel deuten,
Wenn es nur was vom Geiz gehört;
Sie handelt von den reichen Leuten,
Die viel gesammelt, nichts verzehrt;
Dieselben kommen diesem Raben
An ungereimter Habsucht bei;
Sie haben Geld, daß sie es Haben;
Nicht, nicht daß es ihnen nützlich sei.

XXXVII.
Die Spatzen und der Käfer

Die Spatzen taten auf den Bäumen
Des Abends schon die Augen zu,
Und ließen sich in süßer Ruh
Von Erbsen, Kirschen und Raupen träumen;
Da hörte man ein lautes Getön
Auf einmal in der Luft entstehn,
Sie wurden alle wach und schrieen:
"Auf! auf! laßt uns von hinnen fliehen,
Es kommen Geier oder Raben,
Die uns hier ausgewittert haben,
Wer unter uns die Flucht nicht nimmt,
Dem ist der Tod gewiß bestimmt."
Hierauf erhoben sie die Schwingen,
Um sich in Sicherheit zu bringen.

Ein junger Spatz, der kühner war,
Sprach, ich will dennoch nicht entweichen,
Komm ich auch um in der Gefahr,
So kann ich doch mit Ruhm erbleichen;
Man stirbt nicht gleich vom Schall und Klange,
Man weis ja nicht, wer unser Feind;
Vielleicht wird uns zeitig bange,
Man warte, bis er selbst erscheint.

Als er dies nun bei sich erwogen,
Da kam das fürchterliche Heer
Der Geier näher hergezogen;
Doch war man lächerlich betrogen;
Es waren Käfer, die sanft brummten,
Doch für den Spatzen selbst verstummten,
Die jetzt bestürzt zu ihnen traten,
Und zitternd um ihr Leben baten.

Man laß sich nicht von Prahlern schrecken,
Auf das Gelärme kommt es nicht an,
Die sich am liebsten erst verstecken,
Schreien öfters mehr, als Tamerlan.
*
Man meint, sie wären Himmelsstürmer,
Wenn man sie nach dem Großtun schätzt:
Doch sind sie nur verzagte Würmer,
Wenn man sie auf die Probe setzt.

*Tamerlan oder Timur, Groß-Khan der Mongolen
1336-1405. Er eroberte das ganze Gebiet von Indien
bis Kleinasien und Ägypten.


XXXVIII.
Die nicht zu bekehrende Wolfsart

Ein Wolf, der manchen Mord begangen,
Als er des Nachts nach Schafen ging,
Sollte nun mehr seinen Lohn empfangen.
Man führt ihn aus, daß man ihn hing.
Nun war von weiten eine Herde
Von Schafen auf der Trist zu sehn:
Ach! rief er aus, laßt es geschehn,
Daß ich vorbei geführt werde!
Könnt ich die Schafe noch verderben,
Könnt ich noch jetzt ihr Mörder sein;
So wollt ich nochmals willig sterben,
Und mich noch meines Todes freun.
So muß ich nur die Augen wenden,
Und damit einen Mord begehn;
Doch auch für diese letzten Freuden
Will ich den Tod gern überstehn.

*  *  *

Wer einmal sich in seinem Leben
Den Lastern ganz und gar ergeben,
Der ändert auch im Tode nicht,
Und bleibt noch stets ein Bösewicht:
Wo sich die oftversuchten Sünden
Auf übliche Gewohnheit gründen,
Dann weis ein solcher Frevelmut
Nicht mehr, wenn er was Böses tut.

XXXIX.
Der Bär und die Biene

Des Mittags schlief im Wald ein Bär,
Da war nun eine junge Biene
So unbesonnen, frech und kühne,
Und schwärmte sumsend um ihn her.

Hierüber kam er aus der Ruh
Und fuhr ergrimmt auf sie zu,
Mit Vorsatz ihr den Rest zu geben.

Sie aber bat! ach! laß mich leben,
Wer weis, wo ich dir Dienste tu?

Du Dienste mir? sprach hier der Bär,
Wie können doch die kleinen Bienen
Den großen Bären füglich dienen?
Allein ich will auf dein Begehr
Dir dieses Mal das Leben schenken,
Du magst nun auf die Dienste denken.
Mit diesem Hohn und scharfen Stich,
Ließ er die Biene frei von sich.

Doch was geschah nach wenig Tagen?
Ein Jäger schlich sich an den Bär,
Und hatte sein gespannt Gewehr
Auf ihn schon wirklich angeschlagen,
Als eben sich zur rechten Stunde
Die freigelassne Biene fand,
Und in des Jägers rechte Hand
Den scharfgespitzten Stachel stieß,
Daß er für Schmerzen seiner Wunde,
Die Büchse niederfallen ließ.
Und also kam der Bär davon;
So gab ihm diese kleine Biene,
Für seine Wohltat großen Lohn,
Ob sie ihm gleich verächtlich schiene.

*  *  *

Auch Kleine können Nutzen schaffen,
Wie diese Fabel lehren kann:
Es kommt nicht stets auf große Waffen
Noch Riesenarmeen an.
Wie viele scheinen oft geringe,
Und tun dennoch große Dinge!
Es liegt gar viel an Glück und Zeit.
Daß Kleine manchmal viel vermögen,
Und Große weniges hingegen,
Macht öfters die Gelegenheit.

XL.
Die zwei uneinigen Kutschpferde

Zwei Pferde wurden eingespannt,
Und sollten einen Wagen fahren;
Allein, weil sie nicht einig waren,
So setzt es harten Widerstand;
Das rechte wollte linker Hand,
Das linke nach der rechten traben,
Und keines gab dem andern nach.
Darauf stürzten sie in einen Graben,
Daß Wagen und Geschirr zerbrach;
Sie selbst hatten sich geschunden,
Und kriegten Schläge noch dazu;
Da haben sie zu spät empfunden,
Was Eigensinn für Schaden tu.

*  *  *

So pflegt es in den bösen Ehen,
Wo Mann und Weib einander feind,
Und dennoch durch den Zwang vereint,
Gemeiniglich auch her zu gehen.
Ich kenne leider! manches Haus,
Worinnen solche Pferde ziehen;
Doch Gott sei Dank! ich schließ mich aus,
Mir ist ein besser Glück verliehen.

XLI.
Der Töpfer und der Ton

Ein Töpfer machte viel Gefäße
Von unterschiedener Art und Größe,
Da sprach zu ihm ein Klumpen Ton,
Den er jetzt eben formen wollte,
Daß er ihn doch, wenn es möglich wär,
Zu einen Tischkrug machen sollte.

Nein! sprach der Töpfer, nein mein Sohn,
Du hast mir hier nichts vorzuschreiben;
Ich will aus deinem Zeug vielmehr
Nur einen Küchenteller treiben.
Und dies geschah auch, was er sprach,
Der Teller folgte gleich hernach.

*  *  *

Mensch! hadere nicht mit deinem Schöpfer,
Und sei zufrieden, was du bist,
Du bist der Ton, doch er ist Töpfer,
Und weis wohl, was dir nützlich ist.
Ließ er dich nicht zum Kruge werden,
Das ist, nicht hocherhaben sein;
So bilde dir zum Trost doch ein,
Man braucht auch Teller auf der Erden.
Gott ordnete so manchen Stand,
Wie es sein Ratschluß heilsam fand.

XLII.
Die grausame Barmherzigkeit
oder der ägyptische Kaufmann,
der Krokodileier ausbrüten läßt

Ein Kaufmann im Ägyptenlande,
Fand einstmals Eier in dem Sande,
Und trug sie mit sich in sein Haus:
Die welschen Hühner saßen darüber;
Allein, als kurze Zeit vorüber,
Da krochen Krokodile aus.
Als wenige Monate nun verflossen,
Da bissen sie die Hühner tot.
Dies Unglück hatten auch nicht minder
Des Kaufmanns seine liebsten Kinder,
Ja selbst der Vater kam in Not.

*  *  *

Barmherzigkeit ist lobenswert;
Allein, wenn man die Feinde nährt,
Daß sie uns selbst schaden können,
So ist sie Grausamkeit zu nennen.
So nahe stoßen meist die Grenzen
Des Lasters an der Tugend an;
Daher läßt ein weiser Mann
Die Klugheit allenthalben glänzen.
Die Härte bringt nicht so viel Leid,
Als grausame Barmherzigkeit.

XLIII.
Der arme Schneider und der reiche Kaufmann

Es wohnte wo ein armer Schneider,
Der besserte nur alte Kleider,
Davon er kaum so viel erwarb,
Daß er zur Not nicht Hungers starb;
Doch war er wohl damit zufrieden,
Was sein Verhängnis ihm beschieden,
Er schickte sich in Glück und Zeit,
War arm an Unruh, Geiz und Neid,
Reich aber an Zufriedenheit,
Das mindeste machte ihm groß Vergnügen.
Ein Heringskopf, schwarzes Brot, ein Ei,
Käse, Äpfel, Birnen, ein Wasserbrei,
Ein mageres Viertel einer Ziege,
(Doch alles dies war nie beisammen,)
Vermochten seine stille Brust
Mit unausdrücklich- süßer Lust
So übermäßig anzuflammen.
Daß er vor Freuden Lieder sang,
Und fröhlich auf der Gasse sprang.

Ein Kaufmann wohnte gleich daneben,
Der so viel Geld und Gut besaß,
Daß er es fast mit Scheffeln maß;
Doch fehlte ihm ein vergnügtes Leben.
Des Tages ging er wie im Traum,
Des Nachts schlief er zwei Stunden kaum;
Je mehr das Geld pflegte zuzunehmen,
Je mehr wuchs bei ihm Sorg und Grämen.
So geht's, das Glück schenkt Geld und Gut,
Und stiehlt dafür den frohen Mut.
Der hörte nun den Schneider singen,
Und sah ihn öfter fröhlich springen.
Mein Gott! sprach er, wie geht das zu?
Der Mann kann kaum so viel erwerben,
Daß er nicht darf vor Hunger sterben,
Und ist doch fröhlicher als du,
Der du doch so viel Geld gehäuft,
Daß nur allein von deinen Renten
Wohl hundert Schneider leben könnten,
Weil sich die Summe hoch beläuft.
Ich kann die Ursach nicht erraten,
Wie er bei seiner Bettelei
Von viel vergnügterem Herzen sei,
Als ich bei Talern und Dukaten;
Drum bin ich nun mit Ernst befließen,
Das Kunststück von ihm selbst zu wissen,
Wie er bei seinen Nahrungssorgen
Doch so vergnügt und froh kann sein.

Hiermit lud er ihn auf Morgen
Zu seinem Mittagessen ein.
Der kam, voll Zweifel, wie die Ehre
An ihn einmal gekommen wäre,
Daß ihn ein Reicher zu sich bat,
Und aß mit fröhlichem Gesichte
Von manchem niedlichen Gerichte,
Das schon sein reicher Wirt verschmäht.
Denn dieser saß stets in Gedanken,
Und schien sich mit sich selbst zu zanken;
Bald schnitt er dies, bald jenes an,
Kaum aber legte er es für sich nieder,
So war es ihm bereits zuwider,
Und wiederum hinweggetan;
Sein schöner Tisch und Flaschenkeller
Beförderten nicht seine Ruh;
Er kritzelte nur auf den Teller,
Und sah betrübt dem Schneider zu.

Doch als der Gast sich unterdessen
Recht satt getrunken und gegessen,
Sprach dieser: Lieber Meister hört,
Könnt ihr mir ungefähr nicht sagen,
Was euer Handwerk eingetragen,
Und wie viel ihr des Tages verzehrt?

Herr, sagte der, bei meinem Leben!
Ich kann euch keine Nachricht geben,
Ich habe niemals nachgezählt;
Es gehen meine Nahrungssorgen
Allein auf heut, und nicht auf morgen;
Doch hat bisher noch nichts gefehlt.
Wie viel mir täglich Gott beschert,
Das wird von mir mit Dank verzehrt.
Ist es nicht immer Speck und Schmalz,
So ist es dennoch Brot und Salz,
Dies würzt der Hunger, daß mir es schmeckt,
Als wäre mir euer Tisch gedeckt;
Hierzu kommt Wasser oder Bier,
Nachdem es Zeit und Glück gibt.
Doch seh ich mich vornehmlich für,
Daß sich mein Herz nie betrübt.
Ich halte die Zufriedenheit
Für meine größte Kostbarkeit;
Gesunder Leib, ein gut Gewissen,
Ein nährender, nicht teurer Bissen,
Ein Trunk, der Durst und Hitze stillt,
Und ungekauft in Bächen quillt,
Ein Schlaf, der neue Kraft erteilt,
Daß man früh frisch zur Arbeit eilt
Und keine Schuldenlast dazu;
Darinnen liegt Gut und Habe,
Hieraus entspringt meine Ruh;
Dies macht, daß ich mich singend labe,
Und manchen Sprung vor Freuden tu.

Der Kaufmann, als er dies gehört,
Saß bei der Tafel, als betört;
Dies dachte er, kann unmöglich sein,
Daß so geringe Kleinigkeiten,
Wie dieser Mann aus Einfalt nennt,
So große Lust und Nutz bereiten,
Es trifft wohl nur bei Schneidern ein.
Doch sprach er endlich: Nun mein Freund,
Weil ich dies Wunderwerk erblicke,
Daß ihr mit eurem magren Glücke,
Bei eurer großen Dürftigkeit,
Dennoch wohl zufrieden seid:
So will ich euren schlechten Sachen
Nunmehr ein besser Ansehn machen.
Wohlan denn, nehmt von meinen Händen
Hier diese hundert Taler an,
Und sucht sie wohl anzuwenden,
Daß euer Glück blühen kann.

Hier setzt es seltsame Gebärden;
Der Schneider kam ganz außer sich,
Daß ihm fast Geist uns Sprache wich,
Er meinte nun, durch dieses Geld
Wäre von der alten und neuen Erden
Ihm aller Reichtum zugestellt.
So viel hat er noch nie geschaut.
Wäre London damals feil gestanden;
Wäre er, als Käufer schon vorhanden;
Ja mehr, er hätte sich getraut,
Mit seinem großen Silberhaufen
Paris und Rom dazu zu kaufen.
Darauf brach die Freude völlig aus;
Er trug den Schatz vergnügt nach Haus,
Und hatte für das Geld und Essen
Den großen Dank in Eil vergessen;
Der Kaufmann selber war erfreut,
Bei seines Nachbarn Fröhlichkeit;
Und sprach, es reut mich nicht der Gabe,
Daß ich sein Glück befördert habe.

Als jener nun nach Hause kam,
Und seinen Geldsack vor sich nahm,
Gedacht er, wenn es zweihundert wären,
So könnte ich mich noch besser nähren,
Doch hundert machen auch vergnügt,
Zumal da sie so wohlfeil kommen.
Drauf hat er sich zur Ruh verfügt,
Und seinen Geldsack mitgenommen.
Allein es war kein Schlaf nicht da,
Er mußte mit Gedanken spielen,
Und ob er gleich sein Geld nicht sah,
Ließ er die Hand doch danach fühlen.
So wurde dann die erste Nacht,
Für Freuden, schlaflos zugebracht.

Doch mit dem früherwachten Morgen
Erwachten ernstlich seine Sorgen,
Er ging, und sann nun hin und her,
Wie dieses Geld zu brauchen wär;
Darüber war das Mittagessen,
Weil es schon Abend war, vergessen.
Des Nachts kam wieder keine Ruh;
Denn wenn sich nur ein Mäuschen rührte,
Fuhr er auf seinen Geldsack zu,
Als ob ein Räuber ihn entführte.
Er sprang auch öfters aus dem Bette,
Und meint, es wär ein Mörder hier,
Der ihn schon bi der Gurgel hätte,
Und sah stets nach der Kammertür.

Den Morgen ging's nach erster Weise,
Er schlich tiefsinnig nur umher,
Vergaß Gebet, Beruf und Speise,
Sang auch und tanzte gar nicht mehr,
Daß auch der Kaufmann selbst gedachte,
Was jetzt den Mann so stille machte.

Es währte nun noch ein paar Tage
Die unerträglich- schwere Plage,
Da fuhr er auf nach Mitternacht,
Als er bis drei Uhr schon gewacht,
Und warf den Geldsack in die Kammer.
Verfluchtes Geld schrie er dazu,
Geh hin, du Störer meiner Ruh,
Du Quell und Vater von dem Jammer;
Du hast mich lange genug geplagt,
Und alle sonst gehabten Freuden
Aus Bette, Brust und Mund verjagt;
Deswegen will ich dich im Haus
Nun keine Stunde länger leiden,
Du mußt mir heute noch hinaus.

Die Sonne war kaum aufgegangen,
So hielt er redlich Schwur und Wort,
Und trug die hundert Taler fort.
Herr, sprach er, was ich jüngst empfangen,
Bring ich nun alles wieder her,
Ich danke zwar für eure Güte;
Doch meinem genügsamen Gemüte
Ist diese Geldlast viel zu schwer,
Macht wen ihr wollt, in Zukunft reich;
Ich lege nun hiermit vor euch
Den Beutel mit dem Gelde nieder,
Doch gebt mir dafür meine Lieder,
Und unbesorgtes Herze wieder.

*  *  *

Der Fabel Sinn ist offenbar,
Und stellt in wohlgetroffnen Zügen
Das sorgenvolle Mißvergnügen
Der reichen Geldbesitzer dar.
Den Geld und Gut wird bös und gut;
Bös, wenn man nichts aus Geiz vertut;
Gut aber, wenn man's löblich nützt.
Doch dieser ist der reichste Mann,
Der wenig an sich selbst besitzt,
Und dennoch viel entbehren kann.

XLIV.
Der Schwan und die Nachtigall

Ein Schwan, der nun in letzten Zügen
An eines Flusses Ufer lag,
Besang noch seinen Sterbenstag
Mit einem innigen Vergnügen.

"Was singst du," sprach die Nachtigall,
"Jetzt erst bei deinem Todesfall,
Da du doch sonst in deinem Leben
Fast keinen Laut von dir gegeben?
Ich mach es besser, wo mir recht;
Im Leben und gesunden Tagen,
Pfleg ich mit Fröhlichkeit zu schlagen;
Doch wenn sich Geist und Atem schwächt,
Empfind ich keine Lust zum Singen,
Und lass kein Freudenlied erklingen."

"O Freundin," rief hierauf der Schwan,
"Wir sind nicht einig in dem Stück,
Du siehst dies Leben für ein Glück,
Und ich den Tod für besser an.
Das Leben führet uns ins Leiden,
Und macht den Anfang zu der Not;
Die Endschaft aber gibt der Tod,
Und läßt uns aus dem Elend scheiden;
Drum sing ich nun ein Jubellied,
Inzwischen meine Stunden enden,
Und mir der Tod, mit sanften Händen,
Das schwere Joch vom Halse zieht."

*  *  *

Der Schwan spricht hier mit gutem Grunde,
Selbst Salomo stimmt kräftig bei,
Daß der Geburtstag schlimmer sei,
Als unsre letzte Todesstunde.
Und dieses haben ehedessen
Die Thrazier auch wohl ermessen.
So oft ein Mensch ins Leben kam,
Erhob man eine bittre Klage;
Wenn aber einer Abschied nahm,
Hielt man darüber Freudentage,
Dadurch ein Zeugnis abzugeben,
Der Tod sei besser, als das Leben.

XLV.
Der lybische König Basiliskus

Bei den geschwärzten Afrikanen,
In Lybiens unfruchtbar- dürrem Sand,
Saß König Basilisk, und hatt' ein weites Land,
Doch unbewohnt und ohne Untertanen.
Sein Gift, das er stets von sich blies,
Ja durch die Augen fahren ließ,
Bracht allen Tieren solch einen Schrecken,
Daß man kein einziges fern und nah
In seiner ganzen Herrschaft sah,
Weil jedes floh, sich zu verstecken.
Er war denn einsam und allein,
Und ihm niemand sonst an der Seite,
Aus Furcht, Verheerung, Mord und Pein,
Nebst hundert andern Grausamkeiten.

Zuletzt zerplatzte der Tyrann
Vom eignen innerlichen Gifte,
Und füllte noch im Tod die Lüfte
Mit Stank und bösen Dünsten an.

So bald die Tiere nun vernommen,
Daß dieser Wüterich umgekommen,
Erschienen sie in großer Zahl,
Und sahen nunmehr mit Vergnügen,
Den Unhold auf dem Sand gestreckt,
Der sie vorher nur geschreckt;
Doch blieb er ohne Ehrenmal,
Verächtlich unbegraben liegen,
Weil sich jetzt noch kein Tier getraute,
Daß es ihn in der Näh beschaute.
So wurde seine Grausamkeit
Selbst in dem Tode noch gescheut.

*  *  *

Tyrannen! die ihr nichts von Lieb und Huld besitzt,
Aus deren Augen nur Wut, Mord und Rache blitzt,
Die ihr die Untertanen schreckt,
Und lauter Hass und Furcht erweckt;
Was hilft euch euer weites Reich?
Ihr seid doch einsam und verlassen,
Und einem Basilisken gleich,
Denn alle Tiere fliehn und hassen.
Glaubt nicht, daß in der Tyrannei
Der Vorzug eures Standes bestehe,
Und euch die Vorsicht drum erhöhe,
Daß jeder euch mit Zittern scheu.
Wo ihr nicht nach der Liebe strebt,
Und eurer Völker Gunst erwerbet:
So haßt man euch, so lang ihr lebt,
Und freuet sich, so bald ihr sterbet.

XLVI.
Der Zeiger und die Uhr

Ein Zeiger sprach zu seiner Uhr,
Ich will mich nun von selber drehen,
Was hab ich nötig, deiner Spur,
So sklavisch immer nachzugehen?

Nimm; rief die Uhr, dir das nicht vor,
Bloß von dem Umlauf meiner Räder,
Und durch den Trieb der regen Feder
Entsteht dein Gang, und nicht von dir;
Drum wirk ich nun bei dir am meisten,
Du aber mußt Gehorsam leisten.

*  *  *

Was ewig über uns versehn,
Das muß und soll gewiß geschehn,
Umsonst ist gegen Gottes Hand
Der Menschen schwacher Widerstand,
Wir müssen uns ihm ganz ergeben,
Weil wir in ihm nur sind und leben.
Hier hilft kein Murren und Verdruß,
Denn der nicht folgen will, der muß.

XLVII.
Die zwei sich unterredende Totenköpfe

Ein Totenkopf kam ungefähr
Bei einem andern Kopf zu liegen;
Wer bist du denn? so fragte der.
Geduld! ich will dich gleich vergnügen,
Sprach der Gefragte zu ihm wieder,
Doch was hilft dirs? itzt sind wir Brüder;
Du sollst es dennoch kürzlich wissen,
Ich war ein armer Ruderknecht,
Aß schwarzes Brot, trank aus den Flüssen,
Schlief auf der Erde, lebte schlecht,
An Schuh und Kleidern abgerissen,
Bis der erwünschte Tod sich fand,
Den ich oft inniglich begehret,
Der hat mich aus dem Joch gespannt,
Und nun die Freiheit mir gewähret.

Nichtswürdiger! Heb dich von mir!
Schrie ihm der andre Kopf entgegen,
Du schlechter Mensch! was willst du hier?
Dein Zuspruch ist mir ungelegen,
Entweich, und laß mich stracks in Ruh,
Sonst will ich dich dazu schon zwingen,
Ich bin ein andrer Mann als du.
Mein Lebenslauf soll anders klingen.
Ich bin mit Königen verwandt,
Und nicht aus Pöbelblut entsprossen,
Ich trag ein kostbar Ordensband,
Ich fahr auf prächtigen Karossen,
Ich habe Geld im Überfluß,
Auf meiner Tafel sechzehn Essen,
Ich halte fünf bis sechs Maitressen,
Und kleide sie von Haupt zum Fuß,
Die besten Weine sind zugegen,
Aus Welschland, Frankreich und vom Rhein,
Kurz, meine Lust und mein Vermögen,
Sind beide groß und ungemein.

Ich bin, ich hab' Nein! andrer Mann,
Ich war, ich hatte, mußt du sagen,
(Hub jener Kopf zu sprechen an,)
Du hast ja nichts mit her getragen.
Ich sehe hier kein Ordensband,
Noch einen hochgebornen Stand,
Ich seh hier nicht die sechzehn Essen,
Noch deine fünf und sechs Maitressen,
Ich seh nicht deinen teuren Wein
Aus Welschland, Frankreich und vom Rhein,
Ich sehe nicht dein Gut und Geld,
Noch deine prächtigen Karossen;
Denn alles bleibt nun in der Welt,
Was du vor dem daselbst genossen.
Im Leben war ein Unterschied
So wohl bei dir, als mir, zu spüren;
Nun aber will er sich verlieren,
Wir sind von gleicher Häßlichkeit,
Von gleichem Ansehn, Macht und Ehre,
Von gleichem Nachdruck, Kraft und Schwere.
Wer wird anitzt meine Armut schmähn?
Wer deine sechzehn Schüsseln sehn?
Es ist kein Unterschied der Schädel,
Dumm sieht wie klug, arm sieht wie reich,
Schön wie häßlich, schlecht wie edel;
Hier macht der Tod uns alle gleich.

XLVIII.
Die zwei kleinen Fische
welche wider den Strom schwimmen wollen

Ein kleiner Fisch sprach zu dem andern,
"Mein! sind wir denn auch recht gescheit,
Daß wir so mit Gelassenheit
Meist mit dem Strom hinabwärts wandern?
Laß uns doch einmal widerstehn,
Und ihm beherzt entgegen gehen!"

"Ja! dies," rief jener, "war es eben,
Was ich auch längst bei mir gedacht,
Wir wollen mit gepaarter Macht
Ihm künftig tapfer widerstreben."
"Wohl!" sprach der andre, "wir bestimmen,
Daß wir dem Strom entgegen schwimmen."

Hierauf ward ein Versuch gewagt;
Allein er ist ganz schlecht gelungen,
Die Fische wurden fort gedrungen,
Und mit dem Strom hinab gejagt,
So, daß sie sich den Kopf zerstießen,
Und fast das Leben selbst ließen.

*  *  *

Die ihrem Schicksal widerstreben,
Die treffen hier ihr Bildnis an;
Man muß sich sittsam drein ergeben,
Weil man es doch nicht ändern Kann.
Die willig nicht zu folgen wissen,
Die werden wider allen Dank,
Mit viel Gefahr, Verdruß und Zwang,
Von ihrem Schicksal fortgerissen.

XLIX.
Der Hausherr und dessen wider seinen Willen
getreuer und überall mitfolgender Kobold

Bei einem Junker auf dem Lande
War alles sonst in gutem Stande,
Nur stund er in dem alten Haus
Viel Kreuz von einem Kobold aus:
Der brach und riß die Töpf' und Tücher,
Schlug Pferde, Küh' und Schweine lahm,
Und keine Magd war vor ihm sicher,
Daß er ihr nicht die Haube nahm:
(Doch dies geschah in diesen Jahren,
Da noch die Kobolds Mode waren).

Der Junker sprach: "Was soll ich tun?
Das Scheusal läßt sich nicht vertreiben,
Ich kann vor ihm nicht länger ruhn,
Und niemand will mehr bei mir bleiben;
Doch gleich jetzt kommt mir was in Sinn,
Wie wär’s, wenn ich das Haus verbrennte,
So daß er mir nicht folgen könnte,
Und zög hernach woanders hin?"

Der Anschlag kam bald darauf zustand;
Er räumte die verwünschte Hütte
Und steckte sie hernach in Brand.
Doch als er nun von dannen ritte
Und dacht', er wär' in Sicherheit,
Rief hinten ihn etwas beim Namen
Und sprach: "Wir hatten hohe Zeit,
Daß wir noch aus dem Feuer kamen."

Idem er nun zurücke sah,
Da saß der Kobold mit zu Pferde
Und schrie mit fröhlicher Gebärde:
"Reit immer zu, ich bin auch da."
"Ach welcher Henker hat dich dann,
Du Teufelsbrut, hierher geschlagen?
Muß ich dich immer bei mir sehn,
Und mag es nimmermehr geschehn,
Daß ich von dir befreit sein kann?"
So hörte man den Edelmann
Mit Ungeduld und Eifer fragen.

*  *  *

Es ist mit allen Leidenschaften,
Wenn sie erst fest im Herzen haften,
Auch eben dergestalt bewandt;
Wir mögen in ein fremdes Land,
Um ihnen zu entweichen, fliehen,
So werden sie doch mit uns ziehen;
Wir steigen in ein Schiff hinein,
Wir mögen fahren oder reiten,
So werden sie uns stets begleiten
Und als Gefährten bei uns sein.


L.
Der Mond und die Sonne

Der Mond sprach einstens zu der Sonne:
"Es dünkt mich dein heißer Schein
Recht wunderlich und fremd zu sein;
Strahlst du auf Wachs, gleich ist's zerronnen;
Und strahlst du auf den weichen Ton,
So wird er spröd und hart davon;
Die graue Leinwand kannst du bleichen,
Daß man sie weiß und blendend schaut;
Hingegen eine weiße Haut
Mit brauner Farbe überstreichen;
Noch mehr, du wässerst Mensch und Vieh,
Wenn die gehäuften Tropfen schwitzen,
Und leckst mit gleicher leichten Müh
Das Wasser doch aus Bächen und Pfützen.
Deswegen nun ersuch ich dich,
Daß du, wo möglich, kurz erklärest,
Warum du so veränderlich
In deinen Wirkungen verfährest."

"Wahr ist es," fiel ihr Wort dagegen,
"Es ist also wie du gesagt,
Doch werde ich unrecht angeklagt,
Die Schuld ist nicht an mir gelegen;
Daß meine Wirkung mancherlei,
Liegt vielmehr selber an den Dingen,
In welche meine Strahlen dringen,
Als daß ich davon Ursach sei;
So, wie ich sie bequem befinde,
Danach richte ich die Wirkung ein;
Drum muß weich hart, und hart gelinde,
Grau weiß, und weiß oft schwarzbraun sein."

*  *  *

Es liegt am menschlichen Gemüte,
Wenn Gottes gleichgesinnte Güte
Nicht immer gleiche Wirkung tut;
Die Absicht zwar ist allzeit gut,
Dich wenn sich ein Erfolg erzeigt,
Den man oft nicht begreifen kann,
Ist unser Herz bloß schuld daran,
Nachdem es böse und gut geneigt.