LI.
Die sonderbare Zubereitung der Liebespfeile
Es hatte nun der Gott Vulkan
In Semnos Werkstatt unermüdet
Die Liebespfeile zugeschmiedet,
Und allen Fleiß dabei getan.
Da nahm sie Venus in die Hände,
Und strich ihr scharf gespitztes Ende
Mit honig-süßem Nektar an.
Dies wollte nun dem Gott der Zeit,
Saturn, nicht sonderlich gefallen;
Drum goß er auf die Süßigkeit
Ein ziemliches Teil von bittrer Gallen.
* * *
Die Liebe, die erst süß schmeckt,
Wird durch die strenge Macht der Zeiten
Mit Galle gleichen Bitterkeiten
Zum öftern hinten nach befleckt;
Daher sie auch ein "Bittersüß"
Sehr sinnreich bei den Alten hieß.
LII.
Das Krokodil und
Trochilus
Ein kleiner Vogel Trochilus
Darf ohne Scheu sich in den Rachen
Des satten Krokodil machen,
Und hat, zum wenigen Genuß,
Dafür die Brocken zu empfangen,
Die hie und da in Zähnen hangen.
Der sprach einst zum Krokodil,
Was wird mir aber nun davor,
Daß ich mein Amt genau verwalte,
Und dir die Zähne sauber halte?
Wie? schrie der Räuber in dem Nil,
Undankbarer, verwegner Tor!
Was willst du noch mehr zum Lohne,
Als daß ich deines Lebens schone?
Wer darf sich sonst noch unterstehn
Bei mir so ein und aus zu gehen?
* * *
Wer Bösen einen Dienst erzeigt,
Dem wird die Fabel treulich raten,
Daß er vor seinen guten Taten
Ja von dem Lohne stille schweigt;
Vielmehr sei er damit vergnügt;
Und nehm es noch zum Wucher an,
Daß sie kein Leid ihm zugefügt,
Noch etwas böses angetan.
LIII.
Der unbesonnene Rabe
Ein Rabe fand ein totes Huhn
Nicht weit von einem Dorfe liegen,
Und schrie darüber vor Vergnügen,
Wie diese Vögel meistens tun.
Hierauf kam eine große Schar
Von andern Raben angeflogen,
Die sein Geschrei herzu gezogen;
Und weil er nicht vermögend war,
Dem ganzen Schwarm zu widerstreben,
Mußt er sich auf die Flucht begeben;
Doch rief er noch, indem er wich:
"O hätte ich mich nicht selbst verraten,
Dann hätt ich jetzt noch meinen Braten,
Den mir das Glück beschert, für mich;
So muß ich nun mit leerem Magen,
Mein törichtes Geschrei beklagen,
Das andern Speis und Vorteil bringt,
Mich aber selbst zum Fasten zwingt:
Hätt ich vielmehr in Ruh gesessen,
So dürft ich jetzt nicht essen sehen,
Ich wär mein eigner Gast und Wirt,
Und niemand hätte mich geirrt."
* * *
Wem sich ein holdes Glück zeigt,
Der tut am besten, wenn er schweigt,
Sonst lockt er nur durch sein Geschrei
Viele Neider mit Gefahr herbei,
Die ihn um den Besitz bringen.
Wer etwas hat, mag es still genießen,
Und mach davon kein groß Geräusch:
Wenn Raben ihr Geschrei ließen,
Behielten sie allein ihr Fleisch,
Und würden, wie das Sprichwort sagt,
Von andern nicht davongejagt.
LIV.
Der Igel und der Hund
Ein Igel machte sich ganz glatt,
Und sprach zu einem blöden Hunde:
"Ach! gönne mir nur eine Stunde
Zum Wärmen, deine Lagerstatt;
Ich bin vor Kälte so erfroren,
Daß ich das Leben fast verloren."
"Aus Mitleid will ich es endlich tun,
Ließ sich hierauf der Hund vernehmen;
Doch soll ich es dir zugestehn,
So mußt du nur zwei Stunden ruhn,
Und dich alsdann von selbst bequemen,
An deinen Ort zurück zu gehen."
"Ach ja," rief der verstellte Gast,
»Ich tu was du geboten hast,
Gewähr mir jetzt nur meine Bitte."
Und hiermit kroch er in die Hütte,
Und hielt im Winkel seine Rast.
Sechs Stunden waren schon verflossen,
Da sagte der betrogne Hund
Zu diesem groben Hausgenossen:
"Geh! geh! und räume alsbald mein Haus,
Die Zeit ist ja schon dreimal aus!"
Hier sprang er zu, ihn anzupacken;
Allein der Igel wurde kraus,
Und stach mit den gesteiften Zacken
Den Wirt empfindlichst in den Mund.
So mußte selbst der Herr der Hütten
Den Fremden um schön Wetter bitten,
Daß er ihm nur ein Plätzchen ließ,
Und nicht mit seinen Stacheln stieß.
Der Wirt war nun beim Gast zur Miete,
Dies tat die übereilte Güte.
* * *
Die falschen Freunde tun dergleichen;
Erst suchen sie sich einzuschleichen,
Und stellen sich erbärmlich an.
Erwärmt man sie, daß sie sich fühlen,
Dann pflegen sie uns mit zu spielen,
So wie der Igel hier getan;
So bald sie einmal fest gesessen,
Dann ist die Wohltat gleich vergessen;
Sie denken weiter nicht zurück,
Vielmehr begehn sie diese Sünden,
Ihr durch uns angefangnes Glück
Auf unsren Untergang zu gründen.
Drum werde man mit Schaden klug,
Und trau nicht jeglichem Gesellen,
Denn die sich fromm von außen stellen,
Sind oft von innen voll Betrug.
LV.
Die Raupe und die
Schnecke
In einer grün bewachsen Hecke
Saß einstens eine träge Schnecke,
Daß oben eine Raupe hing,
Die nun damit zu Werke ging,
Sich nach Gewohnheit einzuspinnen,
Ein ander Leben zu beginnen.
"Wie übel," sprach sie, "geht es dir!
Du mußt dir selbst dein Grab bereiten,
Und kommst, nach dir bestimmten Zeiten,
In andrer Gestalt hervor;
Dein erstes Wesen wird zerstört,
So Farb als Bildung ändert sich.
Doch ich bin unveränderlich,
Und werde nicht, wie du verkehrt;
Denn wenn ich mich auch gleich verstecke,
Verbleib ich doch eine Schnecke."
"Freund! dieses ist ein falscher Wahn,"
Ließ sich die Raupe drauf vernehmen;
"Ich find es unbillig, mich zu grämen.
Mein Tod gebiert mir neues Leben,
Und setzt mir leichte Flügel an,
Daß ich mich von der Erde heben
Und nach der Höhe schwingen kann.
Du aber bleibst für und für
Verächtlich an dem Staube kleben,
Und bist ein niederträchtig Tier.
Drum sieh, wie gütig und geneigt
Mein weises Schicksal mit mir handelt,
Da es mein Wesen so verwandelt,
Daß es verbessert aufwärts steigt."
* * *
Das Sterben bringt viel minderen Schaden,
Als man aus Furcht zu glauben pflegt.
Wir werden von der Last entladen,
Die uns zur Erde niederschlägt;
Drum soll man sich darum nicht quälen,
Daß man nicht länger leben kann
Der Tod setzt gleichsam unsern Seelen
Zur Ewigkeit die Flügel an.
LVI.
Die Schnepfe und der
Wiedehopf
Die Schnepfe sah den Wiedehopf,
Der, sprach sie, steht mir trefflich an,
Ihm meine Freundschaft anzutragen,
Ich will es also kühnlich wagen,
Ob ich so glücklich werden kann.
Er hat so einen schönen Kopf,
Scheint höflich, angenehm und gütig,
Und überhaupt ganz edelmütig,
Daß der, der Tugend widerstrebt,
Der nicht mit ihm in Freundschaft lebt,
Die Sache war dann bald getan.
Doch als die Schnepfe nun befließen,
Den neuen Freund vertraut zu küssen,
Da roch sie ernstlich, daß er stank.
Doch rief sie, was hat das zu bedeuten?
Der gute Freund ist wohl zu Zeiten
Wie mich dünkt, ein wenig krank;
Es riecht ihm nur so aus den Magen,
Das kann man endlich noch ertragen.
Als drauf nun wenig Zeit vergangen,
Da sprach der Wiedehopf zu ihr:
"Komm doch einmal in mein Quartier,
Und laß dich da geneigt empfangen,
Wir finden noch wohl einen Bissen,
Daß wir nicht Hunger leiden müssen."
Die Schnepfe war nun bald allda,
Doch als sie den Gestank gerochen,
Und nichts, als außer Totenknochen
Und Unflat in dem Neste sah,
War ihr dabei nicht wohl zumute.
Ach, dachte sie, der falsche Freund
Verlangt auch wohl nach meinem Blute,
Wie schön er auch von außen scheint;
Wie schlimm ist meine Wahl gewesen,
Daß ich mir diesen Freund erlesen.
Hiermit nun wollte sie entfliehn,
Allein der Wirt hielt sie zu feste,
Und sprach, nein Schwester, bleibe du
Noch etwas länger hier im Neste,
Ich lass dich doch noch nicht von mir ziehn.
Drauf kamen noch vier Wiedehöpfe,
Die setzten nun der armen Schnepfe
Nebst jenem Mörder grimmig zu.
Sie hätten sie auch tot gebissen,
Soferne sie nicht mit Verlust
Des Schwanzes und der halben Brust,
Sich noch von ihnen losgerissen.
* * *
So geht es, wenn man jedem traut,
Und nur aufs Äußerliche schaut.
Wer unbedachtsam Freunde wählet,
Wird von der Nachreu oft gequält.
Man soll sich niemand offenbaren,
Als bis man erst genau erfahren,
Ob dieser, den man sich erwählt,
Auch würdig, daß man mit ihm schließt.
Wer seinen Freund nicht erst erkennt,
Eh er ihm seine Freundschaft gönnt,
Der pflegt sich oft Gefahr und Schaden,
Selbst schuldig, auf den Hals zu laden.
LVII.
Der fliegende Fisch
Es war ein Fisch einst in der See,
Der schwamm zwar, wie die Fische pflegen,
Doch wenn es ihm nicht mehr gelegen,
Flog er als Vogel in die Höh
(Daß wirklich bei den fernen Indern
Dergleichen Fische zu befinden,
Ist jetzt nicht weiter zweifelhaft.)
Der hatte nun die Eigenschaft,
Wenn andre Fische Nahrung fanden,
So war er auch dabei vorhanden.
Doch brach Gefahr und Not herein,
Da wollt er kein Gefährte sein,
Vielmehr erhob er sein Gefieder,
Und kam erst, wenn es sicher, wieder.
Da sprachen einst die andern Fische:
"Zum Henker! sage was das ist,
Daß du allein ein Fisch bei Tische,
Doch bei Gefahr ein Vogel bist?
Kann unsre Not dich von uns treiben,
So speise künftig auch allein.
Entschließ dich kurz! was willst du bleiben?
Fisch oder Vogel, Eins muß sein."
* * *
Mit manchem Freund und Bundesgenossen
Ist's eben auch also bewandt.
So lang dein Glück in gutem Stand,
Bleibt auch sein Bündnis fest geschlossen;
Doch, wenn es mit dir übel steht,
Weicht er mit Hilfe und Treue zurück,
Und spricht, ich halte in diesem Stück
Bedachtsam die Neutralität.
LVIII.
Die unruhigen Hühner
Die Hühner saßen nun schon alle
Nach fast verblichnen Sonnenschein,
In ihrem wohlverwahrten Stalle,
Doch konnten sie nicht ruhig sein;
Sie zankten sich noch um die Plätze,
Die eine biß die andre fort
Und hielten noch um Sitz und Ort
Ein gackerndes und laut Geschwätze.
Viele Gäste kamen unterdessen
Und wollten da des Abends essen,
Da lief der Koch zum Hühnerhaus,
Und las eilfertig unter ihnen
Sechs von den größten Zänkern aus,
Sich ihrer nötig zu bedienen.
So recht! Gesegnet sei der Mann!
(So riefen schadenfroh die andern,)
Der uns den großen Dienst getan,
Und diese hieß zum Tode wandern.
Nun haben wir erst Ruh und Raum,
Und sind so scharf als recht gerochen.
Doch was geschah? der Tag war kaum
Mit blassem Schimmer angebrochen,
Da kam der Koch von neuem an,
Und holte mit Behendigkeit
Nun auch dieselben sichern Schwestern,
Die sich so inniglich noch gestern
Bei ihrer Nächsten Fall erfreut.
Das Unglück, das so fern geschienen,
War jetzt gar zu nah bei ihnen.
* * *
Alle diese, welche sich
Über ander Unglück freuen,
Mögen sich nur sicherlich
Gleiches Schicksal prophezeien;
Wer bei fremden Schaden lacht,
Ist zum Unfall reif gemacht.
LIX.
Der junge Adler und
junge Rabe
Ein junger Rabe traf im Fliegen
Einst einen jungen Adler an,
Und sprach, es bringt mir groß Vergnügen,
Daß ich Gesellschaft leisten kann.
Schweig! rief der Adler, weich geschwind,
Und halte dich zu deinesgleichen;
Denn ich bin eines Königs Kind,
Du aber trägst des Pöbels Zeichen.
Nur nicht zu hitzig, guter Freund,
Ließ sich der Rabe drauf vernehmen,
Du hast dich meiner nicht zu schämen,
Weil wenig Unterschied erscheint.
Warum so hoch und groß gesprochen?
Der Ursprung ist doch einerlei:
Du bist wie ich aus einem Ei
Gebrütet, und dann ausgekrochen.
Du wirst auch so wie ich ernährt,
Fleisch wird von mir und dir verzehrt.
Der Ausgang ist auch einerlei,
Wir müssen alle beiden sterben,
Teils von Natur, und teils durch Blei,
Und wie wir etwa sonst verderben.
Wo steckt nun der Unterschied
Von deiner großen Herrlichkeit?
Zwar die Gewohnheit, der Gebrauch,
Und Erbrecht werden dich erhöhen;
Allein es ist ein eitler Rauch,
Der wird so lange nicht bestehen.
Denn was dir hier das Glück verleiht,
Ist von der schnellsten Flüchtigkeit.
Dein Königsstand und dein Regieren
Muß sich in kurzer Zeit verlieren.
Der Adler sagte drauf kein Wort,
Vielmehr flog er voll Unmut fort,
Weil ihm verdrießlich, diese Lehren,
Voll bittrer Wahrheit, anzuhören.
* * *
Laßt, junge Prinzen, euch ermahnen!
Denkt nicht aus stolzer Eitelkeit,
Als ob ihr etwas besseres seid,
Als eure schlechten Untertanen.
Ihr werdet so, wie sie gezeugt,
Und auch also ans Licht gegeben,
Ihr werdet so genährt, gesäugt,
Verliert auch so das Leben.
Im Reiche der Natur geht ihr
Nicht den geringsten Menschen vor.
Ein anders ist im Glückes Reiche,
Da geht ihr freilich oben an,
Doch plötzlich seid ihr eine Leiche,
Und alsdann ist's mit euch getan.
Da kann kein Mensch den Vorzug lesen,
Der euch hier zuerkannt gewesen.
Drum denkt stets, daß ihr Menschen seid,
So oft ihr andre Menschen seht,
Und brauchet ja Bescheidenheit,
Daß ihr nicht aus Stolz, verschmäht,
Hat euch das Glück mehr erhaben,
So überhebt euch nicht der Gaben,
Die euch des Himmels Vorsicht gönnt,
Und dazu ihr selbst gar nichts könnt.
Denkt vielmehr stets an euer Ende,
Und daß ihr Antwort geben müßt.
Dort ist kein Unterschied der Stände,
Dort weis man nicht wer König ist,
Dort wird kein Unterschied gespürt,
Wer hier gefrönt, und wer regiert.
LX.
Der welsche Hahn und
die Ente
Einst sah ein stolzer welscher Hahn
Die Wasserfahrt von einer Ente,
Und verfiel auf diesen tollen Wahn,
Daß er auch so schwimmen könnte.
Drauf sprang er in den Fluß hinein,
Doch weil er nicht dazu geboren,
So mußt er bald um Hilfe schrein,
Denn es war fast mit ihm verloren,
Inzwischen er immer tiefer sank,
Und wider Willen Wasser trank.
Freund, rief die Ente, geh zurück,
Du hast zum Schwimmen kein Geschick,
Und bist kein Erd- und Wassertier,
Bleib auf dem Land, und lass mich hier.
* * *
Wem Gott und die Natur die Gaben
Zu etwas untersagt haben,
Der mag sich ja nicht unterstehn,
Dasselbe trotzig zu erzwingen.
Es wird ihm dennoch nicht gelingen,
Noch nach Begehr, von statten gehn;
Wer etwas anders unternimmt,
Als ihm die Natur bestimmt,
Der ist ein Tor, und wird nur Schaden,
Nebst Hohngelächter, aus sich laden.
LXI.
Der Tiger und der Hirsch
Mir geht doch, sprach das Tigertier,
An Zierlichkeit kein andres für,
Wer meine buntgescheckte Haut
Und fleckenreiche Schönheit schaut,
Wird mir den Vorzug zugestehen,
Und billig meinen Wert erhöhen.
Ja, rief ein Hirsch, der es gehört,
Du hast dich selbst zu früh geehrt,
Der Vorzug steckt nur in dem Kleide,
Darüber ich dich nicht beneide.
Hingegen taugt sonst nichts an dir,
Da ich, wenn ich mich rühmen wollte,
Vielmehr den Vorzug haben sollte,
Denn alles nützt man von mir,
Und nichts wird bei dem Hirsch gefunden,
Es dient den Kranken und Gesunden.
* * *
Wie mancher Großer hat nichts mehr,
Das ihm vom Pöbel unterscheidet,
Denn daß er sich nur prächtiger,
Als die gemeinen Leute kleidet.
Ein schöner Putz und kostbar Kleid
Macht manchem Mann die Würdigkeit.
LXII.
Die zwei neuen Töpfe
Es ließ sich ein gewisser Mann
Einst zwei neue Töpfe langen.
In einen goß er Wermutwein,
Doch in den andern Honig ein.
Nachdem nun dieses aufgegangen,
Und jener endlich auch vertan,
Ließ er, die Töpfe mehr zu brauchen,
Sie fleißig in das Wasser tauchen.
Drauf füllte er den mit Essig an,
Worin der Honigseim gewesen,
Und dieser ward zur Milch erlesen,
Der erst den bittern Wein verwahrt.
Doch jedes schlug aus seiner Art,
Der Essig ward süß und gelind,
Als er in den Honigtopf gekommen.
Die Milch hingegen hat geschwind
Die Bitterkeit an sich genommen.
Der Nachgeschmack von den ersten Säften
Blieb immerfort in seinen Kräften,
Und war aus den durchzognen Töpfen
Nun durch kein Wasser auszuschöpfen.
* * *
So, was man in ein zart Gemüte
Von erster Jugend eingeprägt,
Das zieht hernach sich ins Geblüte,
Und wird nicht leicht ausgefegt.
Die Tugend- oder Lasterkeime,
Die man einmal hineingebracht,
Sind nach der Hand durch keine Macht,
Durch keine Müh, ganz weg zu räumen.
Was man von Kindheit an gehört,
Wird meist in die Natur verkehrt,
Und pflegt durch das ganze Leben,
Dem Menschen immer anzukleben.
LXIII.
Ein reisender Kaufmann
und ein Affe
Ein Schiff, das unterwegs war
Nach Frankreich Waren einzuschiffen,
Geriet des Nachts einst in Gefahr,
Und ward von einem Sturm ergriffen.
Weil dieser nun es allzu scharf
Auf Klippen hin und wieder warf,
Bekam es weitgerissne Spalten,
Wodurch es so viel Wasser trank,
Daß es geschwind in den Abgrund sank.
Die meisten Menschen gingen drauf,
Doch wurden wenig nur erhalten.
Ein anderes Schiff das seinen Lauf
Dem Unglücksschiffe nach gekommen,
War durch der Sinkenden Geschrei
In schneller Eil herzugekommen.
Nun war ein Affe mit dabei,
Der nach der äußerlichen Miene
Und unter Mantel, Hut und Kleid,
Zumal bei solcher Dunkelheit,
Fast einen Menschen ähnlich schiene.
Als man ihn nun ins Schiff gebracht,
Und teils willkommen, teils beklagt,
Hat sich ein Kaufmann aus Paris,
Man weis nicht eben wie er hieß,
Aus Höflichkeit an ihn gemacht,
Und sich bei ihm, wie folgt befragt:
"Vermutlich seid ihr wie es scheint,
Mein werter, unbekannter Freund,
Schon vormals in Paris gewesen?"
"Ja freilich," sprach der Affe, "ja,
War ich vor langen Zeiten da;
Die wichtigsten und größten Männer
Sind meine Brüder, Freund und Gönner.
Es ist beinah daselbst kein Kind,
Das meinen Namen nicht gelesen.
Paris bleibt wohl ein solcher Ort,
Desgleichen man sonst nirgends findt."
"So ist euch," fuhr der Kaufmann fort,
"Vom Louvre auch wohl vielbekannt?"
"O ja, der ist mir nah verwandt,"
Ließ sich hierauf der Affe hören.
"Er ist ein Mann von großen Ehren,
Ich bin vielmal mit ihm gereist,
Und hab auch oft mit ihm gespeist.
Er hat drei Töchter, die recht schöne,
Und auch zwei wohlerzogne Söhne.
Sein Haus und Garten sind bequem
Und alle Zimmer angenehm.
Nur schade, daß er also hinkt,
Daß er auf jeden Schritt fast fällt.
Und seine Frau sich doch noch schminkt,
Obgleich der Firnis nicht mehr hält.
Ich denke noch der Schönen Zeit,
Wenn wir zusammen lustig waren,
Und öfters in Vertraulichkeit
Nach Mitternacht erst heimgefahren.
Es lebe dann mein werter Freund,
Herr Louvre, der es redlich meint.
Ich hoff ihn nun bald zu sprechen."
Indes begann das Morgenlicht
Mit blassem Schimmer anzubrechen;
Da sah der Kaufmann am Gesicht,
Und wusst es auch schon vom Gehör,
Daß dieser Gast ein Affe wär,
Den jedermann nunmehr belachte,
Daß er ein Schloß zum Menschen machte.
* * *
So pfleget mancher seinen Gecken,
Auch ungefragt, zu entdecken,
Wenn er von allem in der Welt,
Davon er oft gar nichts versteht,
Sein unbedachtes Urteil fällt
Und sich recht lächerlich vergeht.
Viel in den Tag hinein zu schwätzen,
Ist wahrlich keine Klugheit nicht.
Wer vieles denkt, und wenig spricht,
Der ist allein für klug zu schätzen.
LXIV.
Das trunkene Weib
Es war ein Weib der Trunkenheit
So übermäßig stark ergeben,
Daß sie sonst nichts so sehr im Leben,
Als den verhassten Durst gescheut.
Als sie sich einst nun so betrank,
Daß sie zu Boden niedersank,
Und sinnenlos kein Glied geregt,
Hat sie ihr Mann in den Sarg gelegt.
Das Zimmer war ganz schwarz bedeckt
Auch Totenfackeln angesteckt.
Er selbst hatte sich daneben,
In fürchterliche Tracht verhüllt,
Ein Scheusal oder Schreckenbild
Bei diesem Lustspiel abzugeben.
Als nun hierauf um Mitternacht
Das Weib von ihrem Rausch erwacht,
Fuhr sie mit Schrecken in die Höhe.
"Hilf Gott! wo bin ich? Bin ich schon tot?
Ist's möglich? Oder großen Not!
Wen seh ich dort? Ach, ich vergehe!
Bin ich denn in der Ewigkeit?"
"Ja! schrie der Mann mit grasser Stimme,
Empfange nun von der Geister Grimme
Den Lohn für deine Trunkenheit.
Steh auf, du mußt nun mit uns fressen!"
Drauf reicht er ihr ein gräulich
Essen,
Das voller Salz und Wermut war,
In einem schwarzen Topfe dar.
Hier ließ sie sich nun selbst bedünken,
Daß sie den Geistern beigesellt,
Und in den Reich der Toten sei.
Doch fragte sie dennoch dabei:
"Ihr Kinderchen in jener Welt,
Habt ihr nicht auch etwas zu trinken?"
* * *
Die Menschen haben insgeheim
Ein Laster, das sie heftig lieben,
Und wird es ihnen gleich vertrieben,
So stellt es sich doch wieder ein.
Wenn sichs mit der Natur verbunden,
Dann wird es schwerlich überwunden;
Man jag es fort, den Augenblick
Kehrt es doch wiederum zurück.
LXV.
Der sterbende Hirsch
Ein müder Hirsch war von den Hunden
Nun mehr völlig überwunden,
So, daß er auf die Erde fiel.
Man sah hierauf den Jäger eilen,
Ihm noch den Genickfang
zu erteilen.
Da fand er nur den Messerstiel,
Doch keine Klinge war vorhanden,
Weil sie nicht fest im Heft gestanden.
Als nun der Hirsch in letzten Zügen
Und Todesfurcht, den Fang zu kriegen,
Das Erdreich ängstlich aufgescharrt,
Geschah es, daß durch sein Bemühen,
Dem Untergange zu entfliehen,
Ein Messer ausgeworfen ward
Das einst, bei seinem Mittagessen,
Ein Wandersmann daselbst vergessen.
So war das Werkzeug nun zugegen,
Den armen Hirsch in den Tod zu legen.
* * *
Will uns das Schicksal unterdrücken
So muß sich alles dazu schicken;
Und sollten wir zu unsrer Pein
Die Mittel aus der Erde graben,
So müssen wir sie dennoch haben,
Und uns dadurch selbst schädlich sein.
LXVI.
Die vorwitzige Frau
Kunigunde
Ach Eva! Eva ach! wie weit
Hat dich dein Vorwitz einst verführt!
Daß man noch bis auf diese Zeit
Davon die böse Wirkung spürt.
War den der Apfel gar zu schön,
Der Reizung nicht zu widerstehn?
Wenn ich an deinem Platz gewesen,
Wäre wohl noch nichts vom Fall zu lesen.
Ich hätte mich gewiß bedacht,
Eh ich mich so verhasst gemacht.
So prahlte, mit verwegnem Munde,
Ein hitzig Weib, Frau Kunigunde.
"Gemach, mein Schatz", sprach drauf ihr Mann,
"Trau nicht so viel auf deine Kräfte.
Man tadelt oft ein fremd Geschäft,
Und greift es doch selbst nicht besser an.
Wenn du in Evens Haut gesteckt,
Du hättest wohl auch deine Hand
Nach der verbotnen Frucht gestreckt
Und Straf und Fluch dir zugewandt."
"Nein! nein! du irrst, mein werter Engel
Ich denke stets an meine Pflicht;
Und hab ich gleich sonst Weibermängel,
So plagt mich doch der Vorwitz nicht."
"Ich glaub es wohl," sprach er hingegen,
"Doch möchte ich eine Probe sehen."
"Die hoff ich glücklich abzulegen,"
Rief sie, "lass sie nur bald geschehen."
Er reiste drauf nach wenig Wochen
In nötigen Geschäften fort,
Doch hat er noch, zum Abschiedswort,
Sein Kunigundchen so besprochen:
"Eins hab ich dir noch anzudeuten,
Nimm dich, mein Kind, ja wohl in Acht,
Auf unsern großen Hund zu reiten,
Der Haus und Hof genau bewacht."
"O ja," sprach sie, mit hellem Lachen,
"Ein solcher Spaß gefiele mir.
Sollt ich mich an das garstige Tier
So nah und so vertraulich machen?
Lass ihn doch, weil er so schön,
Nicht gern bei mir vorüber gehn."
Allein, der Mann war kaum von hinnen,
Da fing sie schon an nachzusinnen
Und sprach: "Wo kam ihm immermehr
Der Einfall von dem Hunde her?
Gewiß steckt ein Geheimnis drinnen.
Jedoch was hilft es, was schadet es mir,
Mich plagt ja keine Neugier?"
Dennoch, wo sie ging und stund,
Fiel ihr das Reiten auf dem Hunde
Nebst dem Verbot des Mannes ein.
Auch nachts konnte sie nicht ruhig sein,
Ihr träumte, wie sie mit Vergnügen
Ihr bellend Roß bereits bestiegen.
Allein am Morgen brach bei ihr
Der Vorwitz noch vielmehr hervor.
Sie konnte nun schon ohne Grauen
Das so benannte garstige Tier,
Den Hund, so fern, als nahe, schauen,
Ja er gefiel ihr nun sogar.
Doch hat sie sich noch mehr vergessen;
Den Mittags reichte sie ihm Essen
Mit ihren zarten Händen dar.
Was hätte mancher drum verehrt,
Wenn ihn diese schöne Hand genährt!
Drauf blieb sie, bis der Abend kam,
Ging öfters mit ihm auf und nieder
Und strich ihm die beschmutzten Glieder,
So daß es jedes Wunder nahm,
Weil ihr die Hunde sonst zuwider.
Des nachts nun ging es, wie zuvor,
Indem sich alle Ruh verlor,
Der große Hund war allerwegen
In mancherlei Gestalt zugegen.
Doch als der Morgen nun erschien,
Sprach sie: "Wohlan, ich bin so kühn,
Den fürchterlichen Ritt zu wagen.
Wer wird es gleich dem Manne sagen?
Zwar treibt mich nicht ein Vorwitz an,
Behüt mich Gott! o das sei ferne!
Ich tu es nur, damit ich lerne,
Ob mich der Hund auch tragen kann."
Sie rief ihn zu sich, gab ihm Brot,
Und strich ihn mit den weichen Händen.
Doch plötzlich, eh er sich's versah,
Saß sie auf seinen Rücken da,
Und schlug die Schenkel um die Lenden.
Doch weil dies kein galanter Hund,
Der einen netten Scherz verstund,
Warf er die schöne Frau danieder
Und biß und riß in ihre Glieder.
Sie fing erbärmlich an zu schrein,
Lakai und Mägde drangen ein
Und liefen zu, sie von dem Rachen
Des argen Hundes los zu machen.
Hierauf ward sie ins Bett gelegt,
Gewärmt, gestärkt und verpflegt,
Auch war, der vielen Wunden wegen,
Ein Wundarzt Tag und Nacht zugegen;
Doch heimlich fragte jedermann,
Was hat die Frau dem Hund getan,
Weil er sonst keinen Menschen beißt
Wenn man ihn erst nicht neckt und schmeißt.
Indessen war ihr Mann gekommen.
Als er nun vom Gesinde vernommen,
Was seiner Frau begegnet wär,
Tat er, als kränkt es ihn gar sehr;
Doch trat er lächelnd ins Gemach
Nur mit dem Wort: Ach Eva! ach!
Du wirst mein Schatz so gütig sein,
Und nun der Even gern verzeihn.
Sie aber schwieg, ward feuerrot,
Und drückte nur des Liebsten Hände.
Doch genug, dies folgt nunmehr am Ende:
Nichts reizt so stark, als ein Verbot.
LXVII.
Der unbesonnene Schiffer
Ein Schiffer, welcher einen Nachen,
Auf einen kleinen Fluß regiert,
Sprach nun voll Hoffart: "Mir gebührt,
Mich an ein größeres Schiff zu machen."
Man gab ihm dann ein Orlogschiff;*
Doch weil er es nicht zu lenken wusste,
Geschah es, als ein Sturmwind pfiff,
Daß es gar plötzlich scheitern mußte.
* * *
Mancher weis ein kleines Amt
Wohl und löblich zu verwalten.
Dadurch wird er angeflammt
Um ein größeres anzuhalten.
Doch gerät es nicht allezeit,
Öfters pflegt er zu verstoßen;
Unter Klein und unter Großen
Findet sich viel Unterschied.
*Die
Bezeichnung "Orlog" stammt von dem
niederländischen
Begriff für Krieg (oorlog).
Die
Bezeichnung Orlogschiff zielt auf keinen besonderen
Schiffstyp,
aber meistens wurden große Kriegsschiffe
I. Ranges als
Orlogschiffe bezeichnet.
LXVIII.
Der Adler und der Spatz
Der Adler war zwar allen Vögeln
Als Herr und König vorgesetzt;
Doch hatte er dann und wann die Regeln,
Die er gegeben, selbst verletzt.
Dies konnte ein Spatz nun nicht vertragen,
Und fing an, ohne Scham und Scheu,
Dem Adler spöttisch nachzusagen,
Daß er ein schlechter König sei.
Dies ward ihm nun gleich beigebracht.
Den Frevel, sprach er, muß ich rächen;
Darauf bekam der Geier Macht,
Dem Spatze das Genick zu brechen.
* * *
Regenten sind von Gott gegeben,
Und wer sie schilt, beleidigt ihn;
Denn, führen sie kein gutes Leben,
Wird er sie selbst zur Strafe ziehn.
Wer diese lästert und verhöhnt,
Die Gott gesalbt und gekrönt,
Ist, nach der Schrift und Rechten, wert,
Daß ihm ein Unglück widerfährt.
LXIX.
Die Grille und Spinne
Im Hause war schon alles stille,
Und jedes pflegte seiner Ruh;
Nur bei dem Herd saß eine Grille
Die tat dennoch kein Auge zu.
Sie machte mehr ein laut Getön,
Und trieb es so die ganze Nacht,
Weil ihr, ihr Hochmut beigebracht,
Es klinge wirklich wunderschön.
Nicht weit davon hing eine Spinne,
Die an dem Küchenfenster spann,
Und rief: "Du bist nicht wohl bei Sinne;
Was fängst du für ein Lärmen an?
Was soll des nachts dein musizieren,
Da jeder schläft und niemand hört?
Du wirst nur Müh und Fleiß verlieren,
Drum schweig und lass mich ungestört."
"Was?" sprach die Grille, "soll ich schweigen?
Dies tu ich wahrlich nimmermehr.
Wenn sich auch keine Hörer zeigen
Hab ich doch selbst ein Gehör.
Ich singe, um mir bloß zu gefallen,
Und glaube sicher, da? mein Klang
So lieblich sei, als der Gesang
Der hochgerühmten Nachtigallen."
* * *
Wer wird der Grille gleich geschätzt?
Wer trifft in ihr sein Vorbild an?
Ein Prediger der ewig schwätzt,
Und nie das Ende finden kann.
Wenn niemand auf ihn Achtung gibt,
So plaudert er doch immer fort.
Dabei er mehr sein eignes Wort,
Als Nutzen und Erbauung liebt.
LXX.
Das weiße Arsenikum, das
Schießpulver
und der Kaufmann
Arsenikum, ein weißes Gift
Sah schwarzes Büchsenpulver liegen,
Und sprach voll Zorn und Mißvergnügen:
"Dein schwarzes Ansehn kann nicht trügen,
Daß du viel Böses schon gestift."
"Mitnichten!" rief das Pulver wieder,
"Bin ich gleich schwarz, du aber weiß;
So sind wir dennoch gleiche Brüder.
Ja du behältst vor mir den Preis
In tödlicher Gewalt zu schaden,
Weil deinen Gift nichts zwingen kann."
Hier trat der Kaufmann in den Laden,
Und hörte diesen Wortstreit an.
"Schweigt!" sprach er, "still! auf euren Zweifel
Geb ich euch hiermit den Bescheid,
Du bist ein weißer, du ein schwarzer Teufel,
Dabei ihr beide schädlich seid."
* * *
Ein jeder sucht sich weiß zu brennen;
Die Fehler, die in ihm selbst sind,
Kann er an andern nur erkennen,
Ist aber bei den eignen blind.
Die Diebe werden meist aufs stehlen,
Und Metzen auf die Unzucht, schmähen.
Ein Böser bildet sich stets ein,
Sein Nachbar werde schlimmer sein.
LXXI.
Jupiter und die Schlange
unter den Tieren die ihm Geschenke bringen
Die Tiere wollten auch einmal
Dem Jupiter Geschenke bringen;
Drum sah man sie in seinen Saal
Mit allerhand Verehrung, dringen.
Der Adler kam mit einem Stein,
Der kräftig, manchen Schmerz zu lindern.
Der Storch gab eins von seinen Kindern.
Mit Eicheln löste sich das Schwein.
Ein frisches Ei entfiel der Henne.
Die Biene brachte Honigseim.
Die Lerche und die Wachtel Saat und Keim.
Die Ameise Weizen von der Tenne.
Der Affe Mandeln und Rosinen.
Der Löwe schenkt' ein halbes Reh.
Die Kuh und Ziege Gras und Klee.
Der Pfau wollt mit den Federn dienen,
Kurz jedes Tier hat was gebracht.
Doch wer weis all diese Gaben,
Die sie damals geschenkt haben?
Der wenigsten ist hier gedacht.
Nur noch der Schlange zu gedenken.
So wollte sie dem Jupiter
Auch eine frische Rose schenken.
Allein, der Götter Oberherr
Sprach zornig: Geh aus meinen Augen,
Du hast ein tückisches Gemüt.
Wie schön auch deine Gabe sieht,
So kann sie doch für mich nicht taugen;
Weil tödlich Gift darinnen steckt,
Womit sie schon dein Mund befleckt.
Was andre Tiere mir geschenkt,
Das ist mir angenehm und lieb,
Weil sie ein treugemeinter Trieb
Und redliches Herz dazu gelenkt.
Du aber bist aus Heuchelei
Und böser Absicht hergekrochen,
Und hast aus keiner Lieb und Treu
Die Rose von dem Stock gebrochen.
Drum geh mit deiner Gabe hin,
Ich werde mich doch nicht bequemen,
Dieselbe von dir anzunehmen;
Weil ich kein Freund der Bösen bin.
* * *
Gott sieht bei unsern guten Werken
Nur wie das Herz beschaffen ist.
Läßt Sünde, Bosheit, Trug und List,
Sich in desselben Tiefe merken,
Dann ist ihm das nicht alles gut,
Was so ein Böser gutes tut.
Wer Rosen zwar im Maule trägt
Doch Gall und Gift im Herzen hegt,
Der ist in seinem Angesicht
Nur ein geschminkter Bösewicht.
Sein Gottesdienst und Kirchengehn,
Nebst scheinbar frommen Heuchelminen
Sind, glaubt er es selbst noch nicht,
Doch einzig nur drauf abgesehn,
Sich Zorn und Hölle zu verdienen.
Ein gutes Werk von bösen Seelen,
Ist Übeltaten beizuzählen.
LXXII.
Der Krebs und der
Fischreiger
Ein Reiger war am Fluß gegangen,
In der Hoffnung, etwas sich zu fangen,
Das für den Hunger dienlich wär'.
Da kroch ein großer Krebs daher.
"Du," schrie er, "kommst mir gleich zurecht,
Jetzt hab ich eben große Lust,
Daß ich etwas verzehren möchte,
Daher du mich nun sättigen mußt."
"Nein!" rief der Krebs, "ich kann mich wehren,
Wie? schreckt dich mein Harnisch nicht?
Scheust du dich nicht vor meinen Scheren?
Geh, such dir ein anderes Gericht,
Du sollst und darfst mich nicht verzehren."
"Dein Harnisch ist zwar fest und gut,"
Ließ sich darauf der Reiger hören.
"Allein es fehlt dir Geist und Mut;
Du hast sogar wie mir bekannt
Und ich schon mehr bei Krebsen fand,
Kein Herz in deinem kalten Leibe;
Drum laß es nur gutwillig zu,
Daß ich, trotz deinem Widerstand,
Jedoch bei meinem Vorsatz bleibe
Und meinem Hunger Genüge tu.
Die Mittel sind mir längst verliehen,
Dir deinen Harnisch auszuziehen."
Und damit hat er ihn zerstückt,
Und durch den Schlund hinabgeschickt.
* * *
Wie mancher scheint ein großer Held,
Und schreckt die Welt mit Stahl und Eisen,
Doch soll er Heldenmut erweisen,
Da ist es um da Herz schlecht bestellt!
Bei festen Küraß, Helm und Degen
Ist öfters doch kein Herz zugegen.
Weil mancher für den Feind erschrak,
Ob er ganz gleich im Eisen stak.
LXXIII.
Der Schiffer und der
Bürger
Ein Schiffer trat einst an das Land,
Woselbst er einen Bürger fand,
Den er vor diesen wohl gekannt.
Der sprach zu ihm: "Spürst du kein Grauen,
Der ungetreuen See zu trauen?
Ein daumendickes Brett allein
Ist zwischen deinem Tod und Leben
Ein leichtverrückter Grenzstein;
Drum wär mein wohlgemeinter Rat,
Ein solches Handwerk aufzugeben,
Das stets den Tod zur Folge hat.
Wo ist dein Vater denn geblieben?"
"Ein Seesturm hat ihn aufgerieben,"
Sprach drauf der Fischer, ja sogar
Sein Vater, nebst den Vätern allen,
So weit man nur gedenken kann,
Sind nach und nach ins Meer gefallen;
Weil jeder auch ein Schiffer war.
"So ist ja," fing der Bürger an,
"Die Torheit dir nicht zu verzeihen,
Daß du daher kein Beispiel nimmst,
Die ungeheure See zu scheuen,
Wo du dem Tod entgegen entgegenschwimmst."
"Gut!" sagt jener," du hast recht;
Doch nun verlangt mich auch zu wissen,
Wo denn dein väterlich Geschlecht,
Von Glied zu Gliede sterben müssen?"
"Wo anders?" war des Bürgers Wort,
"Als auf dem Land, und in den Betten?"
"So geh gleich," rief der Schiffer, "fort,
Und such dein Leben zu erretten!
Wirst du nicht Bett und Land vermeiden,
So mußt du auch daselbst verscheiden.
Der Tod ist jedem zuerkannt,
Mir auf der See, dir auf dem Land.
Ich sterbe im Schiff, und du im Haus,
Läuft beides nicht auf eins hinaus?"
* * *
Dem Tode kann man nicht entweichen
Inzwischen er in uns selbst wohnt.
Drum weis er alle zu erreichen,
Und niemand bleibt von ihm verschont;
So wohl zu Land, als auf den Wellen,
Pflegt er uns listig nachzustellen.
Kein Ort ist sicher auf der Welt,
Allwo er uns nicht überfällt.
LXXIV.
Die von dem Apollo
lächerlich abgeführten
allzugenau nachforschenden Rhodier
Zu Rhodos hielt man Tag vor Tag
Im Pallastempel Freudenfeste,
Wobei die Schar der Opfergäste
Gewöhnlich stark zu trinken pflag.
Nun wäre einmal der Rebentrank,
Den sie zu häufig eingegossen
Nach der Natur gewohntem Zwang,
Durch einen wohlbekannten Gang
Gern wiederum hinweggeflossen.
Doch weil sie kein Gefäß hatten,
Daß man hierzu sonst brauchen kann;
So riefen sie den Phöbus an,
Die Freiheit künftig zu gestatten
Daß sie, zur Notdurft der Natur
Ein solch Geschirr mit sich nehmen,
Wenn sie zum Schmaus in den Tempel kämen.
Ja sprach Apollo, tut es nur.
Wir danken, sagten die. Allein,
Du mußt uns auch zugleich bescheiden,
Solls kupfern oder tönern sein?
Schweigt! rief er zornig, keins von beiden.
* * *
Die, welche nur darauf befließen,
Auch die geringste Kleinigkeit
Und jedes Dings Beschaffenheit
Aus Vorwitz, zu genau zu wissen,
Und durch ein ängstlich-forschend Fragen
Die Ohren unaufhörlich plagen,
Die merken dieses Lehrgedicht:
Denn wer mehr fragt, als sich gebührt,
Wird billig spöttisch abgeführt,
Und bekommt auf nichts Bericht.
LXXV.
Der Hahn und der Fuchs
Es saß ein Hahn auf einer Planken,
Doch unten ging ein Fuchs vorbei.
Mit diesem fing er an zu zanken,
Und rief mit gräßlichem Geschrei:
"Geh, packe dich du Straßenräuber,
Du tückisches und böses Tier,
Und Mörder meiner liebsten Weiber,
Nur fort! entweich alsbald von hier!"
"Freund," sprach der Fuchs, "die Lästerworte
Entspringen nicht so wohl von dir,
Als vielmehr von dem sichren Orte,
An dem ich dir nichts schaden darf.
Doch gleicht dein Herz deiner Zunge;
So komm zu mir herabgesprungen
Und rede nah mit mir so scharf,
Dann will ich dir auch etwas erzählen;
Dort ist es keine Kunst zu schmähen."
* * *
Bei sicherer Gelegenheit
Macht sich auch ein Verzagter breit,
Und läßt oft raue Worte fallen.
Doch wenn er sich verlassen sieht,
Dann läßt er gleich sein hartes Lied
Aus einem weichen Ton erschallen.
Daß mancher trotzig und verwegen,
Ergrimmt und eisenfresserisch tut,
Ist nicht so wohl am Herz und Mut,
Als an dem sichern Ort, gelegen.
Von festen Schlössern und Basteien
Läßt sich es gut auf die Feinde schreien.
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