LXXVI.
Die Spinne und die Schwalbe
Die Spinne sah mit Mißvergnügen,
Wie öfters eine Schwalbe kam
Und, durch den Raub der besten Fliegen,
Ihr Unterhalt und Nahrung nahm.
Dies, sprach sie, kann ich nicht mehr leiden,
Ich will dir die Gelegenheit
Du Nahrungsdieb, gar bald beschneiden.
Drauf zog sie in Geschwindigkeit
Ein Netz vor die zerbrochnen Scheiben,
Wodurch die leichte Schwalbe flog;
Hier dachte sie, wird sie hangen bleiben,
Wiewohl sie sich gar sehr betrog.
Denn als die Schwalbe wiedergekommen,
Hat sie das Netz, weil es nicht hielt,
Zusammen mit der Spinne fortgenommen:
So war die Rachsucht schlecht gekühlt.
* * *
Wenn Schwächre sich an Stärkern rächen,
Pflegt es nicht anders herzugehn.
Wo Nachdruck und Gewalt gebrechen,
Da läßt sich's schwerlich widerstehn.
Ein Zorn, der ohne Kraft und Macht,
Tobt nur umsonst, und wird verlacht.
LXXVII.
Die unbesonnenen
kleinen Fische
Ein Koch wollte kleine Fische sieden,
Und las dazu die besten aus.
Damit sie nun den Tod vermieden,
So sprangen sie zum Topf heraus.
Allein der Sprung war schlecht geraten,
Sie fielen in die Glut hinein,
Und mußten nun mit größrer Pein
Auf den durchglühten Kohlen braten.
Sie wollten heißes Wasser meiden,
Und mußten nun gar Feuer leiden.
* * *
Viele suchen einem kleinen Leid
Aus Übereilung zu entfliehen,
Und pflegen mehr Beschwerlichkeit
Dadurch sich öfters zuzuziehen.
Man fällt, das Sprichwort zu erfüllen,
Meist aus Charybden, in die Skyllen.*
*Die Redewendung "zwischen Skylla
und Charybdis"
steht für eine Situation, in der man sich
zwischen zwei
Gefahren befindet.
Weicht man der einen Gefahr aus,
begibt man sich in die andere.
+++++++++++++++++++++++++++++++
Zum besseren Verständnis des
oben erwähnten Sprichwortes:
Über Skylla gibt es verschiedene
Sagen.
Nach einer Sage
soll sie einst ein schönes Mädchen gewesen sein,
die Tochter des Flußes Krataiis.
Glaukos liebte sie, doch die Zauberin Kirke war eifersüchtig,
da sie selbst Glaukos liebte.
Und so vergiftete Kirke das Meer, in dem Skylla gerne badete.
Als diese wieder aus dem Wasser stieg, war sie entstellt,
denn es wuchsen ihr aus dem Unterleib sechs Hundeköpfe und
zwölf Hundefüße.
Fortan war Skylla bestrebt, das ihr angetane Unrecht zu rächen
und
wurde
zum wilden Tier.
Die Skylla lebte gegenüber einem anderen Ungeheuer namens
Charybdis auf einem Felsen an der Meeresenge von Messina.
Zusammen sind sie zwei unvermeidliche, gleich große Übel.
Sie fraß alles, was lebte und in ihre Reichweite kam und ergriff mit
ihren
Fangarmen vor allem unvorsichtige Seefahrer, die ihr deshalb
zu
nahe kamen,
weil sie Charybdis entgehen wollten.
Als Odysseus durch die Enge fuhr, fraß sie sechs seiner
Gefährten.
+++++++++++++++++++++++++++++++
LXXVIII.
Die
lächerlich-stolze Schultheißin
Ein Weib vom Lande, deren Mann
Vor kurzem erst Schultheiß geworden,
War über diesen neuen Orden
So stolz, daß sie sich kaum besann.
Nachdem sie nun des Sonntags drauf
In ihrem Staat zur Kirche gekommen,
Stand plötzlich alles Weibsvolk auf,
Daß in den Stühlen Platz genommen.
Doch dies geschah allein darum,
Weil man das Evangelium
Vor dem Altar gleich abgelesen.
Sie aber bildete sich ein,
Es könnte wohl nicht anders sein,
Der Aufstand wär um sie gewesen.
Drum winkte sie geneigt, und sprach:
"Ihr guten Leute, tut gemach,
Laßt euch nicht in der Andacht stören.
Ihr sucht mich zwar nach Standsgebühr,
Wie es gar billig ist, zu ehren;
Allein ich kann es nicht vertragen,
Denn ich war noch vor wenig Tagen
So ein gemeines Weib, wie ihr."
Hierüber hörte man von allen
Ein Hohngelächter laut erschallen,
So daß die gute Frau, für Scham,
Die Flucht sogleich nach Hause nahm.
* * *
Mancher maßt sich fremde Ehre
Lächerlich und unrecht an,
Und steckt in dem eitlen Wahn,
Daß sie nur vor ihn gehöre,
Bis der Irrtum klar erscheint.
Alsdann muß er oft mit Schämen
Dieses trockne Wort vernehmen:
Herr, ihr wart nicht gemeint.
LXXIX.
Die vier vereinigten
Hirsche und ein Wolf
Vier Hirsche machten einen Bund,
Nie voneinander abzuweichen.
So könnte sie kein Wolf, kein Hund,
Noch andrer Feind, mit List beschleichen.
Sie nahmen, als der Bund beschlossen,
Zusammen eine Wiese ein,
Und was ein jeder trank und speiste,
Das war dem andern auch gemein.
Drum machte sie die Einigkeit
Auf ihrer Weide stark und feiste.
Auch kamen zu gesetzter Zeit
Noch stärkere und junge Sprossen
An dem Geweih dafür geschossen,
Zu ihrer größten Sicherheit.
Ein Wolf, von Hunger angetrieben,
Kam ungefähr an diesen Ort,
Und spürte bei sich sofort
Nach diesem Wildbret starkes Belieben.
O, dachte er, hätte ich einen Braten,
Wie köstlich wäre mir jetzt geraten.
Wiewohl es jetzt unmöglich scheint,
Weil diese Hirsche noch vereint;
Doch bin ich fähig, sie zu trennen,
Wird mir mein Wunsch nicht fehlen können.
Drauf ging er zu den Hirschen hin,
Und sprach verstellt: "Ihr vier Getreuen,
Ich bitt, ihr wollt es mir verzeihen,
Sofern ich euch beschwerlich bin.
Ich ging von ungefähr spazieren,
Indessen bin ich sehr erfreut,
Daß ihr allhier so einig seid.
Allein darf ich ein Wort verlieren:
So tut ihr euch selbst viel zu leid;
Ihr raubt einander Gras und Weide.
Je, teilt euch doch, der Platz ist groß,
Und macht euch voneinander los,
So hat ein jeder seine Freude,
Und könnt euch dennoch stets vereinen,
So oft es euch wird nötig scheinen."
Hier sah ein Hirsch den andern an.
"Laßt," sprach ein Junger unter ihnen,
"Uns dieses guten Rats bedienen,
Die Sache scheint mir wohl getan.
Wir können uns ein wenig scheiden,
Und jeder für sich selber weiden,
Doch so, daß keiner sich zu weit
Von den übrigen zerstreut,
Damit wir, wenn wir's nötig finden,
Geschwind uns wiederum verbinden."
Drauf lief ein jeder, auf der Wiese,
Den besten Platz sich zu erkiesen,
Doch dieser der am weitesten war,
(Der war es, der den Rat erteilet,)
Ward von dem schlauen Fuchs ereilet,
Und schrie in seiner Todesgefahr:
Hätte ich nicht bösen Rat gegeben,
So käme ich jetzt nicht um mein Leben.
So geht's wenn man den Feinden traut,
Und erst nicht auf ihre Absicht schaut.
* * *
Wofern ein Feind die Bundesgenossen,
Die wider ihn den Krieg beschlossen,
Durch Eigennutz und Argwohn trennt;
Dann ist Gewalt und Macht zerronnen
Und er hat schon viel gewonnen,
Daß er den Sieg sich zuerkennt.
Geteilte Kraft ist schwach und schwindet.
Ein Körnlein Pulver aus dem Pfund
Macht einen weder tot noch wund,
Wenn man es einzeln losgezündet.
Allein das ganze Pfund zusammen
Setzt wohl das größte Haus in Flammen.
LXXX.
Die Spinne und ihre
Jungen
In einer prächtigen Kapelle,
Die von Porphyr und Marmorstein,
Gold, Silber und der Lampenschein,
Nebst andern Zierrat, reich und helle,
Hatte eine Spinne sich versteckt
Und unlängst junge Brut geheckt.
Für wen ist all diese Pracht
Und dieses ganze Haus gemacht?
Sprach einst das Älteste von den Jungen.
Was fragst du? fiel hierauf ihr Wort,
Für mich allein ist dieser Ort
So prächtig in die Höh geführt,
Und so vortrefflich ausgeziert.
Indessen wurde schon gesungen,
Bei Saiten, Pfeif- und Orgelton.
Da fragte wiederum der Sohn:
Und dies ist Mutter, auch für dich?
Ja freilich, sprach sie, ist's für mich.
Als endlich nun von vielen Leuten
Der Tempel angefüllt war:
Was? Mutter, hat die große Schar,
(Rief hier der Kleine,) zu bedeuten?
Der Zulauf, sprach sie, ist geschehn,
Mich und mein künstliches Netz zu sehn.
Kurz, alles was man sah und hörte,
Ja was man spielte, sang und sprach,
War ihrer albernen Meinung nach
Deswegen da, daß es sie ehrte.
So schändlich reizten sie die Triebe
Der unverschämten Eigenliebe.
* * *
Wie mancher, der sich selbst gefällt
Und in sein eitles Ich verliebt,
Meint: Alles was sich auf der Welt
Bisweilen sonderlich begibt,
Sei nur allein für sie bestellt.
Doch sind besonders diesen Wahn
Die, welche mit entkernten Schalen
Geschminkter Heuchelandacht prahlen,
Aus Selbstvergötterung zugetan;
Die meinen, Gottes Angesicht
Sei nur auf sie gerichtet.
Da gibt es Wunderzeichen, Träume,
Da rauscht umsonst kein Blatt der Bäume,
Da schreit kein Kauz, da kräht kein Hahn,
Da quakt kein Frosch, es geht sie an.
Das Schicksal hat sonst nichts zu schaffen,
Als nur allein mit solchen Affen.
LXXXI.
Der Fuchs und der Hase
Ein Fuchs war nunmehr von den Hunden,
Die ihm schon heftig zugesetzt,
Und fast zwei Stunden lang gehetzt
Beinahe völlig überwunden;
Da schrie er in der Todesnot:
Ach! schenkt mir doch mein armes Leben,
Was nützt euch denn mein Blut und Tod?
Mein Fleisch kann wenig Labsal geben,
Weil ich schon längst nicht recht gesund,
Und mich die Schwindsucht heftig plagt:
Dort aber liegt ein Hase im Grund,
Der ist es wert, daß man ihn jagt,
Weil sein Wildbret, wie ihr wißt,
So schmackhaft, zart und niedlich ist,
Daß selbst Fürsten sich nicht schämen
Ihn auf die Tafel gern zu nehmen.
Dem Fuchs gelang nun seine List.
Doch als der Hase dies vernahm,
Wie ihn der Fuchs herausgestrichen,
War er schon vorher ausgewichen
Eh noch die Schar der Hunde kam;
Drum konnte sie ihn nicht erlangen.
Doch als auch alles für Gefahr
Der Hunde wieder sicher war,
Ist gleich der Hase zum Quartier
Des Fuchses zornig hingegangen
Und sprach: "Ich dank euch sehr dafür,
Daß ihr die Freundschaft mir erwiesen,
Und mich den Hunden angepriesen.
Doch bitt ich, kann es möglich sein,
So stellt das Lob in Zukunft ein.
Ein solches Lob steht mir nicht an,
Das mir das Leben kosten kann."
"So!" sprach der Fuchs, "ist dies mein Lohn?
Wird meine Wohltat so vergolten?
Wie rau klänge erst alsdann dein Ton,
Wenn ich dich ungefähr gescholten?
Doch Undank ist Lohn der Welt,
Wie das zu wahre Sprichwort hält."
* * *
Die Feinde die uns hämisch loben,
Sind stets von größrer Schädlichkeit,
Als die aus offenbarem Neid
Hass und Verfolgung auf uns toben.
Ein Lob das uns Gefahr erweckt,
Ist tödlich Gift, mit Gold bedeckt.
LXXXII.
Das zweifache Gift
ohne Schaden
Ein Weib wollte ihren Mann vergeben,
Und gab ihm Gift im Essen ein,
Daher litt er zwar große Pein;
Doch blieb er noch dabei am Leben.
Sie aber suchte die Natur
Durch ein stärkeres Gift zu schwächen,
Und gab ihm fließenden Merkur;*
Allein, darauf kam ein Erbrechen
Und er ward dadurch ganz gesund.
Inzwischen zu seinem größten Glücke,
Trotz seines bösen Weibes Tücke,
Ein Gift dem andern widerstand.
* * *
Der, den Gott will erhalten wissen,
Kann in Gefahr nicht untergehn,
Und sollten ihm, wie hier geschehn,
So gar zwei Gifte helfen müssen.
*oder
Mercurius vivus. Früher glaubte man, dieses Mittel wäre
tödlich.
Heute weiß man es anders und man verwendet dieses
Mittel in der
Homöopathie gegen Halzschmerzen.
LXXXIII.
Der krank gewesene Eber
an die versammelten Tiere im Walde
Als sich die Tiere, jung und alt,
In einem dichtbewachsenen Wald
Zur Sommerzeit, im Schatten kühlten,
Und freundliche Gespräche hielten,
Sprach ungefähr ein wildes Schwein
Auch mit bei der Gesellschaft ein,
Das bis jetzt krank gewesen,
Und ist erst wiederum genesen.
Wo hast du denn bisher gesteckt?
So hörte man die Tiere fragen.
Man hat ja in so vielen Tagen,
Ja Wochen, nichts von dir entdeckt.
"Ja freilich! Bei sechs Wochen lang,"
Sprach drauf der Eber, "lag ich krank,
Und bin nicht aus dem Busch gekrochen.
Ich habe mich mit Angst und Zwang
Des Tages wohl zehnmal gebrochen.
Und alles was ich von mir gab,
Hat so entsetzlich schlimm gerochen,
Daß den unleidlichen Gestank,
(O wüßte ich ihn recht zu benennen!)
Mein Weib auch nicht vertragen können.
Noch gingen von mir Würmer ab,
Die, weil sie rot und rau, mit Grauen
Und ekelhaftig anzuschauen.
So brach auch aus dem rechten Ohr
Ein grünlich- gelb Geschwür hervor."
"Halt!" fielen hier die Tiere ins Wort,
"Wir wollen von was andern sprechen,
Sonst müssen wir uns selbst noch brechen.
Geh du mit deiner Zeitung fort!
Hast du uns darum zugesprochen,
Zu melden, wie du dich gebrochen.
So geh, und packe dich nach Haus,
Und leg den Kram den Schweinen aus."
* * *
Wie schlecht die Fabel nach dem Schein,
So kann sie dennoch Vorteil geben:
Wir fehlen im gemeinen Leben
Oft gleich so stark, wie hier das Schwein.
Der Wohlstand wird gar oft verletzt,
Wenn man sich in Gesellschaft setzt,
Und aufs genaueste her erzählt,
Wie uns die Krankheit, die wir litten,
Vom Anfang bis zum Schluß gequält.
Wie es uns im Gedärm geschnitten,
Wie man geschwitzt und purgieret,
Was drauf die Pillen abgeführet.
Und was dergleichen Umstand mehr,
An welchem niemand was gelegen.
Und das sonst keinen Nutzen schafft,
Als, weil es allzu ekelhaft,
Verdruß und Grauen zu erregen.
Dies rührt von Eigenliebe her.
Wir sprechen gern von unsren Dingen,
Und wenn es noch so schmutzig wär,
Sucht man es doch hervor zu bringen.
Weil uns viel an uns selbst liegt,
So meinen wir, daß die uns hören,
Und auch so, wie wir uns verehren.
Doch ist's ein Wahn, der uns betrügt.
Es sehen wahrlich fremde Leute
Uns nie mit unsern Augen an.
Drum gebe man ja fleißig Acht,
Und rede von sich mit Bedacht;
Damit man niemals aus der Bahn
Des Wohlstands unbesonnen schreite,
Wie es allhier das Schwein gemacht.
Hast du geschwitzt und purgiert,
Und Besserung dadurch verspürt,
So ist es gut für dich: Allein,
Du mußt es darum nicht erzählen,
Und die Gesellschaft damit quälen;
Sonst wirst du ihr zuwider sein.
LXXXIV.
Die daheim erzogene noch
unwissende Maus
Ein Mäuslein stak in einem Kasten,
Der voll von Weizenmehle war.
Da saß es sicher vor Gefahr
Und hatte niemals Not zu fasten.
Es war auch mit demselben Stand,
Den ihm des Glückes Gunst beschieden,
Vollkommen in sich selbst zufrieden,
Weil ihm die Welt noch unbekannt.
Doch als es auf des Kastens Grunde
Ein ungebohrtes Astloch funde,
Faßt es ein Herz und kroch heraus.
Da kam es in ein schönes Haus,
Und fand so manche süße Speise:
Rosinen, Mandeln, Zucker, Feigen,
Auch Honig, Met und Malvasier,
Und anderes mehr, das wir verschweigen.
Wie glücklich, rief es, bin ich hier!
Wie wohl bekommt mir meine Reise,
Was war ich vorher ein dummes Tier,
Ich meinte, daß mein Mehlgehäuse
Die ganze Welt und alles sei.
Doch nun ist dieser Wahn vorbei.
Man kann auch anderswo gut leben,
Fahr wohl mein Kasten, gute Nacht.
Der feste Schluß ist nun gemacht,
Die alte Wohnung aufzugeben.
* * *
Ein jeder liebt sein Vaterland
Und lobt es vor andern Ländern.
Doch macht er sich die Welt bekannt,
So wird er bald die Meinung ändern.
Man lebt auch anderswo vergnügt,
Als wo die Mütter uns gewiegt.
Allda, wo man vergnügte Stunden
Und Lebensnahrung haben kann,
Dort ist das Vaterland gefunden,
Dort trifft man die Geburtsstadt an.
LXXXV.
Das Mutterpferd und
Schwein
"Du bist wahrhaftig nicht viel wert,"
Sprach einst ein Schwein zum Mutterpferd.
"Wenn du ja einmal trächtig bist
So pflegst du nur mit Müh und Plagen
Ein Fohlen meist zur Welt zu tragen,
Da es bei mir ganz anders ist.
Sechs, sieben, auch wohl noch mehr Jungen
Sind auf einmal von mir entsprungen.
So groß ist meine Fruchtbarkeit.
Tut dir das nicht im Herzen leid?"
"Nein," ließ das Pferd zur Antwort hören,
"Du steckst in einen eitlen Wahn.
Wahr ist's, du kannst die Welt vermehren,
Doch füllst du sie mit Sauen an.
Allein, ich hab ein einzig Kind,
Doch ist's ein Pferd von edlem Blute,
Von Feuer, Tugend, Kraft und Mute,
Das einst vielleicht den Preis gewinnt.
Was aber nutzet deine Brut?
Als daß man sie bald schändlich schlachtet.
Drum, wer der Dinge Wert betrachtet,
Fragt nicht, wie viel? er fragt, wie gut?"
* * *
Es macht ein reicher Ehesegen
Ein Haus nicht allezeit beglückt,
Zumal, wenn Kinder ungeschickt,
Und keinen Trieb zur Tugend hegen.
Ein einzig wohlgeratnes Kind
Macht seinen Eltern größre Freuden,
Als wo zwar viele Kinder sind,
Die aber nicht die Laster meiden.
LXXXVI.
Das Buch und der
Zahltisch
"Ich nur," sprach einst ein Buch voll Witz,
"Kann Geld und Glück den Menschen geben
Und sie zum höchsten Ehrensitz
Bei Großen dieser Welt, erheben.
Noch mehr, es hat die Wissenschaft
Auch eine solche starke Kraft,
Daß sie auch nach dem Tode leben."
"Nein!" schrie der Zahltisch aus dem Winkel,
"Verzeiht mir Herr, es ist nur Dünkel,
Gelehrte werden selten reich.
Ein kalter Herd und magre Brühen
Sind ihnen meistens verliehen,
Kein Buch kommt mit mir in Vergleich."
* * *
War ist's, daß Ehre, Rang und Mittel,
Der Torheit oft entgegengehn,
Wenn wahre Weisheit in dem Kittel
Muß frieren und zurück stehn.
Die Knechte sitzen oft auf Roßen,
Und Weise gehen zu Fuß einher.
Allein, nun wird noch nicht geschlossen,
Als ob der Diener besser wär.
Das Glück läßt die schlechten Ballen
Oft steigen, und die Guten fallen.
Gesetzt, daß die Gelehrsamkeit
Nicht Wagen und Paläste zimmert,
Auch nicht in Gold und Silber schimmert,
Noch überflüssig Glück verleiht.
Genug, daß sie unsern Willen bessert,
Und des Verstandes Nacht verklärt,
Und unsre Seelenruhe vergrößert,
Die stets ein Tor umsonst begehrt.
Drum besser Weisheit ohne Geld,
Als Torheit, die mit Gold geschmückt.
Es wird nun selten auf der Welt
Die alte Billigkeit erblickt,
Da sich Verdienst und Glück gesellt.
LXXXVII.
Die Nachtigall am
unrechten Orte
In einem kleinen Wald saß eine Nachtigall,
Und zeigte täglich ihre Gaben
Durch einen wundersüßen Schall.
Allein es wohnten lauter Raben
Um sie herum in diesem Hain.
Die schrieen immer gräßlich drein,
Und wollten ihren Ton nicht hören,
Noch auch die Sängerin verehren.
Ja ihr entzückender Gesang
War ihnen oft ein Übelklang.
Die Nachtigall betrübte sich
Bei diesen Nachbarn inniglich.
Doch wollte sie der Nahrung wegen,
Weil sie manch fettes Würmchen fand,
Die Wohnung in ein ander Land,
Mit Unbedacht, noch nicht verlegen.
* * *
So schlimm ist ein Gelehrter dran,
Wenn er an einem Orte sitzt,
Wo ihm die Wissenschaft nichts nützt,
Weil er nicht Umgang haben kann.
Er muß daselbst sein Pfund versenken,
Und öfters mit Betrübnis sehn,
Daß ihn die dummen Bürger schmähn
Und mit dem groben Vorwurf kränken,
Als ob nur Grillenfängerei
Der Endzweck seines Lebens sei.
LXXXVIII.
Der unvorsichtige Mann
in Austilgung des Unkrauts auf seinem Kornacker
Ein Mann besaß ein Stück Land.
Nachdem das Korn nun aufgegangen,
Sah er betrübt auch nach der Hand
Das Unkraut starken Wuchs erlangen.
Hierauf war er mit Ernst bedacht,
Dasselbe fleißig auszuziehen.
Doch hätte dieses sein Bemühen
Das ganze Feld bald kahl gemacht.
Das Unkraut ganz hinwegzuräumen,
Ergriff er auch die guten Keime.
Weil beides sich genau verband,
Und eines nah beim andern stand.
* * *
Das Lasterunkraut auszujäten
Erfordert viel Behutsamkeit,
Damit wir nicht zur gleichen Zeit
Den Tugenden zu nahe treten,
Inzwischen die Laster insgemein,
Nah an der Tugend Grenzen sein.
Der will die Grausamkeit ersticken,
Und raubt, aus naher Nachbarschaft,
Auch der Gerechtigkeit die Kraft.
Der will den Geldgeiz unterdrücken,
Und tilgt zugleich in seinem Haus
Die Sparsamkeit zu hitzig aus.
So pflegt es ferner herzugehen,
Wenn man die Laster untertritt
Trifft man die Tugenden oft mit,
Weil beide nah beisammenstehen.
LXXXIX.
Die zwei jungen Hunde
von
einerlei Eltern, aber ganz unterschiedlichen Eigenschaften
Es kamen zwei junge Hunde,
Von guten Eltern an das Licht.
Ein Mann nun, der die Jagd verstunde,
Hat beide fleißig abgericht.
Und suchte sie durch viel Bemühn
Zum edlen Weidwerk zu erziehn.
Der eine nun von diesen Brüdern
War feurig, munter, leicht von Gliedern,
Und spürte mit der scharfen Nasen
Von selbst nach Hühnern und nach Hasen.
Allein der andere lag und schlief.
Es war kein Trieb noch Lust vorhanden,
Und wenn ein Fuchs vorüber lief,
Wär er doch drum nicht aufgestanden.
Und also war die gute Zucht
Bei ihm ohne allen Nutz und Frucht,
Weil ihn kein edler Trieb beseelte,
Und die Natur ihm gänzlich fehlte.
* * *
So pflegen sich auch in den Kindern,
Der Eltern Gaben zu vermindern.
Sie sind von einerlei Geblüte,
Doch nicht von einerlei Gemüte.
Man sieht gar oft das Widerspiel
An angebornen Trieb und Geiste.
Die Auferziehung tut zwar viel,
Doch die Natur das allermeiste.
XC.
Der Löwe und die Schlange
Ein Löwe, welcher alt von Jahren,
Und schon ganz grau von Bart und Haaren,
Sank endlich einmal krank und matt
Aus seine düstre Lagerstatt.
Hierauf nun ward bei der Gefahr
Dem ganzen Hofe heftig bange.
Daher rief man gleich nach der Schlange,
Die sonst des Löwen Hausarzt war.
Dieselbe ließ nun nichts erwinden,*
Manch heilsam Mittel auszufinden.
Doch wurde die verlorne Kraft
Dadurch nicht wieder hergeschafft.
Die Jugend, die einmal vergangen,
War nun nicht wieder zu erlangen.
Drum war die Müh umsonst getan,
Und nicht mehr fähig anzuschlagen,
Der Löwe starb in wenig Tagen.
Allein drauf ging das Lärmen an,
Die Schlange, hieß es, nur die Schlange
Ist schuld an seinem Untergange.
Hätt sie ihm dies und das gegeben,
So würde noch der König leben.
Er war so stark sonst von Natur,
Drum starb er bloß durch üble Kur.
* * *
So pflegt es meistens herzugehn,
Wenn Kranke wiederum genesen,
Ist die Natur dran schuld gewesen.
Allein, verlieren sie das Leben,
So wird dem Arzt die Schuld gegeben,
Der soll dem Tode widerstehn.
Wie ungerecht ist dies Verfahren,
Als ob ein schwacher Patiente,
Von fünfzig oder sechzig Jahren,
Nicht endlich einmal sterben könnte.
Allein was ist hier Ursach dran?
Der Eigennutz und Eigenliebe
Wünscht, daß man diese nie begrübe,
Die uns bisher wohlgetan.
Daher weis man sich nicht zu fassen,
Wenn sie durch Alter, Schmerz und Zeit,
Nach dem Gesetz der Sterblichkeit,
Doch wider unsern Wunsch, erblassen.
Man trägt den Arzt verächtlich aus,
Daß er so ungereimt gehandelt,
Und nicht ein alt und mürbes Haus
In einen neuen Bau verwandelt.
Als fiel ihm dieses gar nicht schwer,
Des Schicksals Satzung umzukehren,
Und ob er Herr und Meister wär,
Die Ordnung der Natur zu stören.
*Ältere
oberdeutsche Schriftsteller gebrauchen dieses Wort für
aufhören, mangeln, gewinnen, arbeiten, erwerben.
XCI.
Die Traurigkeit und
die Zeit
Die Traurigkeit vergoß stets Zähren,
Der Kummer wollte, wie es schien,
Nie aus dem bangen Herzen ziehn
Und vielmehr unaufhörlich währen.
Kein Zuspruch und kein trostreiches Buch
Konnt ihren trüben Mut erfrischen.
Doch endlich brachte die Zeit ein Tuch,
Die Tränen damit abzuwischen.
Hierauf wich nach und nach das Leid,
Es stopfte sich die Tränenquelle,
Und an des bleichen Kummers Stelle,
Trat ruhige Gelassenheit.
* * *
Der Arzt, der alle Wunden heilt,
Und alle Kümmernisse zerteilt,
Ist zweifelsfrei die Zeit zu nennen.
So stark ist keine Traurigkeit,
Daß wir nicht endlich mit der Zeit,
Sie glücklich überwinden können.
XCII.
Der Geier und die Taube
Ein Geier schoß nach einer Tauben,
Und wollte sie in Hungersnot,
Zur Füllung seines Magens rauben.
Da suchte sie nun ihren Tod,
Durch schnelles Fliegen zu vermeiden.
Zuletzt erblickte sie ein Loch
In einer alten hohlen Weiden,
Worein sie sich zu bergen kroch.
Doch allda war sie einer Eule,
Die drinnen auf dem Neste saß,
Und gleichfalls hungrig war, zu teile,
Als die sie, ohne Erbarmung, fraß.
* * *
Viel suchen ihren Tod zu fliehen,
Und müssen doch, durch dies Bemühen,
Dem Tode selbst entgegen ziehen.
XCIII.
Die Disteln und die Rosen
Die Distel sprach zu den Rosenzweigen:
"Ich bin doch besser, als ihr seid.
Ich kann das ganze Jahr mich zeigen,
Ihr aber dauert kurze Zeit.
Kaum seid ihr Rosen aufgeblüht,
Als man euch wieder welken sieht.
Ein Monat ist euch kaum bestimmt,
Da eure Pracht ein Ende nimmt.
Mein bunter Kopf läßt sich hingegen
Von keinem Winter niederlegen."
"Wahr ist es," war der Rosen Wort,
"Ihr Disteln dauert freilich länger.
Wir aber müssen schneller fort,
Und unsre Bleibenszeit ist enger.
Allein uns ist darum nicht bange,
Daß euch vor uns der Rang gebührt.
Man fragt vom Leben nicht, wie lange?
Nein mehr, wie wohl man es geführt."
XCIV.
Ein Schiff und ein Haus
Ein Schiff mit reichen Kaufmannswaren,
Das weit und breit umher gefahren,
Lag endlich ankerfest am Strand.
Ein Haus, das gegenüber stand,
Rief: "Nun willkommen, Freund und Vetter.
Ich wünsche Glück und bin erfreut,
Daß ihr, nach manchem Sturm und Wetter,
Hier glücklich gelandet seid."
"Was Freund und Vetter? Nein! Geselle,
Wir sind so nahe nicht verwandt."
Ließ sich das Schiff voll Eifer hören,
"Ich kenne manches Fremde Land.
Du aber kamst nie von der Stelle.
Nach Ceylon, Bandam, Koromandel,
Nach Peru, Java, Sumatra,
Nach Ormus, Siam, Bengala
Braucht mich mein Herr viele Jahre im Handel."
"Dies lautet prächtig," schrie das Haus,
"Ich muß dir billig Ehr erweisen.
Allein was kommt den nun heraus,
Was hast du den von deinen Reisen?
Zeig mir doch auch den Nutzen an,
Daß ich dich recht bewundern kann.
Hast du es dir etwa vorgenommen,
Nur hinzugehn und herzukommen?
So hast du mühsam nichts getan."
Hier schwieg das Schiff und sagte nichts.
Die Antwort soll es noch erteilen.
Es knarrte nur, statt des Berichts,
Mit den bewegten Tau und Seilen.
* * *
Welcher fremde Länder sieht,
Ohne daß er Nutzen zieht,
Ohne daß er sich erbaut
Und nur reist, daß er sie schaut,
Der ist diesem Schiffe gleich,
Das in manches fremde Reich
Um andern zu gefallen, fährt,
Und als Tor zurückkehrt.
Oder:
Welcher ohne Nutz und Frucht
Manches fremde Land besucht,
Und darum nur auswärts zieht,
Daß er obenhin was sieht,
Wahrlich, dessen Reisen
Gingen sie auch noch so weit,
Sind doch, nach der Billigkeit,
Mehr zu schelten als zu preisen.
XCV.
Der Strauß und die Gans
Ein großer Strauß ging stolz spazieren,
Allein, es kam von ungefähr
Auch eine Gans die Straße her.
"Gleich," schrie er zornig, "weich von hier,
Du albern und verächtlich Tier,
Ich will dich sonst von hinnen führen.
Wie elend bist du gegen mich.
Sieh meinen schönen Federnstrauß!
Mit diesen ziere ich oft die Köpfe
Von Königen und Fürsten aus;
Bin ich nun nicht ein schönes Geschöpf?"
"Ein großes Geschöpf, sprich vielmehr,"
Rief hier die Gans, "du prahlst zu sehr
Mit deinen Federn: Aber sage
Mir gründlich Antwort auf die Frage:
Wozu sind denn dieselben gut?
Als bloß zur Pracht und Übermut,
Die Hüte damit aufzustutzen,
Und Schlitten- Pferdezeug zu putzen.
Ich habe gleichwohl Federn auch,
Für bessern Nutzen und Gebrauch."
"Vielleicht zu alten Flederwischen,"
(Schrie hier voll Grimm der Strauß dazwischen.)
"O nein! fuhr jener weiter fort,
Laß dies Gespött an deinen Ort.
Es haben meine Federkiele
Vielmehr den Nutzen der Welt zum Ziele.
Daß Wissenschaft und Künste blühn,
Daß Treu und Glauben noch zu finden,
Recht und Gerichte nicht verschwinden,
Und tausend andre Vorteil mehr,
Die kaum mit Sinnen zu ergründen.
Die stammen von der Feder her,
Und werden durch den Kiel verliehn.
Denn jeder weis, was kluge Schriften
Für ungemeinen Nutzen stiften."
* * *
Was zu der wahren Wohlfahrt führt,
Es sei auch noch so schlecht und klein.
Wird dennoch stets viel besser sein,
Als das, was nur von außen zieret.
XCVI.
Der Regenbogen und die
Sonne
Das Wetter hatte sich verzogen,
Und nun der Donner ausgekracht,
Da zeigte sich ein Regenbogen
In schöner bunt gefärbter Pracht.
Ein jeder blieb bei ihm entzückt,
Mit unverwandten Augen stehn.
Da ward er stolz und rief: "So schön
Hab ich mich selbst ausgeschmückt."
Die Sonne hörte dieses an,
Die ihm gleich gegenüber strahlte.
"So!" sprach sie, "hast du es getan,
Warst du es selbst, der dich so malte?
Mich dünkt, ich trug das meiste bei,
Daß deine Farben sichtbar waren,
Und jetzt sollst du gleich erfahren,
Daß dies die lautre Wahrheit sei.
Wo ich nicht bin, da mußt du darben."
Darauf verbarg sie ihren Schein.
Gleich ging der Regenbogen ein,
Und kam um alle seine Farben.
* * *
Mensch! rühme dich nicht deiner Gaben;
Du hast ja von dir selber nichts.
Denn alles, alles was wir haben,
Stammt von dem Urquell jenes Lichts.
Wo Gott uns seinen Schein entzogen,
Vergehen wir, wie der Regenbogen.
XCVII.
Die
unglücklich rebellierenden Bäume
im Walde
Was stehen wir so manches Jahr
In diesem Wald als angebunden,
Worin wir so viel Gefahr,
Frost, Hitze, Sturm und Wind empfinden?
Auf! laßt uns die Gelegenheit
Nun auch einmal erwünscht ergreifen,
Das alte Joch der Dienstbarkeit
Von unsren Hälsen abzustreifen.
So schrie der größte Teil vom Wald.
So riefen Eichen, Birken und Buchen.
Sie alle wollten alsbald
Nun ihre Freiheit völlig suchen.
Sie machten sich drauf wurzellos,
Und wollten aus dem Walde wandern.
Allein da setzt es manchen Stoß,
Der eine Baum fiel auf den andern.
Der brach den Arm, und der ein Bein,
Die Wurzeln nämlich, und die Äste.
Der büßte gar den Wipfel ein,
Und dem hielt gar der Stamm nicht fest.
Mit einem Wort, sie lagen da
Gestaucht, beschädigt und zerschmettert,
Zersplittert, nackend, und entblättert,
So, daß man seinen Jammer sah.
Drauf kam der Herr des Waldes her,
Und ließ sie vollends gar zerschlagen,
Zerspalten und nach Hause tragen,
Damit der Herd versorget wär.
Hier hörte man von einer Eiche,
Als sie jetzt die letzten Streiche
Von der geschärften Axt empfand:
O wären wir in unsrem Stand
Und in alter Ordnung stehen geblieben!
So würden wir mit, rauen Hieben,
Jetzt nicht so schändlich aufgerieben.
Doch unser Aufruhr ist es wert,
Daß uns dies Unglück widerfährt.
* * *
Obrigkeit und Ordnung fluchen,
Unerlaubte Freiheit suchen,
Außer seinem Stande gehen,
Und dem Schicksal widerstehn,
Wird gewisses Unglück bringen.
Denn die Strafe folgt der Schuld
Frecher Aufruhr und Tumult
Wird Rebellen nicht gelingen.
XCVIII.
Der Rabe und der
welsche Hahn
Ein Rabe sprach zum welschen Hahn:
"Wie steht es um ein gutes Leben?
Mein werter Bruder, sag es an!"
"Wie? Darfst du mir den Titel geben?"
Rief hier der Hahn, du garstiges Tier,
Es tut sich zwischen dir und mir,
Es nach der Wahrheit zu gestehn,
Ein großer Unterschied dafür,
Du kannst mit deiner Freundschaft gehen!"
"Ein Unterschied? und noch dazu
Ein großer! dies wäre auszumachen,"
Sprach hier der Rabe voller Lachen,
"Stell meine Sehnsucht drum zur Ruh."
"Ja! ja! ein großer Unterschied
Ist zwischen dir und mir zu spüren.
Ich will von unsrer Lebenszeit
Und Tugendwandel nichts berühren."
Erwiderte der welsche Hahn.
"Sieh nur bloß unsern Abschied an.
Du wirst, so bald du sterben mußt,
Als totes Aas in das Feld geschmissen.
Man gönnt dir weder Sarg noch Gruft,
Vielmehr faulst du in freier Luft.
Ich aber, wenn man mich geschlachtet,
Werde auch im Tode wert geachtet,
Und als ein herrliches Gericht,
Zur Tafel prächtig aufgetragen,
Und füll oft großer Herren Magen.
Siehst du nun meinen Vorzug nicht?"
"Ei freilich! Ja, ich kann ihn schauen,"
Sprach hier der Rabe, "denn fürwahr
Es ist ja wie die Nacht, so klar.
Doch unter uns und in Vertrauen,
Vernimm kurz meinen Sinn:
Du bist nicht besser, als ich bin.
Was gilt's, wenn ich und du verscheide,
Verwesen wir nicht alle beide,
Ich nur in freiem Feld und Luft,
Du in der Menschen Eingeweide,
Das ist in einer schnöden Gruft?
Was ist nun wohl daran gelegen,
Sag nun, wo hier dein Vorzug ist?
Genug ist's, daß in verschiednen Wegen,
Uns beiderseits die Fäulnis frißt.
Man mag dich gleich in des Fürsten Magen,
Mich aber auf den Acker tragen.
So müssen wir doch gleich vergehn,
Und die Verwesung überstehn."
* * *
Nach unserm Tod ist es einerlei,
Wie, und wohin, man uns begräbt.
Ob man in Silber, Zinn und Blei,
Den Körper auf den Kirchhof hebt.
Ob man auf Brettern ihn hinträgt,
Ja bloß auf die Erde legt.
Wir mögen liegen, wo wir wollen,
So müssen wir der Sterblichkeit
Und der Natur, mitsamt der Zeit,
Doch unsern Staub und Moder zollen.
XCIX.
Die Taube, ein Brifträger
und ihr Herr
Ein Mann zu Alexandria
Hatte einen Tauber aufgezogen,
Der öfters weit die Post geflogen,
Und Briefe hin und her gebracht,
Wie man es in Morgenländern tut.
Als dieses nun acht Jahre geschah,
Sollte er auch einmal Briefe bringen;
Allein er konnte sich nicht schwingen.
Der Flügel war ihm lahm,
Als er dem Habicht kaum entkommen,
Wozu auch noch das Alter kam,
Das vollends ihm die Kraft genommen.
Was? schrie sein Herr, du träges Tier,
Kannst du nicht mehr dein Amt verwalten,
So will ich dich auch nicht erhalten.
Ich jage dich demnach von mir,
Und werfe dich der Katze vor.
Drauf mußte sie der Murner fressen,
Und Dienst und Fleiß ward ganz vergessen.
* * *
Ich weis, ein jeder sieht den Mann
Als rau und unerkenntlich an;
Allein die Fabel trifft noch täglich
Auch leider! bei uns Christen ein.
Wenn Tier und Diener kraftlos sein,
Und sie die Last des Alters drückt
So sind sie uns gleich unerträglich,
Und werden stracks hinweg geschickt.
Die alten Tiere läßt man sterben,
Und alte Diener fast verderben.
Das ist ja billig tadelhaft,
Als ob ein Mensch dafür was könnte,
Wenn ihm das Alter nicht die Kraft
Der starkgewesnen Jugend gönnt.
Wo bleiben dann die Dankbarkeit
Erbarmung, und mehr Christenpflichten?
Ich fürchte, daß nach dieser Zeit
Uns dermaleinst die Türken richten,
Die wahrlich christlicher, als wir;
Indem sie jedes alte Tier,
Das ihnen treu gedient, verpflegen,
Und diese gute Lehre hegen:
Was in der Jugend Nutz geschafft,
Das soll man auch im Alter leiden,
Und wegen der verlornen Kraft
Ihm Kost und Futter nicht beschneiden;
So, wie es die Erkenntlichkeit
Und das Gewissen selbst gebietet.
C.
Die jungen Brennesseln
und der Gärtner
Ein Gärtner trat in seinen Garten,
Um seiner Pflanzen abzuwarten.
Da fand er Nesseln, die noch klein.
Wer, sprach er, hat euch kommen heißen?
Es wird gewiß das Beste sein,
Euch, eh ihr wachst, herauszureißen.
Damit ihr nicht den Nahrungssaft
Von nützlichen Gewächsen rafft.
Ach! riefen sie, sei nicht so streng,
Laß uns nur noch ein wenig stehn,
Wir wollen von uns selbst gehen.
Und machen wir den Platz zu eng
So ist es noch Zeit, uns auszufegen.
Der Gärtner ließ sich durch ihr flehn,
Zum Mitleid, ohne Not bewegen.
So bleibt denn, sprach er, noch hier.
Allein wenn kurze Zeit ist verlaufen,
So räumt alsdann das Quartier,
Denn sonst hilft weiter nichts dafür,
Ich komm, euch wirklich auszuraufen.
Doch was geschah? Nach wenig Tagen
Sah man den kleinen Nesselstrauß
Erwachsen in die Höhe ragen,
Ja Blüten gar und Samen tragen.
Nun, sprach er, Gärtner, rauf mich aus,
Erfülle nun dein Versprechen,
Mir wenn du kannst, den Hals zu brechen,
Und meinen Samen auszurotten,
Ich werde doch nur deiner spotten.
Es fürchtet dich ja deine Hand
Bereits vor meinen scharfen Brand.
Hast du nun Lust, mich zu zerstören,
So wag es, denn ich kann mich wehren.
Der Gärtner, der den Fehler sah,
Und seine Sanftmut jetzt verfluchte,
Wandte alle Kraft an, und versuchte,
Die böse Brut herauszuziehn.
Allein es war kein Mittel da.
Es half nun mehr kein Bemühn,
Das Unkraut war nicht mehr zu vertreiben,
Und mußte wider Willen bleiben,
Weil von den Wurzeln und dem Samen
Beständig junge Nesseln kamen.
* * *
Ein tugendliebendes Gemüte
Vertilg die Laster in der Blüte,
Denn nehmen sie erst überhand,
So ist, dieselben zu ersticken,
Und ihren Wuchs zu unterdrücken,
Die Müh meist fruchtlos angewandt.
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