Fabeln 1 - 25

 

Daniel Wilhelm Triller

geb.
10. Februar 1695 in Erfurt
gest. 22. Mai 1782 in Wittenberg

Er war ein deutscher Mediziner und Schriftsteller.
Er gab 1740 eine Sammlung von 150 Fabeln heraus: "Neue Äsopische Fabeln, worinnen in gebundener Rede allerhand erbauliche Sittenlehren und nützliche Lebensregeln vorgetragen werden."

Quelle:
Daniel Wilhelm Triller
150 neue moralische Fabeln nach äsopischer Art eingerichtet.
Hamburg 1740  Verlag Christian Herold


Prolog


Die Wahrheit, die Natur und die Dichtkunst


Die Wahrheit ging betrübt umher,
Ach, rief sie, könnt ich was ersinnen
Wodurch ich mehr vermögend wär',
Der Menschen Herzen zu gewinnen!
Denn lass ich meine Sittenlehren
Schlechtweg und ungekünstelt hören;
So spricht man davon insgeheim,
Daß sie zu rau und trocken sein:
Such ich hingegen durch Satyren
Den Sterblichen das Herz zu rühren;
So wird man zornig, flucht und schmäht.
Der Vortrag, heißt es, ist zu hitzig,
Die Schreibart viel zu scharf und spitzig,
Und wird ein Pasqillen* beigezählt
So ist mir folglich allerwegen
Ein widriges Geschick entgegen,
Daß ich nicht fähig, einzubringen,
Noch glücklich, Nutz und Frucht zu bringen.

Dies hörte die Natur und sprach:
"O lass mit deinen Klagen nach,
Du kannst noch deinen Zweck erhalten,
Doch in veränderten Gestalten;
Wähl dir aus meinen drei Reichen
Manch Gleichnis, Beispiel, Bild und Zeichen,
Nimm Tiere, Pflanzen, Holz und Stein,
Und kleide deine Lehren ein,
Ersuch die Dichtkunst, dir zu dienen,
Als sie dabei das meiste kann;
Und sieh, sie ist gleich hier erschienen,
Drum fangt das Werk nun eifrig an."

Die Wahrheit gab demnach die Seele,
Den Leib hingegen die Natur;
Die Dichtkunst aber wies die Spur,
Wie man sie beide wohl vermähle,
Und suchte scherzhaft unter Bildern,
Den Ernst der Wahrheit, abzuschildern.

So trat die Fabel drauf ans Licht,
So kam es, daß man sie erfande,
Zwar als ein Kind von Angesicht,
Doch als ein Alter am Verstande;
Man meinte wohl, daß sie zum Scherzen
Und Zeitvertreib, erfunden sei;
Jedoch brachte sie den Herzen,
Im Spielen, manche Wahrheit bei,
Denn sie war wenig für die Ohren,
Als für den Geist und Witz, geboren.

Wenn Ärzte bittre Tränke reichen,
So pflegen sie des Bechers Rand
Mit Honig listig zu bestreichen;
So ward der menschliche Verstand
Durch süße Fabeln auch betrogen,
Bis er der Wahrheit Bitterkeit,
Die er sonst von Natur gescheut,
Ganz unvermerkt hinein gezogen.

Nachdem die Wahrheit nun erfuhr,
Daß man sie dann am liebsten hörte,
Wenn sie in Fabeln Sitten lehrte;
Bat sie die Dichtkunst und Natur,
Ihr künftig ferner beizustehn.

Ja! sprachen die, wir säumen nicht,
Dir treulich an die Hand zu gehen;
Doch wenn ein saurer Cato spricht,
Als ob die Fabeln kindisch wären;
So mußt du dich daran nicht kehren,
Weil er den Kern noch nicht entdeckt,
Der in den bunten Schalen steckt,
Und da er nicht den Geist betrachtet,
Den Mann nur nach den Kleidern achtet.

*
Das bzw. der Pasquill ist eine Schmäh- oder Spottschrift,
die verfasst wird, um eine bestimmte Person zu verleumden
oder in ihrer Ehre zu verletzen.
Der Pasquillant, der Verfasser dieser Schrift, publiziert anonym
oder wählt ein Pseudonym.