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Fabeln 61 - 90
 

Vom Hanen und der Katzen
Vom Schafhirten und den Ackerleuten
Vom Adler und Rappen
Vom neidigen Hund
Von der Kräen und dem Schaf
Vom Pfauen und der Nachtigall
Vom alten Wisel und den Meusen
Vom alten Apfelbaum
Vom Löwen und dem Frosch
Von der Ameisen
Von Vögeln
Vom Kranken und dem Arzt
Vom Löwen, Esel und Fuchsen
Vom Wider und dem Wolfe
Vom Esel 1
Vom alten Weib und iren Megden
Vom Esel und Pferd
Vom Löwen und der Geiß
Vom Geier und andern Vögeln
Von Antvögelen und Kranchen
Vom Jupiter und dem Affen
Von der Eichen und dem Ror 1
Vom Fischer und kleinen Fischlin
Von der Ameisen und Heuschreken
Vom Löwen und Ochsen
Vom Weibe und dem Wolfe
Vom Schnecken und Adler
Von zweien Krebsen
Von der Sonnen und Nordenwind
Vom Esel 2

Fabel 61
Vom Hanen und der Katzen

Zu einem hanen kam ein katz
Und legt sich mit im in den hatz;
Zu fressen wolt sich understan,
Het doch kein ursach zu dem han,
Denn dass sie sprach: "Du böser vogel,
Des nachtes schlegst mit deinen flögeln,
Mit deiner stimm tustu erschrecken
Und aus dem schlaf die leut erwecken."
Da sprach der han: "Ja, das ist gut;
Ich wach und halt die leut in hut
Und tu sie stetes wacker machen,
Dass sie zur arbeit auferwachen."
Da sprach die katz: "Du böser wicht,
Lest dich dünken, seist schüldig nicht?
Du schonst nicht deiner mutter zwar,
Hasts mit deiner schwester offenbar
Zu schaffen da vor jederman:
Demnach wiltu nichts han getan."
Dasselb wolt auch der han vortedigen,
Dass in die katz nicht solt beschedigen.
Die katz sprach: "Lass ich dich vorbaß
Antwort geben auf alles das,
So hab ich warlich nichts an dir,
Das früstück must jetzt geben mir."

Wenn der boshaft ein frommen man
Denkt mit schaden zu fechten an,
So findt er wol ursach dazu,
Damit er im denn schaden tu.
Vom wolf und lamb ist oben ghört,
Wie uns die ander fabel lert.

Fabel 62
Vom Schafhirten und den Ackerleuten

Es hüt ein knab auf einer wisen,
Ließ seine schaf und ziegen bisen.
Scherzweis rief er drei oder vier:
"Der wolf, der wolf komt jetzt dorther!"
Das gschrei horten die ackerleut,
Die umb in warn zur selben zeit;
Wiewol der knabe schimpflich rief,
Dennoch ein jeder baur zulief.
Als sie nun sahen, dass der knab
An ir laufen ein lachen gab
Und sie damit nur reizen tet,
Dass er den wolf gesehen het,
Sprachen: "Des haben wir auch gnug."
Ein jeder gieng zu seinem pflug.
Zu hand des knaben scherzes art
In rechten ernst verwandelt ward.
Der wolf kam laufen zu den schafen;
Da schrei der knabe: "Waffen, waffen!
Komt mir zu hilf, der wolf ist hie!"
Da blieben bstehen alle, die
Dazumal auf dem acker warn,
Sprachen: "Hast uns genarrt zuvorn,
Dass wir umbsunst gelaufen zu;
Des magstu auch entgelten nu."

Horatius ein buben blacht,
Der sich oft krank fürn leuten macht,
Kam mit einr stelzen einher krochen,
Als ob er het ein bein zerbrochen.
Damit er oft die leut benarrt,
Bis mans zuletst auch innen ward.
Darnach on gfer ein mal geschach,
Dass er auch recht ein bein zerbrach.
Er rief die leut erbermlich an,
Da spottet sein auch jederman,
Umbsunst er aller hilfe harrt;
Sprachen: "Hast uns zuvorn genarrt,
Als hetstu ein zerbrochen bein,
So hab dir dies und bhalts allein."

Wer seinen nehsten oft betreugt,
Zwei oder drei mal im vorleugt,
Der schafft damit, dass im hinfort
Seiner red nicht geglaubt ein wort.
Wenn er auch schon die warheit brengt,
Dennoch der vorigen lügen denkt;
Die vorige lug vernichten tut,
Was gegenwertig ist recht und gut.

Fabel 63
Vom Adler und Rappen

Der adler floh vom berg hernider,
Setzt sich zu rück auf einen wider,
Sprang hin und her auf seinem rücken:
Der wider must sich vor im tücken.
Dasselb ein rapp allda ersach:
Der wolt dem adler fliegen nach.
Aufs widers rucken umb und umb
Verwickelt seine füße krumb,
Ins widers wollen blieb behangen,
Vom schäfer ward also gefangen.
Sein gfider tet im kurz verhauen,
Dass in all menschen mochten schauen,
Kam im zu großem herzenleid,
Darzu in bracht vermessenheit.

Ein jeder achte seiner sterke
Bei seiner eigen tat und werke,
Lass sich der demut nicht verdrießen,
Messe sich mit seinen eignen füßen,
Vermess sich nicht mer, denn er kan,
Sonst hengt man ims höneisen an.
Der Icarus solt fligen nach
Seim vatter Dedalo und flohe zu hoch,
Welchs im der vatter widerraten;
Dass im die sonn aufweicht die knoten,
Dass im das gfider kraftlos ward:
Im mer vertrank zur selben fart.


Fabel 64
Vom neidigen Hund

Ein neidig hund den ganzen tag
Gestreckt in einer krippen lag,
Die war voll heus; ein hungrigs rind
Sich zu derselben krippen findt,
Dass es des heues möcht genießen:
Das tet dem neidigen hund verdrießen.
Er zannet fast und wolt es weren;
Das rind solt sich vom heu nicht neren.
Da sprach zum hund dasselbig rind:
"Deins gleichen zwar man niergend findt.
Dass dich verschlingen muss die erd:
Des bist mit deinem neid wol wert.
Das heu dient nicht zur speise dir;
Doch wegerstu dasselb auch mir!"

Es sind vil leut von stolzen sinnen,
Dass sie irm nehsten das nicht günnen,
Davon sie selber gar nicht wissen
Und haben sichs auch nicht geflißen,
Und wenn sie sehn, dass dem gelingt,
Dass in sein kunst zu eren bringt,
So hassens wie ein offner feind,
Dass im die sonn ins wasser scheint.
Etlich han auch die fabel gdeut.
Als wenn im eestand ungleich leut,
Ein alt man nimt ein junges weib,
Welcher er nicht zu irem leib
Nach notturft kan den zehend geben,
Und gan auch nicht, dass sonst daneben
Ein ander solch arbeit ausricht,
Dazu er selber war verpflicht,
Sondern gleich wie den hund verdreußt,
Ders heu verwert, des er nicht gneußt.

Fabel 65
Von der Kräen und dem Schaf

Auf einem schaf da reit ein kro,
Sie sang und war von herzen fro;
Da sprach zum selben schaf ein hund,
Der dasselbig mal bei im stund:
"Das leid, das dir die kräe jetzt tut,
Solt mir nicht kommen so zu gut;
Ich sag fürwar, wenn ich das tet,
Kein großen dank desselben het,
Bekem, halt ich wol, schleg darzu."
Die kräe sprach: "Weiß wol, wem ichs tu.
Der frum mit gdult solchs von mir leidt;
Die bösen ich fürwar nicht reit."

Der Schweizer singt: "Der from und grecht,
Auch der einfeltig und der schlecht
Muss allezeit dahinden bleiben
So wol bei mannen als bei weiben."
Der schwache wird vom starken gschlagen,
Der kränkest muss das liecht auch tragen;
Der freche tut seins willens leben,
Im darf auch niemand widerstreben,
So lang bis Gott, der richter, kümt,
Die böcke von den schafen nimt,
Eim jedern gibt nach seiner tat,
Gut, bös, wie ers verdienet hat;
Denn wird des armen schad gerochen,
Des starken hoffart, troz und bochen
Muss mit im ewiglich vergan:
Kein andern trost die frommen han.

Fabel 66
Vom Pfauen und der Nachtigall

Der pfau beklagt sich mechtig ser
Vor dem hohen gott Jupiter
Und sprach: "Du hast mich schon erschaffen,
Mein gefider kan niemand strafen:
Am hals und rücken rund geziegelt,
Der schwanz mit farben teilt und spiegelt,
Hübsch mit eim krönlin ziert mein haubt,
Hast mich aber der stimm beraubt.
Ein jeder vogel mich veracht,
Mit meinem gsang allzeit belacht.
Dargegen hast die nachtigall
Vor mir und andern vögeln all
Mit einer hellen stimm geziert,
Den leuten sie des nachts hofiert;
Im wald ir schall tut hell erklingen,
Von ir die leut auch lieder singen;
Verdreußt mich aus der maßen ser."

Darauf antwort der Jupiter:
"Es hat ein jede creatur
Von Gott die gaben der natur,
Die er im selber tut zufügen:
Daran lass im ein jedes gnügen.
Die nachtigall vergan nicht dir
Dein federbusch mit spiegeln zier;
Drumb lass ir iren süßen gsang
Und hab desselben keinen dank."

Gott hat austeilet seine gab,
Dass ein jedes das seine hab;
So vil er einem jeden gan,
Sol er zu danke nemen an
Und sol nicht nach eim andern gaffen,
Was Gott mit jenem hab zu schaffen,
Und hab sein eigen sach in hut:
Gott wird wol wissen, was er tut.
So hilft auch nicht, dass einer wil
Mit geiz versamlen geldes vil,
Und lief er schon in Indiam,
In Calicut und Taproban,
Hilft doch kein sorg oder müesam leben,
Wenns Gott durch segen nicht wil geben.
Ist er zu tausent nicht geborn,
Erlangets nicht, es ist verlorn.
Gott hat ein rechenbuch gemacht,
Darin ein jedern menschen bdacht
Gleichwie in einem testament,
Sein gburt, sein leben und sein end,
Wie vil oder wenig er sol han,
Den strich wird niemand übergan.

Fabel 67
Vom alten Wisel und den Meusen

Ein wisel ward vor alter schwach,
Kunt nicht den meusen laufen nach,
Derhalb im auch zerran die speis,
Gedacht, wie es mit list so weis
Den meusen möchte nachstellen,
Damit sie dester baß könt fellen.
In einem kasten fand ein loch;
Daselb es sich ins mel verkroch,
Da gmeiniglich dieselben meuse
Zu laufen pflegen nach der speise,
Und dacht, es wolt also erschleichen,
Was mit laufen nicht möcht erreichen.
Erwüscht ir eine nach der andern,
Wenns in den kasten teten wandern.

Es zeigt uns dise fabel an:
Wenn wir groß ding vor handen han
Und unser macht nicht kan ertragen,
So muss man dennoch nit verzagen,
Knüpfen die weisheit an das end,
Da die macht und sterke wendt.
Es wird durch weisheit oft verschafft,
Das man durch große sterk und kraft
Nicht het kunt regen oder rüren,
Tut man durch witz hinaus füren.

Der groß philosophus Lysander,
Ein rat der Lacedemonier,
Derselb pflag sprichworts weis zu sagen:
»Wenn sich die maßen lang zutragen,
Die löwenhaut kans nicht bedecken;
Wiewol mans denen tut und recken,
Muss man den fuchsbalg heften dran,
Dass man mög mit der leng bestan.«
Das heißt, was nicht erreicht die kraft,
Dasselb geschicklichkeit verschafft.

Ovidius sagt auch des gleichen:
"Was man mit macht nicht kan erreichen,
Erlangt man durch künheit und list,
Dazu der will auch gnugsam ist."

Fabel 68
Vom alten Apfelbaum

Es het ein baur in seinem garten
Ein apfelbaum, des tet er warten,
Denn er von selbem äpfeln schon
An größ und gschmack all jar möcht han.
Er las aus, welchs die besten wern,
Brachts järlich in die stadt seim herrn.
Dem schmecktens aus der maßen wol,
Gedacht bei im: fürwar ich sol
Den baum in meinen garten setzen,
Dass ich mich mög der frucht ergetzen!
Als nun der baum ward da versetzt
Und an der wurzel gar verletzt,
Nach dem er war von jaren alt,
Hub an und tet verdorren bald.
Da solchs dem herrn ward angesagt,
Den schaden er gar ser beklagt,
Sprach: "Schwerlich lässt sich ein alter baum
Versetzen auf ein fremden raum.
Ach het ich meinen geiz kunt stillen,
Mit den äpfeln die augen füllen,
So wers daraus genug gewesen,
Dass ich vom baum het äpfel glesen."

Wer allweg zu vil haben wil
Und setzt dem geiz kein maß noch zil,
Derselb verleurt oft, das er hat,
Und komt zum andern auch zu spat.
Das er gern het, erlanget nicht,
Wie dem geizigen hund geschicht
Mit dem stück fleisch, welchs im im bach
Entfiel, dass ers nicht wider sach.

Man sagt: wers klein verachten tut,
Dem komt das groß auch nicht zu gut.

Fabel 69
Vom Löwen und dem Frosch

Es gieng ein löw bei einem bach
Spazieren, sich gar weit umbsach:
Da ward er keines menschen gwar.
Ein gschrei hub sich im wasser dar.
Der löw erschrak und stund da still,
Gedacht, was hie nach kommen wil.
Ein kleines fröschlin ausher kroch;
Da stund der löw und sahe im nach
Und sprach: "Du armes, nichtigs tier,
Solstu ein schrecken machen mir?
Bistu der held, der grufen hat?"
Mit seinen füßen trat ers tot.

Hier wird glert, dass wir uns sollen
In gringen sachen nicht forchtsam stellen,
Und uns vor dem nicht solln entsetzen,
Der uns mit schaden nicht kan letzen.
Man sagt: wer tut von drauen sterben,
Des leib sol nicht den kirchhof erben,
Den sol man bleuten und besingen
Mit glocken, die in hosen klingen,
Und sol in in das heu vergraben,
Welchs im hindergmach wird aufghaben.

Fabel 70
Von der Ameisen

In sommers hitz, bei warmer sonnen
Ein ameis kam zum külen brunnen,
Der lag dort under einer eschen,
Irn übergroßen durst zu leschen.
Wie sichs bucket, fiels nach der schwer
In brunnen da; on als gefer
Saß auf demselben baum ein taub,
Die nestet doben in dem laub.
Mit iren füßen sie da fasst
Und bricht vom selben baum ein ast;
Der fiel hinab in brunnen bald,
Darauf die ameis sucht enthalt;
Sie kroch heraus, behielt das leben.
In dem sichs weiter tet begeben,
Ein vögler kam, stellt nach der tauben,
Dass er im wald möcht vögel rauben,
Mit fleiß trachtet der tauben nach
Mit stricken an dem baume hoch.
Die ameis ward desselben gwar,
In schuch kroch sie dem vögler dar,
Biss in, dass er den schuch auszohe:
In dem die taub von dannen flohe.

Es lert uns dise ameis klein,
Dass wir all sollen dankbar sein
Denen, die uns han guts getan,
Das gut nicht unvergolten lan,
Und wers nicht tun kan mit der tat,
Ist gnug, dass er den willen hat.

Fabel 71
Von Vögeln

Vor zeiten, da der vögel war
Bei einander ein große schar
Versamlet, dass sie hielten gmein,
Eintrechtig schlossen all mit ein
Und einen könig welen teten,
Der ire sachen könt vertreten
Und in fassen ein regiment,
Dass sie nicht flohen so zertrennt.
Solchs hort der pfau und trat herfür,
Sprach: "Liebe freunde, gebt gehör!
Es ist der brauch in aller welt,
Dass recht und gsetz werden gestellt;
Und dweil es nun die meinung hat
Und wir drumb gangen sein zu rat,
Dass wir müssen ein könig han,
Dünkt mich fürwar, ich sei der man,
Villeicht von Gott darzu versehen,
Wie meine kleider solchs verjehen.
Ein gülden stück trag ich stets an,
Hab ich auf meinem haubt ein kron,
Derhalb von art darzu geborn,
Würd ich auch eintrechtig gekorn;
Billich bin ich eur könig, herr,
Dürft hinforder keiner sorgen mer."

Die vögel mit einander redten
Und sprachen: "Zwar, wenn wirs nicht teten,
Wüstens zu veranworten nit."
Die kur war auch dem haufen mit:
Eintrechtiglich den pfauen welten
Und ein amt nach dem andern bstellten.
Die atzel sich bald zuhin macht
Und dise wal allein anfacht
Und sprach: "Herr könig, lasst euch sagen,
Wird sich einmal ein krieg zutragen,
Und dass der adler, wie er pflegt,
Sich wider uns feindlich erregt,
Und ir in harnisch kriechen solt,
Wolt gerne sehn, womit ir wolt
Uns all verfechten und beschützen.
Was kan das gülden stück denn nützen?
Denn hilft nicht der gespiegelt schwanz:
Er dient vil besser an den tanz.
Ein gülden stück und hoher pracht
Fürwar kein rechten könig macht.
Mit weisheit, sterke, vernunft und kraft
Ein fürst mer dann mit prangen schafft."

Es lert uns dise atzel, teilt,
Waran es oft den fürsten feilt,
Als weisheit, kraft, vernunft und sterk;
Dabei ein rechten fürsten merk.
Leiblich schöne und stolzer mut
Oft mer schaden denn frommen tut.
Gerechtigkeit, ein frum gemüte
Reimen sich zum fürstlichen geblüte.
Der Gottes forcht vor augen hat,
Dem folgt all ding recht früe und spat.

Fabel 72
Vom Kranken und dem Arzt

Es kam ein arzt zu einem kranken,
Der tet von großer onmacht hanken:
Der arzt an im kein fleiß nicht spart,
Wiewol er immer krenker ward
Und an der seuche gar verdarb,
Bis er zuletst des todes starb.
Da sprach der arzt zu der freundschaft:
"Diser hat solch krankheit verschafft
Durch fressen, saufen, unartig leben,
Dazu er sich ganz het ergeben;
Wo er den lüsten widerstrebt,
So het er freilich lenger glebt."

Hiemit wird geben zu versten,
Dass wir nicht wie die säu hin gen
In sauferei und vollem fraß,
Sondern solln halten rechte maß;
In essen, trinken und andern sachen
Solln wirs keins weges übermachen.
Es sagt der hoch gelertst Maro
Schließlich von Venus und Bacho:
"Den durst zu leschen dient der wein,
Venus zu zeugen kindlin fein,
Das menschlich gschlecht dadurch gemert:
Schedlich ist, wenn man drüber fert."

Fabel 73
Vom Löwen, Esel und Fuchsen

Der löw wolt laufen auf das gejeid,
Nam mit den fuchs und esel beid
Und sprach: "Wir wolln zusamen jagen!
Lass sehn, was wil das glück uns tragen."
Sie giengen mit dem löwen bald,
Zu jagen vor den grünen wald,
Fiengen mit hetzen und mit birschen
Hasen und reh, hinden und hirschen,
Warfens zusamen in das laub.
Der löw sprach: "Wer teilt uns den raub?"
Der esel sprach: "Das wil ich tun
On allen hass aufs gleichest nun."
Als ers nun gleich geteilet het,
Der löw zorniglich grimmen tet
Und sprach: "Du teilest wie ein schalk:
Das sol dir kosten deinen balk!"
Von stund den esel gar zerriss,
Und im das herz im leib abbiss.
Zum fuchs sprach er: "Teil du jetzt recht,
Der esel war der sach zu schlecht."
Der fuchs dem löwen da gehorcht
Und teilt den raub mit großer forcht.
Dem löwen gab ers ganz und gar
Bis auf ein kleines stück fürwar,
Das tet der fuchs vor sich behalten.
Da sprach der löw: "Des muss Gott walten!
Du bist fürwar ein kluger man.
Ich bit dich freundlich, sag mir an,
Von wem hastu solch weisheit glert?"
Zum toten esel er sich kert
Und sprach: "Des schad und ungefug
Haben mich jetzt gemachet klug,
Und bin daraus berichtet wol,
Wie ich mit löwen teilen sol."

Wer sich kan an sein nehsten keren,
Aus seinem unglück weisheit leren,
Wenn er seins nehsten schaden sicht,
Als dass im der zur warnung gschicht,
Seliglich in sein witz erhelt,
Dass er nicht bald in unglück fellt.

Fabel 74
Vom Wider und dem Wolfe

Hoch an eim fenster lag ein wider:
Ein wolf lief daußen auf und nider.
Als in der wider laufen sach,
Mit lesterworten rief im nach,
Hieß in ein schelm und bösewicht.
Da sprach der wolf: "Fürwar, du nicht,
Sondern die stett, darauf du stest,
Die schilt mich jetzund allermeist.
Werst du hie außen, du soltsts wol lassen
Und dich zum teil deins scheltens maßen."

Ein jeder han auf seinem mist
Vil frecher und gar zornig ist;
Wenn der hund ist bei seinem herrn,
Kan im das bellen niemand wern.
Also ist manch verzagter man,
Hebt oft mit zwein ein hader an
Nach glegenheit der stett und zeit;
Wer er daußen im felde weit,
Da wer er wol also verzagen,
Dass er sich nit mit eim dürft schlagen.

Fabel 75
Vom Esel 1

Ein esel tet groß arbeit schwer
Daußen bei einem gärtener;
Solchs klagt er dem Jupiter hoch,
Wie er trug gar ein schweres joch,
Bat, dass er im dasselb wolt mindern
Und durch ein andern herren lindern.
Weil Jupiter ein gnedig gott,
Sich über die esel zurbarmen hot,
So wolt er auch des esels bitt
Auch unerhöret lassen nit.

Den ziegelstreicher er im gab,
Sprach: "Denselb zum herren hab!"
Da must er schwere ziegel tragen;
Dem Jupiter tets aber klagen,
Sprach: "Tu dich mein, o Gott, erbarmen
Und hilf aus nöten mir vil armen,
Dass ich ein andern herrn bekum:
Die stein mich wiegen umb und umb,
Die ich auf meinem rucken trag.
O Jupiter, erhör mein klag,
Mich mit eim andern herren versorg,
Der mir zum teil die arbeit borg
Und nicht so ser wie diser treib:
Sunst mit der last beligen bleib."
Da lacht der Jupiter so fron
Dort oben hoch in seinem tron,
Dacht: wil dem esel gnad beweisen,
Dass er mich hab dest mer zu preisen!

Und weist in an den lederer,
Sprach:"Gee zu dem, der sei dein herr."
Als der esel den gerber sach,
Zum Jupiter gar kleglich sprach:
"Nun sihe ichs wol, wie sichs wil fügen.
Ich ließ mir an keim herren gnügen:
Jetzt hab ich zwar den rechten troffen,
Keinr guten tag darf ich mer hoffen.
Mit arbeit endige ich mein leben:
Nach meinem tod werd ich gegeben
Dem schelmenschinder, der mich streift,
Nach meiner haut mein herr denn läuft,
Die gerbt er und gibts umb ein pfund,
Und frisst mein fleisch des schinders hund."

Kein mensch noch nie so bstendig ward,
Er het an im des esels art.
Die welt jetzt keinen menschen hat,
Dem das benügt an seinem stat.
Was jener hat, das wolln wir han:
Das unser stet uns übel an.
Meins nehsten wise hat besser gras,
Meins nachbaurn pferd füttert sich baß,
Die meisten milch gibt seine kue,
Sein weib ich ser belieben tue.
Was sich beim andern tu erzeigen,
Dunkt mich besser sein denn mein eigen,
Und wolt gern stets ein neues han:
Sich die achtzehend Fabel an.

Fabel 76
Vom alten Weib und iren Megden

Ein altes weib die het vil megd,
Die sie stets zu der arbeit regt,
Des nachtes umb den hanenkrat
Musten sie all aufsteen drat,
Ein stund drei oder vier vor tag,
Wenn sonst ein jeder ruhe pflag.
Dasselb verdross die faulen secke,
Dass man sie tet so früe aufwecke,
Warfen die schuld auf den haushan,
Sprachen: "Als unglück gee in an!
Es tagt dem schelmen allzeit fru,
Drumb muss man sehen, wie man tu."
In dem die frau zur kirchen gieng,
Die jüngste magd den haushan fieng,
Die ander nam den armen tropf
Und hau im ab da seinen kopf:
"Ist gut, dass wir dich mögen fellen;
Du wirst nicht mer den seiger stellen,
Dass man uns wecke, wie man pflag:
Hinfort schlafen wir bis mittag."
Half aber nicht ir listig trug,
Die frau war inen vil zu klug.
Als sie sahe, dass der haushan war
Hinweg und auch vorkommen gar,
Ein ander list sie bald erdacht,
Weckt die megd bald umb mitternacht,
Gedacht: ich wil euch das wol machen,
Dass ir des scherzs nicht mer solt lachen!

Mancher entleuft eim kleinen schaden
Und tut ein größern auf sich laden,
Dem regen oft entlaufen tut
Und senket sich ins wassers flut.

Fabel 77
Vom Esel und Pferd

Der grobe esel sahe ein pferd,
War groß und schon, vil geltes wert,
Gebunden sten an einem barren,
Tet in die erd mit füßen scharren.
Teglich trug man ims futer zu.
Der esel sprach: "Selig bistu!
Stest müßig stets in großer wäl,
Dargegen tu ich arbeits vil
Mit holz und wasser tragen immer,
Dennoch werm oder wesch ich mich nimmer,
Werd übel gspeist und wol geschlagen
In meinen unseligen tagen.
Zu eitelm unglück bin ich geborn:
All hoffnung ist an mir verlorn.
Darzu umbsunst mein herr mich hasst,
Meins diensts mich nicht genießen lasst."

In dem hub sich im land ein strauß,
Dass man alarma tet rufen aus.
Der reuter sprach zu seinem pferd,
Welchs er het lang gehalten wert,
Den sattel legt im auf gar drat,
Sein harnisch und sein sarewat,
Damit bedeckt ers ganz und gar
Und setzt sich drauf, so groß er war.
Zum haufen zohe er mit sein gsellen,
Must sich das pferd auch frindlich stellen,
Im krieg gewarten schoss und stich.
Der esel sprach: "Gott bhüte mich!
Vorwar, ich hab zu danken Gott,
Dass er mich nicht erschaffen hat
Ein solchen hengst und großen gaul,
Gut ists, dass ich ein esel faul
Und worden ein verachtet tier,
Daran lass ich benügen mir,
Bin wol zu fried in meinem beruf,
Und dass mich Gott ein esel schuf."

Welch selig helt der gmeine man,
Die seind gemeinlich übel dran.
Also die sich bedunken lassen,
Dass sichs mit inen helt dermaßen,
Ir gringer stand dünket sie schwer:
Die gen zum esel in die ler
Und tun im iren kummer klagen,
Der wird in wol die warheit sagen.
Es kumt wol, dass ein schuster sitzt,
Uber seiner sauren arbeit schwitzt,
Siht einen könig on gefer
Reiten in großer pracht daher;
Denn denkt er: selig ist der man,
Dem Gott solch gut und ere gan!
Denkt nicht, dass er voll sorgen steckt,
Die er mit gold und seiden deckt.
Dieweil sitzt er auf seinem schemel,
Hebt sein augen frölich gen himel,
Folgt seinem beruf mit gutem gwissen
Und tut mit freud sein brot genießen,
Und ist also dem schuster baß
Denn dem, der auf dem rosse saß.
Wer dies nicht glaubt, frag die dorfmaus,
Wie es ir gieng ins bürgers haus,
Da sie zu gast geladen war,
Zeigt dir die neunte fabel klar.

Fabel 78
Vom Löwen und der Geiß

Hoch an eim felsen sucht ir futter
Ein alte geiß, des zickels mutter.
Das sahe ein löw dort niden fer,
Sprach: "Liebe schwester, kom doch her,
Hernider in das grüne gras,
Dass du dich mögest weiden baß."
Da sprach die Geiß: "Villeicht ichs tet,
Wenn ich dich nit gesehen het.
Du redst es nicht zu meinem frommen,
Dass ich hinab ins grün sol kommen,
Sondern vil mer umb deinetwillen:
Mit mir woltst deinen hunger stillen.
Ich lass mich nit von dir betören,
Du wirst mir heut die beicht nit hören."

Die fabel lert, dass wir nit sollen
Allen ratgebern glauben stellen.
Der löw redt hie, was im ist mit;
Die geiß ist klug und folgt im nit,
Wird nicht wie der adler betört,
Wie dich die zehent fabel lert.


Fabel 79
Vom Geier und andern Vögeln

Der geier sein jartag halten wolte,
Und bat all vögel, dass sie sollten
Zu gast auf einen abent komen,
Denn er im ganz het fürgenomen,
Seinen freunden, den vögeln allen,
Ein gestbot tun zu wolgefallen,
Sein herrlichkeit sie mochten sehen.
Demselben ist also geschehen,
Die vögel kamen all mit haufen,
Der geier tet in entgegen laufen
Und hieß sie all willkommen sein,
Fürt sie mit im ins haus hinein,
Hin in die kamer nach ein ander.
Da las er inen den kalander,
Dass irer keiner wider kam,
In allesamt das leben nam.

Wer jetzt wil in der welt umbgan,
Der muss gar gnau in achtung han,
Dass er sich vor den gsellen hüte,
Die im begegn wie in der güte,
Mit schmeichelworten in betören,
Bis dass sie in den credo leren;
Wenn sie in denn gefürt aufs eis,
Wird er zuletst mit schaden weis;
Denn jetzt die welt so treulich ist,
Dass wenn man dir das best vorlist,
So ists im grund betriegerei.
Bei vilen leuten, glaub mir frei,
Mit warheit wird die lüg staffiert
Und mit honig das gift geschmiert.
Denn also gets zu diser zeit:
In gutem glauben btreugt man dleut,
Mit list den frommen überfert;
Glaub mir, ich bins mit schaden glert.

Fabel 80
Von Antvögelen und Kranchen

Im feld ein acker het ein baur,
Darauf ließ er ims werden saur,
Mit weizen tet ern dick beseen,
Auf dass er möcht dest reicher meen.
Da flohen im die kranchen auf
Und antvögel (Enten) ein großer hauf,
Fraßen im auf den samen gar.
Zuletzt ward sein der baur gewar,
Uber die vögel sein zorn ergrimmt,
Sein gsellschaft er bald zu sich nimt,
Mit knütteln liefens auf den acker.
Da waren bald die kranchen wacker,
Flohen davon, wie sie denn pflegen;
Die enten musten sich erwegen,
Dem bauren seinen schaden büßen.
Mit schwerem leib und breiten füßen
Kuntens zum fliegen nicht erschwingen;
Die bauren tetens umberingen,
Schlugens mit knütteln gar darnider:
Zum andern mal kamens nicht wider.

Oft wenn ein stadt belegert wird
Und von den feinden gar zerstört,
Kan sich der arm leichtlich erheben,
Fleucht, dass er retten mög das leben;
Dem reichen hindert ser sein gut,
Hangt im am hals und gar we tut,
Dass er dasselb sol lassen hinden:
Darumb in oft die feinde finden,
Bei seinem gelt wird tot geschlagen,
Stirbt in elendiglichen tagen.
Es spricht der herr Christus also
Im evangelisten Mattheo,
Da er den jüden drauen tut
Verterb und fall irs übermut,
Dass Hierusalem zerstört solt werden
Und nider gerissen zu der erden,
Warnt seine jünger vor solchem schaden,
Dass sie des mögen sein entladen,
Und spricht: "We denn den schwangeren
Zur selben zeit, den seugenden!"
Bei denselben er uns bedeut
Die großen, schweren, reichen leut,
Die ir gelt tut in krieg beschweren,
Als frauen, die klein kinder neren,
Können sich schwerlich damit bewegen,
Die schwangern können sich auch nit regen
Und sind zu laufen ungerüst.
Also auch umb den reichen ist,
Den bringt sein gelt in krieges not
In große far und in den tot.
In kriegsgescheften ist das gelt,
Davon der mensche gar vil helt,
Mer hinderlich und beschwerlich
Denn breuchlich oder fürderlich.

Fabel 81
Vom Jupiter und dem Affen

Jupiter sah von oben herab,
Wie wunderlich und seltzam hab
Sich auf der erden tun bewegen,
Die tier sich durch einander regen,
Und wie eins bei dem andern lebt:
Es lauft, es kreucht, es fleugt, es webt.
Draus Jupiter verursacht ward,
Sie all zu sehen nach irer art,
Zu wissen tet mit fleiß begeren,
Welchs möcht die schönsten kinder gberen,
Und ruft zusamen all das gschwürm
An tiern, an vögeln und gewürm.
Da tet ein jeder zuhin laufen
Gehorsamlich mit großen haufen,
Die alten mit der jungen zucht,
Ein jeder bracht seins leibes frucht.
Die aff zuletst sich auch da findt
Und trug auf jedem arm ein kind,
Zum Jupiter tet sich auch machen.
Da bgunten alle tier zu lachen:
So scheußlich warn die jungen affen,
Nach in ein jedes tier tet gaffen.
Auch Jupiter zur selben stund
Des lachens nicht enthalten kunt
Und lacht gar laut undern haufen.
Die aff tet neher zu im laufen
Und sprach: "Dank habt, herr Jupiter!
Nun sihe ich wol, dass ir seit der,
Der weiß vor schwarz erkennen kan,
Und ich die schönsten kinder han,
Wie ich an eurem lachen spür,
Ein gulden nem ich nicht dafür."

Eim jeden gfellt sein weise wol,
Drumb ist das land auch narren voll.
Eim jeden dunkt das sein das best,
Dasselb nicht gern verachten lässt.
Was an im selber ist hässlich,
Das macht die liebe seuberlich,
Und fellt die lieb so bald in kat
Als auf ein rotes rosenblat.

Fabel 82
Von der Eichen und dem Ror 1

Im wald da stund ein alte eichen,
Tet weit über ander beum ausreichen;
Sie war gewachsen groß und feste,
Het gar vil harter, knorrechter äste,
Drauf sich der baum gar ser verließ,
Aus hoffart sich gar hoch aufblies
Und redt ein ror gar trotzig an,
Sprach: "Bistu nun ein beherzter man,
So tritt hervor auf disen platz
Und leg dich mit mir in den hatz,
Auf dass es klar komm an den tag,
Was du und ich an sterk vermag."

Das ror vernam des baumes pracht,
Wie er sich rümt und gscheftig macht,
Und sprach: "Fürwar, dein trotzig pral
Ficht mich nicht an ganz überal;
Ich achts gering, darumb ich mich
Jetzund vorwar nicht reib an dich;
Denn ich wol weiß, dass du bist groß,
Ich bin vorwar nicht dein genoss.
Ich schem mich nicht meins unvermögen,
Wiewol ich mich kan baß bewegen,
Auf alle seiten dem wind entweichen;
Wenn du vor großem sturm must streichen,
Und dich das wetter schleht zu drümmern,
So lass ich mich des nichtes kümmern
Und lach, wenns dir wird übel gan,
Und bleib vor allem wind bestan."

Die fabel zeigt, dass sich die großen
Und starken vil bedunken lassen,
Verachten auch die klein daneben,
Gedenken nicht, dass Gott hat geben
Dem gringen oftmals große gnad,
Dass er unglück zu meiden hat,
Dieweil der große komt zu schaden,
Des er sich nimmer kan entladen.
Die großen krieger gmeinlich werden
Durch krieg genomen von der erden,
Und die vil schlachten haben tan,
Die seind in schlachten undergan.
Wer biegen kan auf alle seiten
Gegen all unfell, die an in reiten,
Antwort mit schweigen auf ir bochen:
Der hat sich gnug an in gerochen.


Fabel 83
Vom Fischer und kleinen Fischlin

Aufs glück der fischer warf sein ham,
Gar bald ein kleines fischlin kam,
Ward mit dem hamen aufgezohen.
"O", sprach das fischlin, "ich bin btrogen,"
Bat den fischer, dass ers wolt lassen
Widerumb laufen seine straßen,
Dass es möcht elter und größer wern,
Denn wolt sichs lassen fahen gern.
Der fischer sprach: "Wenn ich das tet,
Zwar kein vernunft ich bei mir het,
Bin allzeit gwest von solichem sinn:
Was vor mir ist, nem ich erst hin,
So lang bis ich ein bessers gewinn."

Es lert ein jeden die vernunft,
Dass wir nicht hoffen auf zukunft.
Es ist gewis das gegenwertig;
Was wir solln han, ist noch nicht fertig.

Besser ein sperling in der hand
Denn ein schwan daußen auf dem sand.

Es begibt sich zwischen des menschen mund
Manch fall und zwischen dem becher rund,
Dadurch der trunk oft wird verstört,
Wie uns ein ander fabel lert.

Fabel 84
Von der Ameisen und Heuschreken

Ein ameis in dem winter kalt
Under eim baum hat iren enthalt
Und in der erd ein loch gemacht,
Darin sie het zusamen bracht
Von gersten, weizen manchen kern,
Damit sie möcht des hungers wern.
Da kam ein heuschreck oder grillen,
Bat die ameis umb Gottes willen,
Dass sie ir wolt ein körnlin geben,
Der hunger brecht sie sonst umbs leben;
Der hunger und der winter kalt
Beengsten sie gar manichfalt,
Und sprach:"Wegerstu mir das korn,
Vor hunger hab ichs leben verlorn."
Die ameis sahe da iren jammer,
Sprach: "Was hastu getan im sommer,
Im sommer umb sanct Jacobs tag,
Da man das korn zu schneiden pflag?
Im Augst soltstu dich han versorgen,
So dürfts von mir kein korn jetzt borgen."
Sie sprach: "Ich hab den sommer lang
Auch nit hinbracht mit müßiggang:
Da saß ich teglich in dem korn,
Da die schnitter bei einander warn,
Ich sang in vor den ganzen tag,
Damit ich in der kurzweil pflag."
Da hub die ameis an und lacht:
"Hastu den sommer also hin bracht
Mit kurzweil und mit lieder singen,
So magstu jetzund auch wol springen
Und machen dir mit tanzen warm:
Des faulen ich mich nit erbarm."

Des sommers solln wir fleißig werben,
Dass wir nicht mögen hungers sterben
Im winter, in der harten zeit,
Wenn all ding tot, gefroren leit;
Das ist, wir sollen in der jugent
Streben nach künsten und nach tugent;
Denn gelt und gut ist farende hab,
Und mit dem glück gets auf und ab.
Kunst, weisheit ist zu tragen wol,
Man gibt davon auch keinen zoll,
Du kansts im busen wol verhelen,
Dir könnens auch die dieb nicht stelen.
Drumb fleiß dich jung der kunst und witzen,
Die mögen dir im alter nützen
Und dich in aller not erhalten,
Wenn du der sachen Gott lest walten.

Fabel 85
Vom Löwen und Ochsen

Der löw tet einen ochsen hetzen,
Dass er sich vor im must entsetzen,
Tet laufen nach dem stall so gach,
Der löw lief im von ferne nach.
Und wie der ochs war underwegen,
Tet im ein rauher bock begegnen,
Sein hörner im entgegen hielt
Und mit dem stoß recht auf in zielt.
Der ochs im aus dem wege wich
Und sprach: "Vor dir forcht ich nit mich;
Wenn der löw nicht dahinden wer.
Wolt ich dich jetzt wol mores ler,
Und sollst erfaren jetzt bei zeiten,
Was wer mit einem ochsen streiten,
Und wolt dich wol also zumachen,
Du soltests über ein jar nicht lachen."

Uns lert die fabel, wenn wir sehen,
Dass unserm nehsten ist leid geschehen,
Sollens im nicht zum ergsten keren,
Damit wir im sein leid vermeren.
Es ist jetzt in der welt gemein,
Es wil kein unglück sein allein.
Wenn einer aus schwachheit fellt zu haufen,
Den wil ein jeder überlaufen;
So jemand in ein unglück fellt,
Gegen demselben man sich stellt,
Als wolt sich jeder an im rechen;
Da tut niemand zum besten sprechen.
Jederman fert in schimpflich an,
Als het er selb nie bös getan,

Und wer vor seiner tür ganz rein.
Derselbig werf den ersten stein.

Ich halt aber, wenn er nem ein liecht
Und schaut, wie er von innen sicht,
Da fund er auch wol etwas kleben,
Denn on gebrech mag niemand leben.

Fabel 86
Vom Weibe und dem Wolfe

Es het ein weib ein kleines kind,
Wie man derselben noch wol findt,
Das kunts mit etzen oder seugen
Von seinem weinen nimmer schweigen;
Es weinet dennoch tag und nacht.
Die mutter zorniglich bedacht
Und sprach: "Wilt nicht dein weinen lassen,
Hinaus werf ich dich auf die straßen,
Auf dass dich da der wolf mög fressen,
Eins bösen kinds kan wol vergessen."
In dem ein wolf lief eben für,
Zur selben zeit kam für die tür,
Das weib hort mit dem kinde ringen,
Gedacht: möcht dir ein solchs gelingen,
Du woltest gern die nacht hie bleiben!
Solchs tet die frau nun lang betreiben,
Dreut stets dem kinde mit der scherfe,
Hinaus wolt sies dem wolfe werfen.
Zuletst begunt das kind zu schlafen:
Vergebens war des wolfes hoffen.
Es macht das hoffen und das harren
Die ganze nacht den wolf zum narren,
Bis dass der liechte tag anbrach
Und er die hunde laufen sach.
Het lang gefrorn, mit leerem bauche
Tet er sich trollen nach dem strauche.
Sein weib lief im von fern entgegen,
Sein kinder teten sich auch regen
Und meinten, durch sein lang abwesen
Het dester größern raub erlesen.
Die wölfin sahe, dass er nicht het;
Gar trauriglich in fragen tet
Und sprach: "Hastu gar nichts gefangen?
So ist umbsunst all uns verlangen."
Der wolf antwort gar trauriglich:
"Ein weib hat heint betrogen mich,
Mit irem kind hat mich genarrt,
Darauf die ganze nacht geharrt:
Heraus zu werfen oft verhieß,
Dennoch sies bei ir ligen ließ."
Die wölfin sprach: "Du alter narr,
Gee wider hin, noch lenger harr:
Du soltst dich harren wol zu tot,
So leid kein kind sein mutter hot,
Wenns schon die ganze nacht solt weinen
Oder sich zehen mal verunreinen,
So wirfts man doch dem wolf nicht für:
Magst wol gen für ein ander tür."

Bei disem weib wird angezeigt
Die liebe, welche die mutter tregt
Zu iren unartigen kinden:
Tuts dennocht waschen, wischen, winden,
Mit iren brüsten selber seugen,
Und was sie in sunst kan erzeigen,
Auf dass die mütterliche liebe
Gegn den kindern sich ernstlich iebe.
Man sagt, dass man die bschissne kind
Nicht oftmals weg geworfen findt.

Fabel 87
Vom Schnecken und Adler

Ein schneck verdross einmal das krichen,
Dass er must auf der erden schlichen;
Zum adler sprach: "Horch, lass dir sagen
Wiltu mich nauf gen himel tragen,
Dass ich mög in den lüften schweben,
Vil edler gstein wil ich dir geben,
Die ich hab in dem roten mer
Gelesen, mit mir bracht hieher."
Der adler sprach: "Das wil ich tun,
Haltu mir, was du globest nun."
Der adler nam in in sein kluft,
Fürt in hoch oben in die luft,
Dass er möcht sehn weit in die welt;
Bald mit im wider abher fellt,
Setzt in beis wasser auf den plan
Und fordert da von im den lon.
Da het er nichts, das er mocht geben.
Der adlar stund im nach dem leben,
Mit seinen füßen in zerknüßt:
Dem schnecken ward sein lust gebüßt.
Het er die welt nicht wolln besehen,
Wer im nicht solcher unfall gschehen.

Die fabel lert, ein jeder bleibe
In seinem stand und ernstlich treibe
Als, was im drin ist aufgelegt
Und was zum selben stand sich tregt.
Denn vormals ist es oft geschehen,
Habens auch augenscheinlich gsehen,
Daß etlich, wenn sie weren blieben
Und iren beruf mit fleiß getrieben,
Hettens gelebt sicher im fried.
Wie sie dasselb nun achten nit,
Suchten mit list ein höhern stand,
Bald sich ir unglück selber fand,
Musten wider demütig werden
Und nider gschlagen zu der erden.
Dasselb uns klar anzeiget hat
Maria im magnificat,
Da sie von Gott dem vatter singt,
Dass er dem, der nach hoffart ringt
Und prächtiglich stolziert und lebt,
Mit ganzem ernst entgegen strebt
Und stürzt in hoch vom stul hernider
Und erhöhet den armen wider:
Wie uns jetzt alle hendel leren
So klar, dass mans nicht darf beweren.

Fabel 88
Von zweien Krebsen

Der krebs tet leren seinen son,
Er solt nicht mer hindersich gon,
Und sprach: "Sihe an die andern tier,
Haben der füß nicht mer denn vier
Und laufen dennoch vor sich weg."
Der son sprach: "Vatter, wenn ich sehe,
Wie dir das laufen selb anstünd,
Dest besser ichs denn lernen künt."

Es soll niemand strafen den andern
Umb das, darin er selb tut wandern,
Sunst sagt man: Arzt, sihe deinen feil,
Mach erst dein eigen wunden heil;
Aus deinem aug den balken füren,
So magst darnach den splitter rüren!

Fabel 89
Von der Sonnen und Nordenwind

Aus neid, hoffart der nordenwind
Einsmals sich zu der sonnen findt
Und sprach: "Lass sehn on arge list,
Welcher der sterkest under uns ist."
Antwort die sonn: "Ich lass geschehen,
Bei jenem boten wolln wir sehen,
Welcher dorther get übers feld,
Wie sichs mit seinem mantel helt;
Wer im denselben kan abjagen,
Der sol den preis von hinnen tragen."
Bald wet der wind kalt aus dem norden,
Ob er den boten wolt ermorden
Mit großem hagel, eis und schnee,
Das tet dem boten mechtig we.
Half nicht, wie heftig er auch facht,
Biss er den mantel doppelt macht.
Da wider schein die liebe sonne,
Bracht nach dem regen freud und wonne,
Mit hitz tet sie den boten trucken,
Dass im der mantel bald ward drucken,
Und stach auf in mit scharfen stralen,
Dass er sich dleng nicht kunt erholen.
Under einer grünen dicken buchen
Tet er sein ru im schatten suchen,
Warf bald von im mantel und hut,

Wie man in hitz des sommers tut.
Da het die schöne liebe sonnen
Dem Borea den preis angwonnen.
Wider den, der dir nicht ist eben,
Soltu dich nit in kampf begeben;
Ob du villeicht wol sterker bist,
Doch übertrifft er dich mit list:
Mit behendigkeit tut dir den hon,
Den du mit sterk im nit hetst ton.

Fabel 90
Vom Esel 2

Der müller het ein esel alt,
Der entlief im ein mal in walt;
Da fand ein haut von einem lauen:
Der esel tets mit freud anschauen
Und sprach: "Ich wil ein löw auch werden
An haut und har und allen berden."
Er kroch bald in die löwenhaut
Und seinen kleidern vil vertraut,
Gleich wie ein löw tet umbher springen,
Wolt nicht mer wie ein esel singen.
Er lief bald hin zu felde dar:
Da wurden sein die tier gewar.
Bald flohen ochsen, schaf und rinder,

Nach der mülen liefen die kinder
Und zeigtens irem vatter an:
"Hör zu, was wir gesehen han!
Aus dem wald kam ein grausam tier,
Des gleich noch nie gesehen wir.
Drumb teten wir von stund her laufen
Mit allem vih an einem haufen.
Hets uns ergriffen in seim zorn,
Wir wern mit vih, mit all verlorn."
Der müller sprach: "Was mags gesein?
Wiewol ich jetzund bin allein,
Das tier zu bsehen wil ich wagen."
Er nam sein köcher und den bogen,
Lief naus; der esel bald zusprang,
Mit brüllen auf den müller drang.
Der müller dacht: was tiers ist das?
Zum esel trat er zuhin baß:
Misdunken het er an der stimm,
Sie wer nit eines löwen grimm.
Bald sahe er esels orn aus ragen,
Sprach: "Liebes tierlin, lass dir sagen,
Ich acht nicht groß auf deinen trutz:
Du stellst dich wie ein fasnachtbutz,
Dass vih und kinder vor dir fliegen;
Mich aber kanstu nit betriegen.
Ich kenn dich, lieber esel, wol,
Weiß wol, wie ich dich nennen sol.
Vor mir kein spiegelfechten gilt,
Dass dich eim löwen gleichen wilt,
Zeuh aus, zeuh aus den fremden rock!"
Erwischt ein groben heseln stock,
Schlug seinen esel wol zur kür,
Jagt in in stall und gab im für
Sein gwonlich futter, grob gerstenstro.
Seins prangens ward er nicht gar fro
Und blieb ein esel, wie er was:
Vor dies must er auch haben das.

Der grobe esel solt uns leren,
Dass wir selb sehen, wer wir weren,
Denn mancher jetzt hoch einher fert,
Tut sich herfür, als sei er glert,
Sagt, wie er könn griechisch, ebreisch,
Latein, arabisch und chaldeisch,
Schwatzt vil davon beim gmeinen man,
Der ficht in vor ein doctor an.
Wenn er aber bei glerte komt,
Mit seinen sprachen gar verstumt,
Von künsten hat ein lere taschen,
Kan nicht zur sach ein löffel waschen.
Der sein jetzt vil, die umbher streichen,
Zum armen volk in dwinkel schleichen,
Vil ergerlich artikel rüren,
Damit das unglert volk verfüren.
Wenn man ir ler im grund besicht,
Helts bei die heilig schrift ans liecht,
Findt sichs vom teufel sein entsprossen
Und durch ein esels kopf geflossen.
Dann ragen aus die eselsoren,
Dabei man kennen mag den toren.
Zeuht man im ab die schmeichelhaut,
So findt man drin ein teufelsbraut
Und ein böses verdamt gewissen,
Durch misverstand der schrift zerrissen.
Denn ist not, dass der müller kum
Und treib ein solchen gesellen umb
Zum gerstenstro, dass er nicht mer
Die leut verfür mit seiner ler.

Hüt euch, sagt Christus, seht euch wol für,
Wenn sie euch kommen für die tür,
Wie schaf mit euch reden beginnen,
So zeigt die frucht den wolf von innen.
Also auch in weltlichen sachen
Tut sich mancher herfür machen,
Rümt seinen adel und hohen stand,
Damit sich machen wil bekant,
Er sei von hohen, großen leuten,
Hab vil getan in sturm und streiten,
In fremden landen vil gesehen,
Was wunders hie und dort geschehen,
Könn bauen, hauen, schnitzen, gießen,
Könn büchsen leuten, glocken schießen,
Und was sonst in der welt umbfert,
Das hab er alles ausgelert,
Und brengt ein solcher bub mit listen
Gar oft vil pfennig von den christen.
Wenn er denn solchs hat ausgericht,
Zuletst komt einer, der tut bericht,
Deckt auf sein sach und macht sie bar,
Dass man den betrug mag sehen klar,
Und zeuht im ab den löwenbalk,
Findt sich ein esel und großer schalk.