Wolfram von Eschenbach
Er wurde um 1170/75 im fränkischen Eschenbach in der Nähe von Ansbach geboren.
Er entstammte wohl einem verarmten Ministerialengeschlecht und verdiente seinen
Unterhalt als fahrender Sänger; als einen "vindaere wilder maere". attackiert ihn
Gottfried von Straßburg.
Sein größter Mäzen war Hermann von Thüringen, an dessen Hof er den Willehalm
schrieb und vielleicht auch mit Walther von der Vogelweide zusammengetroffen ist.
Nach Hermanns Tod 1217 gibt es von Wolfram kein Lebenszeichen mehr. Er dürfte nach
1220 vielleicht in Eschenbach gestorben sein.
Die von ihm erhaltenen Lieder sind fast alle sogenannte "Tagelieder", Lieder, in denen
der Abschied der Liebenden szenenhaft-lyrisch erfasst wird.
Er wird auch zu den "zwölf alten Meistern" gezählt.
Den morgenblic bî wahtaeres sange erkôs
Den ersten Morgenstrahl, als der Wächter sang
1.
Den morgenblic bî wahtaeres sange erkôs
ein vrouwe, dâ si tougen
an ir werden vriundes arm lac.
dâ von si der vreuden vil verlôs.
des muosen liehtiu ougen
aver nazzen. sî sprach: »ôwê tac!
Wilde und zam daz vrewet sich dîn
und siht dich gern, wan ich eine. wie sol iz mir ergên!
nu enmac niht langer hie bî mir bestên
mîn vriunt. den jaget von mir dîn schîn.«
2.
Der tac mit kraft al durch diu venster dranc.
vil slôze sî besluzzen
daz half niht; des wart in sorge kunt.
diu vriundîn den vriunt vast an sich dwanc.
ir ougen diu beguzzen
ir beider wangel. sus sprach zim ir munt:
»Zwei herze und ein lîp hân wir.
gar ungescheiden unser triuwe mit ein ander vert.
der grôzen liebe der bin ich vil gar verhert,
wan sô du kumest und ich zuo dir.«
3.
Der trûric man nam urloup balde alsus:
ir liehten vel, diu slehten,
kômen nâher, swie der tac erschein.
weindiu ougen-süezer vrouwen kus!
sus kunden sî dô vlehten
ir munde, ir bruste, ir arme, ir blankiu bein.
Swelch schiltaer entwurfe daz,
geselleclîche als si lâgen, des waere ouch dem genuoc.
ir beider liebe doch vil sorgen
truoc, si pflâgen minne ân allen haz.
1.
Den ersten Morgenstrahl, als der Wächter sang,
nahm eine Dame wahr, als sie heimlich
in den Armen ihres edlen Freundes lag.
Dadurch verlor sie all ihr Glück.
Deshalb mußten sich ihre hellen Augen
wiederum mit Tränen füllen. Sie sagte: »Ach, Tag!
Alle Lebewesen freuen sich über dich und
sehen dich gerne — nur ich nicht. Was soll mit mir werden?
Denn nun kann er nicht länger hier bei mir bleiben,
mein Geliebter. Den treibt dein Licht von mir weg.«
2.
Der Tag drang kraftvoll durch die Fenster.
Viele Riegel hatten sie geschlossen.
Doch nützte ihnen das nichts; sie kamen dadurch in Sorge.
Die Geliebte umarmte den Geliebten fest.
Ihre Tränen machten die
Wangen von ihnen beiden naß. Das sagte sie zu ihm:
»Zwei Herzen, aber nur einen Körper haben wir.
Unsere treue Liebe begleitet uns untrennbar überall.
Liebe und Glück sind mir geraubt,
außer wenn du zu mir kommst und ich zu dir.«
3.
Der betrübte Mann verabschiedete sich entschlossen,
und zwar so: Ihre hellen und glatten Körper
kamen zueinander, obwohl der Tag herankam.
Weinende Augen — um so süßer der Kuß der Herrin!
So konnten sie sich ineinander verflechten mit
Mund, Brust, Armen und bloßen Beinen:
Wenn ein Maler das darstellen wollte,
wie sie vereinigt dalagen, das wäre zu schwierig für
ihn. Ihre Liebe war zwar von Sorgen beschwert,
dennoch liebten sie sich ohne jede Einschränkung.
Der helden minne ir klage
Klagen über die Liebe
1.
Der helden minne ir klage
du sunge ie gên dem tage,
Daz sûre nâch dem süezen.
swer minne und wîplich grüezen
alsô enpfienc,
daz sie sich muosen scheiden, —
swaz du dô riete in beiden,
dô ûf gienc
der morgensterne, wahtaere swîc,
dâ von niht sinc.
2.
Swer pfliget oder ie gepflac,
daz er bî liebe lac
den merkaeren unverborgen,
der darf niht durch den morgen
dannen streben.
er mac des tages erbeiten.
man darf in niht ûz leiten
ûf sîn leben.
Ein offeniu süeziu wirtes wîp
kan solhe minne geben.
1.
Klagen über die Liebe, die sich verstecken muß,
hast du immer bei Tagesanbruch gesungen,
vom Bitteren nach dem Süßen.
Wer Liebe und Gunst einer Frau
nur so empfing,
daß die beiden sich trennen mußten —
woran du sie mahntest,
als der Morgenstern
aufging -: Darüber, Wächter schweig,
davon sing nicht!
2.
Wer es so einrichtest oder jemals so eingerichtet hat,
daß er bei seinen Geliebten lag
und sich vor den Aufpassern nicht zu verstecken brauchte,
der braucht nicht am Morgen
davonzugehen.
Er kann vielmehr den Tag erwarten.
Ihn muß man nicht hinausführen,
unter Gefahr für sein Leben.
Eine öffentlich angetraute liebreizende Ehefrau,
die kann solche Liebe geben.
Quelle:
©Reclam 1993 Deutsche Gedichte des Mittelalters/Ausgewählt, übersetzt und erläutert von ©UlrichMüller/©Gerlinde Weiss
Sîne klâwen
Seine Klauen
1.
»Sîne klâwen
durch die wolken sint geslagen,
er stîget ûf mit grôzer kraft.
ich sich in grâwen
tegelîch, als er wil tagen,
den tac der im geselleschaft
erwenden wil, dem werden man,
den ich mit mit sorgen în verliez.
ich bringe in hinnen, ob ich kan.
sîn vil manigiu tugent mich daz leisten hiez.«
2.
»Wahtaer, du singest,
daz mir manige freude nimt
und mêret mîne klage.
maer du bringest,
der mich leider niht gezimt,
immer morgens gegen dem tage:
diu solt du mir verswîgen gar!
daz gebiut ich den triuwen dîn.
des lôn ich dir, als ich getar,
sô belîbet hie der geselle mîn.«
3.
»Er muoz et hinnen
balde und ân sûmen sich.
nu gip im urloup, süezez wîp.
lâze in minnen
her nâch sô verholn dich,
daz er behalte êre unde den lîp.
er gap sich mîner triuwe alsô,
daz ich in braehte ouch wider dan.
ez ist nu tac. naht was ez,
dô mit drucken an die brust dîn kus mir in an gewan.«
4.
»Swaz dir gevalle,
wachtaer, sinc und lâ den hie,
der minne brâht und minne enpfienc.
von dînem schalle
ist er und ich erschrocken ie,
sô ninder morgenstern ûf gienc
ûf in, der her nâch minne ist komen,
noch ninder lûhte tages lieht.
du hâst in dicke mir benomen
von blanken armen und ûz herzen nieht.«
5.
Von den blicken,
die der tac tet durch diu glas,
und dô wahtaere warnen sanc,
si muose erschricken
durch den, der dâ bi ir was.
ir brüstlîn an brust si dwanc.
der rîter ellens niht vergaz:
des wold in wenden wahtaers dôn.
urloup nâh und nâher baz
mit kusse und anders gap in minne lôn.
1.
»Seine Klauen
durch den Wolken sind geschlagen,
er steigt auf mit großer Kraft,
ich sehe ihn grauen,
taghaft, so wie er jetzt tagen wird,
den Tag, der ihm, dem edlen Mann,
den ich in der Nacht eingelassen habe,
das Zusammensein mit der Geliebten nehmen will.
Ich bringe ihn wieder fort, wenn ich es kann.
Seine edle Vollkommenheit gebot es mir, dies zu tun.«
2.
»Wächter, du singst,
was mir viele Freude nimmt
und meine Klage vermehrt.
Du bringst Kunde,
die mir zu meinem Schmerz überhaupt nicht gefallen kann,
immer morgens bei Tagesanbruch.
Die solltest du mir ganz und gar verschweigen!
Das empfehle ich dir als Gebot der Treue.
Dafür belohne ich dich, so wie ich kann,
dann bleibt mein Geliebter hier bei mir.«
3.
»Er muß fort,
sogleich und ohne sich zu säumen.
Nun gewähre im Abschied, liebliche Frau.
Laß ihn hernach
dich im Verborgenen so lieben,
daß er Ansehen und Leben behält.
Er stellt sich meiner Treue so anheim,
daß ich ihn auch wieder sicher von dannen bringen sollte.
Es ist nun Tag. Nacht war es,
als unter Umarmungen dein Kuß mir ihn wegnahm.«
4.
»Was immer du magst,
Wächter, das singe, und laß den hier,
der Liebe gab und Liebe empfing.
Von deinem Ruf
sind er und ich immer schon erschreckt worden,
wenn noch nirgends der Morgenstern aufgegangen war
über ihm, der hierher zu mir gekommen war,
Noch irgendwo des Licht des Tages leuchtete.
Dann hast du oft schon mir genommen
aus meinen nackten Armen, aber aus dem Herzen nicht.«
5.
Von den Strahlen,
die der Tag durch die Fenster warf
und als der Wächter seine Warnung sang,
da fuhr schreckliche Angst in sie
um den, der da noch bei ihr war.
Ihre zarten Brüste drängte sie an seine Brust.
Der Ritter spürte noch einmal seine Kraft.
Daran wollte ihn der Sang des Wächters hindern.
Abschied, nah und immer näher, gab ihnen
unter Küssen und mit andrem Tun der Liebe Lohn.
Von der zinnen
Von der Zinne
1.
»Von der zinnen
wil ich gên, in tagewîse
sanc verbern.
die sich minnen
tougenlîche, und ob sie prîse
ir minne wern,
sô gedenken sêre
an sîne lêre,
dem lîp und êre
ergeben sîn.
der mich des baete,
deswâr ich taete
ime guote raete
und helfe schîn
ritter, wache, hüete dîn!
2.
Niht verkrenken
wil ich aller wahter triuwe
an werden man.
niht gedenken
solt du, frouwe, an scheidens riuwe
ûf kunfte wân.
ez waere unwaege,
swer minne pflaege,
daz ûf im laege
meldes last.
ein sumer bringet
daz mîn munt singet:
durch wolken dringet
tagender glast.
hüete dîn, wache, süezer gast!«
3.
Er muos eht dannen,
der sie klagen ungerne hôrte.
dô sprach sîn munt:
»allen mannen
trûren nie sô gar zerstôrte
ir fröiden vunt«.
swie balde ez tagete,
der unverzagete.
an ir bejagete,
daz sorge in flôch.
unfrömedez rucken,
gar heinlîch smucken,
ir brüstel drucken
und mê dannoch
urloup gap, des prîs was hôch.
1.
»Von der Zinne
will ich jetzt gehen, und mit diesem Tagelied
meinen Sang lassen.
Und wenn auch die, die sich da
im Verborgenen lieben,
ihrer beider Zuneigung ehrt,
so sollen sie doch auch zu ihrem Schmerz
an dessen Mahnung denken,
dem sie Leben und Ansehen
anvertraut haben.
Wenn mich jemand darum ersuchte,
wahrlich ich gäbe ihm
guten Rat
und wirkliche Hilfe.
Ritter, wach auf, nimm dich in acht!
2.
Nicht herabsetzen will ich bei diesem edlen Mann
die Treue aller Wächter.
Nicht denken
sollst du Herrin, an den Schmerz des Abschieds
in der Hoffnung auf sein Wiederkommen.
Es wäre eine starke Belastung,
wenn auf dem,
der sich der Liebe hingibt,
auch noch
die Aufgabe der Warnung läge.
Der Sommer bringt es mit sich,
daß ich singe:
durch Wolken dringt
der Schimmer des anbrechenden Tages.
Nimm dich in acht, wach auf, lieber Gast.«
3.
Er mußte jetzt wirklich fort,
dem ihre Klage ins Herz schnitt.
Da sagte er:
»Keinem Manne
zerstörte jemals Trauer so völlig
das erlebte Glück.«
Wie rasch es auch tagte,
der unerschrockene Mann
erlangte noch einmal durch sie,
daß aller Schmerz ihn verließ.
Inniges Zusammenrücken,
vertrautes Sichaneinanderschmiegen,
streicheln ihrer Brüste
und mehr noch
gewährte der Abschied, der hoch bezahlt wurde.
Quelle:
©Fischer/Minnesang 2004 Herausgegeben, übersetzt von ©Helmut Breckert
Ez ist nu tac
Tag ist es jetzt
1.
»Ez ist nu tac! daz ich wol mac mit wârheit jehen.
ich wil niht langer sîn.«
>diu finster naht hât uns nu brâht ze leide mir
den morgenschîn.
sol er von mir scheiden nuo,
mîn vruint, diu sorge ist mir ze vruo.
ich weiz wol, daz ist ouch ime,
den ich in mînen ougen gerne burge,
möht ich in alsô behalten.
mîn kumber wil sich breiten:
ôwê des, wie kumt ers hin?
der hôhste vride müeze in noch an mînen arn geleiten.<
2.
Daz guote wîp ir vriundes lîp vaste umbevie:
der was entslâfen dô.
dô daz geschach, daz er ersach den grâwen tac,
dô muoste er sîn unvrô.
an sîne bruste dructe er sie
und sprach: »jôn erkande ich nie
kein trûric scheiden alsô snel,
uns ist diu naht von hinnen balde.
wer hât si sô kurz gemezzen?
der tac wil niht erwinden.
hât minne an saelden teil,
diu helfe mir, daz ich dich noch mit vröiden müeze vinden.«
3.
Si beide luste, daz er kuste si genuoc.
gevluochet wart dem tage.
urloup er nam, daz dâ wol zam, nu merket wie:
dâ ergie ein schimpf bî klage.
si hâten beide sich bewegen,
ez enwart sô nâhen nie gelegen,
des noch diu minne hât den prîs.
ob sunnen drî mit blicke waeren,
sine möhten zwischen si geliuhten.
er sprach: »nu wil ich rîten.
dîn wîplich güete neme mîn war
und sî mîn schilt hiut hin und her noch zallen zîten.«
4.
Ir ougen naz dô wurden baz. ouch twanc in klage:
er muoste von ir.
si sprach hin zime: »urloup ich nime ze vröiden mîn.
diu wil gar von mir.
sît ich vermîden muoz
dînen munt, der manigen gruoz
mir bôt unde ouch dînen kus,
alse in dîn ûzerwelte güete lêrte
und dîn geselle, dîn triuwe:
weme wiltdu mich lâzen?
nu kum schiere wider ûf rehten trôst!
owê dur daz mac ich strenge sorge niht gelâzen.«
1.
»Tag ist es jetzt. Das muß ich deutlich verkünden.
Ich werde nicht länger über euch wachen.«
›Die finstere Nacht hat uns jetzt und mir zum Schmerz
die ersten Morgenstrahlen beschert.
Wird er sich nun von mir trennen,
mein Geliebter, dann kommt mir dieser Kummer zu früh.
Ich weiß genau, das geht auch ihm so,
den ich in meinen Augen liebend gern verbergen wollte,
könnt ich ihn auf diese Weise behalten.
Mein Schmerz wird größer werden:
O Weh darüber, wie kommt er davon?
Gottes Schutz möge ihn noch einmal in meine Arme führen.‹
2.
Die edle Frau nahm ihren Geliebten fest in ihre Arme:
der war dort eingeschlafen.
Als er aber den grauen Tag erblickte,
befiel ihn Traurigkeit.
Er drückte sie an seine Brust
und sagte: »Noch nie mußte ich
so plötzlich schmerzliches Abschiednehmen
und so schnelles Vergehen der Nacht erfahren.
Wer hat sie so kurz bemessen?
Der Tag will sich nicht aufhalten lassen.
Wenn Liebe Teil höchster Glückseligkeit ist,
dann helfe sie mir, daß ich dich jemals in Freude wiederfinde.«
Es gelüstete sie beide, daß er sie unzähligmal küßte.
Der Tag wurde verflucht.
Abschied nahm er, wie es sich gehört, aber hört nur wie:
da geschah (erotische) Kurzweil trotz des Kummers!
Sie waren beide entschlossen,
so nahe beieinander zu liegen
wie nie zuvor ein Liebespaar,
wofür die Liebe noch heute gepriesen wird.
Und wenn es auch drei Sonnen mit Strahlen gäbe,
sie vermöchten nicht zwischen sie zu leuchten.
Er sprach: »Jetzt muß ich fort reiten.
Deine weibliche Vollkommenheit nehme mich in Obhut
und sei mein Schutzschild heute und für immer.«
4.
Ihre Augen wurden immer nässer. Auch ihn zwang der Kummer:
er mußte fort von ihr.
Sie sprach zu ihm: ›Ich nehme Abschied von meinem Glück.
Das will mich vollkommen verlassen.
Da ich nun auf deinen Mund
verzichten muß, der oft mich freundlich ansprach,
und auch auf deinen Kuß,
wie er Dank deiner glänzenden Erziehung dir eigen war,
und auf deinen Begleiter — deine Treue —:
wessen Schutz willst du mich anvertrauen?
Nun kehre bald wieder zu wahrem Trost!
O Weh, das alles vermag nicht meine gewaltige Sorge zu vertreiben.‹
Ursprinc bluomen
Das Hervorbrechen der Blumen
1.
Ursprinc bluomen, loup ûz dringen
und der luft des meigen urbort vogel ir alten dôn.
etswenne ich kan niuwez singen,
sô der rîfe liget, guot wîp, noch allez ân dîn lôn.
die waltsinger und ir sanc
nâch halben sumers teile in niemannes ôre enklanc.
2.
Der bliclîchen bluomen glesten
- sô des touwes anehanc - erliuternt, swâ si sint,
vogel die hellen und die besten:
al des meigen zît si wegent mir gesange ir kint
dô slief niht diu nahtegal.
nu wacheaber ich und singe ûf berge und in dem tal.
3.
Mîn sanc wil genâde suochen
an dich, güetlich wîp: nu hilf, sît helfe ist worden
dîn lôn dienstes sol geruochen,
daz ich iemer bitte und biute unz an mînen tôt.
lâze mich von dir nemen den trôst,
daz ich ûz mînen langen klagen werde erlôst.
4.
Guot wîp, mac mîn dienst ervinden,
ob dîn helflîch gebot mich vröiden welle wern,
daz mîn trûren müeze swinden
und ein liebez ende an dir bejagen mîn langez gern?
dîn güetlîch gelâz mich twanc,
daz ich dir beide guot singe al kurz oder wiltu lanc.
5.
Werdez wîp, dîn süeziu güete
und dîn minneclîcher zorn hât mir vröide vil erwert.
maht du troesten mîn gemüete?
wan ein helfelîchez wort von dir mich sanfte ernert.
mache wendic mir mîn klagen,
sô daz ich werde grôz gemuot bî mînen tagen.
1.
Das Hervorbrechen der Blumen, das Vordrängen der Blätter
und die Maienluft bringen der Vögel altbekannten Gesang hervor.
Ich aber kann manchmal etwas Neues singen,
wenn noch der Reif liegt, edle Frau, und noch ohne Belohnung.
Die Waldsänger und ihr Gesang jedoch
sind nach der Mitte des Sommers verklungen.
2.
Der anhängende Tau wird das Leuchten der blinkenden
Blumen noch klarer machen, wo immer sie auch sind.
Die Vögel, die hell tönenden und schönsten,
wiegen in der ganzen Maienzeit mit Gesang ihre Kinder.
Damals schlief auch nicht die Nachtigall.
Jetzt bin ich wach und singe auf Bergeshöh' und im Tal.
3.
Mein Lied will Erhörung bei dir suchen,
gütige Frau: nun hilf, weil ich der Hilfe bedarf.
Dein (Minne) Lohn soll meinen Dienst vergelten,
den ich allzeit leiste und erbieten werde bis zum Tod.
Laß mich von dir die Hoffnung gewinnen,
daß ich aus meinem langen Klagen einmal erlöst werde.
4.
Edle Frau, vermag mein Dienst je erreichen
- wenn deine hilfreiche Macht mir Freude gewährt -,
daß mein Trauern schwinden wird
und mein langes Begehren ein glückliches Ende an dir findet?
Deine schöne Erscheinung bezwang mich,
daß ich dir zweifach schön singe, entweder ganz kurz oder wenn du willst lang.
5.
Hohe Frau, dein holdseliges Wesen
und deine liebreizende Heftigkeit haben mir viel Glück verwehrt.
Wirst du mich trösten?
Denn ein helfendes Wort von dir wird mich aufs angenehmste erretten.
Vertreibe meine Klagen,
damit ich bei Lebzeiten noch frohmütig werde.
Quelle:
©Marix/ Deutsche Lyrik des Mittelalters/2005 Hrsg. ©Manfred Stange
Ich hân nâch liebem vriunde vil âbende
Nach liebem Freunde halte ich manchen Abend
1.
'Ich hân nâch liebem vriunde vil âbende
al mîn schouwen
ûz venstren über heide, ûf strâze unde gein
den liehten ouwen,
gar verlorn: er komet mir ze selten.
des müezen mîniu ougen vriundes minne
mit weinen tiure gelten.
2.
Sô gên ich von dem venster an die zinnen:
dâ warte ich ôsten westen, obe ich möhte
des werden innen,
der mîn herze lange hât betwungen.
man mac mich vür die alten senden wol zelen,
niht für die jungen.
3.
Ich var ûf einem wilden wâge eine wîle:
dâ warte ich verre, mêre danne über drîzec
mîle,
durch daz ob ich hôrte sölhiu maere,
daz ich nâch mînem jungenclârem vriunde
kumbers enbaere.
4.
War kom mîn spilende vröude? oder wie ist sus
gescheiden
ûz mînem herzen hôher muot? ein ôwê muoz nu
volgen uns beiden,
daz ich eine vür in wollte lîden.
Ich weiz wol daz in wider gein mir jagt
sendiu sorge, der mich doch kan
mîden.'
1.
'Nach liebem Freunde halte ich manchen Abend
Ausschau
aus Fenstern über die Heide, auf die Straße und
den lichten Auen
ganz vergeblich: er kommt mir nie.
So müssen meine Augen Freundes Liebe
mit Tränen teuer zahlen.
2.
So geh ich vom Fenster wieder auf die Zinne:
da spähe ich ostwärts, westwärts, ob ich ihn
wahrnehme,
der mein Herz seit langem bezwungen hat.
Man kann mich zu den alten Liebenden wohl zählen,
nicht zu den Jungen.
3.
Ich fahre auf der wilden Flut eine Weile:
da späh ich weithin, mehr als über dreißig
Meilen,
damit ich eine solche Kunde höre,
daß ich vom Kummer nach meinem jungen,
schönen Freunde frei werde.
4.
Wohin kam meine blinkende Freude und wie ist
so geschieden
aus meinem Herzen der hohe Mut? Und beiden
wird nun ein "O weh" folgen,
das ich allein für ihn leiden wollte.
Ich weiß wohl, daß ihn zu mir zurück
der Sehnsucht Sorge treibt, obwohl er mich
zu meiden weiß.'
Quelle:
©Manesse Bibliothek der Weltliteratur. Auswahl und Übersetzung von ©Max Wehrli