Eine Auswahl:

I. Moralisch-Satirische Dichtungen -Carmina moralia et satirica
II. Frühlings und Liebeslieder -
Carmina amatoria
III. Trinklieder und Spielerlieder - Carmina potoria
 

Die Carmina Burana
[mittellat. "Lieder aus Beuren"]

ist eine Liedersammlung des 12. und 13. Jahrhunderts, überliefert in einer
Pergamenthandschrift des 13. Jahrhunderts, die 1803 im bayrischen Kloster
Benediktbeuren entdeckt wurde.
Sie stellt somit die älteste Sammlung dar.

opus:
Carmina Burana, summa poetica medii aevi latini, collecta sunt circa annum 1230,
fortasse in aula episcopi de Seckau (Austria).
Usque ad annum 1806 manuscriptum in
possessionem habuit monasterium Benediktbeuern (Bavaria), nunc bibliotheca
Monacensis (Bayerische Staatsbibliothek München, clm 4660/4660a)


Die enthaltenen Texte wurden um 1230 niedergeschrieben. Es wird vermutet, dass dies
in der Benediktiner-Abtei Seckau in der Steiermark oder im Kloster Neustift bei Brixen geschah.
(Das ist aber nur eine Vermutung?)
Sie enthält über 250 Stücke, die aus meist anonymen, lateinischen und mittelhochdeutschen Texten besteht.
Einige Texte werden Dietmar von Aist, Heinrich von Morungen, Neidhart von Reuenthal,
Reinmar von Hagenau und Walther von der Vogelweide zugewiesen.


Die Carmina Burana sind in vier Gruppen unterteilt:

55 moralische und Spottgesänge
Liebeslieder – mit 131 Beispielen die größte Gruppe
40 Trink- und Spielerlieder
zwei längere geistliche Theaterstücke.


Die Lieder der Carmina Burana repräsentieren die größte erhaltene Sammlung von mittelalterlichen
lateinischen Texten. Sie liefern damit auch eine außerordentliche Quelle für die Poesie
und die Musik im späten Mittelalter.

Die Carmina Burana gelten auch als Inbegriff der mittelalterlichen Vagantendichtung=
>Lieder des 12. und 13. Jh. meist lat., von fahrenden Klerikern (ohne Weihen) und Studenten
gedichtet; sie sind freimütig und oft derb.<
Sie belegen wie kein anderes Dokument die Weltansicht und Lebensart des Hoch-Mittelalters).
Ein Großteil der Lyrik in der Carmina Burana ist offen heidnischen und sinnlichen Inhalt.

Der Codex Buranus enthält acht farbigen Miniaturen von großem Interesse. Die Miniatur
eingefügt am Anfang der Handschrift porträtiert Fortuna, die römische Goddesss (Göttin)
des Schicksals, sitzt im Rad des Vermögens, sie trägt eine Krone und Hermelin Mantel.

 



Kaiserin der Welt
(fortuna imperatrix Mundi)

 

Rund um das Rad sind die Phasen und der Aufstieg und Fall eines Souveränen gezeigt,
Auf den ersten übersteigt er das Rad, aber da es sich dreht, fällt er schließlich auf den
Boden unter seine Speichen.
Das Rad ist das Symbol für die Unbeständigkeit der Macht und den Wechselfällen des
Schicksals.
Dieses Rad war einigen Minnesängern wohl vertraut, z.B. Neidhart von Reuental 1180-
1240 erwähnte es in einem seiner "Winterlieder":
 
wê, gelückes rat,
wenne sol ich mîne stat ûf dir vinden,
oder wenne sol ich mînen vuoz gesetzen
in der saelden pfat?

 
Ach, Glücksrad,
wann werde ich meinen Platz auf dir finden
oder wann meinen Fuß auf den
Glückspfad setzen?

 

Auch Ulrich von Liechtenstein erwähnte in seinem "Frauendienst" das Glücksrad
folgendermaßen:
Vers 245
Die schöne, edle, liebe Frau, die Herrin aller meiner Freuden, sie lasse mich ihr Waise
sein, sie soll als Waise trösten mich. Wenn aber mich des Glückes Rad
Vers 250
vom Hochgefühl herunterstürzt und mich mit schweren Sorgen drückt, so sagt mir dann
mein eigenes Los: Der große Sehnsuchtskummer ist des armen Waisen Hausgenoß.
 


 
Ebenso war dem elsässischen Dichter Sebastian Brant 1457-1521 dem Verfasser des "Narrenschiffes", dieses Rad wohlbekannt. Aus eben diesem bekannten Werk, habe ich
folgende Verse gefunden:

 
Wer sitzet vff des glückes rad
Der ist ouch warten fall mit schad
Vnd das er ettwann næm eyn bad
Wer sitzet auf des Glückes Rade,
der sehe, daß kein Fall ihm schade
und daß er etwan komm' zum Bade.

Weiter heißt es:

 


 
Von gluckes fall

Der ist eyn narr der stiget hoch
Do mitt man sæch syn schand vnd schmoch
Vnd sůchet stæts eyn hœhern grad
Vnd gdencket nit an glückes rad

Eyn yedes ding wann es vffkunt
Zům hœchsten felt es selbst zů grunt
Keyn mensch so hoch hie kumen mag
Der jm verheiß den mornden tag
Oder das er morn glück soll han
Dann Clotho loßt das rad nit stan
Oder den syn gůt vnd gewalt
Vorm tod eyn ougenblick behalt
Wer gwalt hatt der hat angst vnd nott
Vil synt durch gwalt geschlagen dott
Den gwalt man nit langzyt behalt
Den man můß schyrmen mitt gewalt
Wo nit lieb ist vnd gunst der gmeyn
Do ist vil sorg vnd wollust kleyn
Der můß vil vœrchten der do wil
Das jn ouch sœllen vœrchten vil
Nůn ist vorcht gar eyn bœser knecht
Die leng mag sie nit hűtten recht
Wer hatt gewalt der selb der ler
Lieb haben gott vnd sůch syn ere
Wer gerechtikeyt halt jn der hant
Des gwalt mag haben gůt bestant
Der hatt syn gwalt wol angeleyt
Vmb des abgang man truren treit
We dem regyerer noch des dot
Man sprechen můß gelobt sy gott
Wer waltzt eyn steyn vff jn die hœh
Vff den falt er vnd důt jm we
Vnd wer verloßt sich vff syn glück
Der vellt offt jn eym ougenblyck.

 
Von Glückes Zufall

Der ist ein Narr, der hochauf steigt,
damit er Schmach und Schande zeigt,
und sucht stets einen höhern Grad
und denkt nicht an des Glückes Rad.

Was hochauf steigt in dieser Welt,
gar plötzlich oft zu Boden fällt.
Kein Mensch so hoch hier kommen mag,
der sich verheißt den künft'gen Tag,
und daß er Glück dann haben will,
denn Klotho hält ihr Rad nicht still,
oder dessen Macht und Güter
wären vor dem Tod ein Hüter.
Wer Macht hat, der hat Angst und Not,
viel sind um Macht geschlagen tot.
Die Herrschaft hat nicht langen Halt,
die man muß schirmen mit Gewalt.
Wo keine Lieb und Gunst der Gemein',
da ist viel Sorg' – und Freude klein.
Es muß viel fürchten, wer da will,
das ihn auch sollen fürchten viel.
Nun ist die Furcht ein böser Knecht,
sie kann nicht lange hüten recht.
Wer innehat Gewalt, der lerne
liebhaben Gott und ehr' ihn gerne.
Wer Gerechtigkeit hält in der Hand,
des Macht mag haben gut Bestand;
des Herrschaft war wohl angelegt,
um dessen Tod man Trauer trägt.
Weh dem Regenten, nach des Tod
man sprechen muß: "Gelobt sei Gott!"
Wer einen Stein wälzt auf die Höh',
auf den fällt er und tut ihm weh,
und wer vertrauet auf sein Glück,
fällt oft in einem Augenblick.

 

Quelle:
©Anaconda 2006/Übersetzung aus dem Lateinischen ©Matthias Hackemann.
Übersetzung aus dem Mittelhochdeutschen ©Ulrike Brandt-Schwarze.