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Winterlieder
 

Sommerlieder

Die Sommerlieder handeln von Liebessehnsucht und sommerlichem Vergnügen, oft in Form eines Gespräches zwischen zwei Freundinnen
oder zwischen Mutter und Tochter; als Figur erscheint hier der (arme) "Ritter von Reuental", zu dem das Mädchen hin will.
Siehe das Lied: "Der meie der ist rîche."
Die Sommerlieder stehen karikierend in deutlichem Kontrast zur höfischen Haltung. Neben der Parodie auf den Ritter wird auch bäuerliche
Rohheit bloßgestellt.

Quelle der Lieder:
©Reclam 1984 Neidhart von Reuental – Lieder/Übersetzt, kommentiert und herausgegeben von
©Helmut Lomnitzer
 


Sommerlied 1

 

Der auf den naturhaften und selbst Altersgrenzen überspielenden Zusammenhang von Frühling und Liebe abzielende Text,
stellt sich als Minnegespräch zwischen einer liebeskranken, und lebenslustigen Alten und einem dies staunend zur Kenntnis nehmenden Mädchen dar.

 

1.
»Sumer, wis enphangen
von mir hundert tûsent stunt!
swaz herze wunt
was den winder langen,
diu sint geheilet unde ir nôt zergangen,
lediclîchen vrî von allen twangen.

2.
Dû kumst lobelîchen
aber der werlde in elliu lant.
von dir verswant
armen unde rîchen
ir trûren, dô der winder muose entwîchen.
jungen, sult iuch aber zen vröuden strîchen.

3.
Walt hât sîne krâme
gein dem meien ûf geslagen.
ich hoere sagen,
vröude bernder sâme
der sî dâ veile nû mit voller âme:
hôchgemuoter, solhes koufes râme!

4.
Da ist für trûren veile
manger hande vogele sanc;
ir süezen klanc
ich ze mînem teile
wil dingen, daz er mîne wunden heile:«
alsô sprach ein altiu in ir geile.

5.
Der was von der Minne
allez ir gemüete erwagt.
ein stolziu magt
sprach: »Si, küneginne,
wie mangen dû beroubest sîner sinne!
mir ist nôt, waz erzenîe ich gwinne.«

6.
»Sî hât mit ir strâle
mich verwundet in den tôt;
wan seneder nôt
lîde ich grôze quâle.
si ist von rôtem golde, niht von stâle.
an mîn herze schôz si zeinem mâle.«

7.
»Sage, von welhen sachen
kom, daz dich diu Minne schôz?«
»unsenftic lôz
kann diu Minne machen:
si twinget, daz man swindet under lachen,
selten slâfen, dicke in trûren wachen.«

8.
Wol verstuont diu junge,
daz der alten ir gedanc
nâch vröuden ranc -
als ich gerne runge,
ob mich ein sendiu sorge niht entwunge
unde an herzenliebe mir gelunge.

 
1.
»Sommer, sei begrüßt
von mir hunderttausendmal!
Alle Herzen, die wund
den langen Winter über waren,
sind geheilt, ihr Schmerz ist vergangen,
und sie sind frei und ledig aller Nöte.

2.
Herrlich ziehst du wieder ein
in alle Länder der Welt.
Durch dich entschwand jedermanns
Trauer, als der Winter weichen mußte.
Ihr Jungen, schmückt euch wieder
für die Sommerfreuden!

3.
Der Wald hat seine Krambude
zum Empfang des Mai aufgeschlagen.
Ich höre sagen,
daß freudeträchtiger Same
jetzt in reichem Maße da feil sei.
Wer frohen Sinnes ist, bemühe sich um solche Ware!

4.
Da gibt es gegen Trauer zu kaufen
mancherlei Vöglein Gesang.
Ihr süßes Gezwitscher
will ich für mein Teil
erstehen, damit es meine Wunden heilt:«
so sprach eine Alte voller Lebenslust.

5.
Der hatte die Minne
all ihre Gedanken ergriffen.
Ein fröhliches Mädchen
sprach: »Ei, Königin,
wie vielen raubst du doch den Verstand!
Ich will schnell Arznei herbeischaffen.«

6.
»Sie hat mit ihrem Pfeil
mich tödlich verwundet,
denn aus Liebeskummer
leide ich große Qual.
Er ist aus rotem Gold, nicht aus Stahl.
In mein Herz hat sie mit einem Mal geschossen.«

7.
»Sage, aus welchem Grund
dich die Minne zum Ziel gewählt hat?«
»Schweres Los
kann die Minne bereiten.
Sie zwingt einen, daß man vergeht unter Lachen,
selten schläft, oft trauernd wacht.«

8.
Recht begriff da die Junge,
daß der Sinn der Alten
nach Liebesfreuden verlangte -
wie auch ich es gern möchte,
bedrückte mich nicht mein Liebesschmerz
und dürfte ich auf die Erfüllung meiner Liebe hoffen.

 


Sommerlied 2

 

In diesem Lied wurde der Figur der tanzwütigen, liebestollen Alten in parodistischer Umkehrung die warnende Tochter zur Seite gestellt.
 

1.
Ein altiu diu begunde springen
hôhe alsam ein kitze enbor: si wolde bluomen bringen.
»tohter, reich mir mîn gewant:
ich muoz an eines knappen hant,
der ist von Riuwental genant.
traranuretun traranuriruntundeie.«

2.
»Muoter, ir hüetet iuwer sinne!
erst ein knappe sô gemuot, er pfliget niht staeter minne.«
»tohter, lâ mich âne nôt!
ich weiz wol, waz er mir enbôt.
nâch sîner minne bin ich tôt.
traranuretun traranuriruntundeie.«

3.
Dô sprach's ein alte in ir geile:
»trûtgespil, wol dan mit mir! ja ergât ez uns ze heile.
wir suln beid nâch bluomen gân.
war umbe solte ich hie bestân,
sît ich sô vil geverten hân?
traranuretun traranuriruntundeie.«

 
1.
Eine Alte sprang los,
wie ein Zicklein hoch empor: sie wollte Blumen bringen.
»Tochter, reich mir mein Feiertagskleid!
Ich muß an eines jungen Ritters Hand,
der nach Reuental benannt ist.
Traranuretun traranuriruntundeie.«

2.
»Mutter haltet nur eure Sinne beisammen!
Der Ritter denkt nicht dran, treu in der Liebe zu sein.«
»Tochter, laß mich ungeschoren!
Ich weiß wohl, was er mir beteuert hat.
Vor Sehnsucht nach seiner Liebe sterbe ich.
Traranuretun traranuriruntundeie.«

3.
Froh rief sie da einer andern Alten zu:
»Liebe Freundin, los, auf mit mir! Wir werden gewiß Glück haben.
Wir wollen beide nach Blumen gehn.
Warum sollte ich hier bleiben,
da ich so viele Gefährtinnen habe?
Traranuretun traranuriruntundeie.«

 


Sommerlied 3

 

Das der Schilderung der belebenden Kraft des Frühlings gewidmete Lied, wegen des fehlenden dialogischen Merkmals formal Repräsentant eines
reinen Sängerliedes, wirkt ganz aus dem komischen Effekt des derb-grotesken Schlussbildes.

 

1.
Ûf dem berge und in dem tal
hebt sich aber der vogele schal,
hiure als ê
gruonet klê.
rûme ez, winter, dû tuost wê!

2.
Die boume, die dâ stuonden grîs,
die habent alle ir niuwez rîs
vogele vol:
daz tuot wol.
dâ von nimt der meie den zol.

3.
Ein altiu mit dem tôde vaht
beide tac und ouch die naht.
diu spranc sider
als ein wider
und stiez die jungen alle nider.

 

1.
In Berg und Tal
erhebt sich wieder der Vöglein Gesang,
wie ehedem
grünt jetzt der Klee.
Entweiche, Winter, du tust weh!

2.
Die Bäume, die vom Reif bedeckt waren,
haben nun alle ihr grünes Reis
voll von Vögeln
Das tut gut.
Davon erhebt der Mai den Zoll.

3.
Ein Alte rang mit dem Tod
Tag und Nacht.
Die hopste seitdem
wie ein Widder umher
und stieß alle Jungen um.

 


Sommerlied 4

 

Dieses Lied kleidet Neidhart in eine satirischer Form. Das Thema ist allzu bekannt: Ein sich unbekümmert gebendes Spiel mit höfischen Motiven
und traditionellen Floskeln im Munde erotisierter Dorfmädchen, davon ist eine auf Handfesteres aus (Str.7)

 

1.
Ine gesach die heide
nie baz gestalt,
in liehter ougenweide
den grüenen walt:
bî den beiden kiese wir den meien.
ir mägde, ir sult iuch zweien,
gein dirre liehten sumerzît in hôhem muote reien.

2.
Lop von mangen zungen
der meie hât.
die bluomen sint entsprungen
an manger stat,
dâ man ê deheine kunde vinden,
geloubet stât diu linde:
dâ hebt sich, als ich hân vernomen, ein tanz von höfschen kinden.

3.
Die sint sorgen âne
und vröuden rîch.
ir mägede wolgetâne
und minneclîch,
zieret iuch, daz iu die Beier danken,
die Swâbe und die Vranken!
ir brîset iuwer hemde wîz mit sîden wol zen lanken.

4.
»Gein wem solt ich mich zâfen?«
sô redete ein maget.
»die tumben sint entslâfen;
ich bin verzaget.
vreude und êre ist al der werlde unmaere.
die man sint wandelbaere:
deheiner wirbet umbe ein wîp, der er getiuwert waere.«

5.
»Die réde solt du behalten«,
sprach ir gespil.
»mit vröuden sul wir alten:
der manne ist vil,
die noch gerne dienent guoten wîben.
lât solhe rede belîben!
ez wirbet einer umbe mich, der trûren kan vertrîben.«

6.
»Den soltû mir zeigen,
wier mir behage.
der gürtel sî dîn eigen,
den umbe ich trage!
sage mir sînen namen, der dich minne
sô tougenlîcher sinne!
mir ist getroumet hînt von dir, dîn muot der stê von hinne.«

7.
»Den si alle nennent
von Riuwental
und sînen sanc erkennent
wol über al,
derst mir holt. mit guote ich im des lône:
durch sînen willen schône
sô wil ich brîsen mînen lîp. wol dan, man liutet nône!«

 
1.
Ich habe die Heide
nie schöner gesehen,
einen prächtigen Anblick
bietet der grüne Wald.
An beiden können wir den Mai erkennen.
Ihr Mädchen, ihr sollt euch einen Partner suchen,
zum Empfang der sonnigen Sommerzeit fröhlich tanzen!

2.
Viele Zungen preisen
den Mai.
Die Blumen sind entsprossen
vielerorts,
wo man vorher keine finden konnte.
Neu belaubt steht die Linde.
Da hebt, wie ich hörte, ein Tanz von schmucken Mädchen an.

3.
Die sind unbekümmert
und freudigen Sinnes.
Ihr schönen
und liebreichen Mädchen,
schmückt euch, daß euch die Bayern danken,
die Schwaben und die Franken!
Schnürt eure weißen Röcke mit Seidenbändern fest um die Hüften!

4.
»Für wen sollte ich mich schön machen?«
sprach ein Mädchen:
»Die jungen Männer schlafen ja.
Ich habe keine Hoffnung mehr.
Frohsinn und Ehrgefühl sind aller Welt gleichgültig.
Die Männer sind flatterhaft.
keiner wirbt um eine Frau, die ihm Ehre bringen könnte.«

5.
»So darfst du nicht reden«,
sprach ihre Freundin.
»Wir haben Grund, fröhlich zu bleiben.
Es gibt noch viele Männer,
die tugendhaften Frauen gern dienen.
Laß darum solche Reden sein!
Um mich wirbt einer, der Trübsal vertreiben kann.«

6.
»Den mußt du mir zeigen,
damit ich sehe, wie er mir gefällt.
Der Gürtel soll dir gehören,
den ich umhabe!
Nenne mir ihn, der dich liebt,
ohne das jemand davon weiß!
Heute nacht träumte ich von dir, du wolltest von hier fort!«

7.
»Den sie alle nennen
den von Reuental
und dessen Lieder sie kennen
wohl allesamt,
der ist mir gewogen. Mit Gutem lohn ich's ihm.
Schön um seinetwillen
will ich mich schnüren. Doch fort, man läutet Mittag!«

 


Sommerlied 5
 

Dieses derbe, ungehobelt bäurische Streitgespräch zwischen tanzlustiger Tochter und ihrer Mutter – die beliebteste Szene in Neidharts Sommerliedern – verzichtet, abgesehen vom Natureingang an den Sprachgebrauch höfischer Lyrik. Zur handfesten drastischen Anschaulichkeit
trägt das dörfliche Vokabular bei.

 

1.
»Fröut iuch, junge und alte!
der maie mit gewalte
den winder hât verdrungen,
die bluomen sint entsprungen.
wie schôn diu nahtegal
ûf dem rîse ir süeze wîse singet, wünneclîchen schal!

2.
Walt nu schône loubet.
»mîn muoter niht geloubet,
der joch mit einem seile«,
sô sprach ein maget geile,
»mir bunde einen fuoz,
mit den kinden zuo der linden ûf den anger ich doch muoz.«

3.
Daz gehôrte ir muoter:
»jâ swinge ich dir daz fuoter
mit stecken umbe den rugge,
vil kleine grasemugge.
wâ wilt dû hüpfen hin
ab dem neste? sitze und beste mit den ermel wider in!«

4.
»Muoter, mit dem stecken
sol man die runzen recken
den alten als eim sumber.
noch hiuwer sît ir tumber,
dan ir von sprunge vart.
ir sît tôt vil kleiner nôt, ist iu der ermel abe gezart.«

5.
Ûf spranc sî vil snelle.
»der tievel ûz dir belle!
ich wil mich dîn verzîhen;
dû wilt vil übel gedîhen.«
»muoter, ich lebe iedoch,
swie iu troume; bî dem soume durch den ermel gât daz loch.«

 

1.
»Freut euch, ihr Jungen und Alten!
Der Mai hat mit Macht
den Winter vertrieben,
die Blumen sind entsprossen.
Wie schön die Nachtigall
auf dem Zweig ihr liebliches Lied singt, Freudenjubel!

2.
Der Wald bedeckt sich mit frischem Laub.
Meine Mutter glaubt nicht,
daß, selbst wenn man mit einem Strick«,
so sprach ein fröhliches Mädchen,
»mir den Fuß festbände,
ich doch mit den Mädchen zur Linde auf den Anger muß.«

3.
Das hörte ihre Mutter:
»Wahrlich, ich werde dir schon das Futter
mit dem Stock auf den Rücken schwingen,
winzige Grasmücke.
Wo willst du hinhüpfen
aus deinem Nest? Bleib sitzen und näh mir den Ärmel wieder fest!«

4.
»Mutter, mit dem Stecken
soll man den Alten
die Runzeln glätten wie einer Trommel.
Ihr werdet dümmer
von Jahr zu Jahr.
Ihr sterbt noch an einer Lappalie, wenn euch bloß der Ärmel abgerissen ist.«

5.
Geschwind sprang sie auf.
»Der Teufel soll in dich fahren!
Ich will nichts mehr mit dir zu schaffen haben,
du drohst ganz schlimm auszuarten.«
»Mutter, ich bin wach und bei Verstand,
während ihr träumt. Am Saum geht das Loch durch den Ärmel.«

 


Sommerlied 6
 

Dieses Lied ist eine ebenso unmittelbar und lebendig wirkende Abwandlung der gleichen Situation, wie in obigem Lied.
Dem Frühlingszank zwischen Mutter und Tochter schließt sich ein geschickter epischer Schlussbericht des Dichters an.
(Siehe die Strophen 6 und 7) Und ehe man sich's versieht, ist das Mädchen beim Ballspiel mit ihrem Liebhaber!

 

1.
»Nu ist der küele winder gar zergangen,
diu naht ist kurz, der tac beginnet langen,
sich hebet ein wunneclîchiu zît,
diu al der werlde vreude gît;
baz gesungen nie die vogele ê noch sît.

2.
Komen ist uns ein liehtiu ougenweide:
man siht der rôsen wunder ûf der heide,
die bluomen dringent durch daz gras.
schône ein wise getouwet was,
dâ mir mîn geselle zeinem kranze las.

3.
Der walt hât sîner grîse gar vergezzen,
der meie ist ûf ein grüenez zwî gesezzen:
er hât gewunnen loubes vil.
bint dir balde trûtgespil!
dû weist wol, daz ich mit einem ritter wil.«

4.
Daz gehôrte der mägde muoter tougen;
si sprach: »behalte hinne vür dîn lougen!
dîn wankelmuot ist offenbâr.
wint ein hüetel um dîn hâr!
dû muost âne dîne wât, wilt an die schar.«

5.
»Muoter mîn, wer gap iu daz ze lêhen,
daz ich iuch mîner waete solde vlêhen,
dern gespunnet ir nie vadem?
lâzet ruowen solhen kradem!
wâ nu slüzzel? sliuz ûf balde mir daz gadem!«

6.
Diu wât diu was in einem schrîne versperret:
daz wart bî einem staffel ûf gezerret.
diu alte ir leider nie gesach:
dô daz kint ir kisten brach,
dô gesweic ir zunge, daz sî niht ensprach.

7.
Dar ûz nam sî daz röckel alsô balde,
daz was gelegen in maneger kleinen valde.
ir gürtel was ein rieme smal.
in des hant von Riuwental
warf diu stolze maget ir gickelvêhen bal.

 

1.
»Nun ist der kalte Winter endlich vorbei,
die Nächte sind kurz, die Tage werden länger.
eine herrliche Zeit bricht an,
die aller Welt Freude schenkt.
Schöner haben die Vögel noch nie gesungen.

2.
Ein strahlender Anblick liegt vor unseren Augen:
unzählige Rosen sieht man auf der Heide,
die Blumen sprießen durch das Gras.
Mit frischem Tau war die Wiese benetzt,
auf der mir mein Liebster Blumen zum Kranze las.

3.
Der Wald weiß nichts mehr von seiner grauen
Farbe, der Mai hat sich auf einen grünen Zweig
niedergelassen. Neues Laub hat er in Fülle.
Setz schnell deinen Kranz auf, liebe Freundin!
Du weißt doch, daß ich zu einem Ritter will.«

4.
Das hörte des Mädchens Mutter heimlich.
Sie sprach: »Hör auf, es länger abzuleugnen!
Dein Leichtsinn liegt offen zutage. Bind dir lieber
ein Kopftuch ums Haar! Du mußt ohne dein
Kleid gehen, wenn du zur Tanzschar willst.«

5.
»Liebe Mutter, wer gab euch das Recht dazu,
daß ich euch um mein Kleid erst anflehen müßte?
von dem ihr keinen einzigen Faden gesponnen habt?
Hört auf mit solchem Spektakel! Wo ist der
Schlüssel? Schließt schleunigst mir auf die Kammer!«

6.
Das Kleid war in einem Schrank eingeschlossen.
Mit einem Stuhlbein wurde er aufgezwängt.
Die Alte hatte nie etwas Betrüblicheres gesehen.
Als das Mädchen ihren Kasten aufbrach,
verschlug's ihr die Sprache, so daß sie kein Wort mehr hervorbrachte.

7.
Geschwind nahm sie das Röckchen heraus,
das war in viele zierliche Falten gelegt.
Ihr Gürtel war ein schmales Band.
In die Hand des Reuentalers warf
das übermutige Mädchen ihren buntscheckigen Ball.

 


Sommerlied 7
 

Das Mutter-Tochter Gespräch dieses Liedes schlägt weniger grobe Töne an, thematisiert dafür die soziale Problematik.
 

1.
Blôzen wir den anger ligen sâhen,
end uns diu liebe zît begunde nâhen,
daz die bluomen drungen durch den klê
aber als ê.
heide diust mit rôsen nû bevangen:
den tuot der sumer wol, niht wê.

2.
Droschel, nahtigal die hoert man singen,
von ir schalle berc unt tal erklingen:
si vreunt sich gegen der lieben sumerzît,
diu uns gît
vreuden vil und liehter ougenweide.
diu heide wünneclîchen lît.

3.
Sprach ein maget: »die wissen wellent touwen.
megt ir an dem sumer wunder schouwen?
die boume, die den winder stuonden val,
über al
sint si niuwes loubes worden rîche:
dar under singent nahtigal.

4.
Losâ, wie die vogele alle doenent,
wie sî den meien mit ir sange kroenent!
jâ, waen ich, der winder ende hât.
Wîerât,
sprinc alsô, daz ich dirs immer danke!
diu linde wol geloubet stât.

5.
Dâ sul wir uns wider hiuwer zweien.
vor dem walde ist rôsen vil geheien:
der wil ich ein kränzel wolgetân
ûfe hân,
springe ich einem ritter an der hende
in hôhem muote. nû wol dan!«

6.
»Tohterlin, lâ dich sîn niht gelangen!
wil dû die ritter an dem reien drangen,
die dir niht ze mâze ensulen sîn,
tohterlin,
dû wirst an dem schaden wol ervunden.
der junge meier muotet dîn.«

7.
»Sliezet mir den meier an die versen!
jâ trûwe ich stolzem ritter wol gehersen:
zwiu sol ein gebûwer mir ze man?
der enkan
mich nâch mînem willen niht getriuten:
er, waen, mîn eine muoz gestân.«

8.
»Tohterlin, lâ dir in niht versmâhen!
dû wilt ze tumbe ritters künde vâhen:
daz ist allen dînen vriunden leît.
manegen eit
swüere dû: des wis nu âne lougen,
dîn muot dich allez von mir treit!«

9.
»Muoter mîn, ir lâzet iuwer bâgen!
ich wil mîne vriunde durch in wâgen,
den ich mînen willen nie verhal.
über al
müezen sîn die liute werden inne:
mîn muot der strebt gein Riuwental.«

 

1.
Kahl haben wir den Anger liegen gesehen,
bevor uns die freundliche Jahreszeit nahte,
in der wieder die Blumen über den Klee hinausschossen
wie früher.
Jetzt ist die Heide mit Rosen bedeckt.
Der Sommer tut ihnen wohl, nicht weh.

2.
Drossel und Nachtigall hört man singen
und von ihrem Lied Berg und Tal erklingen.
Sie freuen sich auf die schöne Sommerzeit.
Die schenkt uns
vielfältige Freuden und ihr Glanz erquickt unsere Augen.
In voller Pracht liegt die Heide da.

3.
Ein Mädchen sprach: »Die Wiesen wollen tauig werden.
Schaut nur die Herrlichkeit des Sommers!
Die Bäume, die den Winter über kahl standen,
tragen allesamt
neues Laub in Fülle.
Darunter schlagen die Nachtigallen.

4.
Hört, wie die Vögel alle jubilieren
und den Mai mit ihrem Gesang verherrlichen!
Ja, ich glaube, der Winter ist endlich vorbei.
Wierat,
tanz los, daß ich dir's immer danken muß.
Die Linde steht in frischem Grün.

5.
Da wollen wir uns jetzt wieder zu Paaren gesellen.
Am Waldesrand stehen viele Rosen in Blüte.
Von denen will ich ein schönes Kränzchen
tragen,
wenn ich an Rittershand tanze
frohen Sinnes. Auf denn!«

6.
»Tochter, laß es dich nicht danach gelüsten!
Wenn du mit Rittern im Tanze dich drehen willst,
die für deinesgleichen nicht bestimmt sind,
liebe Tochter,
wird am Ende gewiß Schaden daraus erwachsen.
Der junge Meier freit doch um dich.«

7.
»Laßt mich mit dem nur in Ruhe!
Ich trau mir schon zu, mit einem stattlichen Ritter fertig zu werden.
Was soll mir ein Bauer als Mann?
Der versteht es doch nicht,
mich so, wie ich will, zu lieben.
Er wird, denke ich, auf mich verzichten müssen.«

8.
»Tochter, laß ihn dir nicht verächtlich werden!
Du willst aus Unerfahrenheit eines Ritters Bekanntschaft suchen.
Das betrübt alle deine Freunde.
Viele Eide
hast du geschworen, das leugne nun nicht!
Dein Sinn führt dich ganz von mir fort.«

9.
»Meine Mutter, laßt doch euer Gezänk!
Ich will meine Freunde um seinetwillen aufs Spiel setzen,
habe ich ihnen doch meinen Vorsatz nie verschwiegen.
Überall
sollen es die Leute erfahren:
mein Verlangen strebt nach Reuental.«

 


Sommerlied 8
 

Das folgende Lied ist ein "Kreuzlied" zum nachschlagen! (Mittelalter/Begriffe)

Dieses Lied ist der Mühsal der Kreuzzüge gewidmet. Es spielt auf die Ereignisse aus dem 1217 begonnenen Kreuzzug an,
an dem neben Herzog Leopold VI. von Österreich u.a. französische, später auch italienische Kreuzfahrer beteiligt waren.
Es findet sich keine einzige Spur von religiöser Inbrunst in diesem Kreuzzugslied, im Gegenteil, Neidhart hasst die Mühsal des realen Kreuzfahrerdasein.
Er hat Sehnsucht nach seinen Freunden, der Geliebten und der Heimat in der jetzt alles grünt und blüht.

 

1.
Ez gruonet wol diu heide,
mit grüenem loube stât der walt:
der winder kalt
twanc si sêre beide.
diu zît hât sich verwandelôt.
mîn sendiu nôt
mant mich an die guoten, von der ich unsanfte scheide.

2.
Gegen der wandelunge
wol singent elliu vogelîn
den vriunden mîn,
den ich gerne sunge,
des sî mir alle sagten danc.
ûf mînen sanc
ahtent hie die Walhen niht: sô wol dir, diutschiu zunge!

3.
Wie gerne ich nu sande
der lieben einen boten dar,
(nu nemt des war!)
der daz dorf erkande,
dâ ich die seneden inne lie:
jâ meine ich die,
von der ich den muot mit staeter liebe nie gewande.

4.
Bote, nu var bereite
ze lieben vriunden über sê!
mir tuot vil wê
sendiu arebeite.
dû solt in allen von uns sagen,
in kurzen tagen
saehens uns mit vröuden dort, wan durch des wâges breite.

5.
Sage der meisterinne
den willeclîchen dienest mîn!
si sol diu sîn,
diech von herzen minne
vür alle vrouwen hinne vür.
ê ichs verkür,
ê wold ich verkiesen, deich der nimmer teil gewinne.

6.
Vriunden unde mâgen
sage, daz ich mich wol gehabe!
vil lieber knabe,
ob si dich des vrâgen,
wiez umbe uns pilgerîne stê,
sô sage, wie wê
uns die Walhen haben getân! des muoz uns hie betrâgen.

7.
Wirp ez endelîchen!
mit triuwen lâ dir wesen gâch!
ich kum dar nâch
schiere sicherlîchen,
so ich aller baldist immer mac.
den lieben tac
lâze uns got geleben, daz wir hin heim ze lande strîchen!

8.
Ob sich der bote nu sûme,
sô wil ich selbe bote sîn
zen vriunden mîn:
wir leben alle kûme,
daz her ist mêr dan halbez mort.
hey, waere ich dort!
bî der wolgetânen laege ich gerne an mînem rûme.

9.
Solt ich mit ir nu alten,
ich het noch eteslîchen dôn
ûf minne lôn
her mit mir behalten,
des tûsent herze wurden geil.
gewinne ich heil
gegen der wolgetânen, mîn gewerft sol heiles walten.

10.
Si reien oder tanzen,
si tuon vil manegen wîten schrit,
ich allez mit.
ê wir heime geswanzen,
ich sage iz bî den triuwen mîn,
wir solden sîn
zOesterrîche: vor dem snite sô setzet man die phlanzen.

11.
Er dünket mich ein narre,
swer diesen ougest hie bestât.
ez waer mîn rât,
lieze er siech geharre
und vüer hin wider über sê:
daz tuot niht wê;
nindert waere baz ein man dan heime in sîner pharre.
 

1.
Frisches Grün schmückt die Heide,
in grünem Laub steht der Wald.
Der kalte Winter
hatte beiden Schmerz und Gewalt angetan.
Die Zeit hat sich gewandelt.
Meine Liebesschmerzen
erinnern mich an die Gute, von der ich schwer lassen kann.

2.
In Erwartung des Frühlings
jubilieren die Vöglein,
daß es meine Freunde hören können.
Ihnen widmete ich gern mein Lied,
wofür sie mir alle Dank sagten.
Auf meinen Gesang
achten die Welschen hier nicht: drum fahre wohl, deutsches Volk!

3.
Wie gern möchte ich jetzt senden
hin zur Geliebten einen Boten
(das könnt ihr mir glauben!)
dem das Dorf bekannt wäre,
in dem ich die Liebste zurückließ.
Ja, meine Gedanken kreisen um die,
von der ich mein treuliebendes Herz nie abgewendet habe.

4.
Bote, nun mach dich schnell auf den Weg
übers Meer nach lieben Freunden!
Mich schmerzen bitterlich
Sehnsuchtsqualen.
Du sollst ihnen allen von uns ausrichten,
daß sie in wenigen Tagen
uns freudig bei ihnen sehen könnten, läg nicht das breite Meer dazwischen.

5.
Sage der Herrin,
daß ich ihr bereitwillig dienen will!
Sie soll diejenige sein,
die ich von Herzen liebe
vor allen Frauen immerfort.
Ehe ich von ihr ablasse,
wollte ich lieber verzichten, je Glück bei den andern zu haben.

6.
Freunden und Verwandten
berichte, daß ich wohlauf bin.
Lieber junger Bote,
wenn sie dich danach fragen,
wie es um uns Kreuzfahrer stehen mag,
dann sage, wieviel Leid
uns die Welschen angetan haben! Darüber müssen wir uns hier ärgern.

7.
Verrichte deinen Auftrag gut und schnell,
laß Eile walten, wie sich's gehört!
Ich komme hinterher
gewiß so bald und schnell,
wie es mir irgend möglich ist.
Den Freudentag
lasse uns Gott erleben, daß wir zurück ins Heimatland ziehen!

8.
Wenn der Bote zu langsam ist,
will ich mein eigener Bote sein
und meinen Freunden künden:
wir sind alle kaum noch am Leben,
das Heer ist mehr als zur Hälfte tot.
Ach, wäre ich dort!
An der Seite der Schönen nähme ich gern meinen Platz ein.

9.
Dürfte ich dann bei ihr bleiben,
könnte ich noch mit manchem Lied
in Erwartung von Liebeslohn
dienen,
worüber tausend Herzen froh würden.
Habe ich Glück
bei der Geliebten, wird es meinem Sängerberuf zugute kommen.

10.
Ob sie springen oder tanzen,
viele große Schritte machen,
in Gedanken bin ich immer dabei.
Ehe wir daheim herumstolzieren können,
bei meiner Treu,
müßten wir erst mal
in Österreich sein. Erst setzt man die Pflanzen, dann schneidet man sie.

11.
Der dünkt mich ein Tor,
wer diesen August über hier aushält.
Mein Rat wäre der,
daß er die schlimme Warterei ließe
und übers Meer zurückzöge.
Das tut nicht weh.
Nirgendwo lebt man besser als daheim in der eigenen Pfarre.

 

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