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Fabelverzeichnis


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Gen Narragonien


Hi sunt qui descendunt mare in nauibus
facientes operationem in aquis multis.
Ascendunt usque ad caelos / et descendunt usque
ad abyssos: anima eorum in malis tabescebat.
Turbati sunt et moti sunt sicut ebrius: et
omnis sapientia eorum devorata est.
Psalmo CVI

Hie findt man der welt ganzen louf.
dis buochlin wurt guot zuo dem kouf;
zuo schimpf und ernst und allem spil
findt man hie narren, wie man wil;
ein wiser findt, das in erfreit;
ein narr gern von sin bruodern seit.
hie findt man doren, arm und rich,
schlim schlem; ein jeder findt sin glich.




 


Die Zahlen innerhalb der Fabel bedeuten Anmerkungen, Interessantes und manch wissenswertes,
bei Interesse das Glossar verwenden.

 

Die Wahrheit wird nie wertlos sein,
Und wenn sich Narren den Hals abschrein.
Sebastian Brant.

 

Ein vorred in das narren schyff
 
Eine Vorrede zum Narrenschiff
 
All land syndt yetz voll heylger geschrifft
Vnd was der selen heyl antrifft /
Bibel / der heylgen vætter ler
Vnd ander der glich bůcher mer /

In maß / das ich ser wunder hab
Das nyemant bessert sich dar ab /
Ja würt all gschrifft vnd ler veracht
Die gantz welt lebt in vinstrer nacht
Und důt in sünden blint verharren

All strassen / gassen / sindt voll narren
Die nüt dañ mit dorheit vmbgan
Wellen doch nit den namen han
Des hab ich gdacht zů diser früst
Wie ich der narren schiff vff rüst

Galleen / füst / kragk / nawen / parck
Kiel / weydling / hornach / rennschiff starck
Schlytt / karrhen / stoßbæren / rollwagen
Ein schiff mœcht die nit all getragen
Die yetz sindt jn der narren zal

Ein teil kein fůr hant überal
Die stieben zůher wie die ymmen
Vil vnderstont zů dem schiff schwymmē
Ein yeder der wil vorman syn
Vil narren / doren kumen dryn

Der bildniß jch hab har gemacht
Wer yeman der die gschrifft veracht
Oder villicht die nit künd lesen
Der siecht jm molen wol syn wesen
Vnd fyndet dar jnn / wer er ist

Wem er glich sy / was jm gebrist /
Den narren spiegel ich diß nenn
In dem ein yeder narr sich kenn
Wer yeder sy wurt er bericht
Wer recht in narren spiegel sicht

Wer sich recht spiegelt / der lert wol
Das er nit wis sich achten sol
Nit vff sich haltten / das nit ist /
Dan nyeman ist dem nütz gebrist
Oder der worlich sprechen tar

Das er sy wis / vnd nit ein narr
Dann wer sich für ein narren acht
Der ist bald zů eym wisen gmacht
Aber wer ye wil witzig syn
Der ist fatuus der gfatter myn

Der důt mir ouch dar an gewalt
Wanñ er dyß bůchlin nit behalt
Hie ist an narren kein gebrust
Ein yeder findt das in gelust
Vnd ouch war zů er sy geboren

Vnd war vmb so vil sindt der doren /
Was ere vnd freyd die wißheit hat /
Wie sœrglich sy der narren stat /
Hie findt man der welt gantzen louff
Diß bůchlin wurt gůt zů dem kouff

Zů schympff vnd ernst vnd allem spil
Findt man hie narren wie man wil /
Ein wiser findt das in erfreydt
Ein narr gern von syn brůdern seyt /
Hie findt man doren arm vnd rich

Schlym schlem / ein yeder findt sin glich /
Ich schrot ein kapp hie manchem man
Der sich des doch nit nymet an
Het ich in mit sym namen gnent
Er sprech / ich het in nit erkent /

Doch hoff jch das die wisen all
Werdent harjnn han wolgefall
Vnd sprechen vß jr wissenheit
Das jch hab recht vnd wor geseit
Sydt jch sollch kuntschafft von jn weiß

So geb jch vmb narren eyn schweyß
Sie műssen hœren worheit all
Ob es jnn joch nit wol gefall
Wie wol Terencius spricht / das
Wer worheit sag / verdienet haß

Ouch wer sich langzyt schnützen důt
Der würfft ettwan von jm das blůt
Und wanñ man Colerâ anreygt
So würt die gall gar offt beweygt
Dar vmb acht ich nit / ob man schon

Mit worten mich wirt hindergon
Vnd schelten / vmb myn nutzlich ler
Ich hab der selben narren mer
Den wißheit nit gefallet wol
Dyß bűchlin ist der selben vol

Doch bitt jch yeden / das er mer
Wil sehen an vernunfft vnd er
Danñ mich oder min schwach gedicht
Warlich hab jch on arbeit nicht
So vil narren zůsamē bracht

Ich hab ettwan gewacht zů nacht
Do die schlyeffent der jch gedacht
Oder villicht by spyl vnd win
Sassent / vnd wenig dochtent myn /
Eyn teyl jn schlitten umbher fůren

Im schne / das sie wol halb erfrůren
Eyn teyl vff kalbß fűss gingen sust /
Die andern rechten jr verlust
Den sie den tag hetten gehan
Vnd was jnn gewyns dar vß mœcht gan

Oder wie sie morn wolten liegen
Mit gschwætz / verkouffen / mâchen triegē
Den selben noch zůdencken all
Wie mir jr wys / wort / werck / gefall
Ist wunder nit / ob ich schon offt

Do mit myn gdicht nit würd gestrofft
Gewacht hab / so eß nyeman hofft
In disen spiegel sollen schowen
All gschlecht der mēschē man vñ frowē
Je eyns ich by dem andern meyn

Die man sint narren nit allein
Sunder findt man ouch nærrin vil
Den ich die schleyer / sturtz vnd wile
Mit narren kappen hie bedeck
Metzen hant ouch an narren rœck

Sie wellen yetz tragen on das
Was ettwan mannen schæntlich was /
Spitz schů / vnd vßgeschnytten rœck
Das man den milchmerck nit bedeck
Wicklen vil hudlen jn die zœpff

Groß hœrner machen vff die kœpff
Als ob es wer ein grosser stier
Sie gænd har wie die wilden thier /
Doch sollen erber frowen mir
Verzyhen / danñ ich gantz nit jr

Gedencken zů keym argen wyl
Den bœsen ist doch nit zů vil
Der selben man ein teil hie fyndt
Die jnñ dem narren schiff ouch syndt
Dar vmb mit flyß sich yedes sůch

Fyndt eß sich nit jn dysem bůch
So mag es sprechen / das es sy
Der kappen vnd des kolben fry
Meint yemant das jch jnn nit rűr
Der gang zůn wysen fůr die thűr

Vnd lyd sich / vnd sy gůter dyng
Byß ich ein kapp von Franckfurt bryng



 
Alle Land' sind jetzt voll heiliger Schrift
Und was der Seelen Heil betrifft:
Voll Bibeln, heiliger Väter Lehr'
Und andrer ähnlicher Bücher mehr

In dem Maß, daß man sich wundern mag,
Weil niemand bessert sich danach.
Als gäb' man auf Schrift und Lehre nicht Acht,
So lebt die Welt in finstrer Nacht
Und tut in Sünden blind verharren;

All' Gassen und Straßen sind voll Narren,
Die treiben Torheit an jedem Ort
Und wollen es doch nicht haben Wort.
Drum hab' ich gedacht zu dieser Frist,
Wie ich der Narren Schiff ausrüst:'

Galeere, Füst 1, Krack 2, Naue 3, Bark,
Kiel, Weidling, 4 Bagger, Rennschiff stark,
Samt Schlitten, Karre, Schiebkarr, Wagen:
Es könnt' ein Schiff nicht alle tragen,
Die jetzt sind in der Narren Zahl;

Ein Teil sucht Fuhrwerk überall,
Der stiebt umher gleich wie die Immen,
Versucht es zu dem Schiff zu schwimmen:
Ein jeder will der Vormann sein.
Viel Narren und Toren kommen drein,

Deren Bildnis ich hier hab gemacht.
Wär' jemand, der die Schrift veracht,'
Nicht hätt' gehabt, oder nicht könnt' lesen,
Der sieht im Bilde 5 sein Wesen
Und schaut in diesem, wer er ist,

Wem gleich er sei, was ihm gebrist.
Den Narrenspiegel ich dies nenne,
In dem ein jeder Narr sich kenne;
Wer selbst er sei, wird dem vertraut,
Der in den Narrenspiegel schaut.

Wer sich recht spiegelt, der lernt wohl,
Daß er nicht klug sich achten soll,
Nichts von sich halten, was nicht ist,
Denn niemand lebt, dem nichts gebrist,
Oder der sagen darf fürwahr,

Daß er sei weis' und nicht ein Narr;
Denn wer sich für einen Narren hält,
Wird bald den Weisen zugesellt,
Wer aber immer will weise sein,
Ist fatuus, 6 der Gevatter mein,


Der sich zu mir recht übel stellt,
Wenn er dies Büchlein nicht behält.
Hier ist die wahre Narrenweide;
Ein jeder findet, was ihn kleide,
Und auch wozu er sei geboren,

Und warum so viel sind der Toren;
Welch hohes Ansehen Weisheit fand,
Wie trübselig der Narren Stand.
Hier findet man der Welten Lauf,
Drum ist dies Büchlein gut zum Kauf.

Zu Scherz und Ernst und allem Spiel
Trifft man hier Narren, wie man will;
Ein Weiser sieht, was ihm behagt,
Ein Narr gern von den Brüdern sagt.
Hier hat man Toren, arm und reich,

Schlim schlem, 7 gleich findet gleich.
Die Kappe schneid' ich manchem Mann,
Der nimmt es sich trotzdem nicht an;
Wenn ich beim Namen ihn genannt,
Spräch' er, ich hätt' ihn nicht erkannt.

Doch hoff' ich, daß die Weisen alle
Drin finden werden, was gefalle,
Und sagen dann mit Wissenheit, 8
Daß ich gab recht und gut Bescheid.
Und da ich das von ihnen weiß,

Geb' ich um Narren einen Schweiß;
Sie müssen hören Wahrheit alle,
Ob ihnen es auch nicht gefalle.
Wiewohl Terentius 9 saget, daß
Wer Wahrheit spricht, erlanget Haß;

Und wer sich lange schneuzen tut,
Der wirft zuletzt von sich das Blut;
Und wenn man coleram 10 anregt,
So wird die Galle oft bewegt.
Darum beacht' ich, was man spricht

Mit Worten hinterm Rücken, nicht,
Noch wenn man schilt die gute Lehr.'
Ich habe solcher Narren mehr,
Denen Weisheit nicht gefället wohl,
Dies Büchlein ist derselben voll.

Doch bitt' ich jeden, daß er mehr
Ansehen woll' Vernunft und Ehr'
Als mich und dies mein schwach Gedicht.
Ich hab' fürwahr ohn' Mühe nicht
So viele Narrn zuhauf gebracht:

Gar oft hab' ich gewacht die Nacht,
Die schliefen, deren ich gedacht
Oder saßen vielleicht bei Spiel und Wein,
Wo sie gedachten wenig mein;
Ein Teil in Schlitten fuhr umher

Im Schnee, wo sie gefroren sehr;
Ein Teil trieb Kindereien just;
Die andern schätzten den Verlust,
Der sie desselben Tags betroffen,
Und welchen Gewinn sie könnten hoffen,

Und wie sie morgen wollten lügen
Geschwätzig, verkaufen und manchen trügen.
Um solchen nachzudenken allen,
Wie mir Weis', Wort und Werk gefallen,
Hab' ich, kein Wunder ist's, gar oft

Gewacht, wann niemand es gehofft,
Damit man tadle nicht mein Werk. –
In diesen Spiegel sollen schauen
Die Menschen alle, Männer, Frauen;
Die einen mit den andern ich mein':

Die Männer sind nicht Narrn allein,
Man findet auch Närrinnen viel,
Denen ich Kopftuch, Schleier und Wil 11
Mit Narrenkappen hier bedecke.
Auch Mädchen haben Narrenröcke;

Sie wollen jetzt tragen offenbar
Was sonst für Männer schändlich war:
Spitze Schuh' und ausgeschnittne Röcke,
Daß man den Milchmarkt nicht bedecke;
Sie wickeln viel Lappen in die Zöpfe

Und machen Hörner auf die Köpfe,
Wie sie sonst trägt ein mächt'ger Stier;
Sie gehn einher wie die wilden Tier'.
Doch sollen züchtige Frauen mir schenken
Verzeihung, denn an sie gedenken

In keiner argen Art ich will;
Den bösen ist doch nichts zu viel,
Von denen kann man hier gewahren
Ein Teil im Narrenschiffe fahren. –
Darum mit Fleiß sich jeder suche,

Und findet er sich nicht im Buche,
So kann er sprechen, daß er sei
Der Kappe und des Kolbens frei.
Wer meint, daß ich ihn nicht berühre,
Geh zu den Weisen vor die Türe,

Gedulde sich, sei guter Dinge,
Bis ich von Frankfurt 12 'ne Kapp' ihm bringe!


 

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